Almanach 2002

Almanach 2002 H e i m a t j a h r b u c h d e s S c h w a r z w a l d – B a a r – K r e i s e s 2 6 . F o l g e

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis Internet: www.schwarzwald-baar-kreis.de E-Mail: landratsamt@ chwarzwald-baar-kreis.de Redaktion: Karl Heim, Landrat Dr. Joachim Sturm, Kreisarchivar Wilfried Dold, Redakteur Karl Volk, Realschuloberlehrer Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nachdrucke und Vervielfäl­ tigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Verlag, Gestaltung, Satz und Lithografie: doldverlag, Vöhrenbach (www.doldverlag.de) Vertrieb und Druck: Todt-Druck GmbH, Villingen-Schwenningen ISBN: 3-927677-31-0

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2002 Willi Aker Transport GmbH & Co. KG, Schonach Energieversorgung Südbaar GmbH, Blumberg ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Vöhrenbach Emil Frei GmbH & Co. Lackfubrik, Bräunlingen-Döggingen Dr. Hanno Augstein, Hüfingen Cornel Furtwängler, Triberg Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH + Co., Heilbrunnen, Bad Dürrheim Rudolf Geier GbR, Bräunlingen Baden-Württembergische Bank AG, Donaueschingen Baden-Württembergische Bank AG, Villingen-Schwenningen HAKOS Präzisionswerkzeuge Hakenjos GmbH, Villingen-Schwenningen Siegfried Heim GmbH, Kroneck-Werkstätten, Triberg BIEDERMANN Orthopädie-Technik GmbH, Villingen-Schwenningen BURGER Industriewerk GmbH & Co. KG, Präzisionstechnik, Schonach Dipl.-Ing. Karl Heine, Villingen-Schwenningen Hess Form + Licht GmbH, Villingen-Schwenningen Coats GmbH, Bräunlingen HEZEL GmbH, Container-Rohstoffe, Mönchweiler Ewald Eble, Triberg Institut Dr. Jäger, Villingen-Schwenningen EGT Energie GmbH, Triberg EGT Gebäude- u. Informationstechnik GmbH, Triberg Heinz und Gerhard Jordan OHG, Vi 11 i ngen-Schwenningen Kendrion Binder Magnete GmbH, Villingen-Schwenningen Eisenmann Druckguss GmbH, Edgar u. Sibylle Friedrich, Villingen-Schwenningen Kunststoff Christei GmbH & Co., Bad Dürrheim ELVEDI GmbH, Lagertechnik und Regalsysteme, Blumberg-Riedöschingen Kur- und Bäder GmbH, Bad Dürrheim EnergieDienst GmbH, Rheinfelden Liapor GmbH & Co. KG, Werk Tuningen 3

MAI CO Elektroapparatefabrik GmbH, Villingen-Schwenningen SCHMIDT Feintechnik GmbH, St. Georgen Dipl.-Ing. Viktor Mandolla, Vermessungsbüro, Villingen-Schwenningen Spedition Julius Mayer, Bräunlingen Poldi & Leopold Messmer, freie Architekten, Furtwangen MODUS Gesellschaft für berufliche Bildung GmbH & Co. KG, Vöhrenbach MOHR+ FRlEDRJCH GmbH, Mutternfabrik, Vöhrenbach PAPST-MOTOREN GmbH & Co. KG, St. Georgen Reiner Präzision GmbH, Drehteile und Baugrup­ pen, Donaueschingen Anton Schneider Söhne GmbH + Co., Schonach Schwarzwälder Metallwarenfabrik, Triberg . Siedle & Söhne Stiftung & Co., Furtwangen Elementbau Spadinger GmbH, Bräunlingen Sparkasse Donaueschingen Sparkasse Villingen-Schwenningen mit 43 Geschäftsstellen Günther Stegmann, Donaueschingen STEIN Automation GmbH, Villingen-Schwenningen ERNST REINER GmbH & Co. KG, Furtwangen STRAUB-VERPACKUNGEN GMBH, Bräunlingen Ernst Reinhardt GmbH, Villingen-Schwenningen TRW Deutschland GmbH, Werk Blumberg RJCOSTA Schuhfabriken GmbH, Donaueschingen Karl Riegger GmbH & Co. KG, Bad Dürrheim Anne Rieple-Offensperger, Bad Dürrheim RWE Umwelt Baden-Württemberg GmbH, Betriebsstätte Schwenningen (ehemals: Fischer Recycling) Carl Valentin GmbH, Villingen- chwenningen Volksbank Triberg eG Volksbank eG Villingen Weißer+ Grießhaber GmbH, Mönchweiler Schläfke GmbH, Villingen-Schwenningen Johann Wintermantel Verwaltungs-GmbH&Co.KG, Kies- u. Transportbetonwerke, Donaueschingen Alfons Schlenker GmbH & Co. KG, Dauchingen 8 weitere Freunde und Förderer des Almanach wün­ schen namentlich nicht genannt zu werden. 4

Heimat und Almanach Dem Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 2002 zum Geleit Mehr als 23 000 Menschen mit einem fremden Paß leben im Schwarzwald-Baar­ K.reis. Dazu kommen noch mehrere tausend Aussiedler aus den osteuropäischen Staaten. Auch in den kommenden Jahren werden viele Menschen aus den verschiedensten Ländern dieser Erde zu uns kommen, ja, diese Entwicklung wird sich eher noch ver­ stärken. Der Schwarzwald-Baar-K.reis hat ei­ nen überdurchschnittlich hohen Anteil älte­ rer Menschen. Das generelle Problem einer ,,überalterten Gesellschaft“, die Notwendig­ keit, durch Zuzug das Geburtendefizit we­ nigstens etwas auszugleichen und damit die wirtschaftliche Entwicklung und Sicherung unserer Sozialsysteme zu unterstützen, stellt sich damit im Schwarzwald-Baar-K.reis in be­ sonderer Weise. Die Menschen, die zu uns kommen, incl aber zunächst „Fremde“ mit einer anderen Kultur, anderen Wertvorstellungen und Ge­ wohnheiten. Nun könnte man darauf vertrauen, daß diese „Fremden“ quasi automatisch schnell unsere Sprache, Kultur und Wertvorstellun­ gen annehmen. Dieser Automatismus tritt aber häufig gerade nicht ein, wie wir auch in unserem Land feststellen müssen. Eine Alternative wäre eine „multikulturel­ le Gesellschaft“, in der ohne übergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl und allgemein akzeptierte Wertvorstellungen jeder nach seiner Fasson selig wird. Ich denke, es gibt in der Geschichte und in vielen Ländern dieser Welt Beispiele genug, daß dies auf kurz oder lang nicht gut geht und zu äußerst schwieri­ gen Auseinandersetzungen führt. Also tun wir gut daran, die „Fremden“ möglichst schnell in unsere Gesellschaft ein­ zubinden, sie zu integrieren. Dies kann sicherlich nicht bedeuten, daß wir die Menschen der verschiedensten Na- 6 tionalitäten, die zu uns kommen, verpflich­ ten, möglichst sdmell „gute Deutsche“ zu werden. Aber wir müssen ihnen vermitteln, welche allgemein zu akzeptierenden Wertmaßstäbe es in dieser Gesellschaft gibt. Wir müssen verdeutlid1en, daß gerade der Rahmen, den diese Wertmaß täbe vorgeben, dem Einzel­ nen und auch einzelnen Gruppen einen gro­ ßen Spielraum für individuelle Selbstentfal­ tung und kulturelle Vielfalt einräumt, es sich deshalb lohnt, sich nid1t nur daran zu hal­ ten, sondern sich auch dafür einzusetzen. Wir müssen ihnen Gelegenheit geben, am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen und sich aktiv einzubringen. Nur so kann die Forderung nach Integrati­ on und Orientierung an unseren Werten konkret werden. Integration ist ein zweiseitiger Prozeß. Der Fremde muß zur Integration bereit sein und die „Einheimischen“ müssen bereit sein, die „Neuen“ aufzunehmen. Nicht nur indem man akzeptiert, daß sie hier wohnen, son­ dern indem man sie in das gesellschaftliche Leben aufnimmt, ihnen das Gefühl gibt, da­ zu zu gehören, ohne zu fordern oder zu er­ warten, daß sie ihre eigene Identität aufge­ ben. Kurz, indem wir ihnen eine neue Heimat geben. Diese Aufgabe kann am schnellsten und wirkungsvollsten auf der kommunalen Ebe­ ne, in unseren Städten und Gemeinden, im Landkreis, geleistet werden. Hier findet zwi­ schenmenschlicher Austausch, findet pulsie­ rendes gesellschaftliches Leben tagtäglich ganz konkret statt. Hier kann Identifikation mit dem Gemeinwesen intellektuell und emotional am sdmellsten hergestellt werden. Es ist weder zu erwarten noch erstrebens­ wert, daß sich ein Kroate oder Türke inner­ halb kurzer Zeit als Deutscher fühlt. Aber

Zum Geleit Das Landratsamt mit seinen vielfältigen Aufgaben und Angeboten für die Bürger des Schwarzwald-Baar­ Kreises und die oft besuchten Außenanlagen sind ein Treffpunktfor Menschen verschiedenster Nationalität. wir können relativ rasch erreichen, daß er sich als Blumberger, Triberger oder Donau­ eschinger fühlt, daß er sich in seinem neuen Wohnort und der näheren Umgebung hei­ misch fühlt, die vielfältigen Möglichkeiten, sich auf kulturellem, sportlichem, aber auch gesellschaftlichem und kommunalpolitisch­ em Gebiet zu engagieren, nutzt und so in unsere Gesellschaft „hineinwächst.“ Dazu ist aber auch erforderlich, daß der ,,Fremde“ diese Möglichkeiten, die hohe Le­ bensqualität, die unser Raum bietet, erkennt. Dies zu vermitteln, die Schönheit und Vielfalt unserer Heimat bewußt zu machen, ist seit jeher ein Anliegen des Kreisalma­ nach. Grundvoraussetzung einer auf Dauer angelegten, erfolgreichen Integration ist oh­ nehin das Erlernen der deutschen Sprache. So kann auch der Kreisalmanach einen wert­ vollen Beitrag leisten, den „Fremden“, die zu uns kommen, eine neue Heimat zu geben. Die Redaktion des Almanach war auch in diesem Jahr bestrebt, einen bunten Strauß des Kreisgeschehens zu binden mit vielen Blumen in den verschiedensten Farben. Möge auch der Almanach 2002 dazu bei­ tragen, sowohl Einheimischen wie (noch) Fremden den Schwarzwald-Baar-Kreis, un­ sere engere Heimat, näher zu bringen. Ich danke wie immer unseren treuen Freunden und Förderern, die uns seit Jahren begleiten und tatkräftig unterstützen und so auch in diesem Jahr dazu beigetragen haben, ein ansprechendes, preisgünstiges Heimat­ jahrbuch herauszugeben. Ihr Karl Heim, Landrat 7

1. Kapitel/Almanach 2002 Aus dem Kreisgeschehen 10 Jahre Kreishaus – ,,Infotag“ zum Jubiläum Das Landratsamt auf dem Hoptbühl auch eine architektonische Meisterleistung ,,Viel Licht und viel Transparenz im Bau, keine Trutzburg aus Beton und Stahl, die Bürger sollen uns auf die Schreibtische bli­ cken können, wir haben nichts zu verber­ gen.“ So beschrieb Landrat Karl Heim sein Verständnis von Politik, Veiwaltung und Kreisbehörde. Er tat dies am 23. September 2001 beim „Tag der offenen Tür“ in einem Festzelt neben dem Landratsamt am V illin­ ger Hoptbühl. Der Anlass: Das Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises ist zehn Jah­ re alt geworden, die Einweihung des neuen Gebäudes war am 8. November 1991 erfolgt. Das Landratsamt ist das „Kreishaus“, da­ mit wird die Verbundenheit zu den Bürge­ rinnen und Bürgern, die Offenheit ausge­ drückt, mit der man an die Arbeit geht. Der Landrat setzt darauf, dass sich immer mehr Einwohner des im Jahr 1973 gegründeten Schwarzwald-Baar-Kreises auch als Einwoh­ ner des Landkreises fühlen. Das in den letz- ten Jahren verstärkt herangewachsene Kreis­ bewusstsein soll weiter gefestigt werden. Die rund 210 000 Einwohner sollen den Schwarz­ wald-Baar-Kreis als etwas Besonderes erle­ ben: Als einen Kreis „in dem sich’s leben und arbeiten lässt“. Auf dieses Ziel hat auch Alt-Landrat Dr. Rainer Gutknecht intensiv hingearbei­ tet. Karl Heim erinnerte an den 14 Jahre währenden Kampf, den Landrat Dr. Rainer Gutknecht führte, ,,damit wir jetzt so ein schönes Haus haben“. Eine langwierige Planungsphase war dem Bau vorausgegangen. Ein beschwerlicher Weg eben, wie es derlei große Bauprojekte meist mit sich bringen: Die Diskussionen um den Neubau reichen bis in die Anfange der 1970er Jahre zurück, an den Beginn der kommunalen Neugliederung im Land Ba­ den-Württemberg. Dem neuen größeren Landkreis Schwarzwald-Baar wuchsen mehr 8

Aufgaben zu, der Personalstand wuchs be­ ständig, die räumlichen Bedingungen wur­ den hingegen immer schwieriger. Nach lang­ wierigen Untersuchungen wurde eine Erwei­ terung des alten Landratsamts in Villingen verworfen, weil der Raumbedarf dies nicht zuließ. Schon 1979 hatte der Kreistag den Grund­ satzbeschluss für einen Neubau gefasst. Er wurde zunächst aufEis gelegt, weil die Kreis­ finanzen sehr angespannt waren, Schulen, Ab­ falldeponien und Kreisstraßen wurden für wichtiger gehalten. 1989 den Planungsauftrag vergeben Das Architektenbüro Auer und Weber war schließlich aus einem im Herbst 1986 ausge­ lobten Wettbewerb als Sieger hervorgegan­ gen. Immerhin 81 Architekten und Archi­ tekturbüros hatten sich an dem Wettbewerb beteiligt. Ein Jahr später, am 12. Oktober 1987, vergab der Kreistag den Planungsauf­ trag. Mit dem Bau wurde im April 1989 be­ gonnen. 10 Jahre Krcishau tektonisches Schmuckstück. Er setzt nach den Vorstellungen der Architekten Auer und Weber „ein Zeichen für das Selbstverständ­ nis des Landkreises“. Gleichzeitig ehrt er die historische Altstadt Villingens „indem er den kreuzförmigen Grundriss der Zähringerstadt aufgreift und der Ost-West-Achse, über die Barriere der Bahn hinweg, neue Bedeutung gibt als Leitlinie für die Wegverbindungen von und zur Innenstadt und die weitere bau­ liche Entwicklung dieses Gebiets“, schildern die Architekten ihre Vorstellungen zum Bau. Und weiter halten sie fest: „Das neue Amt ist gebautes Gleichnis eines aktiven Kör­ pers. Ein schlankes Skelett aus Holz gibt dem Bau-Körper Standfestigkeit, stählerne Sehnen ermöglichen größere Spannweiten. Für Kopf, Herz und Glieder stehen der Saal des Kreistags, die Eingangshalle und die ver­ schiedenen Arbeitsbereiche der Verwaltung. Das Bauwerk soll im besten Sinne ein Spie­ gel für die Besonderheit und Eigenart dieses Landkreises zwischen Schwarzwald und Baar Vor den Toren der Villinger Altstadt auf der Anhöhe des Hoptbühls gelegen, ist der moderne Bau des Landratsamtes ein archi- Mit einem „Tag der offenen Tür“.feierte die Kreisver­ waltung das zehnjährige Bestehen des Landratsamtes am Vieninger Hoptbühl. 9

l O Jahre Kreishaus Das Amt für Wasser- und Bodenschutz präsentierte beim „Infotag“ einen 14 Meter langen Bohrkern, ent­ nommen bei einer Altdeponie im Landkreis. sein, die herbe Schönheit seiner Landschaft, die Bodenständigkeit und Erfindungskraft seiner Bürger.“ Der Bau dieses Kreishauses war mit einem Investitionsvolumen von rd. 42 Mio DM die bislang größte Einzelinvestition des Schwarz­ wald-Baar-Kreises. Vielfältiger Aufgabenbereich Landrat Karl Heim betonte un Rahmen der Feierlichkeiten weiter: ,,Wenn es darum geht, die Leistungen des Landratsamts für unsere Bürgerinnen und Bürger deutlich zu machen, dürfen auch die vielfältigen Aufga­ ben als untere Verwaltungsbehörde, die für den Bürger genauso wichtig sind, nicht ver­ gessen werden. Eine rasche Genehmigung seines Bauvorhaben, die zügige Zulassung seines Fahrzeugs, die Erteilung einer Gast- 10 stättenerlaubnis oder die Ausstellung eines Vertriebenenausweises sind für den Bürger genauso wichtig wie kreispolitische Konzep­ tionen für die Weiterentwicklung des Krei­ ses. Dieser Aufgabenbereich hat durch die Eingliederung des Gesundheitsamtes, des Veterinäramtes und des Wasserwirtschafts­ amtes in das Landratsamt zum l.Juli 1995 eine wesentliche Ausweitung erfahren.“ Festakt wurde abgesagt Die Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 veran­ lassten den Landkreis einen wenige Tage später angesetzten Festakt abzusagen. Zu nah waren die schrecklichen Ereignisse, als dass ein Festakt möglich gewesen wäre. Der auf einen späteren Zeitpunkt, den 23. Sep­ tember, angesetzte „Tag der offenen Tür“ in­ des fand statt und lockte viele Besucher aus dem gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis an. Der Landkreis nutzte diesen Tag, um gemäß der Idee von Offenheit und Transparenz, über seine vielfaltigen Aufgaben zu infor­ nueren. Landrat Karl Heim verknüpfte das „Zehn­ jährige“ des Landratsamtes zudem mit ei­ nem fünfjährigen Jubiläum der Partner­ schaft des Schwarzwald-Baar-Kreises mit dem ungarischen Komitat Bacs-Kiskun. Und so waren die ungarischen Tänze in der Eingangshalle an diesem Sonntag der Ga­ rant für eine gelöste Stimmung, die zusam­ men mit ungarischem Wein ein bisschen ,,Sonne und Wärme“ in das Kreishaus brach­ te. Das Angebot des Landkreises wurde gerne angenommen und neben einer Fülle von Informationen kam auch die Unterhaltung nicht zu kurz: Im Festzelt vor dem Kreis­ haus heizten die „Dixie Darlings“ mit Mu­ sik aus dem New Orleans der 1920er und 1930er Jahre ein, der Zirkus „Kakerlaki“ trat auf und im Foyer des Landratsamtes wurde Rock‘ n ‚Roll mit Weltmeistern präsentiert (siehe auch das Kapitel „Sport“).

„Komm ins Kreishaus·: unter diesem Motto stand der lnfannationstagfiir die Bürgerinnen und Bürger am Sonntag, den 23. September. Der bunte Mix aus Unterhaltung und lnfannation lockte Bemcher aus dem ge­ samten Kreisgebiet ins Landratsamt. Oben: ungarische Folkloretänze, unten von links: Infostand der Ham­ Kraut-Gewerbeschule, das Kreismedienzentrum präsentiert die Video-und Tonwerkstall, sländig genutzt wur­ de die Gelegenheit, im Internet zu surfen, und gern angenommen haben die Gäste die kostenlose Gelegenheit, sich mit bester Blumenerde zu versorgen.

10 Jahre Kreisbaus Die „Karl-Wacker-Schule“ aus Donaueschingen in­ fonnierle über ihr Bildungsangebot für Behinderte und fertigte ji’ir die Besucher des Jnfotages“ bunte Schlüsselanhänger. Die badische Weinkönigin aus der Orten­ au schenkte Wein aus und warb für die Tou­ rismus-Region zwischen Schwarzwald und Baar: Nicht zuletzt hierbei profitierte der Schwarzwald-Baar-K.reis von dem Zusam­ menschluss mehrerer Landkreise zu einer ge­ meinsamen Tourismus GmbH. Der Landkreis zeigte sich auch überaus in­ novativ. Dazu gehört� �in lntemet�C11fi‘ für Zum Thema“ chwarzwaldhijfe“ bot der Landkreis eine viel beachtete Ausstellung, im Mittelpunkt stand das Ergebnis eines Wettbewerbes: Architekten waren gebeten worden, Vorschläge zu zeitgemäßem und landschaflsgerechtem Bauen einzureichen. 12 Jung und Alt, die Präsentation der neuen Homepage des Landkreises oder die Bear­ beitung von Video-Filmen und die elektro­ nische Recherche nach Medien und Lern­ software durch die Kreisbildstelle. Mit dabei waren die Schulen des Landkreises. Die Al­ bert-Schweitzer-Schule zeigte zum Beispiel, was Floristen in ihrem Beruf machen, die Hans-Kraut-Schule informierte über Mess­ und Regelungstechnik, die Donaueschinger Karl-Wacker-Schule stellte für die Besucher Schlüsselanhänger her zur Erinnerung an das Jubiläum. Ökologie hat hohen Stellenwert Dass die Ökologie einen hohen Stellen­ wert hat, zeigte das Amt für Wasser- und Bo­ denschutz: In Holzkisten verpackt, war ein 14 Meter langer „Bohrkern“ zu sehen, das Ergebnis der geologisd1en Untersuchung ei­ ner Altdeponie aus dem Landkreis. Das Amt für Abfallwirtschaft gab Hinweise über die sachgerechte Entsorgung und das Recycling von Bauschutt, die Amtstierärzte standen parat, um über BSE und andere Krisen Auf­ schluss zu geben. Und schließlich klärte das Gesundheitsamt über die Folgen von „Tat­ too und Piercing“ auf Mit dem Jugendamt, dem Ausländeramt, dem Sozialamt oder der KFZ-Zulassungs­ stelle und dem Brand- und Katastrophen­ schutz sind weitere umfangreiche Aufgaben­ felder beim Landkreis angesiedelt: Auch hierbei gilt: Die Bürgerinnen und Bürger hatten ausgiebig Gelegenheit, sich um ver­ schiedenste Details zu informieren. So ging am Ende Landrat Karl Heims Wunsch in Erfüllung, der „Tag der offenen Tür“ solle ein rundes, schönes Fest werden. Am meisten aber freute man sich im Kreis­ haus über das uneiwartet große Interesse, das diese Veranstaltung bei den Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst hatte. Mit einem der­ artigen Besucheransturm hatte man nicht geredmet. Manfred Beathalter

Impressionen vom „ Tag der offenen Tür“ im Landratsamt: Rod{ n‘ Roll mit Weltmeistern (siehe Sportteil im Almanach) und Spaß für Kinder und Erwachsene mit dem Zirkus „Kakerlaki“.

Kreisgeschehen Herausforderungen für Umweltpolitik im Landkreis Unbeschränktes Wachstum kann nicht das Ziel einer Politik der Zukunft sein Auch wenn in den letzten Jahren im „Prob­ lem-Ranking“ unserer Bevölkerung die Um­ weltthematik gegenüber den Bereichen ,Ar­ beitsplatzsicherheit“ und „Soziale Siche­ rung“ etwas in den Hintergrund getreten zu sein scheint, spüren wir doch gerade in den vergangenen Monaten, wie der Umwelt­ schutz im Bewusstsein der Menschen im Kreis doch wieder an Fahrt gewinnt: The­ men wie Fluglärmbelastung, BSE und Maul- und Klauenseuche, der verstärkte Bau von Windkraftanlagen, wilder Müll in den Städ­ ten und unserer Landschaft, die heftig um­ strittene Einführung eines Dosenpfandes auf Bundesebene, die Ausweisung immer weiterer Wohn- und Gewerbegebiete in un­ seren Städten und Gemeinden sowie neue Straßenbauvorhaben berühren unsere Bür­ gerinnen und Bürger hautnah und bewegen sie. Dabei sind sich alle im Grundsatz einig, es kann nicht mehr so weitergehen wie frü­ her. Es muss sich etwas ändern. Hinzu kommt auch in unserem Landkreis eine Vielzahl von bürgerschaftlichen Aktivi­ täten im Rahmen der „Lokalen Agenda 21 „, einem Projekt der Rio-Konferenz der Ver­ einten Nationen aus dem Jahre 1992, das die Bürger aller Staaten dazu aufruft, sich für ei­ ne umwelt-, sozial- und wirtschaftsverträgli­ che Entwicklung, eine sogenannte nachhal­ tige Entwicklung, in ihren Gemeinden ein­ zusetzen. Bei all den genannten Themen spüren wir, dass sid, die Bürgerinnen und Bürger dieses Thema der Rio-Konferenz – bewusst oder unbewusst – zu Eigen gemacht haben: Wir haben unsere Umwelt nur von unseren Vorfahren geliehen. Ihr mehr zu entnehmen oder sie mehr zu belasten, als sie selbst in der Lage ist, sich zu regenerieren, können und dürfen wir unseren Nachfahren nicht zumuten. Unbeschränktes Wachstum kann nicht mehr das Ziel einer Politik der Zukunft sein. Vor diesem Hintergrund steht auch die Umweltpolitik auf Kreisebene vor neuen Herausforderungen. Diese reichen von einer zukunftsfähigen Abfallwirt d,aftspolitik, über einen modernen Naturschutz, eine ökologi- che Gewässerbewirtschaftung bis hin zu ei­ ner zeitgemäßen Energie- und Gesundheits­ politik. Zunächst: Was bedeutet dies alles für die Abfallwirtschaftspolitik auf Kreisebene? Zu den Veränderungen, die die Biirger im Landkreis bewegen, gehört auch der verstärkte Bau von Wind­ krafianlagen wie hier in VS-Villingen. 14

Herausforderungen für Umweltpolitik sen. Dieses Konzept befasst sich mit den Be­ reichen Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung und gibt die strategische Rich­ tung vor. Der zuständige Ausschuss für Um­ welt und Technik hat daraufhin ein entspre­ chendes Strategiekonzept zur Umsetzung entwickelt. Neben dem Vertragsmanage­ ment bei der Abfallverbrennung unter dem Aspekt der Einhaltung des vertraglich ver­ einbarten Heizwertes sowie der Prüfung ei­ ner der Verbrennung eventuell vorgeschalte­ nen Behandlung des Restmülls und dem Ausloten der Transportalternativen geht es vor allem um den (Weiter-) Betrieb der De­ ponie Hüfingen und eine kreisübergreifen­ de Kooperation bei der künftigen Abfallent­ sorgung. Unter Abwägung sämtlicher Alter­ nativen hat der Ausschuss beschlossen, die Deponie Hüfingen bis zur Jahresmitte 2005 zu verfüllen und damit zu schließen. Die Einnahmen, die der Landkreis aus der Annahme zusätzlicher mineralischer Abfäl­ le für den Deponiebau erhält -alleine im Jahre 2000 waren dies rund 5 Mio. DM – werden dabei zur Sicherung der Gebühren­ stabiliät bzw. der Gebührenermäßigung, vor 15 Die Mülldeponie in Hüfingen wird bis zur Jahresmitte 2005 verfüllt und damit geschlossen. Nach den vielen hitzigen kommunalpoli­ tischen Debatten der vergangenen Jahre um den richtigen Weg zu einer zukunftsweisen­ den und nachhaltigen Abfallwirtschaft im Landkreis stehen nunmehr für die nächsten Jahre zwei Themen im Mittelpunkt der Dis­ kussion: Die Vorbereitung auf das neue Zeit­ alter der Abfallwirtschaft ab dem Jahr 2005, dem Beginn der Verbrennung unseres Mülls in Göppingen. Bekanntlich haben ja ab die­ sem Zeitpunkt die herkömmlichen Deponi­ en ausgedient-auch ein Gedanke der Nach­ haltigkeit: Mit der Aufgabe der allseits be­ kannten Deponien sollen künftige Altlasten für nachkommende Generationen ein für alle mal vermieden werden. Das zweite Dauerthema ist die Optimie­ rung der bestehenden Abfallwirtschaftsstruk­ turen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Zu beiden Themen hat der Kreistag am 24. Juni 2000 ein für die nächsten fünfJahre an­ gelegtes Abfallwirtschaftskonzept beschlos- Abfallwirtschaftskonzept beschlossen

Kreisgeschehen allem aber zur Verbesserung der sogenann­ ten Nachsorgerücklage für die Deponie ver­ wendet. Aus dieser Rücklage sollen die Auf­ wendungen (z.B. Entgasung und Sickerwas­ serreinigung) nach Schließung der Deponie finanziert werden. Diese Rücklage betrug Ende 2000 lediglich rund 6 Mio. DM, be­ darf aber bei einer mindestens 25-jährigen Nachsorgephase wenigstens einer Größen­ ordnung von 18 Mio. DM im Jahr 2005, al­ so dann, wenn die Nachsorge beginnt. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen scheint die Erreichung dieses Ziels realis­ tisch. Dass in der Region aus wirtschaftli­ chen Gründen die Deponie des Landkreises Tuttlingen in Talheim jedenfalls weiter be­ trieben werden wird und damit ausreichend Kapazität zur Verfügung steht, war ein wei­ terer Grund dafür, die Deponie in Hüfingen Mitte des Jahres 2005 zu schließen. Über ei­ ne regionale Kooperation mit den Landkrei­ sen Tuttlingen und Rottweil ist aud1 nach 2005 die Entsorgungssicherheit für unseren Landkreis gewährleistet. Um die Kostenstruktur in der Abfallwirt­ schaft jetzt und in Zukunft zu optimieren und die jährlichen Pacht- und Nachsorge­ entschädigungen an die Standortgemeinde Hüfingen zu reduzieren, hat der Landkreis mittlerweile aud1 beschlossen, das bisherige Deponiegrundstück zu einem Preis von 1,9 Mio. DM von der Stadt Hüfingen zu erwer­ ben. Dieser Kaufpreis wird mit den jetzt vor­ handenen Einnahmen aus der Annahme mineralisd1er Abfalle vollständig gedeckt, ohne dass die planmäßige Zuführung zur genannten Nachsorgerücklage geschmälert würde – auch ein Stück Nachhaltigkeit: Künftige Gebührenzahler sollen nicht mit Aufwendungen belastet werden, für die die heutigen Müllverursacher verantwortlich sind. Müllgebühren wurden stabil gehalten Die vom Landkreis eingeleiteten Optimie­ rungsmaßnahmen in den verschiedensten Bereichen der Abfallwirtschaft, angefangen 16 Biomüllbehandlungsanlage wird gebaut Positives im Sinne eines nachhaltigen und umweltgerechten Wirtschaftens ergab sich auch an der „Biomüllfront“: Bereits 1998 hat der Landkreis zusammen mit dem Land­ kreis Tuttlingen ein hiesiges Privatunterneh­ men mit dem Bau einer Biomüllbehand­ lungsanlage betraut. Vorgesehen war dieses Projekt in Deißlingen, unmittelbar neben der Kläranlage des Abwasserzweckverban­ des „Oberer Neckar“. Die bei der Vergärung des Biomülls entstehende Wärme soll zur Trocknung der Klärschlamme eingesetzt, die überschüs ige Energie verstromt und ins öf­ fentliche Netz eingespeist werden. von der internen Datenverarbeitung bis hin zu technischen und wirtsd1aftlichen Verbes­ serungen bei den vielen Verwertungsmaß­ nahmen, haben zusammen mit einem – wenn auch auf deutlich reduziertem Niveau – stabilisierten Müllaufkommen im Kreis dazu beigetragen, dass die Müllgebühren im Jahre 2001 stabil gehalten, im gewerblichen Bereich und für die Benutzung unserer Kornpostanlage in Villingen sogar gesenkt werden konnten. Eine in der heutigen Zeit durchaus nicht alltägliche Feststellung! Das 15 Mio. DM Projekt kam jedoch nicht in die Gänge. Die Gemeinde Deißlingen ver­ weigerte ihr Einvernehmen zum Bau der Anlage. Der Gang durch die Gerichtsinstan­ zen wurde mit dem Urteil des Verwaltungs­ gerichtshofes Baden-Württemberg vom 5. Ok­ tober 2000 beendet: Es kann jetzt gebaut werden. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist erteilt. Erfreulicherweise hat sich bei dieser jetzt geklärten Rechtslage auch der Landkreis Rottweil entschlossen, bei dem Projekt mitzumachen. Neben dem kommunalpolitischen Schulterschluss der drei Landkreise hat dieser Beitritt auch die angenehme Nebenwirkung, dass durch das größere Aufkommen der ohnehin günstige Entsorgungspreis nochmals um rund 150/o auf 111 DM pro Tonne gesenkt werden konnte. Die Inbetriebnahme dieser von al-

Herausforderungen für Umweltpolitik Ein Mülldetektiv er- mittelt nun die Ver- ursacher von .wilden“ Müllablagerungen. Damit will man dem zunehmenden Wohl- standsmüll in unserer Landschaft besser Herr werden. Jen drei Landkreisen der Region gemeinsam genutzten Anlage ist zu Beginn des Jahres 2003 vorgesehen. Neuland hat der Landkreis auch beim Thema „wilder Müll“ betreten. Jeder Leser weiß um das ärgerliche, ja kriminelle Verhalten mancher Zeitgenos­ sen, die ihren Wohlstandsmüll gerade dort „entsorgen“, wo es ihnen gefällt: Der ausrangierte Kühlschrank, die abgefahrenen Autoreifen landen genauso im Wald wie die Reste der letzten Wohnungsrenovierung. Dass es dafür kostenlose – und lega­ le – Entsorgungsmöglichkeiten gibt, wird vielfach kurzerhand ignoriert. Der gerade lästige Sperrmüll wird – obwohl man innerhalb weniger Wochen einen Abholter­ min vom Abfallwirtschaftsamt mitgeteilt be­ kommt – dem sich ordnungsgemäß verhal­ tenden Nachbar einfach zu dessen Charge dazu gestellt und innerhalb weniger Tage ist die ganze Straße „zugemüllt“. Abgesehen vom unverschämten Verhalten dieser Zeit­ genossen beginnt dann der Ärger in den Amtsstuben: Das Einsammeln des wilden Mülls kostet Geld (des Gebühren- und Steu­ erzahlers) und jeder brave Beamte fragt zu allererst nach seiner Zustän­ digkeit. Und bis dies geklärt ist, bleibt der Müll einfach lie­ gen. Hier will der Landkreis mit ei­ ner Doppelstrategie ansetzen: Ein eigens zu diesem Zweck beim Landkreis beschäftigter ,,Mülldetektiv“ soll die verant­ wortungslosen Zeitgenossen – womöglich – zusammen mit den gemeindlichen Stellen er­ mitteln und zur Rechenschaft ziehen: Entweder dadurch, dass diese den illegalen Müll selbst wegräumen oder aber neben der Rech­ nung für die Entsorgung ein „ordentliches“ Bußgeld erhalten. Wo dies nicht möglich ist, hat der Landkreis, um ein Zuständig­ keitsgerangel zu vermeiden, jetzt die sehr viel ortsnäheren Gemeinden damit beauf­ tragt, die „Hinterlassenschaften“ in Straßen, in Wald und Flur einzusammeln und ord­ nungsgemäß auf der Deponie oder in einem der 23 Wertstoffhöfe und Recyclingzentren im Landkreis abzugeben. Für diese Leistung 1 j;er�6,-;,�- .��.;.i�ililll ………… 17

trägt doch die Vermarktung heimischer Pro­ dukte zum Erhalt unserer landwirtschaftli­ chen Betriebe und damit letztlich zur Be­ wahrung unserer gerade auch von den Tou­ risten so geschätzten Kulturlandschaft Schwarzwald bei. Nachdem mittlerweile die Konzeption für die künftige – nachhaltige – Entwicklung des Naturparks vorliegt, wird gerade dieser Aspekt einen wesentlid1en Be­ standteil des noch zu erarbeitenden Natur­ parkplans ausmachen. Dabei gilt es, das ge amte Naturparkgebiet unter der Berück­ sichtigung eines „nachhaltigen“ Wirtschaf­ tens zu einer „vorbildlichen Erholungsland­ schaft“ zu entwickeln. Wir sind zuversicht­ lich, dass uns dies – hoffentlich auch mit Unterstützung der EU über das Entwick­ lungsprogramm „LEADER +“ gelingt. Planerische Steuerung notwendig Dass der Begriff der „nachhaltigen Ent­ wicklung“ nicht immer konAiktfrei ist, zeigt die wieder entAammte Diskussion um die Windkraftnutzung. Im Sd1warzwald-Baar­ K.reis sind derzeit mehr als 20 Anlagen neu­ ester Bauweise in Betrieb oder konkret in Planung. Abgesehen von Immissionen wie Lärm, Schattenwurf und „Discoeffekt“, die letztlid1 technisd1 beherrschbar sind, geht es meist – und das vehement – um das Land­ sd1aftsbild: Die einen sehen die Anlagen als Verschandelung un erer schönen Land­ schaft, die anderen halten den Eingriff im Hinblick auf den notwendigen Ausbau alter­ nativer und damit im inne der Nachhaltig­ keit ressourcensd10nender Energien für ge­ rechtfertigt. Wie man das auch sehen mag, Fakt ist, dass der Gesetzgeber bewusst Wind- energieanlagen in den Krei ge chchcn erhaJten die Gemeinden einen Ausgleich in Gestalt eines gebührenfreien Müllkontin­ gents für kommunale Abfälle. Diese Dop­ pelstrategie könnte landesweit ein Modell­ beispiel dafür sein, wie Kreis und Gemein­ den ohne bürokratisches Gerangel an einem Strick für eine saubere Stadt und eine saube­ re Landsd1aft ziehen. Vorbildliche Erholungslandschaft Themen des nachhaltigen Wirtschaftens und der lokalen Agenda 21 fanden sich im abgelaufenen Berid1tsjahr auch im Bereich des Landschafts- und Naturschutzes wieder: Hier ist das „zarte PAänzchen“ des Natur­ parks Südschwarzwald weiter gediehen: Trotz einiger ärgerlicher Rückschläge wird es immer mehr Bürgerinnen und Bürgern im Kreis bewusst, dass rund 2/3 des Kreisgebie­ tes zum Naturpark Südsd1warzwald gehö­ ren und mehr al die Hälfte der Kreisbevöl­ kerung in ihm wohnt und lebt: ,,Dort leben, wo andere Urlaub machen“, diese Karte muss allerdings noch weit mehr als bislang gespielt werden. Mit zu dieser im Ansatz er­ freulid1en Entwicklung beigetragen haben etwa die Vorstellung neuer Mountainbike­ Routen im Schwarzwald, die Einweihung thematischer Wanderwege oder Aktionen wie da „Käsekulinarium“ oder die „Rind­ Aeischwochen“ in der heimischen Gastrono­ mie des Landkreises oder die vor kurzem vorgestellte „Käse-Route“ im Südschwarz­ wald, bei der landwirtschaftliche Betriebe ih­ re selb t erzeugten Produkte anbieten. Nicht zuletzt hat auch die B E-K.rise dazu beigetragen, dass dem Verbraud1er die Qia­ lität heimischer und umweltgered1t erzeug­ ter Produkte, auch wenn sie etwas teurer sind als die Massen­ ware im Supermarkt, wieder bewusst wird. Gerade der Naturpark SüdschwarzwaJd wird auf dieses neuerliche Bewusstsein setzen, 18 Viden Bürgem im Landkreis berritsver/raul: das Außenbereichen für Logo des „Naturpark iirlschwarzwald“. Naturpark Südschwarzwald e.V. zulässig erklärt. Wer­ den keine Naturschutz­ gebiete oder wertvol­ le Biotope unmittel- bar betroffen, besteht ein Rechtsanspruch auf Genehmigung dieser

Herausforderungen fur Umweltpolitik Für die oft mühevolle O.ffenhaltung der Landschefi, gerade im Fall der Höhenlandwirtsd1afi wie hier bei St. Georgefj, sollen die Landwirte künftig einen finan­ ziellen Ausgleich bekommen. zen. Gerade für den Erhalt dieser Grenzer­ tragsflächen, die unter betriebswirtschaftli­ chen Aspekten überhaupt nicht mehr inte­ ressant sind, soll ein Ausgleich an die Land­ wirte für die mühevolle Pflege und die damit bewirkte Offenhaltung der Landschaft ge­ währt werden. Problematik der Altlasten Dass nachhaltiges Wirtschaften in frühe­ ren Jahren nicht das Maß der Dinge war, zeigt die leidige Problematik der Altlasten im Kreis. Immer wieder zwingen uns die Sünden der Vergangenheit heute – und lei­ der wohl noch viele Jahre – zum Handeln. Sei es die Sanierung eines Kindergartenge­ ländes in St. Georgen, die Sanierung von seit vielen Jahren betriebenen Tontauben­ schießanlagen im Kreis mit den durch den 19 Anlagen. Es liegt allein in der Planungsho­ heit der Gemeinden, diese Entwicklung durch die Ausweisung geeigneter Standorte zu steuern. Es ist daher erfreulich, dass im­ mer mehr Gemeinden im Landkreis diese Notwendigkeit einer planerischen Steue­ rung erkennen und sie umsetzen. Förderung der Höhenlandwirtschaft Eng mit dem Gedanken des Naturschutzes verbunden ist die Neuauflage eines Förder­ programms des Landkreises zugunsten sei­ ner Landwirte. Erstmals seit vielen Jahren hat der Kreistag im Jahr 2001 neben den Mitteln für den Vertragsnaturschutz in Hö­ he von 75 000 DM wieder zusätzliche Gel­ der für die Förderung landwirtschaftlicher Betriebe in den Haushalt eingestellt. Nach einer intensiven und engagiert geführten Diskussion beschloss der zuständige Aus­ schuss, die Gelder für die Förderung der Be­ wirtschaftung von Steillagen, das heißt land­ wirtschaftlich genutzten Flächen mit einer Hangneigung von 500/o und mehr, einzuset-

Kreisgc cheh n Schießbetrieb verursachten Verunreinigung des Bodens durch Kohlenwasserstoffe und Blei oder die Sanierung früherer Standorte der einst doch so blühenden metallverarbei­ tenden Industrie im Kreis. Nur mit großem Aufwand gelingt es hier, die Umwelt wenigs­ tens wieder einigermaßen ins Lot zu brin­ gen. Hochwasserschutz kommt gut voran Ob beim notwendigen Hochwasserschutz der Mensch die Natur aus einer überborden­ den Bedrohung wieder in die Schranken wei en muss oder ob nicht doch der Mensch selbst letztlich die Natur aus dem Lot ge­ bracht hat, wäre einer langen Diskussion wert. Nur- lange Di kussionen bringen uns nicht den erforderlichen Schutz. Spätestens seit dem Jahrhunderthochwasser im Jahre 1990 sind Maßnahmen mehr als dringlich. In jedem Frühjahr bangen wir aufs Neue. Eine der wirkung voll ten Maßnahmen, das Hochwasserrückhaltebecken bei Donau­ eschingen-Wolterdingen, kommt erfreuli­ cherweise gut voran. Die Planung wurde vom Land beauftragt, Untergrunderkundun­ gen fur den Damm fanden 2001 statt, ergän­ zende umweltschützerische Untersuchun­ gen wurden eingeleitet. Vermutlich noch im Jahre 2002 kann das beim Landrat amt an- gesiedelte Planfeststellungsverfahren abge­ schlossen werden. Wir sind zuversichtlich, dass nach Klärung der Mittelbereitstellung durch Land und Gemeinden – immerhin geht es bei diesem Projekt um runde 30 Mio. DM – mit dem Bau im Jahre 2003 begon­ nen werden kann. Mehr als 13 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser ist dazu auch allerhöchste Zeit! Ein gelungenes Beispiel fur nachhaltigen Umgang mit unserer Natur konnte im Mai 2001 der Öffentlichkeit in Bräunlingen-Un­ terbränd präsentiert werden: Dort wurde die 1921 erbaute Brändbachtalsperre nach er­ folgreicher Sanierung wieder in Betrieb ge­ nommen. Nach sage und schreibe 19-jähri­ gem Hin und Her um die beste und kosten­ günstigste Sanierung der Staumauer ist es der Stadt Bräunlingen mit Hilfe des Landes Baden-Württemberg gelungen, ein trag- und vor allem fmanzierungsfähiges Konzept zu verwirklichen. Für in gesamt über 4 Mio. DM wurde die Staumauer rechtzeitig zu Be­ ginn der Fremdenverkehrssaison im Jahr 2001 mittels einer in Deut chland bislang einmaligen Geomembrantechnik saniert. Das Land steuerte mehr als 600 000 DM zur Sanierung bei. Mit diesem Projekt werden vier Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Stadt Bräunlingen wird mit den beste­ henden drei Turbinen im Kraftwerk Wald- Wrts der tadt Brä1111/i11gen mit der Srmiemngder Brii11dbr1chtalsper­ re glückte ist fiir die Stadt Vöhrenbach noch ein Wumrhtmum: die Sa11iem11g der Linach-Tnlsperre, 2002 soll eine E11tscheid11ngfallen. _—-�_:,l:!;�E���.J 20

hausen die Gewinnung regenerativer Ener­ gie ermöglicht. Der aufgestaute Kirnbergsee kann wieder als attraktiver Erholungs- und Tourismusmagnet genutzt werden, der Na­ turschutz profitiert durch die Erhaltung ei­ nes Naturschutzinventars von europäischer Bedeutung (Bestandteil der Gebietskulisse zur sogenannten Flora-Fauna-Habitat kurz FFH-Richtlinie) und die Stadt Bräunlingen wird durch eine freizuhaltende Staukapazi­ tät vor Hochwasser geschützt. Bei so vielen erreichten Zielen würde man sich wünschen, dass noch mehr solche Projekte im Land­ kreis realisiert werden könnten. Immerhin eines steht für die nächsten Jahre bereits an: Die Sanierung der benachbarten Linach-Tal­ sperre. Hier gibt es mittlerweile konkrete Sa­ nierungsüberlegungen der Stadt Vöhren­ bach; das Jahr 2002 muss hier eine endgül­ tige Entscheidung bringen. Mehr als 80 Selbsthilfegruppen Die Gedanken der Nachhaltigkeit, der lo­ kalen Agenda 21 sowie die des bürgerschaft­ lichen Engagements machen jedoch nicht bei den klassischen Umweltthemen Halt. Verstärkt spüren wir, wie etwa im Bereich der Gesundheitsprävention Bürger sich ver­ mehrt „einmischen“ und nicht darauf war­ ten, bis der Staat oder die Krankenkassen – die ja beide ohnehin chronisch finanziell überfordert sind – auf sie zukommen und sie unterstützen. Und das ist gut so. Im Landkreis haben sich mehr als 80 Selbsthil­ fegruppen zusammengefunden, im gesund­ heitlichen Bereich – aber auch darüber hi­ naus. Die Mitglieder dieser Gruppen sind bereit, sich für Betroffene zu engagieren und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen: bürger­ schaftliches Engagement im besten Sinne. Natürlich benötigen diese Gruppen, um sich zu organisieren und fortzubilden, eine Anlaufstelle, genauso wie interessierte Be­ troffene eine Informationsstelle brauchen, bei der sie sich nach der für sie „richtigen“ Gruppe erkundigen können. Das Landrats- Herausforderungen für Umweltpolitik amt/Gesundheitsamt hat sich dieser Aufga­ be bislang kreisweit angenommen. Auf­ grund der deutlich erhöhten Nachfrage im Selbsthilfegruppenbereich – ein Hinweis auf die hervorragend angenommenen und be­ setzten Bad Dürrheimer Selbsthilfetage der vergangenen Jahre sei hier erlaubt – ist das Landratsamt derzeit mit allen Krankenkas­ sen im Kreis im Gespräch mit dem Ziel, hier ein Modellprojekt für eine Anlaufstelle der Selbsthilfegruppen und für interessierte Bürgerinnen und Bürger zu realisieren. Im Jahr des Ehrenamtes, in dem alle nach För­ derung und Unterstützung des ehrenamtli­ chen Engagements rufen, wäre es schön, wenn dieses im Land einmalige Projekt ver­ wirklicht werden könnte – denn: Ehrenamt­ liches Engagement wie im Selbsthilfegrup­ penbereich ist nur dann auf Dauer möglich, wenn den Ehrenamtlichen die nötige beglei­ tende Unterstützung zuteil wird. Nur all zu oft haben wir erleben müssen, dass ohne Hilfe bei organisatorischen und bürokrati­ schen Stolpersteinen das zarte Pflänzchen des ehrenamtlichen Engagements nur all zu früh wieder verdorrt. Aus diesem Überblick über die umwelt­ und gesundheitspolitischen Themen im Landkreis am Anfang eines neuen Jahrhun­ derts mit ihren vielfältigen Fragen zur Nach­ haltigkeit und zum Bürgerengagement wird eines deutlich: Wir stehen vor neuen He­ rausforderungen: Das obrigkeitsstaatliche Verwaltungshandeln, das sich schlicht auf die Umsetzung eines speziellen Gesetzes konzentriert, hat endgültig ausgedient. Ge­ fragt sind innovative und vernetzte Ideen. Das Denken und Handeln des Staates, aber auch jedes Einzelnen, muss daran orientiert sein, die Schonung unserer natürlichen Res­ sourcen mit den sozialen Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger und den Belangen unserer Wirtschaft zu vereinen. Nur so haben wir auch im 21. Jahrhundert eine Chance. Joachim Gwinner 21

Kreisgcscheheo Soziales im Schwarzwald-Baar-Kreis Die soziale Planung will auch die Ursachen sozialer Schäden beheben Aufgabe des Sozialdezernates ist nicht nur die Beachtung individueller Fürsorgepflich­ ten und die Hilfeleistung in sozialen Notla­ gen, wie beispielsweise die Hilfe zum Le­ bensunterhalt, sondern auch die Daseins­ vorsorge. Es ist Teil der Sozialpolitik, die Be­ völkerung mit allen wichtigen Gütern und Leistungen zu versorgen. Zur Sozialpolitik gehört auch die Umgestaltung der Gesell­ schaft, um Störungen der gesellschaftlichen Ordnung zu beseitigen und um diese selbst weiterzuentwickeln. Die vergleichende Be­ trachtung der gesellscl1aftlichen Bedingun­ gen, die Analyse sozialer Gegebenheiten und die von Privilegien nicht beeinflußte Gestaltung der Lebensräume incl Inhalt der Sozialplanung. Im Rahmen der Sozialplanung werden un­ terschiedliche Lebensbereiche untersucht und geprüft, ob die soziale Infrastruktur ein umfassendes und bedarfsgerechtes Leis­ tungsangebot an sozialen und erzieheri­ schen Hilfen bietet. Sozialplanung will nicht nur al Reaktion soziale Schäden behe­ ben, sondern deren Ursachen beseitigen und präventiv sein. Wichtige Grundsätze unserer Sozialplanung sind die dezentrale Versorgung, bedarfsgerechte lebens- und all­ tagsorientierte Angebote von Hilfen, Ver­ netzung und Gemeinwesenorientierung, um die kommunalen Ressourcen effektiver auszuschöpfen und auszugestalten. Die im Vorjahr eingeführten Leitlinien zur Konzeption und Förderung sozialer Dienste, die im Bereich der Sozialplanung Grundla­ ge für die Bedarfsfeststellung und für die konzeptionelle Verwirklichung von Zielvor­ stellungen sind, kamen bereits zur Anwen­ dung, als die Beratungsangebote de Cari­ tasverbandes Schwarzwald-Baar-Kreis e.V. und der Diakonischen Werke in einen Basis­ dienst zu ammengeführt wurden. Aufgabe des Basisdienstes ist nach der Konzeption 22 die Allgemeine Lebensberatung einschließ­ lich der Schwangeren- und Schwanger­ schaftskonfliktberatung, die Beratung im Bereich der Alten- und Behindertenhilfe, die Existenz- und Schuldnerberatung und die Beratung im Rahmen der Migrationshil­ fe. Der Basisdienst ist ein Unterstützungsan­ gebot für Personen und Familien mit ver­ schiedenen, in ich verflochtenen Proble­ men, z.B. wirtscl1aftlicher, existentieller, psy­ cl10-sozialer, erzieherischer oder gesundheit­ licher Art. Im Gegensatz zu den bisherigen spezialisierten Beratungsangeboten kann nun mit den dezentralen Beratungsstellen und dem ganzheitlichen Beratungsangebot die einzelne Person oder Familie im Zusam­ menhang ihres gesamten Lebensumfeldes gesehen werden. Die Konzeption des Basisdienstes erfüllt die Leitsätze zur Ausgestaltung sozialer Dienstleistungen im Schwarzwald-Baar­ Kreis und wurde vom Landkreis unterstützt, indem für mehr Planungssicherheit eine Ver­ einbarung über die Finanzierung geschlos­ sen wurde. Mehr als 35 000 Senioren Der Schwarzwald-Baar-Kreis mit seiner schönen Landschaft, seinen gesunden Le­ bensbedingungen, attraktiven Wohnorten und vielfaltigen kulturellen Angeboten ist auch für ältere Menschen sehr interessant. Im Schwarzwald-Baar-Kreis leben rund 35 000 Senioren über 65 Jahre. Das sind 16,60/o der Gesamtbevölkerung und mehr als durchschnittlich in anderen Landkreisen Baden-Württembergs. Ein wichtiger Aspekt unserer Sozialpolitik im Schwarzwald-Baar­ Kreis ist auch bei zunehmender Hilfebe­ dürftigkeit der Erhalt der Würde, der Selbst­ bestimmung und der individuellen Persön-

Im Zuges des Pro­ gramms „Hilfe für Ar- beit“ ist der Aufwand für die Sozialhilfe um über 100/o und der Hil- feaufwand um rund 15,50/o auf 17,5 Millio- nen Mark zurückge- gangen. lichkeit. Im Landkreis stehen die unter­ schiedlichsten Hilfen zur Verfügung, um den jeweils speziellen Bedürfnissen unserer Seniorinnen und Senioren Rechnung zu tra­ gen. Für die Bedürfnisse älterer Bürger set­ zen wir einen besonderen Schwerpunkt in unserer Kreispolitik. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, Senioren die Teilnahme am sozia­ len, gesellschaftlichen und kulturellen Le­ ben im Landkreis zu sichern. Ambulante und stationäre pflegerische Dienste und Einrich­ tungen, Beratungsdienste und Angehörigengruppen, Vereine und Wohlfahrtsverbände, aber auch die Verwaltung selbst bie­ ten ein sehr vielfältiges, diffe­ renziertes und interessantes Angebot. Der Landkreis hat auch erst­ mals einen Seniorenwegweiser für den Schwarzwald-Baar­ Kreis herausgegeben. Dieser gibt einen Überblick über die Angebote, finanziellen Leis­ tungen und Unterstützungs­ möglichkeiten für ältere Menschen 1m Landkreis. Die im Juni 2000 verabschiedete Psychiat­ rieplanung des Schwarzwald-Baar-Kreises schreibt das „Konzept zur außerklinischen Versorgung psychisch Erkrankter und see­ lisch Behinderter“ von 1991 fort. Sie enthält die Beschreibung der Lebenslage psychisch erkrankter Menschen und die Auswirkung auf den Hilfebedarf, den Bestand an Ange­ boten in �antität und �alität und die ak­ tuelle Bedarfsaussage im Bereich der sozial­ psychiatrischen Versorgung. Versorgungsstruktur verbessert Seit 1991 hat sich durch die neu geschaffe­ nen oder zur Zeit entstehenden Angebote die Versorgungsstruktur sehr verbessert. Um den festgestellten Bedarf im Bereich des Be­ treuten Wohnens zu decken, prüfen Landes­ wohlfahrtsverband, Träger von Einrichtun­ gen und der Landkreis derzeit gemeinsam, Soziales im Schwarzwald·Baar·Kreis welche Angebote für Betreutes Wohnen auf­ gebaut werden können. Auch die genannten Bedarfe für Fortbildung zum Umgang mit Krisensituationen wurden teilweise bereits umgesetzt. Die Sozialhilfe ist die Bezeichnung für die staatlichen Maßnahmen zugunsten Hilfebe­ dürftiger. Sie erschöpft sich jedoch nicht in der Auszahlung von Hilfe zum Lebensun­ terhalt. Unseren Auftrag verstehen wir als ei­ ne Art Sozialfürsorge, das heißt jede Fürsor- ge, die Hilfebedürftigen zuzu­ wenden ist und die die Einglie­ derung in die Gesellschaft er­ leichtert. Aufgrund der günstigen Wirt­ schaftsentwicklung und den Auswirkungen unseres Pro­ grammes „Hilfe zur Arbeit“ sind im Berichtszeitraum die Fallzahlen in der Sozialhilfe um über 100/o und der Hilfe­ aufwand um rund 15,50/o auf 17,5 Millionen zurückgegan- gen. Auch für das Jahr 2001 zeichnet sich ein weiterer leichter Rückgang in der Sozialhilfe ab. Der Landkreis verfolgt aber weiterhin das Ziel, daß Sozialhilfebe­ dürftigkeit dauerhaft überwunden werden kann. Ein Beitrag hierzu ist die Einführung der Pauschalierung der Sozialhilfe für Al­ leinerziehende. Vorrangiges Ziel der Pauschalierung, die durch eine sogenannte Experimentierklau­ sel im Bundessozialhilfegesetz ermöglicht wird, ist die Stärkung der Selbstverantwor­ tung der Hilfeempfänger im Umgang mit Geld. Darüber hinaus sollen aus den Mo­ dellvorhaben Erkenntnisse für eine grundle­ gende Reform des Sozialhiferechts gewon­ nen werden. Während bisher einmalige Leistungen (Beihilfen für Kleidung, Hausrat) nur bei ei­ nem individuellen tatsächlichen Bedarf von der Sozialhilfe übernommen wurden, wer­ den bei der Pauschalierung die einmaligen Beihilfeansprüche anteilig über die Pauscha­ le mit den laufenden Leistungen zu einem 23

Kreisgeschehen Gesamtbetrag zusammengefaßt und allen Hilfeempfängern zuerkannt. Dadurch kön­ nen erhebliche Mehrkosten entstehen. Den Mehrkosten stehen die positiven Überlegungen für eine Pauschalierung ge­ genüber. Mit der Pauschalierung wird die Eigenverantwortlichkeit der Hilfeempfänger gestärkt. Der Hilfeempfänger kann künftig selber entscheiden, wie er im Rahmen des ihm zustehenden monatlichen Betrages sei­ ne Mittel verwendet und muß eine langfris­ tige und vorausschauende Haushaltspla­ nung aufstellen und umsetzen. Die Pauscha­ lierung wirkt dem Einzelansprud1sdenken entgegen und bringt mehr Transparenz be­ züglich der Leistungsinhalte und -höhe mit sich, so daß aud, die Diskussion um das Lohnabstandsgebot versachlicht wird. Um die Mehrkosten in dieser Modellpha­ se zu begrenzen, wurde die Pauschalierung zunächst auf den Personenkreis der Allein­ erziehenden begrenzt. Entscheidend für den Erfolg einer Pau­ chalierung ist die Vorbereitung der Hilfe­ empfänger, weshalb seit Anfang 2001 per­ sönliche Beratungsgespräd1e durchgeführt wurden. Bis Mitte des Jahres 2001 konnte die Pauschalierung für Alleinerziehende umgesetzt werden. Die Resonanz war ausge­ zeichnet. 80 0/o der vom Landkreis angefrag­ ten und beratenen Alleinerziehenden neh­ men am Projekt der Pauschalierung teil und die Verwaltung hat die berechtigte Hoff­ nung, daß dieser Personenkreis aud, in der Lage ist, verantwortungsvoll mit dem Bud­ get umzugehen und die Pau chalierung da­ mit aud, ein Erfolg werden wird. ,,Hilfe zur Arbeit“ und ,,SOzialhilfe ade“ Die Überwindung von Sozialhilfebedürf­ tigkeit ist auch vorrangiges Ziel unseres 1998 eingerichteten Sachgebietes „Hilfe zur Ar­ beit“. Erfreulicherwei e ist die Arbeitslosigkeit in unserem Landkrei stark zurückgegangen. Dennoch gibt es nach wie vor einen Bedarf an Unterstützung für arbeitslose Personen. 24 Durch die Angebote der „Hilfe zur Arbeit“ werden Hilfeempfänger unmittelbar oder über einen gezielt gesteuerten, stufenweisen Hilfeprozess in den Arbeitsmarkt integriert und von der Sozialhilfeabhängigkeit befreit. Das Vermittlungsprogramm hat überregio­ nale Beachtung und Anerkennung gefun­ den und wurde zwischenzeitlich auch in das Internetangebot des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung – Hilfe zur Arbeit – aufgenommen. Im Sachgebiet „Hilfe zur Arbeit“ werden die Gründe für die Arbeitslosigkeit festgestellt und in einer Hilfeplanung die nächsten Sduitte festgelegt. Motivation, Begleitung und Betreuung der festgelegten Maßnah­ men sind wesentliche Elemente des weiteren Vorgehens. Im Jahr 2000 wurden 78 Vermitt­ lungen ohne Lohnkostenzuschuß und 147 Vermittlungen mit Lohnkostenzuschuß er­ reid1t. Mit dem Lohnkostenzusdrnß wer­ den sozialver icherungspflichtige Beschäfti­ gungsverhältnisse bezuschußt. Im Pro­ gramm „Arbeit statt Sozialhilfe“ haben im Jahr 2000 insgesamt 38 Personen teilgenom­ men, 104 Personen wurden in gemeinnützi­ ge und zusätzlid1e Arbeit vermittelt. Dieses Programm hilft Per onen, die nicht sofort auf den ersten allgemeinen Arbeit markt vermittelt werden können, vorübergehend Beschäftigung zu finden. Qialifikations­ und Eingliederungsmaßnahmen, in denen die Hilfeempfänger geschult werden, konn­ ten 62 Personen angeboten werden. Sprach­ kurse (für 82 Personen), Seminare bzw. Fort­ bildungen (16 Personen), die Vermittlungs­ hilfe für Alleinerziehende (vier Personen er­ hielten Mobilität hilfen bzw. Kinderbetreu­ ung) owie die Schuldnerberatung sind weitere Angebote des Sachgebietes. Diese hervorragenden Ergebnisse werden durch ein hohes Maß an Individualität, durch die zeitnahe Anpas ung an aktuelle Bedarfsla­ gen aber auch durch ein hohes Maß an Fle­ xibilität erzielt. Das bewährte Angebot wur­ de mit dem Projekt „Sozial11ilfe ade“ mit Mitteln aus dem Europäisd1en Sozialfonds ausgeweitet. Durd1 die Förderung wurden

die Leistungen nicht nur Personen, die So­ zialhilfe empfangen, sondern auch Perso­ nen, die von Sozialhilfebedürftigkeit be­ droht sind, angeboten. Dies sind vor allem junge Erwachsene oder Personen, die Sprach­ schwierigkeiten überwinden müssen. Jugend und Arbeit Für Jugendliebe, die die Schule nicht er­ folgreich abgeschlossen bzw. die nach der Schule den Einstieg in das Berufsleben nicht geschafft oder Ausbildungen abgebrochen haben, wurden ebenfalls mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds vorhandene Ange­ bote im Jugendamt (Soziale Betreuungsstelle) und im Sozi­ alamt durch ein differenziertes Orientierungs-, Qialifizierungs­ und Vermittlungsangebot er­ gänzt. Die Schulsozialarbeit an den beruflichen Schulen des Schwarzwald-Baar-Kreises wurde im Schuljahr 2000/2001 um eine zusätzliche Stelle aus- gebaut. Sie betreut vor allem Schüler/innen im Berufsvorbereitungsjahr, aber auch Schü­ ler/innen mit Problemen in anderen beruf­ lichen Bereichen. Angeboten werden Ein­ zel- und Gruppenbetreuung von benad1tei­ ligten Schülern. Dazu gehören beispielswei­ se die sozialpädagogische Einzelhilfe, Haus­ besuche, Elterngespräche, Unterstützung bei Bewerbungen und Vorstellungsgesprä­ chen sowie Nachhilfeunterricht. Im Schul­ jahr 2000/2001 wurden 224 Schüler betreut und begleitet. Ein weiterer Baustein ist die Jugendselbst­ hilfeaktion in der Sozialen Betreuungsstelle des Landkreises. Das Angebot beinhaltet Orientierungsmaßnahmen, Arbeitserpro­ bungen und Berufsfindungen für Jugendli­ che, die ohne pädagogische Hilfe einen Ein­ stieg in den Arbeitsmarkt nicht finden. Da­ neben werden sozialversicherungspflichtige Stellen bzw. Stellen für geringfügig Beschäf- Die J ugendberufshelfe- rin begann im Oktober 2000 ihre Arbeit. Ziel ist, vor allem Jugendli­ che, die von Sozialhilfe­ bedürftigkeit bedroht sind, in Praktikums­ oder Ausbildungsstellen zu vermitteln. Soziales im Schwarzwald·Baar·Kreis tigte zur Arbeitserprobung angeboten. Ziel der Maßnahme ist die Gewöhnung an Ar­ beitsrhythmus und an Arbeitstugenden so­ wie die Steigerung der Konzentrationsfähig­ keit. An der Arbeitstrainingsmaßnahme der Ju­ gendselbsthilfeaktion haben im Förderjahr 2000 125 Jugendliche teilgenommen. Be­ günstigt durch die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt konnten rund 800/o der Jugendlichen, welche die Maßnahme been­ det haben, in ein Beschäftigungs- oder Aus­ bildungsverhältnis oder eine Weiterbildungs- maßnahme vermittelt wer­ den. Das Projekt Jugendberufs­ helfer ist ausbildungs- und beschäftigungsorientiert und hat das Ziel, jeden jungen Menschen durch die für ihn am besten geeigneten Maß­ nahmen zu motivieren und zu befähigen, Verantwortung für seine Existenzsicherung und Lebensplanung zu über­ nehmen. Die Jugendberufshilfe koo­ periert eng mit der Berufsberatung des Ar­ beitsamtes und arbeitet mit dem Sozialamt, dem Jugendamt sowie den Trägern von Maßnahmen für Jugendliche eng zusam­ men. Die Jugendberufshelferin begann im Ok­ tober 2000 ilire Arbeit. Ziel ist, vor allem Ju­ gendliche, die von Sozialhilfebedürftigkeit bedroht sind, in Praktikums- oder Ausbil­ dungsstellen zu vermitteln. Von insgesamt 68 Jugendlichen und jungen Erwachsenen konnten die Hälfte der Teilnehmer in eine Ausbildungsstelle, Arbeitsstelle oder in be­ rufsbildende Maßnahmen vermittelt wer­ den. Die Jugendberufshilfe wird durd1 För­ dermittel des Landes Baden-Württemberg, des Arbeitsamtes und aus dem Europäi­ schen Sozialfonds finanziert. Neben diesen Angeboten werden in unse­ rer Sozialen Betreuungsstelle auch Ausbil­ dungsbegleitende Hilfen (abH) angeboten. 25

Kreisgmh hcn Junge Menschen, die bereits in einer Berufs­ ausbildung sind, aber dabei Probleme ha­ ben, werden z.B. durch Nachhilfeunterricht oder Einzelbetreuung umfas end unter­ stützt. Ziel ist, daß die Berufsausbildung auch abgeschlossen wird. Die ausbildungs­ begleitenden Hilfen werden zu 100 0/o vom Arbeitsamt Villingen-Schwenningen finan­ ziert. Teilgenommen haben im Jahr 2000 190 Jugendlid1e. Der Erfolg der Maßnahme läßt sich in wenigen Worten darstellen: Bei den letzten Abschlußprüfungen bestanden alle Teilnehmer/innen (=100 %). Jugend und Schule In Ergänzung zu den Angeboten für junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf wird mit der Jugendsozialarbeit an Sd1ulen eine präventive Maßnahme um­ ge etzt, die frühzeitig Problemlagen begeg­ nen soll. Die Veiwaltung hat ein Kon­ zept „Jugendsozialarbeit an Schulen im Schwarzwald-Baar­ Kreis“ erarbeitet, das die Aus­ gangslage beschreibt sowie die Brennpunkt chulen und die Schwerpunkt chulen definiert. Die im Konzept genannte Ziel­ setzung und die Aufgaben ge­ hen davon aus, daß ich Ju­ gendsozialarbeit an chulen an gefährdete und benachteiligte Jugendliche wendet, aber auch im Gemeinwesen und im Schulsystem Wir­ kungen zeigen soll, um die Ursachen für Probleme langfristig zu be eitigen. Die Er­ ziehungsaufgaben der chule und die der Sozialpädagogik bilden ein kooperatives Er­ ziehung feld. Der Caritas-Verband für den Schwarzwald­ Baar-Kreis e.V konnte mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und des Landes Baden-Württemberg die chulsozialarbeit an Brennpunktschulen einrid1ten. Die Bik­ keberg-Schule und die Deutenberg-Schule in Villingen-Schwenningen sowie die Ei- 26 chendorffschule in Donaueschingen wur­ den als Brennpunktschulen eingestuft. Das Projekt Schulsozialarbeit an Brennpunk­ tschulen wird vom Jugendamt des Schwarz­ wald-Baar-Kreise begleitet. Schulleiter und Lehrer begrüßen das Projekt und begleiten es aktiv und konstruktiv. Für die weiteren Grund- und Hauptschu­ len des Schwarzwald-Baar-Kreises wurde ei­ ne Bewertung vorgenommen und eine Rangfolge als Schwerpunktschulen erstellt. Danach kommen die Sd1ulen in St. Geor­ gen, Blumberg, Furtwangen und Hüfingen für chulsozialarbeit in Betracht. Neben dem Landkreis al Jugendhilfeträ­ ger sind aud1 die Kommunen als Schulträ­ ger im Rahmen ihres Auftrages zur örtlichen Daseinsvorsorge gefordert. Hält der Schul­ träger (und damit auch die Schule) diese Maßnahme für notwendig und rid1tig, soll er die Hälfte der anfallenden Personalkosten und Personalnebenkosten über­ nehmen. Der Schulträger stellt auch innerhalb der Schule Räumlichkeiten und Sachko­ sten zur Verfügung. Mit der Jugendsozialarbeit an Schwerpunktschulen wurde im Jahr 2001 begonnen. An den genannten Schulen wurde je­ weils eine halbe Stelle für die­ se Aufgabe eingerichtet. Der Projektzeitraum ist auf drei Jahre begrenzt, um anschlie- ßend ich verändernde Bedar­ fe und die Auswertung der Leistungen und Effekte zu beurteilen. Bei ämtlichen Eingliederungsmaßnah­ men der Jugendhilfe soll das Hineinwachsen in die moderne und ich chnell verändern­ de Gesellschaft erleichtert werden. Hierzu gehören Erziehung – und Eheberatung, aber auch unsere Angebote im Jugendamt und die Jugendsozialarbeit an Sdiulen. Bei die- en Eingliederungshilfen, die die Sozialpä­ dagogik zu leisten hat, geht es um die „Wie­ deraufrichtung de Men eben in seiner chwäche“, die schon Pestalozzi gefordert Mit der Jugendsozial- arbeit an Schwer- punktschulen wurde im Jahr 2001 begon- nen. An den beteilig- ten Schulen wurde je­ weils eine halbe teile für diese Aufgabe ein- gerichtet.

hat. Der Schwarzwald-Baar-Kreis will mit seinen vielfältigen Angeboten hierbei unter­ stützen und Jugendlichen den Weg zur akti­ ven Teilhabe an der Gesellschaft aufzeigen. Der Landkreis sieht sich in der Notwendig­ keit, Jugendliche zu unterstützen, auch durch die Fallzahlenentwicklung bestätigt. Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis ist – wie bundesweit zu beobachten – ein Anstieg der Unterbringungen im Heim zu beobachten. Durch den Ausbau der ambulanten und teil­ stationären Hilfen konnte 1993-1996 die Zunahme der Heimfalle aufgehalten wer­ den. Seit 1997 haben wir einen starken An­ stieg zu verzeichnen und es ist aus heutiger Sicht davon auszugehen, daß auch 2001 noch leicht steigende Fallzahlen zu erwarten sind. Dies hat zur Folge, daß gegenüber dem Jahr 2000 mit 15,8 Millionen im Jahr 2001 mit einem kalkulierten Nettoaufwand von 16,5 Millionen bei der Jugendhilfe zu rech­ nen ist. Dies hat aber auch zur Folge, daß der Landkreis mehr Jugendlichen die erfor­ derlichen Hilfen und ausreichende Unter­ stützung anbieten muß. Die Jugendhilfeplanung Ein Instrumentarium zur Beurteilung der Angebote und Hilfen ist die J ugendhilfepla­ nung. Die Jugendhilfeplanung ist im Schwarz­ wald-Baar-Kreis sozialraumbezogen und thematisch angelegt. Über Fall- und Daten­ analysen, Experteninterviews, die Beteili­ gung Betroffener und die Auswertung fach­ licher Erkenntnisse wird in der Jugendhilfe­ planung der Bestand und Bedarf an Ange­ boten im Planungsbereich eruiert und dar­ gestellt. Dabei ist Jugendhilfeplanung vor allem das gemeinsame Suchen nach Er­ kenntnissen und Möglichkeiten, Jugendhil­ fe sinnvoll, effektiv und effizient zu gestal­ ten. Diskussionsprozesse sollen angestoßen, moderiert, Veränderungen initiiert werden. Nach der abgeschlossenen Teilplanung I 1995 (im Städtedreieck Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen) und dem Teil- Soziales im Schwarzwald-Baar·Kreis plan II 1997 (St. Georgen) wurde nun der Planungsraum Blumberg untersucht. In die Planung wurde neben dem Thema Hilfen zur Erziehung auch der Bereich Ju­ gendarbeit aufgenommen. Ein Bedarf wird für Blumberg vor allem darin gesehen, daß ambulante Hilfen früher eingreifen sollen und eine Gruppe für Al­ leinerziehende eingerichtet wird. Beratungs­ dienste sollen vor Ort angeboten werden und der hohe Anteil ausländischer Kinder an der Förderschule ist zu thematisieren. Ge­ meinsam mit der Stadt Blumberg wird die Möglichkeit der Hausaufgabenbetreuung und Sprachförderung sowie die Weiterent­ wicklung der offenen und verbandlichenJu­ gendarbeit (beispielsweise Förderverein zur Jugendarbeit, Stadtjugendring) erörtert. Mit der Erstellung eines Beratungsführers, in dem alle Beratungs- und Hilfsangebote für Familien zusammengefaßt und veröffent­ licht werden, hat die neu gegründete Blum­ berger Runde der Hauptamtlichen schon im Vorfeld ein wichtiges Instrument der Vernet­ zung und Information für betroffene Fami­ lien geschaffen. Parallel zur Jugendhilfeplanung wurde von der Stadt Blumberg ein Konzept zur offe­ nen Jugendarbeit erstellt, politisch diskutiert und im Herbst 2000 mit der Einstellung ei­ nes Stadtjugendpflegers umgesetzt. Auch ein Jugendhaus wurde inzwischen eröffnet. Der Landkreis verabschiedete auch eine Konzeption zur offenen Jugendarbeit. In immer mehr Kommunen im Landkreis stel­ len sich die Verwaltung und Gremien den Bedürfnissen der jungen Generation und richten offene Jugendarbeit mit unterschied­ lichen Konzepten ein. Es werden hauptamt­ liche Jugendarbeiter eingestellt oder andere Formen der Betreuung von Treffs gemein­ sam mit den Jugendlichen gefunden. Im Jugendfonds ist es uns gelungen, 40 000 DM zusätzlich vom Land Baden­ W ürttemberg zu erhalten. Dies deshalb, weil der Landkreis dieselbe Summe an Spen­ den eingenommen hatte. Jetzt ist es uns wie­ der möglich, neue Projekte zu unterstützen, 27

Kreisgeschehen für die bereits einige Anträge vorliegen. Der Jugendfonds wurde im Januar 2001 aud, auf der landesweiten Bildung mes e vorgestellt. Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliebe feierte im Jahr 2001 ihr 25-jäh­ riges Jubiläum. Bis zu ihrer Gründung im Jahr 1976 wurde die Erziehung beratung durd, die Kinder-und Jugendpsyd,iatrie der Universität Freiburg einmal in der Wod1e angeboten. Am 1. Februar 1976 war es dann soweit. Die kreiseigene Beratungs teile wur­ de gegründet. Obwohl im Bereich der Ju­ gendhilfe der ubsidiaritätsgrund atz gilt, hat der Landkreis die Erziehungsberatungs­ stelle als eigene Einricl1tung gegründet, da zum damaligen Zeitpunkt keine freien Trä­ ger gefunden werden konnten, die diese Aufgabe übernehmen wollten. Bei der Ein­ rid1tung der Erziehungsberatungsstelle wur­ de auch ganz bewußt die Entscheidung ge­ troffen, die Räumlichkeiten aus dem Land­ ratsamt auszulagern und sie sozusagen mit einer ganz eigenen Identität zu versehen. ie erhielt sogar ein eigenes Logo, das inzwi­ d,en weit bekannt ist. Der Landkreis woll­ te damit den Amtscharakter vermeiden und eine niedrigere Schwelle für Ratsuchende anbieten. Jahrelang gehörte die Aufgabe der Erzie­ hungsberatung zu den freiwilligen Leistun­ gen des Kreises. Erst im Jahr 1990 wurde die Erziehungsberatung zur Pflichtaufgabe er­ klärt. Die Leitung der zusammengeführten Dro­ genberatungsstelle und der Erziehungsbera­ tungsstelle wurde Herrn Roland tieber übertragen. Ein modernes Konzept wurde entwickelt und umgesetzt und die Jugendbe­ ratung in die bestehende Drogenberatung integriert. Es wurde ein breites Angebot ge­ schaffen für Jugendliche, das sehr chnell über die durch den Gebrauch von legalen und illegalen Drogen entstehenden Proble­ me hinau ging. Die Beratungsstelle entwik­ kelte sid, zum Ansprechpartner bei Ent­ wicklungskrisen, Sd,wierigkeiten im d1uli­ schen Bereich oder im Elternhaus und hat so den Schwerpunkt bei der Jugend- und 28 Drogenberatung verändert. Die Verbindung von Jugendberatung und Drogenberatung war ein erfolgversprechendes Konzept, da die Übergänge in die en Bereichen oft flie­ ßend sind. In den ersten Jahren erfolgte so­ wohl eine räumliche als auch eine personel­ le Ausweitung der Kapazität. E wurden Au­ ßenstellen in Donaueschingen und Furt­ wangen eingerichtet und die Jugend- und die Drogenberatungsstelle von ursprünglich einer Fachkraft auf letztendlich insgesamt 9,5 Fad1kräfte ausgebaut. Erziehungsberatung im Mittelpunkt Seitdem im Jahr 1994 die Jugend- und Drogenberatung vom Badischen Landesver­ band gegen die Suchtgefahren übernom­ men wurde konzentriert sich die Aufgabe der Beratung stelle auf die Erziehungsbera­ tung. So vielgestaltig wie die Problemsitua­ tionen der Hilfesuchenden sind, so vielge­ staltig ist da Team der Erziehungsbera­ tungsstelle. Da Team, da heute aus sieben Fachkräften besteht, ist multidisziplinär. Psyd1ologen, Sozialpädagogen, Heilpäda­ gogen und eine Ärztin leisten eine hervorra­ gende Zusammenarbeit. Dadurch gelingt es, nach Problemlösungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu uchen. Die bewährte und konstruktive Zusammenarbeit mit der Dro­ genberatungsstelle wurde auch nach der or­ ganisatori chen Trennung weitergeführt. Die Beratungs teile hat von Anfang an kein Solitärdasein geführt, sondern sich stets um die Vernetzung der psychosozialen Ver­ sorgung des Landkrei es bemüht. Sie grün­ dete die Arbeit krei e „Arbeitskreis Bera­ tung“ und den „Frühförderarbeitskreis“ und nimmt an weiteren themenbezogenen Ar­ beitskrei en teil, wie beispielsweise am „Ar­ beitskreis sexueller Mißbrauch“ oder „Fo­ rum Familie“. Ein sid1tbares Produkt dieser Vernetzungsarbeit i t der Beratung führer für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Neben der Arbeit mit Betroffenen ist ein weiterer Arbeits d1werpunkt die Prävention. Die Erziehungsberatungsstelle gestaltet EI-

In den vergangen 25 Jah- ren hat unsere Bera- tungsstelle ein hervorra- gendes und anerkanntes Angebot aufgebaut. Sie ist in der „Szene“ Garant für Kompetenz und Er­ fahrung, für Dynamik und Innovation. ternabende in Kindergärten und Schulen, wirkt an pädagogischen Tagen mit, leistet Fachberatung in Kindergärten und ist Ko­ operationspartner des Jugendamtes. Dies bedeutet nicht nur, daß die Mitarbeiter des Jugendamtes Unterstützung bei der Klärung psychologischer Problemlagen erhalten. Die Beratungsstelle war auch stets bereit, Unterschiede im Ar­ beitsauftrag und der Arbeits­ weise zu überbrücken und kreativ nach Lösungen zu su­ chen. Die fachliche Betreu­ ung, die Praxisberatung und auch die Supervision wurde für Mitarbeiter des Jugendam­ tes wie für angestellte Hono­ rarkräfte übernommen. An der Arbeit der Erziehungsbe­ ratungsstelle besteht von Kin­ dergärten, Schulen, Kinder- ärzten, Logopäden, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten großes und reges Interes­ se. Die Erziehungsberatungsstelle kann auf ein erfolgreiches Vierteljahrhundert zurück­ blicken. In den vergangenen 25 Jahren hat unsere Beratungsstelle ein hervorragendes und anerkanntes Angebot aufgebaut. Sie ist in der „Szene“ Garant für Kompetenz und Erfahrung, für Dynamik und Innovation. Der Erfolg ist aber nicht von selbst gekom­ men, sondern das Ergebnis engagierter und weitblickender Arbeit. Es darf auch nicht verkannt werden, daß die Erziehungsberatungsstelle hauptsäch­ lich präventiv wirkt. Es ist bekannt, daß sich die Probleme der Kinder und Jugendlichen verändern und verschärfen. Leistungsdruck für Kinder Kinder sind in unserer Gesellschaft ande­ ren Einflüssen ausgesetzt als früher. Leis­ tungsdruck und Konkurrenzdenken müssen genauso bewältigt werden wie die Anforde­ rungen unserer Konsumgesellschaft. Eltern und Kinder haben vielschichtige Probleme Soziale im Schwarzwald-Baar-Kreis im Zusammenleben. Eltern fragen sich häu­ fig bei besonderen Übergängen im Leben der Familie, ob sie alles richtig machen, ob ihr Kind den Anforderungen gewachsen sein wird, wenn es beispielsweise in die Schule kommt. In der Pubertät wollen Kin­ der/Jugendliche selbständig werden, Eltern müssen loslassen, aber gleich­ zeitig weiterhin Grenzen set­ zen können. Dabei haben El­ tern heute weniger Unterstüt­ zung als früher, als es noch die Großfamilie gab, die sich ge­ genseitig helfen konnte. Aus all diesen Lebenssituationen können Fragen und Probleme entstehen, bei denen die Bera­ tungsstelle hilft. Auffälligkei­ ten oder Besonderheiten, die Kinder oder Jugendliche in ih- rem Verhalten zeigen, können genauso wie die Fragen der Eltern zur För­ derung und Unterstützung ihrer Kinder An­ laß sein für eine Beratung. Aus diesen Grün­ den begreift der Beratungsansatz die Fami­ lie als System, in dem die Interaktionen und Beziehungen aller Einfluß auf die Situation haben. Das gesamte Familiensystem steht im Vordergrund. Und über die Außenstellen ist die Familienberatung regional auch gut vertreten. Das Konzept der Beratungsstelle ist damit schon seit langem auf die Bedürfnisse der Klienten im ländlichen Raum angelegt. Die Arbeit der Beratungsstelle trägt wesentlich dazu bei, den Kindern und Jugendlichen in unserem Landkreis, die sich in schwierigen Situationen befinden, eine Zukunft zu ge­ ben. Mit einem Festakt und mehreren Ver­ anstaltungen der Beratungsstelle wurde das Jubiläum gefeiert. Die engagierte und konstruktive Zusam­ menarbeit der Mitarbeiter der Beratungsstel­ le werden auch weiterhin zum Erfolg und damit zur Zukunft unserer Jugendlichen bei­ tragen. Gabriele Seefried 29

Kreisgeschehen Psychisch krank – Treffen kann es jeden Hilfen im Schwarzwald-Baar-Kreis Treffen kann es jeden – unabhängig von Alter, Beruf oder persönlicher Vorgeschich­ te. Die Erkrankungen können durch schwe­ re Lebenskrisen, aber auch Hirnschädigun­ gen, Stoffwechselstörungen ausgelöst, aber auch vererbt werden oder ohne erkennbaren Grund entstehen. Das Leben, zumeist der gesamten Familie, verändert sich durch sie völlig. Häufig über einige Zeit unerkannt, als vor­ übergehendes Stimmungstief oder einfach unerklärliches, seltsames Verhalten einge­ schätzt, rufen die veränderten Handlungs­ weisen der erkrankten Menschen in ihrer Fa­ milie, im Kollegenkreis oder der Nachbar­ sd1aft nid,t selten Verärgerung, Ratlosigkeit, Angst, Besorgnis, sogar Wut und Abneigung hervor. Die Folgen psychisd,er Erkrankung sind, je nad, Schwere, Dauer und Symptomen sehr untersd1iedlich. Möglicherweise kön­ nen erkrankte Menschen über eine längere Zeit, sogar aufDauer nid1t arbeiten oder be­ nötigen beispielsweise einen Teilzeitarbeit platz oder Arbeitsplatz, der ihren peziellen Bedürfnissen gerecht wird. Häufig gelingt es nicht, den Arbeit platz zu erhalten, was nid,t selten die ge amte Familie in finanzi­ elle Schwierigkeiten bringt. Erkrankte Mensd,en suchen oft die Ein­ samkeit, weil sie sich selbst nicht verstehen und sid1 in ihrer „Seltsamheit“ anderen – aud, ihren engsten Familienmitgliedern – nicht zumuten wollen. Manchmal auch, weil sie der Kontakt zu anderen Menschen irritiert und sie andere Menschen zu be­ stimmten Zeiten nur sd1wer ertragen kön- nen. Das „Nichtverstehen des Andersseins“ von Seiten der Familie und der sozialen Umwelt führt häufig zu Konflikten, die symptom­ verschärfend wirken oder Erkrankte noch weiter in die Isolation treiben. Verzweiflung, 30 ,,Schizophrenie … “ murmelt Studer. ,,Wtls heißt das?“ ,,Eigentlich heißt es: Spaltung, Gespaltensein“, sagte Laduner. ,,Eine geologische Angelegen­ heit. Sie haben einen Berg, er wirkt ruhig, ge­ schlossen, er ragt aus der Ebene auf, er atmet Wolken und braut Regen, er bedeckt sich mit Gras und sprossenden Bäumen. Und dann kommt ein Erdbeben. Ein Riss geht durch den Berg, ein Abgrund klafft, er ist in zwei Teile zeifallen, er wirkt nicht mehr ruhig, geschlos­ sen, er 1t!Jirkt grauenhaft; man sieht sein lnne­ res,ja, das Innere hat sich nach außen gestiilpt … Denken Sie sich eine derartige Katastrophe in der Seele … Und wie der Geologe mit Bestimmtheit von Ursachen spricht, die einen Berg gespalten ha­ ben, so sprechen u,ir mit Bestimmtheit von den psychischen Mechanismen, die eine Seele ge­ spalten haben. Der Bergl Studer, denken Sie an den Bergl Sein Inneres ist plötzlid1 sichtbar …. Aus: Friedrich Glauser „Matto regiert“ Arche Verlag AG, Zürich 1989 Der schweizer Kriminalautor Friedrich Glauser war selbst einige Zeit in der Psy­ chiatrie. Einsamkeit, Angst vor dem, was mit einem gesd,ieht und den Reaktionen der Umwelt sind ständige Begleiter in der akuten psychi­ sd1en Krise. Ohne Hilfe von außen ist die­ se nur selten zu meistem. Fast immer ist bei einer sid, verfestigten, p yd1ischen Erkrankw1g ein Klinikaufent­ halt in einem Zentrum für Psychiatrie not­ wendig, um den Patienten medizinisch und therapeuti eh zu behandeln. Neben Medi-

Psychisch krank Mosaik im oberen Foyer der Tagesklinik for Psychi­ atrie und Psychotherapie. kamenten gibt es unterschiedliche therapeu­ tische Behandlungsmöglichkeiten, die von der Erkrankung hervorgerufenen Schwierig­ keiten einzeln oder in der Gruppe zu bespre­ chen, sich kreativ zu betätigen und so an ei­ ner dauerhaften Lösung der mit der Krank­ heit verbundenen Probleme zu arbeiten. Die früheren „Psychiatrischen Anstalten“ haben sich, nicht nur dem Namen nach ge­ wandelt, die heutigen Zentren für Psychiat­ rie sind spezialisierte Fachkrankenhäuser, in denen sich die Patienten in der Regel freiwil­ lig und selbstbestimmt einer notwendigen Behandlung unterziehen. Eine Einweisung eines kranken Menschen ohne dessen Wil­ len ist nur noch unter ganz engen Vorausset­ zungen und für eine begrenzte Dauer über­ haupt möglich. Für den Schwarzwald-Baar-Kreis ist das re­ gionale Zentrum für Psychiatrie das Vincent von Paul Hospital – früheres Rottenmünster – in Rottweil. Nicht länger als notwendig sollen Patienten im Krankenhaus bleiben. Ist eine Besserung der Symptome eingetre­ ten, aber noch psychiatrische Behandlung über eine bestimmte Zeit hinweg notwen­ dig, kann der Patient auch in der Tagesklinik des Hospitals in Villingen-Schwenningen fachärztlich und therapeutisch behandelt werden. Die Tagesklinik besuchen Betroffene, wie der Name schon sagt, nur tagsüber. Somit wird der Kontakt zur Familie, zu Freunden und Nachbarn aud1 bei einem längeren Kli­ nikaufenthalt erhalten. Viele Patienten füh­ len sich in ihren eigenen vier Wänden, zu­ hause in der gewohnten Umgebung einfach viel wohler und geborgener. Ist es aus irgendwelchen Gründen nid1t möglich, daß Betroffene, die noch Unter­ stützung und Hilfe benötigen, nach dem Klinikaufenthalt nach Hause zurückkehren, gibt es je nach Bedarf ganz unterschiedliche Hilfen. Das Wohnheim des Caritasverban­ des in Villingen beispielsweise oder des Fi­ scherhofes in Vöhrenbach. Möglich ist aber aud1 die Betreuung und Unterstützung in der eigenen Wohnung, ei­ ner Wohngemeinschaft Betroffener oder im Betreuten Wohnen. Hilfe bietet im gesamten Landkreis auch der Sozialpsychiatrische Dienst. Träger, so­ wohl der betreuten Wohnangebote als auch 31

Psychisch krank Die Tagesklinikfür Psychiatrie und Psychotherapie in Villi11gen-Schwenningen. des Sozialpsychiatrischen Dienstes ist eben­ falls der Caritas- Verband im Schwarzwald­ Baar-Kreis. Hilfe und Beratung können Betroffene und Angehörige in Anspruch nehmen, müs­ sen es jedoch nicht. Die Mitarbeiter/innen der Dienste beraten bei finanziellen Schwie­ rigkeiten oder sind bei der Gestaltung des eventuell völlig neu zu strukturierenden All­ tags behilflich. Auch die Vermittlung zwi­ schen erkrankten Menschen und der Fami­ lie oder z.B. dem früheren Arbeitgeber kön­ nen Thema sein, ebenso ganz persönliche Problemstellungen. In den untersd1iedlichen Standorten der Tagesstätte für psychisch erkrankte Men­ sd1en treffen sid1 Betroffene, die nid1t mehr arbeiten können, um gemeinsam etwas zu unternehmen, den Alltag zu gestalten, All­ tagstechniken neu einzuüben (einkaufen, kochen, Behördengänge …. ) oder um einfach der Einsamkeit den Kontakt mit anderen Betroffenen entgegenzusetzen. Manche kommen jeden Tag, manche nur zu bestimmten Zeiten, Be chäftigungsange- 32 boten und Programmen oder wenn ihnen – ohne Arbeit und oft auch ohne Familien­ kontakt – zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Den Beruf weiter auszuüben, die Arbeit zu erhalten oder nach langer Krankheit wieder in eine Arbeitstätigkeit einzusteigen, ist mei t sehr schwer. V iele Betroffene erhalten sd1on in jungen Jahren Rente, weil sie den schnel­ len und komplexen, oft hochtechnisierten Arbeitsabläufen, aber auch der Forderung nach höch ter Effizienz und Effektivität der modernen Arbeitswelt nicht mehr gewach­ sen sind. Nischen, in denen die früheren Fähigkei­ ten nad1 den Möglichkeiten der Betroffenen eingesetzt werden können, sind in den meis­ ten Betrieben kaum noch vorhanden. Der Verlust der Arbeit, der selbständigen Existenz id1erung und der damit verbunde­ nen Sinnfindung und Tagesstruktur ist oft das größte und am wenigsten beeinflussba­ re Problem psychisch erkrankter Menschen. Auch die Arbeit in der Werkstatt für psy­ chisch Erkrankte oder in der Tagesstätte kön­ nen über den empfundenen Verlust der Selbständigkeit und des „etwas wert Seins“ in der Gesellschaft häufig nicht hinwegtrös­ ten. Und dennoch sind die Lebenshilfe und auch der Fischerhof als Träger von Werkstät­ ten für psyd1isch erkrankte Menschen sehr bemüht, adäquate Arbeit und Besd1äftigung anzubieten. Jeden kann es treffen – oder jeden unserer Angehörigen. Aufklärung über psychische Krankheiten, ihre Entstehung, die Sympto­ me und die eventuell bestehende Fremd­ oder Selbstgefahrdung ist wichtig, um Vor­ urteile abzubauen und Toleranz und Ver­ ständnis sowie Hilfsbereitschaft zu wecken. Neben den Wohlfahrtsverbänden und be­ stehenden Fachdiensten verfolgen dieses Ziel auch die Selbsthilfegruppen psychiatrie­ erfahrener Mensd1en und Angehöriger, aber auch die Kommunen und nicht zuletzt der Sd1warzwald-Baar-Kreis. Ulrike Gfrörer

25 Jahre Schule für Körperbehinderte Die Geschichte einer äußeren und inneren Schulentwicklung Kreisge chehen Am 1. September 1976 begann der Unter­ richt für 17 Schülerinnen und Schüler aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis an der neuge­ gründeten Schule für Körperbehinderte. Im Sommer 1975 hatte die Kreisverwaltung be­ schlossen, Mittel für den Umbau von Räum­ lichkeiten in der kreiseigenen Berufsschule in St. Georgen /Bahnhofsstr. 27 zur Verfü­ gung zu stellen um somit diese neue Schul­ art zu realisieren. Es war ein besonderes An­ liegen des damaligen Landrates, Herrn Dr. Gutknecht, durch die Gründung einer Schu­ le für Körperbehinderte das Sonderschulan­ gebot im Kreis zu vervollständigen. Der 1. September 1976 stellte den Beginn einer Schulentwicklung dar, der bis heute ge­ prägt ist durch zunehmende Schülerzahlen und dadurch bedingte bauliche Erweiterun­ gen. Schon im Herbst 1977 wurden im Ge­ bäude an der Bahnhofsstraße weitere Um­ baumaßnahmen nötig, unter anderem auch der Einbau eines Aufzuges und eines Spei­ sesaales. Im Jahre 1981 waren die Räumlich­ keiten für mittlerweile 43 Schülerinnen und Schüler zu klein, so dass über Erweiterungs­ möglichkeiten nachgedacht werden musste. Ein Ausweichquartier wurde in St. Georgen im leerstehenden Kindergarten am Rup­ pertsberg gefunden und die größere Schüler­ zahl von 51 im Schuljahr 81/82 wurde nun in den zwei Gebäuden unterrichtet. Schon seit längerer Zeit wurde deutlich, dass der Gesamtbedarf an Schulplätzen in der Gesamtregion, also auch in den Kreisen Rott­ weil und Tuttlingen, deut­ lich anstieg und somit ei­ ne dauerhafte Raumlö- Die Schule für Körperbehin­ derte in Villingen-SdJWennin­ gen .feierte ihr 25jähriges Beste­ hen. sung gefunden werden musste. Es folgten über einen längeren Zeitraum hinweg kont­ roverse Diskussionen in den verschiedenen Kreistagsgremien über den Standort, die Größe der Schule und den Baubeginn. In Zeiten schwieriger Wirtschaftslage und lee­ rer Kassen wurden erbitterte Diskussionen geführt, die aber letztendlich in der glückli­ chen Einigung der beiden Kreise Rottweil und Schwarzwald-Baar endete, die Schule an ihrem jetzigen Standort am Hoptbühl in Villingen für zunächst 65 Schülerinnen und Schüler zu erbauen. Trotz angespannter Fi­ nanzlage wurde beim Bau darauf geachtet, eine optimale und pädagogisch fördernde Lernumgebung für die körperbehinderten Schülerinnen und Schüler zu schaffen, um damit auch aufgrund der räumlichen Bedin­ gungen selbstständiges Handeln zu unter­ stützen und zu fördern. Der Neubau kann bezogen werden Zum Schuljahr 1985/86 war es dann end­ lich soweit: der Schulneubau konnte bezo­ gen werden; die offizielle Einweihung wur­ de am 27. September 1985 gefeiert. Ein Er­ weiterungsbau wurde am 4. März 1993 offi­ ziell eingeweiht. Hier fungierte neben den Kreisen Schwarzwald-Baar und Rottweil nun auch der Kreis Tuttlingen als Bauträger. Herzstück dieser Erweiterung waren das lan­ gersehnte Therapiebad und die Turnhalle. 33

25 Jahre Schule für Körperbel1inderte Diese Räume erlaubten nun besondere Mög­ lichkeiten im Bereich der Bewegungsförde­ rung und machten es ab jetzt möglich, dass aud1 schwerstmehrfachbehinderte Schüler­ innen und Schüler regelmäßig das Element Wasser erleben durften. Erweiterung beendet drangvolle Enge Der dritte Bauabschnitt schließlich wurde im Oktober 1997 offiziell eingeweiht. Eine Erweiterung um acht Klassenzimmer und wei­ tere Therapie-und Differenzierungsräume wurde aufgrund der drangvollen Enge not­ wendig. Eine Auslagerung von drei Klassen im Schuljahr 1995/96 in die Hans-Kraut­ Gewerbesdmle war sogar notwendig gewor­ den. Auch bei dieser Erweiterung wurden pädagogisd1e Notwendigkeiten in besonde­ rer Weise berücksichtigt und z.B. in der Rea­ lisierung eines besonderen Förderraumes für schwerstmehrfachbehinderte Schüler/innen einer sid1 verändernden Schülerschaft Rech­ nung getragen. Die Schule war immer in 34 Zum 25jährigen Bestehen der Sd,ule fiir Körperbe­ hinderte besud1ten Ministerpräsident Erwin Tezefel und Landrat Karl Heim die Einrichtung. vielfältiger Weise in die Planungen mit ein­ bezogen und konnte die Bedürfnisse der ihr anvertrauten Kinder artikulieren. In all den Jahren der baulichen Entwick­ lung hat sich Sonderschulrektor i. R. Robert Faller in besonderer Weise für den Raumbe­ darf stark gemad1t, viele Verhandlungen ge­ führt und sich für die Realisierung der Bau­ projekte stark gemacht. Die Schülerschaft ist im Schuljahr 2001/02 auf 127 Kinder und jugendliche angewach­ sen. Das Einzugsgebiet der Schule umfasst die Kreise Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tuttlingen. Eine Hand voll Schüler kommt aus angrenzenden Ortschaften des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald. Die Schule un­ terrichtet in den Bildungsgängen Grund­ und Hauptschule, Förderschule und Schule für Geistigbehinderte. Sie ist als Ganztags­ schule konzipiert und stellt für die Schüle-

rinnen und Schüler einen bedeutsamen Le­ bensraum dar. Die sehr unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler machen das Schulleben lebendig und spannend, erfor­ dern aber auch äußerst komplexe Fähigkei­ ten, sonderpädagogisches Wissen und ho­ hes Engagement von allen Mitarbeiter/in­ nen. Man erfüllt als Schule für Körperbehin­ derte im Rahmen des gesamten Bildungswe­ sens einen besonderen Auftrag: Es werden Kinder und Jugendliche unterrichtet und ge­ fördert, die mit angeborenen oder später er­ littenen Bewegungsbeeinträchtigungen oder anderen organischen Schädigungen ihr Le­ ben und Lernen gestalten müssen. Die kör­ perlichen Einschränkungen wirken sich er­ schwerend auf die gesamte schulische Ent­ wicklung aus. Hieraus ergibt sich eine beson­ dere, individuelle Förderbedürftigkeit. Neben den vielfältigen baulichen Entwick­ lungen in den 25 Jahren des Bestehens der Schule standen immer wieder Neuorientie­ rungen im sonderpädagogischen Bereich an. Die Aufgaben der Schule haben sich erwei­ tert, die Entwicklungen im Bereich der „Neu­ en Medien“ haben neue Möglichkeiten für nichtsprechende wie auch für motorisch be­ einträchtigte Schülerinnen und Schüler er­ öffnet. Neben der Frühberatung als einem Kreisgescheben Teilbereich ist in den letzten Jahren auch der Sonderpädagogische Dienst in immer stär­ kerem Maße gefordert. Es geht hier darum, Lehrerinnen und Lehrer an Regelschulen zu beraten und zu unterstützen, die in ihrer Klasse ein Kind mit einer Körperbehinde­ rung unterrichten. Wichtige Bereiche der Arbeit ist auch die Kooperation mit nachschulischen Einrich­ tungen, dem Arbeitsamt, Werkstätten für Behinderte und Wohneinrichtungen in der Region, Kindergärten und anderen Frühför­ dereinrichtungen. Der Bereich der Beratung erfordert Fähigkeiten und Kompetenzen von allen Beteiligten. Ziel ist es, die Gesamt­ persönlichkeit der Schülerinnen und Schü­ ler zu fördern und zu stärken. Dazu müssen die Beiträge der verschiedenen Fachkräfte in ein ganzheitliches Unterrichts- und Förder­ konzept integriert werden. Dies erfordert ei­ ne enge Zusammenarbeit und Absprache im Team. Der Bereich der Bewegungsförderung soll als durchgängiges Prinzip im Unterricht umgesetzt werden. Trotz all der Entwicklun­ gen im baulichen und sonderpädagogischen Bereich hat ein Satz nie seine Gültigkeit ver­ loren: ,,Hilf mir, es selbst zu tun“. Marianne Winkl.er Der Kulturpass 2002 des Schwarzwald-Haar-Kreises Seit 1998 gibt es den Kulturpass des Schwarzwald-Baar-Kreises. Er ist eine Ini­ tiative des Landkreises mit dem Ziel, die kulturellen Aktivitäten der Einwohner des Landkreises zu unterstützen. Mit dem Kulturpass erhält der Käufer er­ mäßigten Zutritt zu verschiedenen Ein­ richtungen im Kreis. Zu diesen Einrich­ tungen zählen Museen, die Museumsbahn sowie das Solemar. Um die Attraktivität des Kulturpasses zu erhöhen, wurde für die Ausgabe 2002 ein neues Konzept erar­ beitet. Der Kulturpass wird nun in Form ei­ nes „Scheckheftes“ erscheinen. Und das funktioniert so: Der Kunde bezahlt für das Kulturpass-Scheckheft rund 5 €. Er hat dann die Möglichkeit, die in diesem Scheckheft aufgeführten Einrichtungen zu einem bis zu 50 0/o ermäßigten Eintritts­ preis zu besuchen. Das Kulturpass-Scheckheft ist vom 1. Ja­ nuar 2002 bis 31.Dezember 2002 für eine Person gültig. Es ist übertragbar. Den Kul­ turpass 2002 gibt es ab dem 1. Januar 2002 bei allen Bürgermeisterämtern im Land­ kreis, beim Schulverwaltungs- und Kultur­ amt des Landratsamtes sowie bei den im Kulturpass aufgeführten Einrichtungen. 35

Kreisgeschehen Ringzugsystem: Umsetzungsphase eingeleitet Wesentliche Strukturverbesserung durch Gesamtinvestitionen von 80 Mio. DM Beim Ringzug handelt es sich um ein kreis­ übergreifendes Nahverkehrsprojekt der drei Landkreise Rottweil, Tuttlingen und Schwarz­ wald-Baar in der Region Schwarzwald-Baar­ Heuberg. Der Name Ringzug erweckt den Anschein, als handele es sid1 um ein reines Schienenprojekt. Tatsächlich stellt das Ring­ zugsystem aber ein integriertes Bus-Sd1iene­ Konzept dar. Die Buslinien aller drei Land­ kreise werden auf die unmittelbar an der Ringzugstrecke liegenden Städte und Ge­ meinden ausgerichtet und über den Ringzug miteinander verknüpft. Daneben vermittelt das Ringzugsystem weiterführende Verbin­ dungen ins DB-Netz. Das Ringzugsystem umfasst im Bereich der Schiene ca. 150 Stre­ ckenkilometer, auf weld1em insgesamt 52 Haltepunkte reaktiviert oder neu eingerich­ tet werden sollen. Die jährlich vorgesehene Verkehrsleistung beträgt etwa 1,26 Mio. Zugkilometer. Mit Gesamtinvestitionen von rund 80 Mio. DM stellt dieses Nahverkehrsprojekt für unsere Raumschaft eine wesentliche Strukturverbesserung dar. Ein Großteil der Investitionen wie beispielsweise die Kosten für die Fahrweginfrastruktur (z.B. Gleisbau­ maßnahmen, Weid1en, Signale, Kabelschäd1- te, elektronische Stellwerke) können über Fördermittel des Bundes bzw. des Landes vollständig abgedeckt werden. Dagegen sind die lnvestivkosten für Haltestellen sowie die Betriebskosten einschließlich der Finanzie­ rung der Fahrzeuge zuzüglich der Trassen­ und Stationsgebühren von den Landkreisen unter Beteiligung des Landes zu tragen. Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) befindet sich in der Aufgabenträgerschaft des Landes, während die Stadt- und Land­ kreise Aufgabenträger für alle Busverkehre sind. Beim Ringzugprojekt engagiert sich der Schwarzwald-Baar-Kreis zur Verbesse­ rung des Schienenpersonennahverkehrs über die Aufgabenstellung hinaus freiwillig im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs. Unter Berücksichtigung dieses Umstands beteiligen sid1 die direkten Anliegergemein­ den am Ringzug mit 40 0/o an dem für den Schwarzwald-Baar-Kreis entstehenden Defi­ zit im Schienenverkehr. Der erste wichtige Meilenstein in der langjährigen Entste­ hungsgeschichte des Ringzugs stellte die feierliche Unterzeich­ nung der Trossinger Vereinbarung am 25. Januar 1996 dar. Am Das Ringzugsystem ist ein integriertes Bus­ Schienen-System, das es im ganzen Landkreis er­ möglicht, mit nur einer Fahrkarte unte,wegs zu sem. 36

26. März 2001 gab der Kreistag des Schwarz­ wald-Baar-Kreises grünes Licht für die Um­ setzung des Ringzugs in der Region Schwarz­ wald- Baar-Heuberg. Aufgrund der damit vorliegenden Beschlüsse aller drei Kreistage konnte am 26. April 2001 der Finanzierungs­ vertrag zwischen dem Land Baden-Würt­ temberg und den Landkreisen von Verkehrs­ minister Ulrich Müller und den Landräten der Region unterzeichnet werden. Mit die­ sen Unterschriften wurde die langjährige Planungsphase für den Ringzug abgeschlos­ sen und es konnte mit der Umsetzungspha­ se begonnen werden. Der Ringzug soll nach gegenwärtigem Pla­ nungsstand zum Fahrplanwechsel am 15. De­ zember 2002 in Betrieb genommen werden. Um diesen äußerst engen Zeitplan über­ haupt einhalten zu können, muss die weite­ re Planung zur Umsetzung des Ringzugsys­ tems im Schienenbereich zentral koordi­ niert werden. Hierzu haben die drei beteilig­ ten Landkreise vereinbart, einen „Zweckver­ band Ringzug“ zu gründen. Auch die drei nicht der Deutschen Bahn-AG gehörenden Schienenstrecken von Hintschingen nach Blumberg, von Hüfingen nach Bräunlingen und die Trossinger Eisenbahn müssen bau­ lich in einen Zustand versetzt werden, der nach teilweise über 30jähriger Betriebspau­ se einen sicheren Betrieb des Ringzugs ent­ sprechend dem Fahrplanentwurf erlaubt. Integriertes Verkehrssystem Bis zum Start des Ringzugs sind von den Nahverkehrsämtern der Landkreise alle Bus­ linien im Bereich des Ringzugs auf dessen Fahrplan auszurichten, um durch funktio­ nierende Umsteigebeziehungen Transport­ ketten im Sinne eines integrierten Verkehrs­ systems zu schaffen. Es müssen nunmehr in enger Abstimmung mit den Anliegergemein­ den die umfangreichen Feinplanungen für die Busverkehre im Ringzugbereich erfol­ gen. Der Ringzug als integriertes Verkehrssys­ tem macht nur dann Sinn, wenn neben der Abstimmung der Fahrzeiten von Bus und Ringzugsy tem Schiene auch im Tarifbereich mit einem Fahr­ schein innerhalb der Region gefahren wer­ den kann. Deshalb haben die drei Landkrei­ se mit dem Land die Bildung einer Koope­ ration im Tarifbereich vereinbart. Vorausset­ zung hierfür sind bestehende Tarifverbünde in allen drei Landkreisen der Region. Wäh­ rend im Bereich des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses bereits seit 1. September 2000 ein Tarif­ verbund aller 16 Verkehrsträger besteht, sind in den Nachbarlandkreisen Rottweil und Tuttlingen derzeit noch keine Tarifverbünde vorhanden. Diese werden voraussichtlich im Laufe des Jahres 2002 gegründet werden. Die drei Verbünde werden durch die Koope­ ration sicherstellen, dass von jeder Halte­ stelle zu jeder anderen Haltestelle in der Re­ gion Schwarzwald-Baar-Heuberg alle öffent­ lichen Verkehrsmittel (Zug und Bus) mit nur einer Fahrkarte benutzt werden können. Die Gründung des Tarifverbunds Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat sich stets für tarifliche Verbesserungen im Interesse der Fahrgäste eingesetzt. So wurden die bis zur Gründung des Tarifverbunds bestehenden kleinflächigen Kooperationen wie die Ver­ kehrsgemeinschaft Bregtal, die Verkehrsge­ meinschaft Villingen-Schwenningen oder das Bedienungskonzept im Hintervillinger Raum vom Landkreis initiiert, unterstützt und ge­ fördert. Insbesondere die Einführung des Bedienungskonzepts im Hintervillinger Raum 1997 stellte bereits eine Art Verkehrs­ verbund im Kleinen dar. Die Umsetzung die­ ses Konzepts bewirkte, dass aufgrund der ge­ genseitigen Anerkennung der gesamte Be­ reich des Hintervillinger Raums mit nur ei­ nem Fahrschein befahren werden konnte. Die Entwicklung eines kreisweit geltenden Tarifverbunds war ein vorrangiges Ziel des im Jahre 1999 beschlossenen Nahverkehrs­ plans für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist die Unter­ nehmensvielfalt mit 16 Verkehrsunterneh­ men besonders stark ausgeprägt. Die Ein­ führung des Tarifverbunds war insofern 37

Kreisgeschehen dringend geboten, als in kaum einem ande­ ren Landkreis in Baden-Württemberg so vie­ le unterschiedliche Konzes ionäre mit je­ weil unter chiedlichen Tarifen im ÖPNV ihre Leistungen anbieten. Diese Unterneh­ men vielfalt kooperiert jetzt im tariflichen Bereich im Rahmen des Verkehrsverbunds Schwarzwald-Baar (VSB) zum Vorteil des Kunden miteinander. Bis es zur Einführung des Tarifverbunds kam, mus ten einige Hürden genommen wer­ den. Der Vertragsunterzeichnung sind inten­ sive und teilweise auch ehr schwierige Verhandlungen vo­ rausgegangen. Trotz einiger er­ schwerender Faktoren, wie die Berücksichtigung anstehender Strukturveränderungen beispiel – weise in Stadtverkehren ist es dennoch in kooperativer Zusam­ menarbeit gelungen, in relativ kurzer Zeit eine ausgewogene und abgestimmte Tarifstruktur und innvolle Zoneneinteilung zu erarbeiten sowie sich auf ei­ nen Kooperationsvertrag zu einigen, der die beiderseitigen Interessen au gleicht und dem gemeinsamen Interesse der teigerung der Attraktivität des ÖPNV Rechnung trägt. Die Vereinheitlichung der Tarife führt da­ zu, das kreisweit eine durchschnittliche Senkung der Tarife über alle Fahrsd1einar­ ten hinweg um sage und schreibe 19 0/o zu verzeidrnen i t. Das ist fast ein Fünftel güns­ tiger als früher, so dass neben der Tat ache, dass nur nod1 ein Fahrschein nötig ist, auch noch ein erheblicher finanzieller Anreiz die Attraktivität unseres Nahverkehr steigert. In Zeiten der Öko teuer ist die ein be on­ deres Zugpferd. Ein wesentlicher Vorteil de Tarifverbunds besteht in der flächenhaften Gültigkeit der Zeitkarten. Dadurch sind wesentlich mehr Nutzungsmöglichkeiten der Fahrkarte als bisher verbunden. Berufstätige und chüler haben damit die Möglichkeit, mit ihrer Mo­ nat karte nid1t nur den Weg zur Arbeit oder Schule kostengünstig zurückzulegen, son- 38 dem auch im Rahmen der Freizeitgestaltung den ÖPNV des Landkreise aktiv zu nutzen. Die finanziell in den Verbund gesetzten Erwartungen scheinen nad1 derzeitigem Er­ kenntnisstand aufzugehen. Es zeidrnet sich ein deutlicher Trend zu mehr Zeitkarten (Wochenkarten, Monatskarten, Jahreskar­ ten) ab. Dies trifft sowohl auf den Schüler­ als auch auf den Berufsverkehrsbereid1 zu. Während zum Beispiel vor dem Verbund- tart etwa 785 Berufstätige im Krei gebiet im Be itz einer Umweltjahreskarte waren, o konnte diese Zahl inner­ halb des ersten halben Jahres um 68 0/o auf etwa 1320 Dauerkunden gesteigert wer­ den. Die Gesamtzahl der Beför­ derungsfalle bei den Zeitkar­ ten für Erwachsene ist im Vergleich zum Jahr 1998 um ca. 23 0/o gestiegen. Erstmals waren im Schwarzwald-Baar­ Kreis in den ersten vier Mo­ naten de Jahres 2001 mehr Fahrgäste mit Zeitkarten als mit Einzelfahr­ scheinen unterwegs. Im Ausbildungsverkehr ist die Zahl der verkauften Schülermonats­ karten um etwa 16 0/o gestiegen. Bei den Ein­ zelfahrscheinen sind deutliche Rückgänge (minus 25 %) zu verzeichnen, die im we­ sentlichen aus der durch die Tarifge taltung gewollten Verlagerung zum Zeitkartenbe­ reich re ultieren. Die Vereinheitlichung der Tarife führt dazu, dass kreisweit eine durchschnittliche Sen- kung der Tarife über alle Fahrscheinarten hinweg um sage und schreibe 190/o zu ver- zeichnen ist. Das ist fast ein Fünftel günsti­ ger als früher. Ein komplexes Unterfangen Das Tarifsy tem über alle Verkehrsunter­ nehmen, Fahrscheinarten und Verkehrsrela­ tionen hinweg zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, stellte sich gerade im Hinblick auf die Unternehmensvielfalt im Schwarz­ wald-Baar-Kreis als eine sehr komplexe Auf­ gabe dar. Das Sprichwort „allen Leuten Recht getan i t eine Kunst, die niemand kann“ ist bei allen Vorteilen, die der Tarifver­ bund bietet, auch hier zutreffend. Denn für einige Fa11rgäste waren durch die Vereinheit-

Ringzugsystem 1-1 Ringzug =-=-=-=-= Integraler Taktverkehr-Achse Dß — Integraler Taktverkehr-Achse Bus — Ergänzendes Busnetz Verknüpfungsstelle Bus/ Zug lichung der Fahrpreise auch negative Aus­ wirkungen hinzunehmen. So mussten im Interesse eines einfachen Tarifsystems einige bislang bestehende Angebote, wie beispiels­ weise die lOer-Karte im Stadtverkehr Villin­ gen-Schwenningen oder die Anerkennung der BahnCard in Regionalbuslinien wegfal­ len. Auch den Gruppentarif eingeführt Im Frühjahr 2001 wurde ein weiterer gro­ ßer Mangel im VSB-Tarif erkennbar. Orga­ nisatoren von Gruppenreisen (Wandergrup­ pen, Schulklassen usw.) kritisierten, dass für Reisegruppen im VSB-Tarifkeine Sonderre­ gelung vorgesehen war. Vor Verbundstart konnten bei der Deutschen Bahn AG und der SüdbadenBus GmbH (SBG) Gruppen ab zehn Personen mit rund 50 0/o Ermäßi­ gung auf den Einzelfahrpreis fahren. Nach dem VSB-Tarif musste für jedes Gruppen­ mitglied der volle Einzelfahrpreis bezahlt werden. Um die durch das Ausweichen auf Privatverkehre entstehenden Einnahmeaus­ fälle möglichst gering zu halten, wurde auf Drängen des Landratsamts im Verbund kurzfristig ein Gruppentarif ab 1. Juni 2001 eingeführt. Der neue Gruppentarif gilt ab zehn Personen und bietet 50 0/o Ermäßigung gegenüber dem Einzelfahrschein. Damit die notwendigen Kapazitäten angeboten wer­ den können, sind die Gruppenfahrten drei Tage vor Antritt bei der VSB-Geschäftsstel­ le anzumelden. Da in einigen Gemeinden der Tourismus die wesentliche wirtschaftliche Grundlage bildet, überlegt der Landkreis, die kreisweit 39

Kre‘ gc chehen f Am Bahnho in Villingen- clnoenningen: das Oberzentrum ist mit Einführung des Ringzugsßir alle Bürgerinnen und Bürger des Landkreises mit nur einer Fahrkarte erreichbar. bahn zum Stillstand zu bringen. Ziel der 1998 gegründeten Interes­ sengemein d1aft Schwarzwaldbahn ist es, gemeinsam mit dem Land konstruktive Konzepte zur Er- chließung von neuem Fahrgast­ potenzial zu entwickeln und die Leistungser tellung wirtschaftli­ cher zu gestalten. Primäres Ziel ist es, den Fernver­ kehr der Bahn AG in Offenburg gut erreichen zu können. Darüber­ hinaus sollen umsteigefreie Ver­ bindungen für Urlaub reisende aus Norddeutschland, dem Ruhr­ gebiet und den neuen Bundeslän­ dern in unsere touristi d1 sehr be- deutsame Region angeboten wer­ den. Eine be sere Anbindung an Straßburg und damit über die beschlo ene neue TGV­ Schnellverkebrsstrecke nach Paris sowie an den Flughafen Straßburg-Entzbeim sowie eventuell eine Verlängerung der Schwarz­ waldbahn in Richtung Ostschweiz sind wei­ tere Überlegungen zur Erschließung neuer Fahrgäste. Als eine erste konkrete Maßnahme zur besseren Auslastung der Schwarzwaldbahn mit Fahrgästen hat der Landkrei zusammen mit der SüdbadenBus GmbH ( BG) zum Sommerfahrplan 2000 im Bereich zwischen Triberg und St. Georgen ein geändertes neu­ es Bedienungskonzept im Busverkehr um­ gesetzt. Die durch die DB AG vorgenommenen Kürzungen im InterRegio-Verkehr wurden durch Ersatzleistungen im Ergebnis teilwei­ se ent cl1ärft, nachdem die DB AG zum Fahrplanwechsel am 10. Juni 2001 auf der Schwarzwaldbahn fünf von sieben InterRe­ gio-Zugpaaren durd1 Nahverkehrszüge er­ setzt hat. In den nächsten anderthalb Jahren muss aber gemeinsam mit dem Land nach substantiell be seren Lö ungen gesucht wer­ den. Dabei werden wir darauf bestehen, dass die Anlieger der d1warzwaldbahn beteiligt werden. Die Anlieger werden die Zeit nut­ zen, neue Planungsansätze zu entwickeln, gültige Wochenkarte zum Preis von 35 DM an Touristen und Feriengäste gegen Vorlage der Kurkarte vergünstigt abzugeben. Ge­ prüft wird auch die Einführung einer Tages­ karte zum Pausd1alpreis, die auch eine Fa­ milienkomponente beinhalten sollte. Zu den Nachbarverbünden sollen Übergang re­ gelungen geschaffen werden, um im Nahbe­ reich der Verbundgrenzen tariflid1e Härten zu vermeiden. Erste Erhebungen über Fahrgastzahlen als Grundlage für die Verhandlungen werden derzeit von den Verbünden vorgenommen, so dass im Herbst 2001 die Gespräche mit den Nachbarverbünden mit dem Ziel einer baldigen Umsetzung geführt werden kön­ nen. Der neue Tarifverbund bringt daher für unsere Bürgerinnen und Bürger eine weitaus erhöhte Mobilität zu einheitlichen, über­ sid1tlichen und vor allem wesentlich preis­ werteren Tarifen. Erhalt der Schwarzwaldbahn Ein weiterer Bereich des Nahverkehrs, in dem sich die Verwaltung engagiert, ist die Stärkung bzw. Erhaltung der Schwarzwald­ bahn. Es wurden Initiativen entwickelt, um die Fahrplankürzungen auf der Schwarzwald- 40

die sich mit dem Land umsetzen lassen und zu einer Attraktivitätssteigerung führen. Neben einem guten Angebot ist die Fahr­ gastinformation ein wesentliches Kriterium für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Der Schwarzwald-Baar-Kreis gibt gemein­ sam mit dem VSB jährlich einen Kreisfahr­ plan heraus, der über sämtliche Bus-und Schienenverbindungen des Landkreises ei­ nen Überblick gibt. Auch an dem landesein­ heitlichen Informationssystem EFA (Elekt­ ronische Fahrplanauskunft) beteiligt sich der Landkreis und liefert hierfür die entspre­ chenden Daten. Ringzugsystem/BSE-Krise Für die Verbesserung der Information wer­ den die ca. 1200 Haltestellen im Schwarz­ wald-Baar-Kreis derzeit mit einem kreisein­ heitlichen Fahrgastinformationssystem aus­ gestattet. Dieses bietet die Information über die Fahrpläne, das Liniennetz und den Ver­ bundtarif, so dass ein Fahrgast alle notwen­ digen Informationen auf einen Blick erhält. Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 410000 DM, nach Abzug der Landeszu­ schüsse verbleibt ein Kreisanteil von etwa 175000 DM. Gabriele Seefried Die BSE-Krise und ihre Folgen Beim bislang einzigen Fall im Landkreis handelte es sich um ein zugekauftes Tier Das Rechts-und Ordnungsdezernat be­ schäftigte sich im Jahr 2001 auch mit Fragen des Verbraucherschutzes intensiv. Zwei Ab­ kürzungen gelangten im Jahr 2001 zu einer traurigen Berühmtheit: BSE und MKS! Wir alle sind Verbraucher und wir alle wa­ ren verunsichert über die BSE-Krise und die Maul-und Klauenseuche. Die Entsorgung des spezifizierten Risikomaterials seit Okto­ ber 2000 und die Probennahme bei allen Schlachttieren ab einem Alter von 24 Mona­ ten sind geeignete Maßnahmen, um das Ri­ siko zu mininlieren, damit ein BSE-infizier­ tes Tier bzw. dessen Fleisch nicht in den menschlichen Verzehr gelangt. Und dann mußten wir feststellen, daß auch wir nicht von diesen Themen ver­ schont bleiben. Gerade als es in Sachen BSE wieder etwas ruhiger wurde, hatten wir in unserem Landkreis den ersten BSE-Fall. Selbstverständlich ist diese Nachricht im ers­ ten Moment eine Schreckensnachricht und wir waren erleichtert, daß es sich um ein zu­ gekauftes, nicht im Schwarzwald-Baar-Kreis geborenes einzelnes Tier handelte. Das The­ ma BSE darf sicher nicht verharmlost wer­ den. Aber eines müssen wir uns vor Augen Im Schwarzwald-Baar-Kreis werden jährlich rund 3 000 BSE-Tests durchgeführt, weiter intensiviert hat man die Kontrollen. Fazit: Fleisch war noch nie so si­ cher wie heute. 41

Kreisgeschehen Die BSE-Krise erschüllerte das Vertrauen der Verbraucher in Fleisch, das Vertrauen in die naturnahe Land­ wirtsd1afl im Kreisgebiet ist jedoch gestiegen: die Fleischprodukte der heimischen Erzeuger werden von den Verbrauchern im Sch1oarw1ald-Baar-Kreis bevorzugt erworben. Das Bild zeigt eine Jungviehweide im Furt­ wanger Teilort Rohrbach. haJten: Dies war der 59. BSE-Fall bundes­ weit. In Baden-Württemberg war es zum da­ maligen Zeitpunkt der fünfte BSE-Fall. In­ zwischen sind in Baden-Württemberg insge­ samt sieben erkrankte Rinder bei mehr als 200 000 untersuchten Rindern im Ländle festgestellt worden. Von diesen sieben posi­ tiv getesteten Rindern in Baden-Württem­ berg handelte es sich nur in einem Fall um ein Schlachtrind, die anderen sechs waren verendete oder notgeschlad1tete Tiere und waren damit erst gar nicht für die mensd1li­ che Ernährw1g bestimmt. In den Tierkörper­ beseitigungsanlagen sind bisher mehr als 15 000 Tiere untersucht worden. Im Zuge dieser Untersudmngen sind dort diese sed1s verendeten oder notgesd1lachteten Tiere BSE-positiv getestet worden. Die äußerst geringe Anzahl von BSE-posi­ tiven Rindern in der Schlachtkette beweist, daß die vielfältigen Kontrollmaßnahmen, die in Deutschland durchgeführt werden, 42 auch erfolgreich sind. Die Anzahl der er­ krankten Tiere in Deutsd1land steht in kei­ nem Verhältnis zu der Anzahl in anderen Ländern. 3 000 BSE-Tests jährlich Großbritannien hat 11,2 Mio. Rinder, Deutschland rund 14,5 Mio. Rinder, also über 3 Millionen mehr Rinder. Während Deutschland über die Jahre nicht mehr als 100 BSE-Fälle hatte, waren es in Großbri­ tannien weit mehr als 180 000 BSE-Fälle. Dies belegt eindeutig, daß die umfassenden gesetzlichen Kontrollmaßnahmen eine wei­ tere Verbreitung der BSE verhindert hat. In­ zwischen werden im Schwarzwald-Baar­ Kreis pro Jahr ca. 3 000 BSE-Tests durchge­ führt und zwar u. a. an den EG-Schlachthö­ fen, aber auch bei selbstsd1lad1tenden Metz­ gereien und Landwirten. Darüber hinaus wird inzwischen das soge-

nannte spezifizierte Risikomaterial geson­ dert entsorgt und nicht nur bei Schlachttie­ ren, sondern auch bei sogenannten gefalle­ nen Tieren generell Proben ent- nommen. Selbstverständlich gilt auch hier der Grundsatz: „Nichts ist so gut, daß es nicht noch besser werden könnte.“ Aber eines ist auch sicher: Fleisch war noch nie so sicher wie heute. Es ist dem Schwarzwald-Baar­ Kreis ein Anliegen, das Thema Verbraucherschutz ernst zu neh­ men. Eine umfassende Kon­ trolle des Fleisches und der Futtermittel garantiert sichere Schlachtmethoden sowie hygienische Grund­ standards in allen Bereichen. Ausgehend von der BSE-Thematik wurde auf Anregung des Landkreises der „Runde Tisch für Ver­ braucherschutz“ einberufen. Zusammenge­ treten waren Vertreter der Landwirte, der Fleischereifachbetriebe, der Kammern und der Behörden. Angesichts der Verunsiche­ rung vieler Verbraucher ist es von großer Be­ deutung, daß Erzeuger und Marktpartner über die �alität von Lebensmitteln infor­ mieren. Maul-und Klauenseuche Gerade heute ist es von enormer Bedeu­ tung, durch hohe �alität, eigene Herstel­ lung und regionale Vermarktung das Ver­ trauensverhältnis zu den Kunden zu festi­ gen. Zur Stärkung unserer Landwirte und der heimischen Produktion wurde beschlos­ sen, daß durch eine aufgeschlossene Infor­ mation der Verunsicherung der Verbraucher begegnet werden soll und auch erste Infor­ mationsveranstaltungen wie beispielsweise ein Schlachthoffest wurden geplant. Aller­ dings hat uns bei der Absicht, die Produkti­ on transparent zu machen, eine weitere Seu­ che die Planungen vereitelt. Angesichts der Gefahren durch die Maul- und Klauenseu- ehe konnte es nicht verantwortet werden, BSE-Krise daß gezielte Veranstaltungen auf Bauernhö­ fen stattfinden. Gerade heute ist es von enormer Bedeu· tung, durch hohe �a­ lität, eigene Herstel­ lung und regionale Vermarktung das Ver­ trauensverhältnis zu den Kunden zu festi- gen. Wormationen sollen die Verunsiche­ Der Landkreis mußte die Gefahren, die durch den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche verursacht werden können, ernst neh­ men. Als sich die Seuche in Eu­ ropa immer weiter ausbreitete, galt es, rechtzeitig darauf vor­ bereitet zu sein, damit auch unser Landkreis im Falle des Ausbruchs keine Zeit verliert. Deshalb wurde eine komplette Planung in Zusammenarbeit zwischen Veterinäramt und dem Sachgebiet Brand- und Katastrophenschutz erstellt. rung beseitigen. Die im Schwarzwald-Baar-Kreis vorgehal­ tenen Gerätschaften und Einsatzfahrzeuge für eine Dekontamination {Teileinheit des Gefahrgutzuges) wurden in einer Übung überprüft. Durch ergänzende Beschaffungen von Einsatzmaterialien wurde die Einsatzfähig­ keit weiter verbessert. Es wurden sämtliche Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Seuche MKS im Falle des Ausbrechens getroffen. Auch wenn die Pla­ nung und das Krisenmanagement sehr auf­ wendig waren, ist der Landkreis in diesem ei­ nen Falle froh, daß er sozusagen umsonst gearbeitet hat. Bei Themen wie MKS arbei­ tet die Verwaltung lieber einmal vergebens, wenn der Landkreis dafür von MKS ver­ schont bleibt. 80 Kampfhunde wurden geprüft Eine weitere zusätzliche Aufgabe für das Veterinäramt ist die Abnahme von Kampf­ hundeprüfungen. Seit Inkrafttreten der Re­ gelungen zur Prüfung von Kampfhunden wurden aus dem Landkreis 80 Hunde ge­ prüft. Bis auf sechs Tiere hat die große Mehrheit der Hunde die sehr aufwendige und anspruchsvolle Prüfung bestanden. Gabriele Seefried 43

Kreisg sd1ehen Digitale Alannierung der Feuerwehren Überrascht von den Ergebnissen der stationären Geschwindigkeitsüberwachung Nicht nur Theorie, ondern tatsächlich umgesetzt werden soll die Einführung einer Digitalen Alarmierung der Feuerwehren. Die Einsatzfähigkeit der freiwilligen Feuer­ wehren hängt ganz ent cheidend von der Alarmierung ab. Die bisherige analoge Alar­ mierung arbeitet auf der elben Frequenz wie der Sprechfunkverkehr. Diese doppelte Nut­ zung bringt bei größeren Ein ätze Probleme mit si h, da entweder nur gesprochen oder nur alarmiert werden kann. Eine sid,ere und flächendeckende Alar­ mierung der Feuerwehren über ein mobiles Funknetz ist nicht möglich. Die Betreiber können der öffentlid,en Hand keinen ga­ rantierten Versorgungsbereich und damit ei­ ne vorrangige Benutzung de mobilen Funk­ netzes garantieren. Ohne eine entsprechen­ de vorrangige Kanalzuwei ung, bei der bei Überla tung des Netzes bestehende Gesprä­ che zugunsten einer Alarmierung „abgewor­ fen“ werden, ist eine Alarmierungssicherheit nid,t gegeben. Bei der digitalen Alarmie­ rung wird für die Alarmierung eine vom Sprechfunkverkehr unabhängige Funkfre­ quenz verwendet. Deshalb wird der Ausbau de digitalen Alarmierungsnetzes landesweit vorangetrieben. Eine Verlegung der Alarmierung auf Funk­ kanäle ohne Sprechfunkverkehr erfordert je­ dod1 eine neue flächendeckende truktur von Funkalarmum etzern. Aud1 die vorhan­ dene Alarmeinrichtung in der Feuerwehr­ leit teile ist um ein digitales Alarmgebersys­ tem zu ergänzen und an die vorhandene Notrufabfrageeinrichtung anzupassen. Da­ neben ollen die im Kata trophenschutz mitwirkenden Hilfsorgani ationen in dieses digitale Alarmierungssystem eingebunden werden. Der Landkreis wird zunäd1St die Feuerwehrleitstelle techni eh ergänzen und ein lei tungsf:ihiges Einsatzleitsystem be- 44 schaffen. Das Ko tenvolumen für die Infra- truktur, die technische Ergänzung für die Feuerwehrleitstelle und das Einsatzleitsys­ tem beträgt 1 170 065 DM, nach Abzug von Lande zuschüssen verbleibt dem Landkreis eine Belastung von 759 957 DM. Während der Übergangszeit werden beide Alarmie­ rung systeme no h fünf Jahre lang parallel betrieben. Enormer Beratungsaufwand Auch im Bereich des taatsangehörigkeits­ wesens gab es einige Änderungen. Mit der ge­ setzlid,en Einführung der doppelten Staats­ angehörigkeit bis zum 18. Lebensjahr haben ich die Aufgaben der Verwaltung verändert. Alle Personen, die die doppelte Staatsange­ hörigkeit in Anspruch nehmen konnten, wurden über die Rechtsänderung umfas- end informiert und beraten. Mit der Voll­ jährigkeit müssen ich ausländische Mitbür­ ger für die deutsche oder die ausländische taatsangehörigkeit entscheiden. Zusätzli­ che Aufgaben waren in 2000 durch die Inte­ gration der hier geborenen ausländisd1en Kinder wahrzunehmen. Der besondere Ein­ bürgerungsanspruch für unter Zehnjährige mußte umge etzt werden. Durch die Rechtsänderungen im Einbür­ gerungsbereich stieg der Beratungsaufwand 2000 enorm an, verbunden mit Steigerun­ gen der Fallzahlen bei Ansprud,seinbürge­ rungen. Um denno h die Bearbeitungszei­ ten nicht zu verlängern, hat die Verwaltung durd1 eine Personalumschichtung die Staats­ angehörigkeitsbehörde ver tärkt. Mit der Aufteilung des Ausgleichsamtes auf das Ordnungsamt und das Sozialamt wurde das Sad,gebiet Eingliederung mit dem Sachge­ biet Staatsangehörigkeit zusammengeführt, wodurch weitere ynergieeffekte erreicht

werden konnten. Die Verwaltung hofft, daß damit den gestiegenen Anforderungen Rech­ nung getragen werden kann. Zahlreiche Bußgeldverfahren Überrascht war der Landkreis von den Ergebnissen der stationären Geschwindig­ keitsüberwachung. Aufgrund mehrerer An­ fragen von Kreisgemeinden hat die Verwal­ tung im Interesse der Verkehrssicherheit ein Geschwindigkeitsüberwachungskonzept er­ stellt. Überhöhte Geschwindigkeiten sind nach wie vor Unfallursache Nummer 1 und die Einrichtung stationärer Geschwindig­ keitsüberwachungsanlagen ist eine bewähr­ te Möglichkeit, der mangelnden Verkehrs­ disziplin mit diesen fatalen Folgen zu begeg­ nen. Es gibt im Kreisgebiet Streckenab­ schnitte, für die aufgrund ihrer hohen Ver­ kehrsfrequenz und der festgestellten hohen Beanstandungsquote an Geschwindigkeits­ überschreitungen eine dauerhafte Überwa­ chung mit einer stationären Meßanlage für erforderlich erachtet wird. Im Einvernehmen mit der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen wurden die Kriteri­ en für eine Einrichtung von sogenannten Starenkästen festgelegt. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Verkehrsmenge, das Gefährdungspotential, das heißt die in den vergangenen drei Jahren festgestellten Ge­ schwindigkeitsüberschreitungen, das Unfall­ aufkommen sowie zusätzliche Probemes­ sungen. Für die Ortsdurchfahrt Triberg-Nuß­ bach und für den Knotenpunkt B27/Schef­ felstraße bei Bad Dürrheim waren die Vor­ aussetzungen erfüllt und die Meßstellen wurden eingerichtet. Obwohl mit Hinweisschildern vor den Meßeinrichtungen regelrecht gewarnt wird, mußte die Verwaltung feststellen, daß be­ reits nach einem Vierteljahr soviel Bußgeld­ verfahren eingeleitet werden mußten, wie für das ganze Jahr 2001 angenommen wor­ den waren. Und dies, obwohl die Meßstelle aus Kapazitätsgründen in der Sachbearbei­ tung und wegen eines Brandanschlages Digitale Alarmierung der Feuerwehren nicht durchgängig mit einer Kamera be­ stückt war. Dies beweist um so mehr, daß es im Inte­ resse der Verkehrssicherheit dringend gebo­ ten war, die stationäre Geschwindigkeits­ überwachung einzuführen. Vor dem Hinter­ grund, daß im Schwarzwald-Baar-Kreis 30 0/o aller Verkehrsunfälle mit Personenschäden auf Geschwindigkeitsüberschreitungen zu­ rückzuführen sind, sieht die Verwaltung die Einrichtung von Meßstellen als präventive Maßnahme zur Steigerung der Verkehrssi­ cherheit und hofft auf deren nachhaltige Wirkung. Gabriele Seefried Der Stelzenläufer Ein Stelzenläufer möcht‘ ich sein, dann stünd‘ ich keck auf einem Bein aus Holz. Wie stolz blickt‘ ich in jedes Fenster rein. Wär länger als der längste Mann, bewundernd schaut‘ mich alles an: Wie stolz macht Holz, das einen so vergrößern kann. Verlör‘ ich mal das Gleichgewicht, so spräng‘ ich ab und heulte nicht, denn Stolz aus Holz hat ja kein sonderlich Gewicht! Hdmut Schlenker 45

Landesberufsschule für Hotel- und Gaststättengewerbe Internat in Villingen-Schwenningen wird erweitert und saniert te Investitionsvorhaben des Schwarzwald­ Baar-Kreises für die nächsten Jahre. Bevor die Sanierung der bereits bestehen­ den Gebäude in Angriff genommen wird, entsteht zunäd,st in einem ersten Bauab­ schnitt ein Erweiterung bau an der Zährin­ gerstraße. Damit erhält das Schulgelände in der Villinger Südstadt eine Arrondierung, die eine enorme städtebauliche Aufwertung de ganzen Areals bringt. Die drei älteren In­ ternatshäuser und die Sd,ulbauten werden dann zusammen mit dem neuen Internats­ gebäude ein geschlossenes Viereck bilden, das einen Innenhof umschließt. Mit der baulichen Verdid,tung entsteht zugleich ein Ensemble, das mehrere Architekturstile in spannender Weise zusammenfasst. Ältester und ard,itektoni eh sehr interessanter Teil der Anlage ist das südlich gelegene, 1909 im Jugendstil erbaute ehemalige Villinger Kran­ kenhaus an der Herdstraße. Mit seiner ele- Krei ge hehen Im Juli 2001 wurde unter Beisein von Landrat Karl Heim der ymbolische Spaten­ stich für die Erweiterung und Sanierung des Internats der Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Villingen begangen. Die unter der Schulträgerschaft des Landkreise stehende Einrichtung wird nun ent prechend eines Beschlusses des Kreistags so um- und ausgebaut, dass ie mo­ dernen Anforderungen genügt. Bisher wohnen die Schülerinnen und Schüler während ihre zirka zwei Monate dauernden Blockunterrichts in Drei- bis Sechsbettzimmern mit Stockbetten, die Toi­ letten und Duschen befinden sich in den Fluren. Nach Fertigstellung der Arbeiten werden chöne Zweitbettzimmer mit inte­ grierter Nasszelle die auswärtigen Internats­ bewohner erwarten. Mit einem Volumen von etwa 30 Millio­ nen Mark ist diese Baumaßnahme das größ- Erster ,Pf/lemtich zur Erweite­ nmg der Lf/11deshernfischufe fiir das Hotef-1111d Cf/Ststäl­ tengewerhe, an dem auch Landmt Karl Heim und die B1111destagsabgeord11ete Chris­ ta Lörcher (. PD) tei/rlf/hmen. 46

gant geschwungenen Auffahrt, der schönen restaurierten Kapelle und dem edlen Trep­ penhaus ist es ein Blickfang erster Güte. Westlich schließen sich die zwei 1970 und 1980 erbauten Internatsgebäude an, wäh­ rend die Schule sich nördlich gegenüber des alten Krankenhauses befindet. Ein neuer Haupteingang Der von dem Freiburger Architekturbüro Melder und Binkert entworfene Neubau im Osten ist als aufgeständertes Torhaus konzi­ piert. Durch diese Konstruktion wird ein neuer Haupteingang mit eindeutiger Zu­ gangssituation geschaffen. Über dem Ein­ gangsbereich entstehen großzügige Gemein­ schaftsräume, drei Wohnstockwerke bieten dann in 48 Zimmern 96 Schülern Platz. Oberhalb werden die Penthousewohnung des Internatsleiters und ein begrüntes Flach­ dach liegen. Die Stockwerke sind über Trep­ pen und einen Aufzug zu erreichen, für aus­ reichende Parkmöglichkeiten sorgt eine Landesberuf chulc Tiefgarage mit 40 Stellplätzen. Die großzü­ gige Verwendung von Naturmaterialien wird eine freundliche Stimmung erzeugen. Es dominieren Holz und Glas, ökologischen Aspekten wird breiter Raum eingeräumt, das Gebäude wird in Niedrigenergiebauwei­ se errichtet und an das vorhandene Block­ heizkraftwerk angeschlossen. Der abgeschlossene Innenhof wird ein all­ gemeiner Kommunikationsraum sein, der mit seiner gemütlichen Atmosphäre zum Verweilen einlädt. Geplant ist ein Granitbo­ den, eine Sitzterrasse vor dem modernen Speisesaal mit seinen sichtbaren Versor­ gungsleitungen, ferner Sitzgruppen und Grünanlagen. Aufgelockert wird das ganze durch ein 15 m langes Wasserbecken. Im Westen des Areals, an der Zeppelinstra­ ße, entsteht ein Parkdeck mit 64 Stellplät­ zen. Der 1. Bauabschnitt soll im März 2003 fertig sein. Anschließend erfolgt die Sanie­ rung der älteren Internatsgebäude. Helmut Rothermel Unterhölzer Wald – zwischen Donaueschingen und Wartenberg Pastell, 1997, von Herbert Böhm, Triberg. 47

Kreisgeschehen Altlandrat Dr. Gutknecht feierte 70. Geburtstag Über zwei Jahrzehnte lang die Entwicklung des Schwarzwald-Baar-Kreises an vor­ derster Stelle geprägt Die Entwicklung des Schwarzwald-Baar­ Kreises lag ihm mehr als zwei Jahrzehnte am Herzen. Wer sich für die Geschichte und die Entwicklung de Schwarzwald-Baar-Kreises intere siert, der kommt an Rainer Gut­ knecht nicht vorbei. Gutknecht, der am 1. Juni 2001 seinen 70. Geburtstag feierte, wirkte in der Gebietskörperschaft beinahe 23 Jahre lang bis zum 31. Mai 1996 als Land­ rat und drückte dem im Zuge der Kreisre­ form entstandenen neuen Kreis seinen per­ sönlichen Stempel auf. Gutknecht wurde in Stuttgart geboren, ver­ brachte seine Jugendjahre im schwäbischen Rottweil, studierte später Rechtswi en chaf­ ten in Tübingen, München und Heidelberg. Seine Promotion legte der damals 27jährige im Jahre 1958 an der Universität Tübingen ab. Zwei Jahre später ab olvierte er die zwei­ te juristische Staatsprüfung. Mit der Kommunalpolitik kam der Bürger­ meistersohn Rainer Gutknecht früh in Be­ rührung. ein Vater stand in Rottweil an der Spitze der ehemaligen Freien Reichsstadt. Nach seinem Staatsexamen war er zunächst für sech Jahre beim Deutschen Städtetag in Köln als Referent für Organisation, Verfas­ sung und Polizei tätig, wurde sd,ließlich im Dezember 1966 als Kreisdirektor in den Rheinisch-Bergischen Kreistag gewählt. 1973 erfolgte die Wahl zum Landrat Nachdem die beiden Landkreise Donaue­ schingen und Villingen im Zuge der Reform zum Schwarzwald-Baar-Kreis vereinigt wor­ den waren, gewann Gutknecht am 13. Juli 1973 die Wahl zum ersten Landrat. Dieses Amt trat er am 1. Oktober desselben Jahres an. Es folgten politisd, erfolgreiche Zeiten, die dem Schwaben die W iederwahl am 6. Ju­ li 1981 und am 4. Juli 1989 einbrachten. 48 Altlandral Dr. Rainer Gutknecht. Gutknechts Augenmerk lag in seiner aktiven Zeit als Landrat auch auf dem Ausbau des beruflichen Schulwesens. Auf sein Bestre­ ben hin verab d,iedete der Kreistag bereits 1975 ein Ausbauprogramm. In den Investi­ tionen in Höhe von 90 Millionen Mark sah Gutknecht nicht zuletzt einen Beitrag in die Zukunft des neu gegründeten Landkreises. Im Sonderschulbereich wurden unter seiner Regie 37 Millionen Mark investiert. Mit die­ sem Geld wurden die drnlen für Geistigbe­ hinderte in VS-Villingen und in Donaue­ schingen sowie die Schule für Körperbehin­ derte in VS-Villingen gebaut. Jedoch auch andere Bereiche des gesellschaftlichen Zu­ sammenlebens wurden durch die von Gut-

knecht an vorderster Stelle initiierte und mitgestaltete Landkreis-Politik berührt, sprich auf vielfältige Weise gefördert. Beratungsstellen eine Pionierleistung Kreispolitisch hat Dr. Rainer Gutknecht ei­ ne Vielzahl von erfolgreich umgesetzten Projekten vorzuweisen, die nachstehend nur stichwortartig und unvollständig aufgelistet sein können. Zirka 122 Millionen Mark flos­ sen in den Kreisstraßenbau, das Kreiskran­ kenhaus Donaueschingen entwickelte sich zu einer anerkannten Einrichtung. Andere Wege wurden auch in der Abfallwirtschaft beschritten: die Abfallentsorgung ging in die Regie des Landkreises über, ein Abfall­ wirtschaftsamt wurde geschaffen und die beiden Deponien in Hüfingen (1975) und Tuningen (1978) eröffnet. Auch die Familien und die Jugend lagen Gutknecht bereits in den Anfangsjahren am Herzen. Pionierleistung wird ihm bei der Schaffung der heutigen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche attestiert. Seine Vision eines Kreishauses wurde im Bau des noch immer beeindruckenden Land­ ratsamtsgebäudes am Hoptbühl in Villin­ gen am 8. November 1991 Wirklichkeit. Der durch seine Glasfronten filigran wirkende Bau hat nicht zuletzt durch die Verwendung des Baustoffes Holz einen besonderen Be­ zug zur Landschaft sowie deren Geschichte und ermöglicht seither auch den Mitarbei­ tern ein effektives Arbeiten der Ämter unter einem Dach. Im September 2001 wurde bei einem „Tag der offenen Tür“ das zehnjähri­ ge Bestehen des Kreishauses gefeiert und von Landrat Karl Heim, Nachfolger von Dr. Gutknecht, betont, wie sehr man dieses Ge­ bäude schätze. In der Freizeit den ,,Almanach“ betreut Als „Ruck-Zuck-Landrat“ wurde der Christ­ demokrat Gutknecht in seinen aktiven Amts­ jahren oft bezeichnet. Eine kaum erlahmen­ de Dynamik, gepaart mit Impulsivität präg- AMandrat Dr. Gutknecht ten die Arbeit eines Landrats, der sich gerne auf preußische Vorbilder berief, die ihm ge­ rade in der Jugendzeit im elterlichen Haus vermittelt worden waren. Genauigkeit und Disziplin verlangte er nicht nur von sich selbst. Vielleicht bedurfte es gerade dieser Eigenschaften eines Rainer Gutknechts, um das nicht gänzlich konfliktfreie Zusammen­ wachsen des Schwarzwald-Baar-Kreises nach 1973 voran zu treiben. Dieses ständige Bestreben nach Einheit spiegelt sich letztlich im Schaffen des Land­ rats als Chefredakteur des Heimatjahrbuchs „Almanach“ wider. Mittlerweile liegt dieses Buch als 26. Ausgabe vor, zwei Jahrzehnte lang hatte Dr. Gutknecht die arbeitsintensi­ ve redaktionelle Betreuung des Jahrbuches in seiner knapp bemessenen Freizeit gelei­ stet. Nach wie vor erfreut sich der „Alma­ nach“ als Spiegelbild des politischen, gesell­ schaftlichen und kulturellen Lebens im Land­ kreis großer Beliebtheit. Die Verdienste von Dr. Rainer Gutknecht, sein vorbildliches Engagement in vielen Be­ reichen, wurde durch die Verleihung des Bun­ desverdienstkreuzes Erster Klasse im Jahre 1996 gewürdigt. Dem in seinem Wesen nach bescheidenen Verwaltungsexperten und Kommunalpoliti­ ker aus Leidenschaft darf bescheinigt wer­ den, daß er seine beiden kreispolitischen Ziele erreichte: die Bewahrung der Stärke und Kompetenzen des in den 1970erJahren neugegründeten Landkreises Schwarzwald­ Baar sowie die Formung einer in der Bevöl­ kerung akzeptierten Gebietskörperschaft. Stefan Limberger-Andris (Das Wirken von Dr. Rainer Gutknecht wurde aus Anlaß der Verabschiedung aus dem Amt im ,,Almanach“ 19 97 besonders gewürdigt.) 49

Kr isg chch n Fünf Jahre Kreispartnerschaft mit Bacs-Kiskun Fabian Schmidt als Teilnehmer des Landkreises beim Künstlersymposium Seit nunmehr funfJahren besteht die offi­ durchgeführt. Auch Schul­ partnerschaften wurden in zielle Partnerschaft des Schwarzwald-Baar­ die em Zusammenhang be­ Kreises mit dem Komitat Bacs-Kiskun in reits gegründet und weitere Ungarn (entspricht unseren Landkreisen). werden noch folgen. Im Mai 1996 wurde die Partnerschaft mit der feierlichen Unterzeichnung der Partner­ Gut bewährt hat sid, auch die Präsentation des Komi­ schaftsurkunde im Landratsamt in Villin­ tats auf dem Stand des gen-Schwenningen besiegelt. Schwarzwald-Baar-Kreises auf der Südwest­ Das umfassende Ziel dieser partnerschaft­ messe. Zum wiederholten Male hat man für lichen Beziehung ist, durch Vertiefung der den Tourismus in Bacs-Kiskun geworben. Kontakte zwischen Bürgerinnen und Bür­ Am 16. November 1999 wurde der Freun­ gern sowie durch das tiefere gegenseitige deskreis Schwarzwald-Baar -Bacs-Kiskun/ Kennenlernen der beiden Kulturen und die Ungarn e.V. gegründet. Dies war ein weite­ Schaffung eines weitverzweigten Kontakt­ rer wichtiger Schritt zur Stärkung der Part­ systems zum Aufbau eines einheitlid,en, of­ nerschaft. Dieser Verein soll dazu beitragen, fenen und solidarischen Europas beizutra­ möglichst viele persönliche Kontakte zu gen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es eine knüpfen. Zusammenarbeit vor allem in den Berei­ d,en Bildung und Schule, Jugend, Kultur Internationales Kün dersymposium und Sport, aber auch bei Fremdenverkehr Einmal jährlich veranstaltet das Komitat und Wirtschaft. Sprachliche Barrieren kön­ Bacs-Kiskun eine „Internationale schöpferi­ nen weitgehend überbrückt werden, da im sd,e Werkstatt“ auf der Donauinsel Veranka. Komitat Bacs-Kiskun einige tausend Do­ Hierzu werden anerkannte Künstler aus den nauschwaben leben und Deutsch im Unter­ Partnerregionen des Komitats eingeladen, rid,t neben Englisch erste Fremdsprache ist. eine Woche auf der Insel zu verbringen und Die Partnerschaft mit dem Komitat Ba – dort zu arbeiten. Seit Beginn der Partner­ Ki kun ist fur den Schwarzwald-Baar-Krei schaft nehmen aud, Künstler aus dem Land­ ein wichtiges Anliegen. Die Kreisverwaltung kreis an diesem Projekt teil. Die Künstler ist daher bestrebt, Beziehungen auf mög­ werden auf der Insel untergebracht und ver­ lich t vielen verschiedenen Ebenen herzu­ köstigt. Sie haben während des Aufenthaltes stellen, um die Partnerschaft lebendig zu ge­ die Gelegenheit zum Austausd, und zur Ar­ stalten und zu vertiefen. beit. Eines der in die em Zeitraum geschaf­ So gibt es zwischenzeitlich vielfältige Kon­ fenen Kunstwerke verbleibt im Komitat. Die takte auf den Gebieten Kun t und Kultur, Kunstwerke eines jeden Jahres werden in ei­ Bildung und Schule, Jugendbegegnungen nem öffentlichen Gebäude in Kecskemet und Wirtschaft. ausgestellt und verbleiben dann dort in ver- Unter anderem finden regelmäßige Besu­ chiedenen öffentlichen Gebäuden. d,e von Schülergruppen in verschiedenen Fabian Sd,midt, als Teilnehmer aus dem Schulen im Schwarzwald-Baar-Kreis statt. Schwarzwald-Baar-Kreis, berichtet: ,,Als Kind, Hierbei werden diese Jugendbegegnungen erzählte Anna Marie Holm aus Dänemark, nicht nur in den allgemeinbildenden, son­ habe sie Aldous Huxleys Zukunftsroman dern auch in den beruflichen Schulen 50

„Schöne neue Welt“ gelesen, der ihr große Furcht bereitete. Doch habe sie Halt gefun­ den, an den Künstlern, die man, weil sie sich nicht anpassten, auf eine Insel verbannt habe. Zu diesen Künstlern, so entschied sie bereits damals, wolle auch sie gehören. Am 29. Mai des Jahres 2001 gegen Abend setzten zehn ausgewählte Künstler aus neun Nationen etwa 150 Kilometer südlich von Budapest über die Donau, um die unbe­ wohnte Insel Veranka zu ihrer Wohn-und Arbeitsstätte zu machen. Der Eindruck von der Schönheit der Insel wurde bekräftigt, in­ dem wir die mächtigen Graupappeln und waldgesäumten Wiesen kennen lernten. Zu den wilden Tieren, deren Reihe die Moski­ tos eröffnet hatten, kamen Füchse, Rehe, Hirsche, Schlangen und große Herden von Wildschweinen hinzu. Die Künstler und ihre Arbeiten waren äu­ ßerst unterschiedlich. Die 25jährige Kunst­ studentin Anna-Lisa Serino aus Bologna ar­ beitete geduldig an Illustrationen für Kin­ derbücher. Auch der französische Bildhauer Antoine Thomas hatte Geduld zu beweisen: Zunächst musste er einen Baumstamm fin­ den, ihn transportieren und aufstellen las­ sen. Danach benötigte er nach kurzer Arbeit eine neue Kettensäge, da die erste seiner Kunst nicht standzuhalten vermocht hatte. Als Ersatz gefunden war, fehlte der Diesel und schließlich ließ der Regen die Arbeit im Freien nicht zu. Auf diese Weise begann er seine eigentliche Arbeit erst am vorletzten Tag, vermochte sie jedoch noch zu vollen­ den und nahm das Warten mit Humor. Will Glanfield aus England nutzte die Zeit auf Veranka zum Experimentieren: nach jahrelanger Pause begann er wieder zu zeich­ nen und schuf statt sonst schwerer großer Arbeiten, einige, Wasser und Licht mitein­ beziehende Skulpturen aus Zweigen am Do­ nauufer. Traian Marza aus Rumänien war der produktivste Künstler unter uns. Inner­ halb von acht arbeitsreichen Tagen malte er über zwanzig Ölbilder. Der Portugiese Ap­ pio Claudio malte auf Papier und Holz und schuf mehrere Gedichte, davon einige auf Fünf Jahre Kreispartnerschaft Künstler von Veranka. Zwar nutzte jeder dieser unterschiedlichen Künstler den Tag für seine Arbeit aus, so gut es ging, wissend wie schnell zehn arbeitsreiche Tage verge­ hen, doch blieb der Abend der gemeinsa­ men, konzentriert oder zerstreut geführten Diskussion, dem Austausch von Erfahrun­ gen, Meinungen und Scherzen, vorbehal­ ten. Schlafen, so der Franzose Antoine Tho­ mas, könne man auch noch nach dem Sym­ posion. Oft wurde die Insel von Eintagstouristen besucht, die hier die Landschaft bewunder­ ten und ein Mittag-oder Abendessen zu sich nahmen. Einmal erhielten wir den Be­ such eines der ungarischen Vizepräsidenten, der sich ein Bild von unserer Arbeit machen wollte. Unsere Ausflüge waren dagegen seltener. Man sah weder die Komitatshauptstadt Kec­ skemet, noch Budapest, was deshalb von ei­ nigen noch nachgeholt wurde. Stattdessen fuhren wir aber mit dem Boot nach Baja, ei­ ner wichtigen Handels- und Hafenstadt. Auch besuchten wir unseren Wirt und Gast­ geber von Veranka in seinem Heimatdorf Nemesnadudvar. Hier verbrachten wir den Abend in einem kleinen, für die Gegend ty­ pischen Weinkeller, aßen Fisch, tranken Wein und Schnaps, tanzten zu ungarischer und deutscher Volksmusik und erlebten da­ mit den Höhepunkt unseres Aufenthaltes in Ungarn. Am Ende tauschte man Visitenkarten und gegenseitige Einladungen, packte die Koffer und nahm dann spät in der Nacht Abschied. Während der Rumäne Ferenc Siklody be­ reits am Mittwoch abgereist war und die an­ deren noch einen weiteren Tag auf der Insel blieben, verließen Istvan Damo (Ungarn), Traian Marza, Anna-Lisa Serino und ich Ve­ ranka im Morgengrauen des siebten Juni, um über die langen, geraden ungarischen Straßen nach Budapest zu fahren und dort ebenfalls auseinander zu gehen.“ 51 Daniela Rösch, Fabian Schmidt

2. Kapitel/Almanach 2002 Schwarzwald und Baar – Portrait eines Landkreises (5) Unterwegs von Bräunlingen bis D Ö gging e n – Jahrhundertelang die Freiheiten verteidigt B rä�nlingen ist ein gern angenommener Fremdenverkehrsort (50 000 Ubernachtungen bei 10 000 Gästen), zumal es abseits vom Durch­ gangsverkehr liegt, der vom Bodensee oder vom oberen Neckar auf der B 31 den Breisgau ansteuert. Wer nach Bräunlingen kommt, der reibt sich verwundert die Augen: geschlossene Straßenzüge fügen sich zu einem einheitlichen Stadtbild, das, umrahmt von Breg und Brändbach, auch heute noch die alte Wehrhaftigkeit deutlich erkennen läßt. Zwar ist von den früher vier Toren nur eines erhalten, in einer 1904 auf­ gestockten und romantisierten Form; von der Burg, die einst den Eingang vom oberen Brändbach-Tal her schützte, ist nur noch der erhöhte Platz sichtbar. Und doch spürt der Reisende: dies ist ein besonderes Gemeinwesen, das sich in früheren Zeiten wie ei­ ne Insel gegen seine Umgebung abgrenzte. 52 Blick auf Bräunlingen und das 1904 aufgestockte und romantisierte Miihlentor (red1te Seite).

Rechts oben: Straßencafi an der Haupt­ straße. Portrait eines Landkreise Seit der alamannischen Landnahme sicherte der Ort die alte Straße über den Schwarzwald, am Mühlentor bezeugt die Jahreszahl 1203, daß schon damals die Häuser eine Ringmauer bildeten, die eine Burg und vier mit be­ sonderen Freiheiten versehene Häuser von Burgsassen einschloß. Im Jah­ re 1305 übernahmen die Habsburger nach einem Streit mit den Fürsten­ bergern die Stadt. Sie war der erste Stützpunkt der Habsburger am Ostrand des Schwarzwaldes inmitten des fürstenbergischen Gebietes und wurde 1313 im ersten Stadtrecht mit den „Dießenhofer Freiheiten“ versehen. Jahr­ hundertelang hat Bräunlingen diese Freiheiten verteidigt, einmal sogar durch ein fast einjähriges Exil der gesamten männlid1en Bevölkerung im l ebenfalls habsburgischen Vil­ lingen. Noch heute wirken die alten Zwiste nach, wenn bei­ pielsweise die Bräunlinger kaum Fürstenberger Bier trin­ ken (und umgekehrt die Hü­ finger fast keines aus Bräunlin­ gen). Infolge der Insellage mitten im fürstenbergischen Gebiet fehlte es Bräunlingen an den Voraussetzungen, sich zu einer Handelsstadt zu entwickeln wie etwa Villingen. Die Bräunlin­ ger lebten als freie Ackerbürger von den Erträgen des Bodens; an vielen Häusern de Stadt­ kerns sieht man nod1 heute das große Sd1eunentor, lange war der große Stadtwald �ei­ le eines relativen Wohl tandes. In der badischen Zeit (ab 1806) entwickelte sich das Handwerk, besonders holz- und metallverarbeitendes Gewerbe, zu einer zweiten wichtigen Le­ bensgrundlage der Stadt. Seit der Jahrhundertwende gründeten sich meh­ rere Industriebetriebe, die gut florieren, was sich in den modernen Fabrik­ gebäuden zeigt. • Beständigkeit über Jahrhunderte Beständigkeit über Jahrhunderte hin im Stadtbild – viele Häuser zeigen Treppengiebel (auch wenn einige von ihnen neueren Datums sind), Be­ ständigkeit vor allem in den Formen des Rechts. Die nach dem 30jährigen Krieg von den Habsburgern eingesetzte Schultheißenfamilie Gumpp hat- Linke Seite: Bräunlinger Stadtwappen am ,,Schult­ heißen-Haus“ (erbaut 1733). Rechts 1mten: Blick auf das ehemalige E-Werk, jetzt Zunfihaus der Narrenzunfi „Eintracht“ mit Fasnetaus­ stelltmg. 54

Portrait ein Landkrei te nicht nur gegen Eingriffe von Seiten der Fürstenberger zu kämpfen, son­ dern auch gegen die Kritik der freien Bürger. Im 17. Jahrhundert mußte ein Herr von Sd1ellenberg, dessen Lebenswandel nicht den moralischen Wert­ vorstellungen seiner Mitbürger entsprad1, schließlich die Stadt verlassen. Als die eigene Gerichtsbarkeit der Stadt wieder einmal durch die Für­ stenberger angefochten wurde, ließ man in der Mitte des 18. Jahrhunderts eigens ein neues Richtschwert anfertigen – Symbol der Unabhängigkeit, denn zu diesem Zeitpunkt wurde es nicht mehr gebraucht, die Hinrich­ tungen wurden mit dem Galgen vollstreckt. Im 16. und 17. Jahrhundert for­ derte der Hexenwahn seine Opfer. Anschaulich und greifbar zeigt sich die Geschichte der Stadt im Kelnhof­ MW�llm,. [QJ;l,ii.1,!.k� kli. %�,;�1Jmig�n ilhen Gebäudes (drei Stockwerke, ho­ her Treppengiebel, gewaltiger Dachspeicher, kunstvoll ge­ schmiedetes Sd1ild) war der Sitz des Reichenauischen Cellarius, der den umfangreichen Besitz des Klosters in Bräunlingen ver­ waltete. Tm heutigen Museum finden ich bäuerliche Fahrzeuge und Gerätschaften aus früherer Zeit, sowie Schmiede- und Küfer­ werkstatt. In der großen Wohn­ tube vom Anfang des 19.Jahr­ hunderts sd1lichte alte Möbel, bemalte Bauernschränke, Por­ träts von Bürgern aus dem 19., 18. oder 17. Jahrhundert – al­ lesamt Zeugnisse bodenständi­ �en Wohlstands; man spürt, daß das Haus bis etwa 1980 be­ wohnt war. f’i“ne groß’e 111 61 gemalte Gemarkungskarte von 1590 und ein Modell der Stadt zeigen ihre Anlage. Zu sehen sind religiöse Volk kunst und kunstgeschid1tliche Zeugnisse aus den Bräunlinger Kirchen und Kapellen, wie St. Markus mit dem Löwen, der bei Prozessionen vorangetragen wurde, und heimisd1e Trachten sowie ih­ re Entwicklung als Modeerscheinung des frühen 19. Jahrhunderts bis zur Tracht des Heimat-und Trachtenbundes. Und als Höhepunkt in der Kunst­ sammlung der Stadt neben zwei Figuren, die Schächer am Kreuz dar tei­ len, zwei Skulpturen aus Lindenholz, frühes 13. Jahrhundert, Maria und 56 Links: Winterlicher Blick auf die Stadtkirche „ Unsere liebe Frau vom Ber­ ge Kanne!“.

Portrait eines Landkrei es Johannes, schlicht und verhalten im Ausdruck und gerade dadurch beson­ ders eindringlich. Sie stammen aus der 799 vom Kloster Reichenau ge­ gründeten Remigius-Kirche, die außerhalb der Stadt am Hang des Buch­ bergs liegt, noch heute ein weithin sichtbares Zeichen, früher Mutterkirche für einen großen Bezirk. Aber es war unbequem und unsicher für die Bür­ ger, zu jedem Gottesdienst aus der Stadt hinaus auf die Höhe zu pilgern. Im 17. Jahrhundert baute man in der Stadtmitte eine Barock-Kirche, die später zu klein wurde. 1881 ersetzte man sie durch einen neo-ro­ manischen Bau. Das Siechenhaus, früher vor dem Mühltor gelegen, besaß eine eigene Ottilien-Kapelle. 1725 schuf man einen Ersatz für sie auf dem westlich der Stadt gelegenen Hügel. Von dem mit alten Bäumen bestan­ denen Platz blickt man weit in die Täler von Breg und Bränd­ bach hinein. Und dieser Aus­ blick macht verständlich, wes­ halb schon in der Jungsteinzeit Menschen hier siedelten: Acker­ flächen auf dem Muschelkalk, W iesen in den Tälern, Holz aus dem nahen Wald, vereint in verkehrsgünstiger Lage. Ne­ ben Gräbern aus keltischer Zeit fand man 1996/97 Gräber aus der Zeit um 500 n. Chr. mit seltenen und kostbaren Beigaben von überregionaler Bedeutung. Die Schätze konnten 1998 nur kurz in Bräunlingen gezeigt werden, wurden dann weitergegeben an größere Landesmuseen. • Von Bräunlingen nach Döggingen Rechte Seite: Die Grund­ und Haupt­ schule, erbaut 1912. Links: DerGumpp­ Brunnen, er erinnert an Oberschullheiß Johann Conrad Gumpp(ca. l 650-1703), den Retter des Bräunlinger Waldes. Ursprünglich wurden von Bräunlingen aus in der weitläufigen Waldge­ markung Hubertshofen, Bubenbach, Ober- und Unterbränd als Depen­ denzorte gegründet. Diese Orte wurden 1846 von Bräunlingen abgetrennt, als sich die Genossenschaftsgemeinde auflöste. In diesem Jahrhundert wur­ den verschiedene Orte nach Bräunlingen eingemeindet: Bruggen (1939) Rechte Seite: Die Urhexen und Impression vom Strqßen­ musiksonntag. 58

Portrait eines Landkreises mit seiner die Breg überquerenden Brücke, vier uralten Höfen und einer kleinen Kapelle, die 1945 durch Bomben beschädigt und danach restauriert wurde. In den 70er Jahren kamen folgende Gemeinden dazu: Mistelbrunn, ganz ab eits auf einer Rodungsinsel im Wald, 887 Meter über dem Meer. Dort in der sehr alten St. Markus­ Kapelle entdeckte man Wand­ malereien aus der Zeit um 1240; sie stellen in leuchten­ den Farben und strengen For­ men die Erschaffung der Welt dar, auf der Südseite auch ei­ nige Szenen aus dem Leben Christi. Gewänder, die an by­ zantinische Formen erinnern, deuten an, daß vielleicht Kreuz­ fahrer für die Kapelle gestiftet haben. Vielleicht sind die Ma­ lereien auch von komplizier­ ten theologisch-philosophi­ schen Ideen beeinflußt, die sich in den West-Portalen der Münster von Straßburg und Freiburg finden. Das Brändbach-Tal aufwärts gelangt man nach Waldhau­ sen. Eine kleine Kapelle auf ei­ nem großen Hügel, eine Auf­ schüttung, die auf einen Grabhügel hinweisen könnte; alte Bäume geben der Stelle einen besonderen Zauber. Gegenüber der Kapelle ein mächtiger Baumstamm, in den ein Künstler viele Motive des Lebens an einem abge­ legenen Ort im Wald geschnitzt hat. Wo der Brändbad1 sich in einer engen S hlucht ins Grundgebirge ein­ schnitt, hat man ihn 1922 aufgestaut, um elektrische Energie zu gewinnen. Es entstand der Kirnbergsee, etwa 400 Meter breit und 900 Meter lang. Im Norden und Osten sind seine Ufer steiler, Tannenwald bedeckt den Gra­ nit, südlich der Staumauer finden sich noch wenige Reste der namensge­ benden Kürnburg; im Süden und Westen sanft ansteigendes Wiesengelän­ de. Unterhalb des Dorfes Unterbränd ein Campingplatz – das Erholungs­ gebiet ist belebt und beliebt, Unterkünfte und Gast tätten bieten Mög­ lichkeiten für den Tourismus. Freundlid1, naiv und originell die Wegwei­ ser-Tafel gegenüber der Kapelle. In der kleinen Kirche neben dem Chorraum 60 Rechte Seite: Die Antonius­ kirche von Bruggen, der kleine Ort ist seit 1939 nach Bräunlingen eingemeindet. Links: Lufiatifnahme der Stadt Bräunlingen. Rechte Seite: Sommertag am Kirnbergsee.

Porirait eines Landkrei es rechts und links zwei schöne gotische Figuren, außerdem an der Westwand ein bäuerlich-naiver Sebastian und ein Kriegsknecht. Modeme kleine Bron­ zetafeln, einen Stationenweg darstellend, bilden einen geglückten Kir­ chenschmuck. Rechte Seite: Blick auf Döggingen. Döggingen, außerhalb des Schwarzwalds und am Rande des Bonndorfer Grabens, unterscheidet sich erheblich von allen bisher beschriebenen Ge­ meinden. Früher nutzte die Landwirtschaft die hier besseren Böden; eini­ ge alte Höfe sind noch erhalten, doch arbeiten heute die meisten Bewoh­ ner in der Lack-Fabrik. Noch rollt der starke Ver­ kehr auf der B 31 durch den Ort; sieben Gaststätten bei nur tausend Einwohnern leben davon. In der traditi- – onsreichsten von ihnen, dem Adler, zeugen Porträts von Vorfahren der Besitzer­ Familie vom Schaffen des Malers Ignatius Weisser: geboren 1809, erhielt der gehbehinderte, aber begab­ te junge Mann eine Ausbil­ dung in Karlsruhe, kehrte zurück und heiratete eine wohlhabende Gastwirts- Tochter; sehr beredt seine Darstellungen von gütigen, doch strengen Men­ schen im Dorf. Dod1 die Aufträge wurden selten, und er erlag dem Alko­ hol; verarmt starb er 1880 im Geisinger Pflegeheim. In naher Zukunft soll die Untertunnelung der Wasserscheide zwischen Wutach und Donau Döggingen vom Verkehr entlasten; tiefgreifende Ver­ änderungen im Leben des Dorfes sind zu erwarten. Wer an den südlichen Ortsausgang Döggingens fährt, genießt einen un­ geheuer weiten Blick: im Westen den Schwarzwald-Ostrand bis hinauf zu Feldberg und Herzogenhorn, im April noch mit Schnee; im Osten die weißen Kalkabbrüche der Schwäbisd1en Alb; im Süden, jenseits der brei­ ten Senke, in die Gauchach und Wutach ihre Schluchten tief eingeschnit­ ten haben, an klaren Tagen in der Feme die Alpen. Aber das geht weit hin­ aus über den Rahmen dieser Besdueibung. Wolfgang Tribukail 62 Links: Eine der größ­ ten Baustellen im Landkreis: die Straßen­ brücke an der BJJ bei Dög­ gmgen. Rechte Seite: Die BJJ be­ schert den Dög­ gingem noch starken Durch­ gangsverkehr.

3. Kapitell Almanach 2002 Städte und Gemeinden Oberkimach – von der Landwirtschaft geprägt Der Großteil des Gemarkungsbereich gilt als Außenbereich Weit oben im idyllischen Kirnachtal, das in den Grundgebirgssockel des Mittleren Schwarzwaldes eingeschnitten ist und un­ weit des nördlich gelegenen St. Georgen jen­ seits eines rund 950 m hohen Gebirgszuges: dort liegt seit alters her die Streusiedlung Oberkirnach. In einer Gemarkungsfläche von rund 1 192 Hektar und bei einer Lage zwischen 800 und 1 024 Metern durchzieht die Kreisstraße auf einer Länge von 6,5 km den Ort, flankiert von über 20 km Gemeindeverbindungswe­ gen, was die Weitverzweigtheit des Ortes nod, einmal unterstreid1t. Der Großteil der Fläche gilt baurechtlich als Außenbereich, in dem jenseit des kleinen Ortskemes Wohn­ gebäude eigentlich nur in Verbindung mit bestehenden Höfen errichtet werden dür­ fen. Allerdings hat man 1995 ein kleines Bau­ gebiet „Am Bühl“ ausgewiesen und seither fast ein halbes Dutzend neue Häuser nahe des alten „Zentrums“ errichtet. Ein wenig Geschichte Wann die einzelnen Hof- und Häusergrup­ pen den Namen „Oberkirnach‘ erhielten, ist bis heute nicht geklärt. In Ableitung vom Althochdeutschen kurn = Mühle erscheint 1244 in der Vöhrenbacher Stadtgründungs­ urkunde eine ü, das Dotationsvermögen der Stadt aufgenommene Leibeigene Adelheid von „Kuma“, also eü,e zu einer bestehenden Mühle gehörende Frau. 1374 schließlich heißt es „Ku(e)rna in der oberen vogtye‘, nachdem St. Georgen 1373 im oberen Tal­ teil Erwerbungen getätigt hatte. Die Mühle, auf welche diese Angaben Bezug nehmen, stand wohl im „Reichenbachtal“, denn für 1400 wird dort ein Müller genannt. Teile des ursprünglich im Besitz der Herzöge von 64 Zähringen befindlid,e Kimachtals könnten spätestens im Verlauf des 12. Jahrhunderts zur Ausstattung der mit dem Hause verbun­ denen Klöster verwandt worden sein. Im Streit um das Eigentum zwischen der Zister­ zienserabtei Tennenbach und der Benedikti­ nerabtei St. Georgen entschied der Papst 1187 zu Gunsten der Letzteren. 1506 erkauf­ te V illingen den gesamten (ehemaligen?) Tennenbacher Besitz in der Kirnach. 1383 schon wurde die Burg Kirneck und drei dazugehörige Höfe an Villingen veräu­ ßert, wobei der augenscheinlich unklar for­ mulierte Vertrag bis zum Ende des Dreißig­ jährigen Krieges die Rechtsstellung dieser Höfe wie die der einstigen Tennenbacher Besitzungen in der Sd1webe ließ und zu un­ unterbrochenen Auseinandersetzungen zwi­ schen VilJingen und dem Kloster St. Geor­ gen führte. Sonst waren die Grafen zu Fürstenberg teilweise im Besitz des Tales und verkauften dieses 1292 als Lehen an Hans von Schen­ kenzell. In der bestehenden Literatur ist aud, der Gang der im Tal bestehende Vog­ teirechte des Klosters St. Georgen nicht klar erkenntlich. 1373 verliehen die Fürstenber­ ger diese an Rottweiler Bürger. Ob damit zu­ gleich die in der 1987 in 2. Auflage erschie­ nenen Ortschronik ab 1245 aJs zweihundert Jahre regierende Schirmvögte genannten Herren von Falkenstein gemeint sind, sollte die zukünftige Ortsgesd,ichtsforschung prä­ zisieren wie auch die Rechtsstellung Ulrichs von Neuneck in Bezug auf das Kirnachtal und das Kloster St. Georgen. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts seien die Grafen, später Herzöge von W ürttem­ berg Schirmvögte gewe en. 1531 verkaufte Graf Friedrich zu Fürstenberg das Kirna­ cher Eigentum an Württemberg, wobei die

Oberkirnach Ländlich geprägt und weit verzweigt: Oberkirnach, das auf einer Länge von 6,5 Kilometern von der Kreis­ straße durchzogen wird. Vorgänge wohl in Beziehung zu den Refor­ mationswirren stehen dürften. Als Teil des württembergischen Klosteramtes St. Geor­ gen wurde Oberkimach nun evangelisch. Eine direkte Beteiligung von Einwohnern oder die Einbeziehung Oberkirnachs in den Bauernkrieg ist nicht nachgewiesen, wohl aber die Leiden des 30jährigen Krieges. Min­ destens 48 Einwohner (ca. 200/o der Bevöl­ kerung) kamen ums Leben und acht Höfe wurden niedergebrannt. Nach einer kaum 50jährigen Erholungs­ phase erfassten die kriegerischen Ereignisse des 18. Jahrhunderts wiederum das Land und den Ort. Hinweis auf Eingriffe in das Leben könnte der aktenkundig gewordene versuchte Überfall 1748 einer Diebesbande auf ein abseits gelegenes Haus sein, wobei es sich bei den Räubern um marodierende Mi­ litärs oder aus der Bahn Geworfene gehan­ delt haben könnte. Bis 1810 gehörte Ober­ kimach zum württembergischen Kloster- amt. Dann ging es an das neue badische Be­ zirksamt Homberg, kam 1813 kurzfristig, im Jahr 1820 dann endgültig zum Bezirks­ amt und damit späteren Landkreis Villin­ gen. Zu wenig ist bisher bekannt über das Le­ ben im Großherzogtum, zu wenig über die Zeit des Nationalsozialismus, als daß man hier darauf eingehen könnte. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges war das Leben im Ort scheinbar recht ruhig. Nur am Abend des 24. April 1945 zog sich die nörd­ liche Kampfgruppe des XVIII. SS-Armee­ Korps beim Rückmarsch durch das Kir­ nachtal nach Südosten zurück. Zu Zerstörun­ gen oder Kampfhandlungen kam es jedoch nicht. Nach dem Kriege wurden Flüchtlinge zugewiesen. Seit 1973 gehört Oberkimach zum neu ge­ bildeten Landkreis Schwarzwald-Baar, seit dem 1. Februar 1974 als Ortsteil zur Stadt St. Georgen. 65

Städte und Gemeinden Wirtschaft: Landwirtschaft, Bergbau, Uhren Rückblickend gab es in Oberkirnach nie ei­ ne reine Wald- und Weidewirtschaft, ob­ wohl das Dorf bis heute ein von Land- und Forstwirtschaft bestimmter Ort ist. Wer weiß jedoch noch von jener kurzen vorindustriellen Phase, die bei besseren Bo­ denschätzen vielleicht zu einer Industrie­ stadt geführt hätte, in deren Schatten heute St. Georgen läge. Erste Hinweise auf Berg­ bau im Ta] erschließen sich aus der urkund­ lichen Bezeichnung 1449 „Im Richenbach“, welche auf den Versuch von Silbergewin­ nung hinweist. 1604 schließlich hatte man begonnen, am Kesselberg beim Hirzwald nach Erz zu gra­ ben. Ab 1630 gar arbeitete für einige Jahre ein Eisenbergwerk. Das etwas zu harte Erz mußte jedoch mit weichen Erzen aus Fluorn und Hochmössingen gemischt werden, in deren Gruben später sd1ließlid1 Erze der rid1tigen Härte gefunden wurden. So wurde die Oberkirnacher Erzförderung unrentabel und stillgelegt. Noch heute sind eine ca. 15 m hohe Abraumhalde und ein nordwestlich hiervon angelegter Weiher am Nordhang des Kesselberges wie Steinhügel, Pingen und möglicherweise sogar Sehachtreste im Be­ reich des Schloßberges nördlich des Hilsen­ hofes zu erkennen. Auch Kohlplätze, Orte der Gewinnung von Holzkohle für die Ver­ hüttung, sind bekannt. Der 1934 wieder aufgenommene Gedanke einer erneuten Erzförderung stand im Echo der seit Ende des Ersten Weltkrieges und vor allem nach 1933 wieder auflebenden badi­ sd1en Montanpolitik , die ja auch die gleich­ falls im 17. Jh. eingestellte Erzförderung in Blumberg zu einer meteoritenhaften Blüte brachte. Zu einem Abbau wie dort kam es dann allerdings nid1t mehr. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich als weiterer Erwerbszweig das Hausuhrma­ chergewerbe. Zwischen 1765 und 1845 sind mindestens 23 Uhrmad1er, zwei Uhrenge­ stellmacher und ein Uhrenhändler nachzu- 66 weisen. Betrieben wurde diese Uhrenfabri­ kation wie der Verkauf von rund acht klein­ bäuerlichen Familien und ausgesteuerten Bauernsöhnen. Als dann zum Ausgang des 19. Jahrhunderts die industrielle Uhrenferti­ gung in St. Georgen aufkam, erlosch die Heimuhrenfertigung, die sowohl Holzuh­ ren als auch solche mit Metallteilen umfaß­ te. Die Uhrenfabrikation sicherte allerdings genauso wenig wie die Landwirtschaft das Einkommen oder schuf genügend Arbeits­ plätze. So kam es, daß der Ort um 1850 nicht nur 16 Tagelöhner zählte, sondern auch eine fühlbare Zahl von Auswanderungen aufwies. W ie es diesen Oberkirnad1er in der Fremde ergangen ist, wissen wir nicht, wohl aber, was dem letzten bekannten Auswande­ rer nach Kanada 1954, Siegfried Beha, wi­ derfuhr. Hierüber berichtete er in der Orts­ chronik. Von den Beeinträchtigungen durch die Zeitläufe einmal abgesehen, begann der durch technologischen Fortschritt und poli­ tische Eingriffe bedingte Wandel erst nach 1800. Feststellbar zunächst ist in der ersten Hälfte de 19. Jahrhunderts eine starke fi­ nanzielle Belastw1g. Wohl durd1 den Zu- ammenfaJI einer Agrarkrise mit den nicht zu verkraftenden Lasten der Ablösung bäu­ erlicher Lasten wurden allein 1840 fünf Hö­ fe und von drei Eigentümern Grund an das Haus Fürstenberg verkauft. Diese Abgabe von Boden hielt bis zum Ende des Jahrhun­ derts an. 1896 besaß die fürstlich-fürstenber­ gische Standesherrschaft so nahezu 300 Hektar Land auf der Gemarkung, was rund 250/o der Gemarkungsfläche entsprach. Allein zwischen 1930 und 1986 ging die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe über zwei Hektar von 57 auf 38 zurück, wobei der Rückgang bis heute weiter anhält. Die 1924 gegründete landwirtsd1aftliche Einkaufsge­ nossenschaft verschmolz aufgrund der Ent­ wicklung 1975 mit der Raiffeisenwarenge­ nossenschaft St. Georgen. Gegenwärtig sind etwa 12 0/o der Gesamt­ fläche Ackerland, der Rest W iesen und Wei-

Oberkirnach ter der vergangenen Jahre nur wenige Tage mit Skiliftbetrieb boten. Dabei sind gerade die Oberkirnacher Ski- und Snowboardpis­ ten in der Region beliebt. Was die Sozialgeschichte betrifft, so herrsch­ te bis ins 18. Jahrhundert hinein die bäuer­ liche Lebensweise des Schwarzwaldes mit ih­ ren Sitten und Gebräuchen, hie und da er­ gänzt durch die Lebensweise der im Bergbau beschäftigten Arbeiter. Über die konkrete Ausgestaltung außerhalb des auf die Land­ wirtschaft bezogenen Hoflebens wissen wir recht wenig. Geselligkeit und soziale Kon­ takte waren jedoch scheinbar vor allem am Sonntag recht häufig, wie aus dem vom Lan­ desherrn verordneten sonntäglichen Schie­ ßen in der St. Georgener Schützengesell­ schaft ableitbar ist. Dadurch wurde die männ­ liche Bevölkerung bis weit in die Nachtstun­ den auch in der seit 1484 privilegierten Klosterbannwirtschaft zum Roten Löwen in St. Georgen an den Wirtshaustischen festge­ halten. Das örtliche Leben blieb jedoch noch bis 67 Winterstimmung in Oberkirnach. den. Von den 500 Hektar Waldfläche befin­ det sich über die Hälfte in bäuerlichem Be­ sitz. Dies war bis in die letzten Jahre eine durchaus schätzenswerte Einkommensquel­ le, doch haben die vergangenen großen Win­ terstürme auch hier ihre Spuren hinterlas­ sen. Handwerk und Fremdenverkehr Wie für den dörflichen Bereich typisch , er­ gänzten zahlreiche handwerkliche Grund­ berufe die dörfliche Erwerbsstruktur. Nach­ zuweisen sind mehrere Zimmerer (1812: sieben), Schuhmacher (ab 1852: vier), Mau­ rer, Schreiner, ein Metzger, mehrere Wirte, ein Weber, ein Schmied, ein Wagner, Lehrer, Küfer und andere Berufe, die mit Land- und Forstwirtschaft oder grundsätzlichen Le­ bens-, Verwaltungs- und Ausbildungsbe­ dürfnissen in Beziehung standen. Stärker hervorgetreten in den letzten Jahr­ zehnten ist der Fremdenverkehr und die Gastronomie, wobei die schneearmen Win-

Städte und Gemeinden ins 19. Jahrhundert hinein eher gemächlich im Gegensatz zu den nahe umliegenden Or­ ten, wo das Uhrengewerbe eine Beschleuni­ gung des Wertewandels und der Liberalisie­ rung des Verhaltens erzeugte. Zum Auf­ schwung der Geselligkeit durch Zusammen­ schlüsse kam es im Gegensatz zu größeren Orten eher spät, nach dem Ersten Weltkrieg. Bei einem Teil der Vereine lassen sich im Hinblick auf deren Gründungsmotive deut­ liche Zeitbezüge erkennen. So ist der 1922 gegründete Radfahrerverein „Radlerliebe“ wie schon der Name besagt aus der Begeis­ terung der Zeit für das Fahrradfahren ent­ standen, die 1940 gegründete Freiwillige Feuerwehr allerdings entsprang den Vorga­ ben des Reichsgesetzes vom 23. November 1938 im Hinblick auf die Organisation des Luftschutzes. Nach dem Kriege schließlich fanden sich die Liedfreudigen 1952 im Ge­ sangverein „Kimachklänge“ zusammen. Mit der Beschaffung der ersten Trikots für eini­ ge Einwohner, die sd1on seit Jahren regel­ mäßig zusammen Fußball spielten, hob man 1978 den „FC Oberkirnach“ aus der 68 Taufe. Im Skisport ist der Name Oberkir­ nachs mit dem Skiverein St. Georgen und insbesondere mit Martin Fichter verknüpft, der als Schüler in der Saison 1986/87 zahl­ reiche, auch internationale Siege einfuhr. Kirche und Wallfahrt Ursprünglich und nachweisbar seit 1275 war Oberkirnach Teil des Kirchsprengels der St. Georgener Lorenzkirche, die in der Re­ formation vom katholischen zum evangeli­ schen Glauben überging. Der Gemeindesaal im alten Schul- und Rathaus dient bis heu­ te der evangelischen Jugend als Treffpunkt und wird einmal im Monat zum evangeli­ schen Sonntagsgottesdienst genutzt. Auch eine Glocke, deren elektrisches Läutewerk von der ev. Kirchengemeinde bezahlt wird, läutet wieder im Tal. 1973 wurde sie vom Ortsvorsteher und fünf Ortschaftsräten ge­ stiftet . Das erste, von der Jagdgesellschaft und der Gemeinde zur Einweihung ge­ schenkte Glöcklein, mußte gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges abgeliefert werden. Erst sehr viel später, als sich die strenge Re­ ligionsgeschiedenheit lockerte, waren durch Zuzug auch wieder katholische Einwohner zu finden, welche nun der katholischen Pfar­ rei Unterkimach zugehörten. Oberkirnach hat also nie eine eigene, nur der Gemeinde gehörige, örtliche Kirche besessen. Dies war jedoch auch nicht unbedingt nötig, denn am Waldsaum auf der Anhöhe südlich des Stoffelbauemhofes und dem Tal zugewandt, an idyllischem Ort liegen die inzwischen vom Verein für Heimatgeschichte konser­ vierten Mauerreste der Wendelinskapelle oder Wendelinskirche, wie sie als zweiter 1496 geweihter Bau die Zeiten überstand. Sie muß zugleich auch als Ortskirche ge­ dient haben, denn hier hielten regelmäßig Reste der ehemaligen Wendelinskapelle und ihres Umfeldes finden sich am Waldsaum auf der An­ höhe südlich des Stojfelbauernhofes.

Oberkirnach Das Wappen von Oberkimach In Silber über einem gewellten blau­ en Schildfuß ein rotes Mühlenrad. Oberkirnach gehörte zum württembergischen Oberamt Hornberg und wurde von dem Königreich Württemberg in dem Vertrag vom 2. November 1810 an das Großherzogtum Ba­ den abgetreten. Die Verordnung vom 15. November 1810 wies die Gemeinde dem Amt Villingen zu. Das Huldigungsprotokoll vom 18. Au­ gust 1811 ist mit einem ovalen Prägesiegel versehen. Es zeigt in gekröntem Schild das damals geltende badische Staatswap­ pen (Im schräglinks geteilten Schild oben ein Schrägbalken, unten ein Löwe). Die Umschrift lautet VOGTEI KIRNACH. Die von der Gemeinde im 19. Jahrhun­ dert verwendeten Farbstempel zeigen, von Sternen bzw. Ranken umgeben, die Buch­ staben OK N. Im Jahr 1902 schlug das Generallandesar- chiv der Gemeinde Oberkirnach folgendes Wappen vor: In Silber ein blauer Wellenbalken, darauf ein rotes Mühlenrad. Dieses Wappen sollte den Ortsnamen symbolisieren: mittelhochdeutsch Kürn, Kürne = Mühle, althoch­ deutsch aha = Wasser. Der Gemeinderat konnte sich 1902 nicht zur Annahme des Vorschlags ent­ schließen. 1951 kam der Gemeinderat auf den beinahe 50 Jahre alten Vorschlag zu­ rück, jedoch wurde nur ein blauer Schild­ fuß (statt des Wellenbalkens) gewählt. Mit Erlaß Nr. IV 31/67 Oberkirnach/1 vom 2. Dezember 1960 hat das Innenmi­ nisterium Baden-Württemberg der Ge­ meinde Oberkirnach das Recht zur Füh­ rung des eingangs beschriebenen Wappens verliehen. Entnommen: Wappenbuch des Landkreises Vil­ lingen Mönche des Klosters St. Georgen die Mes­ se. Das etwa 80 m 2 Grundfläche umfassende Bauwerk, dessen Grundsteinlegung man für das frühe 15. Jahrhundert annimmt, wurde zu einem Wallfahrtsort, geweiht dem Schutz­ patron des Viehs, der Hirten und Viehzüch­ ter. Zu dem Verehrungsort des alemannisch­ fränkischen Volksheiligen eilten zahlreiche Pilger aus dem Breisgau, dem Elsaß und den Vogesen, doch begann gerade in der Blüte­ zeit der Verehrung des HI.Wendelin der Ver­ fall des Kirchleins. Über die in Württemberg, dem Landesher­ ren, beginnende Reformation hinaus wur­ den zunächst Gottesdienste im katholischen Ritus gehalten und Wallfahrten durchge­ führt. Daß bis 1585 die Messe gelesen wer­ den konnte, hatte seine Ursache in Unklar- heiten zwischen dem katholischen Fürsten­ berg und Württemberg bezüglich des Grund­ besitzes. Dann begann jedoch die systema­ tische Abtragung und Ausräumung nach dem Regierungsbeginn Herzog Friedrichs (1593-1608). Kurz danach war das Gottes­ haus eine vom Walde zurückeroberte Ruine, von der nur noch wenige Mauern nebst dem Eingang zu sehen waren. Einige während der Freilegungsarbeiten 1973-1975 geborge­ ne Maßwerkteile von Fensteröffnungen sind heute im Lapidarium des Klosters St. Geor­ gen zu besichtigen. In einer Zeit, in der die kleinen Schulen im Lande weitgehend verschwunden sind, soll an das mindestens 350 Jahre währende Be­ stehen einer Schule erinnert werden. Ab 1613 ist ein Schulhaus bezeugt, das gleich zu Beginn des 30jährigen Krieges der 69

Städte und Gemeinden Oberkirnach im Frühsommer. Der Ort hat eine überaus reizvolle landschaji. zu bieten. Zerstörung anheim fiel. Nad1 dem Kriege fand die Schule dann in der hinteren Stube des „Bühlhauses“ des ehemaligen Gemein­ dewirtshauses zum Kreuz statt. Noch 1813 ist vom Unterricht in einer abgetrennten Stube von kaum 1,80 m Höhe des Kreuz­ wirtshauses die Rede, in dem auch die Rats­ stube untergebracht war, da die Wirtsfamilie lange auch die Bürgermeister stellte. Aller­ dings zeigt sich hier erstmals auch deutlich die für die meisten kleineren Orte enge Ver­ bindung von Rat- und Schulhaus, wie sie später durch Neubauten bis zum Ersten Weltkrieg landauf landab weiterbestehen sollte. 1840 entstand zunächst ein eigenstän­ diges, eingeschossiges Gebäude auf dem Bühl. Nach dessen Abriß wurde 1911/12 ein kombiniertes Schul- und Rathaus im Schwarzwälder Fachwerkstil errichtet, das bis zuletzt als Sdmlgebäude diente. 1966 begann das Ende der Schule durch Zuwei­ sung der Klassen 5-9 nach St. Georgen. Auch die 1969/70 erfolgte Sanierung des Gebäudes konnte das Ende nicht mehr auf- halten. Zum 1. August 1973 schlossen sich die Pforten des Schulhauses nach über 350 Jahren Eigenständigkeit. Heute dient das Gebäude als Vereinsheim. Infrastruktur Trotz der recht kleinen Einwohnerzahl (Höchststand 1850 mit 458 Einwohner, heute, im Jahre 2001, 279) und der weit aus­ einander liegenden Wohnplätze war die ört­ liche Infrastruktur gut ausgebaut. Neben der erwähnten Mühle, kleineren Werkstätten oder Plätzen sind zunächst die Gasthäuser als Tauschbörsen für Information und Zent­ ren der Geselligkeit zu nennen. 1669 ent­ stand am Platz des abgebrannten Schulhau­ ses die Gastwirtschaft „Zum Kreuz“ (zum 1. Juni 1963 geschJossen). Das „Gasthaus Ster­ nen“ ist als Realgastwirtschaft mit württem­ bergischem Privileg erst 1798 fassbar. Seit 1943 wird dort nicht mehr gewirtet, 1950 er­ losch die Konzession. Das erste Telefon be­ fand sich kurz nach 1912 im „Gasthaus 70

Kreuz“. Seit 1920 verlangte der Gemeinde­ rat vehement einen eigenen Friedhof, woll­ te auch fürstlich-fürstenbergisches Gelände hierfür ankaufen und einen Kostenplan er­ stellen; doch nach 1930 geriet der einst hef­ tige Wunsch in Vergessenheit. 1919 begann der Kaiserbauer mit einer pri­ vaten Stromerzeugungsanlage, an die ein paar umliegende Höfe angeschlossen wur­ den. Erst 1940 wurden weitere Leitungen gelegt, 1947 schließlich der Großteil des Or­ tes mit dem EGT-Netz verbunden, ab 1959 wurde eine grundlegende Verbesserung der mangelhaften Stromversorgung durchge­ führt. 1975 wurde ein neues Feuerwehrgerä­ tehaus erstellt, nachdem 1940 ein erster Ge­ räteraum ans ehemalige Schulhaus angebaut worden war. Die Profilierung als Fremdenverkehrsort und Wintersportgebiet begann recht spät, als 1966-1970 vier Skilifte von je 300- 400 m Länge am Herrenberg, Großen Maierstal und Kesselberg gebaut wurden. Oberkirnach Unserer Tage präsentiert sich Oberkirnach als ein dem Reisenden angenehm ins Auge faJlendes Tal, an dem entlang sich schmucke Höfe und Häuser wie Perlen auf der Schnur reihen. Das kleine Ortszentrum kaum wahr­ nehmend, entdeckt er im Sommer eher die tiefgrünen Matten, den prächtigen Bauern­ garten des alten Spittelhofes, oder im Win­ ter die unweit der Durchfahrtsstraße gelege­ nen belebten Abfahrtspisten unterschiedli­ cher Schwierigkeitsgrade, welche sich Ski­ fahrer und vorwiegend jugendliche Snow­ boarder teilen. Joachim Stunn Lesenswert: Stadt St. Georgen im Schwarzwald (Hg.): Oberkimach. Hofchronik und Dorfgeschichte, Selbstverlag der Stadt St. Georgen, 2. AuA. 1987 Das Schul- und Rathaus, die Schule schloß im Jahr 1973. 71

Hausen vor Wald schon im Jahr 890 erwähnt tädte und Gemeinden Hansjakob: ,,Ein malerisch gelegener Ort am Fuße des Auenberges … “ In der letzten Ausgabe des Almanach wur­ de das ehemals selbstständige BaardorfBeh­ la -heute ein Stadtteil von Hüfingen -vor­ gestellt. Eng verbunden durch eine gemein­ same Geschichte ist es mit dem benachbar­ ten Hausen vor Wald, das heute ebenfalls zu Hüfingen gehört. Beide Orte waren lange Zeit den Herren von Sehellenberg, dann den Fürstenbergern untertan, und seit alters her gehört Behla, das nie eigene Pfarrei war, zum Seelsorgebezirk Hausen vor Wald. „Am hintern Ende einer flachen Mulde, die sich nach Hüfingen zu öffnet, dort, wo das Gelände plötzlich ansteigt, liegt -in 737 m Meereshöhe -das Baardorf Hausen vor Wald“ -so beschreibt Prof. Dr. Alfred Hall in seiner Ortschronik die Lage des Fleckens, welcher von Heinrich Hansjakob al ,be­ sonders malerisch“ bezeidmet wurde. Der Name des Ortes erscheint erstmals im Jahr 890 als „Husum“, mit dem näher beschrei­ benden Zusatz dann 1489 als „Husen vor dem Wald“. Auf eine Besiedelung in der Steinzeit weist ein Fund im Gemeindewald „Telegraph“ hin, ein kleines Rechteckbeil aus grünlichem Stein. In römischer Zeit lag das heutige Gemeindegebiet abseits der Heer­ straße, die durch Behla führte, doch 1833 wurden dort auf einem Acker beim Stein­ buck am Auenberg die Grundmauern eines römischen Gebäudes entdeckt und auf Ver­ anlassung des Fürsten von Fürstenberg aus­ gegraben. Der Ort selbst ist ebenso wie Hü­ fingen und Behla eine alamannische Grün­ dung. Die Alamannen siedelten sich in mehreren Wellen an und man vermutet, dass Hausen während einer dritten Ansied­ lungswelle entstand. Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus der Karolingerzeit, als König Arnulf im Jahr 890 seinem Vasal­ len Egino Land an verschiedenen Orten, da­ runter Pelaha (Behla) und Husen verleiht. Christianisiert wurde Hausen von Mönchen 72 des Klosters Reichenau. Im späteren Mittel­ alter haben die Klöster St. Georgen, Rei­ chenau, St. Peter, St. Gallen, St. Blasien so­ wie das Domkapitel in Konstanz und das Chorherrenstift in Kreuzlingen Grundbesitz im Ort. Als eigene Pfarrei ist Hausen 1275 erstmal erwähnt; weil der Apostel Paulus erster Kirchenheiliger war -später gesellte sich noch der Apostel Petrus hinzu -ist die Vermutung begründet, dass die auf einem Hügel stehende Kird1e von einem der Klös­ ter, die in Hausen Besitz hatten und zudem Petrus als Patron verehrten, zur Pfarrei erho­ ben wurde. In Frage kommen hier die Klös­ ter St. Märgen, St. Peter oder Reichenau. Später war dann das Kloster Kreuzlingen Patronatsherr und hatte somit bis in die Mit­ te des 16.Jahrhunderts das Recht, den Pfar­ rer einzusetzen. Die Schellenberger und Fürstenberger als Ortsherren Die weltliche Herrschaft lag im späten Mit­ telalter zunächst in den Händen der Grafen von Werdenberg, die auf Heiligenberg sa­ ßen. Sie verliehen den Ort an Johannes von Almishofen (Almendshofen), der 1357 als Dorfuerr bzw. Vogt erwähnt ist. Nach dem Aussterben der Werdenberger im Jahr 1534 gingen ihre Herrschaftsrechte auf den Gra­ fen Friedrich von Fürstenberg über, der da­ mit auch Lehnsherr von Hausen wurde. Be­ reits 1485 hatte Heinrich von Almishofen die ihm übertragene Ortsherrschaft an die Schellenberger verkauft. Mit diesem Ge­ schlecht blieb die Geschichte von Hausen nun fast 300 Jahre lang verbunden. Mit der Zeit gelang es den Schellenbergern, alle Gü­ ter und Rechte im Ort, die bisher auf meh­ rere Herren verteilt gewesen waren, in ihrer Hand zu vereinigen. Sogar das Patronats· recht über die Kird1e hatten die Schellenber-

Städte und Gemeinden Hausen vor Waid, ein idyllisch gelegener Ort mit eindeutig bäualicher Struktur. ger schließlich erworben. Zum ernsten Kon­ flikt zwischen Ortsherren und Bauern kam es während des großen Bauernkrieges von 1524/25, der auch die Baar erschütterte. In einer Klageschrift vom 4. April 1525 bezich­ tigt Burkhard von Sehellenberg den Peter Glunk aus Behla sowie die gesamte Bauern­ schaft von Hausen des Aufruhrs und ver­ langt Schadenersatz für die Anwerbung von Kriegsknechten. Als der letzte Schellenberger 1742 stirbt, fallt das Lehen Hausen an die Herrschaft Fürstenberg zurück und nur der Schellen­ bergische Eigenbesitz vererbt sich auf die Witwe Maria Antonie Susanna geb. Schö­ nau, die im heute nicht mehr bestehenden Schloss zu Hausen ihren Wohnsitz nimmt. In einer Aktennotiz von 1614 wird das Schloss als dreistöckiges Gebäude beschrie­ ben, mit zwei T ürmen, einem schönen gro­ ßen Baum- und Krautgarten, mit Torhaus, Ställen und Scheuern. Nach einem kurzen Intermezzo im Zusammenhang mit dem unerwarteten plötzlichen Auftauchen eines Schellenbergischen Erben gehört Hausen seit 1784 in Gänze zu den Fürstenbergi­ schen Landen. In das Schloss zieht ein fürst­ licher Aufseher ein, doch das Gebäude ver­ fallt und wird 1823 abgerissen. Ein Neubau dient später der Gemeinde als Armenhaus und geht schließlich in den Besitz der Fami­ lie Heinemann über. Nach der Zerstörung durch einen Brand im Jahr 1931 wird das Gebäude wiederum aufgebaut und am heu­ tigen Bau erinnert das Schellenberger Wap­ pen an die Vergangenheit. Barocke Kirche mit reicher Ausstattung Die Witwe Susanna von Sehellenberg hat sich aber weniger als Schlossherrin, sondern vielmehr als Erbauerin der heutigen Kirche um Hausen vor Wald verdient gemacht. 1749 wurde die einschiffige Barockkirche nach dreijähriger Bauzeit zu Ehren der Orts­ heiligen Petrus und Paulus geweiht. Von der früheren hochgotischen Kirche ist noch der Turm erhalten. Das Innere des Gotteshauses 73

Städte und Gemeinden ist für eine Dorfkirche überaus reich ausge­ stattet. Neben Deckengemälden des Hofma­ lers FranzJoseph Weiß (1735-1791) finden sich gute Stuckarbeiten eines unbekannten Künstlers. Der von Standbildern der Kir­ chenpatrone Petrus und Paulus flankierte Hochaltar wurde vom Kunstschreiner Xaver Schelble aus Hüfingen geschaffen. An der Nordwand des Chores befindet sid1 die Herrschaftsloge mit den Wappen der Erbau­ erin Freifrau Maria Antonia Susanna von Sehellenberg. Ihr Grabstein in einer Seiten­ wand hat eine originelle Inschrift, die mit dem Namen der Verstorbenen ein Wortspiel treibt: „Die hier liget, ware 20 Jahr ein reine Maria in der Jugend, 30 Jahr ein liebenden Antonia in der Ehe, 15 Jahr eine keusche Su­ sanna in dem Witwenstand … „. Außerdem enthält die Kird1e Reliquien der Heiligen Vitus, Oswaldus, Anna und Katharina, die 1698 in einen monstranzartigen Reliquien­ behälter eingelegt wurden. Hausen im Großherzogtum Baden Ein chneidende Veränderungen brachte dem Ort das 19.Jahrhundert. Seit 1806 ge­ hörte die Herrschaft Fürstenberg zum neu­ en Großherzogtum Baden, das mit Napole­ on verbündet war. In den napoleonischen Kriegen bestimmte die Karlsruher Regie­ rung, wie viele Soldaten jeder Ort in Baden zu stellen hatte. Hausen erfüllte sein Kon­ tingent, indem sid1 1806 der Einheimische Max Minzer für acht Jahre freiwillig anwer­ ben ließ. Von der Gemeinde bekam er 130 fl. Handgeld, 1810 ist er zum letzten Mal im Gemeindebuch erwähnt und sein weiteres Sd1icksal ist nicht bekannt. Während bi her ein von der Herrschaft eingesetzter Vogt in der Gemeinde das Sagen hatte, ermöglichte die neue Gemeindeordnung von 1831 die Wahl eines Bürgermeisters durch die Ge­ meindebürger; erster Bürgermeister von Hausen wurde der bisherige Vogt Mathias Scherrer. Konfliktreich war das Ende der Grundherr­ schaft. Jahrzehntelang stritt die Gemeinde 74 mit der fürstenbergischen Standesherrschaft über die Ablösung der Fronden, erst 1856 wurde entschieden, dass sie ihre bisherigen Leistungen mit dem zwölffachen Betrag ab­ lösen konnte. 1844 stellten die Bürger einen Antrag auf Aufüebung der Abgabe in Korn und Hafer, was 1848 genehmigt wurde. 1837 wurde ein Vertrag mit der Fürsten bergischen Verwaltung über die Ablösung des Zehnten geschlossen. Der zur Möglichkeit einer Ab­ lösung in Raten gebildeten Zentralschulden­ kasse schuldete die Gemeinde Hausen 1865 noch 360 fl., die Ende des Jahres abbezahlt wurden. Auch die Tagelöhner des Ortes for­ derten nun die Gleichberechtigung mit den Bauern. 1831 wurde die noch von den Schellenbergern 1772 erlassene Holzord­ nung aufgehoben, nach welcher jeder der ad1t Bauern sechs Klafter Brennholz schla­ gen durfte, jeder der 23 Tagelöhner aber nur drei Klafter. Die Revolution von 1848/49 führte für Hausen zu großen finanziellen Belastungen. Zur Tilgung der Schulden, die während der Revolution für die Bewaffnung des Volks­ heeres und nach deren Niedersd1lagung für die Unterhaltung preußischer Besatzungs­ truppen aufgelaufen waren, musste die Ge­ meinde 4000 fl. aufbringen, die durch einen außerordentlichen Holzhieb im Gemeinde­ wald erlöst wurden. Fortschritt durch Anbindung an die Höl­ lentalbahn Die Jahrhundertwende brachte einen gro­ ßen Fortschritt für Hausen vor Wald, als die Höllentalbahn von Neustadt nach Donau­ eschingen weitergeführt wurde. 1899 setzten in Hausen die Streckenarbeiten ein, 1901 war der Bahnbau vollendet. Die Gemeinde musste das Streckengelände zur Verfügung stellen und darüber hinaus einen Zuschuss von 15 000 M leisten. Weitere 70 M wurden aufgewendet für das Engagement der Mundelfinger Musikkapel­ le bei der Einweihungsfeier der neuen Stre­ cke im August 1901 unter Beisein von Groß-

Das Wappen von Hausen vor Wald In Silber über einem gewellten blau­ en Schiltifuß ein rotes Mühlenrad. Hausen vor Wald Das ursprüngliche Wappen von Hausen vor Wald glich dem von Munde/fingen (unten), das heutige Wappen ist links zu sehen. Das Rad ist – in veränderten Farben – aus dem Wappen der Freiherren von Neuenstein ge­ nommen. Im Jahre 1783 hatte eine Freifrau von Neuenstein Hausen von den Freiherren von Sehellenberg erworben, verkaufte je­ doch den Ort im selben Jahr noch an Fürs­ tenberg – daher der Wolkensaum als An­ klang an den fürstenbergischen Fehrand. Im 19. Jahrhundert führte Hausen vor Wald nur allgemeine Landwirtschaftssym­ bole (Garbe, Rechen und Sense) im quer­ ovalen Lacksiegel bzw. im runden Farb­ druckstempel mit der Umschrift X GE­ MEINDE X HAUSEN VOR WALD. Im Jahre 1898 wünschte sich die Gemeinde ein Wappen, und der Zeichner im General­ landesarchiv Karlsruhe, F. Held, entwarf das oben beschriebene Wappen, das angenommen wurde. Doch gab die Gemeinde im Jahre 1935 zu bedenken, dass Hausen immerhin von 1485 bis 1783 die Freiherren von Sehel­ lenberg als Grundherren hatte, also eher deren Wappen führen könne als das der Neuenstein, die die nur wenige Monate hier saßen. Auf Bitten der Gemeinde wurden vom GLA neue Vorschläge gemacht und die Ge- meinde nahm das unten zu se­ hende Wappen neu an: Von silber­ blauem Wolkenfeh-Schildrand umgeben, dreimal geteilt von Schwarz und Gold. Dass dieses Wappen nun fast genau dem Wappen von Mundelfingen glich, störte niemanden. Da der neue Farbstempel mit diesem Wappen in der gotischen Umschrift X Gemeinde X Hausen vor Wald anstel­ le der Kreuzchen kleine Hakenkreuze auf­ wies, wurde im Jahre 1945 dieser Stempel kurzerhand wieder mit dem alten von 1898 vertauscht. Die Gemeinde führte seither wieder das Wappen mit dem Rad. Hausen vor Wald kam 1806 an Baden, fürstlich für­ sten bergisches Bezirksamt Hüfingen (der Amtssitz wurde 1844 nach Do­ naueschingen verlegt), seit 1939 Landkreis Donaueschingen. Mit der Eingemeindung Hausens am 1. März 1972 in die Stadt Donaueschingen ist das Wap­ pen erloschen. Entnommen: Gemeindewappen des ehe­ maligen Landkreises Donaueschingen, Klaus Schnibbe, 1980 herzog Friedrich I. Nun war auch das abge­ legene Baardorf Hausen an die große weite Welt angeschlossen. Die folgenden Jahre brachten eine weitere Verbesserung der In­ frastruktur. 1911 wurde die erste Wasserlei­ tung fertiggestellt, die von der �eile „Kres­ sigbrunnen“ auf Gemarkung Waldhausen über die Gemarkungen Unadingen und Döggingen führte. Schon 1928 benötigte man eine zusätzliche �eile auf der Gemar­ kung Dittishausen. 1921 konnte endlich, nach langen Planungen, die Elektrizitätsver­ sorgung eingeweiht werden. Die Zeit der beiden Weltkriege brachte auch Hausen vor Wald Verluste an Men­ schenleben. In jedem der Kriege fielen 15 Soldaten aus dem Ort, zudem gelten neun Kriegsteilnehmer als vermisst. 75

Städte und Gemeinden Strukturwandel und eine moderne Wind­ kraftanlage In der Nachkriegszeit blieb auch Hausen vom Strukturwandel nicht verschont. Wäh­ rend Anfang der sechziger Jahre über 500/o der Erwerbstätigen in der Land- und Forst­ wirtschaft beschäftigt waren, trat hier in der Folgezeit ein großer Rückgang ein. 1992 gab es noch sieben landwirtschaftliche Voller­ werbsbetriebe, die 25 Personen beschäftig­ ten, während die Mehrzahl der Arbeitneh­ mer auswärts arbeitet. Heute hat Hausen vor Wald, seit 1972 Hüfinger Stadtteil, ungefähr 400 Einwohner. Im Jahr 1990 konnte Hau­ sen vor Wald mit einem großen Fest seine 1100-Jahr Feier begehen. Doch in diesem Festjahr blickte der Ort nicht nur auf seine Vergangenheit zurück, sondern freute sich auch über die Realisierung einer zukunfts­ trächtigen Investition. Auf dem 770 m ho­ hen Auenberg, einem der schönsten Aus­ sichtspunkte der Baar mit Blick aufSd1warz­ wald, Schwäbische Alb und Baarlandschaft wurde im Mai 1990 die Windkraftanlage Auenberg errichtet, die erste größere, privat finanzierte Gemeinschaftswindkraftanlage Baden-Württembergs. Vereine und bedeutende Persönlichkeiten Rege ist das örtliche Vereinsleben: Frei­ willige Feuerwehr, Musikkapelle, Männer­ gesangverein, Kirchenchor, Fußballklub, Landfrauenverein, Landjugendgruppe und DRK-Ortsgruppe bieten viele Möglid1kei­ ten des Engagements. Schon eine gute Tra­ dition ist das alljährliche sommerliche Stra­ ßenfest aller Vereine, das immer eine große Menge von Besuchern anzieht. In Hausen vor Wald lebten einige bedeutende Persön­ lichkeiten. Der weit über die Grenzen Deutschlands bekannte Viehhändler Kas­ par Hauser führte zu Beginn des 20. Jahr­ hunderts die Simmentaler Rinderrasse, die sich besonders in Höhenlagen wohl fühlt, aus der Sd1weiz in Süddeutschland ein. 1921 ließ sich der Kunstmaler und Hans Thoma- 76 Schüler Hans Schroedter (1872-1957) in Hausen nieder. Seine Landschaftsbilder und Portraits von der Baar, ihren Dörfern und Menschen bestechen durch ihre teilweise impressionistisch anmutende eigenwillige Farbgebung und Lichtstimmung. Meister­ haft ist die Erfassung typischer Charakterzü­ ge in den Gesichtern der von ihm dargestell­ ten Menschen; darunter viele Hausemer Bauern und Holzfäller. Neben Kirchenma­ lereien, u.a. für den Dom in St. Bla ien, um­ fasst sein künstlerisches Schaffen auch Zeichnungen und Farbdrucke für Kinderbü­ cher. eit 1992 sind in zwei Räumen des Hüfinger Stadtmuseums Werke von Hans Schroedter zu sehen. Von 1901 bis 1928 war Hermann Sernatinger Pfarrer in Hausen vor Wald, wo er auch als Musiker, Maler, Dich­ ter, Historiker,Volkskundler und als Schrift­ steller unter dem Pseudonym „Heriman von der Zelle“ wirkte. Seine Leidenschaft war die Heimat- und Volkstumspflege und die Er­ haltung des Dialektes; der „Trachtenpfarrer“ gründete 1921 den Trachtenverein der Baar, und unter seiner Leitung wurden in Hausen vom Thalia-Verein Volksschauspiele aufge­ führt. Von 1921 bis zu seinem Tod 1968 leb­ te der aus Sumpfohren stammende Bauern­ dichter Josef Albicker in Hausen. Die Frei­ lichtspiele, Hörspiele und Kurzgesdlichten des „dichtenden Bauern und den Pflug füh­ renden Dichters“ schildern das Leben auf der Baar. Für das leibliche Wohl der Besucher und Einheimischen sorgen die Gasthäuser „Ad­ ler“ und „Löwen“. Der nahe dem Bahnhof gelegene „Adler“ wurde während des Baus der Höllentalbahn 1901 gegründet, der älte­ re „Löwen“ ist schon 1830 erwähnt. Helmut Rothermel Literatur: Ortschronik von Hausen vor Wald, Stadtteil von Hüfingen; Verfasser: Alfred Hall, Herbert Petzold und Emil Scheib, Hüfingen 1992

Hausen vor Wald Idyllische Winkelgi.bt es in Hausen vor Wald viele, so auch an der Hauptstraße bei der Kirche. Vergangenheit und Neuzeit, altes �gkreuz und die Windkraftanlage bei Hausen vor Wald. 77

Städte und Gemeinden Ein erster Preis für Gremmelsbach Den Kreiswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ gewonnen Gremmelsbach, ein Ortsteil von Triberg, wurde beim Kreiswettbewerb 2000 „Unser Dorf soll schöner werden“ mit dem ersten Preis belohnt. Und eine weitere Au zeich­ nung folgte beim Landeswettbewerb Baden­ Württemberg 2001, wo Gremmelsbach mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde. Gremmelsbach, das Dorf mit seinen tief­ eingeschnittenen Tälern und flachen Höhen, hat ich zu einem großen Teil seinen land­ wirtschaftlichen Charakter bewahrt, wie­ wohl auch hier der Einfluss der Technik zu sehen ist. Die Besitzer kleiner Gütchen an steilen Hängen haben aufgegeben, teilweise ihre Felder an die „großen“ Bauern verpach­ tet, diese aber betreiben die Landwirtschaft professionell mit allen Konsequenzen, nicht mehr Getreidefelder prägen das Bild, son­ dern in der Hauptsache Wiesenflächen, die Grundlage für die Muttertierhaltung und die Fleischerzeugung. Die Landschaft bleibt dadurch offen, wie sie für den südlichen Schwarzwald charakteristisch ist. Für die Erhaltung der Artenvielfalt in Fau­ na und Flora wurde in Gremmelsbach und in einem Teil des angrenzenden Dorfes Nie­ derwas er das Naturschutzgebiet „Schloss­ berg-Hauberg“ ausgewiesen, ein großes zu­ sammenhängendes Biotop. Im vergangenen halben Jahrhundert wur­ den von der Ortsverwaltung alle Möglich­ keiten der Bezuschussung von Bund und Land ausgeschöpft, um mit der modernen Entwicklung Schritt halten zu können. Der Bürgermeister der Kriegs- und Nachkriegs­ zeit, Johann Dold, legte den Grundstein. Sein Nachfolger Hubert Fleig setzte das Werk zielstrebig fort, auf dem der gegenwär­ tige Ortsvorsteher Reinhard Sterz weiter­ bauen kann. Das Dorf verfügt über Gemeindeverbin­ dungsstraßen von 22 km Länge, weitere landwirtschaftliche Wege werden im Rah- 78 men des BZ-Verfahrens gebaut, die Wander­ wege sind gut beschildert, der Tourist findet die Hofnamen an den Bauernhäusern, wäh­ rend der Schulmonate sind Busverbindun­ gen zur Kernstadt Triberg reichlich einge­ richtet. Im Dorfzentrum ist die Straßenbe­ leuchtung erneuert worden. Um die Bau­ substanz in einen besseren Zustand zu brin­ gen und das Ortsbild zu verschönern, wurden die Mittel aus dem DEP (Dorfent­ wicklungsprogramm) und dem ELR (Ent­ wicklung Ländlicher Raum) in Anspruch ge­ nommen. Schul- und Gymnastikgebäude haben ein neues Aussehen bekommen. War Gremmelsbach schon immer ein Dorf der Bauern und „Gewerbler“, so besteht heute eine größere Anzahl von Unterneh­ men, die sichere Arbeitsplätze bieten. Dies sind das Sägewerk Finkbeiner KG, der Gip­ ser- und Stuckateurbetrieb Kaiser GmbH, die Mechanischen Werkstätten A. Schlösser GmbH, Souvenirgeschäfte, die Gastrono­ mie und sonstige Kleinbetriebe. Wann hät­ te das Dorf jemals so vielen Menschen (nämlich über 140) Arbeit gewähren kön­ nen? Eine Arbeitslosenstatistik braucht nicht erstellt zu werden. Alle Betriebe nehmen große Anstrengungen mit Investitionen auf sich, um angenehme und sichere Arbeits­ plätze zu schaffen und um der Konkurrenz standhalten zu können. Vereine die Stütze des Dorflebens In der vorindustriellen Zeit haben die wei­ ten Wege das Vereinsleben fast unmöglich gemacht. Das ist heute grundlegend anders geworden. Vereine gibt es in nie gekannter Zahl und V ielfalt von Interessen. Sie zeigen, dass das Leben auf dem Land keineswegs langweilig zu sein braucht. Es bietet mehr Möglichkeiten sinnvoller Freizeitbeschäfti­ gung, als ein Einzelner wahrnehmen kann.

Gremmelsbach Beim alten EJarrhaus: Das ganze Doif hat mitgehoffen, Gremmelsbach mit vielen Details zu verschönern. Aus eigenem Antrieb hat die Freiwillige Feuerwehr, seit der Eingemeindung zur Stadt Triberg „Abteilungswehr“, einen Schulungs­ und Aufenthaltsraum gebaut. Für nahezu 100 000 DM wurden Eigenleistungen er­ bracht. 51, die Jungmusiker dazugerechnet 59 Mu­ siker, bilden die Musik-und Trachtenkapel­ le Gremmelsbach e.V. Auf die Einwohner­ zahl umgerechnet, ist mehr als jeder zehnte Gremmelsbacher Musiker. 40 Termine wer­ den pro Jahr absolviert, dazu kommen die vielen Proben. Höhepunkt der Veranstaltun­ gen ist das Weihnachtskonzert. Für Gottesdienst und Seelsorge ist Stadt­ pfarrer Josef Läufer von Triberg zuständig. Mit 30 aktiven Sängerinnen und Sängern liegt der katholische Kirchenchor immer noch über der Existenzgefährdung. Außer bei der Gestaltung der Liturgie wirkt er bei Seniorennachmittagen und Heimatabenden mit. In diesem Zusammenhang ist auch die große Schar der Ministrantinnen und Mi­ nistranten zu erwähnen. Ein Verein ebenfalls mit langer Tradition ist der Radfahrverein „Bergradler“. Seine Sa­ che ist das Mountainbike-Rennen, die Ver­ einsmeisterschaften finden im Herbst statt. Im Sommer führt er ein Dorffest durch, in der Adventszeit einen Theaterabend im Landgasthof„Rößle“, der im Pfarrsaal in Tri­ berg wiederholt wird. Der Verein unterhält eine enge Verbindung zu Tribergs Partner­ stadt Frejus. Dem körperlichen Wohlbefinden widmet sich die Gymnastikgruppe der Senioren mit ihren wöchentlichen Zusammenkünften zu sportlicher Betätigung. Schließlich gibt es noch eine Tischtennis­ gruppe, die sich ebenfalls einmal in der Wo­ che in der Gymnastikhalle trifft. Vier Vereine und Teile der Jugend haben in der ehemaligen Postfiliale einen Vereins­ raum geschaffen, ein kleines Schmuckstück. Im Schulgebäude wurden Räume für eine Kindergartengruppe hergerichtet. Die Einwohner finden sich zusammen zu Dorffesten im Zentrum (Radfahrverein, Frei-79

willige Feuerwehr) und Sommerfes­ ten auf der Höhe der „Staude“ (Mu­ sik-und Trachtenkapelle). Hoch her geht es an der Fasnet mit der Narren­ zunft „Holzschuehklepfer“ und den erst 1994 gegründeten „Glepfdoo­ len“. Auf verhältnismäßig wenigJah­ re blickt der Seniorenkreis und hat dennoch schon eine Tradition gebil­ det. Die älteren Mitbürger möchten die gemütlichen Zusammenkünfte, die Vorträge und Ausflüge nicht mehr missen. Mehrere Mütter haben sich zur Kinderbetreuung zusammengefun­ den, sogenannten „Kids-Treffs“, die­ se Einrichtung erfreut sich großen Zuspruchs. Sie organisieren Kinder­ musicals und Gottesdienste. Für den Bastelkreis ist das Werken nicht Selbstzweck und nicht nur Freude an Brunnen am Platz bei der Kird1e. originellen Ideen und deren Umset­ zung, sondern soziales Handeln, denn der Erlös vom Advents- und Pfarrfestbazar kommt sozialen Einrichtungen zugute. Und was nicht hoch genug einzuschätzen ist, die Vereine helfen sich gegenseitig in freund­ schaftlicher Weise bei ihren Festen. Überhaupt die Privatinitiativen in Grem­ melsbach: Für die Jury war sie ein entschei­ dendes Kriterium bei der Preisvergabe. Eine schöne Landschaft allein macht noch kein schönes Dorf Viele müssen zusammenhel­ fen, mitdenken und mitgestalten. Soweit sie noch nicht aufgezählt sind, kommen hinzu: die Fernsehgemeinschaft, die in eigenver­ antwortlicher Arbeit die Verkabelung vom Uhrenbühl bis zum Untertal durchgeführt hat und so Antennen und Satellitenschüs­ seln an den Häusern überflüssig machte. Aus dem Seniorenkreis besuchen Mitglie­ der ältere und kranke Mitbürgerinnen und Mitbürger. Kindergarteneltern halfen beim Bau eines Kleinspielplatzes an der Förder­ schule. Einzelne Bürger übernehmen freiwil- lig die gärtnerische Pflege der Dorfmitte, des Friedhofs mit seiner Aussegnungshalle und einzelner Wanderwege. Um sich vor Überalterung zu schützen, ge­ ben sich die Vereine große Mühe, möglichst viele Jugendliche und schon Kinder für die Vereinsarbeit zu interessieren und wenn möglich zu engagieren. Die Freiwillige Feu­ erwehr hat eine Jugendfeuerwehr gegründet und begeistert sie mit altersgemäßen Veran­ staltungen, desgleichen der Musikverein Trachtenkapelle Gremmelsbach und der Radfahrverein „Bergradler“. Noch vieles ist geplant, um das Leben in Gremmelsbach so angenehm wie möglich zu machen, die Lebensqualität zu verbes­ sern. Die Weiterführung der Straßenbe­ leuchtung ins Untertal ist vorgesehen. An geeigneten Punkten sollen Hinweisschilder mit Angaben zur Geschichte des Dorfes und zu Persönlichkeiten, die im Dorf wirkten oder aus ihm hervorgegangen sind, aufge­ stellt werden. Hinzu kommt die Beschilde­ rung des Wanderwegenetzes insgesamt. Der ,,Kohlplatz“ als „Eingangstor“ zu Gremmels­ bach soll ebenfalls ein neues Gesicht erhal- ten. Karl Volk Gremmelsbach 80

Behörden und Institutionen 4. Kapitel/ Almanach 2002 Der Flugzeugabsturz in Blumberg Aus dem Einsatztagebuch der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen Am Samstag, 26. Mai 2001, wurde für vier Todesopfer vom Flugzeugabsturz im Okto­ ber 2000 am Eichberg in Blumberg ein Ge­ denkstein errichtet. Damit rückte das tragi­ sche Ereignis, bei dem vier Menschen ums Leben kamen, wieder in den Blickpunkt. Was war geschehen und welche Aufgaben hatten die Rettungs-und Einsatzkräfte bei dieser Katastrophe zu bewältigen? Dieser Bericht will versuchen, das komplexe Zu­ sammenspiel verschiedenster Dienststellen und Behörden aufzuzeigen. Rückblick Am 24. Oktober 2000 ging beim zentralen Notruf der Polizeidirektion Villingen­ Schwenningen genau um 17.17 Uhr ein An­ ruf einer Anwohnerin ein. Sie erzählte von einem fürchterlichen Krachen und Bersten am Blumberger Eichberg. Gleichzeitig wur­ de dieses Bersten von zwei Beamten des Po­ lizeiposten Blumberg registriert, die zu die­ sem Zeitpunkt auf Fussstreife waren und von einer Jogger-Gruppe. Schnell war klar, dass es sich hierbei nur um den Absturz ei­ nes Flugzeuges handeln könnte. Dies wurde spätestens um 17.29 Uhr Gewissheit, nach­ dem vom Flughafen Donaueschingen mit­ geteilt wurde, dass von dort ein Flugzeug mit mehreren Insas­ sen vermisst wurde. Sofort wurden Ret­ tungskräfte und Feu- erwehr verständigt, bei der Polizeidirektion wurde ein Einsatzstab eingerichtet, der ab 17.44 Uhr seine Arbeit aufuahm. Eingesetzt wurden hier alle verfügbaren Kräfte der Schutz-und Kriminalpolizei des gesamten Landkreises. Zunächst gestaltete sich die Suche nach dem abgestürzten Flugzeug äußerst schwie­ rig, weil die Absturzstelle in einem sehr un­ zugänglichen und äußerst steilem Waldge­ biet des Eichberges lag. Erst um 17.57 Uhr ging die Meldung ein, dass ein Feuerwehr­ mann das Wrack gesichtet hat und um 18.04 Uhr konnte diese Meldung bestätigt wer­ den. Sämtliche Einsatzkräfte von Rettungs­ diensten, Feuerwehr und Polizei konnten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Ab­ sturzstelle vordringen. Zu diesem Zeitpunkt brannten noch einige Wrackteile, die schließlich um 18.36 Uhr von der Feuer­ wehr gelöscht werden konnten. Durch star­ ke Rauchentwicklung war es jedoch noch ge­ raume Zeit unmöglich, näher an die Wrack­ teile zu gelangen. Zwischenzeitlich war die zuständige Staatsanwaltschaft in Konstanz informiert worden und kurz danach wurde die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchun­ gen in Braunschweig mit den Sachverstän­ digenermittlungen beauftragt. Ein Beauf­ tragter erschien bereits gegen 20.30 Uhr am Ein Flugzeug vom 1yp „Beech 300“ wie es am Eichberg in Blumberg zerschellte. 81

Flugz,ugab turz in Blumberg … -�-� Die Absturzstelle der „Beech 300″ bei Blumberg (oben) und der Unfallort, wie er sich den Rettungs- und Hilfsdiensten nach Beendigung der Lösdunaßnahmen darstellte. 82

Unfallort, der später von drei weiteren Sach­ verständigen unterstützt wurde. Erst nach Ende der gesamten Löschmaß­ nahmen war das Ausmaß der gesamten Ka­ tastrophe sichtbar. Die Beamten der Krimi­ naltechnik der hiesigen Polizeidirektion konnten nun auch ihre Arbeit aufnehmen und erste Erkenntnisse konnten gewonnen werden. Die Maschine war offensichtlich mit hoher Geschwindigkeit gegen den Eich­ berg geprallt und in unzählig viele Trüm­ merteile zerrissen worden. Für die Einsatz­ kräfte war nun auch klar, dass von den In­ sassen diesen Absturz niemand überleben konnte. Nachdem bereits gegen 18.22 Uhr drei Leichen entdeckt wurden, wurde eine vierte Leiche gegen 19.33 Uhr gefunden. Zwischenzeitlich war auch über die Ret­ tungsleitstelle der Feueiwehr ein Notfall­ seelsorger zum Unglücksort beordert wor­ den. Spätestens nach dem Busunglück von Donaueschingen im Jahre 1992, bei dem 20 Insassen tödlich verletzt wurden, hatte sich die Erkenntnis landesweit durchgesetzt, dass gerade Ersthelfer von Katastrophen mög­ lichst noch vor Ort psychologisch betreut werden müssen, um einer möglichen post­ traumatischen Beeinträchtigung vorbeugen zu können. Auch hier strömte auf die Ein­ satzkräfte eine Vielzahl belastender Ein­ drücke ein. Ennittlungen zum Ablauf des Unglücks Nun galt es die Personalien der Toten zu ermitteln und nähere Informationen über den Ablauf des Unglücks festzustellen. Hier­ bei stellte sich heraus, dass das Flugzeug ei­ ner Braunschweiger Firma im Rahmen der Installierung eines Instrumentenlandever­ fahrens am Verkehrslandeplatz Donauesch­ ingen Vermessungen durchgeführt hatte. Zu diesem Zweck war ein hierfür mit speziellen Geräten ausgerüstetes Flugzeug eingesetzt. Gegen 14.32 Uhr war die zweimotorige Tur­ boprob-Maschine vom Typ „Beech 300″ vom Flughafen Donaueschingen gestartet. Ne­ ben zwei Piloten war sie mit zwei Messinge- Behörden und Institutionen nieuren besetzt. Die Verunglückten stamm­ ten aus verschiedenen Städten in Nord- und Ostdeutschland und waren zwischen 29 und 47 Jahre alt. Gegen 17.10 bestand letztmalig Funkkontakt, Probleme wurden hierbei kei­ ne genannt. Noch in der Nacht wurde das Amt für Was­ ser- und Bodenschutz des Landratsamtes verständigt, da aus dem Wrack Kerosin aus­ gelaufen war. Die Staatsanwaltschaft hatte zwischenzeitlich die Beschlagnahme des Unglückortes angeordnet. Eine Polizeihun­ dertschaft aus Freiburg sicherte daraufhin den Bereich über Nacht ab. Die Untersu­ chungen wurden gegen 0.50 Uhr vorüber­ gehend eingestellt und gegen 6.17 Uhr am folgenden Tage wieder aufgenommen. Am Vormittag wurde die verständigte Tatort­ gruppe des Landeskriminalamtes mit einem Polizeihubschrauber eingesetzt, um Luft­ aufnahmen des Unfallortes zu machen. Am frühen Vormittag begannen auch die Unter­ suchungen durch Mediziner der Freiburger Gerichtsmedizin vor Ort, die von den Be­ amten der Kriminaltechnik unterstützt wur­ den. Hier erhoffte man sich Anhaltspunkte über die Identität der Toten und deren ur­ sprünglicher Positionierung im Flugzeug. Ziel war, auch später möglichst die Frage be­ antworten zu können, wer die Unglücksma­ schine geflogen hatte. Im Zeitalter der stark gewandelten Me­ dienlandschaft war während dieses Einsat­ zes nicht nur wichtig, den Einsatz sinnvoll zu organisieren, sondern auch der Umstand, dass verschiedenste Medienvertreter von Presse, Radio und Fernsehen selbstverständ­ lich großes Interesse daran hatten, vor Ort und aktuell über dieses Unglück zu berich­ ten. Daher war es notwendig, auch eine Pres­ sestelle im Einsatzstab mit zwei Beamten zu besetzen. Ein Beamter war beim Führungs­ und Einsatzstab integriert, um ständig die neuen Informationen an die örtlichen und überregionalen Medien weiterzuleiten. Ein weiterer Pressesprecher war notwendig, um vor Ort zu gewährleisten, dass einerseits die Untersuchungen uneingeschränkt durchge- 83

Flugzeugabsturz in Blumberg führt werden konnten und andererseits den Journalisten auch zu ermöglichen, vor Ort Aufnahmen zu fertigen und Erklärungen nach dem jeweils aktuellen Stand abzuge­ ben. Hier zeigte sich, dass sowohl die Ret­ tungs- und Ermittlungskräfte einerseits als auch die Medienvertreter andererseits Ver­ ständnis für die jeweiligen Aufgabengebiete aufbrachten. Nur so war es möglich, dass immer wieder Medienvertreter an den Un­ glücksort herangeführt werden konnten, wo dann jeweils für eine geraume Zeit die Ar­ beiten unterbrod1en werden mussten. Dies war nicht immer ganz einfach, weil bei­ spielsweise auch während der Bergungs- und Identifizierungsmaßnahmen teilweise auch die Leichen immer wieder abgedeckt werden mussten. Nachdem am späten Nachmittag des zwei­ ten Tages die Arbeiten am Unfallort abge­ schlossen waren und die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme aufgehoben hatte, wur­ de das Technische Hilfswerk Donaueschin­ gen mit der Bergung der Wrackteile beauf­ tragt und die Unfallstelle geräumt. Die ge­ samten Teile wurden abtransportiert und in einer eigens dafür angemieteten Halle in Donaueschingen eingelagert. Die Wracktei­ le waren sd1ließlid1 Beweismittel und wur­ den später zur Bundesstelle für Flugunfall­ untersuchung nach Braunschweig zur weite­ ren Auswertung gefahren. Nach der eindeutigen Identifizierung der vier Todesopfer galt es nun auch, den An­ gehörigen, darunter eine schwangere Ehe­ frau, die traurige Gewissheit zu überbrin­ gen. Dies oblag den Polizeidienststellen der jeweiligen Wohnorte. Geraume Zeit später wurde, zusammen mit den-Angehörigen, auch ein Trauergot­ tesdienst gehalten. Die Organisation und Durchführung lag hierbei beim Notfall­ seelsorger. Die gesamten durchgeführten Maßnah­ men verschiedenster Untersuchungsstellen und Behörden lief in vorbildlicher Weise ab. Die Koordination erfolgte durch den Füh­ rungs- und Einsatzstab der Polizeidirektion. 84 Wrack/eile des abgestürzten Flt1gzeuges. Dieser hatte sich nach der Reorganisation der Polizei des Landes Baden-Württemberg auch in Villingen-Schwenningen neu struk­ turiert. Die frühere strikte Trennung von Schutz- und Kriminalpolizei war durch die­ se Umstrukturierung aufgehoben worden. Die Katastrophe in Blumberg war die erste große Bewährungsprobe und zeigte, dass diese Maßnahme äußerst effektiv war. Dieser Einsatz zeigte, dass bei derartigen Katastropheneinsätzen eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen werden müssen, die in ihrer Komplexität nur annähernd geprobt werden können. Es zeigte sich, dass es hier­ bei äußerst wichtig ist, dass vom Absperr­ und Einweisungsposten bis hin zu den ver­ schiedenen Sachverständigen vor Ort ein Team auf Zeit sind. Dieses kann nur dann funktionieren, wenn, wie es sich hier gezeigt hat, jeder und jede eingesetzte Person mit großem Engagement tätig werden. Noch sind die Untersuchungen nicht gänz­ lich abgeschlossen, zur Unglücksursache kann jedoch gesagt werden, dass zur Unfall­ zeit starker Nebel herrschte und der ortsun­ kundige Pilot auf Sichtflug war und den in Wolken verdeckten Eichberg offensichtlich zu spät wahrgenommen hat. Anhaltspunk­ te auf defekte Instrumente im Flugzeug lie­ gen nicht vor. Wo!fgang Schyle, (Pressesprecher Polizeidirektion VS)

Arbeitsamt mit kundenorientierten Teams Behörden und Institutionen Dienstleistungen sollen verstärkt „vor Ort“ angeboten werden Seit April 2001 ist es soweit: Das Arbeits­ amt Villingen-Schwenningen mit seinen Ge­ schäftsstellen in Donaueschingen, Furtwan­ gen, St. Georgen und in Schweoningen hat sich endgültig neu strukturiert. Im Mittel­ punkt der Neuorganisation steht der Über­ gang von der bisher stärker arbeitsteilig ori­ entierten Spartenorganisation zur ganzheit­ lich ausgerichteten, kundenorientierten Team­ organisation. Damit verbunden ist, aus dem breiten Dienstleistungsangebot vieles „vor Ort“, also in den Geschäftsstellen, anzubie­ ten. Arbeitsamtsdirektor Uwe Kurt Wilsser: „Die unterschiedlichen Anliegen der Kun­ den, wie Information und Beratung, Ver­ mittlung in Arbeit oder Ausbildung sowie Leistungen zum Lebensunterhalt und zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplät­ zen, werden nun ganzheitlich von Mitar­ beiter-Teams erledigt.“ Die nachhaltigen Veränderungen der ge­ sellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und fiskalischen Rahmenbedingungen füh­ ren dazu, dass sich Unternehmen wie öf­ fentliche Verwaltungen reformieren und an­ passen. Dies gilt im besonderen für die Bun­ desanstalt für Arbeit (BA), die aufgrund ih­ rer vielfältigen Aufgaben in starkem Maße von den veränderten Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Arbeitsamtsdirektor Uwe Kurt Wilsser: ,,Die Arbeitsverwaltung sieht es als eine ih­ rer Aufgaben an, Aufbau- und Ablauforga­ nisation immer wieder zu überprüfen und zu verbessern. Dies geschieht nicht, weil die bisherige Organisation versagt hat. In ihrer fast 80-jährigen Geschichte haben sich die Arbeitsämter den unterschiedlichen wirt­ schafts- und arbeitsmarktpolitischen Her­ ausforderungen jeweils mit großem Engage­ ment gestellt. Sie haben durch ihre Arbeit und Leistungen dazu beigetragen, Arbeit- nehmem und Arbeitgebern mit Rat und Tat zu helfen und den sozialen Frieden zu er­ halten.“ Mit der Einrichtung kundenorientierter Mitarbeiter-Teams wurden die bisher nach fachlichen Zuständigkeiten gegliederten drei Abteilungen Arbeitsvermittlung und Ar­ beitsberatung, Berufsberatung und Ausbil­ dungsstellenvermittlung sowie Leistungsge­ währung in zwei Kundeobereiche überführt. Daneben steht der Verwaltungsbereich. Die Kundenbereiche sind verantwortlich für sämtliche Fachaufgaben, die Verwaltung sorgt für die Bereitstellung der dafür not­ wendigen personellen und infrastrukturel­ len Ressourcen. Führungs- und Ausführungsaufgaben sind voneinander getrennt. Waren es bisher drei, sind nun zwischen Direktor und den Teams nur noch zwei Führungsebenen gebildet. Führungsaufgaben werden grundsätzlich außerhalb der Teams von Kundenbereichs­ und Teamleitem wahrgenommen. Selbstregulierende Teamarbeit Die Mitarbeiter-Teams sind mit weitge­ hend selbstregulierender Teamarbeit und größerer Entscheidungskompetenz für die Ausführungsaufgaben zuständig. Für den Kunden bedeutet dies: Im Regelfall nur noch ein bis zwei Ansprechpartner. Schät­ zungsweise 30-40 Prozent der Kunden kön­ nen ihr Anliegen an Kundentheken erledi­ gen, was zu noch kürzeren Wartezeiten führt. Für intensive Einzelberatungen wer­ den darüber hinaus individuelle Termine vereinbart. Da Vorgänge nicht mehr über Abteilungsgrenzen laufen, werden Bearbei­ tungszeiten und Entscheidungswege kürzer. Damit aus Abteilungsgrenzen nicht Team­ grenzen werden, gibt es in festen Gespräch- 85

Behörden und Institutionen Teamarbeit und Kundenorientierung steht beim Arbeitsamt an erster Stelle, damit verbunden ist auch eine hochmoderne Informationsverarbeitung. dungs-Stellen-Informations-Service (ASIS) und nicht zuletzt dem Arbeitgeber-Infor­ mations-Service (AIS) mit Bewerberangebo­ ten in allen Geschäftsstellen und im Inter­ net, bietet das Arbeitsamt bereits eine brei­ te und viel genutzte Palette von Selbstinfor­ mationsmöglichkeiten an. Dies wird sowohl für die Kunden wie für die Mitarbeiterlnnen weiter ausgebaut. Unter dem Zugang über die Homepage der Bundesanstalt für Arbeit (www.arbeitsamt.de) stellt das Arbeitsamt Villingen-Schwenningen regionale Informa­ tionen und Angebote ein. Direktor Wilsser: ,,Die telefonische Er­ reichbarkeit gab immer wieder Anlass zur Kritik. Wir versuchen mit Maßnahmen, die unsere veränderte Ablauforganisation nun bietet, eine Verbesserung herbei zu führen.“ Innerhalb der Kundengruppen wurden An­ laufstellen mit speziellen Teamrufuummern eingerichtet, die in das neue amtliche Tele­ fonbuch aufgenommen wurden. Erfahrungs­ gemäß kann von den Mitarbeitern dieser Erreichbarkeit verbessert Ausbau der Informationsverarbeitung foren einen regelmäßigen Erfahrungsaus­ tausch. Neben der fachlichen Seite werden hier auch Erkenntnisse weiter transportiert, die in die Weiterentwicklung der Ablaufor­ ganisation einfließen können. Die veränderte Aufbau-und Ablauforga­ nisation und der Anspruch, die Dienstlei­ stung für die Kunden möglichst aus einer Hand zu erbringen, erfordern eine moderne Informationsverarbeitung. Alle Arbeitsplät­ ze sind mit leistungsfähigen, vernetzten Per­ sonal-Computern ausgestattet, auf denen ei­ ne Vielzahl der bereichs-und funktionsori­ en tierten IT-Verfahren integriert sind. Dies wird laufend weiter entwickelt und verbes­ sert. Mit dem Berufsinformationszentrum (BIZ) im Arbeitsamt Villingen-Schwenningen, dem mobilen Berufsinformationszentrum (BIZ mobil), das jährlich in Blumberg und Furt­ wangen im Einsatz ist, dem Stellen-Infor­ mations-Service (SIS) für Arbeitnehmer, der Bildungsdatenbank (KURS), dem Ausbil- 86

Anlaufstellen ein großer Teil der Anliegen sofort abschließend bearbeitet werden. Die verbleibenden Anrufe werden an die für die Aufgabe zuständigen „Spezialisten“ weiter­ geleitet oder es wird sichergestellt, dass der Anrufer von einem kompetenten Mitarbei­ ter zurückgerufen wird. Eine andere Stoß­ richtung gilt es aber auch im Auge zu be­ halten: Wer über die erforderlichen Infor­ mationen verfügt, braucht nicht anzurufen! Leistungsberater für Arbeitnehmer und Arbeitgeber In die Teams sind Leistungsberater inte­ griert, die vornehmlich aus dem bisherigen mittleren Führungsbereich der Gruppenlei­ ter kommen. Ihre Aufgabe ist in erster Linie die qualifizierte Kundenbetreuung ab dem Erstkontakt mit Arbeitnehmern oder Be­ trieben durch frühzeitige Aufklärung in lei­ stungsrechtlichen Angelegenheiten und ei­ ne individuelle Hilfestellung als Teil der In­ tensivierung des Betreuungsprozesses. Ex­ tern wirken sie beispielsweise als Ansprech­ partner für Betriebe in solchen Fragen und koordinieren den weiteren Ablauf im Amt. Ein zusätzlicher Aufgabenbereich ist die In­ tensivierung der Zusammenarbeit mit ande­ ren Leistungsträgern, Behörden, Verbänden und Institutionen. Das Team unterstützen sie beratend, um Bearbeitungsprozesse in Leistungsangelegenheiten zu verkürzen und Fehlerquoten zu senken. Uwe Kurt Wilsser: ,,Trotz intensiver Vor­ bereitung, allerdings neben dem laufenden Tagesgeschäft, und zahlreichen auch künfti­ gen Schulungsmaßnahmen, kann nicht alles von Anfang an rund laufen. Dafür bitte ich um Verständnis. Ich bin aber sicher, dass der eingeschlagene Weg zu einer noch besseren Kunden- und auch Mitarbeiterorientierung führt.“ Erste Erfahrungen Erste eigene Erfahrungen und Ergebnisse aus Modellämtern stützen dies. Nach dem Arbeitsamt Villingcn·Schwenningen Testbericht der „Stiftung Warentest“ schnei­ den bei den Kunden die vier Modellämter gegenüber den anderen sieben in die Besu­ cherbefragung einbezogenen Arbeitsämtern besser ab. Das unter dem Titel „AA 2000″ laufende Konzept wird in der Zeitschrift „Test“ vom August 1998 als der eigentliche Testsieger bezeichnet. Auch bei der Ge­ genüberstellung der Arbeitsergebnisse sind bei den neu organisierten Arbeitsämtern bei der überwiegenden Zahl der Werte bereits günstigere Entwicklungen zu beobachten. Kunden- und Mitarbeiterbefragungen be­ gleiten diesen Prozess. Sie sind aber darüber hinaus fester Bestandteil der Organisati­ onsphilosophie. Ergebnisse einer solchen Befragung für das Arbeitsamt Villingen­ Schwenningen werden derzeit analysiert und in den Veränderungsprozess einbezo­ gen. Wilsser: ,,Die Neuorganisation ist zwar vollzogen, wir begreifen dies allerdings als eine, wenngleich grundlegende Station in­ nerhalb einer fortschreitenden dynamischen Entwicklung, in der wir mehr agieren als rea­ gieren wollen.“ Das Instrumentarium dafür bietet das „Neue Steuerungsmodell“ der Bundesanstalt für Arbeit mit den wesentli­ chen Bestandteilen „Controlling“ und „Lei­ stungsorientierte Führung“. Umstellung für alle Arbeitsämter Die Neuorganisation umfasst bundesweit alle Gliederungsebenen der BA mit zusam­ men rund 86 000 Mitarbeiterlnnen, also ne­ ben den 181 Arbeitsämtern mit ihren über 600 Geschäftsstellen auch die Landesar­ beitsämter und die Hauptstelle in Nürn­ berg. In Baden-Württemberg wurde Villin­ gen-Schwenningen zusammen mit sechs weiteren der 24 Arbeitsämter gleich zu Be­ ginn mit einbezogen. Insgesamt soll die Umstellung aller Arbeitsämter bis Ende 2002 vollzogen sein. 87

5. Kapitel/Almanach 2002 Bildungseinrichtungen Eine Trainingstmna für Schüler gegründet „Jochen Rofall Handels- und Service GmbH“ muss sich am Markt behaupten Die Jochen Rofall Handels- und Service GmbH ist ein neu gegründetes Unterneh­ men, das aus einem Pilotprojekt des Kultus­ ministeriums Baden-Württemberg hervor­ gegangen ist. Die Belegschaft besteht aus ausgewählten Schülern der David-Würth­ Schule Villingen-Schwenningen. Die Zielsetzung des Projekts besteht darin, durch die Kooperation von Schule und Wirt­ schaft Theorie und Praxis in Einklang zu bringen, um einerseits den Schülern den Ein­ stieg in die Berufswelt zu erleichtern, anderer­ seits der Wirtschaft qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Da der Erfolg eines Unternehmens weitge­ hend von der Q!ialifikation der Mitarbeiter bestimmt wird, sei die Ausbildung junger Menschen eine wichtige unternehmerische Aufgabe, so der Personalvorstand der Man­ nesmann VDO AG (jetzt Siemens VDO AG) Manfred Brammen. Anlässlich der Podi­ umsdiskussion Schule und Wirtschaft im Wandel, veranstaltet von der Jugendinitiati­ ve Schwarzwald Baar, wurde deshalb die Idee einer Trainingsfirma geboren. Aufgrund dieser Empfehlung und der Un­ terstützung weiterer Unternehmen aus der Region wurde ein konkretes Projekt – nach­ dem ein geschäftsführender Gesellschafter ge­ funden war – mit der Gründung einer Trai­ ningsfirma am 12. November 1999 verwirk­ licht. Die Jochen Rofall Handels- und Service GmbH ist ein real existierendes Unterneh­ men, welches sid1 am Markt mit anderen konkurrierenden Betrieben behaupten muss. Als Rechtsform wurde bewusst nicht die ge­ meinnützige GmbH gewählt, obwohl sich dadurch steuerliche Vorteile ergeben hätten. So ist die Jochen Rofall Handels- und Ser­ vice GmbH ein ganz normaler Wirtschafts- 88 betrieb, der Gewinn erzielen will und des­ halb auch Körperschaft-, Lohn-, Umsatz­ und Gewerbesteuer abführen muss. Die Trainingsfirma ist ein in dieser Form einzigartiger Schulversuch des Kultusminis­ teriums Baden-Württemberg als Reaktion auf die veränderten Bedingungen im Um­ feld Wirtschaft – Schule, in dem die Schü­ ler praktische Erfahrungen für das Berufsle­ ben sammeln und umsetzen können. Die Geschäftsleitung liegt in den Händen des geschäftsführenden Gesellschafters Jo­ chen Rofall sowie Elisabeth Weber und Ger­ hard Packmohr, beide Lehrkräfte der David­ Würth-Schule. Die Geschäftsräume der Ge­ sellschaft befinden sich in den Räumen der Mannesmann VDO (jetzt Siemens VDO AG) in der Heinrich-Hertz-Str. 45 in Villin­ gen-Schwenningen (Stadtbezirk Villingen). Die ca. 62 Mitarbeiter setzen sich aus Schü­ lern des Berufskolleg 1 und 2 der David­ Würth-Schule zusammen. Dabei muss jeder Schüler einen Tag in den Betrieb nach Vil­ lingen, die restlichen vier Wochentage sind Schultage in Schwenningen. Somit ist ein Betriebsablauf von Montag bis Donnerstag gewährleistet. Den Schülern stehen 16 modern ausgestat­ tete Arbeitsplätze mit den entsprechenden Kommunikationsmedien (Telefon/Fax, leis­ tungsfähige über Netzwerk verbundene PC, Internet) zur Verfügung. Jobsharing -Jobrotation Im Gegensatz zu herkömmlichen Betrie­ ben muss der Grundsatz „ein Mitarbeiter – ein Arbeitsplatz“ bei der Jochen Rofall Han­ dels- und Service GmbH organisationsbe­ dingt konsequent durchbrochen werden, da jeden Tag die Belegschaft wechselt. Ein Ar-

Trainingsfrrma für Schüler Die Mitarbeiter der „Jochen Rofall Handels- und Service GmbH“ sind Schüler, doch ihre Trainingifirma muss sich am Markt behaupten. beitsplatz wird damit auf vier Mitarbeiter aufgeteilt Oobsharing). Innerhalb von zwei Jahren durchlaufen die Mitarbeiter sämtliche Abteilungen und er­ halten dadurch einen intensiven Gesamt­ überblick über die betrieblichen Abläufe in einem Handelsunternehmen 0obrotation). Diese flexible Arbeitsorganisation erfor­ dert ein hohes Maß an Kooperation, Kom­ munikation und Teamfähigkeit zwischen al­ len Beteiligten. Die Aufbauorganisation Gegliedert ist die Jochen Rofall Handels­ und Service GmbH in die Bereiche Einkauf und Materialwirtschaft Marketing und Vertrieb Rechnungswesen / Controlling Personalwesen Jede Abteilung besteht aus drei Sachbear­ beitern sowie einem/er Abteilungsleiter/in, der/die gegenüber der Geschäftsleitung be- richtet und die Aktivitäten zu verantworten hat. Für die Schüler ist es mitunter nicht ein­ fach, gegenüber Gleichaltrigen Führungsauf­ gaben wahrzunehmen. Probleme werden mit Hilfe der Geschäftsleitung im Team bespro­ chen. Die Produktpalette Unterteilt ist die Angebotspalette der Jo­ chen Rofall Handels-und Service GmbH in Dienstleistungen und Handelswaren. Die Dienstleistungen beinhalten: Vereinsverwaltung Schreib-und Kuvertierarbeiten Erstellung betriebswichtiger Statistiken Messevorbereitungen und -Unterstüt­ zung Abwicklung von Inventuren Erstellung von Homepages (geplant) Die Handelswaren umfassen: Schul-und Büro-Organisationsmittel, Geräte zur Visua­ lisierung (Tageslichtprojektoren, Beamer), 89

Trainingsfirma für Schüler Formulare sowie Schulbücher. Die Kooperation zwischen Wirtschaft und Schule zeigt sich auch im Beirat, der sich wie folgt zusammensetzt: Ek­ kehard Achterberg (Oberstudi­ endirektor), Karl Heim (Land­ rat), Friedrich Huonker (Steu­ erberater), Prof. Dr. Manfred Matusza (Oberbürgermeister), Günter Nierhaus (Leiter Perso­ nal- und Sozialwesen, Siemens VDO AG), Günter Rath (Mi­ nisterialrat) und Franz Wiebelt (Geschäftsführender Gesell- Die Internetseite der Trainingsfirmaßir Schüler in VS-Villingen, die schafter der F. W. Wiebelt GmbH). sich als Handels- und Service GmbH am Markt behaupten muss. keit, Disziplin, Konzentration, Ausdauer, Belastbarkeit, Umgangsformen. Die Vermitt­ lung dieser Schlüsselqualifikationen gelingt hierbei wesentlich effizienter als im reinen theoretischen Schulbetrieb, da die Mitarbei­ ter sich mit „ihrem Betrieb“ identifizieren und motiviert sind. Erleben Sie doch einmal selbst die Schüler und kommen Sie zu einem Tag der offenen Tür. Oder besuchen Sie unverbindlich die Jochen Rofall Handels- und Service GmbH in ihren Betriebsräumen bzw. im Internet (www.rofall-gmbh.de). Gerhard Packmohr Die Anschrift: Jochen Rofall Handels- und Service GmbH Heinrich-Hertz-Straße 45 78052 Villingen-Schwenningen Tel: 07721/508217 E-Mail: rofallgmbh@t-online.de Internet: www.rofall-gmbh.de Erfahrungen und Ausblick Die Jochen Rofall Handels- und Service GmbH versucht durch eine enge Koopera­ tion zwischen Wirtschaft und Schule die ge­ änderten Bedingungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes zu beant­ worten. Die Mitarbeiter werden unter Be­ rücksichtigung moderner Informationstech­ nologie qualifiziert betriebswirtschaftlich ausgebildet. Organisationstechnisch erfordert die Ar­ beitsorganisation in Form von Jobsharing und Jobrotation ein hohes Maß an Kommu­ nikation, Teamarbeit und Flexibilität. Lieferanten bzw. Kunden der Jochen Ro­ fall Handels- und Service GmbH haben zu­ künftigen Absolventen der Trainingsfirma jetzt schon Ausbildungsplätze angeboten. Laut Nachfrage in den neuen Unternehmen bewähren sich diese Auszubildenden her­ vorragend. Dies zeigt die Akzeptanz dieses Pilotprojektes seitens der Wirtschaft. Als Wettbewerbsunternehmen muss sich die Jochen Rofall Handels- und Service GmbH am Markt messen lassen und strebt die Erwirtschaftung eines angemessenen Ge­ winnes an. Voraussetzung hierzu sind entsprechende Q!ialifikationen der Mitarbeiter: Team fähig- 90

Eine Schulgründung mit Folgen Die Großherzoglich Badische Uhrmacherschule zu Furtwangen 150 Jahre alt Bildungseinrichtungen weitaus aktiver als die meisten Mitglieder des Vereins. Sie haben sich später auch bei der Mai Revolution von 1849 engagiert und exponiert und wurden nach deren Nieder­ schlagung entsprechend bestraft. Die Spur des ersten Vorsitzenden, des Kunstmalers Casimir Stegerer aus Vöhrenbach, verliert sich auf der Flucht nach Amerika. Der Schildmaler Romulus Kreuzer, der zweite Vorstand, kam ganz gut davon. Doch auch er hat damals revolutionäre Gedanken ver­ treten. Als Ratsschreiber unterstützt er 1848 den Heckerzug, im Sommer 1849 finden wir ihn als Wehrmann im Gefecht gegen die Preussen bei Kuppenheim. Der Kassier, der fürstenbergische Förster Ernst aus Rohr- Die Schwarzwälder Uhrmacherei galt um 1840 unbestritten als besonders geglücktes Modell in der deutschen Gewerbeland­ schaft. In einer rauhen Gebirgsgegend hat­ ten sich Gewerbefleiß und bescheidener Wohlstand entwickeln können. Extreme Not­ lagen jedenfalls, wie sie damals im T hürin­ ger Wald, im Erzgebirge oder im schlesi­ schen Bergland verzeichnet werden mußten, blieben dem uhrenmachenden Schwarzwald erspart. Doch nach 1840 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage, die Ursachen dafür sind noch nicht genügend erforscht. Unstrit­ tig ist, das Uhrengewerbe war vielfach zur Routine verflacht, die Arbeitsproduktivität stieg nur langsam, billige Uhren nach neuer Technologie mit Metallwerken aus den USA bedrohten die Schwarz­ wälder besonders auf den lukrati­ ven britischen Märkten. Verschärft wurde die Situation durch zwei Mißernten in den Jah­ ren 1845 und 1846. Der »Ein-Kreu­ zer-Wecken“, ein populärer Maß­ stab für Teuerung, wog im Frühjahr 1847 nur noch 2 1/2 Loth, statt der üblichen 6 Loth. Not zwang des­ halb zur Solidarisierung. Am 13. Mai 1847, es war ein Himmelfahrts­ tag, trafen sich im (alten) Schönen­ bacher „Löwen“ 68 Uhrmacher und dem Gewerbe nahestehende Personen, um den „Gewerbsverein für den uhrenmachenden Schwarz­ wald“ zu gründen, der bald über 700 Mitglieder aus 35 Gemeinden umfassen sollte. Im Rückblick wird erkennbar, die Mitglieder des vorläufigen Vor­ stands gehörten mit einer Ausnah­ me nicht dem Uhrengewerbe an, sie waren zudem auch politisch Die alte Uhrmacherschule in der Allmendstraße 51. 91

Bildungseinrichtungen bach, wurde gemaßregelt, während der Sek­ retär und Schriftführer.Johann Georg Schult­ heiß, aus St. Georgen, lange Jahre im Pariser Exil ausharren mußte. Doch es war dieser Personenkreis und nicht der im Spätjahr ge­ wählte endgültige Vorstand, der die ent­ scheidenden Bittschriften nach Karlsruhe auf den Weg brachte. Kontroverse Diskussionen V iele Fragen wurden auf den Versammlun­ gen der Uhrmacher kontrover diskutiert, doch Einigkeit bestand hinsichtlich der For­ derung nach einer Uhrmacher chule mit Lehrwerkstätten (,,Musterwerkstätten“). Die Ziele wurden von den Betroffenen formu­ liert. Man erhoffte sich Hilfe bei der Steige­ rung der Arbeitsproduktivität, aber ebenso verkaufsfördernde Vorschläge zur äußeren Gestaltung der Uhren. Ausgeweitet werden sollte der Bau federgetriebener Tischuhren (,,Stockuhren“), die bisher nur wenige Mei­ ster im Programm hatten. Doch besondere Hoffnungen wurden verbunden mit der Einführung der Taschenuhrmacherei auf dem Schwarzwald. Die Wünsche und Vorschläge der Uhrma­ cher stießen bei den damaligen Entschei­ dungsträgern auf Zustimmung und Unter­ stützung, vom Großherzog über die beiden Kammern bis zu den zuständigen Ministe­ rien. Man wollte rasch helfen, man wollte großzügig helfen, aber – und das wurde von Furtwanger Zeitgenossen übersehen – man wollte nur zeitlich begrenzt helfen. Es soll­ te eine staatliche Hilfe sein, die Selbsthilfe auslöst. Immerhin, das sei im Vorgriff hier genannt, bis 1857 lag der Etat der Furtwan­ ger Uhrmacherschule höher als die staatli­ chen Zuschüsse für die badischen Gewerbe­ schulen insgesamt. Mit den Planungs- und Vorbereitungsar­ beiten für die neue Uhrmacherschule wurde der Karlsruher Physikprofessor Wilhelm Ei­ senlohr (1799-1872) beauftragt. Man sollte ihn nicht verwechseln mit seinem Vetter, dem Architekten Friedrich Eisenlohr, dem wir den Entwurf des Bahnhäuslekuckucks verdanken. Wilhelm Eisenlohr besuchte zu- Die Großherzog/ich Badische Uhrmacherschule um 1910. Der Fachwerkbau war am 15. September 18 91 feierlich eingeweiht worden. 92

sammen mit dem universellen Furt­ wanger Uhrmacher Lorenz Bob und dem Vöhrenbacher Ta­ schenuhrmacher Xaver Heine im Frühjahr 1849 die Uhr­ machergebiete Frankreichs und der Schweiz, um Werk­ zeuge und Musteruhren zu kaufen und um einen Werk­ stattleiter für die Taschen­ uhrmacherei zu verpflich­ ten. Im Februar 1849 ist es Wilhelm Eisenlohr gelun­ gen, die Diskussion um den Standort der neuen Schule zu versachlichen, denn Lokalstolz und Konkurrenzneid zwischen den vier Bewerbern Neustadt, Tri­ berg, Vöhrenbach und Furtwangen, droh­ ten zu eskalieren. Schließlich hatte er auch die didaktische Struktur der Schule entscheidend beein­ flußt, so konnte eine auch modernen An­ sprüchen genügende Berufsfachschule ent­ stehen, bei der die praktische Ausbildung in den Werkstätten (etwa 750/o der Ausbil­ dungszeit) verbunden war mit der theoreti­ schen Unterweisung in der pflichtmäßig zu besuchenden Gewerbeschule. Als Hauptleh­ rer für die Stockuhrmacherei wollte Eisen­ lohr den Reutlinger Uhrmacher Matthäus Hipp berufen, doch der hatte sich politisch engagiert, er war „demokratischen Grund­ sätzen“ verpflichtet. Nach der niedergeschla­ genen Revolution von 1849 konnte auch höchste Fachqualifikation politische Beden­ ken nicht aufwiegen. Hipp erlangte bald überregionalen Ruf als Pioniererfinder auf dem Gebiet des Telegraphenwesens und zählt weltweit zu den Großen der elektri­ schen Zeitmessung. Die Eröffnung der Uhnnacherschule Zwischen den Petitionen vom August 1847 und dem Spätjahr 1849 waren mehr als zwei Jahre vergangen, offenbar damals – im Vergleich zu heute – eine recht lange Pla- Furtwanger Uhrmacberschule Robert Gerwig (J 820 -18 85) war in den Jahren 1850 bis 1857 erster Di­ rektor der Furtwanger Uhrmacher­ schule. nungszeit. Jedenfalls dräng­ te jetzt die Verwaltung. Zum Hauptlehrer für Stock­ uhrmacherei wurde der Furtwanger Lorenz Bob berufen, als Taschenuhrma­ cher der Dresdner Carl Flammger. Robert Gerwig mußte, das Wort ist hier be­ wußt gewählt, die Schulleitung übernehmen, denn offenbar gab es damals in Baden keinen jüngeren Beam­ ten, bei dem herausragende technische Fä­ higkeiten in ähnlicher Weise wie bei ihm kombiniert waren mit Loyalität zum Fürs­ tenhaus. Das Innenministerium übte schar­ fen Druck aus auf Gerwigs Behörde, ihn so­ fort in den Schwarzwald abzuordnen. Am 5. März wurde die Großherzoglich Ba­ dische Uhrenmacherschule zu Furtwangen im Rahmen einer Arbeitstagung eröffnet. Den Höhepunkt der Leistungsfähigkeit er­ reichte die Institution im Schuljahr 1851/52. Die Werkstatt der Taschenuhrmacher war mit 18 „Zöglingen“ voll ausgelastet, die Stockuhrmacherei mit 17 nahezu. Neben den Lehrwerkstätten gab es eine größere Gewerbeschule, auch für Externe, und verschiedene Zeichenkurse für beide Geschlechter. An der Schule waren damals 12 Personen beschäftigt, davon befassten sich allerdings drei ausschließlich mit Aufga­ ben der Gewerbeförderung. Während die Ausbildung funktioniert hat, wenn auch über allzu viele Abbrüche geklagt wurde, stießen viele Vorschläge zur Verbesserung der Technologie, etwa nach Typisierung, auf den Widerstand der Kleinmeister. Auch die Taschenuhrfertigung konnte trotz Grün­ dung einer von Bürgern finanzierten Akti­ engesellschaft nicht reussieren. 93

Bildung einrich1ungen Als Robert Gerwig 1857 nach langem Drängen als Schullei­ ter ausscheiden durfte, stand die Einrichtung erstmals zur Disposition, konnte aber in Zusammenarbeit von Schwarzwälder Honora­ tioren und Karlsruher Mi­ nisterialbeamten gerettet werden. Ein besonders qua­ lifizierter Taschenuhrmacher – Jess Hans Martens – wurde ver­ pflichtet, ebenso wie sein Vor­ gänger aus La Chaux de Fonds. Ein neues Organisationsstatut stellte stärker auf privatwirtschaftliche Nut­ zung ab. Die wöchentlichen Ausbildungs­ zeiten stiegen von bisher gut 60 auf über 70 Stunden je Wod1e. Jetzt wurden die Zöglin­ ge wirklich nicht mehr „verzärtlicht“, wie vorher manche Kritiker meinten. Dod, En­ de 1863 mußte auf Anordnung des Han­ delsministeriums die Uhrmad,erschule schließen. Die verbleibenden Lehrlinge hat­ ten jedoch dadurch keine Nachteile. Nach Meinung der Behörde reichte die Zahl der bisher Ausgebildeten aus, um dem Gewerbe nachhaltige neue Impulse zu geben. Die Neugründung der Uhnnacherschule Furtwangen behielt eine Gewerbeschule und wurde bald als „Filiale“ in das badische Gewerbeförderprogramm einbezogen. Doch die mit viel Elan beschickte Weltausstellung von Wien 1873 brachte enttäuschende Er­ gebnisse. Auch ein Gutachten von Professor Reuleaux, damals wohl Deutschlands be­ kanntester Technikprofessor, sprach sich für Unterstützung durch eine Fachschule aus. Das Handelsministerium hat deshalb 1877 seine Entscheidung von 1863 revidiert. Es wurde abermals in Furtwangen eine Uhrma­ cherschule gegründet, allerdings in weitaus bescheidenerem Rahmen als anno 1850, hinzu kam eine Schnitzerfachklasse, die bald zur Schule ausgeweitet werden konnte. An dieser Stelle sei noch ein Hinweis er- 94 Kuckucksuhr mit Schnitzereien aus der Lehrlingswerkstatt der Schnitze­ reischule Furtwangen, deren Wir­ ken eng mit dem der Uhrmacher­ schule verknüpfl war. laubt. Selbst die zweite Furtwanger Uhrmacher­ schule von 1877 wurde frü­ her gegründet als die erst imJahr darauf1878 entstehende verwandte Institution in Glas­ hütte im sächsischen Erzgebirge. Mit der Wahl des Leiters der neuen Schule hatten die Behörden je­ doch keine glückliche Hand. Die Situa- tion besserte sich erst entscheidend, als Franz Anton Hubbuch die Direktion über­ nahm. Er hat das für die weitere Entwick­ lung entscheidende Konzept in den Jahren 1886/87 durchgesetzt: Vorkurs: Mindestalter 14 Jahre – Volks­ schulbildung Fachkurs: Mindestalter 15 Jahre – Zusätz­ liche Fachkenntnisse Fortbildungskurs: Mindestalter 15 Jahre – Gehobene Fachqualifikation Aus heutiger Sid,t konnte man also von ei­ ner zweijährigen Berufsfachschule mit inte­ griertem Fachschuljahr sprechen. Im Herbst 1891 konnte die Uhrmacherschu­ le ein großzügig dimensioniertes eigenes Schulgebäude beziehen, das zur Hälfte vom Großherzogtum, zur Hälfte von der Stadt Furtwangen fmanziert worden war. Zuneh­ mend gewinnt die Elektromechanik an Be­ deutung, im Schuljahr 1895/96 standen den 17 Uhrmachern 37 Elektromechaniker und vier Mechaniker gegenüber. Obwohl schon damals erkennbar war, daß der Name Uhr­ macherschule nicht mehr der Wirklichkeit entsprochen hat, wurde die Bezeichnung beibehalten und selbst noch 1950 bei der Hundertjahrfeier verwendet. Die Auseinandersetzung um die Frage, wer besser eine technische Grundbildung ver-

Furtwanger Uhrrnacherschule Die Gründung der Uhrmacherschule hatte in Furtwangen auch den Aufbau des Uhrenmuseums zur Fol­ ge, das lange Z,eit in die Gewerbehalle integriert war (siehe Abbildung). Die Uhrensammlung begründete der erste Direktor der Uhrmacherschule, Robert Gerwig. Von den gut ausgebildeten Schülern der Uhrmacherschule profitierte die Uhrenindustrie des gesamten Schwarzwaldes, das Bild zeigt den Automatensaal der Badischen Uhrenfabrik Furtwangen. 95

Bildungseinrichtungen Lehrlinge der Großherzog/ich Badischen Uhrmacherschule beim Unterricht,fotografiert um 1920. mitteln könne, die Wirtschaft oder die Schu­ le, kulminierte in Furtwangen 1922. Jetzt sollten nicht mehr Schüler mit Volksschul­ bildung direkt aufgenommen werden kön­ nen, sondern erst nach einer Vorpraxis in den Unternehmen. Doch dem Kollegium ist es offenbar gelungen, unter Hinweis auf knappe Lehrstellen und Praktikumsplätze diese Regelung zu unterlaufen. Jedenfalls gab es bald zweijährige Ausbildungsgänge an der Schule – Vorlehre genannt – deren Abschluß den Einstieg in den ersten (offizi­ ellen) Jahreskurs erlaubt hat. Im Jahre 1925 feierte die Uhrmacherschu­ le 75jähriges Jubiläum, sie firmierte jetzt als Badische Uhrmacherschule, Staatliche Hö­ here Fachschule für Groß- und Taschenuhr­ macherei, Feinmechanik und Elektromecha­ nik. Dem nicht veröffentlichten Jahresbe­ richt von 1933/34 läßt sich entnehmen, daß neun hauptamtliche Lehrkräfte 89 Schüler betreut haben. Aus dem 1926 eingeführten ordentlichen Lehrfach Funktechnik hatte sich inzwischen eine Funkschule mit ver­ suchsweise eingeführtem Jahreskurs entwik­ kelt. Das Gesellenzeugnis erlangten 1934 96

Die Entwicklung nach 1945 insgesamt 27 Schüler, die Prüfung der Mitt­ leren Reife wurde von 22 bestanden. ,,Im Berichtsjahr waren unsere Schüler in der großen Mehrzahl Angehörige der SA und der HJ … „. Der organisatorische Verbund, Lehrlings­ ausbildung einerseits, gehobene Fachausbil­ dung andererseits, geriet im Dritten Reich zunehmend unter Druck. Die Berliner Zen­ tralbehörde wollte klare Abgrenzungen zwi­ schen selbständigen Berufsfachschulen. Doch das badische Kultusministerium hat ,,ihrer“ Uhrmacherschule den Rücken ge­ stärkt, so auch bei dem Bestreben, als Mei­ sterschule des Uhrmacherhandwerks aner­ kannt zu werden, was 1941 gelungen ist. Im April 1945 wurde der Unterrichtsbe­ trieb eingestellt, im Mai 1946 begann ein neues Kapitel in der schon recht langen Ge­ schichte. Doch im Jubiläumsjahr 1950 wa­ ren die Anlaufschwierigkeiten überwunden. In der Vorschule (Lehrlingsabteilung) gab es drei aufsteigende Jahresklassen. Am Schluß der Ausbildung stand das Gesellenzeugnis in den Bereichen Uhrmacherei, Feinmecha­ nik oder Elektrofeinmechanik. Die Inge­ nieurausbildung in der Feinwerktechnik dau­ ert sechs Semester. Der erste Ingenieurjahr­ gang hat 1950 abgeschlossen. Von 1850 bis 1961 blieben also verschiedene Ausbil­ dungsgänge unter dem Oberbegriff „Uhr­ macherschule“ zusammengefaßt, dann trenn­ ten sich die Wege von beruflicher Grundaus­ bildung und höherer Fachbildung (Inge­ nieurausbildung), erst organisatorisch (1961), bald auch räumlich (1963). Auch in ge­ schichtlichen Darstellungen über die Uhr­ macherschule werden bestimmte Aussagen stetig wiederholt und damit verstärkt. Robert Gerwig war unbestritten ein genialer Eisen­ bahnbauer und während seiner Furtwanger Amtszeit von 1850 bis 1857 auch ein beach­ tenswerter Förderer der Schwarzwälder Wirt­ schaft, aber das Lob für den Aufbau dieser damals in Deutschland wohl einmaligen Furtwanger Uhrmacherschule Schule mit bewußter Verflechtung von Theorie und Praxis gebührt Wilhelm Eisen­ lohr. Der allgemein anerkannte Leiter der Schule von 1900 bis 1921, Heinrich Bau­ mann, wird recht oft erwähnt, weniger hin­ gegen sein wahrscheinlich bedeutenderer Vorgänger im Amt von 1881 bis 1900, Franz Anton Hubbuch. Schließlich gebietet es die Chronistenpflicht, auch den badischen Staats­ präsidenten Leo Wohleb an dieser Stelle be­ sonders zu nennen. Er war es, der unbüro­ kratisch und zukunftsoffen der Ingenieur­ ausbildung in Furtwangen den Weg geebnet hat, und das im Notjahr 1947. Wer heute das Bregtal aufwärts nach Furt­ wangen kommt, wird links am Hang ein auf­ fallend modernes Gebäude finden, das die Robert-Gerwig-Schule beherbergt, ein diffe­ renziertes berufliches Schulsystem. Ein we­ nig weiter, in der Talsohle, erkennt man den Campus der Furtwanger Hochschule, die dort Ingenieure und Informatiker ausbildet. Und dazwischen liegt ein industrieller Kom­ plex, die Maschinenfabrik Koepfer, deren Gründer in der Privatwerkstatt von Lorenz Bob gelernt hat und der nachweisbar im Jahr 1854/55 die Gewerbeschule besuchte. Wer die Gegenwart verstehen will, sollte die Ver­ gangenheit kennen. Helmut Kahlert Anmerkungen: Festschrift der Fachhochschule Furtwangen. 150 Jah­ re Innovationskultur, Furtwangen 2000 150 Jahre Robert-Gerwig-Schule Furtwangen 1850- 2000, Furtwangen 2000 Kahlert, Helmut – Die Großherzoglich Badische Uhrmacherschule zu Furtwangen 1850-1863 in: Zeit­ schrift für die Geschichte des Oberrheins, 148. Band, Stuttgart 2000, S. 333-350 Die Abbildungen sind dem Buch „Furtwangen – Bildgeschichten aus der Uhrenstadt, 1870-1930“, Be­ gleitband zur Stadtchronik Furtwangen entnommen. 97

6. Kapitel/ Almanach 2002 Industrie, Handwerk und Gewerbe Mit Präzisionswerkzeugen zum Erfolg Hakos GmbH verfügt über eine Produktionsfläche von 2 000 Quadratmetern Motivierte Mitarbeiter, ein neuer Stand­ ort, der den Anforderungen eines modern geführten Betriebes genügt: ,,Es macht rich­ tig Spaß!“ – wer dies sagt, ist Birgit Haken­ jos-Schlenker, die in der vierten Generation bei der Schwenninger Firma Hakos Präzisi­ onswerkzeuge GmbH zusammen mit ihrem Vater Günter und dessen Bruder Werner die Geschäfte führt. Die Firma, die im Jahr 2 000 ihr 90. Firmenjubiläum feiern konnte, bezieht im Herbst 2001 im Schwenninger Industriegebiet Dickenhardt den neuen Fir­ mensitz mit einer Produktionsfläche von 2 000 �adratmetern. Die in den 1960erJah­ ren gegründete Gewindeschleiferei in Öfin­ gen mit acht Mitarbeitern zieht ebenso in den neuen Betrieb. Natürlich fiel die Entscheidung, den ange- Andr. Hakenjos Werkzeugfabrik gegr.1910 Uie tl, ittc und ·uic, tc Ge1«1u1iutt de, l’i, mu f Iukcn;os Präzisionswerkzeuge GmbH: Werner Hakenjos, Birgit Hakenjos-Schlenker und Günter Hakenjos. 98 stammten Sitz im Neckarstadtteil in Schwenningen, ei­ nem traditionsrei­ chen Mischgebiet, nach über 90 Jah­ ren zu verlassen, nicht leicht. Doch die Anforderungen an das Unterneh­ men seien so groß, dass ein ebenerdi­ ger und größerer Neubau nötig wur­ de, nicht zuletzt wegen der proble- Hakos-Firmengru’nab-An­ matischen Anlie- dreas Hakenjos. ferungs- und Ver- sandsituation am alten Sitz. Der Umzug in die neuen Hallen sei für die Firma „ein �antensprung“, der neuen Raum für Ein­ spar- und Rationalisierungsmöglichkeiten bietet. Trotzdem sollen fünf neue Mitarbei­ ter eingestellt werden. Im Frühjahr 2001 be­ schäftigte Hakos noch rund 50 Mitarbeiter; seit September 2001 werden sechs junge Menschen ausgebildet. Auf drei Standbeinen gründet der Erfolg des Herstellers von Präzisionswerkzeugen. Traditionell fertigt Hakos hochwertige Ge­ windebohrer – ,,Da kommen wir her“ – und daneben Präzisionsschleifteile und Spritz­ gießwerkzeug-Komponenten. Der letztge­ nannte Bereich ist der neueste im Hause Ha­ kos und soll weiter ausgebaut werden. ,,Wir sind hier in der Region führend bei der schleifenden Bearbeitung“, sagt Hakenjos­ Schlenker selbstbewusst. Die Tendenz vieler Firmen, Schleifarbeiten in Fremdfertigung zu geben, habe die Entwicklung des Schwen­ ninger Unternehmens unterstützt. Nicht zu-

,, -· öffnet Büchsen klein und groß“ letzt die hohen Kosten von Schleifmaschi­ nen, die Rundteile auf ein Tausendstel Mil­ limeter genau fertigen, habe diese Entwick­ lung unterstützt. Die Kunden rekrutieren sich vorwiegend aus dem Raum Baden­ Württemberg und dem Bundesgebiet. Ha­ kos-Produkte finden aber auch den Weg nach Italien, Frankreich oder in die Nieder­ lande. Die Spezialisierung in Nischen si­ cherte den Erfolg. Hakos fertigt beispiels­ weise Gewindebohrer fur die Mutterherstel­ lung oder fur Brillenscharniere. Die kleins­ ten haben einen Durchmesser von einem Millimeter bis 20 Millimeter. ,,Sonderferti­ gungen nach Kundenvorgaben stellen wir natürlich auch her.“ Andreas Hakenjos gründete 1910 das Un­ ternehmen in Schwenningen und begann mit Metallverarbeitung nach Marktbedarf. Aus dieser ersten Zeit stammt beispielswei­ se der Werbespruch: ,,Büchsenöffner Haken­ jos öffnet Büchsen klein und groß“. Andre­ as Hakenjos stammte aus Stockwald bei St. Georgen. In einer kurzen Biographie wur­ de dem Poesieliebhaber ein ausgeprägter Unternehmergeist bescheinigt. ,,Er war ein Jäger und Sammler“, weiß heute noch Birgit Hakenjos Schlenker über ihren Urgroßvater zu berichten. Andreas Hakenjos übergab das Geschäft 1940 an die drei Söhne Ar­ thur, Karl und Rudolf, das Unterneh­ men beschäftigte zu jener Zeit bereits 30 Mitarbeiter. Rudolf Hakenjos hatte of­ fensichtlich die Liebe zur Natur von seinem Vater geerbt und war Falkner und Imker. Der begeisterte Segelflieger -im Jahr 1928 wurde RudolfHaken­ jos in dieser Disziplin sogar Welt­ meister -hatte wie sein Vater ebenfalls drei Söhne. Nach Beispiele für Priizisionswerk­ zeuge der Finna Hakos. HakosGmbH Ein moderner Maschinenpark sorgt bei Hakos für die nötige Präzision. dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb im Jahr 1945 durch die Franzosen demon­ tiert. Nicht ganz: Wohlweislich wurden Mess­ mittel und Telefon fur einen Neubeginn un­ ter Kohlen versteckt. Der Neubeginn starte­ te mit Lohnarbeiten in der Gewindeschlei­ ferei. Seit 1969 führen nun die Söhne von Ru­ dolf Hakenjos, Werner und Günter Haken­ jos, die Geschäfte. In diese Zeit fiel auch die Eröffnung der Filiale in Öfingen, da in Schwenningen selbst großer Facharbei­ termangel herrschte. Ständig musste trotzdem am Stammsitz erweitert wer­ den. Damals war der zerklüftete Firmen­ sitz kein Problem, denn feine Gewinde- bohrer ließen sich ohne schweres Gerät von ei­ ner Abteilung zurande­ ren bringen. ,,Wir hat­ ten Gott sei Dank nicht nur die Uhrenindustrie als „Standbein“, meint 99

HakosGmbH Alle Gewindearten 1oerden in „Hakos-Qualität“ geschliffen. Birgit Hakenjos-Schlenker in Erinnerung an den Zusammenbruch der Uhrenfabriken in Schwenningen. Im Gegenteil: Ende der 60erJahre wurden große Investitionen in neue Maschinen ge­ tätigt, der Bereich Lohnarbeit weiter ausge­ baut. 1977 steigt Hakos in die Herstellung von Normalien ein und investiert weiterhin 100 in einen modernen Maschinenpark. Inner­ halb von 16 Jahren konnte so der Umsatz von 1 Million Mark im Jahr 1968 auf 3,8 Millionen Mark im Jahr 1984 nahezu ver­ vierfacht werden. Das Schwenninger Unter­ nehmen verbreitert trotz des Erfolges stän­ dig sein Produktspektrum und nimmt 1984 Maschinenbauteile für Spritzgießmaschinen sowie Automaten-Muttergewindebohrer und Former für die Mutternherstellung in die Produktionspalette auf. 1988 konnte ein weiterer Meilenstein in der Firmengeschichte verzeichnet werden: Die erste CNC-Schleifmaschine wird erwor­ ben, der Umsatz liegt zu dieser Zeit bei mehr als fünf Millionen Mark im Jahr. Weiterhin wird die Lohnfertigung ausge­ baut und umfasst nun CNC-Außenrund­ schJeifen, SpitzenlosschJeifen und konven­ tionell Außen- und Innenrundschleifen. Personell verstärkt wird das Geschäftsfüh­ rungsduo Werner und Günter Hakenjos seit 1994 durch Birgit Hakenjos-Schlenker, Toch­ ter von Günter Hakenjos. An der Feintechnikschule in Schwenningen lernte sie das technische Handwerk und ab­ solvierte 1996 einen viermonatigen Trainings­ kurs in Japan. Das Managertraining war durch ein Stipendium der Europäischen Union und durch das MITI, dem japanischen Wirt­ schaftsministerium, möglich. Zwei Bewer­ bungsgänge in Brüssel standen vor dem Vor­ haben: ,,Ich dachte mir, so eine Chance kommt nicht wieder.“ Besichtigungen von großen ja­ panischen Firmen wie Sony oder Mitsubis­ hi standen während der Zeit in Japan eben­ so auf dem Programm wie Besuche von „Ga­ ragenfirmen“. „Wir sind ein sehr positives Beispiel für die Nachfolgeregelung im Betrieb“, sagt Birgit Hakenjos-Schlenker. Sie ist froh, durch ih­ ren Vater die nötige Unterstützung erfahren zu haben: ,,Ein Vater, der an seine Tochter glaubt.“ Längerfristig wird Birgit Hakenjos­ Schlenker komplett die Geschäfte bei Hakos übernehmen. Sabine Krümmer

Das älteste Emaillierwerk in Deutschland Industrie, Handwerk und Gew rbe „Emaillierwerk Friedrich Allgeier GmbH“ in Triberg wurde 1906 gegründet Keiner hat je gezählt, an wie vielen Schil­ auf Zifferblätter, die die Uhrenindustrie in dern er im Laufe eines Tages vorübergeht, ihrer Glanzzeit in großer Zahl benötigte. meist achtlos, wenn er sich auskennt, höchst Nach Weltkrieg und Wirtschaftskrise hatte dankbar aber in einer fremden Gegend oder das Unternehmen einen solchen Aufschwung einer fremden Stadt. Die Frage aber, wer sie genommen, dass größere Räume gesucht entworfen oder hergestellt hat, kommt ei­ werden mussten. Allgeier erhielt 1927 den nem eher selten in den Sinn. Von großer Zuschlag für die in Konkurs geratene Metall­ Vielfalt sind die Größen, Formen und Far­ warenfabrik Lang, das heutige Bürogebäude ben, unendlich sind die Möglichkeiten der und Lager. Grafik: Emailschilder können Kleinodien Nach dem Tode des Firmengründers war sein, die Herstellungsbetriebe dafür jedoch Tochter Hedwig die Besitzerin, vererbte die sind selten geworden, in Deutschland dürf­ Firma an Schriftenmalermeister Bruno und te es kaum noch ein Dutzend sein. Eines da­ Kaufmann Hubert Allgeier. Huberts Sohn von ist das „Emaillierwerk Friedrich Allgeier Norbert machte weiter, da auch er kinderlos GmbH“ in Triberg, Nußbacher Straße 6. Es ist starb, wurde seine Mutter Hildegard die Er­ zugleich das älteste in Deutschland und ei­ bin, von der der jetzige Besitzer Heinz Het­ nes der führenden dazu. tich die Fabrik käuflich erwarb. Zwei Firmen Die Geschichte des Betriebs ist durchaus in Ortenberg und Dachau, die heute beide bewegt, sie kann hier nur gestreift werden, nicht mehr existieren, interessierten sich da­ zumal auch Unterlagen der frühen Jahre nur mals ebenfalls für das Emaillierwerk Fried­ spärlich erhalten sind. Gegründet wurde die rich Allgeier. Firma 1906 von Friedrich Allgeier, der in Heinz Hettich führte den Betrieb bis 1992 jungen Jahren bis nach Wien gekommen war, als Einzelfuma, in diesem Jahr wurde auch das wo er 1891 als Maler in der „Emailmalerei“ große Zwischengebäude erstellt, seit 1973 ar­ der Firma Carl Döhner „durch seinen Fleiss beitet die Ehefrau im Betrieb mit, seit 1994 und seine Geschicklichkeit … die vollste Zu­ auch der Sohn. friedenheit erworben hat“. Der Standort des Heinz Hettich gehörte dem Unternehmen kleinen Betriebs war in der „alten Straße“ in als Industriekaufmann seit 1967 an und er­ Nußbach. Die Produktion beschränkte sich klärte sich, auch im Interesse der bisherigen Mitarbeiter bereit, dieses weiterzufüh­ ren. Die Entwick­ lung des Betriebs, ‚�irlttitfiJifgtit� was Anzahl der Be­ schäftigten und die Art der Produktion angeht, ist in Ver­ bindung mit dem Sehrjffenmalerei Schriftenmalerei“. 101 Erstes Finnenschild: „Friedrich Allgeier

Indu tric, Handwerk und Gewerbe technischen Fortschritt der letzten Jahrzehn­ te zu sehen. Als in den 70er Jahren die �arz­ uhren aufkamen, deren Werk nur halb so viel Kosten verursachte als das Zifferblatt aus Email, wofür jetzt Kunststoff und Papierzif­ ferblätter verwendet wurden, galt es, für das Email neue Märkte zu suchen. Man fand die Marktlücke bei den Werbeschildern. Diese – von anderen Dimensionen als Uhrenschilder – mussten größere Produktions- und Lager­ räume zur Folge haben. Das bisherige Koh­ lelager und der Lagerraum wurden zu einem neuen Gebäude vereinigt. Der Übergang ge­ lang. Unternehmerischer Wagemut gehörte da­ zu, sich den notwendigen Investitionen zu stellen, Computer waren anzuschaffen, Ar­ beitsgänge, wo immer möglich, mussten auto­ matisiert werden, Handarbeit, heute nid,t mehr bezahlbar, wurde überflüssig, Arbeits­ plätze gingen verloren, praktisch war der ganze Betrieb umzustellen: Modernisierung auf der ganzen Linie, ohne High-Tech läuft nichts mehr. Aber, betont Firmenchef Het­ tich, ohne kenntnisreiche, tüchtige, zuver- lässige Angestellte, ohne ihr Spezialwissen, ist nichts zu leisten. In Zeiten schneller Auf­ träge sind sie auch einmal zu Überstunden oder Samstagsarbeit bereit. Um soziale Här­ tefälle auszuschließen, wurden Stellen von altershalber ausgeschiedenen Mitarbeitern nicht mehr besetzt, Entlassungen vermie­ den. Von 50 Mitarbeitern ist die Zahl heute auf 19 geschrumpft. Münchner Schilder aus Triberg Ein Gang durch die Produktions- und La­ gerhallen zeigt die Vielfalt der heutigen Pro­ duktion. Wer weiß schon in München, dass sämtliche Straßenschilder, die dort gemäß Satzung in Größe, Farbe und Schrifttyp ein­ heitlich sein müssen, von Triberg kommen! Das Bundesland Bayern hat die Sd1ilder, die die Landesgrenze anzeigen, ebenfalls von Tri­ berg. Hausnummern wie zu Großvaters Zei­ ten können, wenn gewünscht, einzeln her­ gestellt werden, nostalgischen Bestrebungen kann die Firma Allgeier jederzeit entgegen­ kommen, gerade auch in Einzelstücken, von Außenansicht der Firma Friedrich Allgeier. 102

• UIIICllUU OCIIII •UUlfhll V rsprOnifich war der Schwarzwald ein reines Waldge· bleL In jahrhundertelanaem Einfluß hat der Mensch d� be,men Standorte l’fO(let und den Wald zuriictr&e­ drin&t Otme seine Tlt““81t sähe der Wald ,m Schwa�­ wald anders aus. Buchen und Tannen waren dl8 domi· merenden Baumarten. n1tht die Fichte. Und der Wald ,m Bereich der Tribercer Wasserlilie? Dank seiner extremen Standortsverhältnisse blieb er natumah und v,elfälbi strukturiert erhalten. Außer F�h­ ten wachsen hier zahlreiche Buchen ur.d Tannen. In den boden- und lutt1euchten Bere�hen entlan1 der Gutach kommen vor allem Beraahom, Eschen und Ulmen hinzu -eanz ähnhch wie im natürlichen Wald von einst O ngrnally /Ire Bl,ck Foml was comp/elely C11Vtred m natural toresl Over a peuod spanning hundrBds ol years the bettet s,tes were cleared lor farming and thB remammg fo,ests we1e cult1vated /o, wood. Without th,s human actMty the fOfest areas would have a very different character to that m,n today �h and pme would be the mosl common tree specits. not the Sf)flJCe. But the folest near the water falls? Thanlcs to more extreme s1te cond1t,ons it has rema,­ ned more natural and diverse lhan olher forest areas. In addibon to Sf)luce many beech and pme trees also grow here Along the Gutach stream, where the a11 and 1roond are more humid, sycamore, ash, and elm occur Just as they 1vould have done m the fomier na rest -lflTSCU.UDI 16cuu wusurlLu • ß1itzschnell sausen sie am Baum hinauf, halten kurz inne, um sich umzusehen, springen dann von Ast zu Ast Und hier am Triberger Wasserfall, wo Besucher ihnen regelmäßig Futter anbieten, haben sie ihre Scheu ver­ loren, sind hautnah zu erleben: Eichhörnchen als Attraktion, nicht nur für Kinder. 20 bis 25 cm groß und über 10 Jahre alt können sie werden. Was kaum einer weiß ist, dass Eichhörnchen Nester bauen, allerdings nennt man diese bei ihnen „Kobel‘. In mehreren Metern Höhe möglichst nahe am �,;­ Baumstamm werden sie aus abgenagten Ästchen ge- � fertigt und innen z.B. mrt Moos ausgepolstert. Für den Winter legen Eichhörnchen viele Vorratskam· mern an: Nicht alle finden sie allerdings wieder, und nicht selten sprießen aus den versteckten Samen neue Bäume. �r ., __ ..,. ___ .. __. …. ___ ,, … _ ………. _,,,_ :::-,·—— Tt,ey climb trees like lightning pause only for a brief moment to look around, and then leap from one branch to the next. At the Triberg waterfalls, where visitors regularly feed them, the squirrels have lost a/1 /heir natural shyness and it is possible to observe them at very close quarters. Here the squirrels are an attracflon, and not only for the children! They can grow to be as /arge as 20 to 25 cm and may live to be over 10 years old. On/’y few people know /hat squirrels build nests, known as dreys, several meters high in a tree and close to its trunk. A drey will be constructed from sma/1 branches and upholstered with softer material such as moss. For the Winter months squirrels bui/d up many individual stocks of nuts and seeds, several of which they may fail to find again. lt is not uncommon for new trees to sprout-up from the hidden seeds. Die vielfältigen Möglichkeiten der Emailtechnik demonstriert ein­ drucksvoll die Beschilderung des Triberger Wasse,falles, gestaltet von Geigenmüller & Buchweitz, ausgeführt von der Finna Allgeier.

lndu lrit, Handw rk und Gtw rbe kleinen Schildchen mit dem Namen des Hausbesitzers bis zu den großen Wegetafeln. Die Lieferungen sind keineswegs auf das Inland begrenzt. Diese Emailproduk­ te sind europaweit begehrt. Hier be­ dienen sich die gro­ ßen Brauereien und weltbekannte Mar­ kennamen wie Coca Cola, in der Schweiz eine Brauerei (Brau­ gold), ein englischer Whiskyhersteller bestellte 100 000 Schilder, die schwedische Post vergab einen Großauf­ trag. Die gelbe Raute für den Naturpark „Südschwarzwald“ liegt gerade hundertfach in den Regalen, die Triberger Wasserfallbe­ schilderung kommt ebenfalls aus dem Hau­ se Allgeier. Die Schildchen für alle Wander­ wege hat der Schwarzwaldverein hier in Auf­ trag gegeben, verschiedene Bundesländer bestellten ihre Landeswappenschilder. Ob die Firma auch Entwürfe für Emailschil­ der liefern kann? Selbstverständlich. Sie sind aber die Ausnahme, da die meisten Kunden schon mit exakten Vorstellungen kommen, sprich mit Entwürfen von Werbea­ genturen. Bei Straßenschildern sind Art, Form oder Größe satzungsgemäß vorgege­ ben. Die Produktionswei­ se von Emailschildem ist kompliziert, und es ist erstaunlich, wie viele Herstellungsstu­ fen in einem Haus zustandegebracht werden, so dass auch die Materialtransporte auf ein Minimum be- 104 Komplizierte Produktion Der Vielfalt sind keine Grenzenge­ setzt, Beispiele von Email-Schild­ produktionen „marle in Triberg“. Schilderformen sind unbegrenzt schränkt sind. Der Stahl wird in gro­ ßen Platten angelie­ fert. Die einzelnen Formen werden ent­ weder auf der Tafel­ schere oder mit dem Laserstrahl geschnit­ ten und vielfach auch ausgestanzt. Nach dem Ausschneiden oder Stanzen werden die Rohlinge ganz nach Kundenwunsch geformt und mit den nötigen Befestigungsmöglichkeiten verse­ hen. Durch ein besonderes Verfahren werden die Emailfritten (Granulate, Q!iarze und Tone) zu einer staubfeinen Masse, einem Glasge­ misch, zermahlen. Mit individuellen Scha­ blonen, der Siebdrucktechnik, wird das Bild aufgebracht. Im Brennofen, der mit Elektrizi­ tät, und damit umweltfreundlich, auf 800° Celsius erhitzt wird, wird die Platte gebrannt. Die Schilderformen sind unbegrenzt: Q!ia- drate, Rechtecke, Kreise, Ellipsen, Torbogenformen sowie Strei­ fen, Wappenformen, Ziffer­ blätter und Thermome- ter … Die Farbenvielfalt ebenso: vom leuch­ tendsten Rot bis hin zum tiefsten Grün, auf dem Schwarz, Gelb oder Weiß be­ sonders gut scharf abstid1t, sind mög- lich. Und noch etwas spricht für die Emailtechnik: Das

VELTINS !Jjj;att!tad!to/l detl lcfl!4 ••••••••••••• Material eignet sich in hervorragender Weise für filigrane und fein ziselierte Darstellungen. Stellt man die positiven Eigenschaften der Emailletechnik zusammen, so meint man, die Anpreisungen eines Werbemanagers zu hören, weil sich eine ungeheure Vielzahl von positiven As­ pekten in diesem Verfahren vereint. Dabei ist folgendes rein objektiv fest­ zustellen: Die Ober­ fläche eines solchen Schildes behält auf Dauer ihr brillantes Aussehen, ihre Klar­ heit und ihre Leucht­ kraft. Das kann kei­ ne andere Druck­ technik für den Be­ reich der Außenan­ wendung bieten, sprich garantieren. Emailschilder sind wie für die Ewigkeit geschaffen, da die Farb­ pigmente unauslöschbar in die Glasmasse eingeschmolzen werden. Die Oberfläche ist resistent gegen Umwelteinflüsse aller Art, gegen extreme Kälte und gegen extreme Hit­ ze sowie gegen Chemikalien und Lösungs­ mittel, sie bleibt glasglatt und ist dadurch pflegeleicht. Sie ist stoß-und kratzfest, es gibt keine Rostunterwanderung (zwischen Stahl und Email). Da sich Email nicht auf­ löst, ist es auch umweltfreundlich. Es ist leicht zu reinigen, was im Freien der Regen besorgt. Weltneuheit aus ‚Inberg Technische Neuentwicklungen gibt es in dieser traditionsreichen Technik gleichfalls: Heinz Hettich ist glücklich darüber, von ei­ nem neuen Patent Gebrauch machen zu können: Er ist seit kurzem im Besitz der Fer­ tigungsrechte für nachleuchtende Emailschil­ der, was bedeutet, dass sie nachts ohne &em- Emaillicrwerk Allgeicr de Lichtquelle lesbar sind. Im Grunde ist dies eine Weltneuheit, und das Verfahren er­ möglicht eine ungeheure Anwendungsviel- falt: Man stelle sich nur vor: Bei Gefahr oder im Katastro­ phenfall weisen die­ se Schilder ohne jegliche Elektrizität leuch­ von selbst tend den Fluchtweg. Auch große Hitze kann sie nicht zer­ stören: solch wider­ standsfähigen Kunst­ stoff gab es bisher nicht. Nachleuch­ tende Folien wie sie bisher zum Einsatz kommen, lösen sich auf. Weitere Vorteile bestehen darin, dass keine gesundheits- gefährdenden Gase von ihnen ausgehen und sie bei Erhitzung noch stärker leuchten. Doch technischer Fortschritt ist nicht in je­ dem Fall preiswert: Die zur Verwendung kommenden Farbpigmente sind aufgrund ih­ rer außergewöhnlichen Eigenschaften im Ein­ kauf verhältnismässig teuer. Durch seine Un­ zerstörbarkeit wird sich das neue Material je­ doch bezahlt machen, zumal diese Technik dort zum Einsatz kommen sollte, wo es um Menschenleben geht. Heinz Hettich will versuchen, die neue Er­ findung zunächst in Feuerwehrfachzeitschrif­ ten bekannt zu machen. Er ist davon über­ zeugt, dass sich die Verbesserung auf dem Markt durchsetzen wird, zumal die Schilder in jeder Größe und Form (wie in der Vergan- genheit auch) herstellbar sind. Karl Volk ….J 105

lndusirie, Handwerk und Gewerbe Vollautomatische Fertigungslinie für Leiterplatten-Produktion eingerichtet FELA Hilzinger GmbH geht neue Wege Der Schwenninger Leiterplattenhersteller FELA Hilzinger GmbH geht neue Wege, und dies sehr erfolgreich. Im Herbst des Jah­ res 2000 richtete der Traditionsbetrieb eine vollautomatisd1e Fertigungslinie für die Pro­ duktion von Leiterplatten in der neuen FE­ LAM-Technologie ein. FELAM steht hier für Multilayerfertigung in Laminiertechnik. Äußerlich unterscheiden sich die in dieser erstmals in Serie hergestellten Leiterplatten kaum von mehrlagigen gedruckten Schal­ tungen, die in herkömmlicher Technik ver­ presst werden. ,,Die FELAM-Technik soll den klassisd1en Multilayer nicht ersetzen, sondern sie wird Einsatz finden im Bereich Sondertechnik. Dort können Leiterplatten in der neuen Technologie auf speziellem Trä­ germaterial wie beispielsweise Aluminium aufgebracht werden“, erklärt Helmut Schlen­ ker, Leiter des �alitätsmanagements und Prokurist im Hause FELA Hilzinger, die Be­ sonderheiten der neuen Technik. Schlenker war es auch, der die verantwortliche Projekt­ leitung für FELAM inne hatte. Die Laminier­ technik stammt ursprünglich von Deutsch­ lands größtem Basismaterialhersteller, der Isola AG. Nicht nur, dass mit der neuen FE­ LAM-Technologie mehrlagige Leiterplatten mit feinsten Strukturen auf ungewöhnli­ chem Trägermaterial wie beispielsweise Glas – hierzu gab es Ende 2000 eine Anfrage aus Italien – aufgebracht werden können, ist ein Vorteil der neuen Technik, sondern auch die Tatsache, dass ein asymmetrischer Aufbau des Multilayers möglich ist. Herkömmliche Multilayer beinhalten leitende Lagen in ge­ rader Anzahl wie vier, sechs, acht und so fort. Mit FELAM sind auch dreilagige Mul­ tilayer möglich. Dies kann aus EMV-Grün­ den (EMV = Elektromagnetische Verträg- lichkeit) sehr nützlich sein, wenn beispiel weise eine Lage nur als Abschirmung dienen soll. Der Projektleiter sieht des­ halb Einsatzmöglichkeiten vor allem in den Bereichen Steuere­ lektronik und Motortechnolo­ gie. Eine vierlagige in FELAM­ Technologie hergestellte Leiter­ platte kann mit einer „Dicke“ • von nur 3,2 Zehntel Millimeter -..- Der Leiterplattenhersteller in Sd1wenningen möchte sim nimt mit den Großen der Branche messen, was die Stückzahl der gefertigten Leiterplatten angeht: „Wir wollen uns nicht mit Größtstückzahlen auf dem Welt­ markt tummeln.“ Der Schwer­ punkt liegt deshalb bei kleine­ ren und mittleren Stückzahlen, auch Muster ab einem Stück produziert werden. _/“ .,· Helmut Schlenker feitet verantwortlich Projekte, ist auch zustäne für die Einführung der neuen Technologie „FELAM“, die bei der Produktion von Leiterplatten eine Multilaye,fertigung in Lami­ niertechnik erlaubt. 106

FELA Hilzinger Nur die Siebdruckanlage der neuen FELA M-Herstellungslinie beim Schwenninger Leiterplallenhersteller Hilzinger wird noch von Hand bestückt. werden in Schwenningen gefertigt. Die FE­ LAM-Leiterplatten sind ein Nischenpro­ dukt, das aber „recht gut anläuft.“ Seit 1996 gehört die FELA Hilzinger GmbH zur deutsch-schweizerischen Photochemie Group. Die Kollegen in der Schweiz können Mehr­ lagenleiterplatten mit bis zu 42 Lagen lie­ fern. In Lasertechnik können die Schweizer auch Lochdurchmesser von 80 Mikrome­ tern Durchmessern herstellen. ,,Der Kunde bekommt bei uns alles aus einer Hand“, er­ klärt hierzu Helmut Schlenker. Zugekaufte Produkte werden im eigenen Hause zerti­ fiziert. Der Handel mit Fremdprodukten macht derzeit ein Fünftel des Geschäftsvo­ lumens des mittelständischen Leiterplatten­ herstellers aus. Aber: ,,Der Handel wächst.“ Im Jahr 2000 wurden 25 Millionen Mark Umsatz erwirtschaftet, dieser soll moderat wachsen auf 28 Millionen im Jahr 2001. Größter Kunde vor Ort ist die Siemens VDO Automotive AG in Villingen, früher Man­ nesmann VDO. Mehr als die Hälfte der Pro­ dukte bleiben in Baden-Württemberg. Ins Ausland gehen Hilzinger-Leiterplatten „nur über Kunden.“ Ende 2000 beschäftigte die FELA Hilzinger GmbH 135 Mitarbeiter, im Sommer desselben Jahres wurde erst ein Er­ weiterungsbau in Schwenningen bezogen. Der Firmensitz befand sich nicht immer in der Neckarstadt. Rolf Hilzinger gründete den Betrieb 1964 „in einer Garage“, wie es Schlenker heute ausdrückt. Hilzinger be­ gann mit dem Druck von Schildern und Frontplatten – mit dem Bezug im neuen Werk in Weilersbach, vier Jahre später hielt die Fertigung einseitiger Leiterplatten Ein­ zug. Die wesentlich aufwändigere Herstel­ lung von durchkontaktierten Platinen starte­ te acht Jahre später. 1980 wechselte das Unternehmen erstmals den Besitzer: Die Hilzinger Leiterplatten­ technik GmbH wurde durch die RAFI GmbH/Ravensburg übernommen. Doch schon sieben Jahre später trennte sich Hil­ zinger von RAFI und wurde von Hoesch übernommen, eine Erbengemeinschaft wird Gesellschafter. Trotz der mehrmaligen Ei­ gentümerwechsel – bis heute gab es noch zwei weitere, nach dem Einstieg der Schwei- 107

FELA Hilzingcr zer Elektronik-Gruppe FELA im Jahr 1988 und 1999, als das Management Photochemie Electronic und FELA Hilzinger übernahmen -wurde am Stand­ ort in Schwenningen fest gehal­ ten. Dort konnte bereits 1985 der Neubau eingeweiht wer­ den. Auch in der Führung des Unternehmens gab es Kontinui­ tät. Helmut Schlenker, selbst seit 1978 bei Hilzinger tätig, ist heu­ te einer der fünf Gesellschafter, die das Stammkapital der GmbH halten. ,,Es hat nie einen Um­ bruch gegeben“, es sei offen­ sichtlich in der Leiterbranche nicht üblich, mit dem Eigentü­ merwechsel auch das Manage­ ment auszuwechseln, gibt sich der Prokurist zufrieden. Diese Beständigkeit zahlte sich für Hilzinger aus. 1995 konnte das bis dahin beste Jahresergebnis der Firmengeschichte erzielt werden, nachdem vier Jahre zu- Das Hilzinger-Gebäude am Standort VS-Schwenningen. vor eine eigenständige Ferti­ gung für Muster-, Vor- und Kleinserien im Eildienst eingerichtet und die Leiterplatten­ fertigung von Mannesmann KienzleNillin­ gen übernommen und integriert wurde. 1996 fusionierte die FELA Holding AG mit der Schweizer Photochemie Holding AG zur Unternehmensgruppe Photochemie Group mit Sitz in Unterägeri/Schweiz. Mit der FELA Printonic GmbH wurde 1998 ei­ ne Vertriebszentrale in Solingen eröffnet, danach das Handelsgeschäft mit Leiterplat­ ten aus Fernost erweitert. Das Schwenninger Unternehmen, das seit der Übernahme durch FELA als FELA Hilzinger GmbH fu­ rniert, wächst weiter, so dass vor zwei Jahren der Erweiterungsbau bezogen werden konn­ te. Die Fertigung einseitiger Leiterplatten wird aus dem Betrieb in Weilersbach nach Sd1wenningen verlagert. Vor zwei Jahren wur­ den durch die neu gegründete FELA Printo­ nic GmbH V illingen-Schwenningen die Handelsaktivitäten auch am Schwenninger Standort weiter ausgebaut. Sabine Krümmer Herben Rückschlag verkraftet 1991 musste Hilzinger indes einen herben Rückschlag verkraften: Ein Brand im Werk Schwenningen zerstörte den gesamten Gal­ vanik- und Nassfertigungsbereich. Der wirt­ schaftliche Gesamtschaden betrug damals mehr als 13 Millionen Mark. Schon bis En­ de Mai des folgenden Jahres konnte die Nassfertigung wieder in Betrieb genommen werden. Es folgte eine Zeit des Wiederauf­ baus und der Rationalisierungsmaßnah­ men, die 1993 als abgeschlossen galt. Nicht zuletzt durch die Belebung der Konjunktur 1994 konnte die wirtschaftliche Lage von Hilzinger stabilisiert werden. 108

USS in Tuningen gilt als einer der Marktführer Dienstleistungen rund um den Antrieb von Maschinen verschiedenster Art Industrie, Handwerk und Gewerbe Eine noch recht kurze, dafür um so erfolg­ reichere Unternehmensgeschichte hat die Firma HSS Hydraulik und Antriebstechnik GmbH in Tuningen, die innerhalb von sie­ ben Jahren zu einem der Marktführer ihrer Branche geworden ist. In den Produktberei­ chen Hydraulik, Antriebstechnik sowie Mess­ und Regeltechnik vertreibt der technische Großhändler und Werksvertreter Produkte erstklassiger Markenfirmen, die zum An­ trieb von Maschinen unterschiedlichster Art dienen. Kooperationspartner sind beispielsweise Gestra-Mess und Regeltechnik, der Rohrver­ schraubungsspezialist EMB, die Firma OKS mit ihren Spezialschmierstoffen, der Schlauch­ und Armaturenhersteller Argus, der Produ­ zent von Kupplungen, Keilriemenscheiben und Flachriemenantrieben Flender sowie viele andere bekannte Unternehmen. In der werkseigenen Produktion von HSS werden die Produkte dieser Firmen entsprechend in­ dividueller Kundenwünsche modifiziert und entweder ausgeliefert oder vor Ort montiert. Tuningen ein hervorragender Standort Geleitet wird das Unternehmen von Albert Sutter. Der 46-jährige Firmenchef und zwei­ fache Familienvater kommt aus Wiechs am Randen, ganz in der Nähe der Schweizer Gren­ ze bei Schaffhausen. Nach einer Ausbildung als Maschinenbauer mit der Fachrichtung Kon­ struktion arbeitete er zunächst im Außen­ dienst und bildete sich dann am Technikum Singen zum Maschinenbautechniker und Refa-Fachmann fort. Seit 1983 arbeitete er als Vertriebsleiter bei der Firma Trost in Vtllingen, bevor er in Stutt­ gart als Vertriebsleiter der Firma Schauz den Die Firma HSS auf der Fachmesse A SA 2000 in Stuttgart. 109

H S Tuningen Bereich Hydraulik leitete. Ende 1994 wagte er dann den Schritt in die Selbstständigkeit; mit drei seiner Mitarbeiter aus der Stuttgarter Zeit gründete er die Firma HSS, welcher er als geschäft führender Gesellschafter vorsteht. Zunächst fand das Unternehmen auf dem ehemaligen Kienzle-Areal in Schwenningen eine Heimat, dod1 schon bald wurden im Zu­ ge eines so nicht vorhergesehenen Wad1stums die vorhandenen Räumlichkeiten zu eng. Bei der Sud1e nach einem größeren Fir­ mengelände wurde Albert Sutter in Tunin­ gen fündig. ,,Tuningen – Top-Standort der Region“, diesen Werbeslogan der Saar-Ge­ meinde würde Albert Sutter sofort unter­ schreiben. Als hervorragend bezeichnet er den nahen Autobahnansd1luss sowie den en­ gen persönlichen Kontakt zur Gemeinde und lobt den unbürokratischen und erfolg­ reichen Einsatz von Bürgermeister KJumpp für die örtlid1en W irtschaftsbetriebe. Ende 1999 zog die Firma in das ehemalige HA­ KU-Gebäude in der Albstraße ein, 5 OOOqm Lager- und Produktionsfläche sowie 300qm Verwaltung räume bieten genügend Platz für eine weitere Expansion. Bisher betrug der jährliche Umsatzzuwachs 30 bi 40 Pro­ zent, angefangen hat die Firma mit vier Mit­ arbeitern, 1999 waren es schon 16 und heu­ te sind es 25. lnzwi eben wurden Vertriebs­ stützpunkte in Trochtelfingen bei Reutlin­ gen owie in Riegelsberg im Saarland eröff­ net. Erfolgreich durch großes Produktsortiment Konsequent wurde das Produktsortiment ständig vergrößert. Der größte Teil des Um­ satzes wird mit Hydraulikschläuchen und Rohrverschraubungen gemad1t, die weitere Produktpalette umfa st unter anderem Arma­ turen, Walzlager, Kettentriebe, Antrieb kupp­ lungen, Kondensatableiter, Abschlamm/Ab­ salzventile, Kühlwasserbegrenzer, Tempera­ tur-/Druckregler und Dichtungen. Der Erfolg der Firma beruht zum guten Teil auf ihrer großen Flexibilität. Ständig auf Lager sind etwa 20 000 untersd1iedliche Pro- 110 dukte, die EDV-Anbindung an die Herstel­ ler ist teilweise so fortgeschritten, dass HSS seine Lieferungen gleid1 selbst abrufen kann. Spezielle Kundenwünsche können umge­ hend in den eigenen Produktionsanlagen um­ gesetzt werden. So werden dort Schlauchlei­ tungen mit modernsten Vollautomaten abge­ längt und verpresst, die Schläuche haben ei­ ne Länge von bis zu 70m – wie sie für Ka­ naluntersuchungen benötigt wird – und eine Druckfestigkeit von bis zu 2 5 00 bar. Eine in­ tensive Prüfung und �alitätskontrolle der hochsensiblen, oft in sicherheitsrelevanten Bereichen eingesetzten Komponenten ist ein wichtiger Teil des Services. Schnell und effektiv Schnelligkeit und Effektivität werden durch die Unternehmensstruktur gefördert, da Pro­ duktion, Außendienst, Lager und Verwal­ tung alle unter einem Dad1 sind und eng zu­ sammenarbeiten. Zu den Kunden gehören Unternehmen aus fast allen Branchen, vom Fahrzeug- und Masd1inenbau über die Kern­ technik bis zur Rüstungsindustrie. Bekann­ te Namen sind Daimler-Chrysler, Trumpf­ Lasertechnik und ZF. Beliefert werden ferner Bundeswehr und Marine, aber auch der Pri­ vatmann, der ein Ersatzteil für seinen Dampf­ strahler oder einen Zahnriemen benötigt, wird bei HSS fündig. Schwerpunktmäßig beliefert die Firma den süddeutschen Raum, der Kundenkreis reicht aber von Europa bis zur Westküste der USA. Der hohe �alitätsstandard des Tuninger Unternehmens wird dokumentiert durch die Verleilmng des Zertifikats DIN EN ISO 9002. Zu Red1t stolz i t die Firma auch auf ihre German Lloyd-Zulassung, die sie als verläss­ lichen Zulieferer für Schiffswerften qualifi­ ziert. Helmut Rothermel

7. Kapitel/ Almanach 2002 Persönlichkeiten Musische Interessen standen im Vordergrund Herbert Muhle war beruflich und privat in der Doppelstadt engagiert „Mein Vater war ein ungewöhnlicher Mensch. Er besaß Charme, ein mittelalterli­ ches Haus, Humor, die Gabe, andere Men­ schen für die Sache zu begeistern, Ernst und Weitblick, diplomatisches Geschick, sehr viele musische Interessen, eine schier uner­ schöpfliche Allgemeinbildung, einen riesi­ gen Schatz an Zitaten und Gedichten, gro­ ßen Gemeinsinn, erstaunliches geschichtli­ ches Wissen und überhaupt ein hervorra­ gendes Gedächtnis“: Benedikt Muhle be­ schreibt in wenigen Worten in seinem Nachruf die wesentlichen Tugenden und Charakterzüge seines am 23. August 2000 verstorbenen Vaters (erschienen im Dezem­ ber 2000 in den Nachrichten des Karbe­ schen Familienverbands, Herbert Muhles Mutter war eine geborene Karbe). Dieser ungewöhnliche Mensch bleibt nicht nur seiner Ehefrau Anneliese und seinen beiden Söhnen Felix und Benedikt in Erin­ nerung, sondern aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten und Verdienste besonders vielen Kulturinteressierten der Region. Neben sei­ nen regional-historischen Forschungen, die er tatkräftig als Restaurator in seinem 1986 erworbenen Haus in der Villinger Altstadt unter Beweis stellte, und künstlerbiografi­ schen Veröffentlichungen prägte er für viele Jahre als Geschäftsführer des Kunstvereins Villingen-Schwenningen nachhaltig das Kul­ turleben seiner Wahl-Heimatstadt Villingen. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens hat Herbert Muhle im Oktober 1999 bei der Eröffnung der außergewöhnlichen Ausstel­ lung „Vergangenheit ist heute“ aus gesund­ heitlichen Gründen seinen Rücktritt als Ge­ schäftsführer des Kunstvereins Villingen­ Schwenningen angekündigt. Die Ehrenmit­ gliedschaft, die ihm am 20. Juni des folgen­ den Jahres aufgrund seiner Verdienste bei Herbert Muhte der Vollversammlung verliehen wurde, konn­ te Herbert Muhle nicht mehr lange ge­ nießen. Kurz darauf ist er im Alter von 75 Jahren verstorben. Herbert Muhte wurde am 7. Mai 1926 in Santiago de Chile geboren, wo sein Vater bei der Deutschen Bank beschäftigt war. 1930 kam die Familie nach Deutschland zurück. Sie ließ sich zuerst in Hamburg und dann in Berlin nieder. Schon 1943 erhielt Muhle den Reifevermerk wegen Einberufung zum Wehrdienst. Nach kurzem Kriegseinsatz, den der damals 18jährige schwerverletzt überlebt hat, lebte er seit 1945 in Villingen. 1949 legte er die Gesellenprüfung als Klein­ uhrmacher ab, im selben Jahr trat er bei der Kienzle-Apparate GmbH als Taxameter­ Monteur ein. Dieselbe Bereitschaft, die Her­ bert Muhle im Kulturbereich an den Tag 111

Geschäftsführer des Kunstvereins Persönlichkeiten legt, zeichnet sich in seinem Brotberuf ab. Auch hier bringt er es mit Zielstrebigkeit, Weitblick und diplomatischer Gabe zu einer respektablen Leistung. Bei Kienzle Appara­ te, später Mannesmann-Kienzle, dem größ­ ten Arbeitgeber der Stadt, macht er Karrie­ re: Als Exportleiter avancierte er bis zum Di­ rektor, war Mitglied der Geschäftsleitung und seit 1978 des Aufsichtsrates. Muhle be­ zeichnete sich selbst als „gelernten Villin­ ger“: Als Zugezogener, der sich stark für die Kultur seiner Heimatstadt eingesetzt hat. Neben seinem Engagement für den Ge­ schichts-und Heimatverein war es vor allem sein Ehrenamt als Geschäftsführer des Kunst­ vereins Villingen-Schwenningen, mit dem Herbert Muhle das kulturelle Niveau der Stadt eindeutig gehoben hat. Denn hinter jeder guten Veranstaltung steht eine trei­ bende Kraft. Einzig unter seiner 12jährigen Ägide vermochte diese kleine Individualis­ tenschar zu einem überregional anerkann­ ten Unternehmen dieses Ranges heranzu­ reifen. Sein unermüdliches Wirken für die bis dahin lose Künstlervereinigung wird ne­ ben den traditionellen Jahresausstellungen besonders mit drei außergewöhnlichen und vielbeachteten Sonderausstellungen doku­ mentiert. Gleich zu Beginn seiner Ge­ schäftsführung gab es in der Benediktiner­ kirche 1988 die Ausstellung „Imago“. 1993 folgte zum 40jährigen Bestehen des Vereins die Ausstellung „Werkstoff Papier“ und als Krönung war im letzten Jahr die Präsentati­ on „Vergangenheit ist heute“ zu sehen. ,;X/e­ sentlich neben den ganz normalen betriebs­ wirtschaftlichen Dingen wie Finanzen und Organisation ist für mich dabei die Öffent­ lichkeitsarbeit“, äußerte sich Muhle bei ei­ nem Interview anlässlich der letzten Aus­ stellung. Die verschwindend geringe Adress­ datei wurde beispielsweise auf 1600 Adres­ sen aufgestockt. Aber auch für das heute im Kulturbereich nicht mehr wegzudenkende Sponsoring, für „das Schnorren für den gu- 112 ten Zweck“ (Muhle), hat der ehemalige Di­ rektor von Mannesmann-Kienzle seine gu­ ten Drähte genutzt und seinen persönlichen Namen gerne eingebracht. Einige, zum großen Teil selbst miterlebte Begebenheiten sollen den Kultur-Menschen und -Manager Herbert Muhle charakterisieren, in seiner Konsequenz, seiner Bildung und auch sei­ ner pragmatischen Seite: Bei einer seiner ers­ ten Kunstvereins-Sitzungen mit der „lndivi­ dualistenschar“ wagte es eine Künstlerin auf­ zustehen und unentschuldigt vorzeitig zu gehen. Dieses unkollegiale Verhalten konn­ te und wollte Geschäftsführer Muhle, der für seine sprichwörtliche Hilfsbereitschaft bekannt war, nicht akzeptieren: Er nahm den Vorfall gleich zum Anlass, von den an­ wesenden Künstlern dasselbe ernsthafte En­ gagement einzufordern, das er selbst bereit war einzubringen. Dass die beeindruckende Begebenheit kein individuell erlebter Ein­ zelfall, sondern ein wesentlicher Charakter­ zug Muhles war, führt sein Sohn Benedikt in seinem Nachruf für den Karbeschen Famili­ enverband aus: ,,Das Nichteinhalten von Verpflichtungen, war neben unsozialem Ver­ halten und Unhöflichkeit eins der Dinge, die meinem Vater absolut gegen den Strich gingen.“ Herbert Muhle war aber nicht nur ein pro­ fessioneller Organisator, der die Zügel kon­ sequent und straff in der Hand hielt, son­ dern er stellte auch immer wieder seine ho­ he Bildung unter Beweis und konnte somit die Zuhörer für sich gewinnen: Bei einer Laudatio für einen georgischen Künstler konnten die Besucher neben einer kurzen Werkbeschreibung auch einem umfassen­ den Referat über die spannende Kulturge­ schichte Georgiens vom Goldenen Vlies bis zu den Argonauten lauschen. Bei einer an­ deren Einführungsrede für eine Malerin, die in Neuseeland lebt, überzeugte der Lau­ dator neben fachspezifischem künstlerisch­ em Wissen mit detaillierten landeskundli- Professionell und schnell entschlossen

Herbert Muhle I Wilfried Leibold Backofen in seinem Haus in der Brunnen­ gasse standfest gemacht. Anekdoten, die den ungewöhnlichen Menschen unvergess­ lich machen. Stefan Simon chen Kenntnissen, die ihm sicherlich auch als Leiter der Exportabteilung bei Mannes­ mann-Kienzle zunutze waren. Aber neben aller wohltuenden, zuweilen auf angenehme Art ausufernden Belesenheit, Herbert Muh­ le war auch ein handwerklich geschickter Pragmatiker und ein schnell entschlossener Mann der Tat: Kurz vor einer Ausstellungs­ eröffnung im Franziskanermuseum hat er etwa ein wackliges Keramikportrait mit Knetmasse unterfüttert und ohne große Worte ganz unkonventionell im heimischen Vielschichtiges Engagement für die Gemeinde Wilfried Leibold – Lehrer, Bezirksrat und Kirchengemeinderatsmitglied In einer zweistündigen Feier wurde im Juli 2000 der frühe­ re Schulleiter der Schloßbühl­ schule und langjährige Lehrer der Grundschule Weigheim­ Mühlhausen aus dem Schul­ dienst verabschiedet. Die Turn­ halle war für die zahlreichen Gäste zu klein. Dies zeigt, wie beliebt und geschätzt der Leh­ rer und Ortspolitiker ist. Als Wilfried Leibold am 9. September 1937 in Wilflin­ gen/Hohenzollern als jüngs- Wilfried Leibold tes von fünfKindem zur Welt kam, war noch nicht abzusehen, daß er ein­ mal das Geschehen in Mühlhausen maß­ geblich mitbestimmen würde. Nach dem Besuch der Volksschule und der Erlangung des Abiturs studierte er an der pädagogischen Hochschule in Freiburg. Sei­ ne erste Stelle war an der Schule in Dietin­ gen. Hier lernte er auch seine Frau Helga kennen, die er 1964 heiratete. Drei Kinder gingen aus dieser Verbindung hervor. Wilfried Leibold war drei Jahre Schullei­ ter in Bochingen bei Oberndorf, bevor er 1964 an die damals katholische Schule in Mühlhausen kam. Als die Selbständigkeit der Schule in Mühlhausen 1975 aufgeho­ ben wurde, blieb Wilfried Lei­ bold als Lehrer an der Grund­ schule Weigheim-Mühlhau­ sen. Er machte seine Schüler mit den alten landwirtschaftli­ chen Techniken vertraut, ver­ mittelte ihnen Liebe zur Hei­ mat und Natur. Als Projekt­ unterricht an den Schulen noch eine Seltenheit war, praktizierte er ihn bereits in Mühlhausen. Die Arbeit mit Kindern hat ihm immer viel Spaß bereitet. Seinem handlungsorientierten Unterricht ist es sicher zu verdanken, daß sich die Mehrzahl seiner ehemaligen Schüler gerne an die Schule zurückerinnert. Er engagierte sich auch in der Lehrerfortbildung, war Fachberater für Landeskunde. Hier kam sein umfangreiches Wissen der Landes- und Hei­ matkunde, der Sitten und Gebräuche und des Lebens auf dem Lande zum Tragen. Sei­ ne Weiterbildungsangebote für Lehrer wur­ den gerne angenommen, da er den Bezug zur Praxis nie verlor. 113

Persönlichkeiten Dorfentwicklung entscheidend geprägt Seine Hobbies – Fotografieren, Volkskun­ de, Natur und Tierkunde – kamen ihm bei seinen zahlreichen Aktivitäten sicher zu Hil­ fe. Er liebt die Tätigkeiten im Garten und den Umgang mit seinen Bienen. Der Ort Mühlhausen sähe ohne Wilfried Leibold heute sicher anders aus, denn er en­ gagierte sich im Freundeskreis Mühlhausen und im Bezirksbeirat. Die Dorfentwicklung der letzten 30 Jahre trägt seinen Stempel. Die Wandlung von einer ländlich struktu­ rierten Gemeinde zu einer Wohngemeinde vollzog sich auch in Mühlhausen. Obwohl Wilfried Leibold 1970 die Eingemeindung zu Schwenningen ablehnte, setzte er sich nach der Fusion dafür ein, daß die im Eini­ gungsvertrag getroffenen Vereinbarungen auch eingehalten wurden. Nach der Eingemeindung begannen zahl­ reiche Baumaßnahmen. Der Mühlbach wur­ de verdohlt und die Straßen Richtung Weigheim und Tuningen ausgebaut. Dem Straßenbau mußten zwei alte landwirt­ schaftliche Höfe weichen. Der eine Bauer siedelte seinen Betrieb aus, der andere gab ihn auf. Sein Anwesen war der frühere Pfarr­ hof und seine Scheuer die alte Zehntscheu­ er. 1683 stand auf dem Türsturz über dem Stalleingang. Heute ist dort die Weigheimer Straße. Das Wohnhaus jedoch wurde durch Familie Leibold gerettet und renoviert. Eine dendrochronologische Untersuchung ergab, daß das Gebäude um 1669 erbaut wurde. 1978 bekamen die „Retter“ den Peter-Haag­ Preis des Schwäbischen Heimatbundes für die gelungene Sanierung. Bereits 1971 richteten die Bürger eine Hei­ matstube ein. Der örtliche Bezirksbeirat be­ mühte sich, den dörflichen Charakter des Ortes zu erhalten, und er schaffte es sogar, ins ländliche Programm der Dorfentwick­ lung aufgenommen zu werden. Die 800- Jahrfeier, an der Wilfried Leibold an vorders­ ter Front mitwirkte, .’7ab Impulse für das Ge­ meinschaftsgefühl. Uberhaupt kann er Leu­ te für Projekte begeistern, seine zupackende, 114 umtriebige Art verführt zum Mitmachen. Der Höhepunkt war ein historischer Fest­ umzug. Aus der seit 1968 bestehenden Bür­ gerinitiative entstand der Verein „Freundes­ kreis Dorf Mühlhausen“. Wen wundert es, daß Wilfried Leibold zum Vorsitzenden ge­ wählt wurde. Er war maßgeblich daran be­ teiligt, daß die Gebäude im Dorfzentrum er­ richtet und damit die Ziele des Vereins: Er­ haltung und Wiederherstellung dorfhistori­ scher Gebäude mit Umgebung in Mühl­ hausen, verwirklicht wurden. Besonders der nicht ermüdende Einsatz der Familie Lei­ bold trug dazu bei, daß Mühlhausen heute ein attraktiver Ort ist. Dies würdigten auch alle Redner bei der Verabschiedung. In Mühlhausen geschehe nichts, wovon Wil­ fried Leibold nichts wisse, bemerkte ein Redner prägnant. Bauernmuseum, Göpelhaus, Göpelhaus­ brunnen, Moste, Backhaus, Schmiede und Mühle dokumentieren die Geschichte des Ortes und tragen zur Identitätsfindung der Bewohner bei, sie vermitteln Heimat im besten Sinne des Wortes. Die Umgestaltung des Dorfmittelpunkts geschah zwischen 1975 bis 1996. Das Bauernmuseum in der al­ ten Pfarrscheuer öffnete 1975 seine Tore, und die Ölmühle mit den Gemeinschafts­ räumen wurde 1996 ihrer Bestimmung übergeben. Das Museum verdeutlid1t die Bedeutung der Landwirtschaft für das Leben der Vorfahren. Das Göpelhaus dient zu­ gleich als Festhalle. Das Landesdenkmalamt bedankte sich bei Leibold für die gute Zu­ sammenarbeit bei der Renovierung der Pfarr­ scheuer. Zusammen mit Karl W iehl trug er viele Exponate für die Ausstellung zusam­ men. In der Nähe des Bauernmuseums wur­ de der in Schwenningen abgebrochene Wet­ tebuurenschopf wieder errichtet. Eine schöne Belohnung für die Bemühun­ gen war 1989 die Goldmedaille beim Wett­ bewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Eine Flurbereinigung wurde durchgeführt. Wilfried Leibold sorgte dafür, daß ein Ver­ ständnis für ökologische Zusammenhänge in der Bevölkerung vorhanden war. Wenn

Wilfried Leibold Mit handlungsorientiertem Unterricht konnte Wi!fried Leibold seine Schüler für die Natur begeistern. zudem die „Halde“ unter Naturschutz steht, so ist auch dies im wesentlichen ihm zu ver­ danken. Auch in der Kirchengemeinde ist er aktiv, seit über 30 Jahren leitet er den Kirchenchor und ist Mitglied im Kirchengemeinderat. Die 800-Jahrfeier der Kirche St. Georg ge­ staltete er 1979 maßgeblich mit. Er verfaßte außerdem die Festschrift. Aus seiner Feder stammen ebenfalls die Broschüren über die Geschichte des Ortes Mühlhausen, des Bau­ ernmuseums, der Mühlhauser Bräuche, des 25jährigen Bestehens der Grundschule Weigheim-Mühlhausen und der Flurberei­ nigung. Wilföed Leibold sorgte als Journalist auch dafür, daß in der hiesigen Presse Mühl­ hausen und seine Ereignisse nicht verges­ sen wurden, wie zum Beispiel die Teilnah­ me am Mühlentag, der immer am zweiten Pfingstfeiertag stattfindet. Für seinen Einsatz bekam er die Ehrenna­ del des Landes Baden-Württemberg und das Bundesverdienstkreuz, das ihm in einer Fei­ erstunde im Göpelhaus im März 1995 vom Oberbürgermeister Villingen-Schwenningens überreicht wurde. Es sollte nicht vergessen werden, daß seine Frau die vielfältigen Tätig­ keiten unterstützte, die sonst sicher nicht zu bewältigen gewesen wären. Im Dezember 1999 bekam er die Bestäti­ gung des Ministeriums für Kultus und Un­ terricht, daß man seiner Entlassung zum Schuljahresende zustimme. Doch am l. Sep­ tember 2000 kam ein Schreiben, das besag­ te, er könne erst zum 30. September 2000 aus dem Schuldienst entlassen werden, da sich im Mai 2000 durch eine neue Verord­ nung die Rechtslage geändert habe. Somit mußte der bereits Entlassene noch vier Wo­ chen „nachsitzen“, was er – wie vordem – mit vollstem Engagement tat. Ob nun mehr Zeit für ihn und seine Frau bleibt, darf bezweifelt werden, denn sein Einsatz für Mühlhausen wird sicherlich wei­ tergehen, und dafür sei ihm und dem Ort viel Erfolg gewünscht. Ingeborg Kottmann 115

Persönlichkeiten Landwirtschaft und Politik aus Leidenschaft Zum Tod von Franz-JosefKornhaas Franz-Josef Kornhaas war ein eigenwilliger w1d kantiger Mensd1, dabei aber auch sehr aufgeschlossen und hilfsbe­ reit. Am 24. August 1924 in Mar­ bach geboren und dort auf­ gewachsen, schlug Franz-Jo­ sef Kornhaas die bäuerliche Laufbahn ein. Er erlernte sei­ nen Beruf nicht nur im elterli­ chen Betrieb, sondern besu­ chte auch die Fachschule und schloß die Ausbildung als Landwirtschaftsmeister ab. Sd1ließlich übernahm er den elterlichen Hof Neben dem Landwirtschaftlichen Ortsverband war er aud1 im Franzjosef Kornhaas Kreis- und Hauptverband eh­ renamtlich tätig. einsleben war er ebenfalls ei­ ne feste Größe. Sein großes Engagement wurde 1996 mit der Verleihung des Bundes­ verdienstkreuzes gewürdigt. Bis zuletzt gehörte er auch zum Team, das sich der Er­ stellung der Ortschronik Mar­ bach widmet. Es war ihm wichtig, daß das früher Erleb­ te, das heute schon Geschich­ te ist, nicht verloren gehen sollte. Man konnte ihn als aufgeschlossenen, sehr inter­ essierten und hilfsbereiten Mitstreiter erleben. Er war ei­ ne wahre „Fundgrube“ nicht nur als Zeitzeuge der Ortsge­ schichte des 20. Jahrhun­ derts. Besonders die Anekdo­ ten und Begebenheiten, die er zu erzählen wußte, lockerten nicht nur auf, sie gaben den trockenen Fakten Leben. Ein Besuch bei ihm zu Hause, im denkmalgeschützten und von ihm zu Recht mit Stolz als Kleinod ge­ sehenen sogenannten Vogtshaus, förderte er Fotos aus vergangener Zeit zu Tage. In der gemütlid1en Stube, die vermutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden ist und die als Denkmal eingetragen ist, konn­ te Franz-Josef Kornhaas fast zu jedem Bild eine Geschichte erzählen, sagen wer abge­ bildet war oder zu welchem Anlaß man die Aufnahme gemacht hatte. In der freundli­ chen Atmosphäre verging die Zeit wie im Fluge. Am 17. September 2000 kam Franz-Josef Kornhaas ums Leben. Mit ihm hat die Ar­ beitsgruppe nicht nur einen engagierten Mit­ arbeiter verloren, sondern auch einen wich­ tigen Zeitzeugen. Ute Schulze Schon mit 29 Jahren wurde er als jüngstes Mitglied 1953 in den Marbacher Gemein­ derat gewählt. Diesem Gremium gehörte er bis 1974 an. Nach der Eingliederung in die Stadt Villingen-Schwenningen, die er per­ sönlich nicht befürwortet hatte, war er Mit­ glied des Marbacher Ortschaftsrats bis 1994. Dann kandidierte er nicht mehr. Aber damit waren seine politischen Aktivitäten noch lange nid1t erschöpft. Von 1959 bis 1965 ver­ trat er die Freie Wählervereinigung im Kreis­ tag Villingen. Ab 1972 gehörte er zu den CDU-Abgeordneten des Kreistags Villingen­ Schwenningen, von 1973 bis 1989 zu denen des Schwarzwald-Baar-Kreises. Neben seinen beiden Hauptaktivitäten, Landwirtschaft und Politik, war Kornhaas auch sonst sehr aktiv. Er war Mitglied des Verwaltungsrats der Sparkasse V illingen­ Schwenningen, Mitglied im Pfarrgemeinde­ rat der St.-Martins-Kirche Brigad1tal, zu der auch Marbach gehört. Im Marbacher Ver- 116

Seine Schüler erinnern sich gern an ihn Helmut Groß – Lehrer, Künstler und Karikaturist Helmut Groß Den Lesern des „Almanachs“ ist Helmut Groß kein Unbekannter. Seine Illustratio­ nen zu „Heiteres aus dem Klosterleben St. Ur­ sula in Villingen“ waren über Jahre hinweg etwas Charakteristisches. Jedoch bat ihn die Redaktion dieser Jahresbände auch zu ande­ ren Themen nie umsonst um ein Bild zur Auflockerung eines Textes oder zur Aus­ schmückung einer Seite. Das Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises hat in ihm einen treuen Mitarbeiter für Motive aller Art. Kennzeichen für die meisten seiner Szenen ist der Humor, und über seinen Landschaf­ ten schwebt eine heitere Stimmung. Geboren 1926 in Schenkenzell im oberen Kinzigtal, besuchte er dort die Volksschule, in Alpirsbach die „Oberschule“. Im Kindes­ alter bereits fiel seine Begabung für Malen und Zeichnen auf, die er heute auf seinen Großvater mütterlicherseits zurückführt, der Kirchenmaler und Schüler von Hans Tho­ ma an dessen Kunstakademie in Karlsruhe war. Schon während der Schulzeit griff der Krieg in sein Leben ein. Die wehrtauglichen Jungen wurden zu den Luftwaffenhelfern an der Schwarzenbachtalsperre (nördlicher Schwarzwald, Forbach) eingezogen. Vor sei­ ner Einberufung zur Luftwaffe konnte er noch in Freudenstadt an der „Keplerschule“ das Abitur ablegen. Nach kurzer Grundaus­ bildung 1944 bei der Luftwaffe in Oschatz bei Leipzig, begann er eine fliegerische Aus­ bildung in Fürstenfeldbruck – und wurde mit einer Luftwaffenfelddivision in die Par­ tisanenhölle nach Jugoslawien (Kroatien) ver­ setzt. Dieser entkam er nur mit viel Glück über das Hochgebirge in das von den Briten besetzte Kärnten. Dort wurde er von diesen bis zu seiner Entlassung festgehalten – nicht als Kriegsgefangener, sondern als „surrende­ red person“ (nach der Kapitulation in „Ge­ fangenschaft“ geratene Soldaten, nicht dem Kriegsrecht unterstellt und deshalb größerer W illkür der Sieger ausgeliefert, ,,no duties“ = ,,keine Verpflichtungen“ ihnen gegenü­ ber). Erst später wurde dieser Gruppe der Status von Kriegsgefangenen zuerkannt, was eine rechtliche Aufwertung und bessere Ver­ pflegung zur Folge hatte. 1947 sah er die Heimat wieder. Wie viele Angehörige seiner Generation, die das Glück hatten, aus dem Krieg zurückkehren zu dürfen, stand auch er vor dem beruflichen Nichts. Er studierte Pädagogik, Erste Dienstprüfung 1949, Zwei­ te Dienstprüfung 1952, Anstellung im Ort Kinzigtal bei Wolfach. Danach Versetzung in den Landkreis Villingen, nach Wolter­ dingen. Aus der 1959 geschlossenen Ehe gingen ein Sohn (Diplom-Ingenieur) und eine Tochter (Lehrerin) hervor. Der junge Lehrer gab sich mit Leib und Seele dem Schuldienst hin, und so hielt er es sein ganzes Berufsleben hindurch. Er war sehr bald Schulleiter in Wolterdingen, ging Helmut Groß 117

Per önlichkeiten mit den Schülern Skilaufen, machte Touren mit ihnen in der Umgebung, versorgte die Wildfutterplätze mit Heu, Kastanien usw. Höhepunkt am Ende der Saison war ein Ski­ tag auf dem Feldberg unter Teilnahme des gesamten Kollegiums und des Ortsgeistlichen Gottfried Huber. Auch die Nachbarschafts­ schule in Hubertshofen schloss sich an – ,,ei­ ne feine Sad1e“, sagen seine ehemaligen Schüler nod1 heute. Er hatte auch dankbare, fleißige Schüler, ihr Elternhaus stand hinter ihm und eine stattliche Zahl von Schülern besuchte auf seine Empfehlung hin das Gymnasium in Donaueschingen. Der künst­ lerisch begabte Lehrer fertigte auch für Fron­ leichnam in nächtelanger Arbeit die Ent­ würfe für die Blumenteppiche und half mit einer Gruppe die Blumen dann auch legen. ,,Stark im Einsatz“ war er immer an Fastnacht. Schon in den großen Ferien gestaltete er rie­ sige Kulissen mit den verschiedensten Mo­ tiven, u.a. dem Kreml, einer Südseeland­ schaft, einer Hafenidylle … Begabte Schüler durften ihm dabei helfen. Sein „Blick in die Welt“, gesehen von einem in die Höhe ge­ zogenen Fass durch ein Fernrohr, verquick­ te kommunalpolitische Ereignisse mit denen der großen weiten Welt. ,,Da war was los!“ Nur so nebenbei bemerkt er, dass er auch Gründungsmitglied des TV Wolterdingen 1960 und jahrelang Schriftführer und Wan­ derwart war. Gute Atmosphäre wichtig 1968 nach Villingen als Konrektor an die Klosterringschule versetzt, machte er in der bisherigen Weise, nur in größerem Umfang weiter. Humorvoll nannte er sich „Hilfsshe­ riff“ der Frau Rektorin Paula Straub. Wichtig war ihm immer eine gute Atmosphäre im Kollegium. Neben aller organisatorischen Ar­ beit (Stundenplan, Krankheitsvertretung … ) übernahm er als Mentor die Ausbildung von Junglehrern in der II. Phase, dem sogenann­ ten hochschulfernen Praktikum. Er engagier­ te sich für das erweiterte Bildungsangebot (EBA), mit dem sich begabte und interessier- 118 te Schüler in Technik, Musik, Schachspiel … profilieren konnten. Konrektor Groß hatte die Leitung und Organisation. Und schließ­ lich war er noch Mitglied des Prüfungsaus­ schusses für die Zweite Dienstprüfung in Bil­ dender Kunst. Mit Schwestern von St. Ur­ sula machte er in den Pfingstferien in Südti­ rol (Basislager Viums) Touren, alles, von Spa­ ziergängen bis zu alpinen Bergwanderungen, je nach Leistungsfähigkeit der Teilnehmerin­ nen. Selbstverständlich führten Touren auch zu den bedeutenden Kunstschätzen Südti­ rols: Neustift, Brixen, Bozen, Kloster Säben … Für gute Stimmung am Abend sorgte auch der berühmte Südtiroler Rote. Zweimal er­ hielt er Einladungen vom Land Baden­ Württemberg zu Skiwandertagen am T hur­ ner und am Hochfirst. ,,Europa-Preise“ bei Maiwettbewerben Nach der Liaison der beiden Städte Villin­ gen und Schwenningen baute er mit seinen Schülern (er führte meist Abschlussklassen) den „Oberzentrums-Jet“ für den Fastnachts­ umzug, auf einem Wagen eine Rakete mit eingebautem Motorradmotor ohne Schall­ dämpfer und Auspuffrohr, aus Luken an den Seiten schossen Raketen. Ein anderer Wagen nahm sich die damalige Tauben- und Katzenplage in Villingen vor. Die außer-un­ terrichtliche Tätigkeit umfasste auch Schul­ feste, Schullandheimaufenthalte in Südti­ rol, Krippenspiele an Weihnachten. Was Helmut Groß besonders lag, war natürlich die Teilnahme an Maiwettbewerben, und dabei holten seine Schüler viele Preise auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Selbst ,,Europa-Preise“ wurden errungen: ein völ­ kerverbindendes T hema brachte einmal ei­ nen „Europa-Taler“. Für eine Sendung des Südwestfunks erfand er für das Hotel „Weißes Rössl am Wolfgangsee“ einen Hausgeist und reimte ein Gedicht, mit dem er dann den er­ sten Preis, einen Aufenthalt im „Weißen Rössl“ gewann. Die Abbildung dieses „Gei­ stes“, eines galoppierenden, fliegenden Pfer­ des (Pegasus) mit Flügeln und Schwimm-

häuten mit der graphisch-künstlerischen Darstellung des Textes, hängt an der Wand zum Eingang der Hoteldirektion. Es will wohl etwas heißen, von tausend Einsen­ dungen den Siegespreis davongetragen zu haben. Helmut Groß lieferte – kaum bekannt – für die Sendung „Montagsmaler“ im Süd­ westfunk mit Sigi Harreis zeichnerisch dar­ stellbare Ideen. Auf Sendung ging auch sein Gedicht „Till Eulenspiegel oder die Speck­ und Weinfestdiebe“. Und selbstverständlich nahm auch die Presse davon Notiz. Die Sen- „Punkt ‚zwö!f zu mitternächt’ger Stund steigt er aus des See‘ s Grund; Schwebt leicht wie Pegasus, geflügelt, Übers Wasser, mondbespiegelt. “ dung von Rudi Carell „Am laufenden Band“ kommentierte er in Reimen unter dem Titel ,,Retour-Rudigramm“. Der Showmaster ha­ be dem Text einen Ehrenplatz an einer Wand in seinem Büro gegeben, schrieb er zurück. Als Belohnung kam vom Westdeut­ schen Rundfunk eine Einladung zu einer Sen­ dung Carells. Nach seiner Zurruhesetzung holte er ein Kunststudium nach, das er in jungen Jahren aufnehmen wollte und wofür es keine Gelegenheit gab. Die „Studienge­ meinschaft Darmstadt“ bot die Möglichkeit zur Ausbildung in Karikatur- und Presse­ zeichnen. Er nahm 1990 bis 1992 an einem Fernstudium teil, das beanspruchte mit sei­ nen vielen Themen (Ideenfindung, Entwurf, Mimik, Alltagshumor, Figurenzeichnen, Bildgeschichten … ) seine ganze Konzentra­ tion. Dafür trug das Diplom aber am Ende das Prädikat „mit sehr gutem Erfolg“. Wie er eigentlich zur Mitarbeit beim Al­ manach kam? Ganz einfach. Der damalige Herausgeber, Landrat Dr. Gutknecht, such­ te vor über 20 Jahren für einige Stellen noch Illustrationen und bat Helmut Groß um sei­ ne Hilfe. So fand das heitere Klosterleben in St. Ursula seinen Eingang in den Almanach, Helmut Groß und viele andere schöne Bilder auch. Im Herbst 1994 führte er im neuen Kreishaus in Villingen eine Ausstellung mit weit über hundert Exponaten durch, die einen Ein­ blick in sein künstlerisches Schaffen gaben. Das Motto: Heitere Schönheit im Almanach und Schwarzwald-Baar-Kreis. Vielseitig wie seine Motive sind auch die Techniken seines Maiens. Er versteht sich auf verschiedene Mischtechniken, malt in Öl und Akryl, verwendet Aquarellfarben und Ölkreide, wendet auch die Spachteltechnik an, zeichnet mit Bleistift und Feder, benützt bei Karikaturen die Schneidfeder, schneidet damit Teile der Zeichnung aus und beklebt die geeigneten Flächen mit Strukturpapier, fotokopiert die Schwarzweißskizze und ko­ loriert sie danach. Die je ausgewählte Tech­ nik hängt für Helmut Groß vom Motiv ab. Seit zehn Jahren lebt Helmut Groß im Ru­ hestand, aber es ist ein wahrhaft erfüllter Ru­ hestand. Er ist als Zeichner und Maler „ent­ deckt“. Er bemalt Schränke, Truhen, Vitri­ nen, Tröge, Kübel (im Stil der „Bauernma­ lerei“, er nimmt dabei Rücksicht auf Alter der Gegenstände und die Region ihrer Her­ kunft), daneben auch Flaschen aller Art und Größe für Kunstliebhaber und der Reichtum seiner Motive ist noch lange nicht erschöpft; auch die Bemalung und Gestaltung von Stei­ nen gehört dazu. Unter seiner Hand werden sie zu Fabeltieren, Gnomen, Gauklern und anderen Spaßfiguren. Für seine langjährige Tätigkeit als Almanach­ Autor wurde Helmut Groß bei der Feier zum 25jährigen Jubiläum des Almanachs im No­ vember 2000 durch Landrat Karl Heim ge­ ehrt. Kar/Volk 119

Persönlid,keiten ,,Ein guter Kellner ist auch mal ein guter Schlingel“ Hans Ulrich Lochar – Fachlehrer zwischen Tradition und Trends Absolventen der Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe, ob im Aus­ bildungsbereich Köche, Restaurant- und Ho­ telfachleute oder Hotelkaufleute, drücken im Verlauf ihres Blockunterrichts alle irgend­ wann einmal bei Hans Ulrich Lochar die Schulbank. Für den Fachlehrer der Servier­ und Getränkekunde ist der Unterricht mehr als ein reines Abspulen der im Lehrplan vor­ gesehenen Inhalte. ,,Wenn Sie den Draht zum Gast nicht haben, ist Ihr ganzes Fachwissen für die Katz,“ appelliert Hans Ulrich Lochar an die jungen Menschen und setzt so auf Freundlichkeit statt Arroganz. Es ist die Sou­ veränität des Serviermeisters an der mit jähr­ lich rund 2 500 Schülern größten Landesbe­ rufsschule in Baden-Württemberg, die be­ eindruckt. Wenn im Servierraum knapp 30 Auszubildende professionelles Flambieren trainieren, dann nimmt der Meister schon mal selbst die Pfanne in die Hand. ,,Rütteln, und das möglichst gleichmäßig,“ nimmt Lochar die Angst vor der aufzischenden Flamme und verteilt, wo angebracht, Lob und Kritik in fairer und nie verletzender Weise. ,,Die jungen Menschen sind bereit viel zu lernen, und ich bewundere jeden, der sich heute noch selbständig macht,“ be­ schreibt er den Stellenwert der Gastronomie und Hotellerie, ,,andererseits geht mit jedem Betrieb, der aufgibt, ein Stück Kultur verlo­ ren.“ Nur gut zehn Prozent der Auszubil­ denden an der Landesberufsschule kommen aus dem elterlichen Betrieb und werden den nach ihrer Ausbildung übernehmen. „Ein guter Kellner ist auch mal ein guter Schlingel,“ Lod1ar denkt schmunzelnd an jenen Pappenheimer, der sich im Ausbil­ dungsbetrieb Richtung Blockunterricht in VS abmeldete und sich stattdessen einen Ur­ laub in London gönnte. In Fällen wie die­ sem wirkt sich das „Dreiecks-Verhältnis“ Aus- 120 i Hans Ulrich Lochar bildungsbetrieb, Auszubildender und Schu­ le und der daraus resultierende kurze Draht wohltuend aus. ,,Die Gastronomen haben längst begriffen, daß gute Nachwuchsausbil­ dung für den Fortbestand des Betriebs über­ lebenswichtig sein kann,“ resümiert der Fach­ lehrer, der sich selbst als Traditionalist sieht, was für ihn absolut nicht gleichbedeutend ist mit dem Bild des Ewiggestrigen. Das Ge­ genteil ist der Fall: ,,Trends folgen, aber nicht jedem,“ bringt es Hans Ulrich Lochar auf den Punkt, ,,wenn man irgendwelche Getränke nur um des Mixens willen zusammenschüt­ telt, ist das noch lange keine Kultur.“ Dabei denkt der Serviermeister mit gelindem Grau­ en an Modeerscheinungen wie Prosecco,

Risecco oder gar Grisecco, mit denen aus seiner Sicht deutsche W inzer köstlichem Riesling oder Burgunder ihre ursprünglich hohe �alität stehlen und schließt dabei auch den hier produzierten Chardonnay gleich mit ein. Abgesehen davon aber be­ stätigt er den Winzern der weiten Region Se­ riosität und absolute Ehrlichkeit, ,,allerdings ist Gutedel in Bordeauxflaschen für mich ein absoluter Stilbruch.“ Hohe Fachkompetenz Die hohe Fachkompetenz des Hans Ulrich Lochar ist nicht nur an der Landesberufs­ schule gefragt, wo er gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern der Euro-Klas­ se 1 zum großen Erfolg des Projekts „Wiener Kaffeehaus“ beitrug. Lochar war zehn Jahre erster Vorsitzender der Sektion Schwarz­ wald-Baar des Verbandes der Servicemeister, Restaurant- und Hotelfachkräfte (VSR), ist seit vielen Jahren Prüfer bei den Industrie­ und Handelskammern Freiburg und Kon­ stanz und Mitglied im Prüfungsausschuß für die baden-württembergischen Jugend­ meisterschaften der Restaurantfachleute. Ge­ radezu als Ehre empfindet er die Berufung an die Staatliche Weinbauschule in Weins­ berg, wo er den angehenden Weintechnikern den Umgang mit Wein und dessen fachge­ rechtes Servieren vermittelt. Schließlich en­ gagiert der ASTA der Verwaltungshochschu­ le in Kehl den Fachmann in Sachen Servier­ und Getränkekunde zu Themen „Wie ge­ stalte ich einen Empfang?“ oder „Wie bewe­ ge ich mich aufEmpfängen?“ ,�ein-Trinken ist Beten – Wein-Saufen ist Sünde“ Seine Erfahrungen als Fachlehrer, Wein­ kenner, und waschechter Badener hat der ge­ bürtige Wiesentäler in zwei Büchern festge­ halten. Sein flott gemachtes Erstlingswerk „Lochars Geschichten und Erzählungen aus der Gastronomie“ hat er mit fachlichen Rat­ schlägen reich garniert. Seit 1999 kann, wer Hans Ulrich Lochar mag, mit dem im Format handlichen kuli­ narischen Begleiter „Essen und Trinken im Südschwarzwald“ jene rund 360 Gasthäu­ ser, Restaurants und Hotels ansteuern, für deren gute Küche und freundliches Bemühen um den Gast Lochar seine Hand ins Feuer legt. Der geographische Radius, im Büchlein farblich markiert, umfaßt die Regionen Elz­ tal, Kaiserstuhl, Breisgau, Hochschwarz­ wald, Wiesental, Schwarzwald-Baar, Mark­ gräflerland und den Hochrhein samt Hot­ zenwald. Dabei ist sein Vorwort über typi­ sche Schwarzwälder Merkmale wie die Kuckucksuhr, das Kirschwasser, den richti­ gen Umgang mit Schwarzwälder Speck und natürlich über den Wein eine einzige Liebe­ serklärung an die badische Gastronomie. Der Autor bemüht Professor TI1eodor Heu­ ss mit dessen Vergleich vom Wein-Trinken und Wein-Saufen oder Johann Peter Hebel, der vom Kaiserstuhl als Mustergärtlein und Paradieslein schwärmte. Und ganz nebenbei ist die Einführung in seinen kulinarischen Begleiter ein Wegweiser durch die Vielfalt dessen, was unter anderem im Markgräfler­ land, im Breisgau oder am Kaiserstuhl am Rebstock reift. Im Innenteil spart Hans Ul­ rich Lochar nicht mit hilfreichen Tips. Bür­ gerlich-rustikal, ländlich-einfach, gemütlich, klassisch-familiär oder rustikal-elegant sind typische Klassifizierungen; er nennt Preise von Gerichten, Öffnungszeiten oder Ruhe­ tage und beendet die Vorstellung der Häu­ ser jeweils mit einem besonderen Tip. Um ein rechter und echter Weinkenner zu werden, sagt Hans Ulrich Lochar, der dabei sein umfangreiches Wissen bescheiden her­ unterspielt, bedürfe es jahrzehntelanger Pra­ xis und Erfahrung- und vielleicht auch eines besonders großen, rötlich angehauchten Zinkens. ,,Das wär’s: Nur mit meinem Riech­ apparat spontan sagen zu können, um wel­ chen Wein es sich handelt.“ AnneBethge 121

Persönlichkeiten Ehemaliger Vorsteher der Brüdergemeine Heinz Burkhardt – die Geschichte der Herrnhuter bewahrt Wer ihn suchte, fand ihn mit großer Wahr­ scheinlichkeit im Archiv der Herrnhuter Brüdergemeine in Königsfeld. Dort, im rechten Flügel des Kirchbaus, widmete sich Heinz Burkhardt, der ehemalige Vorsteher der Brüdergemeine, tagtäglich viele Stunden seiner großen Leidenschaft: Dem Archivie­ ren und Sammeln, dem Einsortieren und Kar­ tieren. Seit 1981 war der gebürtige Thürin­ ger mit diesem Amt betraut. In diesem Jahr musste Königsfeld jedoch Abschied neh­ men: Am 25. März verstarb Heinz Burk­ hardt überraschend in seinem Haus. Er hin­ terlässt seine Frau Esther und zwei Kinder. Bis zuletzt arbeitete der 82jährige nod1 im Archiv der Brüdergemeine, der er sich sein ganzes Leben lang eng verbunden fühlte. 1919 wurde er als Sohn eines Brüdergemei­ ne-Pfarrers in Neudietendorf in Thüringen geboren. Doch schon bald zog es die Fami­ lie weit weg. In Surinam, damals Ceylon, lei­ stete sein Vater mehrere Jahre Missionsar­ beit für die Brüdergemeine – die Familie war mit dabei. Während Burkhardts ältere Schwe­ ster Ilse Surinam bereits nach drei Jahren den Rücken kehrte, um in Deutschland die Schule zu beenden, blieb der zukünftige Ar­ dlivar noch drei weitere Jahre dort. Zurück­ kehren musste er jedoch auch a1leine, um in Deutschland seine Schulausbildung zu be­ enden. Damals lebte er teilweise bei Ver­ wandten, teilweise auch in Internaten, wäh­ rend die Eltern mit dem jüngsten Bruder insgesamt acht Jahre in Surinam zubrad1- ten. Für seine Sammelleidenschaft war Burk­ hardt schon in jungen Jahren bekannt. ,,Er sammelte alles Möglid1e“, erinnert sich sei­ ne Schwester llse, die ebenfalls in Königs­ feld lebt. Ob Postkarten oder interessante Zeitungsartikel – a1les, was zum Wegwerfen zu schade war, wurde von ihrem Bruder sorgfältig aufbewahrt und sortiert. Bis er das 122 Heinz Burkhardl Königsfelder Archiv unter seine Fittiche nehmen konnte, sollten aber noch einige Jahre vergehen. Mit dem Ausbrudl des Zwei­ ten Weltkriegs wurde Burkhardt eingezogen, musste glücklicherweise aber nicht an die Front. Die meiste Zeit, erinnert sid1 seine Schwester, verbrachte er in Schreibstuben in den Niederlanden und in Schleswig-Hol­ stein. Nach der Hochzeit mit seiner Frau Es­ ther lebte der gelernte Kaufmann mehrere Jahre in Stuttgart. Dort wurde er auch zum Vorsitzenden des Landesverbandes der Budl­ händler gewählt. 1960 schließlich ließ sich die Familie im Sd1warzwald nieder. In Königsfeld war man zu dieser Zeit auf der Sud1e nach einem Vor­ steher für die Brüdergemeine und fragte den Pfarrersohn, ob er daran Interesse hätte. Mit dieser Arbeit begann auch Burkhardts Engagement für das Historische, Alte und

Wertvolle. Viel wertvolles Material würde ver­ lorengehen, wenn es nicht an einem zentra­ len Ort gesammelt würde, so Burkhardts Idee. Viele der Gemeinearchive im Osten Deutschlands waren bereits zerstört und das allgemeine Herrnhuter Universitätsarchiv war durch den Mauerbau praktisch uner­ reichbar -zumindest als dezentrale Sam­ melstelle. In einem Rundbrief an die Ge­ meinemitglieder bat Burkhardt diese des­ halb bereits in den 60er Jahren darum, Er­ innerungsstücke an die Brüdergemeine, ih­ re Persönlichkeiten und Arbeitsbereiche nicht einfach wegzuwerfen, sollte es zu Haus­ haltsauflösungen kommen. Er wollte sich dieser Dinge annehmen. Unter dem Motto „Was wir nicht wegwerfen sollten“ wurde so die „Königsfelder Sammlung der Brüderge­ meine“ immer größer -und bezieht sich längst nicht nur auf den 1806 gegründeten Schwarzwaldort, sondern auf die gesamte Brüder-Unität. In rund 5 000 Bänden lagern in den Räu­ men des Archivs Königsfelder Raritäten ebenso wie Bestände aus den aufgelösten Gemeinen Zeist und Barby. Das alles exis­ tiert nicht nur in deutscher Sprache. Da die Heinz Burkhardt Herrnhuter weltweit missionierten, finden sich in der umfangreichen Büchersammlung auch zahlreiche Schriften in niederländi­ scher, englischer und lateinischer Sprache, sowie in Surinamisch. Ein großer Teil der Sammlung besteht aus Werken des Grafen von Zinzendorf, aber auch aus Tagebüchern, Berichten, selbstge­ schriebenen Lebensläufen von Gemeinemit­ gliedern und Schriften zur Lehre und Orga­ nisation von Predigten und Gottesdiensten. In all den Jahren hat Burkhardt auch un­ ermüdlich sein Lebenswerk vervollständigt: Eine Kartei, in der über 300 Jahre weltweite Familiengeschichte der Brüdergemeine ver­ zeichnet ist. Oft empfing Burkhardt bei seiner Arbeit auch Gäste aus aller Welt: Menschen, die Ahnenforschung betrieben, sich auf die Spuren ihrer Kindheit begeben wollten oder nach Material für Doktorarbeiten suchten. Dabei dürfte so mancher fündig geworden sein -5 000 katalogisierte Bände sprechen für sich. Nathalie Gäbe! Königsfeld, Ansicht von Südosten, 1831. 123

Persönlichkeiten Stets um Landwirtschaft undJugend bemüht Bruno Weber war 22 Jahre Leiter der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen­ Schwenningen Weltoffenheit und Heimatliebe, auf die Zukunft orientiert und der Vergangenheit ver­ bunden – im Denken wie im Handeln hat sich Bruno Weber sein Leben lang im Pendel zwischen vermeintlichen Gegensätzen bewegt. Der 7ljährige war 22 Jahre Leiter der Albert-Sd1weit­ zer-Sdrnle in VS-Villin­ gen und hat sich weit über das beruflich Notwendige hinau um Ausbau und Entwicklung dieses kreis­ weiten Zentrums für be­ rufliche Bildung verdient gemacht. Privat allerdings bemüht er sich bereits seit gut 50 Jahren um interna­ tionale Jugendbegegnun­ gen und den Aufbau von Strukturen, die jungen Leuten zu neuen Per pek­ tiven verhelfen. Sehr wid1tig war dies nad1 dem Zweiten Welt- Bruno �ber krieg, als Bruno Weber bei der Gründung des Bundes der Deutschen Landjugend mitwirkte. Wichtig ist dies bis heute, da Orientierungslosigkeit bei jungen Leuten wieder ein großes Problem ist, wenn auch aus anderen Gründen als bei der Kriegsgeneration. Mit ähnlicher Intensität setzt sich Bruno Weber auch mit der Ver­ gangenheit auseinander: Drei Jahre lang hat er sich mit eigenen Forschungsarbeiten für die Ortschronik seines Wohnorts Schaben­ hausen beschäftigt, wo 1994 das 900jährige Bestehen gefeiert wurde. Sehr früh musste der 1930 in Würzburg ge­ borene Landwirtssohn lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen und mit existentiellen Krisensituationen fertig zu 124 werden. Noch im März 1945 wurde der erst lSjährige zum Militärdienst verpflichtet (,,damals wurden eben alle Reserven mobili­ siert“) und wurde für kurze Zeit ein ameri­ kanischer Kriegsgefange­ ner. Da sein Vater erst drei Jahre nad1 Kriegsen­ de aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war der jun­ ge Bruno Weber für die Bewirtschaftung des elterli­ chen Betriebes im badisch­ en Schabenhausen zu­ ständig und qualifizierte sich zugleich auch theo­ retisch durch den Besuch der Landwirtschaftlichen Fachschule in Boxberg. Als ausgesprochener Glücksfall sollte sich ein einjähriges Stipendium an einer Landwirtschaftli­ d1en Hochschule im US­ Bundesstaat Michigan er­ weisen. Weber wurde mit 43 anderen in die USA eingeladen und kam nach Michigan. Hin­ tergrund war die Absicht der amerikani­ schen Regierung, in den damaligen Zeiten des Kalten Krieges Westdeutschland an die USA zu binden und insbesondere die po­ tentiellen Leit- und Führungspersönlichkei­ ten mit dem „american way of life“ vertraut zu machen. Für Bruno Weber waren Studi­ um und das Leben in einer amerikanischen Farmerfamilie eine „prägende Erfahrung“, die ihn vor allem eines gelehrt hat: ,,Respekt vor jedem Menschen und die Toleranz von Andersartigkeit“. Bis heute pflegt die Fami­ lie Weber enge Kontakte zu Freunden in den USA und auch in Großbritannien, wo durch die von Weber initiierten Jugendbe-

gegnungen ebenfalls bleibende Bindungen entstanden sind. Zurück in der Bundesrepublik absolvierte der 24jährige ein Studium am damaligen Staatlichen Berufspädagogischen Institut uetzt Berufspädagogische Hochschule) in Stuttgart und unterrichtete nach dem Zwei­ ten Staatsexamen an den Landwirtschaftli­ chen Berufsschulen in Immendingen und Obereschach, bis er 1961 nach Villingen ver­ setzt wurde. 1969 wurde er Leiter der Haus­ und Landwirtschaftlichen Berufs- und Be­ rufsfachschule, zu deren Einzugsbereich das damalige Kreisgebiet gehörte. Der systema­ tische Schulausbau unter Webers Ägide wur­ de an zunächst vielen, verstreuten Standor­ ten im Kreis vollzogen, was die Unterrichts­ organisation ungemein erschwerte, so dass der Um- und Erweiterungsbau des Schul­ zentrums an der Schelmengaß in VS-V illin­ gen von 1977 bis 1979 unumgänglich ge­ worden war. Bei einer Schüleranzahl von zeitweilig 1300 bei 100 Lehrkräften für 14 Schularten waren der administrative Aufwand und die berufliche Beanspruchung des Pädagogen und Agrarexperten enorm. Dennoch fand er Zeit und Kraft, sich für den Schüleraustausch mit den amerikanischen High-Schools in Alexandria und Anderson (Indiana) zu en­ gagieren und gleichzeitig seine vielen ehren­ amtlichen Tätigkeiten nicht zu vernachlässi­ gen. So war Weber 30 Jahre lang, bis 1995, Mitglied im Fachausschuss für Aus- und Wei­ terbildung beim Badischen Landwirtschaft­ lichen Hauptverband (BLHV ), hat im Kreis­ gebiet zahlreiche Landjugendgruppen mit­ gegründet und betreut und auch hier wieder durch das Forcieren von internationalen Begegnungen formende Impulse gegeben. Bruno Weber ist unter anderem Ehrenmit­ glied beim Bund Badischer Landjugend, bei den „Future-Farmers-cf-Amerika“ und Mit­ glied der „National Federation of Young Far­ m es Clubs Wales“. Für die Fülle seiner Akti­ vitäten wurde ihm 1990 das „Grüne Band des Badischen Landwirtschaftlichen Haupt­ verbandes“ in Gold verliehen. Bruno Weber 1990 war zugleich das Jahr einer einschnei­ denden Zäsur. Bruno Weber, gerade 60 Jah­ re alt, wurde aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt. Nach einer Pha­ se der Rekonvaleszenz und Reflektion stand für Weber fest: ,,Ich musste etwas tun. Am meisten habe ich den Umgang mit jungen Leuten vermißt.“ Der Oberstudiendirektor beschloss, selbst wieder die Schulbank zu drücken – er wurde Student. Senioren-Studium in Freiburg Von 1992 bis 1998 studierte er Volkskunde an der Albert- Ludwig-Universität in Frei­ burg und nahm am Senioren-Studium der Pädagogischen Hochschule Freiburg teil, und zwar im Fachbereich Geographie, Ge­ schichte und Landeskunde. ,,Kolossalen Auftrieb“ habe ihm das Studium und der Umgang mit jungen Leuten gegeben, zumal sie aus unterschiedlichen Gegenden stamm­ ten und erneut in seiner Erkenntnis bestärk­ ten, wie wichtig es ist, ,,den eigenen Horizont ständig zu erweitern.“ Mit seiner Ehefrau Brunhilde hat Bruno Weber viele gemeinsame Interessen. So hat Brunhilde Weber eifrig an Recherchen und Texten für die Chronik mitgearbeitet, ,,phä­ nomenal“ sei das gewesen und hilfreich im Bemühen, ,,sich selbst über den Zugang zu den eigenen Wurzeln besser zu verstehen“. Sie hat ihren Mann auch in der Jugendarbeit tatkräftig unterstützt und teilt mit ihm die Überzeugung, ,,dass freiwilliges Engagement den Staat erhält“. Aktiv sind beide immer noch, auch in der kalendarischen Zeit des Ruhestands. Die Natur ist beiden ein „wichtiger Anker“ im Leben, die Webers sind leidenschaftliche Gärtner und lieben klassische Musik. Für seine langjährige Tätigkeit als Alma­ nach-Autor wurde Bruno Weber bei der Fei­ er zum 25jährigen Jubiläum des Almanachs im November 2000 durch Landrat Karl Heim geehrt. Christina Nack 125

Persönlichkeiten Große Verdienste um die Stadt Furtwangen Zum Tod von Altbürgermeister und Ehrenbürger Hans Frank Mit dem unerwarteten Tod von Alt­ Bürgermeister und Alt-Kreisrat Hans Frank haben die Stadt Furtwangen und der Schwarzwald-Baar-Kreis eine ihrer markanten Persönlichkeiten verloren, ei­ nen großen KommunaJ- und Landespo­ litiker, dessen langjähriges Wirken ge­ prägt war von großen Erfolgen im Ein­ satz für nachhaltige und zukunftswei­ sende EntwickJungen. Für den 1919 in Offenburg geborenen Hans Frank war der Schritt in die Politik das folgerid1tige Ergebnis seiner Erfah­ rungen aus der Jugendzeit. Vater und Großvater waren aktive Mitglieder der SPD, während der Zeit der nationalso­ zialistischen Herrschaft blieb die Familie ihren Überzeugungen – auch in der Tat – treu. Das Erlebnis von Diktatur und Krieg war für Hans Frank der Anstoß, sich für den Aufbau eines gerechteren, demokratischen Gemeinwesens einzu­ setzen. Seine politische Heimat fand er, der familiären Tradition folgend, in der SPD, der er 1946 beitrat. ZehnJahre lang gehörte er nun als Mitglied der sozial­ demokratischen Fraktion dem Schwet- Hans Frank zinger Gemeinderat an, als 27jähriger war er der jüngste Kommunalpolitiker der Stadt. In bester Erinnerung bleibt er an der Wirkungsstätte seiner frühen Jahre insbe­ sondere durch seinen Einsatz für die Hei­ matvertriebenen, für die er ein unermüdli­ cher Helfer und Streiter war. 1957 zum Bürgermeister gewählt Seine berufliche Heimat war zunächst das Landratsamt Mannheim, wo er nach der Aus­ bildung zum gehobenen Verwaltungsdienst von 1956 bis 1957 als Regierungsinspektor tätig war. Doch berufen fühlte er sich zu an­ derem. Im Amt des Bürgermeisters wollte 126 und sollte er seine Lebensaufgabe finden. Im Jahr 1957 wurde er zum Bürgermeister in Furtwangen gewählt, damals ein vieldisku­ tiertes Ereignis. War er doch der erste sozi­ aldemokratische Bürgermeister in der tradi­ tionellen CDU-Hochburg, ja im ganzen ehe­ maligen Landkreis Donaueschingen. Doch schon bald sollte sich zeigen, dass Hans Frank ein Repräsentant der gesamten Bür­ gerschaft war, ein Stadtoberhaupt, in dessen zwanzigjähriger An1tszeit, die ohne Über­ treibung als „Ära Frank“ bezeichnet werden kann, die Stadt Furtwangen einen großarti­ gen Aufschwung nahm. Gründliche Verwal­ tungskenntnis und kommunalpolitische Er-

fahrung waren dabei die festen Fundamen­ te des erfolgreichen Wirkens. Zu den drängendsten Aufgaben, die der neue Bürgermeister bei seinem Amtsantritt vorfand, gehörten die Verbesserung der In­ frastruktur und besonders die Beseitigung der großen Wohnungsnot. Dank einer en­ ergischen kommunalen Wohnbaupolitik konnte dieses große Problem der Nach­ kriegsjahre gelöst werden. Zugleich verän­ derte sich das Stadtbild nachhaltig, aus dem Tal wuchs Furtwangen die umliegenden Berghänge hinauf und während der Amts­ zeit von Hans Frank verdoppelte sich die Einwohnerzahl. Weitere Meilensteine der ersten Amtsjahre waren der Bau einer Klär­ anlage sowie der heutigen Hauptschule im Ilbental. Enorm wichtig für Furtwangen war auch die von Hans Frank entscheidend mit­ getragene Realisierung des Krankenhaus­ neubaus. Das 1971 eingeweihte Haus sich­ erte der Bevölkerung eine hervorragende örtliche Grundversorgung, und dies auch zu einer Zeit, als viele andere Krankenhäuser ähnlicher Größenordnung geschlossen wur­ den. Weitblickendes Schulbildungssystem Zu den größten Erfolgen der „Ära Frank“ gehört der zielgerichtete und weitblickende Aufbau eines umfassenden Schulbildungs­ systems. Zu nennen sind hier beispielsweise der Bau des Otto-Hahn-Gymnasiums sowie die Gründung der Jugendmusikschule. Auch für die Förderung des Sports engagierte sich der Bürgermeister, die Sporthalle und das 1976 fertiggestellte Sportzentrum Breg le­ gen davon Zeugnis ab. Das ernsthafte En­ gagement der Stadtverwaltung für die ältere Bevölkerung zeigte sich in der umfassenden Unterstützung für den Bau des Caritas-Al­ tenheims. Ein modernes Rettungszentrum für Feuerwehr, Rotes Kreuz, DLRG und Bergwacht verbesserte die Arbeitsmöglich­ keiten der Hilfsorganisationen sehr. Vehe­ ment war das Engagement von Hans Frank zugunsten des Deutschen Uhrenmuseums Hans Frank und der Fachhochschule. Beide Institutio­ nen, welche das positive Bild von Furtwan­ gen weit über die Region hinaus entschei­ dend mitbegründen, verdanken dem Alt­ Bürgermeister sehr viel, ja es ist fraglich, ob sie ohne seinen Einsatz Bestandteil der Stadt geworden wäre. Für seinen enormen Einsatz für die Fachhochschule Furtwangen und deren weitere Entwicklung wurde Hans Frank mehrfach ausgezeichnet. Auch landespolitisch aktiv Das Engagement von Hans Frank be­ schränkte sich nicht auf den Kirchturmsho­ rizont. Schon in den sechziger Jahren hatte er zusammen mit den kleineren Umlandge­ meinden die „Bregtaler Gespräche“ einge­ führt, ein Forum, dessen Arbeit in der wenig später durchgeführten Gemeindereform die innerliche Akzeptanz der Eingemeindung von Schönenbach, Neukirch, Rohrbach und Linach wesentlich erleichterte. Lange Jahre, von 1959 bis 1984, gestaltete Hans Frank als Kreisrat die Entwicklung der ehemaligen Landkreise Donaueschingen bzw. Villingen­ Schwenningen und dann unseres Schwarz­ wald-Baar-Kreises nachhaltig mit. In Bil­ dungs-, Haushalts-und Finanzfragen war sein sachkundiger Rat stets eine große Hil­ fe. Darüber hinaus hat Hans Frank auch in der Landespolitik seine Spuren hinterlassen. Zwei Legislaturperioden lang, von 1964 bis 1972, hatte er als Vorsitzender im Finanz­ ausschuss eine Schlüsselstellung inne und war einer der profiliertesten Vertreter der SPD-Fraktion. Eine wichtige landespoliti­ sche Funktion übte er auch als Vorsitzender der Städtegruppe bis 20 000 Einwohner im Städtetag Baden-Württemberg aus. Zugleich war er dessen stellvertretender Vorsitzender und im Deutschen Städtetag Mitglied des Finanzausschusses. Auch noch im Ruhestand wirkte Hans Frank mit viel Einsatz und Erfolg für seine Mitmenschen. Zusammen mit Martha Beist­ ier gründete er die Sozialstation Oberes Breg- 127

Hans Frank tal, deren ehrenamtlicher Geschäftsführer er zwölf)ahre lang war. Sein beispielhaftes und wegweisendes Engagement für die ambu­ lante Alten-und Krankenpflege wurde 1989 durch Weihbischof Dr. Gnädinger mit der Verleihung des silbernen Caritas-Ehrenzei­ chens gewürdigt. Weitere hohe Auszeichnungen waren der Dank für eine außerordentliche Lebenslei­ stung: 1972 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1977 die Ehrenplakette der Univer­ sität Karlsruhe, das Ehrenbürgerrecht der Stadt Furtwangen und die Deutsche Feuer­ wehrmedaille in Gold, 1978 die Verdienst­ medaille des Landes Baden-Württemberg sowie die Ehrensenatorwürde der Fach- hochschule Furtwangen, um nur die wich­ tigsten Auszeichnungen zu nennen. Im Rückblick bezeichnete Hans Frank das sichtbare Wachstum der Lebensqualität in Furtwangen und das steigende Image der Stadt als beeindruckende Erlebnisse in der Zeit seines Wirkens. Sein Name steht für die so bemerkenswerte Entwicklung der Schwarz­ waldstadt. Im September 2001 ist Hans Frank im 82. Lebensjahr verstorben. Helmut Rothermel Der Beitrag basiert auf dem Almanach 1993, ,,Hans Frank – Bürgermeister aus Berufung“ von Wi!fried Dold. Die Silbennedaille in Seoul gewonnen Florian Gießler – ein erfolgreicher Stuckateur aus Gremmelsbach Es ist immer ein großes Glück, wenn man den richtigen Beruf gefunden hat. Nicht je­ dem gelingt dies so gut wie Florian Gießler aus Gremmelsbach. Schon in der Realschu­ le Triberg im Fach „Bildende Kunst“ fand er, dass er im praktischen Gestalten eine gute Hand hatte und Zeichnen und Malen lag ihm besonders. Noch heute erinnert er sich gern an den Kunstunterricht bei seinem Lehrer Manfred Kimmig. Zum Beruf des Stuckateurs fand er mehr oder weniger durch einen Zufall: Für die Ferien suchte er einen Job und einmal fand er einen in einer Fabrik und ein anderes Mal einen bei der Firma Bruno Kaiser in Gremmelsbach. So wenig ihm der eine so gut gefiel ihm der an­ dere, und er spürte, der Stuckateurberuf ist der Beruf seines Lebens. Die Arbeiten mit Stuck erfordern die höchste Leistung, sie sind der des Künstlers am nächsten, freilich betont Florian Gießler, muss man alles können, was mit Gips zu tun hat. Dazu gehört das Anbringen von Bol- 128 lenputz, das Verputzen von Innenwänden und Hausfassaden, das Einbauen von Est­ rich, das Aufbringen von Wärmedämmsy­ stemen usw. Denn das gehört alles zum Handwerk, und nicht immer ist, je nach der Auftragslage, Stuck die täglid1e Arbeit. Beinahe für selbstverständlich hält es Flo­ rian Gießler, dass der Stuckateur, wenn er in eine fremde Stadt oder in ein Barockschloss kommt, die Stuckornamente mit dem Blick des Kenners betrachtet und sich auch Anre­ gungen von alten und gegenwärtigen Mei­ stern holt. Und er weiß, dass er in eine große Tradition gehört: Der Barockstil ist ohne den Werkstoff Gips mit seinen unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten nicht vorstellbar. Kein Material gehorcht so der gestaltenden Hand des Menschen. Viele von seinen Mei­ stern zeigen ihm ihre Fertigkeiten und Tech­ niken bereitwillig, und was am besten auf ihn „zugeschnitten“ zu sein scheint, das übernimmt er. ,Jeder muss seine persönliche Technik finden“. Vor den Wettbewerbsprü-

Persönlichkeiten Florian Gieß/er bei der Arbeit in der Festhalle Landau I Pfalz: Herstellung eines Gesimses. fungen sah er sich ehemalige Prüfungsauf­ gaben an und probierte sie aus. Geübt hat er auch auf der Gewerbeakademie in Rottweil und Leonberg. Mehr in den Beruf des Gips­ bildhauers fallt die Gestaltung von Figuren (Heilige, Engel usw.). Sehr wohl versteht er sich aber auch auf die Restauration von Blät­ tern, Rosetten oder auch Wappen. So hat er bei der Neugestaltung der Gremmelsbacher Kirche bei allen Stuckarbeiten mitgewirkt. Und da er so anschaulich von seiner Arbeit erzählt, interessierte den Chronisten schon, wie denn eine Wettbewerbsprüfung abläuft, denn immerhin hat er drei solcher Prüfun­ gen mit dem besten Erfolg hinter sich ge­ bracht. Also da bekommt der Wettbewerbs­ teilnehmer einen verschlossenen Umschlag mit dem Plan drin, einen Sack Gips, zwei Hölzer, ein Blech, aus dem das Profil des „Stabes“ herausgearbeitet werden muss, eine Dachlatte und ein Stück Gipskartonplatte, auf die der Stab aufgeleimt werden muss. Für seine Arbeit hat er dann sechs Stunden Zeit, da heißt es sich sputen, die Pausen müssen in bestimmten zeitlichen Abstän­ den und von vorgeschriebener Dauer einge­ halten werden, was bedeutet, dass man ge­ nau mit dem Gips umgehen muss. Ange­ machter Gips ist nach einer halben, höch­ stens nach einer Dreiviertelstunde hart und unbrauchbar. Denn auch die Materialbe­ herrschung wird von der Jury bewertet. Ge­ nau wird auch beobachtet, ob der Bewerber sich nicht mehr als unumgänglich be­ schmutzt, wie der Arbeitsplatz nach Vollen­ dung des Werks aussieht. Seine Belegstücke kann er vorzeigen: vom Kammerwettbewerb, vom Landeswettbe­ werb und vom Bundeswettbewerb: akkura­ te kleine Meisterwerke aufRigipsplatten auf- 129

Persönlichkeiten rungsverfahren in Leonberg den Sieg da­ vongetragen. Er ist somit Bundessieger und damit der beste „Junggeselle“ der deutschen Handwerksjugend als Stuckateur im Jahr 2000. Für seine berufliche Zukunft hat Florian Gießler noch keine exakten Pläne. ,,Jetzt erst mal den Zivildienst hinter sich bringen!“, meint er. Der Wiedereinstieg ins Berufsleb­ ven dürfte dem jungen Gremmelsbacher mit Blick auf seine außergewöhnlichen Lei­ stungen wohl keinerlei Probleme bereiten. Karl Volk 660 Kandidaten aus 35 Ländern geleimt, mit dem Deckenornament, dem letzten seiner Gestaltungen, gewann er die Goldmedaille. Höhepunkt dieser Teilnahme an Wettbe­ werben waren die 36. Berufsweltmeisterschaf­ ten in Seoul. Bei der Schlußfeier am 19. Sep­ tember konnte der Gremmelsbacher eine Silbermedaille in Empfang nehmen. 660 Kandidaten aus 45 Berufen und 35 Ländern hatten an der Weltmeisterschaft teilgenom­ men. Den Stuckateuren war als Aufgabe ein abstraktes Gebilde oh­ ne Verschnörkelungen vorgegeben. Florian Gießler in der Rückschau: ,,Es war wie bei einer Olympiade, die Zeit für diese Auf­ gabe war äußerst knapp bemessen.“ Verfolgt hat­ ten die Wettkämpfe im übrigen 100 000 Zu­ schauer. Olympiareif war auch der Ein­ marsch der Teilnehmer zu Beginn des Wettbe­ werbes in das Fencing­ Stadion. Triumphal geriet die Heimkehr des Grem­ melsbacher: Viele sei­ ner Freunde und die Einwohner des Ortes bereiteten ihm einen großartigen Empfang mit Musik und Trans- parenten. Als Vorbedingung zu den Berufsweltmeister­ schaften war im übri­ gen der Ausscheidungs­ kampf gegen den Bun­ dessieger 1999 zu be­ stehen. Florian Gießler hatte im Q!ialifizie- 130 Florefgan Gefgeffler beefg den Berufnuellmeefgsterscha.fien efgn Seoul oben beefg der Ar­ beit, unten vor seefgnem mefgt eefgner Sefglbermedaefglle prämefgerten Werk.

8. Kapitel/ Almanach 2002 Archäologie Gräber beherbergen wertvolle Informationen Der Fürst vom Magdalenenberg und die gewonnenen Erkenntnisse Immer dann, wenn bei archäologischen Ausgrabungen menschliche Skelettreste ans Tageslicht kommen, treten die Anthropolo­ gen auf den Plan. Die Knochenspezialisten können mit Hilfe spezieller Methoden auch anhand spärlicher Überreste meist noch Hinweise auf Geschlecht, Sterbealter, Kör­ pergröße, Konstitution und krankhafte Ver­ änderungen ableiten, also einen regelrech­ ten Steckbrief desjenigen entwerfen, der vor hunderten oder tausenden von Jahren ge­ storben ist. In manchen Fällen läßt sich so­ gar die Todesursache erkennen. Das Methodenspektrum, das den Fachleu­ ten heute zur Verfügung steht, ist äußerst vielfältig. Es reicht von Merkmalen, die be­ reits von unseren Vorvätern erarbeitet und angewandt wurden, bis hin zu Spurenele­ mentanalysen und molekulargenetischen Untersuchungen (DNA), die eine Rekon­ struktion der Ernährungsverhältnisse bzw. zweifelsfreie Angaben zum Geschlecht oder bestimmten Verwandtschaftsbeziehungen erlauben. Doch die Beschäftigung mit menschlichen Knochenresten, egal wie alt sie sind, berührt auch ethisch-moralische und religiöse Fra­ gen. Es ist zwar eine Selbstverständlichkeit und ungeschriebenes Gesetz, daß solche Re­ likte mit Respekt und in jeder Hinsicht pie­ tätvoll behandelt werden, doch, dürfen wir sie überhaupt ausgraben, geschweige denn ausstellen? Gerade in letzter Zeit wurde wie­ der häufig_er eine W iederbestattung der knö­ chernen Uberreste ins Auge gefaßt. Auch wenn nur die wenigsten von uns ih­ re Ahnenreihe über mehrere hundert Jahre zurückverfolgen können, ist es fraglich, ob sich ein Vertreter der Hallstattzeit einem christlichen Begräbnisritual unterworfen hätte. Um die Totenruhe nicht zu stören, dürfte man streng genommen auch die Bei­ gaben der Bestatteten nicht aus dem Grab nehmen. Aber ausgesuchter Schmuck, Waf­ fen, Trachtbestandteile, Keramiken und son­ stige Ausrüstungsgegenstände werden in Museen bedenkenlos gezeigt und gerne an­ geschaut. Ohne den Toten wären sie zweifel- Die Abbildung zeigt, welche Skelettreste im Fürsten­ grab noch gefunden wurden. 131

Archäologie los nie in dieser Kombination gefunden worden. Beides gehört also zusammen! Grabraub war bereits im frühen Mittelalter mit hohen Strafen belegt. Und doch weiß man, daß viele Bestattungen schon kurz nach der Grablege, vielleicht sogar von Fa­ milienangehörigen, gezielt geplündert wur­ den. Insofern stehen die mehr ökonomi­ schen Gesichtspunkte von damals neben dem heutigen Streben nach der Erforschung unserer Vorgeschichte. Für wen aber die To­ tenruhe prinzipiell unantastbar ist, der darf in letzter Konsequenz weder in ehemaligen Friedhofsbereichen noch überhaupt Eingrif­ fe in den Boden vornehmen, denn in den meisten Fällen weiß man nicht, daß an einer bestimmten Stelle irgendwann einmal ein Grab angelegt wurde. Das Ausstellen oder, wie dessen strikte Gegner es nennen Zursdrnustellen mensch­ licher Überreste berührt neben dem religiö­ sen Aspekt auch noch das persönliche Ge­ fühlsleben jedes Betrachters und kann schon deswegen nicht pauschal oder gar dogma­ tisch beurteilt werden. Die Scheu im Um­ gang ist umso größer, je besser der Erhal­ tungszustand, je „lebensechter“ die Relikte sind. So wurde u. a. über den rechtlichen Status der berühmten Gletschermumie vom Hauslabjoch gestritten. Nach österreichi­ schem Privatrecht wird „Ötzi“ als Sache und nicht als Person angesehen. Durch eine der Ausgrabungssituation mög­ lichst nahekommende museale Darbietung wird das lnformationsbedürfuis der Besu­ cher gestillt. Dabei geht es nid1t um die Be­ friedigung von Sensationsgier, die Öffent­ lichkeit hat als Finanzier der Ausgrabungen gewissermaßen einen legitimen An pruch darauf Aber ohne die zugehörigen Knochen bleibt jede Grabrekonstruktion mit Origi­ nalfunden unvollständig. Gelegentlich leh­ nen auch höchste Museumsfunktionäre eine AussteUung mensd1lid1er Knocherueste strikt ab, letztlich muß aber jeder für sich selbst entscheiden, wie er mit dieser Problematik umgeht, und es läßt sich darüber streiten, ob die Aufbewahrung in einem Pappkarton 132 unter dem Schreibtisch pietätvoller ist als ei­ ne sachgemäße Präsentation im Museum. Als Untersuchungsgegenstand liefern die Knochen selbst eine Unmenge an Informa­ tionen über das Leben und Sterben unserer Vorfahren. Sie sind die unmittelbarsten Überreste unserer Altvorderen und damit von unschätzbarem Wert für denjenigen, der sich mit der Geschichte der Menschen, deren Riten und Auseinandersetzungen mit ihrer jeweiligen Umwelt befaßt. Ihre Unter­ suchung ist faszinierend und fordert den Be­ arbeiter in geradezu kriminalistischer Art her­ aus. Tatsächlich kooperieren Anthropolo­ gen und Gerichtsmediziner immer wieder bei der Aufklärung von Kriminalfällen. Verschiedene Untersuchungsmethoden Die Bestimmung des Sterbealters basiert bei Skeletten von Kindern und jugend­ lichen vorrangig auf dem Entwicklungszu­ stand der Milch- und Dauerzähne sowie der Größenentwicklung der Extremitätenkno­ chen. Für Erwachsene stehen nur gröbere Anhaltspunkte zur Verfügung, wie die Ver­ wad1sung der Schädelnähte, altersbedingte Abbauprozesse oder Verschleißerscheinun­ gen. Die Geschlechtsbestimmung baut in erster Linie auf Form- und Größenunter­ schiede, die sich am deutlichsten im Becken­ bereich und am Schädel zeigen. Die Berechnung der Körperhöhe ist im Grunde nur eine bessere Sd1ätzung. Sie be­ ruht darauf, daß zwischen der Länge der ein­ zelnen Extremitätenknochen und der Kör­ perhöhe bestimmte Relationen bestehen. Die Körperproportionen sind jedoch bei verschiedenen Bevölkerungen unterschied­ lich, was natürlich auch für vorgeschichtli­ d1e Populationen gilt. Dazu kommen Tages­ schwankungen sowie altersbedingte Grö­ ßenminderungen. Die Ansprache pathologischer Befunde be­ schränkt sich selbstverständlich nur auf die­ jenigen Kranklleiten, die überhaupt Spuren am Knochen oder an den Zähnen hinterlas­ sen. Die Krankheitsstatistik einer prähistori-

sehen Bevölkerung muß demzufolge stets unvollständig bleiben. Trotzdem ist das Spek­ trum der am Knochen nachweisbaren Ver­ änderungen immens. Neben degenerativen Erscheinungen im Bereich der Gelenke las­ sen sich eine Vielzahl anderer Symptome ansprechen. Oft handelt es sich um destruk­ tive, entzündliche Prozesse, die auflnfektio­ nen oder Verletzungen zurückgehen. Manch­ mal läßt sich auch erkennen, ob einstmals eine ärztliche Versorgung stattfand. Grabräuber zerstörten Skelette Das Zentralgrab vom Magdalenenberg war bereits in alter Zeit durch Grabräuber ausge­ plündert worden. Dabei wurden die Skelett­ reste aus dem anatomischen Verband geris­ sen und teilweise zerbrochen, sie sind heute nurmehr unvollständig erhalten. Eine cha­ rakteristische Bruchkante am rechten Schien­ bein läßt darauf schließen, daß dieser Vor­ gang bereits innerhalb weniger Jahre nach der Grablege erfolgte. Bis auf das linke Wa­ denbein sind alle großen Extremitätenkno­ chen zumindest fragmentarisch vertreten. Es fehlen große Teile des Schädels, Brust­ korbs und der Schulterblätter, fast die ge- Fürst vom Magdalenenberg samte Wirbelsäule, beide Schlüsselbeine so­ wie die meisten Hand- und Fußknochen. Bei seiner Auffindung vor über 100 Jahren soll der Hirnschädel allerdings noch weitge­ hend erhalten gewesen sein, Klebstoffreste und rezente Bruchkanten legen spätere Ver­ luste nahe. Die Knochen weisen allgemein eine dunkelbraune Färbung auf, einzelne Bereiche sind oberflächlich verwittert. Alle diesbezüglich aussagefähigen Merk­ male weisen gleichlautend und zweifelsfrei auf männliches Geschlecht hin. Dafür spricht auch die Robustizität der Skelettreste. Der Zustand der Schädelnähte entspricht einem Alter von etwa 30-40 Jahren. Das mittlere Sterbealter der erwachsenen Männer dieser Zeit lag unter vierzig Jahren. Anhand der spärlich abnehmbaren bzw. schätzbaren Maße kann zudem eine Körperhöhe von ca. 1,75 m errechnet werden. Als Vertreter einer höheren Sozialschicht war der Fürst damit erwartungsgemäß etwas größer als der Durchschnitt seiner Zeitgenossen. Die Kno­ chen des rechten Armes sind kräftiger als auf der linken Seite, umgekehrt diejenigen des linken Beines stärker als rechts, eine typische Konstellation für Rechtshändigkeit. Das lin­ ke Bein ist bei einem Rechtshänder als „Standbein“ kräf­ tiger und häufig etwas größer als das rechte Bein. So auch der lin­ ke Fuß, weswe- Bereits 1890 be­ gann man mit Ausgrabungen auf dem Magdale­ nenberg. 133

Archäologie 1 � } In den Gräbern wurden mehr als 100 Personen gefunden, allerdings keine Kinder jünger als zwei Jahre. gen in den Schuhläden meist der linke Schuh zur Anprobe bereit steht. Zudem verfügte der Fürst über eine kräftige Kaumuskulatur. Andere Muskelansatzstellen lassen sich durch häufiges Beugen der Unterarme erklären, Bewegungen wie sie u. a. beim Bogenschie­ ßen typisch sind. Vielleicht war er öfter auf der Jagd? Das restliche Muskelmarkenrelief ist eher durchschnittlich ausgebildet. Des weiteren können verschiedene krank­ hafte Veränderungen festgestellt werden: Wurzelvereiterungen, mehrere bereits zu Leb­ zeiten ausgefallene Zähne, Blutungen eines venösen Blutleiters in der harten Hirnhaut, rachitisch oder aktivitätsbedingt gebogene Oberschenkelknochen, eine verheilte Kno­ chenhautentzündung am linken Schienbein und rheumatisch-entzündliche Prozesse im Halswirbelbereich. Der Mann war also kör­ perlich aktiv, u. U. ein leidenschaftlicher Rei­ ter. Anhaltspunkte für die Todesursache lie­ gen jedoch nicht vor. 134 In der Zusammenschau ergibt sich damit trotz der fragmentarischen Überlieferung durchaus noch ein schemenhaftes Bild des Fürsten vom Magdalenenberg. Die Knochenreste aus Grab S 1 und Grab23 Neben den Überresten aus dem Zentral­ grab sind im Franziskanermuseum noch Skeletteile aus zwei Nachbestattungen des Magdalenenbergs ausgestellt. Vielleicht han­ delt es sich hierbei um Nachfahren aus der Sippe des Fürsten. Das Knochenmaterial aus Grab 51 ist post­ mortal deformiert, aber etwas vollständiger überliefert, als das aus dem Fürstengrab. Zumindest der Schädel läßt sich in weiten Teilen rekonstruieren. Von mehreren Extre­ mitätenknochen sind die Gelenkenden er­ halten, es fehlen allerdings das komplette Stammskelett, der ganze Schultergürtel, das

Brustbein, die rechte Beckenhälfte, beide Wadenbeine sowie erneut mehrere Hand­ und Fußknochen. Dabei gilt aber zu beden­ ken, daß man bei früheren Grabungen viel­ fach überhaupt nur die gut erhaltenen Stük­ ke aufgesammelt hat. Die Knochen stammen von einem Mann, der mit ca. 50-60 Jahren gestorben, also deutlich älter geworden ist als der Fürst. Auch er war Rechtshänder, je­ doch nur knapp über 1,70 m groß. Er besaß eine markante Zahnlücke, der zweite Schnei­ dezahn links oben war schon zu Lebzeiten ausgefallen – vielleicht infolge eines Unfalls oder einer tätlichen Auseinandersetzung. Sei­ ne Zähne sind in Relation zum Alter nur schwach abgekaut, was eher für höherwerti­ ge Nahrung ohne größere Anteile abrasiver Bestandteile (wie Gesteinspartikel von Ge­ treidemühlen u. ä.) spricht. Zudem lassen sich nur geringfügige degenerative Verände­ rungen an den Gelenken feststellen. Der Mann war demnach keinen stärkeren körper­ lichen Beanspruchungen ausgesetzt. Beides zusammen deutet darauf hin, daß er höchst­ wahrscheinlich eine höhere soziale Stellung innerhalb seiner Lebensgemeinschaft beklei­ dete. Die Skelettreste aus Grab 23 wurden sei­ nerzeit im Rahmen einer älteren anthropo­ logischen Untersuchung begutachtet. Da­ nach stammen sie von einem erwachsenen Individuum. An den Zahnresten können deutliche Spuren von Karies diagnostiziert werden. Aufgrund der Beigabenausstattung ist weibliches Geschlecht anzunehmen. Das gesamte Skelettmaterial Die Gräber vom Magdalenenberg reprä­ sentieren alles in allem mehr als 100 Perso­ nen. Dabei fehlen interessanterweise Neuge­ borene und Säuglinge bis zu einem Alter von zwei Jahren gänzlich. Die Verstorbenen dieser Altersgruppe sind also an einem ande­ rem Ort oder in solcher Art und Weise be­ stattet worden, die keine unmittelbaren Spu­ ren hinterlassen hat. Die tatsächlich nachge­ wiesenen Individuen gliedern sich folgen- Fürst vom Magdalenenberg dermaßen auf: zwei Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren, sieben Kinder zwi­ schen acht und 14 Jahren, vier weitere Kin­ der, die nicht näher bestimmt werden konn­ ten, vier Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren, 65 Erwachsene im Alter von 20 bis 40 Jahren, 21 Erwachsene zwischen 40 und 60 Jahren sowie eine Frau (Grab 116), die noch deutlich älter geworden ist. Letztere würde nach der anthropologischen Nomen­ klatur als „senil“, die übrigen Erwachsenen als „adult“ bzw. ,,matur“ eingestuft werden. Hinsichtlich der Verteilung der beiden Ge­ schlechter zeigt sich, daß Männer und Frau­ en in etwa in einem ausgeglichenen Verhält­ nis vorliegen. Die Kinder und Jugendlichen sind allerdings mit einem Anteil von wenig mehr als 160/o deutlich unterbesetzt, der Er­ wartungswert läge bei mindestens 450/o. Das bedeutet, daß die überlieferte Populations­ stichprobe vom Magdalenenberg einen se­ lektiven Ausschnitt und keinen repräsenta­ tiven Bevölkerungsquerschnitt darstellt. Möglicherweise wurden im Hügelmantel des Fürstengrabes lediglich Mitglieder privi­ legierter Familien beigesetzt. Das durchschnittliche Sterbealter der Män­ ner liegt bei ca. 37 Jahren, dasjenige der Frauen etwa zwei Jahre niedriger. Beide Wer­ te bewegen sich damit in einer Größenord­ nung von drei bis fünf Jahren über den ent­ sprechenden, für die Hallstatt/Latenezeit Südwestdeutschlands eruierten Durchschnitts­ werten – ein zusätzliches Indiz dafür, daß hier wohl eher Personen der „high society“ bestattet wurden. Die Männer waren im Mittel über 1,68 m groß, die Frauen knapp 1,62 m. In diesem Punkt liegen sie allerdings weder auffallend höher noch deutlich niedriger als die über­ regional vorliegenden Vergleichsdaten. Joachim Wahl (Siehe diesbezüglich auch Kapitel „Museen ‚: Fran­ ziskanermuseum.) 135

9. Kapitel/ Almanach 2002 Geschichte Baden oder Baden-Württemberg? Die Gründungsphase des neuen Bundeslandes Der Gedanke einer Zusammenführung der Länder Baden und Württemberg entstand nicht erst nach 1945. Schon in der Novem­ berrevolution 1918 diskutierte die proviso­ rische Regierung des Freistaates Baden mit negativem Ergebnis eine mögliche Vereini­ gung. Als Vorläufer eines solchen Zusam­ menschlusses zumindest auf der verwaltungs­ mäßigen Ebene, könnte man das 1927 ge­ gründete südwestdeutsche Arbeitsamt anse­ hen, welches seinen Hauptsitz in Stuttgart hatte und für die Länder Baden und Würt­ temberg zuständig war. Demgegenüber stand die kirchliche Ein­ heit, welche nach 1945 fortbestand und ei­ ne Festigung des einstigen Baden bedeutete. Die kirchliche Hoheit über das gesamte Ba­ den wurde von der französischen wie ameri­ kanischen Besatzungsmacht anerkannt. Dies galt sowohl für das Erzbistum Baden, wel­ ches für die Katholiken in Nord- und Süd­ baden zuständig war wie für die Evangeli­ sche Landeskirche in Baden, an deren Spit­ ze seit Spätsommer 1945 Julius Bender aus dem Lager der Bekennenden Kirche stand. Südbaden, Nordbaden und Württemberg Stärkeres Profil gewann der Plan eines ei­ genständigen badi chen Staates nach 1945, als die Idee der Wiederherstellung Badens aufkam. In den ersten beiden Monaten des Jahres 1946 entwickelte der badische Justiz­ minister Paul Zürcher (1893-1980) das Kon­ zept eines badischen Kernstaates, der durch das Land (Süd-)Baden vertreten werde, da das unter württembergisches Protektorat ge­ ratene Nordbaden eine solche Funktion nicht mehr wahrnehmen könne. Vorausgegangen war eine Intervention des 136 Freiburger Erzbischofs Gröber, der sich be­ reits 1945 gegen eine Trennung der badi­ schen Landesteile ausgesprochen und deren erneute Zusammenlegung gefordert hatte. Nach dem Rücktritt Zürchers am 30. No­ vember 1946 begann der Aufstieg Leo Woh­ lebs, der sein Schicksal eng mit demjenigen Badens verflod1t. Er war es, der den ersten Satz der badischen Landesverfassung von 1947 durchsetzte, in dem vom „badischen Volk als Treuhänder der alten badischen Überlieferung“ die Rede ist. Die Haltung Nordbadens, das in das neue Land Württemberg-Baden eingegangen war, war nicht so entschieden wie die des südba­ dischen Landesteils. Vor allem nach 1947 verlor man im Land schnell die Neigung, sich dem Süden anzuschliessen. Die Per­ spektive eines Überwechselns in die franzö- ische Besatzungszone fand wenig Wider­ hall. Dort waren doch die Besatzungslasten schwerer und man würde auch die Hilfslie­ ferungen der Amerikaner in die Bizone ver­ lieren. Das Bedürfnis nach einem starken, lebens­ und politisch stabilen Südweststaat ist eine der Konsequenzen der Blockbildung und Ost-West-Konfrontation nach 1948. Um ei­ nen in dieser Konstellation tragenden deut­ schen Weststaat zu chaffen, sollten wo nö­ tig durch Neugliederung in ihrer Bedeutung annähernd gleichgewichtige Gliedstaaten geschaffen werden. Die westlichen Militär­ gouverneure legten den Länderregierungen am 1. Juli 1948 in Frankfurt drei Dokumen­ te vor, in denen die Bildung der Bundesre­ publik vorbereitet und die Länderchefs zu Neugliederungsvorsdtlägen aufgefordert wur­ den. Dabei war am Ende nur die Neugliede­ rung des Südwestens in der Diskussion, da

die anderen Länder ihren erreichten Stand nicht mehr preisgeben wollten. In dem großen Treffen der Regierungs­ chefs und Fraktionsvorsitzenden der Land­ tagsparteien von Südbaden, (Nord-)Baden­ (Nord-)Württemberg und Württemberg­ Hohenzollem am 2. August 1948 auf dem Hohenneuffen wurde man sich schnell über wesentliche Punkte einig. Sowohl der südba­ dische Vorschlag einer Volksabstimmung wie die Alternative zwischen einem (neuen) Südweststaat oder der Wiederherstellung der ehemaligen Länder waren unbestritten. Gleichzeitig wurde jedoch die Grundlage für jene erbitterte Auseinandersetzung gelegt, welche teilweise bis heute die Gemüter ver­ düstert. Denn die Frage nach der Formulie­ rung der vorzulegenden Frage, die mögliche Antwort und ihre Konsequenzen – bedeutet Ablehnung zugleich Zustimmung zum neu­ en Bundesstaat? – oder die Art der Auszäh­ lung (nach alten Ländern oder Landesteilen) wurde entscheidend für die Durchsetzung der jeweils eigenen Position. Nach der Augustkonferenz formierten sich rasch klare Fronten. Aus der Parteiperspekti­ ve stimmten Liberale und Sozialdemokra­ ten in allen Landesteilen mehrheitlich für Baden oder Baden-Wtirttemberg den neuen Staat. Diese Haltung vertraten auch die Regierungen in Stuttgart und Tü­ bingen. Ihnen schloß sich für die Zeitgenos­ sen überraschenderweise der Landespräsi­ dent Nordbadens, Heinrich Köhler an. Sei­ ne bereits in den Sommermonaten vor dem Treffen gewonnene Befürchtung, daß ein ge­ meinsames Baden an der französischen Ost­ grenze in quasikolonialem Status zum nach Belieben ausgeplünderten Staat eines neuen Rheinbundes werden würde, hatte dabei den Ausschlag gegeben. Den Befürwortern des neuen Bundesstaa­ tes gegenüber stand die seit Februar 1947 al­ lein von der BCVS bzw. CDU gestellte Re­ gierung unter der politischen und geistigen Führung von Paul Zürcher und Leo Woh­ leb. Deren Ziel einer Wiederherstellung des alten Landes Baden stützte sich auf das Ver­ ständnis vom Staat als einer kulturellen und historischen Einheit, wie sie heute noch von Volksbewegungen ohne eigenen Staat ver­ treten wird. Die politische Staatsgrundlage für die „Altbadener“ genannten Verfechter der Rekonstruktion beruhte auf der Eigenart des Volkes, einer gemeinsamen Herkunft, Geschichte und Mentalität. Zürcher sah in der Geschichte die integrative Kraft des Staa- Die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 24. September 1950 über den Südweststaat auf dem Boden des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises VOLKSABSTIMMUNG über Südweststaat 24.09.1950 Kreis Donau- eschingen 63,40 0/o 68,30 0/o 60,50 0/o 45,80 0/o Quelle der Daten: „Die Ncckarquelk – 56.Jg. Nr. 149 vom 25. September 1950“ 137 Kreis Villingen 15581 (62,09 %) 9035 (36,01 %) 36825 25093 24616 Scbwenningen Tuningen 9402 (94,85 %) 308 (3,11 %) 16377 9913 9730 412 (0,34 %) 22 (50,05 %) 951 436 434 10892 (50,57 %) 10269 (47,68 %) 33402 21538 21161 Stimmen für den Südweststaat Stimmen für die alten Länder Württemberg und Baden Stimmberechtigte Abgegebene Stimmen Gültige Stimmen Wahlbeteiligung

Geschichte tes, welche politische Gemeinwesen resistent gegen Erschütterungen mache; Wohleb hielt das his­ torische Bewußtsein fur den unabdingbaren Bestandteil des demokratischen Staa­ tes. Neben einem dezidier­ ten föderalistischen Den­ ken ist deshalb vor allem auch die „Heimatverbun­ denheit“ Kennzeichen der Altbadener, welche dieses Kenn­ zeichen als eine ideologische Sper­ re gegen Rassenkampf und Klassenkampf ansahen. ,,Gut badisch“ wurde zum Schlacht­ ruf, der die positiven Seiten des alten badi­ schen Staates wie das neue Staatsverständnis in die breite Bevölkerung tragen sollte. Daß dies nur geschehen konnte, wenn man die enge Verbindung des Großherzogtumes zu Zeiten Friedrichs I. mit Preußen und daher militaristischen wie zentralistischen Tenden­ zen geflissentlich unterschlug, blieb eine in­ härente Schwäche der Staat konzeption der Altbadener. Von der Abstimmung bis zum Neugliede­ rungsgesetz Für die Bildung der Bundesrepublik wur­ de die Frage nad1 dem Südweststaat deshalb von außerordentlid1er Bedeutung, weil sich hier die grundsätzliche Frage der Beziehung des Bundes zu den Ländern offenbarte. Nicht umsonst entschloss sich der parla­ mentarische Rat zur Einfuhrung eines eige­ nen Artikels (Art. 118 GG) im Grundgesetz, der ausdrücklich eine durch Vereinbarung der Länder durchzufuhrende Neugliede­ rung vorsah. Im Falle eines Nichtzustande­ kommens solle der Bund die Angelegenheit unter Durchfuhrung einer Volksbefragung selbst in die Hand nehmen. Schon kurz nach Errichtung der Bundesre­ publik eskalierte die Konfrontation um das Abstimmungsverfahren zwischen Regierungs­ chefs und Parteispitzen. Am 22. Oktober 1949 einigten sich die CDU-Vorstände in 138 Das Ergebnis der Volksabstimmung über den Südweststaat vom 24. September 1950 im Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar­ Kreises. • = für den SW-Staat • = gegen den SW-Staat. Freudenstadt auf das „Zweier-Mo­ dell“: getrennte Zählung der Stim­ men im alten Baden und Württemberg. Reinhold Maier, Regierungsd1ef in Würt­ temberg-Baden verfocht dagegen das Vie­ rerprinzip, wonach die Stimmen in den Län­ dern Nordbaden, Nordwürttemberg, Süd­ baden und Südwürttemberg-Hohenzollern getrennt ausgezählt werden sollten. Am 15. April 1950 schließlich verständig­ ten sich die Länderchefs auf eine am 24. September 1950 durchzufuhrende Probeab­ stimmung, um die Meinung der Bevölke­ rung zu erkunden, Umfragen nach heuti­ gem Muster gab es damals noch nicht. Der durch das Abstimmungsergebnis (1 660/o Mehrheit aller badischen Stimmen fur Altbaden) wieder offenen Entscheidung folgten drei Gesetzesinitiativen, wobei der am 25. April 1951 vom südwürttembergi­ schen CDU-Abgeordneten Kiesinger einge­ brachten initiative Erfolg beschieden war. Der Einspruch der badisd1en Regierung ge­ gen die am 23. September 1951 vorgesehe­ ne Abstimmung fuhrte dabei auf Drängen Adenauers zu einer rasd1en Ernennung der beiden Senate des noch nicht konstituierten Verfassungsgerichtes in Karlsruhe. Die durch Indiskretion bekannt gewordene, mit Stim­ mengleichheit abgelehnte Verfassungsklage (6:6 Stimmen) des am 8. September 51 erst­ mals zusammengetretenen Gerichts wurde von Wohleb in einen Wahlkampf einge­ bracht, der erst mit dem nun vorgesehenen 9. Dezember 1951 als Tag des Ent cheids ein Ende fand. Nachdem wie im Gesetz vorge­ sehen, eine Mehrheit in einem der Länder

(Nordbaden) sich für den Südweststaat ent­ schieden hatte, hatte auch der von Wohleb gegen die Neugliederung in Bonn einge­ brachte Gesetzesantrag keinen Erfolg und wurde mehrheitlich abgelehnt. Am 9. März 1952 konstituierte sich die Verfassungsgebende Landesversammlung, am 25. April wurde Reinhold Maier zum Ministerpräsidenten des neuen Bundesstaa­ tes Baden-Württemberg gewählt, am 17. Mai die Landtage der bisherigen Länder aufge­ löst und am 19. November 1953 trat die neue Verfassung von Baden-Württemberg in Kraft. Was blieb, war ein Gefühl der Bitterkeit und der Wunsch nach Revision. Noch 1954 schrieb der mit einem Bot­ schafterposten der Bundesrepublik in Lissa­ bon getröstete Leo Wohleb (gest. am 12. März 1955) unmißverständlich: ,,Der Staat, der sich heute Baden-Württemberg nennt, ist auf Unrecht aufgebaut“. Wenn im Jahre 2002 das 50jährige Beste­ hen des Landes Baden-Württemberg gefeiert wird, ist dies nicht ohne politischen Hinter­ sinn. Denn endgültig gegründet bzw. bestä­ tigt wurde Baden-Württemberg erst nach den letzten Abwehrkämpfen der Badener in der Abstimmung von 1970. Die vom „Heimatbund Badnerland“ dann 1956 noch einmal beantragte und mit Vollcs­ begehren durchgesetzte Volksabstimmung vom 7. Juni 1970 hat dieses „Unrecht“ dann mit 81,90/o als Recht bestätigt. Die Zeit war über die Länderneuordnung hinweggegan­ gen und der neue Südweststaat hatte sich be­ währt. Südweststaatfrage in den Kreisen Donau­ eschingen und Villingen Auffällig bleibt, daß im Ganzen gesehen die Gesamtbevölkerung recht wenig Anteil an der Neugliederungsfrage nahm, wobei im Vorfeld der Probeabstimmung eine wesent­ lich höhere innere Beteiligung und Veran­ staltungsteilnahme stattfand. Nur die politisch oder kulturpolitisch-his- Baden oder Baden-Wlirttemberg torisch organisierten Kreise debattierten in ihren Zirkeln über die Monate, ja Jahre hin­ weg heftig die zu treffende Entscheidung. Während so der in Mönchweiler geborene SPD-Abgeordnete (1899-1969) und spätere Minister Qustiz 1952-1956, Innen 1956- 1960) Viktor Renner an der Seite seines Re­ gierungschefs Reinhold Maier auf der Freu­ denstädter Konferenz vom 15.4.1950 für den Südweststaat focht, saß zur selben Zeit der Heimat- und Dialektdichter Gottfried Schafbuch sorgenvoll an seinem Arbeits­ tisch im Hüfinger Rathaus bei der Abfas­ sung seiner Verse „De Südweschtstaat“. Die vor allem für die Öffentlichkeit heiße Wahlkampfphase der Probeabstimmung – sie vor allem ist im Gedächtnis der Zeitge­ nossen lebendig geblieben – begann etwa ab Spätsommer 1950. In einer dichten Abfolge von Großveranstaltungen vorwiegend sams­ tagabends im Gasthaus „Waldschlößle“ Vil­ lingen oder in der Turnhalle der Donau­ eschinger Volksschule wechselten Politiker und Minister der drei Länder im Werben um die Positionen ab. Weitere regelmäßige Veranstaltungen fanden in allen heutigen Kreisorten statt. Durch die innerliche Verbundenheit mit Donaueschingen war es Leo Wohleb (1930/ 31 Direktor am Gymnasium Donaueschin­ gen) ein besonderes Anliegen, daß „sein Kreis“ hinter ihm stand. In einer Mischung aus politischen Gaben wie der im folgenden Artikel geschilderten Wiederverleihung von Stadtrechten, intensiven Wahlveranstaltun­ gen oder Werbeträgern (Plakate, Inserate), welche die Emotionen ansprachen, suchte er „seinen“ Kreis hinter sich zu bringen. Dabei fand die letzte Großveranstaltung mit ihm am 16. September 1950 in Donaueschingen statt. Der Mitbegründer der Demokratischen Partei in Baden und spätere Landtagsabge­ ordnete der FDP Wilhelm ( Willi) Stahl aus Triberg trat in Bad Dürrheim auf, wo er zahl­ reiche Anhänger hatte. Die Haltung der ört­ lichen und regionalen Presse wie beispiels­ weise die des Schwarzwälder Boten war in 139

Baden oder Baden-Württemberg dieser Auseinandersetzung von einer dezi­ dierten Neutralität gekennzeichnet, wie man sie heute nur noch selten findet. Eine über Monate hinweg fortgesetzte ganzseitige Ar­ tikelserie ließ die Vertreter aller Meinungen und Positionen ausführlich zu Wort kom­ men. Am 9. September 1950 schließlich ver­ öffentlichte der fürstlich-fürstenbergische Ard1ivar, Landeskundler und seit 1946 badi­ sd1er Generalstaatsanwalt Karl Siegfried Ba­ der einen aus dem Herzen kommenden Ap­ pell für die Wiederherstellung Badens. Gleichfalls bemerkenswert bleibt eine po­ litische Versammlungskultur, wenngleich in der Phase der Abstimmung vom 12. Dezem­ ber 1951 Verleumdungen und Gehässigkei­ ten in bisher nid1t gekanntem Ausmaße Raum griffen. Demonstrationen wie 1968 oder Zusammenkünfte oder Märsche unter freiem Himmel, wie sie seitdem durchaus zur politischen Alltagskultur gehören, waren den damaligen Bewohnern des heutigen Land­ kreises fremd. Auch wenn die in den Sälen abgehaltenen Treffen von einer bestimmten Gruppierung bzw. Partei abgehalten wur­ den, so kamen stets Vertreter gegenteiliger Positionen zu Wort, ja wurden gelegentlich sogar aufgefordert, ihren Standpunkt dem Publikum darzulegen. Wenn daher heute noch lebende zahlreiche Teilnehmer an den Geschehnissen von damals die Erinnerung an nahezu revolutionäre Ereignisse kolpor­ tieren, bedarf es angesichts widersprechen­ der Qyellen der Interpretation. Das revolu­ tionäre Empfinden entsprang einer bisher nicht gekannten Offenheit im demokrati­ schen Meinungsstreit und nur in allerge­ ringstem Maße Zwischenfällen und Verhal­ tensweisen, die man im heutigen Sinne als aufrührend empfände. Die nachfolgend ge­ sd1ilderten Ereignisse mögen daher als Fest­ lid1keiten den Zeitgenossen stärker in Erin­ nerung geblieben sein denn als politische Manöverstückchen beim Badenkampf. Joachim Sturm Wiederverleihung verloren gegangener Stadtrechte Leo Wohleb und die Kommunen als Träger der badischen Widerstände Während des „Dritten Reiches“ hatten vie­ le Städte im Zuge der Einführung der neu­ en Gemeindeordnung von 1935 ihr Stadt­ recht verloren. Dies betraf insbesondere die badischen Stadtgemeinden, da diese ,, … oh­ ne Verleihung der Bezeichnung „Stadt“ le­ diglid1 in die Gruppe der Stadtgemeinden eingereiht waren … “ (Deutsche Gemeinde­ ordnung, 1935; Zweiter Teil, ,,Benennung und Hoheitszeid1en der Gemeinden“; S. 10). Schon bald nad1 Kriegsende wurde diese Maßnahme, die in den betroffenen Städten selbstredend auf wenig Gegenliebe gestoßen war, rückgängig gemacht. Ab 1947 /48 wurde die Bezeichnung „Stadt“ nahezu im Akkord vergeben. Im heutigen Sd1warzwald-Baar- Kreis (aus Teilen der ehemaligen Landkreise Donaueschingen und Villingen hervorge­ gangen) waren in den Jahren 1950 bis 1952 davon betroffen: Blumberg, Hüfingen und Bräunlingen. Fürstenberg erhielt die Stadt­ rechte 1956 auf der Grundlage der Gemein­ deordnung Baden-Württemberg und gab diese bei der Eingemeindung nach Hüfin­ gen wieder auf. Trotz intensiver Bemühungen Blumbergs, bereits 1940 die Stadtrechte wiederzuerlan­ gen, war der Antrag damals nicht zuletzt auf Anraten des Donaueschinger Landratsamts letztlich abgelehnt worden. Und dies, ob­ wohl Blumberg in jener Zeit eine der größ­ ten und wirtschaftlid1 bedeutendsten Städ- 140

Geschichte Der badische Staatspräsident Leo Wohleb (siebter von links; mit Blumenstrauß) war zusammen mit sei­ nem Innenminister Alfred Schühly (fünfter von rechts; ebenfalls mit Blumenstrauß) nach Bräunlingen ge­ kommen, um die Stadtrechtsurkunde zu überreichen. Auf der histon’schen Aufnahme vor dem Rathaus sind außer den Gemeinderatsmitgliedern auch Bürgermeister Bernhard Blenkle (zweiter von rechts), dessen Stell­ vertreter Ferdinand Hofacker sowie der Kunstmaler Carl Hornung und Stadtpfarrer Josef Weißmann (vier­ ter von links) zu sehen. te im Landkreis Donaueschingen war. Hüf­ ingen hatte ebenso wie Blumberg bereits zu Kriegsbeginn den Versuch unternommen, die Stadtrechte wiederzuerlangen. Eine Ein­ gabe der Bregstadt an das Innenministerium war in jener Zeit jedoch mit der Bemerkung abgewiesen worden, daß die Behandlung bis nach Kriegsende zurückgestellt werden müs­ se. Die Eingabe 1951 hatte schließlich Er­ folg. Bei der Überreichung der Stadtrechts­ urkunde Ende Oktober 1951 nahm neben dem badischen Innenminister Alfred Schüh­ ly auch Staatspräsident Leo Wohleb teil. In Bräunlingen wurde erst nach der Natio­ nalsozialistischen Zeit 1951 der Antrag auf W iederverleihung der Stadtrechte gestellt. Die geschichtlichen Unterlagen, die das An­ liegen Bräunlingens untermauern sollten, wurden allerdings erst am 11. Dezember 1951, drei Wochen nach dem Antrag, nach­ gereicht. Vom Landratsamt Donaueschingen hatte Bräunlingen bereits am 24. November 1951 die Nachricht erhalten, daß der Antrag an das Badische Ministerium des Innern weiter­ geleitet und ,, … aufs wärmste befürwortet … “ worden sei. Zudem wurde mitgeteilt, daß das Landratsamt bereits persönlich mit Al­ fred Schühly in der Sache Bräunlingens in Kontakt getreten sei. Auch in der Zähringer­ stadt war bei der Übergabe der Stadtrechts­ urkunde Staatspräsident Leo Wohleb zuge­ gen. Bürgermeister Bernhard Blenkle, 1948 bis 1970 im Amt, wurde erster „Nachkriegs­ Schultes“ in Bräunlingen, der wieder eine Stadt führte. Blenkle wurde später zum Eh­ renbürger ernannt, genauso wie Valentin Hofacker, der am 23. November 2000 im Al­ ter von 88 Jahren starb. Hofacker prägte 21 Jahre als Gemeinderat zusammen mit Blenk­ le das kommunalpolitische Geschehen der Zähringerstadt mit. 141

Geschichte Die häufige Wiederverleihung der Stadt­ rechte in Baden (zwischen 1948 und 1952 sind im Staatsarchiv Freiburg allein 24 Ge­ meinden nachweisbar) nach der novellierten Fassung der Gemeindeordnung vom 23. September 1948 überrascht auf den ersten Blick, da diese die 1935 eingebürgerte Stadt­ Formel übernommen hatte (,,Städte sind die Gemeinden, die diese Bezeichnung nach bisherigem Recht führen“). Mit Blick auf die Abstimmung um die Bildung des Südwest­ staates erhellt sich jedoch das Bild. Bereits vor den ersten Gemeinderatswahlen im Herbst 1946 hatte sich das provisorisch ein­ gerichtete badische Innenministerium mit einer Neugestaltung der Gemeindeordnung mit dem Ziel befaßt, NS-Bestimmungen auszumerzen und die alte Ordnung von 1921 aus der Weimarer Republik wiederzu­ beleben. Ein schnelles Umsetzen dieser Ar­ beit war an den Meinungsverschiedenheiten mit der französischen Besatzungsmacht ge­ scheitert, der die vorgesehene kommunale Selbstverwaltung zu weit ging. Schließlich kam es zur Gemeindeordnung vom 25. März 1947, die eine Kompromißlösung dar- stellte und sich in der Systematik an die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 an­ lehnte. Auch war die Bestimmung über das Recht, die Bezeichnung „Stadt“ führen zu dürfen, aus der Bestimmung von 1935 über­ nommen worden. Propaganda-Feldzug Wohlebs Neben einer Stärkung der politischen Ver­ waltungsräume war die Wiederverleihung der Stadtrechte wohl auch ein Propaganda­ Feldzug Wohlebs, um die Abstimmung über die Gründung des Südweststaates positiv im Sinne einer Erhaltung Badens zu beeinflus­ sen. Dies erscheint umso wahrscheinlicher, da es sich der badische Staatspräsident meist nicht nehmen ließ, persönlich an den Feier­ lichkeiten in den Städten teilzunehmen. Auch Wohlebs Einsatz in fraglichen Fällen der Stadtrechtsverleihungen gegen anders lautende Auffassungen des Innenministeri­ ums, etwa 1949 an Mahlberg oder 1950 an Wehr, zielt in diese Richtung. Die Regierungspolitik Wohlebs sah eine stärkere Berücksichtigung der kleinen Städ- Der badische Staatspräsident Leo Wohleb lief? es sich auch in Bräunlingen nicht nehmen, die SLadLrechts­ urkunde persönlich im Kreis der Gemeinderäle und Mitglieder der Verwaltung zu überreichen. 142

Wiederverleihung von Stadtrechten te und Landgemeinden vor und wollte diese als politische Verwaltungsräume aufwerten (Carola Bury: Die politische Auseinandersetzung zwischen Badenern und Südweststaat­ lern (1948-1951); aus: Gelb­ rot-gelbe Regierungsjahre; Sei­ te 300; Paul Ludwig-Weinacht; 1988, Regie-Verlag Glock und Lutz, Sigmaringendorf). In der Auseinandersetzung wurden sie die Träger der badischen Wi­ derstände gegen einen Süd­ weststaat. Bernhard Dury war Fahnenjunker bei der Fahnenweihe in der Stadt­ kirche „ Unsere liebe Frau vom Berge Kanne!“ anläßlich der Stadt­ rechtsverleihung in Bräunlingen. Damit war der altbadische Widerstand und die Forderung der Arbeitsgemeinschaft der Badener nach der Traditionslö­ sung eng mit dem Kampf um politische und ideologische Selbständigkeit (,,Eigenart“) von Regionen, aber auch von Institutionen verbunden. Die Verfechter eines Zusammenschlusses such­ ten in der jungen Republik ebenso wie die Gegner um Leo Wohleb nach Bundesgenos­ sen. Auch die Öffentlichkeit interessierte sich zunehmend. Parteien, Interessengrup­ pen, Wutschaftsverbände, die Kirchen, Ar­ beitnehmer- und Flüchtlingsorganisationen sowie der Landwirtschaftsverband nahmen Stellung zur Bildung des Südweststaats. Die Regierungen entfalteten eine rege Öffent­ lichkeitsarbeit in ihren Ländern, vor allem in der Bevölkerung Süd- und Nordbadens wurde die Neugliederung heftig und kontro­ vers diskutiert. Bereits im Februar 1949 ging von einem Geheimtreffen auf Schloß Win­ deck (Bühl/Baden), an dem Vertreter von Hohenzollern, Nord- und Südbaden und der Pfalz zu Sondierungsgesprächen zusam­ mengekommen waren, die Gründungsini­ tiative einer „Arbeitsgemeinschaft der Bade­ ner“ in Karlsruhe aus. Als politischer Vertre­ ter der badischen Interessen sollte diese Ge­ meinschaft eine Volksabstimmung über das Schicksal Gesamtbadens für Nordbaden propagandistisch vorbereiten und fördern. Im Oktober 1949 schlossen sich die zuvor auf Orts- und Kreisebene in Südbaden gebil­ deten Gruppierungen zur „Arbeitsgemein­ schaft der Badener für das Land Baden, Lan­ desgruppe Oberbaden“ zusammen. Am 28. November 1949 gründete sich für Nord­ und Südbaden ein Landesverband. Staats­ präsident Leo Wohleb wurde neben anderen zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Die ehemaligen Landkreise Villingen und Donaueschingen waren unsichere Kandida­ ten in der anstehenden Abstimmung über einen Südweststaat. So ist zu vermuten, daß Bräunlingen, Hüfingen und Blumberg die schnelle Wiederverleihung ihrer verlorenen Stadtrechte in nicht unerheblicher Weise den damaligen Auseinandersetzungen um die Gründung von Baden-Württemberg zu verdanken haben. Dies wird im Abstimmungsergebnis vom 9. Dezember 1951 deutlich, bei dem sich im Landkreis Villingen 56,7 Prozent der Wahl­ berechtigten und im Landkreis Donau­ eschingen immerhin noch 43 Prozent für ei­ nen Zusammenschluß aussprachen. Stefan Limberger-Andris 143

Geschichte Die Schwarzwälder Gewerbeausstellung 1884 Im Jahr 1884 präsentierte sich in St. Georgen die Schwarzwälder Industrie ,,Kärglicher als in den geseg­ neten Gegenden längs des Rheins oder am schwäbi­ schen Meer reicht die Na­ tur auf dem Schwarzwald dem Landmann ihre Ga­ ben. Darum sind dessen Bewohner von Haus aus darauf angewiesen, eine weitere Erwerbsquelle zu suchen, und darum ist auch die Industrie auf demselben so früh und so allgemein heimisch ge­ worden. Dazu kommt noch ein zweites. Mag es die Mischung mit keltischem Blut mit sich bringen oder mögen die klimati­ schen Verhältnisse, welche ihn eine lange Zeit des Jahres über in seine einsame Woh­ nung verweisen, ihren Einfluß ausgeübt haben: der Schwarzwälder unterscheidet sich nach seinem Charakter wesentlich von den übrigen badischen Landsleuten. Er ist bedächtiger und langsamer, wohl auch zäher und ausdauernder, jedenfalls schweigsamer und nach innen gekehrt. Wie er gern über religiöse Fragen grü­ belt, so hat er sein Nach­ denken auch seiner Arbeit zugewandt und darum hat er die einzelnen Industrie­ zweige bald erheblich ge­ fördert und deren Erzeug­ nisse verbessert. Es ist er­ staunlich, wieviel Kunst­ sinn und Kunstfertigkeit sich auf dem Schwarzwald finden; merkwürdigste Er­ findungen und wichtigste Verbesserungen der Uhren, sowie Maschinen und Mu- 144 Die Gewerbeausstellung in St. Ge­ orgen lockte Aussteller aus der gesamten Region an, vor al­ lem den „uhrenmachenden Schwarzwald“. Links ein Detail aus der Urkunde des Gewerbevereins Furtwan­ gen, der stark vertreten war. sikinstrumente rühren zum Teil von den einfachen Leu- ten her.“ So begann der evangelische St. Ge­ orgener Pfarrer und Heimatforscher Karl Theodor Kalchschmidt seine Ausführungen über die Entstehung der heimischen Indust­ rie in seiner 1895 veröffentlichten „Ge­ sd1ichte von St. Georgen“. Und tatsächlich war es damals eine Zeit, in der tiefgreifende Veränderungen vor sich gingen. Mit Fleiß, Tüftlergeist und unendlicher Geduld wur- den in den Bauernstuben rings um St. Georgen Erfindungen ersonnen, die schon bald einen Wan­ del weg von den häusli­ chen Werkstätten hin zur Entstehung von Betrie­ ben mit industrieller Ferti- gung auslösten. In jene Gründerjahre fällt auch die Geburtsstunde zahlrei­ cher heute noch existieren­ der, traditionsreicher In­ dustriebetriebe. Gerühmt wurden in St. Geor­ gen die Orchestrien des Vöhren­ bacher Musikwerkebauers Xa­ ver Heine, danmter aud1 da.s links abgebildete „Kleine Or­ dJeStrion „:

Gewerbe-, Maschinen- und Musikhalle der 4. Schwarzwälder Gewerbeausstellung in St. Georgen im fahre 1884. Schwarzwälder Gewerbeausstellung St. Georgen im Jahre 18 97, Fotografie von JG. Fleig aus Hornberg. 145

Geschichte Die Gewerbehalle, erbaut 18 8 4, abgebrochen im Jahr 1969. So entstand auch der Wunsch, eine Platt­ form zu schaffen, um die neuen Errungen­ schaften und Produkte einer breiten Öffent­ lichkeit vorzustellen. So liegt in dieser Zeit auch der Ursprung der Industrieausstellungen und Gewerbeschauen. Die erste Ausstellung von Erzeugnissen der schwarzwälder Indust­ rie fand bereits 1858 in V illingen statt, wo etwa zehn Jahre später die zweite Schau dieser Art organisiert wurde. 1882 folgte Vöhrenbach als Ausrichter. Der St. Georgener Gewerbeverein hatte sich schon seit seiner Gründung im Jahre 1858 um eine Präsentation heimischer In­ dustrieprodukte bemüht und ab 1867 wur­ de eine ständige Gewerbeausstellung ge­ zeigt, die jedoch schon nach zwei Jahren eingestellt wurde. Bei der Feier des 25-jähri­ gen Vereinsjubiläums 1883 wurde unter dem Vorsitzenden Karl Haas beschlossen, im darauffolgenden Jahr eine große Gewer­ beausstellung auf die Beine zu stellen. Um die erforderlichen finanziellen Mittel auf­ zutreiben, genehmigte die Regierung eine Lotterie. Während die früheren Präsentationen in schon vorhandenen Räumen aufgebaut wor­ den waren, wurde in St. Georgen eigens ein besonderes Ausstellungsgebäude im schwarz­ wälder Bauernhausstil nach Plänen des Ar­ chitekten Bichweiler, Furtwangen, errichtet, daneben eine Maschinenhalle mit einem 146 Motor, ferner eine Musikhalle für die Orche­ strionwerke. Der Bau wurde innerhalb von nur drei Monaten, zwischen April und Juli 1884, fertiggestellt. Acht Orchestrions spielten Die Ausstellung gliederte sich in folgende Bereiche: Bergbau und chemische Produkte, Buchbinderei, graphische Künste, Photo und Lithographien, Zeichnungen, Möbel, Zimmerei, Schnitzereien, Drechslerarbei­ ten, Kurzwaren, Bürsten und Pinsel, Kunst, Lederindustrie, Sattlerwaren, Maschinen­ bau/Schmiede, Werkzeuge, Schlosserarbei­ ten, Metallwaren, Kücheneinrichtungen, Nahrungs- und Genußmittel, Orchestrions, Uhrmacherei, Uhrenschilder, Uhrenbestand­ teile, Stein, Tonwaren, Majoliken, Öfen, Ze­ ment- und Glaswaren, Strohindustrie, Texti1- und Bekleidungsindustrie, Wagen, Trans­ portmittel, Feuerwehrgeräte, Erziehung und Unterricht.

In der Musikhalle spielten acht Orchestri­ ons namhafter Hersteller um die Wette. Die Musikapparate stammten von Fr. X. Heine (Vöhrenbach), Tob. Heitzmann (Villingen), F. Keller (Lenzkirch), Kuss & Söhne (Furt­ wangen), Jas. Mulde (Furtwangen), L. P. Schönstein (Villingen), Ambras Weisser (Unterkirnach) und Imhof & Mulde (Vöh­ renbach). Insgesamt 264 Aussteller An der Ausstellung beteiligten sich nahe­ zu alle St. Georgener Industrie- und Hand­ werksbetriebe, aber auch Firmen aus der näheren und weiteren Umgebung, so aus Villingen, Furtwangen, Neustadt, Offenburg, Donaueschingen, Lenz­ kirch, Baden -Baden, Haslach, Pfullendorf, sogar aus Karlsruhe und Stuttgart. Insgesamt 246 Betriebe und Firmen präsentierten ihre Pro­ dukte. Eröffnet wurde die sehr umfangreiche Ge­ werbeschau am 20. Juli 1884 nach einem Fest­ zug, an dem etwa 700 Personen teilnahmen. Die Eintrittspreise be­ trugen damals für Er­ wachsene 50 Pfennige, für Kinder 25 Pfennige, für den Besuch der Mu­ sikhalle mußten noch­ mals 30 Pfennige zu­ sätzlich berappt wer­ den. Geöffnet war täg­ lich von 8 bis 18 Uhr. Gewerbe-Ausstellung 18 8 4: Die Präsentation der St. Georgener Firma ]. G. Weisser. Schwarzwälder Gewerbeausstellung Eindrucksvoll für die damaligen Verhältnis­ se weist sich auch die äußerst stattliche Besu­ cherzahl aus. Während der 100-tägigen Schau wurden rund 15 000 Interessierte gezählt. Für die Musikhalle wurden 6 000 Billette ab­ gesetzt. Ein ganz besonderer Tag für die St. Georgen er war der 21. August jenes Jahres, an welchem Großherzog Friedrich und Groß­ herzogin Luise die Ausstellung besichtigten und von etwa 70 Schäppelmädchen freudig begrüßt wurden. ,,Insgesamt haben sich die königlichen Hoheiten für die Ausstellung 6 Stunden Zeit genommen, sie waren über die Herzlichkeit der St. Georgener sehr er­ freut und haben sich hierüber sehr wohlwol­ lend und anerkennend ausgesprochen“, 147

Schwarzwälder Gewerbeausstellw,g hielt der damalige Bürgermeister Braun fest. Vier Wochen später überraschte der Groß­ herzog die Aussteller mit einem zweiten Besuch, ,,um von den wichtigsten Gegen­ ständen nochmals Einsicht zu nehmen und einige derselben sich zu erwerben. Wie sämt­ liche badische Minister die hiesige Ausstel­ I ung besuchten, so sandten auch andere deutsche Regierungen Sachverständige“, vermerkte Chronist Kalchschmidt nicht oh­ ne Stolz über die beachtliche Resonanz der St. Georgener Gewerbeausstellung. Ebenso zufrieden zeigte sich die Ausstel­ lungs-Kommission mit dem Verlauf der Ver­ anstaltung: ,,Der Fleiß und die gewerbliche Befähigung der Schwarzwälder hat sich in sehr vorteilhafter Weise präsentiert, die all­ gemeine Anerkennung, welche die Besucher der Ausstellung rückhaltlos aussprechen, ist beachtenswert.“ Froh zeigten sich die Ver­ antwortlichen auch darüber, ,,daß alle nen­ nenswerten und teuren Stücke mit wenigen Ausnahmen Käufer fanden“. Eine Dauerausstellung eingerichtet Nach Beendigung der Ausstellung am 26. Oktober 1884 wurden die Maschinen- und die Musikhalle abgebrochen. Im Hauptge­ bäude, der Gewerbehalle, organisierte der Gewerbeverein eine Dauerausstellung, wel­ che ständig ergänzt und erneuert wurde. Nachdem der Ausstellungsbetrieb nach eini­ gen Jahren eingestellt wurde, erlebte das schmucke Gebäude noch eine ganze Reihe unterschiedlicher Nutzungen. Zuerst war eine Möbelausstellung aufge­ baut, dann wurde dort das St. Georgener Heimatmuseum untergebracht. Dieses war 1914 eingerichtet worden, wurde jedoch erst in den Jahren des Dritten Reiches un­ ter dem damaligen Bürgermeister Ettwein vervollständigt und ausgebaut. In jene dunkle Epoche fallt auch die politische Gleichschaltung, in deren Zug der Gewer­ beverein, bis dahin Eigentümer des Gebäu­ des, aufgelöst wurde und das Haus so in den Besitz der Stadt überging. 148 Das liebevoll eingerichtete Museum vermit­ telte einen guten Eindruck, wie die St. Ge­ orgener früher wohnten und arbeiteten. So gab es eine Bauernschlafstube, eine Trachten­ stube und eine Uhrmacherwerkstatt. 1935 wurde zudem noch eine Strohflecht-Aus­ stellung eröffnet. Ein besonderer Blickfang war die umfangreiche Sammlung von Schäp­ peln. Im Juli 1936 wurde in der Gewerbehal­ le ein Lesesaal eingerichtet und im November 1938 fand aud1 die Volksbücherei dort Platz. Ein Jahr später zogen die Bücher allerdings ins ehemalige Gasthaus „Löwen“ um. Als die Bücherei nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ganz von vorne beginnen mußte – al­ le Bücher waren von den französischen Be­ satzern abtransportiert worden – fand sie vorübergehend erneut in der Gewerbehalle ihr Domizil. Damit liegen die Anfänge der heutigen Stadtbiblioiliek ebenfalls in die­ sem Gebäude. Neben ihrer Funktion als Heimatmuseum und Bücherei fand die Halle in den 60er Jah­ ren noch eine andere Verwendung. Das alte Railiaus war längst zu klein geworden und auch sein Sitzungssaal konnte das gewachse­ ne Gemeinderatsgremium nicht mehr fas­ sen. So wurden zahlreiche kommunalpoli­ tische Entscheidungen in der Gewerbehalle gefallt, die genügend Platz für die Sitzun­ gen des Gemeinderates bot. Mit dem Bau des neuen Rathauses endete auch diese Ära. Im Jahre 1969 kam dann das bis heute von vielen bedauerte Ende des stolzen Gebäu­ des, um dem Neubau einer Fernmeldestati­ on Platz zu machen. Mit dem Haus ver­ schwand auch ein Stück St. Georgener Stadt- und Industriegeschichte. Heute erinnert nur noch der Name der Gewerbehallestraße an das Haus, das dort von 1884 bis 1969 stand und auch ein Denk­ mal für die Pioniere war, die im vorigen Jahrhundert mit ihrem Fleiß und Tüftler­ geist den Grundstein zur industriellen Ent­ wicklung von St. Georgen legten. Jochen Schultheiß

Geschichte Die Hutzelmühle in Burgberg Ohne Genehmigung errichtet und heimlich gemahlen Bei dem heute zu Königsfeld gehörenden kleinen Ort Burgberg stand einst die Hutzel­ mühle, von der heute nur noch der Eingang sowie auf einer Länge von etwa 340 m An­ deutungen des Mühlkanals sowie des Spann­ teichs, der sein Wasser vom linken Ufer des Hömlebachs bezog, vorhanden sind. Noch 1930 erbrachte die mit einem 6 m großen oberschlächtigen Wasserrad sowie Gerb­ und Mahlgang ausgerüstete Mühle eine auf ein Jahr bezogene durchschnittliche Arbeits­ leistung von 160 PS pro Stunde. Ihren Namen „Hutzelmühle“ erhielt sie in Anlehnung an den nahegelegenen Hutzel­ berg. In ihrer Leistung konnte sie sich nicht mit der heute noch als Wohngebäude ste­ henden ehemaligen Bannmühle messen. Obgleich sie jünger als diese und wirtschaft­ lich eher unbedeutend war, lohnt ein Blick auf ihre Geschichte, erhält man doch inte- ressante Hinweise auf die örtlichen Herr­ schafts- und Sozialverhältnisse. Die Mühle wurde zwischen 1530 und 1590 von dem Bauer Gall Storz für seinen Enkel Jacob Storz errichtet – und zwar illegal. Burgberg, einst als Reichslehen den Herzö­ gen von Zähringen untertan, dann an die Burgberger und andere Herren übergegan­ gen, war 1472 zu Württemberg gekommen. Damals wurde der Hutzelberg dem Stab Weiler zugewiesen. Am 15. September 1590 musste nun der Mühlenbesitzer Gall Storz bekennen, dass die Mühle ohne W issen der Herrschaft Württemberg errichtet und bis­ her kein Mühlenzins entrichtet worden war. Wie lässt sich dieses gesetzwidrige Vorge­ hen erklären? Wer seinerzeit eine Wasser­ mühle errichtete, musste im Besitz beider Ufer des zugehörigen Kanals oder Baches sein. Zudem brauchte er die Genehmigung Ansicht von Burgberg- im Vordergrund die Hutzelmühle, aufgenommen ca. 1902. 149

Ge chichte des Grundherrn. Außerdem war es die Re­ gel, dass von den mit einem herrschaftli­ chen Privileg versehenen Handwerkern ille­ gale, das eigene Einkommen schmälernde Konkurrenz bei der Obrigkeit gemeldet wur­ de. Um zu verstehen, warum die e Meldung im Fall Storz unterblieb, muss sich der Blick zunächst in die Vergangenheit richten. Um das Jahr 1400 gibt es auf dem Hutzelberg ei­ nen „Maierhof“, Lehnsbesitzer ist Heinrich von Burgberg. ,,Meier“ waren ursprünglich Verwalter herrschaftlicher Fronhöfe (Meier­ höfe), die sie seit dem 12. Jahrhundert in Pacht erhielten, dann im Besitzrecht auf Le­ benszeit hatten. Dieses Besitzrecht konnte an die Erben weitergegeben werden. Die Herren von Burgberg waren mit be­ deutenden Rechten ausgestattet, zu denen neben der Kompetenz zur Vergabe des Mühlrechts sogar die hohe Gerichtsbarkeit gehörte. Die Bedeutung ihres Meierhofes als Verwaltungs-und Rechtszentrum belegt ein Fall aus dem Jahr 1484. Der Totschlag eines Mühlknechts durch Rottweiler Söldner, der nad1 dem Sachsenspiegel den Mühlen­ frieden verletzte, wurde nicht etwa in Rott­ weil, wo heute noch symbolisch der steiner­ ne Richtstuhl steht, oder in Villingen oder der Bezirksstadt Homberg verhandelt, son­ dern auf dem Hutzelberg, genauer: Auf dem dortigen Meierhof Beteiligt sind der Vogt Mit bedeutenden Rechten ausgestattet und das Gericht zu Buchenberg, Richter aus Tennenbronn, Reid1enbach, Homberg und Sulgen. Dass nun Gall Storz die Hutzelmühle oh­ ne herrschaftliche Erlaubnis errichtete, kann nur folgendes bedeuten: Er hatte die Bewirt­ sd1aftung des ehemaligen „Maierhofes“, nun­ mehr „Hutzelberg-Hof“, übernommen. Auch nach der Verabschiedung der ausgestorbe­ nen Herren von Burgberg aus der Geschich­ te hatte der Meierhof seine Funktion, wenn­ gleich mit geschmälerten Rechten, behalten. Der Müller Storz verkörperte die Obrigkeit, trieb Steuern bei -und gab sich selbst das Recht, eine Mühle zu errichten. Dieser Hof Er/Ja/tm ge/J/iebtn ist von der Hutzelmi7hle der Mühlstein (,,Faulenzer“) und eine Türinschrift. 150

Hutzelmühle in Burgberg Als frischgebackener Besitzer richtete er die unbrauchbar gewordene Mühle mit viel Auf­ wand wieder her und verhalf ihr zu neuem Glanz. Im ersten Weltkrieg musste er an die Front nach Frankreich. W ährend seiner Abwesenheit vergalt ihm das Vaterland diesen Dienst auf seltsame Wei­ se: Die Mühle wurde versiegelt – aus Grün­ den der Bewirtschaftung der knapp gewor­ denen Lebensmittel. Als Andreas Jauch auf Heimaturlaub war, konnte er sich mit dieser Art des Dankes nicht anfreunden und mahl­ te trotz Versiegelung den Bedarf für seine Fa­ milie. Obwohl eine Wassermühle nicht oh­ ne Geräusche arbeitet, hielt das Dorf zusam­ men, niemand hat ihn angezeigt. Mit der Müllerin Elisabeth Lierheimer, geb. Jauch schließlich endet die Geschichte der Hutzelmühle im Jahr 1989. Hartmut Toleikis war so bedeutend, dass er 1564 auf der Pürsch­ gerichtskarte von Rottweil als markantes Bau­ werk zur Orientierung diente. Selbst als Gall Storz bereits verstorben und die Illegalität der Mühle festgestellt war, musste nicht etwa Strafe gezahlt werden, von einer Anklage, Steuer- Nacherhebung, Abriss oder ähnlichem ganz zu schweigen. Nein, es genügte das Bekenntnis der Illegalität der Einrichtung sowie die Anerkennung der künftigen Abgabenpflicht. Der Glanz des herrschaftlichen Meierhofes wirkte fort, wie er noch bis in die jüngste Vergangenheit hi­ nein wirkte. Es hat den Anschein, als müsse man die Hutzelmühle unabhängig vom Ort Burg­ berg betrachten, selbst auf Landkarten aus dem 18. und 19.Jh. wird der Hutzelberg oh­ ne Nennung von Burgberg oder separat ne­ ben Burgberg verzeichnet. Im weiteren Ver­ lauf ihrer wechselhaften Geschichte bestand die Hutzelmühle nicht nur fort, son­ dern wurde von Simon Götz, der von 1857 bis 1899 Müller war, mehrfach erweitert. 1866 erhielt sie eine Bei­ mühle. Dies ist ein Hinweis darauf, dass sie auch als Kunden- oder Kunst­ mühle betrieben wurde. Jedenfalls ist in einer Urkunde von 1590 keinerlei Andeutung über einen ausschließli­ chen Eigengebrauch zu finden. Im Jahr 1867 hatte die Hutzelmühle ne­ ben zwei Mahlgängen einen Gerb­ gang. Es wurde also Dinkel in einer solch großen Menge verarbeitet, die den Einbau und Betrieb des teuren Gerbganges rechtfertigte. Bevor Simon Götz die Mühle an seinen gleichna­ migen Sohn weitergab, erfuhr sie noch eine Erweiterung um Schrothwalzen und einen Grießstäuber. Von 1908 bis 1937 war der Zimmer­ mann Andreas Jauch Müller. Er hat­ te die Mühle durch Zuschlag erhal­ ten, als er bei einer Versteigerung mit­ bot. Eigentlich wollte er nur den Preis in die Höhe treiben, um so einem in Not geratenen Verwandten zu helfen. Die Hutzelmühle um 1942. 151

Geschichte „Adler“ und ,Yictoria“ – Kurhotels ersten Ranges Schönwald um 1900 – Vom „Dörflein“ zum Höhenluftkurort Die 1873 fertiggestellte Schwarzwaldbahn brachte viele Bewunderer dieser einmalig ro­ mantischen sowie technisch interessanten Bahnstrecke nach Triberg. Ein „Muß“ für diese Durchreisenden war natürlich Deutsch­ lands größter Wasserfall. Viele Enthusiasten stiegen in ihm auf und gelangten – ohne es eigentlich zu wollen – auf die einsamen und landschaftlich sehr reizvollen Höhen der Gemarkung Schönwald. Diese Ausflügler waren gleichsam die ersten Touristen in Schönwald, gewissermaßen die Vorboten des nur wenige Jahre später einsetzenden Frem­ denverkehrs. Mit dem Ausbau der Zugangs­ wege, insbesondere der Wallfahrtsstraße zwischen Schönwald und Triberg, nahm der Fremdenverkehr in Schönwald nach und nach zu. Das lag sicher nicht zuletzt an der äußerst reizvollen Landschaft und der sehr günstigen klimatischen Höhenlage des Or­ tes. Karl Jos. Dold berichtet in seinem 1927 herausgegebenen „Führer von Schönwald“: ,,Schon 1882 waren hier bereits 310 Kurgä­ ste, die sich in den damals noch einfach ein­ gerichteten Gasthäusern und Privatzimmern heimisch fühlten; dazu kamen noch 252 Passanten.“ Die weitere recht positive Entwicklung des Fremdenverkehrs veranlaßte zwei Schön­ wälder Gasthofbesitzer je ein großes reprä­ sentatives Kurhotel zu erbauen. Eduard Riesle, Besitzer des Gastl10fs „Adler“, ließ 1894/95 das Kurhotel „Adler“ unmittelbar neben seinem Gasthof errichten und Fried­ rich Wilhelm Siedle 1896/97 das Kurhotel „Victoria“, ebenfalls neben seinem Gasthaus ,,Hirsch“. Beide Hotels waren typische Bau­ werke der Gründerzeit; sie entsprachen dem Bild 1: Das 1894/95 erbaute und 1977 abgebrannte Kurhotel Adler auf einer Ansichtskarte aus der Z-eit kurz nach 1900. 152

seinerzeitigen Motto: höher, größer, schö­ ner und teurer – eben repräsentativ. Auf die dörfliche Umgebung in Schönwald bezogen waren es wahre Hotelpaläste, die „was her­ machten“. Ja, sie hatten einen gewissen Charme. Schon die Fassaden der Hotels las­ sen erkennen, daß man sich während der Gründerzeit im wesentlichen an Kompositi­ onselemente der italienischen Renaissance orientierte. Einen klaren Gründerzeitstil gibt es nicht; gerade die Stillosigkeit ist ty­ pisch für diese Zeit. Die Bauwerke dieser Epoche mußten edel und kostbar aussehen – sie mußten einfach „schmuck“ sein. Wie die Bilder belegen, hat der Architekt – übri­ gens für beide Hotels der gleiche – dieses Ziel offensichtlich auch erreicht. Die räum­ liche Aufteilung beider Hotels war prinzipi­ ell gleich. Im Kurhotel „Victoria“ verzichte­ te man allerdings auf den Einbau einer Hei­ zung und betrieb es nur während der Som­ mermonate. Nach KarlJos. Dold wurde das Zimmerkon­ tingent in Schönwald zwischen 1895 und 1899 so ausgebaut, daß bis zu 600 Kurgäste aufgenommen werden konnten, womit – aus der Sicht von 1927 – der „höchste Stand Bild 2: Das 1896197 erbaute Kur­ hotel „ Victoria ‚: wie es um 1910 aussah. Rechts im Bild ist eine Hausecke des 1906/07 erbauten Hotels „Hirschen“ zu erkennen; es wurde 1969 abgebrochen. erreicht“ wurde. Weiter schreibt Karl Jos. Dold: ,,Der Weltkrieg (1914-18) brachte aber auch hier einen Rückschlag. Das Kurhaus (Hotel „Adler“) ging in ein Beamtenheim über und auch das Hotel „Victoria “ kam in andere Hände (z. Z. nicht in Betrieb). Außer den beiden großen Hotels sind hier noch neun Hotels und Gasthäuser, zwei Fremden­ pensionen und verschiedene Privatzimmer, die immerhin noch ca. 400 Gäste beherber­ gen können (,,Victoria“ nicht mitgerechnet) und während der Sommer- und Wintersai­ son auch stets belegt sind.“ ,,Haus ersten Ranges.-“ Schon um 1900 wurde in verschiedenen „Schwarzwald-Reiseführern“ für die beiden Schönwälder Nobelhotels massiv geworben. In Anzeigen des „Hotels und Kurhauses Schönwald“ (,,Adler“) ist u. a. nachzulesen: „Hochelegantes Hotel, 250 Betten, Zimmer 1-3 Mk., Mittagtisch 2-4 Mk., Pensionspreis von 5,50 Mk. ab, alles an separaten kleinen Tischen serviert“. Zum Kurhotel „Victoria“ wird ausgeführt: ,,Haus ersten Ranges … Gro­ ße gedeckte und offene Terrassen. Geräumi- ge Halle. Table d’höte an kleinen Tischen“. Selbst der Bäder-Al­ manach, Ausgabe 1913, Schönwald um l 900 153

Ge chichte Bild 3: Das „Dörflein „Sd1önwald mit den zwei baulich dominierenden Kurhotels um 1900: Zwischen Post­ kutsche und Kirche die Rückseite des Kurhotels und Gasthofs „Adler“ (Bild 1) und rechts im Bild – oberhalb der vorderen Pferdeköpfe – das Kurhotel „ Victoria“ (Bild 2). Rechts vom Hotel „ Victoria“ sieht man den Giebel des alten Gasthauses „Hirsch ‚: das 1621 erbaut sein soll und im April 1906 abbrannte. der die Bäder, Luftkurorte und Heilanstal­ ten Deutsd1lands, Österreid1-Ungarns, der Schweiz und der angrenzenden Gebiete vor­ stellt, widmet „Schönwald im badischen Sd1warzwald“ fast eine ganze Seite: Schön­ wald ist in diesem Zusammenhang nahezu gleichauf mit dem bekannten Schweizer Kurort Davos. Neben Angaben zu der geo­ grafisd1en Lage, den Naturschönl1eiten, dem gesunden Klima, der ärztlichen Betreuung, den Indikationen und den Verkehrsverbin­ dungen wird unter „Hotels“ u. a. ausgeführt: „Hotel und Kurhaus Sd1önwald mit Gastl1aus zum „Adler“, Besitzer: L. Wirthle, ist ein vierstöckiger Prad1tbau mit elegant einge­ richteten Zimmern, Balkons, grosser, ge­ deckter Veranda, Dampfheizung und elektri­ sd1em Licht, grossem 300 Personen fa en­ den Speisesaal, Lese-, Damen- und Billard­ zimmer. Im Freien: Garten mit gedeckter Halle, Promenadenplatz, Lawn-Tennis usw. Im Hotel selbst incl 100 Betten, in den De­ pendancen 50 Betten, im Adlerga thaus 25 Betten. Bäder im Hause, Kiefernadelbäder, Salzbäder, Duschen. Pensionspreis inkl. Zirn- mer von M. 5,50 bis 9,00 aufwärts je nach Wahl des Zimmers.“ So elegant und repräsentativ die beiden Kurhotels – in der Literatur gelegentlich als Kurhäuser bezeichnet – aud1 waren, in wirt­ schaftlicher Hinsicht brad1ten sie ihren Er­ bauern und jeweiligen Besitzern nicht den erhofften Erfolg. Der häufige Wed1Sel der Besitzer jedenfalls läßt darauf schließen. Schon 1903 wurde das Kurhotel „Adler“ ein­ schließlich Gastl1of von der Witwe des Er­ bauers Eduard Riesle – obwohJ der Ehe sechs Kinder entstammten – an Salomon Geismar­ Baum, Privatmann in Basel, verkauft. Der wiederum verkaufte sd1on 1904 weiter an Hans Speidel, Hotelier in Pyrbaum bei Nürnberg, der um 1907 in Konkurs geriet. Salomon Geismar-Baum ersteigerte das Ob­ jekt wiederum und verkaufte es schon 1908 weiter an Ulrich Hugo Altorfer, Privatmann in Zürich, der den Hotelbetrieb an Johann Wirthle verpachtete. Im Jahre 1918 kaufte es der Landesverband Städtischer Beamter des Großherzogtums Baden und nutzte es als Erholungsheim. 154

Schon in dem von Dr. C. W. Schnars im Jahre 1924 herausgegebenen Schwarzwald­ führer ist nachzulesen, daß das ehemalige Kurhaus „Adler“ als Erholungsheim des Ba­ dischen Beamten-Vereins auch anderen Gä­ sten zugänglich ist und auch als Jugendher­ berge genutzt wird. Von 1957 bis 1968 gehör­ te es der Schwarzwaldsanatorium G.m.b.H. Sasbach-Walden. Über zwei weitere Besitzer aus Stuttgart und Höchenschwand gelangte die Immobilie 1975 schließlich an Robert­ Friedrich Peter. Im Jahre 1977 brannte sie ab. Ein Jahr später kaufte ein Bauunternehmer aus Villingen-Schwenningen die Ruine und errichtete auf dem Grundstück einen Wohn­ block mit 31 Wohneinheiten. Ähnlich verlief die Entwicklung beim Kur­ hotel „Victoria“. Erbaut wurde es 1896/97 von Friedrich Wilhelm Siedle. Er geriet in Konkurs und verkaufte seinen Besitz 1907 an Karl Heinrich Ketterer, Hotelier in Offen­ burg, der den Hotelbetrieb an Joseph Kern vom Untertiefenbacherhof (Schönwald) verpachtete. In der Zeit von 1918-31 stand es leer, wurde nur zeitweise als Cafe ver­ pachtet und vom Hotel ,,Adler“ (Badische Ge­ meindebeamten) rnitgenutzt. Ab 1931 war Schönwald um 1900 das Hotel im Besitz des Stuttgarter Jugend­ vereins, der es als Jugenderholungsheim nutzte. 1967 wurde es Familienerholungs­ heim unter der Trägerschaft des Vereins für Jugendheime und Hospize. Leider hat das einstmals so prachtvolle Gebäude durch um­ fassende Renovierungs- und Modernisie­ rungsmaßnahmen, die zwischen 1969 und 1980 ausgeführt wurden, seinen einstigen Charme eingebüßt. Am Rande sei erwähnt, daß das 1906/07 erbaute Hotel „Hirschen“, dessen Hausecke rechts im Bild 2 zu sehen ist, 1969 abgebro­ chen wurde; es war mit dem Kurhotel „Vic­ toria“ durch einen überdachten Gang ver­ bunden. An seiner Stelle entstand ein neu­ es Hotel „Hirschen“ – ein moderner Flach­ dachbau mit 100 Appartements. Das Bild 3 zeigt den Ortskern von Schön­ wald – von den Einheimischen auch „Dörf­ lein“ genannt- um 1900. Die baulich domi­ nierenden Kurhotels sind sehr gut zu erken­ nen: Zwischen Postkutsche und Kirche die Rückseite des Kurhotels „Adler“ mit Gasthof ,,Adler“ und rechts im Bild – oberhalb der vorderen Pferdeköpfe – das Kurhotel „Victo­ ria“. Rechts vom Hotel „Victoria“ ist der Gie- Bild 4: Die Ansichtskarte (Photochromie) aus der Zeit kttrz nach 1900 zeigt einen Ausschnitt aus dem idyllischen Hochtal Schönwald. In der Bildmitte der Bartlisbauemhef (erbaut 1655), rechts das leibgeding. 155

Geschichte bei des alten Gasthauses „Hirsch“ zu sehen. Es soll 1621 erbaut worden sein und brann­ te im April 1906 ab. An gleid1er Stelle wur­ de das Hotel „Hirschen“ errichtet, dessen Hausecke rechts im Bild 2 zu erkennen ist; es wurde 1969 abgebrochen, um Platz fur das 100-Appartementhaus zu sd1affen. Bis in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verkehrten in Schönwald noch Postkutschen, wie sie das Bild 3 zeigt. Erste Versuche, die Postkutschen durch Auto­ bus e zu ersetzen, gab es zwar schon um 1904/06, doch erst nach dem Ersten Welt­ krieg stellte sich der Erfolg ein: Im Jahre 1920 wurde die Postautolinie Triberg-Schön­ wald-Furtwangen eröffnet. Bi dahin fuhren die Kurgäste per Postkutsche vom Triberger Bahnhof zu den Hotels und umgekehrt; sie konnten aber auch private Pferdekutschen benutzen, die als Taxen fungierten. Majestätische Fehlinvestitionen Rückblickend ist festzustellen, daß die bei­ den noblen Kurhotels „Adler“ und „Victoria“, gerade wegen ihrer majestätischen Größe und ihres städtisch vornehmen Aussehens, Fehlinvestitionen waren. Sicher hätten sich kleinere gediegene Gasthäuser oder Landho­ tels im Stil der fur den Schwarzwald typi­ schen Architektur in der dörflid1en Struktur Schönwalds besser bewährt. Etwas salopp ausgedrückt waren die Prachthotels fur den dörflichen Ort doch wohl „einige Nummern“ zu groß, zu städtisd1. Sie paßten nicht zu den Kurgästen, die Schönwald in erster Linie we­ gen der besonders reizvollen Landschaft und des gesunden Klimas aufsuchten. Kurgäste, die Hotels der Kategorie „Adler“ oder ,Yictoria“ bevorzugten, reisten vornehm­ lich in die vornehmen Bäder Deutschlands oder der angrenzenden Länder. Sie wollten auf den Kurkollonaden flanieren, sich an Roulettischen amüsieren, in kostbarer, mo­ discher Garderobe Bälle besuchen. In die- em Sinne wollten sie sehen und gesehen werden. Solche Neigungen zu befriedigen, fehlte es in Schönwald aber an der diesbe- 156 züglichen Infrastruktur. An der wohltuen­ den Stille, Beschaulichkeit und Anmut des ,,Dörfleins“ und am Erwandern der reizvol­ len Landschaft mit den einsam gelegenen Walmdachhöfen waren die zuvor beschrie­ benen Kurgäste kaum interessiert. In den bekannten Badeorten gab es ganze Straßen­ züge mit repräsentativen Hotels, von denen es in Schönwald lediglich zwei gab, wobei eins nicht einmal mit einem Heizsystem ausgestattet war. Für sich allein betrachtet waren die Kurho­ tels „Adler“ und ,,Victoria“ architektonisch recht interessante und gelungene Bauwerke der Gründerzeit. Dennoch waren sie auf­ grund ihrer „städtischen“ Architektur und majestätischen Größe so etwas wie Fremd­ körper im „Dörflein“. Sinnvoller oder gar zweckmäßiger wäre es gewesen, die Erbauer hätten sich mehr an dem neudeutschen Slo­ gan „small is beautiful“ orientiert als dem Trend der Gründerzeit zu folgen mit dem Leitmotiv „noch höher, noch größer, noch schöner und damit noch teurer“. Heinz Nienhaus Literatur: Meyer Reisebücher: Schwarzwald, Odenwald, Berg­ straße, Heidelberg und traßburg. Achte und Zwölf­ te Auflage, Bibliographisches Institut, Leipzig und W ien 1899 und 1908. Bäder-Almanach, XII. Ausgabe. Rudolf Mosse-Ver­ lag, Berlin 1913. chnars, Dr. C. W .. Neuester Schwanwald-Führer, bearbeitet von Dr. Oskar Haffner. Dreiundzwanzigs­ te Auflage, Otto Weber Verlag, Heilbronn a. N. 1924. Dold, Karl Jos.: Führer von Schönwald – Klimati­ scher Höhenluftkurort, Wintersportplatz ersten Ran­ ges. Herausgegeben von der Kurverwaltung Schön­ wald unter Mitwirkung von Alfred Dold, Druck- und Verlagsgeschäft .Echo vom Wald“, Triberg (Schwarz­ wald) Juni 1927. Dorer, Richard und Opp, Karl: Schönwald in Vergan­ genheit und Gegenwart, Horb a. N., 1. Auflage 1986, ISBN 3-89264-049-1.

Schönwald um 1900 Bild 5 und 6: Das Kttrhaus „Adler“ in den 19 3 Oer Jahren,jetzt als Erholungsheim und Jugendherberge ge­ führt, und Schönwald im Winter. Schon.früh blühte im Kurort der Wintersport. 157

10. Kapitel/ Almanach 2002 Museen „Ruhestörung“ im Franziskanermuseum Die Neukonzeption der Abteilung „Keltisches Fürstengrab Magdalenenberg“ Als in den 1970er Jahren der Magdalenen­ berg rund 80 Jahre nach der ersten archäo­ logischen Untersuchung aus seinem „Dorn­ röschenschlaf“ geweckt und erneut ergraben wurde, gesd,ah dies unter großer Anteil­ nahme der örtlichen Bevölkerung. Mit In­ teresse wurden nicht nur die Nachrid1ten über neue Funde in der Tagespresse verfolgt, viele ehrenamtliche Helfer, vom Schüler bis zum Pensionär, waren aktiv an den Grabun­ gen beteiligt. Der Grabungsleiter, Konrad Spindler1 , soll sogar mit seiner Arbeitsklei­ dung eine Art Archäologenmode in Villin­ gen-Schwenningen ausgelöst haben. Krö­ nender Absd1luss der über drei Jahre an­ dauernden Grabungskampagne war die Ber­ �.ung der hölzernen Grabkammer und ihre Uberführung ins Museum. Eine Daueraus­ stellung mit den wichtigsten Funden wurde eingerichtet. Die starke Resonanz der Grabung und ih­ rer Ergebnisse in der Bevölkerung resultier­ te jedoch nicht nur aus einer naiven Begeis­ terung für die „Schatzsuche“ oder sd1lid1ter Neugier. Von Anfang an legte man bei die­ sem DFG-Projekt2 großen Wert darauf, die naturwissenschaftlichen Disziplinen mit einzubeziehen und die Forsd,ungsergebnis­ se vor Ort zu vermitteln. Dendrochronolo­ gen3, Archäoetl111obotaniker4 und Antl,ropo­ logen5 werteten die Funde gemein am mit den Archäologen aus. Noch während der Gra­ bung erschien eine insgesamt sech Bände um­ fas ende Publikation. Vor allem die Arbeit des Dendrochronolo­ gen Ernst Hollstein faszinierte die damali­ gen Beobachter. Mit Hilfe der Eichenbalken vom Magdalenenberg ließen sich die bereits vorhandenenJahrringchronologien der vor­ römi chen Zeit in die Hallstattzeit hinein fortsetzen 6. 158 Daher widmete man eine gesonderte Ab­ teilung des Museums allein diesem T hema. Mit zahlreichen Exponaten und einer viele Meter langen Dendro-Kurve beeindruckte sie bis vor zwei Jahren interessierte Besud1er. Überarbeitet und neu präsentiert Im Februar 1999, also fast 20 Jahre nach ih­ rer Einrichtung, wurde die Abteilung „Kel­ tisches Fürstengrab Magdalenenberg“ über­ arbeitet und neu präsentiert. Im Hauptaus­ stellungsraum im Erdgeschoss des sogenann­ ten Waisenhauses wurde nicht viel verändert. Das mit 6 x 8 Metern Grundfläche sehr große und inzwischen auch fragile Exponat der Grabkammer durfte nicht bewegt werden. Sein Eindruck beherrscht den Raum. Daraus folgte, dass die Ausstellung um dieses Zen­ trum komponiert werden musste. Allerdings sollte der Boden der Grabkammer, der häu­ fig von den Besuchern als „Floß“ fehlinter­ pretiert wurde, um die teilweise rekonstru­ ierten Seiten ergänzt werden. Drei gläserne Wände, welche die ursprüngliche Höhe mar­ kieren, und ein teg entlang einer Längssei­ te auf der Höhe des Bodens tragen dazu bei, dass der Betrachter die ursprünglichen räum­ lichen Ausmaße des Objektes und den Raumeindruck erahnen kann. Hier bei der Grabkammer sind aud1 die Funde der ersten Grabung von 1890 ausgestellt. Da die Grab­ kammer sd1on in antiker Zeit beraubt wor­ den war, fanden die Archäologen nicht den erhofften „Schatz“, sondern in der ganzen Kammer verstreut Teile des Wagens, des Keltisd,es Fürstengrab Magdalenenberg, 616 v. Chr. im Franziskanermuseum.

Mu een Museumspädagogische Aktion in der Abtedung Magdalenenberg im Franziskanermuseum. Zawnzeuges, der Lebensmittelbeigabe, des Bo­ gens, der Liege und eines menschlichen Ske­ letts. Die enttäuschten Wissenschaftler glaub­ ten zunächst an ein vorgelagertes „Schein­ grab“ und sägten ein Loch in den Boden. Doch stellte man schnell fest, dass auch die­ ser Idee kein Erfolg beschert war. In den 1970er Jahren stieß man nid1t mehr mithilfe einer Trichtergrabung, also von der Spitze des Hügels senkrecht nach unten vor, sondern trug schichtenweise den Hügel ab und untersuchte ihn. Dabei fand man 126 Nachbestattungen, die noch ungestört wa­ ren. Eine Auswahl der Beigaben dieser Grä­ ber ist ebenfalls im Hauptraum ausgestellt. Neben den Funden aus beiden Grabungen ist gerade die Geschichte dieser Grabungen ein wichtiges Thema der neuen Daueraus­ stellung. Jeder der (Aus-)Gräber entdeckte nicht nur „Spuren“, sondern hinterließ selbst 160 Spuren, mit denen wir uns heute noch be­ schäftigen. So „vergaßen“ beispielsweise die Raubgrä­ ber ihre Spaten, mit deren Hilfe heute der Raub auf ungefähr eine Generation (30-40 Jahre) nach der Bestattung des Fürsten da­ tiert werden kann. Durch den Schacht der Raubgräber floss Regenwasser in die Kam­ mer, das sich aufgrund der darunter ange­ legten Steinpackung ansammelte und so die Kammer viele Jahrhunderte erstaunlich gut konservierte 7. Hinweise zum keltischen Alltag Die Archäologen des 19.Jahrhunderts ent­ deckten das Grab eines keltischen „Fürsten“ 8• Die nur fragmentarisch erhaltene Ausstat­ tung des Grabes gab und gibt Hinweise zum Alltag und den Jenseitsvorstellungen der

Kelten. Diese Fragmente wurden geborgen und untersucht. Die Grabkammer selbst wur­ de jedoch nur notdürftig wieder mit Erde bedeckt, und es wurde eine Drainage gelegt, um das angesammelte Wasser abfließen zu lassen. Bei der archäologischen Grabung des 20. Jahrhunderts erkannte man die Nutzung des Magdalenenbergs als Nachbestattungs­ nekropole, als Friedhof der auf dem Kapf vermuteten keltischen Siedlung. Die Funde wurden sorgfältig ergraben, analysiert und zum Teil in einer Dauerausstellung präsen­ tiert, die Grabkammer wurde ins Museum überfuhrt. Auch die Funde der ersten Gra­ bung, vor allem die hölzerne Grabkammer und das Skelett des „Fürsten“, wurden nach aktuellen Methoden untersucht und be­ stimmt. Nach der Grabung wurde der Grabhügel wieder künstlich aufgeschüttet. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse Nur 30 Jahre später ergab sich bei der Über­ arbeitung der Dauerausstellung ebenfalls die Gelegenheit, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen. So überprüfte An­ dre Billamboz die Datierung der Hölzer, denn inzwischen war durch weitere Holz­ funde die Jahrringchronologie für Eichen­ holz vervollständigt worden9. Es ergab sich eine neue Datierung der Hölzer der Grab­ kammer auf 616 vor Christus, nachdem be­ reits in den l 980er Jahren eine Korrektur von 577 auf 550 vor Christus vorgenom­ men worden war. Auch verschiedene Skelett­ reste, vor allem die des Fürsten, wurden nochmals erforscht und ausgestellt. Die Er­ gebnisse der anthropologischen Analyse wer­ den im Kapitel „Archäologie“ ausführlich ge­ schildert. Die neukonzipierte Dauerausstellung zum Magdalenenberg versucht, die Unabgeschlos­ senheit des Geschichtsprozesses und auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Ergebnisfindung darzustellen. Die Arbeit der unterschiedlichsten Teilbereiche der Ar­ chäologie ist in einem Nebenraum, der Franziskanermuseum früher allein der Dendrochronologie gewid­ met war, ausgestellt. Da hier auch Schul­ klassen arbeiten, könnte man auch von ei­ nem „Labor“ sprechen. Der Begriff „Labor“ oder „Laboratorium“ entspricht einem Grundgedanken des gesamten Hauses, den der Ausstellungskurator Jan Hoet beispiel­ haft formulierte: ,,Das Museum ist ein La­ boratorium, ein Ort zum Weiterdenken“. Hier kehrt in einem positiven Sinn nie Ru­ he ein. AnitaAuer Fußnoten: 1 Konrad Spindler wurde aufgrund der Auswertung und Publikation des .Ötzi“-Fundes in jüngerer Zeit immer wieder in den Medien zitiert. 2 DFG = Deutsche Forschungsgemeinschaft 3 Dendrochronologie ist ein Verfahren zur Datie­ rung von Hölzern mithilfe ihrer Jahrringe. 4 Archäoethnobotaniker untersuchen die bei Aus­ grabungen gefundenen Pflanzenreste. Durch sie las­ sen sich einzelne Pflanzenarten bestimmen und Fra­ gen zur Ernährung und Rekonstruktion von Umwelt und Vegetation beantworten. 5 Unter Anthropologie versteht man die Wissen­ schaft vom Menschen, seiner Entstehung, Entwick­ lung sowie von den menschlichen Verhaltensweisen in den Auseinandersetzungen mit der Umwelt. 6 vgl. Billamboz, Andre und Mechthild Neyes: Das Fürstengrab von Villingen-Magdalenenberg im Jahr­ ringkalender der Hallstattzeit, in: Führer zu archäo­ logischen Denkmälern in Baden-Württemberg, Bd. 5: Der Magdalenenberg bei Villingen. Ein Fürsten­ grabhügel des 7. vorschristlichenJahrhunderts, Stutt­ gart 1999, s. 97. 7 Aus verschiedenen Gründen ist die Konservierung der Grabkammer heute äußerst problematisch. Ein neues Gutachten zur Nachkonservierung liegt vor. 8 Der Magdalenenberg ist der größte hallstattzeitli­ che Grabhügel in Mitteleuropa, die Grabkammer der größte Holzfund aus dieser Zeit und Region. Dieser Aufwand konnte nur einer hochgestellten Person gel­ ten, daher spricht man vom .Fürsten“. 9 Sie umfasst inzwischen nahezu 10000 Jahre für das westliche Mitteleuropa. 161

Museen Treffpunkt und Kommunikationszentrum Das Heimatmuseum in Tuningen vermittelt Geschichte auflebendige Art In der letzten Ausgabe des Almanach wur­ de der „Geschichtliche Wanderpfad“ von Tuningen vorgestellt, auf welchem man ge­ mütlich und lehrreich durch 200 Millionen Jahre Erd- und Menschheitsgeschichte schlen­ dern kann. Die so gewonnenen Erkenntnis­ se kann der Besucher sehr gut im örtlichen Heimatmuseum vertiefen, welches sich in ei­ nem schönen historischen Gebäude in der Ortsmitte befindet. Aber eigentlich sollte man für die Besichtigung der vielen interessanten Exponate eine eigene Tour einplanen. In der Ortsmitte von Tuningen findet sich ein kleines Ensemble historisd1er Bauten; es besteht aus der evangelischen Kirche von 1728 mit ihrem wesentlich älteren Turm, dem Rat­ haus von 1770, dem ehemaligen Gasiliaus „Hasen“ sowie einem kleinen typischen Baaremer Wohnhaus, das 1882 erbaut wurde und in dem heute das Heimatmuseum un­ tergebracht ist. Das Häuschen hatte im Lauf seiner Geschichte 22 Besitzer, ehe es 1988 von der Gemeinde Tuningen erworben und an den örtlichen Heimatverein verpad1tet wurde, der das jetzige Museum betreibt und unterhält. Der Initiative des Vereins ist es zu danken, dass das Gebäude vor dem Abriss bewahrt werden konnte; heute präsentiert sich das schöne alte Haus den Besuchern von Grund auf saniert, wobei viel alte Bausub­ stanz und die ursprüngliche Bauweise erhal­ ten blieben. So bietet das Museumsgebäude einen unverfälschten Blick auf die typische Tuninger Bauart des neunzehnten Jahrhun­ derts; charakteristisch sind die Aufteilung der Räume, die T üren und Strebenfenster, Außenansicht des Tunzngers Heimatmuseums. 162

Heimatmuseum Tuningcn Eines der Ausstellungsstücke im Tuninger Heimatmuseum: Replikat keltischer Keramik. in die jüngste Vergangen­ heit. Lebensgroße Puppen im zeittypischen „Outfit“ lassen die dargestellte Epo­ che lebendig werden. Einblick in die Erdgeschichte Die Aufzählung einer kleinen Auswahl von Ausstellungsstücken gibt einen ersten Ein­ druck von der Vielfalt des Dargebotenen, wel­ che die Besucher immer wieder überrascht: Einen Einblick in die Erdgeschichte bietet ein gemauertes Bodenprofil, das die einzelnen Gesteinsschichten zeigt. Ein Sedimentrohr verdeutlicht, wie sich auf dem Boden des ehe­ maligen Jurameeres Tone und Kalke abla­ gerten. Ausgestellt sind ferner Abdrücke und Versteinerungen aus dieser Zeit. In die menschliche Vorgeschichte führt uns ein grimmig dreinschauender Geselle aus der Steinzeit; die aufgestellte Puppe in Fellklei­ dung und Fellstiefeln steht neben einem Modell der Fundstätte Häuffenberg, wo eine scharfkantige Steinklinge gefunden wurde. Aus der Keltenzeit sind Modelle von Grabhügeln sowie vom ,,Schänzle“, einem ehemali­ gen Heiligtum, zu sehen, ebenso die Nachbildung unterschiedlicher Keramik­ stile. Wie man zur Zeit der Römer lebte, zeigt das Mo­ dell eines Gutshofes. Aus der Alemannenzeit sind die Originalfunde eines Kurz- und eines Lang- Reich verzierter, bäuerlicher Schrank. 163 , Dachform und Gauben, die Blockbohlen­ treppen des Obergeschosses und die Lehm­ wickelwände der jetzigen Werkstatt, die im Speicher gut sichtbar vorhanden sind. Mög­ lich wurde die Renovierung durch den gro­ ßen Einsatz der Vereinsmitglieder bei den Bauarbeiten, die unter der fachkundigen Leitung des Vereinsvorstandes Werner Ess­ linger und des inzwischen verstorbenen Ge­ meinderats und langjährigen Vereinsvorsit­ zenden Kuno Gaß ausgeführt wurden. Auch die Tuninger Bürgerschaft hat mit Spenden und Leihgaben kräftig mitgeholfen. Zur 1200-Jahrfeier der Gemeinde wurde das Museum 1997 eröffnet. Im Dachgeschoss ist eine archäologische und historische Abteilung untergebracht, deren Konzeption der ehemalige Rektor Alb­ recht Böhringer erarbei­ tet hat. Auch die dort zu sehenden Ausstellungs­ stücke wurden von ihm teils zusammengetragen und teils selbst erstellt. In chronologischer Folge ist die Vergangenheit von Tu­ ningen dargestellt, alle bis­ herigen Funde aufTunin­ ger Boden werden als Ori­ ginal, Replikat oder als Modell gezeigt. Die Expo­ nate umfassen den Zeit­ raum von der Jurazeit vor ca. 190 Millionen Jahren, in welcher der Tuninger Kalkboden entstand, bis

Mu een schwertes (Sax und Spatha) zu sehen. Neben einem am Pult sitzenden und schreibenden mittelalterlichen Mönch sieht man die Ko­ pie der ersten urkundlichen Erwähnung Tu­ ningens im Jahr 797. Berichtet wird auch über die großen Brandkatastrophen im 18. und 19.Jahrhundert und den Wiederaufbau nach dem großen Brand von 1860. Ein Raum des Dachgeschosses ist als Werkstatt einge­ richtet, alte Werkzeuge des Schreiners, des Schmieds, des Schuhmachers und Landwirts sind dort zu sehen, ferner Marder- und Mau­ sefailen, Garbenseile, ein Gussofen von 1870/80 und anderes mehr. Das erste Stockwerk des Museums vermittelt die Wohnkultur des 18. und 19.Jahrhunderts Versteinerung aus dem Jura. 1 64 Tracht, bzw. Einrichtungsgegenstän­ de aus dem 18./19.jahrhundert. anhand von Kleidungsstücken, Mobiliar und sonstigen Einrich­ tungsgegenständen. Die voll ein­ gerichtete Museumsküche zeigt das enge Zusammenleben in der ,,guten alten Zeit“, kochen, essen, wohnen, Wäsche waschen, Kör­ perpflege, alles fand in diesem Raum statt. Von hier führt eine Tür zum Laubengang, eine ande­ re zum „Plumpsklo“. Die angren­ zende Stube präsentiert die Zeit um 1830. Schmuckstück des Rau­ mes ist ein Lärchenschrank (um 1 780). Wäscheschrank mit Trach­ ten, T isch, Stühle und Truhen sowie ein Eisenofen bilden die weitere Einrichtung. Im angren­ zenden Gaden stehen ein mit Sprier gefülltes Unterbett, ein Nachttisch mit Nachttopf und Bettflaschen, eine Wiege und eine Wasch-Einrichtung. Treffpunkt der Bürgerschaft Die Räumlichkeiten im Erdgeschoss dienen als Orte der Kommunikation. In der ge­ mütlichen Wohnstube steht ein Kachelofen mit Ofenbank. Hier trifft sich der Heimat­ verein, bei dem regelmäßig stattfindenden ,,Z’Liet-Abend“ und an den offenen Sonn- tagen sitzen die Tuninger wie in alten Zei­ ten beim Gespräch zusammen. Bilder von Alt-Tuningen und bemalte Möbel ge­ ben diesem Zimmer eine ganz besondere Note. Im anschlie­ ßenden Gaden be­ finden sich Karten und Dokumente sowie ein Stimm­ tisch, an welchem

Heimatmuseum Tuningen Eine Küche nach historischem Vorbild. bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Heimarbeit Mundharmonika-Zungen ge­ stimmt wurden. Im Gang hängt eine Viel­ zahl historischer Photos. Eine Tür führt von hier in die große Scheune, an deren frühere Nutzung die an den Wänden aufgehängten Das Heimatmuseum ist von Januar bis Mai und von Oktober bis Dezember je­ den !. und 3. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Sonderführungen nach Vereinbarung. Anmeldung bei: W. Esslinger (074 64/22 02) oder K. Schlenker (0 74 64/ l 3 44) Weitere Informationen zum Kultur­ angebot der Gemeinde Tuningen im Internet unter http://www.tuningen.de landwirtschaftlichen Geräte erinnern. Heute wird der Raum für Wechselausstellungen, Diavorträge, Dichterlesungen, Vereinsfeste und kleinere Veranstaltungen der Gemeinde genutzt. Seine ganz besondere Atmosphäre verdankt das Heimatmuseum der geglückten Verbin­ dung als Ort der lebendigen Darstellung von Heimatgeschichte mit der Nutzung als Kom­ munikationszentrum für die Bürgerschaft – und dies in einem schönen Haus mit histo­ rischem Flair. Werner Essfinger Kurt Schlenker Helmut Rothermel 165

11. Kapitel/ Almanach 2002 Uhren und Uhrengeschichte Bürk-Uhren und -Kontrollapparate Die neuen Erzeugnisse der Württembergischen Uhrenfabrik in Schwenningen nach 1950 Nach dem Tod des Finnengründers Johannes Bürk im Jahr 1872 bestimmte zunächst sein Sohn Richard Bürk die Geschicke der Finna. Unter seiner Führung eifolgte nach der Jahrhundertwende ein rasanter Auf sclnoung durch die Fertigungsaufaahme der Anwesenheitskontrollithren, was etliche bauliche Erweiterun­ gen nach sich zog. In den Kriegsjahren wurden wie in der übrigen Uhrenindustrie zusätzlich zur Nonnal­ produktion Rüstungsgüter hergestellt, z.B. Laufwerke für Minen. Da die arbeitifähige männliche Bevöl­ kerung an der Front eingesetzt war, wurden in den Betrieben teils ] ]jährige Schüler dienstverpjlichtet, so auch bei Bürk. Auch Fremdarbeiter und Kriegsgefangene waren in dieser Z,eit in der Produktion eingesetzt. beitszeit-Kontrollapparate (seit 1901/1902 Die Firmengebäude wurden im Krieg nicht zerstört, aber auch Bürk hatte wie viele an- in größeren Stückzahlen) und elektrische dere Schwenninger Firmen unter der De- Haupt-und Nebenuhren (seit etwa 1920). montage der Besatzungstruppen zu leiden. Hinzu kamen Werkstatt-Stempeluhren wie Zeitsternpier und Zeitrechner (ab 1917 /1920). Die Anfänge waren also mühsam. In den ersten Nachkriegsjahren wurden Während der älteste Bereich Nachtwäch- noch sogenannte Kompensationsgeschäfte ter-Kontrolluhren als technisch genügend abgewickelt, es gab also Ware gegen Ware. ausgereift angesehen wurde, griff man bei den beiden anderen Bereichen Neuentwick- Danach stagnierte der Umsatz bis 1950, da Jungen auf, deren Ergebnisse sich in die hergestellten lnvestitionsgü- ter beim Wiederaufbau nicht �“!��3��1111a. den Folgejahren als Zugpferde und Haupt-Umsatzträger erweisen die höchste Priorität besa- ßen. Außerdem waren der sollten. Firma, bedingt durch die Reparationsleistungen, wertvolle Maschinen ent­ Schon der Firmengründer Jo­ zogen. Nach 1950 ging es dann stetig aufwärts. Im Jahr hannes Bürk beschäftigte sich 1957 wurde bereits über Liefer­ mit elektrischen Uhren. Er lieferte der Centralstelle für Gewerbe und zeiten von fünfWochen geklagt. Handel in Stuttgart im Jahr 1880 einen Bericht über die Industrie- Die drei Produktions­ schwerpunkte bei Bürk waren Nachtwächter-Kon­ trolluhren (seit 1855), Ar- Die Bürk Nachtwächter-Kontroll­ uhr Universal Nr. 50. Das frühere Aluminiumgehäuse wurde 1971 durch ein Kunststojfgehäuse ersetzt. Neue technische Heraus­ forderungen Neue Haupt- und Nebenuhren 166

Bürk-Uhren und -Kontrollapparat ausstellung in Besan�on und ging dabei ausführlich auf die dort ausgestellten elektrischen Uhrenanlagen ein. Dennoch wurden die elektrischen Haupt­ uhren erst viel später in das Bürk-Programm aufgenommen. Eigene Hauptuhren wurden erst in den 1920er Jahren ge­ fertigt, zuvor wurden einige Jahre lang Hauptuhren der Fir­ ma Wagner, Wiesbaden, bezo­ gen und unter dem Namen Bürk verkauft. Auch auf der elektrotechnischen Ausstellung in Stuttgart 1934 stellte Bürk seine Hauptuhr aus. Schon frü­ her, nämlich 1926, richtete Bürk die Schwenninger Stadtuhren­ anlage ein, die bis 1966 ihre Dienste versah. Etwa 400 im ganzen Stadt­ gebiet verteilte Nebenuhren waren ange­ schlossen. Die Entwicklung der neuen Bürk-Haupt­ uhr begann 1951/52. Zwei Jahre später war sie fertigungsreif. Diese neue Hauptuhr wies wesentliche Vorteile gegenüber den Uhren der Mitbewerber auf. So kam sie ohne Bat­ terie und ohne offene Kontakte aus, beides seither problembehaftete Komponenten je­ der elektrischen Uhrenanlage. Die Speisung der Anlage erfolgte durch das zwischenzeit­ lich genügend zuverlässige Starkstromnetz, und eventuelle Stromausfälle wurden durch eine vollautomatische Nachlaufeinrichtung 12 bzw. 24 Stunden lang überbrückt. Ein Nachstellen der Nebenuhren von Hand ent­ fiel damit. Die eingebaute Stromversorgung konnte bis zu 50 Nebenuhren betreiben. Weitere Vorteile der neuen Uhr waren der einfache mechanische Aufbau. Auf ein Dif­ ferentialgetriebe konnte verzichtet werden, es gab nur sieben rotierende Wellen. Da die Uhr nur aus wenigen Teilen be­ stand, konnten diese erstmals eng toleriert und austauschbar gefertigt werden. Die Montage der neuen Uhr erforderte daher nur noch etwa 10% der für die älteren Typen l:111h/1/.: III di1, L’h, .. ·o/.: da Sw11d11h1 (B111/.:-/ l,111pt11h1) aufzuwendenden Zeit. Außerdem wurde die Ganggenauigkeit erheblich verbessert. Nach­ dem die Hauptuhren ab 1954 grundsätzlich mit Invarstahl-Kompensationspendel aus­ gestattet waren, verbesserte sich die Gang­ genauigkeit ein weiteres Mal. Auch die Signaleinrichtung bot eine Neu­ erung. Da sie ohne offene Kontakte arbeite­ te, konnten Starkstromgeräte direkt ange­ steuert werden. Somit wurden die bis dahin üblichen Anschaltgeräte entbehrlich, womit eine weitere Störquelle entfiel. Diese Signal­ einrichtung war eine eigenständige Baugrup­ pe und wurde mit nur zwei Schrauben am jeweiligen Grundmodell befestigt. So ent­ stand wahlweise eine Signal-Hauptuhr, Sig­ nal-Nebenuhr oder eine Signaluhr. Die neuen Bürk-Hauptuhren mit der Ty­ penbezeichnung 110 Ws (3/4-Sekunden­ pendel) und 120 Ws (Sekundenpendel) wur­ den vom Markt rasch angenommen und in hohen Stückzahlen bis 1981 (120 Ws) bzw. 1983 (110 Ws) verkauft. Die einfache Bedie­ nung und weitgehende Wartungsfreiheit trugen dazu bei, dass die Uhr außer in Handwerk und Industrie insbesondere auch in Schulen und Behörden starke Verbrei­ tung fand. Auch Bedienpersonal ohne elekt- 167

Uhren und Uhreng chichte Bürk-Fassadenuhr mit indirekter Beleuchtung. Mit MNUW-Antrieb, angesteuert durch Hauptuhr 120 Ws. rische Fachkenntnisse konnte problemlos mit der Uhr umgehen und z.B. auch die Läutezeiten selbst umstellen. Auch als Steu­ eruhr für elektrische Turmuhren mit und oh­ ne Läutewerk fand die neue Hauptuhr wei­ te Verbreitung. Alle namhaften Turmuhren­ hersteller bezogen diese Uhr. Heute haben Q!iarzhauptuhren mit Funk­ synchronisation die elektromechanische Hauptuhr längst auf breiter Front abgelöst. In manchen Betrieben ist die 110 Ws trotz­ dem heute noch im Einsatz und verrichtet zuverlässig ihre Dienste. Auch beim Bau der Antriebswerke für elektrische Turm- und Fassadenuhren war Bürk richtungsweisend. Das 1955 auf den Markt gekommene Motor-Nebenuhrwerk MNUW war verblüffend einfach konstru­ iert und erwies sich als außerordentlich stö­ rungssicher auch nach jahrelangem Dauer­ betrieb bei schwierigen Witterungseinflüs­ sen. Das MNUW-Prinzip ist heute noch all­ gemein gebräuchlich. Die gebrauchsmustergeschützte indirekte Neonbeleuchtung machte die Bürk-Fassa­ denuhren auch bei Nacht weithin sichtbar. 168 Im Jahr 1957 brachte Bürk ein neues Ne­ benuhrwerk heraus, das seiner Zeit weit vo­ raus war. Wegen seiner geringen Abmessun­ gen konnte dieses Werk mit der Typenbe­ zeichnung NU 57 in einer handelsüblichen Unterputz-Dose Platz finden, was es unter anderem zur Verwendung bei Lünetten-Uh­ ren attraktiv machte. Werke der Mitbewer­ ber erforderten noch eigene unhandliche Unterputz-Gehäuse. Die neuen Arbeitszeit-Kontrollapparate Richard Bürk besaß schon 1879 ein Patent für einen „Arbeiter-Controlapparat“. Ab 1897 stellte Bürk den Kontrollapparat „Bil­ leteur“ her. Diese Geräte erreichten aber nur geringe Stückzahlen. Die Fertigung von Ar­ beitszeit-Kontrollapparaten in größeren Stückzahlen begann bei Bürk nach Unter­ zeichnung eines Lizenzabkommens mit der amerikanischen Firma Bundy Manufactu­ ring am 7. April 1900. Von da an wurden bei Bürk „Radialapparate“, ,,Schlüsselapparate“, ,,Einschreibapparate“ und „Kartenapparate“ hergestellt. Die Kartenapparate, also die als ,,Stempeluhr“ bekannt gewordene oft unge­ liebte Einrichtung, liefen bald allen anderen Systemen den Rang ab, da sie sich im tägli­ chen Gebrauch als am vorteilhaftesten er­ wiesen. Einer der größten Kunden für die Kartenapparate zu dieser Zeit war Krupp mit insgesamt ca. 1400 gelieferten Apparaten. Im Jahr 1903 war bei der Württembergi­ schen Uhrenfabrik für die eigene Beleg­ schaft noch ein „Schlüsselapparat“ im Ein­ satz. Als die amerikanischen Patente ausliefen, durfte Bürk auf den Schriftzug „Bundy“ ver­ zichten und so entstand bald eine eigene Konstruktion, die unter der Modellbezeich­ nung K 29 bekannt wurde. Dieser K 29, der etwa ab 1929 gefertigt wurde, war in einem massiven Eichenholzgehäuse untergebracht, das ihn auch gegen Witterungseinflüsse sehr unempfindlich machte. Deswegen wog der K 20 auch 40 kg. Trotz aller Neuentwicklun­ gen, über die im folgenden zu berichten sein

wird, wurde der K 29 aufgrund seiner Robustheit und der einfa­ chen Handhabung bis 1974 herge­ stellt. Da die Herstellung des K 29 sehr aufwendig war, dachten die Bürk­ Konstrukteure nach 1945 über ei­ ne Neuentwicklung nach. Diese er­ folgte in mehreren Schritten. Der erste Schritt bestand darin, das Gerätevolumen so zu verklei­ nern, dass man ein in der Herstel­ lung billigeres Metallgehäuse ver­ wenden konnte. So entstand das Modell K 44, das auf der „Messe Südwest stellt aus“ im Jahr 1950 stolz vorgestellt wurde. Die nächste Neuerung war die elektrische Stempelung, die zum einen die Verweildauer beim Stempeln ver­ kürzte und zum anderen nur noch eine Hand für den Stempelvorgang erforderlich mach­ te. Mit der elektrischen Stempelung entfiel der seither gewohnte Druck auf den Stem­ pelhebel. Dieser löste nicht nur den Stem­ pelvorgang aus, sondern spannte auch die Aufzugsfeder. Somit zogen die Arbeiter seit­ her fast unbemerkt als unbezahlte Hilfsleis­ tung die Stempeluhr auf. Diese Hilfsleistung wurde jetzt einem Elektromotor übertragen, der über aufwändige Räderwerke seine Pflicht erfüllte. Damit war das Modell K SO geboren, von welchem 1951 etwa 80 Apparate an das Volkswagenwerk ge­ liefert wurden. Der K SO wog zu Beginn noch stolze 32kg, spä­ ter immerhin noch 28 kg. Von dem kom­ plizierten Aufzugs­ mechanismus wollten die Bürk-Konstruk­ teure natürlich aus Kostengründen weg­ kommen und so entstand 1955 der Typ K 55, der bis zu seiner Fertigungsein- Oben: Innenansicht des K 55. Rechts: Proto­ ryp des Kartenapparates K 50. Bürk-Uhren und -Kontrollapparate Bürk-Kartenapparat K29, der bis zum Jahr 1974 hergestellt wurde. stellung 1990 der erfolgreichste Bürk Kartenapparat war. Die meisten Kartenapparate waren an eine Hauptuhr ange­ schlossen. Die Energie des Haupt­ uhr- Impulses benutzten die Konstrukteure zum Antrieb des gesamten Kartenapparats. Da­ mit entfielen sowohl die massive Aufzugsfeder als auch der ge­ samte Aufzugsmechanismus. Der K 55 wog letztlich nur noch 21 kg und war wesentlich günsti- ger als der K SO herzustellen. Al­ lerdings war die Stromaufnahme höher als bei den Vorgängermodel­ len, was die Hauptuhr etwas mehr belastete. Eine Neukonstruktion des Antriebswerks beseitigte auch diesen Nachteil. Vom Kartenapparat K 55 wurden in den Folgejahren viele Sondermodelle abgeleitet, das Grundprinzip blieb aber immer gleich. So wurde das ehemals so erfolgreiche Gerät nach und nach von der technologischen Entwicklung überholt, bis es nicht mehr konkurrenzfähig war und schließlich unver­ käuflich wurde. Kartenapparate K 55 sind auch heute noch an vielen Stellen im Einsatz. Dies unter­ streicht ihre Robustheit und Zu­ verlässigkeit, die sie trotz veralte­ ter Technik noch auszeichnet. Weitere Firmenentwicklung Die Württembergische Uhren­ fabrik Bürk Söhne feierte im Jahr 1955 ihr 100-jähri­ ges Jubiläum. Die örtliche Presse be­ richtete ausführlich über dieses Ereig­ nis. Ministerpräsi­ dent Dr. Gebhard 169

Uhren und Uhrengeschichte Bürk-Stadtuhrzentrale. O Q 000000 Müller würdigte nicht nur das Lebenswerk des Firmengründers Johannes Bürk, son­ dern auch die Verdienste des Seniorchefs Hermann Bürk. Dessen Leistungen in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre, beim Wie­ deraufbau nach starker Demontage und sei­ ne soziale Einstellung seien mit ein Grund dafür, dass ihm der Bundespräsident auf Vorschlag der Landesregierung das Ver­ dienstkreuz des Verdienstordens verliehen habe. Dr. Müller überreichte die hohe Aus­ zeichnung und sprach seine Glückwünsche aus. Anschließend würdigte Oberbürgermeis­ ter Kahler, ein Enkel von Johannes Bürk, den Firmengründer als Pionier der Schwen­ ninger Uhrenindustrie, der maßgebend am Aufstieg der Gemeinde Anteil hatte. Firmenarchiv in großen Teilen verloren Im Heimatmuseum wurden anlässlich des Jubiläums in einer Sonderausstellung viele alte und neue Bürk-Produkte aus dem Fir­ menarchiv ausgestellt. Von diesem Firmen­ archiv ist leider kaum etwas erhalten geblie­ ben. Mit dem 100-jährigen Firmenjubiläum hat­ te die Württembergische Uhrenfabrik leider auch schon beinahe ihren Zenit erreicht. Die 170 weitere Firmengeschichte entwickelte sich wechsel­ haft. Hochkonjunktur und Rezession wechselten sich ab. In den 1950erJahren hat­ te es die Firma verstanden, bei den meisten Erzeug­ nissen gegenüber den Mit­ bewerbern einen techni­ schen Vorsprung von zwei bis drei Jahren zu erzielen und diesen Vorsprung durch entsprechende Patente und Gebrauchs­ muster zu halten. Dieser Vorsprung wurde in den folgenden Jahren aufgezehrt. Zwar wurden noch neue Kleingeräte kon­ struiert wie z.B. die Werkstattstempeluhr K 60, die 1961 erstmals in einer Großaufla­ ge von 2 000 Stück hergestellt wurde, aber der technologischen Herausforderung mit dem Aufkommen der Elektronik war man nicht gewachsen. Vorübergehender Aufschwung Das Gleitzeitgeschäft der 1970er Jahre brach­ te einen vorübergehenden Aufschwung, die Firma hielt aber an der Mechanik fest. Die Nachfolger der einst richtungsweisenden Bürk-Produkte konnten sich im Wettbewerb immer schwerer behaupten. Da also zukunftssichernde Neuentwick­ lungen infolge unzureichender Auseinan­ dersetzung mit der neuen Technologie fehl­ ten, geriet die Firma immer mehr ins Hinter­ treffen. Die Bürk-Belegschaft reduzierte sich zwischen 1964 und 1975 um 100 auf231 und bis 1984 um weitere ca. 100 auf noch 129 Be­ schäftigte. Am 30. November 1984 um 16 Uhr wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Württembergischen Uhren­ fabrik Bürk Söhne eröffnet. Eine ehemals so

erfolgreiche und stolze Firma war am Ende. Es sollte aber nicht die einzige Schwennin­ ger Uhrenfirma bleiben, die gescheitert ist. Viele weitere Firmen sind von der Bildfläche verschwunden. Von diesen Firmen und ih­ rer Geschichte berichtet das Uhrenindustrie­ museum im ehemaligen Bürk-Fabrikgebäude in anschaulicher und ansprechender Weise. Ein Besuch dort ist jedem an der Uhrenge­ schichte Interessierten sehr zu empfehlen. Werner Schmid Qtellen: Johannes Bürk: Staatsarchiv Ludwigsburg, Bestand E 170, Bü 893 Württembergische Uhrenfabrik: Handelsregister Rottweil, HRA 193 Handelsregister VS-Villingen, HRA 1310 Stadtarchiv VS-Villingen, Ordner 7563 Continentale Bundy-Gesellschaft: Handelsregister Magdeburg, HRB 279 Staatsarchiv Ludwigsburg, Handelsregister-Akten Nr. 6513 Deutsche Bürk-Bundy-Gesellschaft: Handelsregister Magdeburg, HRB 367 Literaturnachweis: Neben den Standardwerken zur Uhrengeschichte (Bender, Kahlert) und den orts- und heimatgeschicht­ lichen Veröffentlichungen (Stadtgeschichte Schwenningen, Heimatblättle) ist vor allem auf fol­ gende, entlegenere Literatur zu verweisen: Wiener Weltausstellung. Amtlicher Katalog der Aus­ stellung des Deutschen Reiches, Hofdruckerei De­ cker/Berlin/1873 Kuckuck, Julius: Die Uhrenindustrie des Württem­ bergischen Schwarzwaldes, H. Laupp/Tübingen/1906, Bürk-Uhren und -Kontrollapparate Phil. Diss. Erlangen 18.5.1906, In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Ergänzungsheft XXJ Weiß, Leopold: Die Deutsche Industrie 1888- 1913. Festgabe zum 25jährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. Darge­ bracht von Industriellen 1913. 3 Bände, Verlagsbuchhandlung Leopold Weiss/ Ber­ lin/1913 Bürk, Richard(?): Weltplätze des Handels und der In­ dustrie. Ein kurzer Abriß der geschichtlichen und in­ dustriellen Entwicklung der Stadt Scbwenningen, Nomos/Berlin/1924 Winkler, G. H.: Die elektrotechnische Ausstellung in Stuttgart 1934, (1934], In: Elektrotechnische Zeit­ schrift 1934, S. 742 Mehne, Kurt: Geschichte der Schwenninger Uhren­ industrie, Diss. [Tübingen 1944] Schlenker, Helmut: Kontrolluhren und Kontrollap­ parate, Ulm 1950, In: Neue Uhrmacher-Zeitung, 1950, s. 330 f Neher, Franz Ludwig: Johannes Bürk – ein schwäbi­ scher Wegbereiter industrie.ller Fertigung. Württemb. Uhrenfabrik [Schwenningen 1956) Schlenker, Walter: Eine bemerkenswerte Hauptuhr (1958], In: Die Uhr Heft 4, 1958, S. 24-26 Schmid, Werner: Patentübersicht Kontrolluhren, (Stuttgart 1996], (unveröffentlicht) Schmid, Werner: 100 Jahre Arbeiter-Kontrollapparat ,,Billeteur“ von Richard Bürk (1997], In: Das Heimat­ blättle Heft 9, 1997, S. 4-5 Schmid, Werner: Bürk und Bundy – Die ersten Ar­ beiterkontrolluhren aus Schwenningen (1998], In: Das Heimatblättle Heft 12, 1998, S. 6-7 Schmid, Werner: Die Entwicklungsgeschichte der Wächter-Kontrolluhr, (Stuttgart 1999], In: Jahres­ schrift der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie, Band 38, Seite 113 ff Schmid, Werner: Arbeitszeiterfassung mit Uhren – Ein historischer Rückblick, [Stuttgart 2000], In:Jah­ resschrift der Deutschen Gesellschaft für Chronome­ trie, Band 39, Seite 97 ff Uhrenindustriemuseum Villingen-Schwenningen Bürkstrasse 39 78054 VS-Schwenningen Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag von 10 – 12 Uhr und 14 – 18 Uhr Telefon 07720/38044 171

Uhren und Uhrengescbicht Uhrenindustriemuseum erweitert Im Schwenninger Museum eine Abteilung für die Veranschaulichung von Uhren­ technik geschaffen In den Räumen der ehemaligen „Württem­ bergischen Uhrenfabrik“ in Schwenningen, der ersten Uhrenfabrik von Württemberg, ist seit 1994 ein Museum für die lokale und regionale Geschichte der Uhrenindustrie und ihrer Zulieferer eingerichtet. Seit Dezember 2000 gibt es eine neue Ab­ teilung in diesem Uhrenindustriemuseum. Es geht um das Innenleben der Uhren. Stan­ den bisher die Produktions- und die Sozialgeschichte im Mit­ telpunkt, kann nun der Besucher auch die verschiede­ nen Prinzipien eines Uhrwerks handgreiflich er­ fahren. Die neue Abteilung des Uh­ renindustriemuseums heißt „Besucherlaboratorium“ und lädt ein zum aktiven Erfahren der einzelnen Mechanismen einer mechani­ schen Uhr und der subjektiven Zeiterfah­ rung. Den modernen „hands-on-Geräten“ ge­ genüber steht eine Anzahl schon histori­ scher Schaumodelle von Uhrwerks-Prinzi­ pien, von denen manche fast 150 Jahre alt sind. Die Erweiterung wurde durchgeführt von der Architektin Isolde Oesterlein, dem Ge­ stalter Laurenz Theinert und dem Kulturwis­ senschaftler Frank Lang, der auch schon für die inhaltliche Gestaltung des ersten Bauab­ schnitts verantwortlich war. Die Uhrenindustrie war einmal der größte Arbeitgeber in der Region. Vielen Jugendli­ chen ist dies heute unbekannt. Damit auch sie die Industriegeschichte des Raumes bes­ ser begreifen lernen und die Funktionen ei- 172 ner mechanischen Uhr verstehen, wurde das Museum erweitert. Informationen zum Niedergang Der Besucher erhält nämlich auch Infor­ mationen zum Niedergang der Uhrenin­ dustrie in dieser Region. Je einfacher die Kon­ struktion wurde, je weniger Bauteile eine Uhr benötigte, um so weniger Beschäftigte brauch- te die hiesige Uhrenindustrie. Seit den 1970er Jahren sind die Uhrenher­ steller aus Südostasien die Marktführer. Viele Fir­ men in Europa hat­ ten die Bedeutung der Einführung des Qiarzwerkes nicht rechtzeitig erkannt, eben­ falls unterschätzt wurden die Möglich- keiten der Kunststoffverar­ beitung. Die Kunststoffteile konnten schnel­ ler und preiswerter gefertigt werden als die bis­ herigen Metallteile. Die Konkurswelle erreich­ te in den 1970er Jahren auch die Finnen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Der wichtigere Anziehungspunkt dürften aber die Geräte im Besucherlaboratorium sein. Hier kann zwanglos experimentiert werden, bis man weiß, wie und weshalb eine Uhr funktioniert. Das Publikum ist aufge­ fordert, selbst die Geräte zu bedienen: die Das Prinzip der Hemmung (oben): Das Schwen­ ninger Uhrenindustriemuseum macht Uhrentech­ nik anschaulich. Den Besucher erwarten moderne, er11Jeiterte Räumlichkeiten (rechte Seite).

Uhren und Uhrengeschichte Uhrfeder, das Uhrgewicht, die Hemmung, die Un­ ruh, das Pendel, das Zei­ gergetriebe und angebau­ te Mechanismen. Dies ist auch besonders für den Schulunterricht von Inte­ resse, denn wo kann man die Energiekräfte anschau­ licher erfahren als hier? Testen kann der Besu­ cher in dieser Abteilung auch sein Zeitempfin­ den, denn Zeit wird sehr unterschiedlich erfahren: z.B. fünfMinuten Warten beim Zahnarzt erscheint einem unendlich lang, dagegen vergehen fünf Minuten beim Lesen ei­ nes spannenden Buches subjektiv betrachtet sehr schnell. An einem Com­ puter kann das Zeitgefühl getestet werden. Und wer Lust hat, kann an einer Werkbank ein Wecker­ werk einer Schwarzwald­ uhr und eine Uhr aus Kunstoffieilen zusammen- setzen. Das Personal des Museums leiht den Besuchern die Baukästen mit einer bebilder­ ten Bauanleitung gerne. Der Komplettbau­ satz kann aud1 käuflich erworben werden. Die Geräte der „hands-on-Abteilung“ bau­ te mit großem Engagement die Firma Bür­ ker aus Schwenningen. Man spürte die Be­ geisterung, etwas Neues zu fertigen, das es in dieser Art noch nid1t gibt. Es war ein langer Weg bis zur Umsetzung. Zunächst hatten die Gestalter sich Modelle aus Holz vorge­ stellt. Aber dann reifte schnell der Ent­ schluß, die Teile aus Metall herzustellen und sie zwisd1en einer Metalldecke und einem Metallboden zu stellen, so daß der Eindruck eines Uhrwerkes entsteht, wenn der Besu­ cher diesen Raum betritt. Die an die Wand projizierten skelettierten Uhrwerke unter- 174 Ein großes Pendel – demonstriert wird die Funktionsweise. streichen diese Illusion. Unterstützung bekam das Uhrenindustriemuseum noch von den Fachlehrern Herrn Christoph Berg und Herrn Matthias Stotz von der Feintechnikschu­ le in Schwenningen, die die Konstruktionen auf die Richtigkeit der Funk­ tion prüften. Es war nicht immer leicht, den Weg zwischen hundertprozen­ tiger Funktion und der Sicherheit für den Besu­ cher zu finden. Die ersten Reaktionen der Besucher zeigen jedoch, daß dies gelungen ist. Nachdem die Geräte von den Besu­ chern benutzt wurden, traten einige Komplika­ tionen auf, die sich aus dem Betrieb ergaben. Auf­ grund des großen Fach­ wissens konnten sie rela­ tiv schnell behoben wer­ den. Manchmal war es nur eine Kleinigkeit wie ein Tropfen Öl am Ge­ triebe, aber wer hätte daran gedacht, daß in den ersten drei Wochen bereits über tausend Umdrehungen getätigt werden. Auch die Dauerausstellung ergänzt Im Zuge der Erweiterung wurde auch die Dauerausstellung an verschiedenen Stellen ergänzt, u.a. wurde der Bereich „Zulieferbe­ triebe“ um die Werkzeuge eines Graveurs – ein handwerklid1-künstlerischer Beruf – er­ weitert. Dieser fertigte Vorlagen für die Zif­ ferblätter. Ferner wurden die technische Ausstattung und die Sid1erheitseinrichtun­ gen verbessert und ausgebaut. Da der Trägerverein nicht genügend Geld hatte, die Erweiterung in einem Sd1ritt vor­ zunehmen, wurde zunächst das Besucherla-

boratorium als erster Abschnitt für die Besucher freigegeben. In diesem Jahr erfolgt die Er­ öffnung des Wechselausstel­ lungsraumes mit einer großen Sonderausstellung über die Firmen-und Produktionsge­ schichte von Taxameter-Kienz­ le. Die Firma Mannesmann VDO hat ihre Sammlung von Taxametern und Parkuhren der Stadt Villingen-Schwen­ ningen geschenkt. Aus Schwen­ ningen stammend, baute Her­ bert Kienzle in Villingen eine Weltfirma au( Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Produkte nun im Uhrenindustriemuse­ um in Schwenningen gezeigt werden. Ehemalige Mitarbei­ ter der Firma Kienzle haben sich bereit erklärt, die not­ wendigen technischen Infor- Die qualifizierten Mitarbeiter des Uhrenindustriemuseums ge­ währleisten, daß die Maschinen zur Herstellung von Zeitmessern im Betrieb präsentiert 1oerden können. Uhrenindustri mu eum erweitert mationen zu geben und beim Aufbau beratend tätig zu sein. Dies ist ganz im Sinne der Museumsphilosophie, denn seit Beginn sind die Ehren­ amtlichen für den Museums­ betrieb unentbehrlich. Sie ha­ ben die Maschinen zusam­ mengeholt und restauriert. Seit Eröffnung des Museums 1994 warten sie die Maschinen und halten sie so funktionsbereit für die Vorführungen und die Weckerproduktion. Die Klein­ serie kann bereits auf die stol­ ze Verkaufszahl von 800 durch­ numerierten Exemplaren zu­ rückblicken. Einige Ehrenamt­ liche engagieren sich seit 1989 für das Uhrenindustriemuse­ um, sie haben es sozusagen mitgegründet, und es ist er­ freulich, daß neue Leute, die 175

Uhren und Uhrengeschichte ,,Station Ja“ im Uhrenindustriemuse­ um, zu sehen ist die Funktionsweise ei­ ner Feder. a ihr Fachwissen auch im Alter noch sinnvoll nutzen wollen, zu dem Kreis der Ehrenamtlichen stoßen. Auch die Erweiterung unterstütz­ ten sie wieder durch ihre fachkun­ digen Ratschl��e und ihre tat­ kräftige Hilfe. UberJahre hin­ weg schufen die Ehrenamtli­ chen durch ihren persönli­ chen körperlichen Einsatz und das Einbringen ihrer zum Teil jahrzehntelan­ gen fachlichen Erfahrung – als Uhrmacher, Feinmecha­ niker, Maschinenbauer und was es sonst sein mag – die Voraussetzung, daß die ehemals in dieser Stadt und in der Regi­ on dominierende Uhrenindustrie in wirk­ lichkeitsnaher Darstellung im Museum ge­ zeigt werden kann, denn schließlich wurde an dieser Fabrikationsstätte der Grundstein für die Schwenninger Uhrenindustrie gelegt durch die Fertigung der Nachtwächterkon­ trolluhr, die Johannes Bürk erfand und Mat­ thias Vosseler baute. Das Räderwerk eines Weckers in Funktion. 176 Das Museum wird von der Stadt Villingen-Schwenningen und dem Schwarzwald-Baar-Kreis finanzi­ ell unterstützt, denn hier lag der Produktionsschwerpunkt aller Uh­ renarten in Deutschland. Aber oh­ ne die Unterstützung durch den Förderkreis und auch von Firmen aus der Region hätte das Pro­ jekt nicht realisiert Ir………. werden können. Über die zahl- reichen Spen­ der und Hel­ fer kann man sich im dorti- gen „Ehrenbuch“ einen Überblick ver­ schaffen, denn dort sind sie verzeichnet. Auf jeden Fall ist das Uhrenindustriemuse­ um Villingen-Schwenningen ein wichtiger und notwendiger Teil der regionalen Muse­ umslandschaft des Schwarzwald-Baar-Kreises und ein Glanzpunkt an der „Deutschen Uh­ renstraße“. Diejenigen, die dazu beigetragen haben, daß es Wirklichkeit wurde, dürfen auf das Erreichte mit Recht stolz sein. Ingeborg Kollmann Uhrenindustriemuseum Villingen-Schwenningen Bürkstrasse 39 78054 VS-Schwenningen Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag von 10 – 12 Uhr und 14 – 18 Uhr Telefon 07720/38044

12. Kapitel/Almanach 2002 Brauchtum Die Fasnetpuppen von IngeborgJaag Die Traditionsfiguren der Villinger Fasnet einmalig schön nachgestaltet Sie sitzen auf jedem Schrank, blinzeln um jede Ecke, schauen die Besucher aus allen Perspektiven an, vorwitzig, freundlich, ver­ wegen, viele übermütig, manche auch streng. Das Wohnzimmer von Ingeborg und Her­ bert Jaag aus VS-Villingen ist ein Puppen­ heim der eigenen Art. Hier wird das ganze Jahr Fasnet ge­ feiert, denn die gute Stube der Jaags wird von Dutzen­ den Hästrägern bewohnt – um nicht zu sagen bevölkert, – die alle geradewegs der his­ torischen Fasnet entsprun­ gen zu sein scheinen. Die vielen Narros, Morbilis, Altvillinge­ rinnen und Wuesch­ te teilen sich den beengten Lebens­ raum mit vorneh­ men Damen und Herren aus dem Rokoko und der Bie­ dermeierzeit, die sich das fröhliche Spekta­ kel aus unbeweg­ ten Gesichtern an­ schauen. Ingeborg Jaag ist Puppenma­ cherin, die für ihre bis ins letzte Detail akri­ bisch genau gefertigten Fasnet- und Modepup­ pen mit zahlreichen Prei­ sen ausgezeichnet wur­ de. Angefangen hat alles vor rund 20 Jahren, als die gebürtige Hüfingerin ihren ersten kleinen Nar- ro schuf Ehemann Herbert stammt aus Kö­ nigsfeld und ist eher ein Fasnetsmuffel, wäh­ rend Ingeborg Jaag mit dem närrischen Brauchtum verwurzelt ist. ,,Da hatte ich Sehnsucht und wollte ein bißchen Fasnet da­ heim haben.“ Was so harmlos begann, wur­ de zu einer Passion, die bald auch den Ehe­ mann ansteckte – in der Puppenher­ stellung sind die beiden ein Team geworden, das sich in der Qialifika­ tion ideal ergänzt. Er ist gelernter Werkzeugmacher – in­ zwischen in Rente – und fertigt die hölzernen Skelette, teilweise mit beweg­ lichen Hüft-, Arm- und Beingelenken, denn die Fasnetspuppen sollen so lebendig wie möglich wir- ken, sie posieren lebens­ echt. Sie ist gelern­ te Kindergärtnerin, hat früher für ihre Schützlinge Kasper­ letheater gespielt, hat immer gern selbst gewerkelt und genäht. Die­ ses Know-how hat Ingeborg Jaag im Laufe der Jahre mit kreativem Ge­ schick, mit ständigem Experimentieren und mit viel Geduld optimiert – sie ist frag­ los eine Meisterin in der Puppenherstellung. Als das Wäschefachgeschäft Schilling an der Oberen Straße in Villingen die ersten Minia­ tur-Hästräger im Schaufenster ausstellte, war Der Kater Miau, der am Fasnetmontag aus dem Romäusturm steigt. 177

Brauchtum Auch die Gesichter der Jaag-Puppen sind der Wirklichkeit nachempfunden, so können sich die Mitglieder der Villinger Stadtharmonie „en Miniatur“ bewundern. Überall wo die Jaag-Puppen zu sehen sind, wird die Treue zum Detail bestaunt, unten links lngeborgfaag in ihrer Werkstatt. 178

das als netter Gag während der Hohen Tage gedacht – und wurde zum Publikumsmag­ neten. Jedes Jahr kamen neue Figuren dazu, mindestens 100 Hästräger hat die emsige Puppenmutter in unzähligen Stunden gefer­ tigt, außerdem eine große Schar mit Zu­ schauern, ihren persönlichen Lieblin- gen. /. Alles ist Handarbeit Von Kopf bis Fuß ist alles Handarbeit bei den Minia­ turpuppen, Präzisionsar­ beit bei jedem Schritt. Der Kopf entsteht aus luft­ getrockneter Model­ liermasse, der Kör­ per wird aus mit Stoff umman­ telter Füllwat­ te geformt, die Schuhe werden nach selbst herge­ stellten Keramik- Formen modelliert. Kleider näht Ingeborg Jaag aus al­ ten Stoffen nach alten, verkleinerten Schnitt­ mustern, eine rechte Si­ syphusarbeit ist dies gelegentlich, denn die vielseitige Hobby­ künstlerin orientiert sich stets peinlich ge­ nau am historischen Vorbild – Authentizi­ tät ist das oberste Ge­ bot. Jede einzelne Fal­ te am Narro-Krägelch­ en wird akkurat gebü­ gelt und geheftet, filigra­ ne Goldhauben, Bodi­ nen und Foulards wer­ den absolut detailge­ treu nachgebildet, die Stoffe für die Häser der Wueschte werden handbe- Fasnetpuppen malt und zwar so, dass sie vielgebraucht und verwaschen aussehen – ganz wie im echten närrischen Leben. Besondere Freude hat Ingeborg Jaag am Modellieren der Gesichter, die sie ebenfalls nach lebenden Vorbildern formt. Nach Fo­ tos hat sie alle Villinger Stadtmusiker in Pup­ pengröße verewigt. Lebende freuen sich an ihrem auf ein Drittel der Originalgröße ver­ kleinerten Ebenbild und manch Verstorbe­ nem wie dem einstigen Stadtmusikdirektor Rupert Binder und dem bekannten Villinger Original Aqua hat Ingeborg Jaag ein liebe­ volles Denkmal gesetzt. Natürlich fehlt auch der Narro-Some nicht – besonders viel Geschick bedarf es natürlich für das Modellieren der winzigen Fingerehen von Kinderhänden. Ingeborg J aags Spe­ zialität ist das For­ men von Gesich­ tern. Manche Um­ zugsbesucher sehen mit ihren gewollt schiefen und über­ zeichneten Gesichts­ zügen wie Kari­ katuren aus. Mo­ mentaufnahmen beim Strählen, Auf­ fangen von Gutsele, beim dröhnenden Lachen – die Figür­ chen wirken wirklich so lebendig, als wür- den sie gleich loshüp­ fen, sich die Augen rei­ ben oder die Nase put­ zen. Der Wuescht. Angeführt vom „Wueschtvatter“ bildet die Wuescht-Gruppe den Schluß des Villinger Fasnetumzuges. 179

Modepuppen -die zweite Leidenschaft Ganz anders die Modepuppen, Ingeborg Jaags zweite Leidenschaft. Die Gesichter sind bei ihnen – wie das auch bei echten Mannequins so ist- zweitrangig. Sie werden aus Wachs gegossen und als zarte, zeitlose Schön­ heiten ohne Indivi­ dualität model­ liert, ganz anders als die derben, originellen Fasnets-Persönlich­ keiten mit ihren unver­ wechselbaren Charak­ terköpfen. Bei den Modepup­ pen kommt es auf die Kleidung an, sie wird exakt nach his­ torischen Mustern genäht. Das erste Mo­ dell war das Braut­ kleid der eigenen Ur­ großmutter, das ln­ geborgJaag erhalten wollte. ,,Es war so schön und so kostbar, ich hatte Angst, dass es mal kaputt geht.“ Naht für Naht wurde das Kleid sorgsam zur Hälfte aufge­ trennt, um den Schnitt für das Puppenkleid her­ stellen zu können. Das historische Ge­ wand ist kompli­ ziert: Geschnürt, hin- ; ten mit Rosshaarkis­ sen ausstaffiert – ein kleines Kunstwerk Fa netpuppen für sich, dem weitere folgen sollten. Nach al­ ten Stichen und alten Zeitschriften fertigt Ingeborg Jaag Biedermeier- und Rokoko­ puppen, verarbeitet kostbare Spitzen und Seidenstoffe, die sie auf Flohmärkten er­ steht, im Fachgeschäft kauft und selbst be­ druckt, wenn kein originales Rosenmuster im Mini-Format aufzutreiben ist. Die Krö- nung ihrer Modepuppen-Galerie ist die Staatsrobe der Kaiserin Sissi, die wie alle anderen Figuren – von den ech­ ten Wimpern, Handschuhen und Fächern bis zum kleinsten Acces­ soire – mit dem historischen Vor­ bild übereinstimmt. Der Arbeitsaufwand beträgt bis zu 100 Stunden für eine Puppe, ,,un- bezahlbar“ weiß die Puppenma­ cherin, und auch der Material­ aufwand ist nicht unbeträcht­ lich. Und nur den muss die Vil­ linger Narrozunft erstatten, um die ganze Fasnets.Ausstel­ lung von Ingeborg Jaag als ‚.. dauerhafte Leihgabe zu er­ stehen, die sich sehr darüber freut, dass die Stadt ihren historischen Puppen ein neues Zuhause im Alten Villinger Rathaus reserviert hat. ,,So hat jeder etwas da­ von.“ Abgesehen davon, dass im heimischen Wohn­ zimmer wieder etwas Platz entsteht. Denn an Ideen für neue Puppen mangelt es nicht … Christina Nack Die Modepuppen von Inge­ borgjaag sind enorm arbeits­ aufwändig, rund 100 Stun­ den pro Puppe werden benötigt. 181

Brauchtum Ein Schwarzwälder Sonderling Der „Stocker“ – ein Einsiedlerleben in den Wäldern um St. Georgen ,,Originale“ – im Sinne origineller Men­ schen – sind selten geworden. In der heuti­ gen uniformen, bis ins kleinste durchorgani­ sierten und reglementierten Welt der Com­ puter und des Internets orientieren vor al­ lem junge Menschen ihr Verhalten, ihre Wertvorstellungen und selbst ihre Kleidung kaum mehr an regionalen Gebräuchen, son­ dern an dem was „in“ ist. Und das wieder­ um wird durch internationale Trends vorge­ geben. Globalisierung ist das Schlagwort, das die Menschen mehr und mehr zu uni­ formen Weltbürgern werden läßt. Aber selbst in der so oft zitierten sogenann­ ten „guten alten Zeit“ – wobei „guten“ rela­ tiv zu werten ist – waren wirklich originelle Typen wohl auch so etwas wie Raritäten. Dennoch werden auch heute noch in eini- gen dörflichen Regionen des Schwarzwaldes Sagen, Legenden und Mythen oftmals nicht als solche verstanden und auch der Aber­ glaube ist insbesondere bei der ländlichen Bevölkerung einfach nicht totzukriegen. Die Zeit der Aufklärung und der technische Fort­ schritt, insbesondere des letzten Jahrhun­ derts, scheinen an ihnen vorbeigegangen zu sein; sie hängen am Vertrauten, am Alther­ gebrachten. Echte Schwarzwälder hatten schon immer einen Hang zum Hintersinni­ gen. So hängt beispielsweise an der Firstsäu­ le vieler jahrhundertealter Bauernhäuser auch heute noch ein mumifizierter Ochsen­ schädel. Nach der Überlieferung ist das der Schädel des Ochsen, der die Baumstämme aus dem Wald zur Baustelle schleppte. Am Firstbaum aufgehängt soll er – falls das Kru- Der „Stocker“ und seine Waldhütte in Nähe der Gast­ stätte Staude (St. Georgen/Langenschiltach) auf einer von C. Wjust & Co., Königifeld/Baden verlegten An­ sichtskarte aus der Z,eit um das Jahr 1900. Vor der ärmlichen Waldhütte ist der mit Baumstämmen und Reisig provisorisch abgedeckte „ Samariterbrunnen „zu erkennen. 186

zifix im Herrgottswinkel der Stube einmal versagt -die Hofbewohner und das Vieh vor tödlichen Seuchen, Blitzschlägen und ande­ ren Unglücksfällen beschützen. Für diesen betrüblichen Fall sind in vielen alten Schwarz­ waldhöfen auch Abwehrzeichen oder gar Fratzen in die hölzernen Wände eingeritzt. Gelegentlich hängte man auch ein Hufeisen in eine Bauernstube und machte es durch ein vorgenageltes Brett unsichtbar. Schließ­ lich sollte der Herrgott nicht sehen, daß der Bauer sich auch auf andere Götter verließ. Dennoch, einen so markanten Sonderling, wie den auf der Bildpostkarte aus der Zeit um 1900 abgebildeten Einsiedler wird man heute wohl im gesamten Schwarzwald nicht mehr finden. Wegen des so ungewöhnlichen, ja abenteu­ erlichen, aber auch markanten Aussehens die­ ses Mannes, der die Zeit im Bild überdauer­ te, und seiner sehr seltsamen Behausung er­ regt die rund 100 Jahre alte Ansichtskarte auch heute noch eine gewisse Aufmerksam­ keit und Neugierde. Es reizte, mehr über die­ se Karte, den abgebildeten Menschen, seine eigenartige Hütte und seine Art zu leben in Erfahrung zu bringen. Vom Hoflieferanten vermarktet Über den Fotografen gibt die von schmük­ kenden Jugendstilelementen umrahmte alte Karte keine Auskunft. Anders ist das hin­ sichtlich des Verlegers; diesbezüglich gibt es den Aufdruck „Verlag von C.W.Just & Co.“. Diese Firma war eine Handlung der Brüder­ gemeine in Königsfeld/Baden. Aus dem 1813 gegründeten „Kaufladen der Gemei­ ne“ entstand 1820 die Firma Just & Co. mit Filialen in Villingen, Freiburg und Stuttgart. Nur am Rande sei angemerkt, daß das von Just & Co. vertriebene Herrenhuter Leinen und auch Just’s Zigarren so begehrt waren, daß die Firma ab 1896 den Titel „Hofliefe­ rant Sr. Königlichen Hoheit des Großher­ zogs von Baden“ führen durfte. Zu einem besonderen Schwerpunkt der Just’schen Fir­ ma entwickelte sich der Uhrenhandel; im Der .Stocker“ Jahre 1855 wurden beispielsweise 583 Zent­ ner Uhren verschickt. Offenbar glaubten die im Verlag Verant­ wortlichen auch mit dem Schwarzwälder Sonderling gute Geschäfte machen zu kön­ nen, sonst hätten sie diesen Einsiedler und seine Behausung sicher nicht als Motiv für eine Ansichtskarte ausgewählt. Schon allein diese Tatsache läßt vermuten, daß der „Ein­ siedler vom Schwarzwald“ einen gewissen Seltenheitswert hatte -er war schon eine Ra­ rität. Er wurde zum „Aussteiger“ Als der Verfasser Bekannte in St. Georgen mit der alten Ansichtskarte konfrontierte, rea­ gierten einige Ältere recht spontan: ,,Das ist der „Stocker“, ein Original, das um die letz­ te Jahrhundertwende in den Wäldern um St. Georgen lebte … Um ihn ranken sich viele Sagen und Legenden … aber das liegt weit zurück … Einzelheiten sind inzwischen in Vergessenheit geraten.“ Immerhin ein erster Lichtblick; es reizte nach weiteren Wegspu­ ren des „Stockers“ zu suchen. Wie zu vermuten war, bot die regionalge­ schichtliche Literatur diesbezüglich noch ei­ niges. Danach erblickte der „Stocker“ als Christian Heinzmann -ein Nachfahre des Tennenbronner Stabsvogtes Johannes Heinz­ mann (1700 -1783) -am 10. Januar 1831 in Evangelisch Tennenbronn das Licht der Welt. Hier wurde er als Sohn des Bühlbau­ ern getauft, konfirmiert, und auch sein Schul­ wissen erwarb der Heranwachsende in die­ sem Dorf Kaum dem Schulalter entwach­ sen, arbeitete er als Tagelöhner in Langen­ schiltach. Hier fand er auch seine am 30. Au­ gust 1834 in Langenschiltach geborene Frau Maria Reuter, die er am 21. Februar 1864 in der St. Georgener Lorenzkirche heiratete. Ma­ ria Reuter brachte eine zweijährige Tochter mit in die Ehe, die Christian Heinzmann als seine Tochter anerkannte. Sie starb sehr jung. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, An­ na-Maria, Christian und Maria. Christian verstarb einjährig. Bis 1883 lebte das Ehe-187

paar mit ihren beiden Töchtern in Langen­ schiltach. Danach entschied man sich – wohl wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten – nach St. Georgen umzusiedeln. Die streng reglementierte Arbeit in einer St. Georgener Fabrik behagte dem Bauernsohn wohl nicht so recht, war er es doch gewohnt, seinen Ar­ beitstag selbst zu gestalten. Auch belastete es ihn, daß seine ledige Tochter „Annemei“ schon mit 18 Jahren ein Kind zur Welt brach­ te, dessen Vater unbekannt blieb. 1886 die Familie verlassen Brauchtum Die unbefriedigenden Lebensumstände und das Schicksal seiner Tochter bewogen Chris­ tian Heinzmann offenbar, seine Familie und seinen Enkel 1886 zu verlassen und zum ,,Aussteiger“ zu werden. Er zog nach Rohr­ bach zum Dilgerbauern Cölestin Löffler, bei dem er als Tagelöhner arbeitete. Um 1890 beauftragte Löffler Christian Heinzmann, die gerodeten Flächen auf dem Stöcklewald von den Baumwurzeln zu befreien – sie „aus­ zustocken“. Christian Heinzmann nahm den Auftrag gerne an und lebte von nun ab als der „Stocker“ in der Einsamkeit des Waldes. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit dem Roden von Baumstümpfen, dem Stok­ ken – eine harte Knochenarbeit. Einige Me­ ter östlich des heutigen Stöcklewaldturmes erbaute er seine Waldhütte, die seinen Wohn­ ansprüchen genügte. Hier oben auf der Stöcklewaldkuppe konn­ te ihm keiner mehr vorschreiben, was er wann zu tun und wie er auszusehen hatte. Es gab keinen Antreiber mehr. Er war sein eigener Herr und hatte die nötige Muße, sei­ nen persönlichen Neigungen nachzugehen. Nachdem er seine dreiteilige Behausung fer­ tiggestellt hatte, weihte der fromme „Sto­ cker“ sie den für ihn wichtigsten drei Heili­ gen: Moses, Petrus und Elias. Den mittleren Hüttenteil nutzte er als Aufenthalts- und Schlafraum. In diesem Raum stand auch sein aus einem Fichtenstamm gehobelter Sarg, in dem er Zeitungen, Bücher und Nah­ rungsmittel aufbewahrte. Auf dem rohge- 188 zimmerten Tisch lag ständig seine lederge­ bundene Bibel. Als gläubiger Christ pilgerte der „Stocker“ Sonntag für Sonntag durd1 das Brigad1tal hinab zur Lorenzkirche nach St. Georgen. Zeitgenossen beschrieben ihn als eine recht abenteuerliche Gestalt, die sich durch den schwarzen Zottelbart, breitkrempigen Hut und langen Samtmantel mit angesteckten Gedenkmedaillen und verfallenen Festab­ zeichen deutlich von den anderen Gottes­ dienstbesuchern abhob. Abgerundet wurde die seltsame Erscheinung des „Stockers“ durch einen spiralartig gewundenen Stock, den er als den zur Schlange gewordenen Stab Moses bezeichnete. Nach dem Kirch­ gang besdiaffte er sich die wichtigsten Le­ bensmittel in St. Georgen, besuchte gelegent­ lich seine Familie und machte sich wieder auf den Weg zu seiner Waldhütte. Den Rest des arbeitsfreien Tages verbrachte er mit dem Studium der Bibel. So vergingen die Jahre; der „Stocker“ war im weiten Umkreis als Original bekannt – zwar ein Sonderling aber allgemein geach­ tet. Wegen seines sonderbaren Aussehens und seiner etwas verschrobenen Frömmig­ keit machten alsbald die abenteuerlichsten Geschichten über den „Stocker“ vom Stöck­ lewald die Runde. Die Waldhütte wird vernichtet Im Jahre 1894 kaufte der Schwarzwaldver­ ein, Sektion Triberg, auf dem Stöcklewald­ kopf (1069 m. ü. M.) Gelände, um dort einen 25 m hohen Aussid1tsturm zu errichten. Da die ärmliche Waldhütte des „Stockers“ in un­ mittelbarer Nähe des geplanten Aussichts­ turmes stand, mußte sie als „Schandfleck“ weichen. Dem inzwischen dreiundsechzig­ jährigen „Stocker“ blieb keine andere Wahl, als seine wenigen Sachen zu packen und sei­ ne vertraute Waldheimat zu verlassen. Eine neue Bleibe fand er auf der Vogte, na­ he der Grenze zwischen Langenschiltach und Gremmelsbach, allerdings noch auf Langenschiltacher Gebiet. Er baute wieder-

Aussichtsturm auf dem Stöcklewaldkopf, Schwarzwald 1069 m “ ‚ .:. ,· > j fü :;� � ..1; … ;,; .. �t „“ �{ ‚ ‚ Der .Stocker“ t t .;‘ “ • ; �· Als 1894 mit dem Bau des Stöcklewaldturms – hier auf einer alten handkolon’erten Ansichtskarte – be­ gonnen wurde, mußte die Einsiedelei Heinzmanns verschwinden, da dieser „Schandfleck“ in unmittelba­ rer Nähe des Aussichtsturms den Besuchern nicht zugemutet werden sollte. Der »Stocker“ mußte mit 63 Jah­ ren nochmals umziehen. Er fand eine neue Bleibe auf der Vcigte in Langenschiltach. um eine Behausung aus drei Hütten, die er wie zuvor seinen drei wichtigsten Heiligen weihte. Ein Wasserloch vor der Hütte be­ zeichnete er als „Samariterbrunnen“. Die al­ te Ansichtskarte zeigt diese „neue Bleibe“ unweit der bekannten Gaststätte Staude. Am 26. März 1906 starb Christian Heinz­ mann; er wurde fünfundsiebzig Jahre alt. Zwei Tage nach seinem Tod wurde er auf dem Friedhof der St. Lorenzkirche in St. Ge­ orgen bestattet. Seine letzte Wohnstatt wurde ihm der selbstgehobelte Sarg, der ihn durch die vie­ len Jahre des einsamen Lebens begleitete und ihn stets an die Endlichkeit des Lebens erinnerte. Der „Stocker“ war inzwischen so bekannt, daß alle regionalen Zeitungen sein Ableben würdigten. Der »Brigachbote“ be­ schrieb ihn als einen zufriedenen und freund­ lichen Menschen. Heute kaum vorstellbar Man mag philosophieren und letztendlich die Frage stellen, ob ein Leben, ähnlich wie es Christian Heinzmann – der „Stocker“ – führte, lebenswert war oder gar auch heute noch erstrebenswert sein könnte. Spontan würde jeder Gefragte wohl nur mit einer krausen Stirn, einem verständnislosen Ach­ selzucken oder gar mit einem mitleidigen Lächeln antworten. Ein Leben, so wie es der „Stocker“ führte, ist in der heutigen Zeit kaum mehr vorstellbar und erst recht nicht zu realisieren. Gäbe es heute einen „Stocker“, würde er wahrscheinlich „zu seinem eigenen Schutz“ in ein Heim eingewiesen. ,,Origina­ le“ dieser Art haben heute keine Chance mehr, ihren Wunschvorstellungen gemäß zu leben. Dennoch, hat nicht jeder schon ein­ mal den Wunsch verspürt, sich den Zwän- 189

Der ,Stocker“ Der „Stocker“ vor seiner Behausung. gen des Alltagslebens und damit seinen Ver­ pflichtungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu entziehen und völlig losge­ löst nach seinen individuellen Vorstellun­ gen zu leben? Was animiert heute die soge­ nannten „Aussteiger“, die z. B. in sehr ein­ samen Gegenden unseres Erdballs ein Ein­ siedlerleben führen – ohne den für uns sd1011 zur Selbstverständlichkeit gewordenen Kom­ fort? Welche Beweggründe haben Mönche oder Eremiten, sich für ein Leben in der Ab­ geschiedenheit ihrer Klosterzelle in Klausur zu entscheiden? In diesem Zusammenhang ein interessantes Zitat von John Irving: ,,Wer weiß, wie er sein Leben gestalten muß, um glücklich zu sein, muß nur nod1 den Mut finden, es auch zu leben.“ Wie auch immer die persönliche Einstel­ lung zu diesen Fragen menschlicher Exis­ tenz bzw. Lebensformen sein mag, im hu­ manistischen Sinne sollte es jedem Men­ schen möglich sein – vorausgesetzt, die All­ gemeinheit wird nicht unangemessen beein­ trächtigt – so zu leben, wie er es möchte. Wie ist es heute – in unserer von abendlän­ disch christlicher Kultur geprägten Gesell- 190 schaft – aber wirklich um Toleranz oder gar Akzeptanz bestellt? Heinz Nienhaus Literaturquellen: Sd1illi, Hermann; Sd1warzwaldhäuser; Badenia Ver­ lag Karlsruhe 1978, ISBN 3761701373 Aus der Geschichte der Gemeinde Königsfeld und ih­ rer Ortsteile Buchenberg, Burgberg, Erdmannsweiler, Neuhausen, Weiler; Herausgeber: Gemeinde Königs­ feld im Schwarzwald; Stolz Druck & Verlag, 1998 Heinzmann, Siegfried; Wegspuren einer Wäldersip­ pe; Hermann Kulm Verlag, 1992, ISBN 387450 0217 Haas, Erwin und Esther; Tennenbronner Heimat­ buch; Herausgeber: Gemeinde Tennenbronn, Sep­ tember 1979 Maier, Wilhelm und Lienhard, Karl; Geschichte der Stadt Triberg, Herausgeber: Heimat- und Gewerbe­ verein Triberg e.V., 1964

Schwarzwälder in New York Schwarzwälder Tradition nach Amerika exportiert Trachtenverein St. Georgen und Musikverein-Trachtenkapelle Nußbach als Bot­ schafter des Schwarzwälder Brauchtums in New York Seit über dreißigJahren bestehen zwischen dem Trachtenverein St. Georgen und dem Musikverein-Trachtenkapelle Nußbach en­ ge freundschaftliche Beziehungen. Unzähli­ ge Auftritte bei vielen verschiedenen Anläs­ sen haben die beiden Gruppen in dieser Zeit bestritten. Der Höhepunkt der Zusammen­ arbeit war die Teilnahme an der weltbe­ rühmten Steubenparade in New York im September vergangenen Jahres. Mit dem jährlichen Umzug auf der be­ !ein aus Europa reisen rund 30 000 Zuschau­ er an, um die rund 20 000 Teilnehmer der Parade zu sehen. Der Trachtenverein und die Musikkapelle gehörten zu den insgesamt 50 deutschen Gruppen, die zu diesem Großereignis aus Deutschland anreisten. Geradezu eupho­ risch verfolgten weit über hunderttausend Menschen entlang der 5th Avenue die Para­ de und schwenkten begeistert Deutschland­ Flaggen, als die insgesamt 76 Trachtenträger kannten Sth Avenue mitten in Manhattan erinnern die Deutsch­ amerikaner an ihre Herkunft. Namensgeber der Parade ist der preußische Baron Friedrich Wil­ helm von Steuben. Er kam 1776 nach Amerika, um an der Seite des damaligen Generals und späteren ersten Präsidenten der USA, George Washington, für die Unabhängigkeit des Landes zu kämpfen. Steuben brachte den schlecht ausgebildeten Ame­ rikanern preußische Disziplin bei und reformierte so die Ar­ mee in kürzester Zeit. Sein per- sönlicher Einsatz ermöglichte den endgültigen Sieg der Ameri­ kaner über die Briten und Ste­ uben legte so den Grundstein für die Freiheit und Unabhän­ gigkeit der Vereinigten Staaten. Eine der Grundideen der Para­ de ist, die amerikanische Bevöl­ kerung und die Politiker immer wieder auf die bedeutende Rolle der Deutschamerikaner für die Entwicklung der USA aufmerk­ sam zu machen. Rund eine hal- Ein überwältigendes Ereignis für den Trachtenverein St. Georgen be Million Menschen säumen und den Musikverein-Trachtenkapelle Nußbach war die Tei/nah­ jährlich die Umzugsstrecke, al- me an der weltberühmten Steubenparade in New YtJrk. , 191

Brauchtum Ob beim Umzug durch die Häuserschluchten von Manhattan oder bei einer Kostprobe vor der beein­ druckenden Wolkenkratzer-Kulisse, die Botschafter aus dem Schwarzwald ernteten für ihre Darbietun­ gen große Anerkennung. aus dem Schwarzwald vorbei zogen. Auch Ministerpräsident Erwin Teufel, der im ver­ gangenen Jahr als Ehrengast die Steubenpa­ rade abnahm, begrüßte die Gäste aus St. Ge­ orgen und Nußbach. war er Präsident des Steubenparade-Korni­ tees und Vorsitzender des Deutschen Clubs Clark. Im Verlauf des Gesprächs entstand die Idee, dass der Trachtenverein einmal bei der Steubenparade teilnehmen könnte. Die Idee wurde im Trachtenverein disku­ tiert und als einmalige Chance aufgefasst. Mit der Trachtenkapelle Nußbach war auch der musikalische Begleiter schnell gefunden. Ihre Reise in die „neue Welt“ nutzten die Teilnehmer, um in den USA auch Land und Leute kennen zu lernen. So waren sie an ei­ nem Wochenende Gast bei einem deutsch­ amerikanischen Club in Peekskill, etwa zwei Autostunden nördlich von New York. Dort gestalteten sie das Oktoberfest als Hauptat­ traktion mit tänzerischen Vorführungen, Glockenspiel und zünftiger Blasmusik. Der Hochzeitszug mit den Schäppelträgerinnen sowie die Uhrenträger der beiden Vereine waren tausendfaches Motiv für die Fotogra­ fen. Gäste wie Einheimische, meist deutsche Auswanderer aus den sechziger Jahren, wa­ ren überwältigt von der Stimmung und der Herzlichkeit. Schnell wurden auch Erinne- rungen der Auswanderer wach, die ihre Kindheit noch im Schwarzwald verbrach- ten. Überrascht waren die Gäste aus dem Schwarzwald, als sie von der Vorsitzenden dieses Clubs, Trudy Reynolds, geborene Burger, auf badisch begrüßt wurden. Trudy Entstanden ist die Verbindung in die USA durch Thomas Schwertel, Mitglied des Trach tenvereins, der zwei Jahre zuvor das Fest des deutschen Clubs in Clark in der Nähe von New York City besuchte. Durch den Schwarzwälder Dialekt wurde Al­ brecht Maier aufTho­ mas Schwertel auf­ merksam. Maier ist in St. Georgen geboren und aufgewachsen, lebt aber eit mittler­ weile 40 Jahren in den USA. Zu dieser Zeit Die Scfnoarzwäldervor dem Weißen Haus. 192

Schwarzwälder in New York Überall im Mittelpunkt: die Schwarzwälder au/ihrer Amerika-Tournee. Reynolds stammt aus Villingen und wander­ te 1952 mit ihren Eltern in die USA aus. Im weiteren Reiseverlauf lernten die Schwarzwälder bedeutende amerikanische Städte der Ostküste kennen. In Washington D.C. waren sie beeindruckt vom Weißen Haus und den Monumenten, die zu Ehren der früheren amerikanischen Präsidenten Lincoln und Jefferson errichtet wurden. Vor dem Capitol entboten die Musiker einen musikalischen Gruß. Weitere Stationen waren die Glückspiel­ stadt Atlantic City, Baltimore und Philadel­ phia. Auch in New York City wurden im Vorfeld der Parade wichtige Sehenswürdigkeiten wie das Empire State Building, der Times Squa­ re und das World Trade Center besichtigt. Direkt vor der wichtigsten Börse der Welt, der Wall Street, spielte die Trachtenkapelle das Badnerlied und sorgte somit für großes Aufsehen. Beim Empfang der deutschen Gruppen durch den Bürgermeister der Stadt New York wetteiferten die zahlreichen Kapellen mit musikalischen Beiträgen. Der Nußbacher Kapelle war es jedoch vorbehalten, die offi­ zielle deutsche und amerikanische National­ hymne zu spielen. Den Abschluss der zwölftägigen Reise bil­ dete der Besuch und die Teilnahme beim deutschen Fest des Clubs in Clark, dort, wo die ersten Kontakte zu dieser erlebnisrei­ chen und unvergesslichen Reise geknüpft wurden. Wiederum trafen die Schwarzwäl­ der mit ihren Tänzen, ihrer Glockenspiel­ gruppe und ihrer Blasmusik den Geschmack der deutsch-amerikanischen Gastgeber. Die Begeisterung des Publikums übertrug sich aufTänzer und Musiker gleichermaßen – und das blieb bis heute. Wilhelm Dold, Roland Sprich 193

13. Kapitel/ Almanach 2002 Kirchen, Kapellen und Glocken ,,Und wollt‘ ein stummer Hund nie sein“ Dekan i. R. Walter Schlenker und sein Gottesdienst: Das Evangelium als politische Weisheit Auf über sieben Jahrzehnte arbeitsreichen Lebens und Strebens blickt der Schwenninger Walter Schlenker zurück. Als evangelischer Pfarrer des Sprengels Tuttlingen langjähriger Dekan begleitete er von Anbeginn an das kirchliche evangelische Leben im neuen Bun­ desstaat Baden-W ürttemberg. V ielen ist er ein guter Hirte geworden; ein unbequemer Gottesknecht nicht wenigen, Wie andere gesellschaftliche Gruppierungen war auch die evangelische württembergische Landeskirche von der Entstehung Baden-Würt­ tembergs in vielfältiger und grundlegender Wei­ se betroffen. Staatsgründun­ gen werden im Hinblick auf neue Verfassungen und Strukturen stets von Diskus­ sionen begleitet, welche Grundwerte und Orientie­ rungen anrühren und somit das Selbstverständni und die Meinungsbildung der Kirche herausfordern. Die Diskussion im und mit dem neu formierten Staat fand allerdings auf weit mehr Feldern der evangeli­ schen Religion statt, als der folgende Beitrag behandelt. Hierzu zählten und zählen traditionellerweise die Bil­ dungspolitik, Ehe-und Fami­ lienpolitik, Jugendwohlfahrt oder Sozialwesen. Zugleich ist darauf hinzuweisen, daß die Kirchen den Vereini- gungsprozeß hin zu einem einheitlichen Gebiet Baden-Württemberg nicht mit vollzogen haben und es bis heute zwei Landeskirchen -eine 194 die als weltliche oder geistliche „Obrigkeit“ handel(te)n; ein Mann des (Denk-)Anstoßes für manch obrigkeitlich Orientierten und für manch auf dem Rückzug von der Welt in die ausschließliche Innerlichkeit einer persönli­ chen Frömmigkeit sich Flüchtenden. Als streit­ barer Theologe, der „ein stummer Hund nie sein“ wollte und will, sondern ein guter Wäd1- ter, der anschlägt bei Gefahr im Verzuge, württembergische und eine badische -gibt. Der nad1folgende Artikel schildert daher einen würt­ tembergischen Akzent und einen bekannten württembergischen Exponenten der Sorgen vieler Kirchenangehöriger während der Schaffung des Südweststaates. Es zeigt sich hier, daß die inhaltlichen und themati­ schen Debatten der Sd1af­ fung des neuen Bundesstaa­ tes bereits überschattet wur­ den von den Problemen und Herausforderungen, welche die Bundes- und Weltpolitik geschaffen hat­ ten. Neben der aufkommen­ den Frage der Mission in ei­ ner neu aufgeteilten Welt war es vor allem die weiter­ hin belastende Auseinan­ dersetzung um den Natio­ nalsozialismus und die Sor­ ge um Krieg und Bewaff­ nung bei ideologisch sich verschärfenden Gegensät­ zen zwischen dem amerikani­ schen und dem sowjetisd1e11 Block. Joachim Sturm Dekan i. R. ‚X-aller Schlenker heule, viel­ seitig tätig im Winkel der Zurückgezo­ genheit: zu 7i11tlingen des Winters; des Sommers in der Emminger Klause.

meldet(e) er sich zu Wort, wo immer seines Erachtens die Kirche etwas zu sagen hat(te). Über die Grenzen der engeren Heimat hin­ aus bekannt wurde der Barthianer, der in Württemberg wie in ganz Deutschland als nachdenklicher Vordenker innerstaatlicher wie innerkirchlicher Opposition seine Stim­ me erhob. In Verantwortung vor Gott und für die Welt sprach er aus brennender Sorge, wo er nicht stumm sein durfte, da Schwei­ gen schuldig macht. Lange (Vor-)Kämpfer der Kirchlichen Bru­ derschaft in Württemberg, sah man ihn und die Seinen an den Brennpunkten des Ge­ schehens. Kein heißes Eisen blieb unange­ packt: Die deutsche Wiederbewaffnung, die atomare Aufrüstung, der Krieg als Fortset­ zung der Politik mit anderen Mitteln, die In­ dienstnahme des Namens Jesu Christi für politische Zwecke, die Frage von Recht und Gerechtigkeit – auch im sozialen Bereich. An manchem konnte man sich die Finger verbrennen. Nach dem Wort aber handelte der Bruder­ schaftier in der Tat; und mit dem Wort, als Publizist. In die Politik brachte, mischte, mengte der kritische Christ sich ein: Eine bedeutende Gestalt der deutschen Nach­ kriegsgeschichte, die das Evangelium nicht allein als seelentröstende, sondern auch als politische Weisheit versteht, verkündigt, vor­ lebt – allen Anfechtungen zum Trotz. Ein tief gläubiges Elternhaus Geboren am 29. August 1928 zu Schwen­ ningen a. N., wuchs der Sohn des Weberjo­ hannes, eines der führenden Männer der alt­ pietistischen Gemeinde, in einer Familie auf, in der das Wort Gottes Gültigkeit besaß. Auch, als es galt „ein frei Geständnis in die­ ser unsrer Zeit, ein offenes Bekenntnis bei allem Widerstreit.“ Und im Dritten Reich, in dem der „Geist der Wahrheit“ vielen hin­ ter Schwaden dicken ideologischen Nebels verborgen blieb, war es kein leichtes, ,,trotz aller Feinde Toben, trotz allem Heidentum zu preisen und zu loben das Evangelium“. Walter Schlenker Es wurde zur Sache mutiger Bekenner. Wer aber in der Stunde der Bewährung, in Be­ drängnis und Bedrohung, sich bekannte, stimmte in das Pfingstlied Philipp Spittas (,,0 komm, du Geist der Wahrheit“) ein – im Gottesdienst bei Pfarrer Gotthilf Weber in der Evangelischen Stadtkirche, in der Chri­ stenlehre, im Konfirmandenunterricht. Er lernte bei dem Widerstehenden, der zu einem Eckpfeiler der (ihm nicht immer lautstark genug) bekennenden Kirche wur­ de, daß fromme Liedlein zu singen nichts frommt, folgt ihnen nicht die aus christli­ cher Grundüberzeugung geborene (politi­ sche) Tat. Ein Wegweiser, der den Weg selbst ging, wurde Weber, gewissenstreue Führungs­ persönlichkeit der Kirchlichtheologischen Sozietät von Württemberg, vielen zum Vor­ bild. Bei seinem Konfirmator fing Walter Schlenker Feuer. Es brennt bis heute. Er war der erste in der Reihe seiner geisti­ gen Väter, zu denen bald Professor Karl Barth Reformationifest 1967 – In vorderster Front im Kampf für den Frieden in der Mit mit dabei: Wal­ ler Sd1lenker (vorne red1ts) „Mr den Vietnamkrieg moralisch unterstützt, verrät das Evangelium der Liebe!“ 195

Kirchen, Kapellen und Glocken und Pfarrer Helmut Goes gehören sollten, Pastor Martin Niemöller auch und vor vielen. Schlenker erinnert sich: „Von ihm hörte ich zum ersten Mal in der Stadtkirche. Trotz Nazi-Herrschaft, Krieg und Spitzelwesen wag­ te Weber es, in regelmäßigen Abständen im Gemeindegottesdienst für die im Gefängnis oder im Konzentrationslager inhaftierten Pfarrer und Gemeindeglieder zu beten und deren Namen öffentlich zu nennen. Auch die Jahrestage der Gefangensetzung und die Geburtstage Martin Niemöllers erwähnte er.“ – ,,Niemöller war gleichsam das Schib­ boleth, das Erkennungszeichen für die ge­ samte kirchliche und politische Situation.“ Er blieb es nach dem Kriege: Unterzeichner der Stuttgarter Schulderklärung von 1945 und ihr eifriger Interpret, rang er mit den Freunden von der Sozietät um „Die Erneue­ rung der Kirche“, um den „Weg ins Freie“, um die „Gestaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland“, um das „Christusbekenntnis der Kirche vor der Welt“. Der 1949 -1953 in Tübingen Theologie studierende Schlenker blieb mit ihm in geistigem Kontakt: Ein Le­ ser der von Martin Niemöller und Gustav Hei­ nemann mit herausgegebenen „Stimme der Gemeinde“. Persönliche Begegnungen folgten im Land der „organisierten Unbußfertigkeit“ (Hans­ Joachim !wand), unter der litten, die eine grundsätzliche (theologische) Neubesinnung wünschten. Von ihrer Notwendigkeit konn­ te Niemöller Schlenker überzeugen; von ihm ließ er sich die Augen öffnen für die Dring­ lichkeit vollständigen Umdenkens in der Fra­ ge des Krieges. Für eine der wirkmächtigsten Schriften des Streitbaren, die vielen Männern in Stunden der Entscheidung eine wertvol­ le Hilfe werden sollte, wurde hier der Same gelegt: ,,Warum ich als Christ nicht Soldat sein kann“. Als das Buch 1964 erschien, war viel ge­ schehen. Prinzipielle Pazifisten, sahen sich der große alte Mann des Widerstandes und der junge Pfarrer für Religionsunterricht in Nagold (1957-1965), der (1956) einen Gott­ hilf Weber in Bad Cannstatt zum Vikarsva­ ter gehabt hatte, als Gefährten auf gemein­ samem Wege. Er führte direkt vom Kirchen­ kampf im Dritten Reid1 hinein in viele Aus­ einandersetzungen im Nachkriegsdeutsch­ land nach der angeblichen „Stunde Null“. Denn die Kirchliche Bruderschaft, 1957 von „Stimme der Gemeinde“-Lesern gegründet, stellte sich in die Tradition der kirchlich­ theologischen Sozietät, deren größte Geister von Anfang an mitwirkten: ,,ein freier Zusam­ menschluß von solchen, die an den Fragen weiterarbeiten möchten, die im Dritten Reich aufgebrochen und unerledigt geblieben sind“. Deren erste größere Aktion war im Gründungsjahr die Stellungnahme „gegen den fortgesetzten Mißbrauch des Namens Christi zu Partei­ zwecken“, gegen die An­ maßung, ,,als ob der christli­ che Glaube nur unter einer CDU-Regierung frei gelebt werden könne und als ob je­ der, der der Opposition seine Stimme gebe, dem Kommu- Walter Schlenker (im Vordergrund sitzend) und seine geistlichen Vä­ ter in der Mille der fünfziger Jahre: !Ja-rrer Helmut Goes mit Frau Hella; Prof Dr. Dr. Karl Barth mit Frau Nelly, Dekan Gouhilf We­ ber mit Frau Dore (v. l.). 196

nismus den Weg bereite.“ Gewaltig flamm­ te der Streit auf, auch in der Amtskirche. Nicht nur beim Oberkirchenrat war die Bru­ derschaft bekannt und verkannt, sondern im ganzen Land. Dabei blieb es, auch als es stiller wurde um das hohe „C“, da andere Probleme denen auf den Nägeln brannten, die „Gottes Wort als Zuspruch und Anspruch auf unser ganzes Leben“ verstanden – in der Tradition der T heologischen Erklärung von Barmen (1934), des Stuttgarter Schuldbekenntnisses (194 5), des Darmstädter Worts des Bruder­ rats der Bekennenden Kirche (1947). Die atomare Aufrüstung wurde zum Streit­ fall, die Einbeziehung von Massenvernich­ tungsmitteln in den Gebrauch staatlicher Machtandrohung und -ausübung als „fakti­ sche Verneinung des Willens des seiner Schöp­ fung treuen und den Menschen gnädigen Gottes“ verworfen. Angesichts der von Re­ gierung und militärischer Führung vertrete­ nen Auffassung von der Unteilbarkeit des soldatischen Gehorsams, der keine Teilver­ weigerung hinsichtlich des Atomwehrdien­ stes zulasse, folgte das unbedingte Nein kri­ tischer evangelischer Christen zu einem sol­ chen Wehrdienst: ,,Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und Fürbitte der Kirche gewiß . “ sem. ,,Nein“ zum Kriegsdienst Das Empfinden eines „großen Übels“ hat­ te Walter Schlenker und die Kirchliche Bru­ derschaft so weit gebracht: Sein „Nein“ zum Kriegsdienst kam „aus der Erkenntnis, daß es einem Christenmenschen in der Nachfol­ ge Christi verwehrt ist, die Menschen eines anderen Volkes wie Ungeziefer zu vernich­ ten“. Das „kleine Übel“ lernte er noch ken­ nen: ,,den Kommißbetrieb mit all den Begleit­ erscheinungen dieser Männergesellschaft in Kasernen“, mit ,,(unreifen) jungen Männern in den Händen oft unreifer Ausbilder, de­ nen schon jetzt die Gesundheit und Würde der ihnen anvertrauten Menschen nicht viel Walter Schlenker wert zu sein scheint.“ Bittere Worte, geschrie­ ben im Juli 1963; Walter Schlenker hatte sei­ ne Erfahrungen gemacht. Zu Tode geschun­ den wurden Grundwehrdienstleistende auf Hitzemärschen vom „Sdileifer von Nagold“; der Pfarrer wurde von Zeugen beigezogen; er informierte die Presse, als er genaue Kennt­ nis hatte; er sprach mit Offizieren; unaus­ löschlich blieb beim Geistlichen der Ein­ druck haften, die Verantwortlichen betrie­ ben das unlautere Geschäft der Verharmlo­ sung und Vertuschung. Bis heute ist er ein begehrter lnteiviewpartner derer, die als vier­ te Gewalt im Staate Aufklärung betreiben: der Journalisten. Am 25. Juli 1998 rollte der WDR unter der Rubrik „Rückblende“ die Vor­ gänge wieder auf. Sie hätten Schlenker zum überzeugten Friedensprediger werden las­ sen, wäre er nicht schon zuvor beim Nach­ denken über das große Übel des Völkersdilach­ tens zum Pazifisten geworden. Wer aber als Christ auf Antiatomkundge­ bungen mit Sozialdemokraten sprach, lief in den frühen sechziger wie den späten fünfzi­ ger Jahren sehr wohl Gefahr, als einer abge­ lehnt zu werden, der mit „Atheisten“ an ei­ nem Tische saß. Und zwar von denen, die in Staat und Gesellschaft den Ton angaben; von den Mächtigen in der Kirche gleicher­ maßen: Die Frage „Die Christen und die Obrigkeit“ stellte sich neu . Auch für Walter Schlenker, den tempera­ mentvollen Bruderschaftier der ersten Stun­ de, der oft genug Optimismus verbreitete: Wenn andere deprimiert den Blick zu Bo­ den senkten, hißte er in Glaubenszuversicht das Fähnlein derer, um deretwillen Christus den Erlösertod gestorben. ,,Die Osterfahne hoch!“: Der Zuspruch Schlenkers ist in der Bruderschaft längst legendär. 1962 übernahm er deren Leitung und Ge­ schäftsführung, gestützt und gehalten von seinen väterlichen Freunden Hans Rücker und Gotthilf Weber, selbst vielen eine wert­ volle Stütze. Ein großer Streiter vor dem Herrn – und für sein Wort. Auch bei friedli­ chen Demonstrationen, hinter denen ein christliches Anliegen stand, die Mitte der 197

Kirchen, Kapellen und Glocken sechziger Jahre aber keines­ wegs zu den Selbstverständ­ lichkeiten des politischen Alltags gehörten. Wie 1966, als Schlenker, inzwischen Pfarrer in Kemnat (1965- 1975), den Schweigemarsch der westdeutschen Pfarrer gegen den Vietnamkrieg eröffnete. Und theologisch begründete – gegen den Widerspruch der W ächter kirchlicher Ordnung; wider die Kritik der auf ein „stilles und ruhiges Leben“ ausge­ richteten pietistischen Krei­ se; wider die in krassem Widerspruch zur Theologischen Erklärung von Barmen ste­ henden Deutung der Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers, als sei nicht die Unterschei­ dung von weltlichem und geistlichem Be­ reich verlangt, sondern die strikte Trennung von Kirche und Politik geboten. Heimliche Politisierung beklagt Gefordert war der Gottesmann, der glaubt, daß „Kirche von dem lebt, was sie zu sagen hat“, – und der dafür hält, daß es mit der Aufrechterhaltung des kirchlichen Betriebs und der Pflege der Volksfrömmigkeit keines­ falls sein Bewenden haben kann. Weshalb er immer wieder zur Feder griff, das Wort zu führen: Er beklagte die heimliche Politisie­ rung der Kirche, die „nicht zuerst von denen kommt, die sich dann und wann zu politi­ schen Fragen äußern, sondern von denen, die vorgeben, unpolitisch zu denken und zu handeln“ – und es dann doch nicht tun, bei Personal- und Sachentscheidungen. Gegen die „Irrlehre des religiösen Individualismus, die sich mit konservativen politisd1en, wirt­ schaftlichen und gesellschaftlichen Mächten verbündet“, wandte er sich vehement. Grundsätzlich äußerte er sich zu Glaubens­ gehorsam und Politik im Alten und Neuen Testament wie in der Geschichte. Überzeugt von der Fehlbarkeit aller Ordnungsmächte 198 In Amt und Würden: Walter Schlenker (zweiter von rechts) bei der Ein­ weihung der Tulllinger Versöhnungskird,e 1987 – zusammen mit Prälat leube, Pfarrer Schwandt und Architekt Mahl. vom Kirchengemeinde- bis zum Oberkir­ chenrat, scheute er sich nicht vor bedenkens­ werten Überlegungen zum Bischofsamt. Denn „Fürsten sind vom Weibe geboren … ; das gilt auch von Kirchenfürsten – woran sie zu erinnern ein Dienst der Liebe ist“ (Mar­ tin Günzler). Ein kritischer Kopf, der etwas weiß vom Leiden an der Kirche – da er weitreichende Hoffnungen an sie geknüpft! Der aber die Kirche als Organisation zu keiner Zeit preis­ gab. Sein Teil dazu beitragen wollte er, daß ,,die Kirche in Württemberg ökumenisch of­ fen bleibt und sich weder zu einem humani­ stischen Verschönerungsverein noch zu ei­ ner fundamentalistischen Sekte entwickelt“. Seinen Beitrag leisten durfte er von 1975 bis zur krankheitsbedingten Emeritierung 1987 als Dekan von Tuttlingen. Was für die Landeskirche spricht, wenn es auch „dauer­ te, bis die für Dekansvorschläge allein zu­ ständige Kirchenleitung begriffen hat, daß Bruderschaftier nicht lrrlehrer sind, sondern Christenmenschen“ (Günzler). Nicht von heute auf morgen glaubte sie, daß allein die mit Martin Niemöller sie verbindende Fra­ ge sie umtrieb: ,,Herr Christus, was willst du, daß wir tun sollen?“ Antworten glaubte der Schwenninger Theo­ loge finden zu können. In seinen Sd1riften legt der „Um die politische Diakonie der Kirche“ (1967) Ringende dar, worum es ihm

geht: ,,um einen neuen Pietismus, um eine Form des Glaubens und der Frömmigkeit, die das Leben in der modernen, durch die Technik geprägten Welt einschließt und die Verantwortung für die Welt und den kon­ kreten Mitmenschen ernst nimmt“. ,,Glaubwürdig Christ sein“ – so der Titel ei­ ner Laiendogmatik aus dem Jahre 1977-lau­ tet die Aufgabe, gerät „Bibel und Bekennt­ nis heute“ in den Blick. Dabei ist die „Beru­ fung zum politischen Gottesdienst“ für den Mahner nicht zu überhören: ,,Politik in der Kirche?“, 1969 erschienen, findet noch im­ mer interessierte Leser. ,,Evangelische Antwor­ ten auf 51 Fragen der Kriegsdienstverweige­ rung“ ersetzen des Buchtitels Frage- durch ein Ausrufezeichen. Ebenso die Begründung, ,,Warum ich als Christ nicht Soldat sein kann“, vielen ein hilfreiches Handbuch mit einer Gesamtauflage von über 100 000 Exempla­ ren. „Es ist mir lange nichts mehr so Tröstliches und Hilfreiches vor Augen gekommen wie Schlenkers Schrift ‚Zum Weg der Kirche heu­ te“‚, schrieb kurz nach deren Auflegung 1970 Professor Hermann Diem. Anderen ist es ein Trost, daß in den Sechzigern wenigstens ei­ ne kritische Stimme aus dem Raum der evangelischen Kirche laut wurde, die hin­ ausrief, ,,Warum wir die Notstandsgesetze ab­ lehnen“ (1968). Das taten wieder andere nicht. Wer aber „Gehorsam gegen Gott und Be­ amtenloyalität“ (1982) zum Thema erhob, ,,Christliches Friedenszeugnis heute“ (1983) ablegte und zum Antikriegstag (1986) seinen öffentlichen „Abscheu vor dem Krieg“ er­ klärte, mußte mit Widerspruch rechnen. Er kam – von seiten der Politik wie der Kir­ chenleitung. Die offen geführte Auseinandersetzung tut not. Sie kostet Kräfte. Sie zu schonen geboten Walter Schlenker Herzinfarkte. Verstummt aber ist die geistliche Stimme nicht. Als Rei­ he „Deo servire summa libertas – Gott die­ nen ist höchste Freiheit“ brachte und bringt der Ruheständler seit 1990 ausgewählte Pre­ digten in bislang 18 Broschüren heraus, de- Walter Schlenker nen „Ausgewählte Biblische Ansprachen zu Beerdigungen, Trauungen, Psalmen“ oder das ausgezeichnet Werk über „Trauung – Ehe. Mann und Frau. Homo:XXX“ zur Seite ge­ hen. Biographie und Bibliographie sind nicht abgeschlossen; um der „kirchenpolitischen Bedeutung willen“ (Hermann Schäufele) sollte Leben und Leistung Walter Schlenkers wissenschaftlich gewürdigt werden. In Schwenningen wurde einst das Feuer in ihm entfacht – als Bekenner in der Stadtkir­ che das Pfingstlied anstimmten: ,,0 komm, du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.“ Eine Flamme des Geistes Gott­ es, der zur Wahrhaftigkeit ruft und der Lüge widersteht. ,,Wenn die christliche Gemeinde das ernst nimmt, bleibt sie wachsam und kri­ tisch gegenüber den gängigen Losungen, Vernebelungsversuchen, Vertuschungskün­ sten . … Der Geist provoziert den Willen zur Aufklärung und verlangt nach der Durch­ schaubarkeit der wirtschaftlichen, technischen, politischen und militärischen Vorgänge. Ge­ rade hier muß es sich erweisen, daß christli­ cher Glaube nicht Opium für das Volk ist, daß er keine naiv-harmlose Weltbetrachtung und keine religiöse Flucht in individuelle Frömmigkeit erlaubt.“ ,,Glaubwürdig Christ sein“ heißt es heute. Der die Zeilen schrieb, müht sich, es zu sein. Ein Vorbild bei aller eigenen Fehlbarkeit. Denn „nicht immer, wenn er so richtig den Rauch hineinließ, stand dahinter heiliges Feuer.“ (Günzler) Gewiß. Vielleicht handel­ te er auch einmal gar zu hitzig. Doch wenn die württembergische Kirchliche Bruderschaft nach der Ära von GotthilfWeber und Her­ bert Werner, Helmut Goes und Hans Rücker sowie Karl Barth, von fern als Übervater wir­ kend, heute noch besteht, wenn sie auf ihrem Posten wachsam versucht, dem Evangelium als politischer Weisheit zur Wirkung zu ver­ helfen, so ist eines Mannes Verdienst hieran ganz wesentlich: dasjenige dessen, der die ,,Osterfahne“ hochhält. Bis heute. Michael]. H. Zimmermann 199

14. Kapitel/Almanach 2002 Musik Händelsatz bei Bedarf auch mit dem Saxofon Das Gymnasium St. Georgen bietet Musikprofil an Dass in St. Georgen die Musik eine große Rolle spielt, ist nichts Neues. Vor allem der erfolgreichen und weit über die Stadtgren­ zen bekannten Jugendmusikschule ist das zu verdanken. Weniger bekannt ist, dass auch das Gymnasium viel fur die musikali­ sche Bildung seiner Schüler tut. Seit einigen Jahren gibt es an der Bildungseinrichtung auf dem Roßberg den so genannten Musik­ zug, bei dem die Mädchen und Jungen ab der fünften Klasse verstärkt in diesem Be­ reich gefördert werden. Dieses besondere Angebot wird sehr gut angenommen: Fast die Hälfte der Schüler entscheidet sich fur den Musikzug. Mit vier Wochenstunden er­ halten die Schüler doppelt so viel Musikun­ terricht wie im „normalen“ Gymnasium. Dabei ist nicht alles blanke Theorie. Zwei der vier Unterrichtsstunden sind mit dem klassischen Musikunterricht vergleichbar. Die beiden anderen Stunden sind fur das ge- meinsame Instrumentalspiel reserviert – wo­ bei es aber nid1t Voraussetzung ist, schon ein Instrument spielen zu können. Es kann auch mit Beginn im Musikzug eines gelernt werden. Die musische Bildung ist unverzichtbarer Bestandteil jeder Allgemeinbildung. Sie kann kreative Kräfte der jungen Menschen wecken und auch fördern. In 38 allgemein bildenden Gymnasien in Baden-Württem­ berg werden „Klassen mit verstärktem Mu­ sikunterricht“ – dem Musikprofil – angebo­ ten, so die Auskunft des Ministeriums fur Kultus,Jugend und Sport. Im Schwarzwald­ Baar-K.reis ist in St. Georgen das einzige öf­ fentliche Gymnasium, in dem die Schüle­ rinnen und Schüler den Musikzug wählen können. ,,Wir entwickeln durch Erleben unsere mu­ sikalischen Kenntnisse“, umschreibt Holger Springsklee, Musiklehrer am Gymnasium, Besonderer Wert wird beim Musikprofil auf die Praxis gelegt. In zwei der vier wöchentlichen Unterrichts­ stunden musizieren die Schüler mit Musiklehrer Michael Berner gemeinsam. 200

Gymnasium St. Georgen Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi- Bil­ dung und Erziehung mit Kopf, Herz und Hand – wird im Musikprofil Rechnung ge­ tragen. Es wird emotionales und kognitives Lernen verknüpft. „Wir sehen uns nicht als Talentschmiede für Profi-Musiker oder Jugend musiziert“, berichtet Berner – auch wenn natürlich nie­ mand böse ist, wenn ein großer Musiker aus dem Musikzug hervorgeht. Er möchte da­ mit deutlich machen, dass jeder Schüler, der Interesse an der Musik zeigt, ohne Vor­ kenntnisse am Musikzug des Gymnasiums beginnen kann. Ob das Musikprofil gewählt wird, entscheiden Kinder und Eltern bei der Anmeldung am Gymnasium. Von Klasse fünf bis acht ist Musik trotz der erhöhten Zahl an Wochenstunden Nebenfach. In die­ ser Zeit kann das Profil auch ohne Probleme gewechselt werden. Ab der neunten Klasse legen sich die Schüler zumindest für die fol­ genden drei Jahre fest – Musik ist ab diesem Zeitpunkt Kernfach für die Jugendlieben des Musikzugs und damit gleichwertig zu ande­ ren Hauptfächern wie Mathematik oder Deutsch. Alternativ kann auch das sprachli­ che oder das mathematisch-naturwissen­ schaftliche Profil ab Klasse neun gewählt werden. Ob sich die Schüler dann ab Klasse zwölf für Musik als Leistungskurs entschei­ den, ist jedem selbst überlassen. Es sind auch alle anderen Fächerkombinationen möglich. Durch den höheren Wochenstundenanteil des Fachs Musik ist es möglich, in verschie­ denen Bereichen besondere Schwerpunkte zu setzen: Der Unterricht ist besonders hand­ lungsorientiert und erfahrungsbezogen an­ gelegt, da die Schülerinnen und Schüler ne­ ben Gesang, Improvisation, Tanz und Be­ wegung auch instrumentale Fähigkeiten und Fertigkeiten stärker einbringen können. Beim Singen und Musizieren wird besonderes Ge­ wicht auf kontinuierliche Stimmbildung, systematische Gehörbildung und Übungen im Tonsatz gelegt. Marcel Dorer 201 Im Musikzug wird die komplette musikalische Bandbreite abgedeckt- auch Pop wird mit der Gei­ ge gespielt. ein Ziel des Musikzugs. Das Orchesterspiel im musikpraktischen Bereich sei nicht im strengen Sinfonieorchester-Stil. ,,Wenn‘ s sein muss, machen wir auch ein Saxofon für ei­ nen Händelsatz passend oder spielen Pop­ Songs mit der Geige“, so Springsklee. Die Stücke würden eben einfach den vorhande­ nen Instrumenten entsprechend arrangiert, fügt Kollege Michael Berner hinzu. Im Mu­ sikzug werde eine weite Reise quer durch al­ le Musikstile zurückgelegt. Die Vielfalt sei ein bedeutender Punkt, sind sich die beiden Musiklehrer einig. Eine wichtige Kompo­ nente, die geschult werde, sei die Team­ fähigkeit, erläutert Berner. Es gebe immer mehr Familien mit Einzelkindern. Gerade für diese Mädchen und Jungen sei es wich­ tig, zusammen etwas zu erleben. Und beim Musizieren sei ein eingespieltes Team unum­ gänglich. Das Kultusministerium bezeich­ net dies als Schlüsselqualifikationen, die im Musikprofil erworben werden und neben der rein musikalischen Leistung mindestens genau so hoch einzuschätzen sind. Dazu zählt Sozialkompetenz, Kooperationsfähig­ keit, Kontaktfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Verantwortung zu übernehmen. Und das hilft den Schülern auch im späteren Be­ rufsleben, wo diese Schlagworte immer ge­ fragt sind. Der Forderung des Schweizer

Musik „Kultureller Herbst“ in der St. Martins-Kirche Seit zehn Jahren bietet Brigachtal kulturelle Höhepunkte Zum zehnten Mal in Folge jährt sich der Bri­ gachtaler „Kultureller Herbst“; ein Angebot, das sich sehen und hören lassen kann. Zu recht schrieben die Veranstalter bereits vor fünf Jahren in ihr Grußwort „daß sich große Kultur nach dem Verständnis von Publikum und Kritikern nun einmal in der Stadt und nicht auf dem Lande (ab)spielt. Zumindest fur Brigachtal kann diese Binsenweisheit seit dem Bestehen des Kulturellen Herbstes Bri­ gach tal keine Gültigkeit mehr beanspru­ chen. Denn seit 1991 werden hier musikali­ sche Veranstaltungen geboten, auf die auch größere Orte stolz sein könnten.“ Besucher­ zahlen und auch Kritiken berechtigen zu diesem gesunden Selbstbewußtsein: Volle Stuhlreihen und Gäste, die zu mehr als 50 0/o aus Brigachtals Umgebung kommen. Einen großen Anteil an dieser positiven Resonanz haben nicht nur die rührigen Veranstalter, sondern auch der ungewöhnliche Veranstal­ tungsort, die historisch-ehrwürdige St. Mar­ tins-Kirche in Brigachta1-Kirchdorf. Den „Kulturellen Herbst Brigachtal“ – zu­ mindest in dieser Form, hätte es nie gege- l‘ 202 ben, wenn nicht die Katholische Kirchenge­ meinde ungewollt in eine neu gebaute Pfarr­ kirche (,,Almanach“ 1984, S. 122-124) hätte ziehen müssen. Ihre alte, seit Jahrhunderten lieb gewon­ nene St. Martins-Kirche kam unter die Ku­ ratel des Denkmalschutzes, wurde zeit- und kostenaufwendig untersucht und renoviert (,,Almanach“ 1981, S.123-128; 1993, S. 270- 285). Die ursprünglichen Vergrößerungsplä­ ne konnten nicht realisiert werden; ihr his­ torisch-wertvoller Baukörper durfte nicht verändert werden. Durch den sprunghaften Wachstumsschub der Gemeinde hatte die Pfarrei ab den 70er Jahren eine zu kleine Kirche und nun, seit 1983, ungewollt zwei Kirchen: eine alte, his­ torische und eine neugebaute. Die Pfarrge­ meinde, insbesondere ihr seinerzeitiger Pfarr­ gemeinderatsvorsitzender JosefVogt, der bis heute dieses gewählte Ehrenamt betreut, hatte die nicht leichte Aufgabe zu lösen: was gesd1ieht nun mit dem Altbau? Und wer den rührig-kreativen Vorsitzenden Josef Vogt (,,Almanach“ 2000, S. 317-318) kennt, hegte keine Zweifel, daß er eine dem alt­ ehrwürdigen Kirchen­ bau gemäße Lösung finden würde. Die Ant­ wort auf die Frage „was nutzt die Renovierung von Steinen, wenn der Geist verloren geht“ war eine Symbiose aus Religion, Musik und Aquarell der St. Martins­ Kirche von H. Simon.

Kunst: Der „Brigachtaler Kulturelle Herbst“ war geboren. Das hohe geistes-, religions-, kulturge­ schichtliche und spirituelle Erbe ließ sich so mit bestem Gewissen fortführen. Auch künftig sollten von diesem Boden aus nicht nur Gottesdienste, sondern ebenso Kunst und Künstler gefeiert werden. Die Entstehungsgeschichte Ohne große Überredungskunst ließen sich mit ins Boot nehmen: Der Hausherr, Pfarrer Walter Mackert; die politische Gemeinde mit ihrem Bürgermeister Georg Lettner und die örtlichen Kulturvereine, vertreten durch Harald Maute. Diese Gründungsmitglieder sind dem „Arbeitskreis Kultureller Herbst“ bis heute treu geblieben. Fest stand, daß der Arbeitskreis keine Kon­ kurrenz zu den zahlreichen örtlichen Ver­ einsangeboten sein wollte. Daher ging man bewußt in die vereinsruhigere Zeit (Som­ mer- und Dorffest, Kinderferienprogramm waren gefeiert), in den Herbst. Direkt nach der Restaurierungsphase von 13 langen Jahren wurde im September 1991, im Anschluß an einen feierlichen Eröff­ nungsgottesdienst, zu einer kirchenmusika­ lischen Vesper geladen. Namhafte Solisten unter der Leitung des bekannten, ehemali­ gen Villinger Münster-Kantors Stephan Rom­ melspacher spielten und sangen Bach-Sona­ ten. Bereits eine Woche später konzertierte der gemeindeeigene Kirchenchor, begleitet vom Trossinger Solisten-Ensemble Kirchensona­ ten von W. A. Mozart. Schon diese Auftaktveranstaltungen des neuen Kulturpflänzchens „Kultureller Herbst“ sorgten für eine volle Kirche und wohlwol­ lende Zeitungskritiken. Entwicklung und Programm-Spektrum Eingebettet in Eröffnungs- und Schluß­ gottesdiensten wurden nun Jahr für Jahr, in der Zeit von September bis November, an- .Kultureller Herbst Brigachtal“ spruchsvolle Programme geboten. Stellver­ tretend für das Programm-Spektrum lassen sich beim Durchblättern des Gästebuches folgende Gruppierungen aus nah und fern nennen: Freiburger Bläserensemble; Don-Kosaken­ Chor; Warschauer Kammer-Orchester; SWF­ Ensemble; Kirchenchor St. Martin mit Sin­ fonieorchester Villingen; Kammerchor-En­ semble Albstadt; Ferrys Saxele (Saxophon­ �artett); Messebegleitung durch Musiker der Schule Schempp, Villingen; Aura En­ semble Schweiz; Motettenchor Villingen; Ensemble Heider, Trossingen; Musikali­ scher Kreis Stefan Kowalski, Brigachtal; In­ stitut für Alte Musik der Musikhochschule Trossingen; Conradin-Kreutzer Bläserquin­ tett; The Acapellas Gospel-Singers, New York/USA; Brahms-Chor Stuttgart; Jagd­ hornbläser VS; Convivium Musicum Tier­ ingen; Trossinger Percussionsensemble; Ak­ kordeonorchester Brigachtal; Philharmoni­ sche Kammer-Solisten Stuttgart; Chor Emi­ lie Galle, Nancy/Frankreich; Gesangverein Harmonie Brigachtal; Singkreis St. Martin, Brigachtal; Alphornbläserquartett, Gailin­ gen; Jugendorchester Musikverein Brigach­ tal; Jugendsinfoniker St. Georgen; Schwarz­ meer-Marinechor; Flötenensemble Brigach­ tal; Capella Nova Villingen; Kurpfälzer Kammerorchester Mannheim; Glory Gos­ pel Singers, USA; Compagnia Vocale Harn- Gospelkonzert im fahr 1997. 203

Musik 204 burg. An dieser repräsentativen Auflistung läßt sich unschwer ablesen, daß den Veran­ staltern daran gelegen ist, nicht nur zugkräf­ tigen Gruppen, sondern auch jungem, we­ niger bekanntem Nachwuchs Auftritte zu ermöglichen. Von Jahr zu Jahr wurden die Kulturange­ bote in der Martinskirche bekannter, ihr Einzugsgebiet weiter. Heute kommen, wie selbstverständlich Gäste aus dem gesamten Kreis, besonders aus dem angrenzenden Städte-Dreieck. Zunehmend schätzen auch Kurgäste aus Bad Dürrheim die Angebote zu einem abendlichen Kulturausflug. Mit dem Bekanntheitsgrad wuchs auch die Professionalität. Es wurden mit Hilfe der po­ litischen Gemeinde und der Sparkasse VS Programme und Plakate gedruckt und im gesamten Kreisgebiet publi­ ziert. Seit 1997 ziert ein einheitli­ ches Logo alle schriftlichen Äußerungen des „Kulturel­ len Herbstes“: Der Brigach­ taler Wappenbär neben der stilisierten Martinskirche (siehe Abb.). So wird die jahrhunderte alte Tradition, die In­ tegration zwischen Kirche und Dorf, sicht­ bar. Entworfen hat das Logo die gelernte Medien-Designerin Carmen Heinemann aus Donaueschingen. Das Flötenensemble des Mu­ silwereins Brigachtal unter der Leitung von Astrid Heider. Vor drei Jahren wurde es notwendig, wollte man nicht Künstler, Instrumen­ te und Publikum frieren lassen, mobile Wärme­ strahler anzuschaffen. Aus denkmalkonservatorischen Gründen konnte eine Zen­ tralheizung nicht erlaubt werden. So ist mit dieser Kompromißlösung den Be­ suchern und dem Gesetz gedient. Bekannt­ lich lassen sich die Anfänge der Kunst und das Grundphänomen Religiosität nid1t von­ einander trennen, wobei der Musik der 1. Rang eingeräumt wurde. Die großen spirituellen Bücher der Mensch­ heit quellen von „Hör“-Aufforderungen über. Bereits bei Jesaja ist zu lesen: ,,Höre, so wird deine Seele leben“. Dieses wurde in der St. Martins-Kirche wahrscheinlich seit über 1000 Jahren und nachweisbar ab 1708 (Hinweis in einem Do­ kument über das Bestehen des Kirchencho­ res) gepflegt. Umso leichter fiel es den Ver­ anstaltern, die Kunst der Musik, wenn auch nicht nur zu kird1lichen Anlässen, in den Räumen zu belassen. Es bildete sich folge­ richtig der Programm-Schwerpunkt Musik. „Musik als Wurzel der Künste“ Daß die Veranstalter der Musik gerne den 1. Platz einräumten, läßt sich in den Begrü­ ßungsworten der Jahresprogramme ablesen, z.B. 1997 „Id1 betrad1te die Musik als die Wurzel aller übrigen Künste“ (Heinrich von Kleist), … “ Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ (Friedrich Nietzsche). Diese Maxime hat die Programmauswahl der letzten Jahre geprägt. Sie wird auch, nid1t nur aufgrund des eigenen Selbstver-

,Kultureller Herbst Brigachtal“ Ein Auftritt der Don Kosaken im November 19 97. ständnisses, sondern auch wegen der guten Publikumsresonanz, in der Folgezeit maß­ gebend sein. So werden Chöre und Musik­ gruppen mit ihren unterschiedlichen ge­ sanglichen und instrumentalen Ausdrucks­ formen auch künftig in der St. Martins-Kir­ che in all ihren Tönen zu erleben sein. Sie beleben -ergänzend zu den Gottesdiensten -den alten sakralen Raum, nicht zuletzt zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Men­ schen. Auch Ausstellungen geplant Auch 2001 wird der laufende Kulturherbst das bewährte Angebotsspektrum fortführen. Einerseits hält er mit seiner Mischung das musische Schaffen unserer Vorfahren wach und weckt andererseits auch Interesse an der Musikrichtung neuerer Zeit. Damit steht diese Kunst im besten Ein­ klang mit der Spiritualität des alten Kir­ chenbaus und es darf beruhigt hinzugefügt werden, daß die Renovierung sich gelohnt hat, denn der Geist ging nicht verloren. Zwischenzeitlich kommen Künstler und ihre Agenturen in ausreichender Zahl auf die Veranstalter zu, um in der St. Martins- Kirche auftreten zu dürfen. Der „Arbeits­ kreis Kultureller Herbst Brigachtal“ wird je­ doch -wie von Beginn an -darauf achten, daß auch niveauvolle Hobbykünstler und Vereine gerne zu Auftritten eingeladen wer­ den. Ohne Überheblichkeit kann als besondere Anerkennung an Veranstalter und Ort eine Zusage der „Gemeinschaft christlicher Künst­ ler der Erzdiözese Freiburg“ verstanden werden. Sie wird -durch Vermittlung des örtlichen Bildungswerkes St. Martin -ab Sonntag 26. Mai bis Sonntag 28. Juli 2002 Gegenwartsarbeiten (Plastiken und Bilder) ihrer renommierten, z. T. international-be­ kannten Mitglieder in der St. Martins-Kirche ausstellen. Pünktlich im darauffolgenden September wird der „Kulturelle Herbst Brigachtal“ auch weiterhin seinem Namen alle Ehre machen und zum elften Mal in Folge zu Kunstge­ nüssen, insbesondere musikalischen Auf­ führungen, herzlich einladen. Sicherlich nicht nur ein Zugewinn für den Ort, sondern auch für den gesamten Land­ kreis. Wi!fried �gener 205

Musik Seit 40 Jahren in der Webergasse Der Jazz-Club Villingen bringt internationale Stars in die Doppelstadt Der Jazz kam mit Ende des Zweiten Welt­ krieges nach Deutschland, als die amerika­ nischen Soldaten nicht nur Kaugummi und Chesterfield-Zigaretten im Gepäck hatten, sondern auch die Klänge von Gien Millers ,,In The Mood“; und für nicht wenige jün­ gere Deutsche erschien die swingende Mu­ sik des US-Senders AFN als die eigentliche Befreiung und der Abschied von den tau­ send Jahren tumber Marschmusik, die zuvor zackig den Lebensrhythmus bestimmte. Jazz war neu und Jazz war „in“. Da bezog sich in erster Linie, natürlich, auf die großen Städte im amerikanischen Sektor Deutschlands, aber der Radiosender AFN sorgte dafür, dass die unter den Nazis stets verpönte aber offiziell nie verbotene Musik der schwarzen Amerikaner auch in kleineren Städten schnell ihre Fans fand. So schossen in den 50erJahrenJazz-Clubs und Jazzzirkel wie die Pilze aus dem Boden, jun- ge Menschen griffen wildentschlossen zu In­ strumenten, versuchten zu imitieren, was sie von den Amerikanern hörten und es fanden Jazzwettbewerbe statt, bei denen die Talen­ te Schlange standen. Schon Mitte der 50er Jahre – damals expe­ rimentierte in Villingen bereits der spätere Jazzproduzent Hans-Georg Brunner-Schwer an seinen ersten Tonaufnahmen – trafen sich die Jazzliebhaber im Schwarzwald, um gemeinsam ihre Musik zu hören und zu dis­ kutieren. Regelmäßig besuchten die Villin­ ger Jazzfans damals den Tuttlinger Jazzkel­ ler, in dem mächtig gejazzt und gejammt wurde. Dem Jazzkeller in der Nachbarstadt war aber, wie so vielen anderen auch, kein langes Dasein beschieden und die Jazzfans aus dem Schwarzwald waren bald die dann folgenden Wohnzimmertreffs leid, nicht zu­ letzt, weil die Zahl der Besucher ständig an­ wuchs. Die „Misery Loves Company“ im Jazz-Club. 206

Blick in die Webergasse: seit 40 Jahren läufi hier im Kellergewölbe das Programm des Jazz-Clubs, der damit eine der ältesten Ein­ richtungen dieser Art in Deutschland ist. Ab 1959 folgte eine intensive Suche nach geeigneten Clubräumen in Vil­ lingen und es bedurfte schon erhebli­ cher Hartnäckigkeit der dutzendköpfi­ gen Jazzgruppe, die so manche Absa­ ge wegstecken musste, denn Jazz wur­ de in der badischen Kleinstadt in den späten SOer Jahren nicht unbedingt gleichgesetzt mit solider Kultur, son­ dern war für die meisten Bürgersleute einfach „wilde Negermusik“. Dennoch waren die Aktiven der „Jazz­ vereinigung Villingen“, wie der Jazz­ Club in seinen Anfangstagen hieß, stolz, im Herbst 1961 von der Familie Rettich in der Webergasse zwei La­ gerräume als Vereinunterkunft pach­ ten zu können. Mit sehr viel persönli­ chem, finanziellem und zeitlichem Engage­ ment machten sich die Mannen um Fritz Gundacker daran, die Räume für ihre Be­ dürfnisse umzugestalten. An öffentliche Unterstützung war damals nicht zu denken. Im November 1961 – damals dominierte Miles Davis als Star die Jazzszene – wurden die Jazzer dann erstmals aktiv: Im Karl­ Schilling-Saal in Villingen führten sie ein Konzert mit der „modern jazz group tutt­ lingen“ durch, das vom Besucherzuspruch erfolgreich verlief. An das Konzert schloss sich ein Besuch im neuen Jazzkeller in der Webergasse an, der für den Veranstaltungs­ betrieb zu der Zeit noch nicht ganz fertig war. Aber es dauerte nur noch ein paar Wo­ chen, da waren die Bauarbeiten abgeschlos­ sen und den Besuchern gefiel von Anfang an die etwas andere Atmosphäre in dem Kellergewölbe, dessen Stirnseite eine Back­ steinmauer prägte. Unter der Decke hingen leere Eierkartons und ein bulliger Kanonen- Jazz·Club Villingen ofen sorgte für die behagliche W ärme. Wohl niemand der Aktiven der ersten Stunde hat damals ahnen können, dass der Jazzkeller in Villingen 40 Jahre am gleichen Ort weiter­ bestehen würde und mittlerweile längst ei­ nen legendären Ruf in der Jazzszene hat. In den Anfangsjahren fand hier weitaus mehr statt als nur Jazz. Alles, was der damals etablierte Villinger Kulturbetrieb nicht un­ terbringen konnte, fand sich im Jazzkeller wieder. Hier wurden Lyriklesungen durch­ geführt, fanden Kunstausstellungen ebenso statt wie Folk-Konzerte, aber auch die ersten Villinger Jugendtreffs hatten ihre Heimat in der Webergasse, lange bevor es das Jugend­ haus an der Kalkofenstraße gab. Der Jazz­ keller wurde in den 60er Jahren zum Kata­ lysator und Impulsgeber für die junge Ge­ neration der Stadt und viele der hier begon­ nenen Aktivitäten haben sich längst eigen­ ständig etabliert. Jazz stand und steht natürlich im Mittel­ punkt, in den Kellerräumen in der Weber- 207

Musik Blick in den Jazz-Club. gasse 5, die von ihrem urwüchsigen Charme auch nach 40 Jahren nichts eingebüßt haben und deren Gästeliste viele bekannte Namen aufweist. Und nicht wenige von ihnen ha­ ben schon in den Anfangstagen des Jazzkel­ lers in Villingen gastiert, was über die Jahre zu einer engen freundschaftlichen Verbin­ dung zu so manchem Jazzmusiker führte. Hans Koller, der legendäre Altmeister des Saxophons aus W ien, der für einige Jahre in Bräunlingen lebte und arbeitete, gehört zu denen, Albert Mangelsdorff, der stets be­ scheidene Weltklasse-Posaunist aus Frank­ furt ebenso, aber auch musikalische Haude­ gen wie Gunter Hampel, Peter Brötzmann, Ali Haurand und Joe Haider zählen zu den­ jenigen, die hier über die Jahrzehnte immer wieder zu hören waren. Nicht wenige junge, unbekannte Jazzmu­ siker waren froh, in ihren künstlerisd1en An­ fangszeiten immer wieder im kleinen Jazz­ keller auftreten zu dürfen, ob das nun der Stuttgarter Pianist Wolfgang Dauner mit sei­ nem Trio war, die Zürcher Pianistin lrene 208 Schweizer oder die Organistin Barbara Den­ nerlein. Die Liste ließe sich noch lange fort­ setzen. In den Jazzkellern holen sich junge Musi­ ker das nötige Rüstzeug, das sie für ihre wei­ tere Entwicklung brauchen, hier können sie vor Publikum Stücke ausprobieren und Er­ fahrungen sammeln, hier saugen sie die hautnahe Atmosphäre mit dem Zuschauer, die erst prickelndes und energiegeladenes Musizieren möglich macht. Und für den Villinger Jazzclub war es über die Jahre hin­ weg unverzichtbar, junge Musiktalente ein­ zuladen und nicht ausschließlich auf be­ kannte Namen zu schauen. Das zahlt sich dann aus, wenn aus den Talenten anerkann­ te Musiker geworden sind , die nach wie vor gerne im Villinger Jazzkeller spielen. Wenn der Name Villingen weit über Euro­ pa hinaus seit vielen Jahren in der Jazzszene einen wohlklingenden Namen hat, dann liegt das sicherlich zum einen an der auf­ nahmetechnischen Pionierarbeit des legen­ dären MPS-Chefs Brunner-Schwer, der von

den späten 50er bis in die 80er Jahre hinein hunderte unvergesslicher Tondokumente mit europäischen und amerikanischen Künstlern produzierte; es liegt aber sicherlich auch am kleinen Jazzkeller in der Webergasse, der mit 40 Jahren zu den ganz wenigen Einrichtun­ gen dieser Art zählt, denen ein dauerhaftes Dasein vergönnt ist. In Deutschland gibt es eine Handvoll davon, und jeder junge amerikanische Musiker, der zum ersten Mal den Weg in den kleinen Jazzkeller findet, kann gar nicht glauben, dass hier schon seit 40 Jahren Musik gemacht wird. Um einen solchen nichtkommerziellen Jazz-Club am Leben zu erhalten, bedarf es des Einsatzes einiger unverbesserlichen Ide­ alisten. Wenn die sich nicht über vier Jahr­ zehnte hinweg gefunden hätten, wäre es nicht möglich gewesen, jährlich zwischen 30 und 50 Veranstaltungen durchzuführen. Ne­ ben den laufenden Konzerten gehören dazu auch Sessions mit regionalen Musikern, aber auch gelegentliche Veranstaltungen außer­ halb des Jazzkellers. So fanden wiederholt Gemeinschaftsproduktio­ nen mit der Evangelischen Johannesgemeinde statt, unvergessen auch die Blu­ es- und Jazzveranstaltun­ gen, die schon vor mehr als zehn Jahren im Zirkus­ zelt durchgeführt wurden. Viel Zeit und Aufwand sind nötig, um den lau­ fenden Konzertbetrieb aufrecht zu erhalten, und es gehören auch finanzi­ elle Sorgen dazu. Zwar kommen kontinuierlich Stammgäste in die Weber- Die Atmosphäre gefällt gleich­ falls: der Jazz-Club hat in den vergangenen vier Jahrzehnten viele treue Freunde gefunden. Jazz-Club Villingen gasse, aber auch wenn der Jazzkeller vollbe­ setzt ist, heißt es nicht, dass alle Kosten ge­ deckt sind. Neben den Künstlerhonoraren geht noch mal ein beträchtlicher Batzen an die Gema, Künstlersozialkasse und das Fi­ nanzamt weg. Nur mit Hilfe von Zuschüs­ sen und privater Sponsoren kann ein Kul­ turverein wie der Jazz-Club seine Arbeit weitermachen, ohne finanziell Schiffbruch zu erleiden. Ein Balanceakt zwischen künst­ lerischen und finanziellen Machbarkeiten ist es allemal. Für nicht wenige Musiker ist der Jazzkeller in Villingen einer der angenehmsten Spiel­ plätze seiner Art in Europa, was die Atmos­ phäre und das ganze Drumherum betrifft. Und nicht zuletzt deswegen kommen die al­ lermeisten auch immer wieder gerne hierher zurück. Sollten sich auch in Zukunft Idealis­ ten finden, die im Villinger Jazzkeller wei­ termachen, wird sich wohl auch nichts daran ändern. Friedhelm Schulz 209

15. Kapitel/ Almanach 2002 Kunst und Künstler Hubert Rieber ARBEITEN AM MENSCHEN UND MENSCHLICHEM 1981, vor genau 20 Jahren, bildete das renommierte Kunst- magazin „art“ eine Skulptur von Hubert Rieber, genauer gesagt eine Büste, seinen „Großen Wächter“, auf der Frontseite ab – nicht allein und noch nicht genug der Ehre: Riebers Büste er­ schien nicht neben der Arbeit irgend eines Künstlers, sondern Rechte Seite: Bildhauer Hubert Rieber im Atelier, um­ geben von Kopfstelen. neben einer Arbeit eines der größten deutschen Bildhauers überhaupt: neben einem jener unvergleichlichen Apostel-Köpfe von Riemenschneider aus dessen Heilig-Blut Altar, einem der Hauptwerke also, in Rothenburg ob der Tauber. Im Herbst des Jahres 2001 wurde Hubert Rieber aus Furt- wangen bei der Internationalen Skulptu­ ren Biennale in Japan mit dem „Großen Preis“ ausgezeichnet. Dies ist eine außer- gewöhnliche internationale Anerken­ nung semes künstlerischen Schaf­ fens. links: Kopf Lindenholz verleimt, H. 200cm, 2001

Kun t und Künstler Spätestens seit der Präsentation in „art“ ist Rieber auch einem breiteren natio­ nalen und internationalen Kunstpublikum bekannt. – Nun war es nicht die Absicht des Magazins, Rieber auf die Stufe von Riemenschneider zu stellen, sondern es glaubte lediglich, einen ,neuen Trend mit Tradition‘ in der deut- schen Kunst auszumachen, indem es neben Rieber eine Reihe von Künst­ lerinnen und Künstlern vorstellte, die damals in einem mehr oder weni­ ger realistischen Sinne figurativ arbeiteten. Riemenschneider stand also in dieser Gegenüberstellung zunächst nur für eine bestimmte Traditions­ linie in der deutschen Kunst. Hubert Rieber in diese Linie hineinzustel­ len, war und ist durchaus richtig; Rieber setzt sich mit der skulpturalen Tradition in der Tat intensiv auseinander und erweist sich auch im Ge­ spräch als ein profunder Kenner derselben. Nicht richtig war es dagegen – retrospektiv können wir dies heute feststellen – ihn einem Trend zu­ zuordnen. Zu konsequent verfolgte Rieber seither seinen Weg. Der Ver­ gleich der beiden Werke, des äußerst sensibel geschnittenen, introvertiert wirkenden Apostel-Haupts von Riemenschneider und des beinahe mo­ numentalen, archaisierenden Kopfs mit dem stechenden Blick von Rie­ ber – gewiss ein frühes Schlüsselwerk des Künstlers – ist allerdings her­ vorragend gewählt. Die extreme Gegensätzlichkeit der Typen ist nicht nur attraktiv, sondern öffnet auch ein weites, fruchtbares Feld für kul­ turhistorische, kulturkritische Betrachtungen. • Der Mensch das zentrale Motiv Der Mensch, einst das vornehmste Motiv der Bildhauerei, ist – und da­ mit steht er unter den heutigen Plastikern relativ einsam da – das zent­ rale Thema von Riebers Arbeit. Er hält daran fest, obgleich er den Rea­ lismus der frühen Werke seit den neunziger Jahren zugunsten der Re­ duktion verlassen hat. Damit erweist sich sein Schaffen als ein ebenso anhaltendes wie eindringliches Nachdenken über den Menschen bezie­ hungsweise genauer noch, und immer mehr – über die Bedingungen sei­ nes Verschwindens. Mit der zunehmenden Reduktion, mit der Kon­ zentration auf die schöne, die perfekte Form, das Design, werden die Köpfe immer glatter, immer gestylter und mithin immer gesichtsloser. Es sind Köpfe bar jeder Individualität, oft zur Maske erstarrt oder gar zum Helm-Panzer mutiert, eine ganze Reihe von ihnen ist mit Blei be- schlagen. Es sind Köpfe des Heideggerschen ,Man‘, des Menschen in der Masse, des Menschen, der nur (mehr) ,uneigentlich‘ lebt. Ja wir können sagen, nichts mehr und nichts weniger, es sind Spiegel des 212 Kopfstek, lindenho/z verleimt, H 196 cm, 1997

Hubert Rieber 213 Relief-Doppelkopf, Holz und Blei, 2001

Kunst und Künstler • Entindividualisierte Köpfe (post)modernen Menschen. In dieser Paradoxie, dass bei zunehmender Perfekti­ on der Form der Köpfe deren ,Inhalt‘ schwindet, liegt die Hinterlistigkeit und die Sprengkraft der Werke Riebers. Es sind eine Art ,trojanische Pferde‘, die ob ihrer technischen Meisterschaft blenden, auf den zweiten Blick aber schockie­ ren und ihre ganze Schrecklichkeit offenbaren. Doch verweilen wir noch ei­ nen Moment bei der technischen Meisterschaft. Sie ist zweifellos beste­ chend; auch hierin erweist sich Rieber als in der Tradition der ,alten Meister‘ stehend. Im Umgang mit seinem Material, dem Holz, suchte er nach uner­ probten Möglichkeiten und fand sie u. a. in der Verleimtechnik. Diese eröffnet ihm neue, das Grundmaß des einzelnen Stamms sprengende Dimensionen. Durch das Schleifen und Polieren gibt er seinem Werkstoff zudem einen in der Holzplastik bisher kaum gekannten Charakter, der nicht nur eine Art Selbst­ transzendierung des Materials bewirkt, sondern auch die Grenze zu industriel­ len Fertigungen, zum Design erneut, thematisiert. Auch darin liegt das Verfüh­ rerische, das ,Gefällige‘ dieser Arbeiten begründet. Nimmt man nun aber die Form als Ausdruck, so müssen diese Köpfe erschre­ cken: Ist dies das Bild des Menschen? Die für diesen reflektierenden Blick not­ wendige Distanzierung wird angestoßen entweder durd, die Monumentalität oder aber den Sockel, der integrierender Bestandteil der meisten von Riebers Skulpturen ist. Als Stelen -,Kopfstelen‘ -bezeichnet der Künstler diese letzte­ re Gruppe und schreibt ihr damit die ganze Geschichte und Symbolik dieser Gat­ tung als Aussage mit ein. Diese entindividualisierten, leeren Köpfe werden so zu einer Art Denkmälern. Zu Denkmälern für das Verschwinden des Menschen, das in der modernen und zeitgenössischen Kunst schon oft festgestellt wurde. Vielleicht, auch. Mehr noch aber wohl zu „Denk-mälern“ in einem ganz wörtli­ chen Sinn: Sie mahnen uns an, das nicht zu vergessen, was den Menschen zum Menschen macht, das Denken. Gerade durch den Schock der Gesichtslosigkeit kann dieses wieder ,anspringen‘, wodurch der Mensch ein, nämlich sein Gesicht (zurück) erhält. Durch das Denken -das Selber-Denken in einem eminenten und emphatischen Sinne -tritt der Mensch aus der Anonymität der Mas­ se heraus und in das eigentliche Sein ein, kann er an der eigenen Selbst­ werdung, am eigenen Gesicht zu arbeiten beginnen. Riebers Werke sind das Gegenteil von existentialistischer Kunst, doch führen sie, setzt man sich ihnen wirklich aus, nicht weniger, sondern vielleicht nachhaltiger in eine existenzielle Situation. 214 Kopfnadel Holz und Blei, H 219 cm, 1995

Hubert Rieber Um nochmals auf den Vergleich mit Riemen­ schneider zurückzukom­ men: Versuchte dieser mit seinen Figuren die reine Geistigkeit auszu­ drücken, womit er dem Naturalismus seiner Zeit­ genossen entgegentrat, so dominiert in Riebers Köpfen der Ausdruck reiner Geistlosigkeit. Mit seinen perfekt gear­ beiteten Holzskulptu­ ren steht auch er quer zum Mainstream der zeitgenössischen Kunst. In seinen besten Arbei- ten, etwa den jüngsten monumentalen, wieder auf neue Weise archaisierenden Köpfen al­ lerdings kann die reine Form umschlagen und selbst den Ausdruck der Verinnerlichung gewinnen, so dass sich ein Oszillieren ein­ stellt zwischen Gesichtslosigkeit und Vergeistigung. Doch dies zu erkennen vermag wohl nur, wer selbst konsequent an der eigenen Menschwerdung arbeitet, wer die Selbstbefragung, die Selbstver­ ständigung und die Selbstkritik nicht scheut. „Großer Wächter‘: Lindenholz verleimt, 1981. Hubert Rieber hat den Mut, beharrlich und Schritt für Schritt seinen ganz eigenen künstlerischen Weg zu gehen. Jedenfalls darf man auf die kommenden Werke gespannt sein. Doch auch als Be­ trachterin und Betrachter braucht es Mut, sich auf seine Werke ein­ zulassen, den Mut letztlich zur Auseinandersetzung mit dem ei­ genen Wesen. Indem Rieber also zeittypische Bedingungen für das Verschwinden des Menschen und deren Auswirkungen sichtbar macht, fuhrt er uns auf unsere eigentlichste Aufgabe zurück: die Menschwerdung, wenn denn gilt, dass man Mensch nicht ist, son­ dern immer nur wird. Urs-Beat Frei Kopfstele (Detail), Metall H 210 cm, 1997

Kunst und Kün der Kopfpaar, Lindenholz, H 40 cm, 2001 Ausgezeichnet mit dem „ Großen Kunstpreis“ der „Toyamura International“ bei der „Sculpture Biennale 200 J „in Hokkaido Japan. 216

Hubert Rieber Kopj Eisen verzinkt, 2001 217

Kunst und Künstler Kopf mit Maske, Holz und Blei, 1990 218

Hubert Rieber Kopf, Blei a u f Holz, 1998 219

Kunst und Künstler Sammlung Grässlin AKTUELLE GEGENWARTSKUNST – WEIT ENTFERNT VON DEN KUNSTZENTREN Die raumgreifende Stahlplastik des Rottweiler Bildhauers Erich Hauser vor dem Firmengebäude des St. Georgener Unternehmens Grässlin ist durchaus bekannt. Harmonisch fügt sich das große Werk ins ländliche Idyll. Ganz anders verhält es sich dagegen mit den Arbeiten von Markus Oehlen, Tobias Rehberger oder Gerold Herold, die im St. Georgener Stadtgebiet in Schaufenstern und ehemaligen Geschäften zu sehen waren und zum Teil auch noch dort zu sehen sind. Die Werke der zeitgenössischen Künstler sind sperrig, provokativ und überaus kommuni­ kationsfördernd. Man lehnt sie entweder kategorisch ab oder lässt sich in einen kreativen Dialog mit ihnen ein. So unterschiedlich sie auch sind: die Großplastik Hausers verbindet viel mit den Arbeiten der jungen Rebellen. Sie verweist auf die Wurzeln der unglaublichen Sammelleidenschaft der Familie Grässlin. Die Anfänge des über 1000 Einzelwerke umfas­ senden Kunstbesitzes liegen in der informellen Malerei und dem süddeutschen Konstruk­ tivismus. Der 1976 verstorbene Unternehmer Dieter Grässlin und seine Frau Anna haben ein respektables Ensemble der Kunst nach 1950 zusammengetragen, darunter finden sich bedeutende Werke von Wois, Fontana, K.O. Götz und Sonderborg: mittlerweile arrivierte Kunst, mit der sich Kunstgeschichte schreiben lässt. Ob der Instinkt der aktuellen Sammler­ generation, bestehend aus den fünfFamilienmitgliedern Anna, Thomas, Sabine, Bärbel und Karola Grässlin, auch weiterhin „ihre“ Künstler in vorderste Positionen bringt, wird die Zu­ kunft zeigen. Auf dem besten Weg dorthin sind die rührigen Schwarzwälder Sammler schon. Weit von den Kunstzentren entfernt holen sich die Grässlins ausgewählte Gegenwartskunst nach St. Georgen und nicht selten die Künstler gleich mit dazu. Der 1997 verstorbene Martin Kippenberger etwa, das mittlerweile renommierteste Zug­ pferd aus der Sammlung, hatte schon seit den frühen 80ern in St. Georgen eine temporäre 220

Sammlung Grässlin Anna und Thomas Grässlin auf einem „Diwan „von Franz Wert. 221

Kun t und Künstler Bleibe mit Familienanschluss gefunden. Geburtstage der Künstler werden im Schwarzwald als stilvolle Feste gefeiert. Nicht nur das Werk, das weni­ ger als Spekulationsobjekt denn mehr als „Trophäe“ gesehen wird, ist den Sammlern wichtig. Genauso wichtig wie das Besitzen von Kunst ist den Kunstenthusiasten auch der persönliche Kontakt zu den jeweiligen Künstlern, die mitunter ge­ nauso provozierend sein können wie ihr Werk. Die Chemie muss schließ­ lich einfach stimmen. Fast bei jeder Ausstellung der gesammelten Künstler ist ein Mitglied der Familie Grässlin anwesend. Das alles zeigt: Die Samm­ lung Grässlin ist mehr als ihre Präsentation, aber auch mehr als nur eine er­ weiterte Familienangelegenheit. Denn gesammelt wird nicht nur zum Selbstzweck für das heimische Wohnzimmer oder gar für das Lager. Die Sammler verlassen die private Sphäre und gehen mit ihrer Kunst an die Öf­ fentlichkeit. Die zeitweiligen Präsentationen in den Geschäften der Berg­ stadt, Kippenbergers Birkeninstallation in einem verglasten Vorbau der Fir­ ma Grässlin oder der lesende Frosch desselben Künstlers, der im Garten­ teich seine Runden dreht: die Bevölkerung kann an der zeitgenössischen Kunst teilhaben. Die Interventionen in den öffentlichen Raum sind beach­ tenswert. Aber ob sie in unserer Region mehr als Unverständnis ernten, sei dahin gestellt. • Ausstellung in den Deichtorhallen Dagegen genießt die Sammlung mit ihren sehr dezidierten Schwerpunk­ ten in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf. Im Abteibergmuseum Mönchengladbach und im Sammlermuseum im ZKM Karlsruhe sind um­ fangreichere Teile der Sammlung zu sehen. Für Ausstellungen werden ein­ zelne Exponate regelmäßig ausgeliehen. In der Städtischen Galerie Villin­ gen-Schwenningen wurde 1999 in der Ausstellung „Kunst und Erinnerung“ zum Beispiel die raumgreifenden Installationen von Reinhard Mucha ge­ zeigt. Die größte Anerkennung für die Sammlerfamilie war jedoch die Aus­ stellung in den Hamburger Deichtorhallen. Seit einem Jahrzehnt stellen die Deichtorhallen in loser Folge bedeutende Privatsammlungen der Gegen­ wartskunst vor. Vom März bis zum Juli 2001 gab es in der kunstgewohn­ ten Hansestadt die bisher größte Übersichts-Schau der vielschichtigen Fa­ milien-Sammlung. Wie es scheint war die renommierte Ausstellungsstätte der adäquate Ort zur Präsentation der Arbeiten aus dem Schwarzwald. Auf über 4000 qm Fläche fanden sich 160 ausgewählte Exponate von 27 Künst­ lern wieder. Zu sehen war eine wohlüberlegte Auswahl von „Klassikern“ der 222 „Sitzwuste“ Franz Wert Im Hinter­ grund: „Malerei“ von Markus Gehlen. „Reflux Lux“ von Cai Althaff.

Kunst und Künstler vergangenen zwei Jahrzehnte, die vor allem das weitsichtige, nach allen Sei­ ten hin offene Engagement der Sammler zeigte. Die Hamburger Ausstel­ lung stand unter dem Thema Yom Eindruck zum Ausdruck- Grässlin Coll­ ection“. Der Titel der Schau war einem Gemälde von Martin Kippenber­ ger entliehen, mit dem die traditionelle Vorstellung von der Entstehung des Kunstwerks ironisch ins Gegenteil verkehrt wird. Zugleich markiert dieses Bild von 1981 die Entstehungszeit des neueren Teils der Grässlin-Samm­ lung mit ihrem verdinglichten Kunstbegriff, dem die Hamburger Ausstel­ lung gewidmet war. Nad1 der arrivierten, sicheren Kunst richtete sich zu Beginn der 1980er Jah­ re das Sammlungsbedürfuis erneut auf die Kunst der unmittelbaren Gegen­ wart. Dabei sieht der Sammler-Clan in den Künstlern offensichtlich we­ sensverwandte Zeitgenossen, die als gesd1äftstüchtige Privatunternehmer ihre spezifischen, bisher noch nid1t nachgefragten Artikel auf den Markt bringen und denen es dann gleid1falls obliegt, Nachfrage anzuheizen, Pub­ likum und Abnehmer zu schaffen und Marktführerschaft zu erobern: so könnte das Verhältnis der Sammler zu ihren „Schützlingen“ charakterisiert werden. Mit dem Bedürfnis, sich mit dem Neuen auseinander zu setzen, verfolgte die Familie Grässlin auch in der zweiten Generation die Strategie, eine einzigartige Sammlung der unangepassten, den sozialen und politi­ schen Kontext reflektierenden Kunst aufzubauen, konsequent weiter. ,,Man gewinnt den Eindruck, als begreife die Familie Grässlin das Sammeln und die Kunstliebhaberei als vollwertige Parallelaktion zum Firmenbetrieb, als einen großen Komplex der Teilhaberschaft“, besd1reibt Rudolf Schmitz in seinem Katalogbeitrag das Engagement der Sammler. Unter dem Aspekt einer zusätzlichen Investition in kommunikatives Ge­ sd1ehen lässt sid1 auch die Leidensd1aft för alles in Frage stellende Gegen­ wartskunst erklären. Das ist am besten mit den Künstlern, die brandaktuell als sammelwürdig erkannt wurden, ersichtlich. Die Arbeiten von Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner oder Franz West sind zwar aud1 heute noch sperrig, aber weitestgehend anerkannt und salonfähig. Die junge Garde, die neu ins Sammelprogramm aufgenommen wurde, wie Kai Alilioff, Heimo Zobering oder Cosima von Bon in müssen sich auf dem Markt erst nod1 richtig etablieren. Sie geben mit ihren Werken ganz unan­ gepasst ohne Netz und doppelten Boden keine Lösungen vor, sie stellen provokant die Fragen, indem sie die Gesellschaftsverhältnisse au ihrer Sicht nur fragmentarisch beschreiben. Dem Betrachter bleibt die kreative Suche nach den Antworten. Stefan Simon 224 Arbeiten von MartinKip­ penberger, links im Bild das Werk ,,!nsel­ buch“. Martin Kip­ penberger und Albert Oehlen, „Capri bei Nacht“.

Kwisl und Künstler Georg Grieshaber FOTOGRAFIE, REDUZIERT AUF DAS WESENTLICHE Gr o ß e W o r te m a g d e r F o t o g r a f Ge o r g Gr i e s h a b e r e b e n s o we n i g wi e a b l e n k e n d e n Sc h n ör k e l, b u n te n Sc h n i ck s c h n a ck u n d g r e l l e F a r b e n i n s ei­ n e n A r b e i te n. Dezent, reduziert auf das Wesentliche , darauf kommt es dem gebürti­ gen Blumberger an. Den auf­ merksamen Betrachter laden die Bilder des in München le- benden Fotografen auf eine Entdeckungsreise ein. Dabei stößt er auf eine Fülle von De­ tails, die dem Bild mal einen ernsten, mal einen humorvollen Charakter verlei hen. Einige Arbeiten seien natürlich „erklärungsbedürftig“, gibt Gries haber zu. Aber er will dem Betrachter auch Freiraum für eigene In­ terpretationen lassen. 226

Georg Grieshaber ‚Jypisch für den Fotografen Georg Grieshaber ist es, die Spuren der Zivilisation in seinen Landschaftsbildern (wie hier grasende Schafe unter dem Sessellift am Feldberg) nicht auszublenden, sondern sie zu integrieren. 227

Kunst und Künstler T Georg Grieshaber liebt Fläche, Weite, Himmel und Horizont, und in erster Linie muss das Licht stimmen, wie er sagt. 228

Georg Grieshaber Georg Grieshaber hat seine Schwerpunkte in der Portrait- und Werbefotografie gesetzt. Sein Steckenpferd ist aber die Landschaftsfotografie, ,,als Ausgleich zur befohlenen Foto­ grafie“, wie er sagt. Dabei geht er spontan zu Werke, inszeniert keine Idylle, manipuliert kei­ ne Situation – allein das Licht muss stimmen, wobei Grieshaber vor allem Mittagslicht schätzt. Landschaften, monochrom, knapp und dennoch eindringlich ins Bild gesetzt, fes­ seln den Betrachter durch ihre Schlichtheit, Licht und Schatten lassen aufregende Kompo­ sitionen entstehen. Für Aufsehen sorgte beispielsweise die Ausstellung „Reise-Bilder“ im Herbst 1998 in Bri­ gachtal-Überauchen. Hier zeigte Georg Grieshaber Eindrücke, die er rund um den Erdball Die Spuren der Zivilisation sind allgegen­ wärtig: Stadt­ landschaft aus Beton. eingefangen hat, unter anderem in den USA, in Südafrika, Tschechien, Italien und dem hei­ matlichen Schwarzwald. Ebenso unterschiedlich wie die einzelnen Länder sind die dort je­ weils entstandenen Arbeiten Grieshabers. Ein imposanter Sonnenaufgang in der amerika­ nischen Wüste findet sich hier ebenso wie eine Herde grasender Schafe unter dem Sessellift amFeldberg.Of t r ü c k t d e r F o t o k ü n s t l e r b e i s e i n e n W e r k e n a l l t ä g­ l i c h e D i n g e u n d S i t u a t i o n e n i n d e n M i t t e l p u n k t u n d v e r m i t ­ t e l t d e m B e t r a c h t e r e i n e n e u e , h ä u f i g u n g e w o h n t e S i c h t w e i s e , d a b e i p f l e g t G e o r g G r i e s h a b e r g e r n s e i n e Vo r l i e b e f ü r F l ä c h e , W e i t e , H i m m e 1 u n d H o r i z o n t . Und noch etwas ist ganz typisch für ihn: Statt die Spuren der Zivilisation in seinen Landschaftsbildern auszublenden, integriert er bei­ spielsweise Hochspannungsmasten, Sesselliftträger, Talsperren oder Schilder wie selbstver­ ständlich. Solche Elemente verlieren bei Grieshaber an Störkraft, sind einfach Teil seiner Bild- 229

Kun t und Kün tler inszenierungen. Unter dem Titel „Fahrsilos“ hat der Fotograf etwa landwirtschaftliche Zweckbauten festgehalten. Diese empfinde er zwar als Fremdkörper in der Natur, dieses Ge­ fühl trete aber in seinen Bildern nicht in den Vordergrund, sagt er. Vielmehr der „architek­ tonische Reiz“ ist es, der es dem Künstler angetan hat. Heinz-Jürgen Kruppa schrieb über Georg Grieshaber im „Foto Magazin“: ,,Es ist dieser selbstverständliche Blick auf Befremd­ liches, der die Natürlichkeit der Natur nicht vollkommen verschwinden lässt.“ • ,,Der Schwarzwälder Fuchs“ Seine Liebe zur Natur und die Verbundenheit zur Familie zieht den gebürtigen Blumber­ ger,Jahrgang 1966, aus seiner Wahlheimat München immer wieder zurück auf die Baar und in den Schwarzwald, wo Georg Grieshaber gern arbeitet. Ein meisterhaftes Werk ist ihm hier mit dem Bildband „Der Schwarzwälder Fuchs“ gelungen, der 1998 zur gleichnamigen Aus­ stellung anlässlich des Rossfestes in St. Märgen erschienen ist. Beeindruckende Schwarzweiß­ Fotografien lassen „das angenehme Wesen und die robuste Gesundheit dieses genügsamen, schönen Pferdes lebendig werden“, heißt es dazu im Bucheinband. In dem ihm eigenen Stil hat Grieshaber das Gesehene auf das Wesentliche reduziert. Zwei Jahre lang setzte er sich intensiv mit dem Schwarzwälder Arbeitspferd auseinander und richtete sein fotografisches Auge mit ungewöhnlicher Nähe auf Details im Zusammenleben von Mensch und Pferd. Herausgekommen ist ein Werk, das keineswegs nur Pferdenarren in seinen Bann zieht, son­ dern in außergewöhnlichen Bildern Geschichte, Charakter und das ländliche Umfeld des Kaltblutpferdes treffend dokumentiert, frei von volkstümlichem Kitsch, stattdessen manch­ mal mit einem Augenzwinkern. Georg Grieshaber ist als Sohn des Schriftsetzermeisters Bernhard Grieshaber in Blumberg aufgewachsen, wo er auch die Realschule besuchte. Auf Praktika in Fotostudios folgte von 1987 bis 1989 die Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie in Mün­ chen. Von 1989 bis ’95 arbeitete er als Fotograf für verschiedene Zeitungen und Zeitschrif­ ten in New York. Seither ist er als freiberuflicher Werbefotograf in München tätig. Zu sei­ nen Referenzen zählen unter anderem der Süddeutsche Verlag , ,,Stern“, ,,Die Woche“, ,,El­ le“ und „Freundin“. Mit mehrseitigen Fotostrecken war er zudem beim „Foto Magazin“ und dem „New York Times Magazine“ vertreten. Birgi.t Hauptvogel 230

Georg Gricsbaher Winterimpression 231

Georg Grieshaber Mensch und Tier mussten aufgrund harter Arbeit und karger Kost genügsam sein. Das Aufeinander-An.gewiesen-Sein schuf Verbundenheit, die heute noch spürbar ist: August Walter mit Romana-Lena vom Dieselhof in St. Peter. Linke Seite Ein krqfiiges, gut gebautes Pferd ist der Schwarzwälder Fud,s. Ein neugeborenes Fohlen ist immer ein Glück auf dem Hef. 233

16. Kapitel I Almanach 2002 Gesundheit und Soziales ZehnJahre Freundeskreis Oradea/Rumänien – VS Vielfache Hilfe für die notleidende rumänische Bevölkerung geleistet Im März 2001 feierte der Freundeskreis Oradea -Villingen-Schwenningen sein 1 Ojäh­ riges Bestehen – ein Jubiläum, bei dem Mit­ glieder und Freunde auf große Erfolge in der Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Rumänien zurückblicken konnten. Insge­ samt wurden von der Organisation 36 Hilfs­ transporte nach Oradea und Umgebung ge­ bracht. Die nahe der ungarischen Grenze liegende Stadt mit ihren 300 000 Einwoh­ nern heißt mit deutschem Namen Großwar­ dein und ist Verwaltungssitz des Bezirks Bihor. Gegründet wurde der Freundeskrei von Oberstudienrat Karlheinz Eisei aus Pfaf­ fenweiler. Als Fahrer eines Hilfsfahrzeuges hatte er die blutige Revolution gegen das Re- gime des Diktators Ceausescu in Temesvar miterlebt. Durch die Bekanntschaft mit Dr. Petru Corbu, Chefarzt der Psychiatrisd1en Klinik in Oradea, lernte er die erschreckenden Zu­ stände im Gesundheitswesen kennen. Nach Deutschland zurückgekehrt, gründete er den Freundeskreis, dessen Vorsitzender seit 1995 Oberlandwirtschaftsrat a. D. Hans Rösd1 aus VS-V illingen ist. Dem neugegründeten Ver­ ein schlossen sich spontan 100 Mitglieder an und es folgten erste Hilfstransporte, die an­ fänglich von der Bundesregierung finanziell unterstützt wurden. Seit 1993 müssen sämt­ liche Hilfsleistungen durch Spenden finan­ ziert werden. Folgende Projekte werden bzw. wurden vom Freundeskreis unterstützt: Umwandlung des Kolchose-Betriebs Der Landwirtschaftsbetrieb der 8 km von Oradea entfernt liegenden deutschen Ge­ meinde Palota war jahrzehntelang mit dem­ jenigen der rumänischen Nachbargemeinde Sintandrey zusammengesdllossen, wobei die gemeinsamen Maschinen in der Maschinen­ station des rumänischen Dorfes unterge­ bracht waren. Dies führte immer wieder zu Konflikten, die durch eine Trennung der beiden Betrie­ be im Jahr 1991 beseitigt werden konnten. Die Vorstandschaft des in Palota neu gegrün­ deten Landwirtschaftsvereins „Frimont“ hoff­ te damals vergeblich, fehlende Maschinen von der Bundesregierung zu erhalten. Hier konnte der Freundeskreis helfen, und nach anfänglich großen Schwierigkeiten ist ein Musterbetrieb entstanden, der u. a. Brot und Nudeln herstellt, die der Versorgung von Kli­ niken sowie Kinder- und Altenheimen die­ nen. Freude herrscht bei den Kindern im Kinderheim Oradea, wenn Besuch kommt und Süßigkeiten ver­ teilt. Durch die bessere Betreuung und Ernährung hat sich der Hospitalismus wesentlich verringert. 234

Verbesserung der Gesundheitspflege Oradea hat sieben Universitätskliniken und fünf Spezialkliniken, deren Einrichtung bis vor kurzem noch weitestgehend aus den Vorkriegsjahren stammte. Die Patienten muss­ ten in den Betten sitzen, weil es keine Stüh­ le gab, die Kleidung der Ärzte und Schwes­ tern, Decken und Bettbezüge waren stark zerschlissen, Lumpen ähnlich. Durch Spen­ den von medizinischem Gerät, das im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen in den Kliniken der Stadt Villingen-Schwenningen und in anderen Krankenhäusern der Region ausgemustert wurde, konnte der Notstand beseitigt werden. In zahlreichen Hilfstransporten brachte der Freundeskreis über 300 Krankenbetten, auch 15 Operationstische, Ultraschallgeräte, EKG-Geräte, zwei komplette Röntgenanla­ gen, Sterilisationsgeräte, Laboreinrichtun­ gen, Kleidung für das medizinische Personal sowie Bettwäsche und anderes nach Rumä­ nien. Bei der Verteilung der Hilfsgüter er­ hielt stets diejenige Station den Vorzug, wel­ che die entsprechenden Räume in Eigenin­ itiative herrichtete. Hilfe für elternlose Kinder Schon seit Anfang der neunziger Jahre in­ formieren Presse und Fernsehen über die trostlosen Zustände in den rumänischen Kinderheimen. Als ein deutscher Reporter während der Anwesenheit von Vertretern des Freundeskreises über das Kinderheim „Centrul de Plasament Nr. l“ in Oradea mit seinen 480 Waisenkindern berichtete, wurde er des Landes verwiesen. Seitdem betreut der Verein dieses Heim und versorgt es drei­ mal jährlich mit Grundnahrungsmitteln, Pflege- und Reinigungsmitteln sowie Klei­ dung und Einrichtungsgegenständen. Dank der kontinuierlichen Unterstützung in einer Höhe von jährlich ca. 15 000 DM (seit 1993 rund 100 000 DM) haben sich die materiel­ le Situation und auch die pädagogische Be­ treuung sehr gebessert. Freunde kreis Oradea VS Ein möglichst schnelles Abladen der LKWs ist not­ wendig, da die Fahrzeuge wieder termingerecht ztt Hause sein müssen. Die Hilfe der Soldaten ist da­ für die beste Gewähr. Unterstützt werden auch die 80 „namenlo­ sen Kinder“, die bis vor vier Jahren nur not­ dürftig versorgt und sich selbst überlassen im Dachgeschoß der Kinderklinik Oradea dahinvegetierten. Durch den Freundeskreis wurde für diese Kinder eine Schwester ange­ stellt und sie werden auch von sechs aus dem Kinderheim „Centrul de Plasament Nr.1″ entlassenen Mädchen versorgt. Seit zwei Jahren wird noch weiteren 80 von den Eltern verlassenen Kinder des Krankenhau­ ses „Distrofici“ in Temesvar vom Freundes­ kreis geholfen. Aufbau von Altenheimen Altenheime waren bis vor wenigen Jahren in Rumänien noch unbekannt, bei minima­ len Renten von teilweise unter 30 DM leb­ ten viele alte Menschen in Notunterkünf­ ten. Das erste Altenheim in Oradea mit 60 Plätzen wurde von der Caritas erstellt und vom Freundeskreis stark unterstützt. Weiter­ hin half der Verein Dr. Mija und dessen Ärz­ teteam bei der Errichtung eines Altenheimes für 100 Personen in Sacele bei Brasov mit der Lieferung von Einrichtungsgegenstän­ den aus Kliniken des Schwarzwald-Baar­ Kreises sowie der Überbringung von Geld­ spenden. 235

Freuudeskrci Oradea VS Hilfe für Schulen und Universität Die Inneneinrichtungen der rumänischen Schulen sind völlig verbraucht und erneue­ rungsbedürftig. Der Freundeskreis bemüht sich, möglichst viele ausgemusterte Schul­ möbel aus unserem Landkreis zu retten und durch eine rumänische Spedition nach Ora­ dea bringen zu lassen. Ein großes Problem sind die hohen Transportkosten, aber erfreu­ licherweise haben hier bisher die Stadtver­ waltung V illingen-Schwenningen und der Schwarzwald-Baar-Kreis im Rahmen der ,,Müllvermeidung“ geholfen. Auch die Universität Oradea mit ihren 16 000 Studenten konnte mit Einrichtungs­ gegenständen, technischem Gerät sowie Klei­ dung für bedürftige Studenten unterstützt werden. Der Freundeskreis war auch mit Unterstützung der Landesregierung Baden­ Württemberg an der Vermittlung erster Kon­ takte zur Fachhochschule Furtwangen betei­ ligt. Rumänischen Studenten soll hier ein be­ grenzter Studienaufentl1alt ermöglicht wer­ den. Die Feuerwehr im Bezirk Bihor Die militärisch organisierte Feuerwehr in Oradea hilft dem Freundeskreis schon seit mehreren Jahren tatkräftig beim Abladen und Verteilen von Hilfsgütern. Für diese Un­ terstützung erhält sie Hilfsgüter für die Ein­ richtung iJ,rer neu aufgebauten Stützpunk­ te. Hilfe des Freundeskreises finden noch wei­ tere Institutionen und sozialen Einrichtun­ gen: Die von Caritas und der Stadt Oradea unterhaltenen Armenküchen; der Verein der Behinderten im Bezirk Bihor mit seinen rund 3 000 Mitgliedern; mehrere Klöster; ei­ ne Begegnungsstätte für die im Land verblie­ benen Deutschen, deren Aktivitäten sich sehr segensreich auf das Zusammenleben der Menschen verschiedener Nationalität auswirken. Auch einige besonders arme Kar­ patendörfer werden unterstützt. Die Arbeit des Freundeskreises Oradea – 236 Der neue Stützpunkt der Feuerwehr in Tinka, Ru­ mänien ist fertig. Erwurdevon den Soldaten in Ei­ genarbeit erstellt. Das gesamte Mobiliar, einschließ­ lich der Vorhänge lieferte der Freundeskreis. Villingen-Schwenningen wäre nicht mög­ lich ohne die Hilfsbereitschaft vieler Men­ schen, die ehrenamtlich Kraft, Zeit und Geld für die gute Sache opfern. Für die Or­ ganisatoren ist es oft beeindruckend, wie un­ bekannte Menschen spontan zur Mithilfe bereit sind, wie sie Ideen entwickeln, um Spenden aufzubringen. Wenn es im Laufe der letzten zehn Jahre auch nicht möglich war, alle Probleme zu lösen, so haben die Hilfsaktionen mit den vielen menschlichen Begegnungen doch dazu beigetragen, dass die rumänische Bevölkerung den Glauben an eine bessere Zukunft in einem vereinten Europa noch nicht verloren hat. Hans Rösch Wer den Freundeskreis finanziell unterstüt­ zen möchte, kann eine Spende auf eines der folgenden Konten überweisen (Spendenbe­ scheinigungen werden gerne ausgestellt): Villinger Volksbank KontoNr. 2999900, BLZ 69490000 Sparkasse Villingen-Schwenningen KontoNr. 59099, BLZ 69450065

Altenpflegeheim Hüfingen mit neuem Konzept Sieben Jahre lang wurde geplant und umgestaltet Gesundheit und Soziales Das Fürstlich Fürstenbergische Altenpfle­ geheim in Hüfingen hat eine grundlegende Sanierung hinter sich: Sieben Jahre lang wurde in dem einstigen „Oberen Schloss“ von Hüfingen geplant, gearbeitet und um­ gestaltet. Nach Abschluss der Sanierung im vergangenen Jahr präsentiert sich das Pfle­ geheim mit der langen Tradition heute in ei­ nem neuen Gewand. Den baulichen Verän­ derungen folgte ein modernes Pflegekon­ zept und die Entwicklung eines zeitgemä­ ßen Leitbilds für die Pflegeeinrichtung, die als Spital und Pflegeheim auf eine mehr als 130-jährige Geschichte zurückblickt. Der Ententeich, die Mariengrotte, ein Pa­ villon und ein „Streichelzoo“ mit Vogelvo­ liere geben dem Garten hinter dem Fürstlich Fürstenbergischen Altenpflegeheim in Hü­ fingen sein unverwechselbares Gesicht. Der einstige vierteilige Barockgarten ist im Zuge der mehrjährigen Sanierungsarbeiten wieder zurückgekehrt. Die Parkanlage prägt nicht nur die Umgebung des ehemaligen „Oberen Schlosses“ von Hüfingen, sie ist auch Teil des neuen Pflegekonzeptes, das sich das FF Altenpflegeheim in Form eines neuen Leit­ bilds selbst verordnet hat. Am Nachmittag herrscht richtig Leben in diesem Garten. Nach der Mittagspause kommen die Heimbewohner aus dem Haus, sind in Gruppen oder einzeln unterwegs, manche in Rollstühlen und in Begleitung, andere, die noch rüstig genug sind, nehmen den Garten als Spaziergänger gemächlich „in Besitz“, genießen die Blumenbeete oder füttern Ziegen oder Enten. Nach einer grundlegenden Sanierung des Hauses, die sieben] ahre in Anspruch nahm, und alles in allem gut zehn Millionen Mark gekostet hat, nach Umbauten und Moderni­ sierungen, präsentiert sich das Hüfinger Al­ tenpflegeheim in zeitgemäßem Gewand oh­ ne freilich die mehrere Jahrhunderte alte Tradition eines herrschaftlichen Schlosses zu verleugnen: Modeme Pflegeeinrichtun­ gen stellen ganz eigene Anforderungen an Seniorinnen beim Basteln sprich „Aktivieren „. 237

Gesundheit und Soziale Das Altenpflegeheim in Hiifingen beherbergt 115 Seniorinnen und Senioren. die Unterbringung ihrer Bewohner. Zimmer mit drei oder mehr Betten sind ver chwun­ den. In den gut 50 Zimmern leben die Be­ wohner allein oder zu zweit. Bäder wurden so angeordnet, dass sie von zwei Seiten zu­ gänglich sind und von den jeweils angren­ zenden Bewohnern genutzt werden kön­ nen. Die Räume wurden rollstuhlgered1t umge­ baut, vollautomatische Eingangstüren und ein Personenaufzug erleichtern Bewohnern und Pflegepersonal das tägliche Leben. Die Küchenräume wurden modernisiert, helle Flure mit großen Fenstern und Sitzecken wurden geschaffen, „sid1 Wohlfühlen“ steht ganz oben. 115 Bewohner leben zur Zeit im Hüfinger Altenpflegeheim. Der Schwerpunkt liegt, ein Zug der Zeit, auf dem Begriff „Pflegebe­ dürftigkeit“. Dem einstigen „Altenheim“ sind nur noch rund 15 Bewohner zuzuord­ nen, erklärt Heimleiter Alois Schnabel die 238 Strukturveränderungen des Heimes. Dies lasse sid1 auch schon daran ablesen, dass die Bewohner früher von weither kamen, wäh­ rend heute die meisten aus dem Schwarz­ wald-Baar-Kreis stammen. 25 Prozent der Hausgäste sind aus Hüfingen, 30 Prozent aus Donauesd1ingen, einige auch aus Freiburg. KJare Konturen geschaffen „Wir haben klare Konturen bei der Einrich­ tung geschaffen“, blickt Alois Schnabel auf die langjährige Umbau- und Sanierungspha­ se zurück, ,,das Ziel war eine neue Struktur des Hauses, das der heutigen Zeit angepasst werden musste.“ Schnabel räumt ein, dass die Umsetzung schwierig war und die Pfle­ gekräfte vor erhebliche Probleme stellte, ,,es war nid1t ganz einfad1, alte Gewohnheiten aufzubrechen.“ Wie heute vielfach üblich, sind auch in Hüfingen zwei Schichten im Einsatz: Von 6.30 Uhr bis 13 Uhr die erste

Schicht, von 13 Uhr bis 20 Uhr die zweite, dann übernimmt die Nachtwache den Dienst. Helga Walz ist Pflegedienstleiterin (PDL) im Hüfinger Heim. Sie kennt das Haus seit 1993, trägt seit 1996 Verantwortung für den Einsatz von rund 50 Pflegekräften und für das Wohlergehen der 115 Heimbewohner. ,,In den letzten Jahren haben sich große Ver­ änderungen in der Pflege ergeben“, schil­ dert Helga Walz. So hat beispielsweise die Zahl der an Altersdemenz erkrankten Men­ schen deutlich zugenommen: Das Pflege­ heim reagiert darauf und will im Schlossan­ bau eine eigene Demenzabteilung mit bis zu 20 Plätzen schaffen. Auch das Konzept der ,,Bereichspflege“ werde in Hüfingen syste­ matisch umgesetzt, ,,das ist eine sehr indivi­ duelle Pflege, die nicht nach Schema Farbei­ tet“, sagt die Pflegedienstleiterin. ,,Satt und sauber allein reicht nicht, wir versuchen, da­ rauf einzugehen, was die Bewohner brau­ chen.“ Wichtigstes Ergebnis aus der Sicht der Pfle­ ge ist das neue „Leitbild“, das nach einjähri­ ger Arbeit und in zusätzlichen Diskussionen mit den Mitarbeitern, dem Pflegedienst und der Heimleitung erstellt und in Schriftform ,,gegossen“ wurde. Helga Walz freut sich darüber, dass viele junge Kräfte aus den Altenpflegeschulen Donaueschingen, Geisingen und Friedenwei­ ler neu hinzugekommen sind und ihre Kennt­ nisse einbringen. Nahezu die Hälfte des Personals hat eine dreijährige Ausbildung hinter sich und ein Examen in der Ta­ sche: ,,Professionelle Pflege hat Einzug gehalten, Beschäftigung und Aktivierung der alten Menschen sind wichtig.“ Ute Schmidt und Regina Toleikis kümmern sich in regelmäßigen Stunden um diesen Arbeitsbe- Gymnastik mit dem Lufiballon. Pflegeheim Hüfingen reich. So können die Bewohner auch einmal selber etwas kochen oder im Garten mithel­ fen, sich an einem der individuellen Pro­ gramme beteiligen, sei es beim Besuch der FF-Sammlungen in Donaueschingen oder im Hüfinger Museum, sei es bei Ausflügen oder beim gemeinsamen Kegeln. ,,Unsere Pflegerinnen machen sich Gedan­ ken über die beste Pflege, das ist eine Berei­ cherung für das Hüfinger Heim“, lobt Hel­ ga Walz ihre Mitarbeiterinnen, ,,ich ermuti­ ge die Leute, dass sie eigene Ideen einbrin­ gen“. Es klingt selbstbewusst, wenn Helga Walz unterstreicht, dass das Hüfinger Pflege­ heim es geschafft habe, sich zu renommie­ ren. Es stehe anderen Heimen in nichts nach und müsse den Vergleich nicht scheuen. Heimleiter Alois Schnabel, der vor zwölf Jahren seinen Dienst in Hüfingen antrat, zeigt sich inzwischen vom Erfolg überzeugt: Mit der Aufgabenstellung und dem klaren Ziel, ,,das Haus zu sanieren, neue Strukturen und eine Bündelung der Aufgaben zu errei­ chen“, sei man gut voran gekommen. Aber auch die millionenschwere Modernisierung konnte finanziell gemeistert werden, ist Schnabel zufrieden. ,,Beim Baubeginn 1993 war schon absehbar, dass die veranschlagten 6,5 Millionen Mark nicht reichen werden.“ Inzwischen scheint der Umbau geschultert, wenngleich am Ende eine deutliche Erhö­ hung der Kosten stand. Mit dem neuen Stif- 239

Gesundheit und Soziales nn uu Zu einem Schmuckstück des Hüfinger Altenheimes ist die Kapelle geworden, die es seit dem Jahr 1940 gibt. tungsrat sieht sich Schnabel einig. ,,Wir ha­ ben in den letzten acht Jahren unser ge etz­ tes Ziel erreicht, jetzt gilt es, das Geschaffe­ ne zu erhalten.“ Heimleiter Schnabel sieht, nachdem nun die Bauarbeiten im Wesentlichen beendet sind, die Formulierung des Leitbildes „als letzte wichtige Aufgabe“ an. Bereits im Jahr 2000 wurden daher „Workshops“ aus Mitar­ beitern und Heimverwaltung gegründet. ,,Eine solche Arbeit muss auf den Mitarbei­ tern fußen“, sagtAlois Schnabel, diese müssten das Pflegekonzept schließlich mittragen, weil es sonst nur auf dem Papier stehe und nicht umgesetzt werde. Im Mittelpunkt stünden die Heimbewohner. Diese sollen sich „wie Zuhause fühlen, sie sollen das Ge­ fühl der Geborgenheit haben und ihr Selbst­ wertgefühl steigern“, formuliert Schnabel das Ziel, ,,hier bin ich Mensch und werde re­ spektiert“, stehe als Leitlinie über allem. Für die Mitarbeiter stehe daher nicht nur die Fort- und Weiterbildung ganz oben auf der Liste, sondern auch ein Pflegekonzept, 240 „das auf der aktuellen ganzheitlichen Sicht des Menschen beruht.“ Aus der Geschichte des Hauses Die Kapelle ist zu einem Schmuckstück ge­ worden: Alois Schnabel, seit 1989 Heimlei­ ter im Hüfinger FF-Altenpflegeheim, freut sich über die gelungene Sanierung des Hau­ ses mit der wechselvollen Geschichte. Die Kapelle zum Beispiel gibt es erst seit 1940. ,,Früher war das ein Pferdestall“, erklärt Schna­ bel, ,,wir haben die alten Figuren vom Spei­ cher geholt und wieder auf die Sockel ge­ stellt.“ Die Deckengemälde wurden vom Schmutz der Jahrzehnte befreit und von Klaus Sigwart restauriert. Die alten Lampen kamen wieder zu Ehren, die Sitzbänke wur­ den weiß gestrichen, dadurch hat der Raum ein freundliches Gesicht bekommen. Für zwölfRollstühle wurde im vorderen Teil der Kapelle Platz geschaffen. Die Geschichte des Hauses begann eigent­ lich im Jahr 1523 mit einer Erbteilung: ,,Hans vom Sehellenberg dem Älteren“ wur­ de als Familien-Erbe das Hüfinger Tor und ein daneben stehendes Haus überlassen. Als der wahre Herr Hüfingens durfte sich aber

dessen Bruder Burkhard IV. fühlen: Dieser erbte das Schloss in der Hinterstadt, von dem freilich heute nichts mehr übrig ist, nachdem 1712 die letzten Mauerreste abge­ rissen wurden. Hans vom Sehellenberg grämte sich über das ihm zugedachte geringe Erbe und legte 1525 am Hüfinger Tor den Grundstein für sein eigenes Schloss. Es hat bis heute als FF­ Altenpflegeheim überlebt. Am 20. März 1620 verkauften die Schellenberger ihren ganzen Besitz an das Haus Fürstenberg. Während der Dreißigjährige Krieg seinen blutigen Anfang nahm, wurde Hüfingen Re­ sidenzstadt der Fürstenberger. Das teilweise marode Schloss wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals umgebaut. Die heutige Gestalt mit den beiden seitli­ chen Treppentürmen und dem dazwischen liegenden Langbau stammt aber aus dem Jahr 1712, als Graf Froben Ferdinand von Fürstenberg das Obere Schloss abbrechen und wieder neu aufbauen ließ. Das Pflegeheim Hüfingen und das 1772 von Fürst Josef Wenzel gegründete „Landes­ spital“ Geisingen stehen in enger Verbin­ dung. Nach der Mediatisierung zu Beginn des 19.Jahrhunderts übernahm die Fürsten­ bergische Mildenstiftungs-Kommission das Geisinger Spital. Fürst Karl Egon III. verleg­ te es nach Hüfingen, indem er der Milden- Pflegeheim Hüfmgen stiftungs-Kommission das Hüfinger Schloss schenkte, um darin das Spital einzurichten: Die notarielle Urkunde wurde am 13. Au­ gust 1865 unterzeichnet, die Übergabe des Gebäudes erfolgte 1868 mit der Auflage, auch ein Waisenhaus in das Spital aufzuneh­ men. Die Umbauten wurden rasch in die Wege geleitet: Das Spital musste 1870 einge­ richtet sein, andernfalls, so war es in der Ur­ kunde festgehalten, verfiele die Schenkung. Damit war die Bahn für die heutige Nut­ zung als Altenpflegeheim geebnet, die wech­ selvolle Geschichte als Verwaltungssitz, Bier­ kneipe oder Museum für Natur und Kunst war abgeschlossen: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das Schloss noch vie­ le unterschiedliche Funktionen und sogar der Hüfinger Bildhauer Franz Xaver Reich durfte die Räume als Atelier nutzen. Hier schuf er die Sandsteingruppe „Die Donau­ quelle“. Bald nach der Umwidmung als Spital wur­ de auch der Nordflügel dem Hauptgebäude zugeschlagen: Der Flügel, der sich bis zur heutigen Festhalle erstreckt, war das einstige Ökonomiegebäude des Schlosses. Hier wa­ ren Wirtschaftsräume, Küche und Wohnun­ gen untergebracht. Ein Bäcker und ein Schneider fanden Platz, Werkstätten waren eingerichtet, ein Kesselhaus mit hohem Schornstein prägte das Bild. Bis 1982 arbei- Freundlich, hell und modern: das Altenpflegeheim in Hüfingen. 241

Pncgeh im Hüfingen tete sogar ein Schuhmacher in diesem Haus. Dann brannte der Nordflügel fast bis auf die Grundmauern nieder, der hochwertige Dachstuhl verbrannte vollständig. Das Ge­ bäude wurde wieder aufgebaut und beher­ bergt seither die W irtschaftsräume des Pfle­ geheims und die Verwaltung. Sieben Jahre Sanierung und Umbau Was lange währt, wird endlich gut. Sieben Jahre lang gingen im Hüfinger FF-AJtenpfle­ geheim Handwerker, Architekten, Denkmal­ schützer und Bausachverständige ein und aus. Gut zehn Millionen Mark wurden aus­ gegeben, im Jahr 2000 fand in dem traditi­ onsreichen Pflegeheim ein langwieriges Ka­ pitel seinen Abschluss: Das Gebäude ist von Grund auf saniert, Hüfingens städtebauliche „Schokoladensei­ te“ ist wunderschön herausgeputzt, für die 115 Bewohner des Heims kehrt die Norma­ lität zurück. Die letzte größere Aktion war der Einbau eines Hauptaufzugs in das ehemalige Obere Schloss von 1525. Das Gebäude mit dem charakteristischen Eingangstor zur Hüfinger Innenstadt hat seine historische äußere Ge­ stalt behalten, sich aber dennoch in ein mo­ dernes Altenpflegeheim verwandelt. 115 Bewohner und rund 50 Pflegekräfte sind unter diesem Dach beherbergt, die Räu­ me wurden komplett umgestaltet. Seither gibt es im Hüfinger AJtenpflegeheim nur noch Ein- und Zweibettzimmer, ,,Massen­ quartiere“ mit drei oder mehr Betten gehö­ ren der Vergangenheit an. Bäder und Sani­ tärräume wurden auf den neuesten Stand gebracht, auf den Fluren wurden gemütliche Sitzecken geschaffen, Wohnküchen eröff­ nen den Senioren neue Möglichkeiten, ge­ meinsam mit anderen etwas zu unterneh­ men. Der Hüfinger Architekt Emil Schafbuch, der über Jahre hinweg Planung und Bauaus­ führung mit allen größeren und kleineren Schwierigkeiten meisterte, hat die Sanie­ rungsarbeiten mit Gespür und Fingerspit- 242 zengefühl betreut. Er zeigt sich überzeugt, dass der Umbau „dieses städtebaulich expo­ nierten Gebäudes gelungen ist.“ Der Cha­ rakter des einstigen Schlosses wurde beibe­ halten, ,,das ist kein nackter kalter Bau mit einer gedrückten Atmosphäre“, findet der Architekt und verweist auf die hohen Fens­ ter, die das Gebäude gliedern und dahinter helle Nischen schaffen. „Der Umbau war schwierig“, schildert Schafbuch: Das Hüfinger Pflegeheim „ist ein hochwertiges Baudenkmal, so dass jegli­ che Änderungen nur in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Freiburg mög­ lich waren.“ An erster Stelle standen die sehr wertvollen Stuckdecken. Anders als in alten Kirchen ist aber nicht etwa die Bemalung der Decke das Wertvolle: ,,Hier war der Stuckateur der eigentliche Künstler, der pla­ stisch geformte Bilder geschaffen hat.“ Kom­ pliziert wird das Ganze noch dadurch, dass die Stuckdecken im ersten Obergeschoss an teilweise acht Meter langen tragenden De­ ckenbalken aufgehängt sind. Jede Erschütte­ rung hätte also das Ende der wertvollen De­ cken bedeuten können. Daher wurden die darüber liegenden Räume besonders ge­ kennzeichnet, damit die Handwerker „den großen Hammer“ gar nicht erst auspackten, ,,denn ein solches Risiko ist fast nicht abzu­ sichern“, weiß der Architekt. In den Plänen wurden alte Fenster in Stein­ rahmen dokumentiert. ,,Es wurde sehr ge­ wissenhaft gearbeitet, es hat keine Schäden gegeben. Ein weiterer Schwerpunkt war die Sanierung des barocken Treppenhauses mit seinen Mauerbögen. Auf der Treppe wurden Eichenstufen, die unter der Last der Jahr­ hunderte gelitten hatten, erneuert. Die teil­ weise mehrfach übereinander verlegten Bö­ den wurden stufenfrei und behindertenge­ red1t umgestaltet. Und schließlich waren auch die Arbeiten an der Außenfassade und dem Dach nicht ganz einfach. Manfred Beathalter

,,Impulse ’99 – Es tut sich was!“ Eine Beschreibung der sozialen Lage in Tuningen Gesundheit und Soziales „Innerhalb der Gemeinschaft der Bürger und Bürgerinnen herrscht eine besondere Atmosphäre der Toleranz, Solidarität und Fürsorge. Die nachbarschaftlichen Bezie­ hungen sind neu belebt, es wird sich gegen­ seitig geholfen und dies hat das Leben wie­ der persönlicher und wohnlicher gemacht. Die Bürger engagieren sich in allen Belan­ gen, sie gestalten aktiv selbst mit, statt sich verwalten und betreuen zu lassen. ,,Man kennt sich wieder.“ Diese V ision einer Bürgergesellschaft in Tuningen war die Motivation und Aus­ gangslage für das Projekt „Impulse ’99 – Es tut sich was“. Ein hoch gestecktes Ziel, von dem wir noch ein gutes Stück entfernt sind – nicht nur in Tuningen. Seit der Schaffung einer Stelle für kommu­ nale Sozialarbeit haben die sozialen T he­ men in Tuningen eine größere Bedeutung erhalten. Während in der Vergangenheit mit sozialen Belangen nur sporadisch und prob­ lemorientiert gearbeitet wurde, stand nun erstmals ein ganzheitliches Konzept für So­ ziales in Tuningen zur Diskussion. Wie soll das Leben in Tuningen aussehen? Wie um­ fassend soll die soziale Versorgung sein? Wo sind Probleme, die wir als Dorfgemeinschaft zu lösen haben ? Mit diesen Fragen und der oben genann­ ten V ision wurde Ende des Jahres 1998 ein Team von Fachleuten vor Ort gebildet, die dazu ganz konkret angesprochen wurden, ob sie Interesse hätten sich an der Aktion „Impulse‘ 99″ und ihrer Durchführung zu beteiligen. So bildete sich ein Team, bestehend aus kommunalem Sozialarbeiter, Bürgermeister, Gemeinderäten und in Tuningen wohnhaf­ ten Sozialpädagogen. Um innerhalb der Dorfgemeinschaft wie­ der etwas näher „zusammen zu rücken“ müssen wir wieder mehr über die Lebensla­ gen unserer Mitbürger/Mitbürgerinnen wis­ sen. Ausgangsüberlegung Zu einem nachbarschaftlichen und mensch­ lichen Zusammenleben gehört es, zu wissen, wie es meinem Mitbürger/meiner Mitbürge­ rin geht, welche Zukunftsängste junge Er­ wachsene haben, wie kinderreiche Familien leben, wo die Probleme und Sorgen gering verdienender Personen liegen und wie sich unsere ausländischen Mitbürgern fühlen. Auf all diese Fragen können wir aber keine zuverlässigen Aussagen machen. Wir wissen es nicht mehr. Die Sozialwissenschaft be­ schreibt diesen Zustand mit einer zuneh­ menden Ausgrenzung und Polarisierung. Zum Beispiel sind Arbeitslose und Arme von bestimmten gesellschaftlichen Lebens­ bereichen ausgeschlossen oder Zugezogene haben ähnliche Probleme und leben damit isoliert in Neubaugebieten zusammen. Das Wissen über Lebenswelten, Lebensräu­ me, die sie prägenden Strukturen, Milieus, Wohnformen, Wohlbefinden, Spannungen und Konflikte ist unangemessen. Dabei ist diese Analyse und Planung gesetzlich eigent­ lich vorgeschrieben (GG, BauGB, KJHG). Wie können wir uns dieses Wissen wieder aneignen? Die Sozialwissenschaft hat bereits früher einmal untersucht, welche „Indikatoren“ die soziale Lage am Besten beschreiben. Diese sozialen Indikatoren sollen Basisinformatio­ nen über die Sozialstruktur, soziale Lebens­ und Problemlagen, sozialräumliche Ent­ wicklungen und Veränderungsprozesse lie­ fern. So entschlossen wir uns eine große Fra­ gebogenaktion durchzuführen, um diese In­ formationen repräsentativ zu erhalten. 243

Gesundheit und Soziales Ein Konzept, das diese Anforderungen op­ timal erfüllt, existiert jedoch (noch) nicht. Der Ansatz, der uns am ehesten geeignet er­ scheint, wichtige Informationen zu beschrei­ ben, war das Konzept der „sozialen Lage“ von Hradil. Verkürzt und auf unsere Erfor­ dernisse angepasst, wurden danach vier zent­ rale Dimensionen moderner Lebensbedin­ gungen berücksichtigt: Die ökonomische Lage, die wohlfahrtsstaatliche Absicherung, die soziale Teilhabe und die subjektive Ein­ schätzung. W ie lief das Projekt ab ? Unsere Planungen sahen als erste Phase ei­ ne ausführliche Befragung vor. Sie sollte uns Informationen über die soziale Lage in Tu­ ningen liefern und damit eine geeignete Dis­ kussionsgrundlage schaffen. Dadurch fest­ gestellte Problemlagen und Versorgungslü­ cken sollten benannt werden, um Impulse für Bürgerengagement zu setzen. In dieser zweiten Phase sollten dann konkrete Bürger­ aktivitäten entstehen; wie z.B. ein Aktions­ programm von Tuningern zur Integration von Neubürgern oder die Gründung eines Gewerbevereines, einer Umweltgruppe oder einer Arbeitsloseninitiative. Dieses gesamte Projekt erhielt dann den Namen „Impulse‘ 99 – Es tut sich was!“ En­ de März 1999 begannen wir mit einer um­ fassenden Öffentlichkeitsarbeit, in der wir Werbung für unser Projekt machten und zur Beteiligung an der Umfrageaktion aufriefen. Danach verteilten wir ca. 2 000 Fragebögen an alle Bürgerinnen und Bürger ab dem 14. Lebensjahr und bis zum Ende der Abgabe­ frist bekamen wir 782 Fragebögen zurück. Dies entspricht einem Anteil von ca. 390/o. Der anonyme Fragebogen bestand aus sie­ ben verschiedenen T hemengebieten. Zuerst wurden persönliche Angaben zu Geschlecht, Alter und Nationalität abgefragt. Dabei wa­ ren die Angaben so gehalten, dass keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Person möglich sind. Unter Punkt zwei wurde nach Bildung und Arbeit gefragt. Hier war die 244 momentane T ätigkeit und der Bildungsab­ schluss anzugeben. Der Lebensbereich Gesundheit war mit zwei kurzen Fragen zu beantworten. In Punkt vier, Ökologie, wollten wir die Meinung zum öffentlichen Personennah­ verkehr und zu regenerativen Energien er­ fahren. Der Abschnitt Soziales sollte Raum geben, die eigene Meinung offen und anonym zu sagen. Unter dem Stichwort Zufriedenheit fragten wir nach dem subjektiven Befinden und persönlichen Sorgen. Im letzten Teil zur Sozialen Lage im Haushalt war für jeden Haushalt die Frage nach Kindern, Einkom­ men und Wohnverhältnissen. Die Kosten für das Projekt, das aus dem Gemeindehaushalt bezahlt wurde, belaufen sich letztendlich auf ca. 1500 DM. Dank ei­ nem Zuschuss aus dem Sozialministerium von 1 000 DM konnten die Kosten sehr mi­ nimal gehalten werden. Desweiteren wurde uns zum Versand und zur Auswertung der Umfrage ein arbeitsloser Jugendlicher über eine �alifizierungsmaßnahme des Arbeits­ amtes zur Verfügung gestellt. Was sind nun die Ergebnisse ? Dem Vorbereitungsteam war es sehr wich­ tig, durch die große Befragung keine uner­ füllbaren Illusionen zu wecken. Es sollte kei­ ne Wunschliste entstehen, die die Gemein­ de dann abzuarbeiten hat. Aus dem anfäng­ lichen „Es tut sich was“, sollte ein „Wir tun etwas“ werden, d. h. im Rahmen des Bürger­ schaftlichen Engagements sollten die Bür­ ger/Bürgerinnen selbst die Verantwortung für ihre Notlagen und Bedürfnisse überneh­ men. Sehr erfreulich und durchaus überraschend war die große Beteiligung an der Umfrage. Mit kapp 40 0/o lagen wir sehr weit über der ,,gewöhnlichen“ Beteiligung von ca. 15 0/o. Sehr bedenklich dagegen stimmt die Tatsa­ che, dass von 771 Beteiligten nur 21 auslän­ dische Mitbürger waren. Und dies obwohl wir die Fragebögen in die jeweilige Mutter-

sprache übersetzt haben und die in Tunin­ gen lebenden Ausländer bereits in der zwei­ ten und dritten Generation hier sind, sprach­ liche Barrieren kaum bestehen und es sich somit um eine andere Problematik handelt als bei Flüchtlingen oder Asylbewerbern. Somit sind wir gleich beim ersten Bedarfs­ punkt „Integration“ angelangt. Diese The­ matik bedarf einer umfassenden Diskussion und viele Fragen müssen geklärt werden. Ob sich daraus ein gesellschaftliches Ziel hin zu einem engeren Zusammenleben und Aus­ tausch entwickelt oder ob von allen Seiten eine gewisse Abgrenzung gewünscht wird, sollte vorerst offen bleiben. Wir denken al­ lerdings, dass diesem Thema gewisse Auf­ merksamkeit gehört und hoffen darauf, dass verschiedene Institutionen diesen Impuls aufnehmen und intern oder gemeinsam und übergreifend weiter diskutieren. Positiv zu erwähnen ist die hohe Zufrie­ denheit der Bürger/Bürgerinnen mit der in­ frastrukturellen Versorgung. Sowohl die ver­ kehrstechnische Anbindung als auch die Versorgung mit Geschäften, sozialen Ein­ richtungen und Vereinen ist nahezu ideal und wird in dieser Form sehr wertgeschätzt. Auf die Frage nach dem in Tuningen Vermissten, kam deshalb neben einem Schwimmbad und sonstigen jugendgerechten Freizeit­ möglichkeiten auch Antworten wie Gemein­ schaft, Solidarität, Soziales, Gerechtigkeit, Tuninger Identität und Charakter, Integrati­ on von Minderheiten. Der konkrete Wunsch der älteren Bürgerschaft nach mehr Radwe­ gen, gleich mit konkreten Routenvorschlä­ gen, könnte z.B. unmittelbar aufgegriffen werden. So könnte sich aus den Interessier­ ten heraus eine Arbeitsgruppe bilden, die dem Gemeinderat dann Vorschläge und Pla­ nungen unterbreitet. Einen interessanten und bemerkenswerten Beitrag bot das Thema Ehrenamt. Von den 771 beteiligten Personen gaben zumindest 197 an, dass sie in Tuningen ehrenamtlich engagiert sind. 507 Personen (66 %) enga­ gierten sich demnach nicht und 65 machten keine Angaben. Bei der Frage nach der Be- Impulse ’99 – Es tut sieb was! reitschaft, sich zusätzlich oder überhaupt für 1- 2 Stunden pro Woche zu engagieren, zeig­ ten 172 Personen (22 %) ein Interesse am Engagement. Wenn es uns gelingen könnte, diese 172 Personen zu aktivieren, wäre es ein großer Gewinn für unser Gemeinwesen. Dieser Impuls aus der Umfrage sollte auf­ gegriffen und an verschiedenen Stellen dis­ kutieren werden. Ein spannendes und zu­ kunftsfähiges Thema. Ein weiteres Thema, das sich aus der Um­ frage ergab, ist die finanzielle Notlage eini­ ger Familien und Einzelpersonen. Auch wenn wir auf kommunaler Ebene daran wenig ver­ ändern können, scheint es eine stetige Auf­ gabe zu sein, immer wieder auf das Thema Armut hinzuweisen. Die Zahl derer, die ih­ re Alltagsausgaben und den in Deutschland normalen Lebensstandard nur noch schwer finanzieren können, nimmt zu. Diese vorsichtige Formulierung sollte ge­ nügen, um auch in Zukunft an soziale Staf­ felungen von Beiträgen, Gebühren u. a. zu denken und einzuführen. Thema: Arbeitslosigkeit. Aus der Umfrage geht eindeutig hervor, dass es in Tuningen hauptsächlich an Teilzeitarbeitsplätzen für Frauen mangelt. Vielleicht bedarf es auch hier einer eingehenden Diskussion, wie und wo solche Arbeitsplätze zu schaffen sind. Sollten in Zukunft Arbeitsplätze in Tunin­ gen entstehen, so ist darauf zu achten, dass dort eben diese flexiblen Teilzeitarbeitsplät­ ze geschaffen werden. Als letztes Thema sollte noch auf die Situa­ tion von jüngeren Behinderten aufmerksam gemacht werden. Die Gemeinde, und damit meinen wir nicht nur die politische Vertre­ tung, sollte sich einmal Gedanken machen, ob es nicht sinnvoll wäre, für unsere zahlrei­ chen jüngeren behinderten Mitbürger/Mit­ bürgerinnen, eine Wohnmöglichkeit anzu­ bieten. In der Zusammenarbeit mit Trägem in der Behindertenhilfe könnte z.B. eine Außenwohngruppe in Tuningen entstehen. Wolfgang Hauser 245

Ge undheit und Soziales 10 Jahre Kontakte nach Tula Mit Hilfstransporten fing alles an – aktive Städtepartnerschaft mit vielfältigen Beziehungen Noch vor einem Jahrzehnt wäre es un­ denkbar gewesen, an regelmäßige Schüler-, Sport- und Kulturaustausche mit einer Stadt im Herzen Russlands zu denken. In Villin­ gen-Schwenningen ist genau das aber längst lebendige Realität. Die Städtepartnerschaft mit der traditionsreichen Stadt Tula tangiert längst viele Bereiche des öffentlichen Le­ bens und ist ein vorzeigbares Beispiel für in­ ternationale Völkerverständigung. Natürlich hat sich das Leben in Russland seit 1990 gewaltig geändert: Vor zehn Jahren bestimmten dunkle Tristesse die Eindrücke des Besuchers und die sowjetisd,en Spruch­ bänder prangten stolz über der Stadt, heute zeigen Leuchtreklamen und Straßenkneipen schon äusserlich, dass eine andere Zeit ange­ brochen ist. Umfassende Umbrüd,e im täg­ lichen Leben, riesige Unterschiede zwischen Arm und Reich, aber auch viele neue, posi­ tive Impulse sind auszumachen. Tula, die 500 000-Einwohnerstadt südlich von Mos­ kau, ist für viele Bürger des Schwarzwald­ Baar-Kreises längst kein abstrakter Begriff mehr. Nicht wenige Menschen aus dem Kreisgebiet konnten sich ihre eigenen Ein­ drücke in der russischen Stadt versd1affen. Das hatte im Dezember 1990 niemand von denen gedacht, die bei der ersten Fahrt nach Tula dabei waren. Als damals die Regie­ rungschefs Kohl und Gorbatschow die Men­ schen in Deutschland dazu aufriefen, den Russen über den Hungerwinter zu helfen, fühlte sich auch die Bevölkerung im Schwarzwald-Baar-Kreis angesprochen. Und damit fängt aud1 die Gesd1ichte an, die sich bis heute zu einer ungemein aktiven Städte­ partnerschaft entwickelt hat. Nach einem Spendenaufruf des SÜD KU­ RIER wurde ein erster Hilfstransport vom Schwarzwald aus auf die Reise nach Russ­ land geschickt. Damals mit drei völlig über­ ladenen Fahrzeugen und sieben Begleitern, 246 aus denen sich der Kern des jetzigen Arbeits­ kreises Tula bilden sollte. Mit dabei damals unter anderem: Bernhard Hoch, Peter Scheu, Waldemar Kostin und Friedhelm Schulz. Lebensmittel und Kleidung waren die Schwerpunkte des ersten Hilfstransportes, der mit viel Unwissen über Land und Leute und einer Portion Naivität abgewickelt wur­ de. Die Sowjetunion war faktisch zusammenge­ brochen und neue Strukturen hatten sich noch nid1t gefunden. Aber durch die herz­ liche Aufnahme der unangemeldeten Hel­ fer, die unbürokratische Zusammenarbeit mit der damaligen Stadtverwaltung Tula und die unkomplizierte Verteilung der Hilfsgü­ ter, stand ziemlid1 schnell fest, dass dies nicht die erste und einzige Reise sein würde. Warum gerade Tula? Die Wahl fiel auf die 500 000-Einwohnerstadt 200 Kilometer süd­ lid1 von Moskau, weil aus der von deutsch­ russisd1en Mitbürgern dominierten Baptis­ tengemeinde Villingen-Schwenningen he­ raus familiäre Kontakte dorthin bestanden. Damals konzentrierten sich alle großen Hilfsaktionen auf Moskau und St. Peters­ burg, die beiden russischen Metropolen; Aktionen in Provinzstädten gab es kaum. Auch insofern bedeutete die Spendenaktion der Menschen aus dem Schwarzwald-Baar­ Kreis eine Vorreiterrolle. Die Anfange auf ungewohntem Terrain entwickelten sid, schnell in festen Bahnen. Einmal wurden die Kontakte von deutscher Seite aus durch den damaligen Oberbürger­ meister Dr. Gerhard Gebauer mit viel Sym­ pathie unterstützt, und auch die Russen zeigten sich ungewohnt offen, was die Kon­ takte nach Deutschland betraf. Bereits im Herbst 1992 besuchte eine erste Gruppe Of­ fizieller aus Tula den Schwarzwald. Eine Reihe von Kontakten in beide Rich­ tungen folgten, bevor der Gemeinderat Vil-

Kontakte nach Tula Hi!fssendungen aus Villingen-Schwenningen sind in Tula sehr willkommen und werden unbürokratisch an Kranke, Behinderte, Senioren und kinderreiche Familien verteilt. lingen-Schwenningens 1993 die offizielle Städtepartnerschaft mit Tula absegnete was damals freilich mit viel Skepsis begleitet wurde, denn Tula liegt immerhin 3 000 Ki­ lometer von Villingen-Schwenningen ent­ fernt. Doch das Argument der Gegner, da würden sich nur einmal im Jahr die „Groß­ kopfeten“ treffen, wurde schnell durch die Realitäten widerlegt: Oberbürgermeister Prof. Dr. Manfred Matusza ist schon dreimal in Tula gewesen und zeigte sich – wie fast alle deutschen Besucher – sehr angetan von der überwältigenden Gastfreundschaft der Rus­ sen. Kein Wunder, dass er für die Tulaer Be­ lange stets ein offenes Ohr zeigt. Auch Matusza weiß, dass Tula ein ganz be­ sonderes Stück Russland ist. Handwerkli­ ches Geschick machte die Tulaer über die Grenzen ihres Landes hinaus schon vor Jahrhunderten bekannt. Hier wurden die Sa­ moware gebaut und hier gründete Peter der Große die erste Waffenfabrik des Landes, und hier war eine der Wiegen der russischen Metallindustrie. Doch auch kulturell hat Tu- la einen Stellenwert, um den viele andere Städte neidisch sind: Hier lebte und arbeite­ te der Dichterfürst Leo Tolstoj (1828 -1910), dessen Landgut Jasnaja Poljana im 19. Jahr­ hundert ein Zentrum des geistigen Lebens in Russland war und heute als Museum An­ ziehungspunkt nicht nur für Touristen ist. Die eigentümliche landschaftliche Idylle zieht die Menschen dort zu jeder Jahreszeit in ihren Bann. Kontakte auf vielen Gebieten Zwischen Tula und Villingen-Schwennin­ gen bestehen derzeit kontinuierliche oder sporadische Kontakte auf sehr vielen Gebie­ ten, von denen hier nur einige aufgeführt sind: Schüler- und Jugendaustausche, Kon­ takte in den Bereichen Kultur und Soziales, Sport, Bücherei, Volkshochschule, Techni­ sche Verwaltung, Stadtwerke und Kranken­ haus. Derzeit wird eine Ausstellung Indust­ riegeschichte zwischen den Museen beider Städte vorbereitet und die Sparkasse Villin- 247

Kon1ak1e nach Tula – Bürgermeister Theo Kiihn (VS) und Chefärztin Galina Burmika in der Sojaküche des Kinderinfektions­ krankenhauses. Rechts eine Straßenszene aus Tula. gen-Schwenningen und die Sberbank Tula einen Vertrag über engere Zusammenarbeit beschlossen. Erste wirtschaftliche Verbin­ dungen – die von den Russen sehr ge­ wünscht werden – entstehen derzeit eben­ falls. Acht umfangreiche Hilfssendungen Aus dem ersten Hilfstransport wurden mittlerweile acht umfangreiche Hilfssen­ dungen mit einem Gesamtwert von rund 10 Millionen DM. Die Aktivitäten des Arbeit – kreises Tula entwickelten sich aber mehr und mehr zur Betreuung von längerfristigen Part­ nerschaftsprojekten. Eines davon war die Er­ nährungsumstellung im Kinderinfektions­ krankenhaus Nr. 4, eines ist die Unterstüt­ zung der Behindertenwerkstatt „Dobrode­ tel“ und eines die Renovierung des städti­ schen Kinderkrankenhauses Nr. l. Hier wurde mit einer Spendenunterstüt­ zung von 30 000 DM aus Villingen-Schwen­ ningen eine Etage instand gesetzt und ein freundlicher Untersuchungsraum eingerich- tet. Unbedingt nötig ist hier jetzt vor allem die Erneuerung der Sanitäreinrichtung. Zwischen Deutschland und Russland be­ stehen knapp 100 Städtepartnerschaften, im Vergleich zu den kommunalen Kontakten nach Frankreich erschreckend wenig. Daher sind die aktiven Städteverbindungen eine wichtige Basis für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die sich im vergange­ nen Jahrhundert als Feinde gegenüberstan­ den. Auch der Deutsche Botschafter in Moskau, Dr. Ernstjörg von Studnitz, weiß die aktiven Beziehungen zwischen Tula und Villingen­ Schwenningen zu schätzen, er stellt sie ger­ ne mit in die Reihe der vorbildlichen Städte­ partnerschaften. Und nicht zuletzt deshalb würde auch der Bürgermeister des im Nor­ den des Tulaer Gebietes liegenden Städt­ chens Aleksin Kontakte mit einer Stadt in Deutschland aufnehmen. Am liebsten – na­ türlich – mit einer im Schwarzwald-Baar­ Kreis. Friedhelm Schulz 248

Hilfen geben, Erfahrungen austauschen Kirchenbezirk Villingen unterhält Partnerschaft zur Karnataka-Süd-Diözese Gesundheit und Soziales Eine Partnerschaft, die nicht nur auf dem Papier besteht, unterhält der evangelische Kirchenbezirk Villingen zur Karnataka-Süd­ Diözese in Südindien. Vor inzwischen elf Jahren besuchten zum ersten Mal sieben Gemeindeglieder aus dem Landkreis die Gegend rund um Mangalore an der indi­ schen Westküste – ungefähr 1 000 Kilometer südlich von Bombay. Doch wie kam ein solcher Besuch in einem Land mit völlig anderer Kultur zustande? Auch wenn in Indien die große Mehrheit aus Hindus besteht, gibt es eine christliche Minderheit – knapp drei Prozent. Im No­ vember 1989 war das damalige Oberhaupt der Diözese, Bischof Shettian, zum ersten Mal in St. Georgen bei Pfarrer Christian Noeske. Der Seelsorger der Michaelsgemein- de in der Bergstadt ist gleichzeitig Bezirks­ beauftragter für Mission und Ökumene im Kirchenbezirk Villingen und von deutscher Seite federführend bei allen Aktivitäten rund um die Partnerschaft. Erster Besuch in Indien Zu dieser Zeit wurden die ersten Kontakte geknüpft, und schon damals war der Ge­ danke an eine Partnerschaft vorhanden. Im Oktober 1991 machten sich dann sieben Ge­ meindeglieder auf den Weg nach Indien und besuchten die Diözese. 1993 fand ein erster Gegenbesuch statt – zehn junge Inderinnen und Inder waren im Kirchenbezirk zu Gast. Dekan Martin Trei­ ber und Bischof Shettian besiegelten die Die Jungen im Kinderheim in Udupi in der Nähe von Mangalore .freuen sich über den Besuch aus Deutsch­ land. 249

Partnerschaft mit Indien Partnerschaft in V illingen im Mai 1994. Ein Jahr später reisten sieben junge Erwachsene nach Indien. Die meiste Zeit des gut drei­ wöchigen Aufenthalts verbrachten die Be­ sucher aus St. Georgen, Bad Dürrheim und Donaueschingen in Mangalore, dem Sitz der Karnataka-Süd-Diözese. In den folgenden Jahren wurde die Part­ nerschaft durch zahlreiche Briefkontakte und finanzielle Hilfen aufrecht erhalten. Jährlich eine Kollekte aus allen evangelisch­ en Gemeinden des Kirchenbezirks erhält die Partnerdiözese, womit dann vor Ort auch so­ ziale Projekte unterstützt werden. Wichtig­ stes Element einer solchen Partnerschaft ist aber das persönliche Kennenlernen des je­ weils anderen Landes. Im Mai 2000 ver­ brachten deshalb zwei Frauen und sechs Männer drei Wochen im Schwarzwald-Baar­ Kreis. ,,Kulturschock“ auf beiden Seiten Bei allen Besuchen – gleichgültig ob von Indern in Deutschland oder umgekehrt – zeigte sich trotz sorgfältiger Vorbereitung der Reisen der große Unterschied zwischen einem europäischen und einem asiatischen Land. Doch nach dem anfänglichen „Kul­ turschock“ war es fur die deutschen Besu­ cher in Indien dann ganz normal, dass beim Autofahren derjenige Vorfahrt hat, der zu­ erst hupt, oder dass zuerst gewartet werden muss, bis die auf der Fahrbahn liegende Kuh die Straße verlassen hat. Die Besichtigung einer Ziegelfabrik zeigte, wie in Indien – an europäischem Standard gemessen – mit museumsreifer Technik ge­ arbeitet wird. Die Inder dagegen waren schockiert, dass sich in Deutschland Paare eng umschlungen auf der Straße küssen. So etwas ist in Indien unvorstellbar. ,,Ich will das nicht verurteilen – aber das ist einfach völlig anders als bei uns“, sagte einer der Gä­ ste. Zu den beeindruckendsten Erfahrungen zählen die Besucher aus Indien beim von den Gastgebern des Kirchenbezirks organi­ sierten Besuchsprogramm immer den Aus- 250 flug zum Säntis. Auf dem 2500 Meter ho­ hen Berggipfel erlebten alle Gäste zum er­ sten Mal in ihrem Leben Schnee. Für die In­ der, die normalerweise Durchschnittstem­ peraturen um die 30 Grad gewöhnt sind, ist es verwunderlich, dass das unbekannte weiße Etwas in den Händen schmilzt und zu Wasser wird. Was sind die Ziele der Partnerschaft? Er­ fahrungen zwischen den beiden völlig un­ terschiedlichen Kulturen auszutauschen, soll durch die Verbundenheit des Kirchen­ bezirks mit der Diözese in Indien erreicht werden. ,,Wir wollen lernen, einander mit­ zuteilen, was uns reich macht, an geistlichen und kulturellen Dingen, aber auch auf ma­ teriellem Gebiet. Wir wollen einander auch die Sorgen und Probleme sagen und versu­ chen, einander in den anstehenden Aufga­ ben beizustehen“, so ein Auszug aus der Partnerschafts-Vereinbarung. Ein weiterer Punkt ist das Miteinander der Christen zu fördern – die Partner wollen füreinander be­ ten. Auch ganz praktische Unterstützung ist ei­ nes der Ziele. Beispielsweise wurde ein Aus­ bildungsprogramm mit dem Titel „Aikyat­ ha“ gefördert. Bei diesem Projekt besuchen Mitarbeiter der Diözese einmal im Monat ein Dorf und bieten fur alle Interessierten ein Programm an – ganz gleichgültig, wel­ cher Religion diese angehören. Der Nach­ mittag besteht jeweils aus Sketchen und Lie­ dern, bei denen auch Elemente des christli­ chen Glaubens einfließen. Aber vor allem der pädagogische Aspekt steht im Vordergrund. Bei jeder Veranstal­ tung wird über ein soziales oder gesund­ heitliches Thema – wie Malaria oder Aids – referiert. Gerade in den abgelegenen Dör­ fern ist die Unkenntnis besonders groß. Vie­ le sind an Malaria oder Aids erkrankt, ohne es überhaupt zu wissen. Mit einfachsten Worten wird erklärt, was es mit solchen Krankheiten auf sid1 hat und wie man sich davor schützen kann. Marcel Dorer

17. Kapitel/ Almanach 2002 Landwirtschaft Strauße auf der Baar Wer von Blumberg über die Längestraße Richtung Riedöschingen fährt, sieht rechts kurz hinter dem Riedgebiet ein Gehöft und über die Entfernung viele dunkle, sich bewe­ gende Punkte. Richtig gesehen: Hier bewegen sich Strauße frei über die Fläche, denn der alte Steppacher Hof hat sich mittlerweile zu einer Straußenfarm gemausert, die von Ing­ fried Kurz betrieben wird. 1908 baute der Urgroßvater Friedrich Kurz den Hof, der dann wie üblich immer wieder auf den Sohn gegeben wurde, das war dann Oskar Kurz, Friedrich Kurz und jetzt Ing­ fried Kurz. In der vierten Generation be­ steht der Hof nun, und auf dem gab es im­ mer Schweine, Rinder, Hühner, dazu zum Bäumerücken Pferde, die auch für die Feld­ bestellung wichtig waren. Im kleinen Rah­ men sind die üblichen Hoftiere wie Rind, Schwein und Pferd immer noch vorhanden, Die Straußenfarm Steppacher Hof hat Erfolg mit Selbstvermarktung dazu Hühner, Puten, Enten, die Haushun­ de und natürlich viele Katzen. ,,Ganz wich­ tig ist Zwergesel „Anton“ -der ist Hofmas­ kottchen und wirklich sehr freundlich und dazu kommen dann natürlich all die vielen Strauße“, so Ingfried Kurz, der seit einigen Jahren den alteingesessenen Hof zur Strau­ ßenfarm umfunktioniert hat. ,,Über Presseberichte“, erzählt Ingfried Kurz, ,,wurde ich auf diese Möglichkeit aufmerk­ sam und im Mai 1994 begann ich mit einem Hahn und zwei Hennen.“ Denn durch den Generationswechsel auf dem Hof-die Eltern gingen in die wohlverdiente Rente -zeigte sich das Milchvieh in vorgegebener Größen­ ordnung nicht mehr wirtschaftlich, zudem eine Berufstätigkeit außerhalb der Land­ wirtschaft noch ansteht. Kurz weiter: ,,Ich sehe das Projekt als zweites Standbein im landwirtschaftlichen Bereich und muß noch meinen Beruf erfüllen.“ Mut hat er bewiesen, der Ing­ fried Kurz und eine Investition mit einem Pilotprojekt in die Zukunft gewagt, denn Strau­ ßenfleisch ist seit der BSE-Kri­ se mehr als gefragt und die Her­ de hat sich um ein Vielfaches vergrößert. Bis zu 120 Tiere dieser Gattung leben jetzt auf dem Steppacher Hof. Langsam verbreitet sich die Zucht dieser Tiere europaweit, die in freier Wildbahn fast ausgerottet sind und sich extremen Klimabe­ dingungen in ihrem Stamm­ land ausgesetzt sehen und pro- 251 Neugierig wird jeder Besucher beäugt.

Landwirt chafl Die Straief5enfarm wird als Familienbetrieb geführt. Fritz und Klara Kurz mit Enkeltochter jana und Sohn lngfried Kurz mit Ehefrau Jutta. blemlos überstehen. So gedeihen sie auch im gemäßigten mitteleuropäischen Klima sehr gut. BSE und Maul- und Klauenseuche hat die Verbraucher in den letzten Jahren verunsi­ chert und so ist anderes Fleisch im Trend, fettarm, dunkel, dem Rindfleisch vergleich­ bar, dazu mit allen Vorteilen des Gefugel­ fleisches, viel Protein und wenig Choleste­ rin. Das Straußenfleisch findet immer mehr Liebhaber, zumal die Zubereitungsmöglich­ keiten sehr vielfältig sind. ,,Die Strauße sind Weidegänger wie das Rindvieh und bekom­ men zusätzlich eigenes Getreide wie Wei­ zen, Gerste und Hafer, dazu noch Mais. So basieren die Futtermittel auf natürlicher Grundlage, es werden keinerlei Wachstums­ beschleuniger oder Hormone gegeben und gemästet werden die Tiere auch nicht. Einwandfrei hat sich die Herde an die kli­ matischen Bedingungen der Baar angepaßt, sie hat ein großes Freigehege und Unter­ stände im Offenstall. Es ist ein beeindruk­ kendes Bild, die großen Laufvögel zu sehen, die sich gelassen in ihrem Bereich bewegen. Bei Regen setzen sie sich einfach hin und über das Gefieder laufen die Tropfen ab, ausfuhrlich hat sich Ingfried Kurz mit der Spezies Strauß (Struthio camelus) befaßt. Viele Auflagen im art- und tierschutzgerech­ ten Bereich mußten erfullt werden, bevor er überhaupt die erste Gruppe dieser Tiere auf seinem Hof ansiedeln durfte. Die Idee war neu und es gab noch keine einheitlichen Be­ stimmungen, die heute gesammelten Erfah­ rungen fließen in die neuen Richtlinien ein, und zusammengeschlossen sind die Halter dieser Spezies im „Bundesverband Deut­ scher Straußenzüchter e. V.“, dessen Vorsit­ zender Ingfried Kurz ist. Vielfältig sind die Straußen-Produkte, die zum Fleisch noch anfallen. Gefragt sind die Eier, die gefullt ungefähr funfundzwanzig 252 Hühnereiern entsprechen und so eine an­ ständige Portion Rührei fur eine größere Fa­ milie ergeben oder auch leer Basis fur Bast­ ler sind. Straußenleber ist eine Delikatesse fur Kenner, auf Bestellung zu haben und auch die Federn werden zum Teil verwandt. So ist im Kostümfundus der Theater die wal­ lende Straußenboa nicht wegzudenken, De­ koration- und Modebranche weiß mit den schönen Federn vielerlei anzufangen und mit seinen statischen Eigenschaften ist der Straußenstaubwedel schon ein bewährtes Utensil seit Kaiserzeiten (übrigens heute ganz klasse und empfehlenswert fur den PC). Eine Industrie, die die Häute als Rohpro­ dukt übernimmt, weiterverarbeitet und als Straußenleder fur Modelle der Haute Cou­ ture ebenso verwendet wie fur Handtaschen und Schuhe, ist mittlerweile im Aufbau, denn der Straußennachwuchs ist gesichert,

traußenfarm Steppacher Hof Junge Strauße im Straußen­ kindergarten. befassen. ,,Es ist sicherlich noch eine Nische, der An­ teil am Weltmarkt ist ge­ ring, aber in absehbarer Zeit wird Straußenfleisch einen größeren Anteil am Ernäh­ rungsmarkt besitzen,“ ist Ingfried Kurz überzeugt. Überlagert von vielen an­ deren Themen ist diese Möglichkeit sicherlich ag­ rarpolitisch noch nicht ge­ nügend aufgegriffen wor­ den -aber der Wille des Ver­ brauchers spricht eine deutliche Sprache. Wa­ ren bislang Gastronomiebetriebe und einige private Kunden die Käufer auf der Straußen­ farm im Blumberger Steppach, kommt lng­ fried Kurz derzeit kaum der gestiegenen Nachfrage nach, und so ist jetzt ein eigener Hofladen geplant, um das Angebot von ,,unüblichem Fleisch“ zu vermarkten. Dort gibt es dann zum delikaten Fleisch auch die richtigen Rezepte, wie etwa „Eto­ scha Pfanne“ ein Gericht mit feinstem Strau­ ßenfilet, frischen Champignons, Kräutern und gerösteten Mandeln. Bestimmt im Ge­ schmack ähnlich exotisch, wie die namibi­ sche „Etoscha-Pfanne“, oder „Vergrabener Strauß“, (Poetjiekos) ein typisches, südafri­ kanisches Farmgericht mit viel Gemüse in einer feinen Soße. Bis das soweit ist, bleibt die Straußenfarm hinter dem Ried sicherlich auch ein touri­ stischer Effekt. So werden Ferien auf dem Bauernhof, auf du und du mit allen Hoftie- ren angeboten. Ein reizvoller Ausflug ist es allemal, wenn man beobachten kann, wie die eleganten Vögel mit ausgreifendem Schritt und schwin­ genden Federn über die weiträumi­ gen Wiesen laufen. Christiana Steger 253 beträgt die Legeintensität der Straußen­ hennen doch innerhalb der Legesaison von April bis September bis zu vier Eiern pro Tag. Die werden dann im Brutapparat aus­ gebrütet und nach dem Schlüpfen kommen die Küken dann erstmal in den Babystall, von da in den Kindergarten und es dauert seine Zeit, bis die Jungtiere groß genug sind, um problemlos mit der Herde zu laufen. Ein großer Erfolg gelang lngfried Kurz, als eine der Hennen bei seinem alten Hahn ein Frei­ gelege ohne Schwierigkeiten ausbrütete und die Jungtiere führte. ,,Da mußte man dann bei dem alten Herrn schon auf der Hut sein, wenn man hin wollte, Straußen sind mit ihren Krallen ganz schön wehrhaft,“ so Ing­ fried Kurz, der seine Straußenfarm einmal im Jahr für Besucher öffnet und ihnen die Tiere und die Anlage zeigt. ,,Natürlich bie­ ten wir dann auch unsere Strauß-Spezialitä­ ten an: Vom Steak über Schnitzel, Gulasch und Bratwurst alles hausgemacht. Beim letz­ ten Mal konnte der Hof die Ströme von Gä­ sten kaum fassen.“ Bislang war das Thema „Strauß“ in der süddeutschen Landwirtschaft eher ein Randthema, obwohl sich mittlerweile immer mehr kleine und mittlere Betriebe mit dem großen, exotischen Laufvogel

18. Kapitel/ Almanach 2002 Trotz Kälte gute Lebensbedingungen NORDISCHE WINTERGÄSTE AUF DEN GEWÄSSERN DER RIEDBAAR auf der Baar Dona � � M itte Januar könne � zwischen Donaues chin­ . gen und Gutmadmgen unter emer Vielzahl von Wasservögeln auch Pfeifenten, Gänsesäger oder gar Singschwäne entdeckt werden. In­ formiert man sich in der entsprechenden Literatur über diese Vogelarten, so erfährt man, dass deren eigentliche Heimat der hohe Norden Europas ist und sie im Herbst nach Süden ziehen, um irgendwo in Mitteleuropa oder südlich davon zu überwintern. Diese Vögel sind also auch bei uns Wintergäste. Gänsesäger beim Start. Rechte Seile: Donauufer bei Neudingen, ruhende Singschwäne. 254

·._.,/ !. .. ••• / •““““� Umwelt und Natur Tausend Blässhühner am Hüfinger Ried- see im Dezember sind weit mehr Indivi­ ) � . ,. …. . ,-, duen als die der hier brütenden Populati­ . �. ,'“ . � ·, on. Auch hier sind Gäste aus dem Nor- {“ � •• „‚!._ –…v den hinzugekommen. Offensichtlich su­ .� .. / ·1f2, ,1 �i ‚�. j ,k / iJ? s ,� . � :- –�…., chen Zugvögel nicht nur den afrikani­ schen Kontinent zur Überwinterung auf. 1!..s�;,‘ „/,� – y � -� . ._ ‚ Man kennt etwa 70 Vogelarten, deren ; ., „‚-, .J [ _,;:�� 8 );,; (:;;‘,…, Brutheimat in Nord- oder Nordosteuro- t“·- · pa liegt, die regelmäßig in Baden-Würt- temberg überwintern. Es sind vielfach Wasservogelarten, für welche der Bo­ densee eine hervorragende Bedeutung hat. Aber auch die Gewässer der Riedbaar sind während des Winters Lebensraum für eine ganze Reihe von nordischen Wasservögeln. Die Karte (siehe oben) zeigt, aus welchem Gebiet die im südlichen Mit­ teleuropa überwinternden Reiherenten kommen. Jeder Punkt auf der Kar­ te markiert eine Stelle, an der Reiherenten zur Brutzeit wieder gefunden wurden, welche im Winter in der Schweiz beringt wurden. Da sich die meis­ ten eurasiatischen Zugvogelarten bei ihrem herbstlichen Wegzug in süd- westliche Richtung bewegen, ist anzunehmen, dass wohl ein Großteil der auf der Baar überwinternden Wasservögel auch aus diesem Bereich stammt. r -� ‚• ,· •Das Überwinterungsgebiet Auf den ersten Blick ist es wohl erstaunlich, dass eine Reihe von Wasser­ vögel, die ihre nordischen und östlichen Brutgebiete wegen Kälte und Sdmee verlassen, auf der Baarhochmulde überwintert, wo diese doch für ihre strengen Winter bekannt ist. Eine genauere Betrachtung ergibt jedoch, dass selbst im Januar und Februar meist noch geeignete Lebensbedingun­ gen für die überwinternden Wasservögel hier vorherrschen. Die Stehgewäs- ser wie der Unterhölzer Weiher oder die Ried­ seen frieren zwar in der Regel rm Spät-herbst oder Frühwinter zu. Die Donau ist jedoch auf­ grund ihrer Wassermen­ ge und ihrer Strömung nur selten vollständig zugefroren. Den über- Die Gewiisser der Riet/haar -�· .. / Die Karte zeigt, aus wel­ chen Gebieten die Reiherenten kommen, die im südlichen Miueleuropa überwintern. Rechte Seite: Blick in einen der Donau­ seitenarme (oben). Ruhende Höckerschwäne (unten). 256

Umwelt und Natur winternden Wasservögeln steht also auf der Riedbaar ein Flussabschnitt von ca. 10 km zur Verfügung, welcher offensichtlich die Anforderungen der Wasservögel an ein Überwinterungsgebiet erfüllt. Die gute Wasserqualität der Baar-Donau erlaubt eine reichhaltige Wasser­ pflanzen- und Wassertierwelt, so dass sowohl sich pflanzlich als auch sich tierisch ernährende Wasservögel ein ausreichendes Nahrungsangebot vor­ finden. Die weite, offene Landschaft der Riedbaar und der lückige Uferbe­ wuchs der Donau ermöglichen ein problemloses Starten und Landen der Wasservögel und gewähren weitgehend freie Sicht für die Sicherung gegen­ über Fressfeinden. Die mäandrierende Donau bietet zudem windgeschütz­ te Flussabschnitte und Buchten, in welche sich die Wasservögel bei kaltem, windigem Wetter zurückziehen können. Die jährlich zweimal stattfindende Wasservogeljagd und der Angelsport stellen für die überwinternden Wasservögel sicher eine nicht unbedeuten­ de Störung dar. Ebenso die zunehmende Freizeitnutzung der Gewässer durch den Menschen. Bei Eisfreiheit können die beunruhigten und aufge­ scheuchten Vögel jedoch der Störung vielfach ausweichen und finden neue ruhige Rastplätze. Dabei ist von Vorteil, dass es entlang der Flussufer kaum Wege gibt und die Baar-Donau durch eine fast ausschließlich landwirt­ schaftlich genutzte Landschaft fließt. •Die Wintergäste Ab Mitte September nimmt die Zahl der Wasservögel auf den Gewässern der Baarhochmulde ständig zu. Zu den heimischen Brutvögeln gesellen Rechte Seite: Unterhölzer Weiher und Ifeifenenten. Solange stehen­ de Gewässer wie der Unter­ hölzer Weiher eisfrei sind, bie­ ten sie den nor­ dischen Win- tergästen einen idealen Lebens- raum. Links: Entenjagd an der Baar­ Donau. 258

Umwelt und Natur sich jetzt Durchzügler und Wintergäste. Mitte November wird die Höchst­ zahl erreicht. Der einsetzende Winter veranlasst dann einige Vögel, in südlichere Ge­ biete abzuwandern. Dennoch versucht regelmäßig eine stattliche Zahl von etwa tausend Wasservögeln, bei uns zu überwintern. Entenarten überwiegen bei weitem in der großen Schar der winterlichen Vogelschwärme über der Donau. Die Erpel zeigen durch auffällige Muster und Farben, zu welcher Art sie gehören, damit es bei der Verpaarung keine Verwechslungen zwischen den Arten gibt. Auch unterscheiden sich die ver­ schiedenen Arten in ihren Nahrungsansprüchen und Ernährungsweisen. So gibt es z.B. die Gruppe der sogenannten Schwimmenten, die mit ih­ rem Kopf unter Wasser gründelnd nach Nahrung suchen. Zu ihnen gehö­ ren die am häufigsten vertretene Stockente, die etwa halb so große Krick­ ente oder die sehr bunt gefärbten Löffel- und Spießenten. Eine andere Gruppe bilden die Tauchenten, die sich tauchend ernähren. Die Tafelente und die Reiherente gehören zu dieser Gruppe. Dann gibt es noch die Sä­ ger, deren Name sich von ihrem Schnabel herleitet. Säger ernähren sich von Fischen, die sie mit ihrem sägeförmigen Schnabel besonders gut erbeuten und festhalten können. Rechte Seite: Wenn sich auf den Riedseen oder der Baar­ Donau Eis bil­ det, geht die Zahl der ras- Lenden Karma- rane deutlich zurück. Wie die Hauben- taucher, kön­ nen sie nur bis zum Zufrieren der Stehgewäs­ ser bei uns aus- ha“en. Zahlenmäßig ebenfalls stark vertreten sind die Blässhühner aus der Fami­ lie der Rallenvögel. Sie verstehen es besonders gut, das jeweils günstigste Nahrungsangebot zu nut­ zen. Je nach Angebot er­ nähren sie sich von Wasser­ pflanzen an der Wasser­ oberfläche oder tauchen nach Wasserpflanzen und Wassertieren am Gewässer­ grund. Von dieser erfolgrei­ chen Ernährungsstrategie profitieren die Schnatter­ enten. Das durch die tau­ chenden Blässhühner nach oben beförderte Pflanzen­ material machen sie diesen oft streitig und nutzen es als Nahrung für sich. Die ständig wegtauchenden faustgroßen Federknäuels auf der Donau sind Zwergtaucher. Sie tauchen in der Unterwasservegetation nach Wasser- insekten oder kleinen Fischen. Ihre größeren Verwandten, die Haubentau- eher, können nur bis zum Zufrieren der Stehgewässer bei uns ausharren, Balzende denn sie benötigen größere Wassertiefen für ihre Jagd nach Fischen. Be- Links: Gänsesäger. 260

Umwelt und Natur ginnt Eis den Unterhölzer Weiher und die Riedseen zu bedecken, so ver­ lassen sie uns. Die Zahl der rastenden Kormorane geht dann ebenfalls deut­ lich zurück. Noch bis in die Mitte der 90er Jahre waren die aus Nordrussland stam­ menden Saatgänse die Attraktion unter den Wintergästen auf der Baar. Jahrzehntelang gehörten sie zum Wmterbild dieser Landschaft. Sie nutz­ ten Feuchtwiesen, Wintergetreidefelder und die Donau bei Neudingen, um hier zu überwintern. Leider ist diese Tradition erloschen. Wahrscheinlich waren es zunehmende Störungen durch den Menschen, die zur Aufgabe dieses Überwinterungsgebietes führten. Auch die Singschwäne mit ihren gelben Schnäbeln sind leider seltene Gäste geworden. Nur bei extremen W intern in Norddeutschland verschlägt es die eine oder andere Schwanen­ familie in das Gebiet der jungen Donau, wo sie bis in die Mitte der 70er Jahre alljährlich zu beobachten waren. Zum Schluss sei noch der fliegende Edelstein unserer Seen und Flüsse er­ wähnt. Nicht selten sitzt ab Mitte September im Weidengebüsch des Do­ nauufers ein Eisvogel auf seiner Ansitzwarte. Er hält dort nach Fischen Aus­ schau, die er gegebenenfalls sturztauchend zu erbeuten versucht. Alle Wintergäste unserer Gewässer können hier nicht näher beschrieben werden. Sie sind jedoch in der dargestellten Tabelle aufgeführt (Seite 265). •Die Aussichten Seit zehn Jahren werden die Rastbestände der überwintern­ den Wasservögel auf der Ried­ baar systematisch erfasst. Es hat sich dabei gezeigt, dass bei der Mehrzahl der Arten die Zahlen einen gleichbleibenden oder gar positiven Trend so z.B. bei der Schnatterente, beim Kor­ moran und beim Zwergtaucher aufweisen. Aufgrund des hohen Januarbestandes beim Gänsesä­ ger hat das Gebiet für diese Art sogar nationale Bedeutung. Leider ist aber das Ausbleiben der Saatgänse und der Sing­ schwäne zu beklagen. Ebenfalls Rechts oben: In letzter Zeit bleiben die Saatgänse als Wintergäste aus, vielleicht weil sie zu oft an ihren Rast- und Ruheplät­ zen gestört werden. Rechts unten: Der Eisvogel gilt als ,fliegen­ der Edelstein“ unserer Gewäs­ ser, er ist selten und gegen Um­ welteinflüsse besonders emp­ findlich. Links: Der Graurei­ her: seine Be­ standszahlen sind rückläufig. 262

Umweltund Natur zeigt der Graureiher eine deutlich negative Bestands­ entwicklung. Offensichtlich stellt sich die Situation für die über­ winternden Wasservögel auf der Riedbaar zur Zeit recht günstig dar. Die relativ milden W inter der letzten Jah­ re dürften auch zu dieser positiven Bilanz beigetragen haben. Das Verschwinden der Saatgänse, das mit gro­ ßer Wahrscheinlichkeit auf Störungen an den Rastplät­ zen zurückzuführen ist, weist allerdings auf eine Ge­ fährdung des jetzigen Zustands hin: Werden die rasten­ den Wasservögel wiederholt an ihren Rast- und Ruheplätzen gestört, so rea­ gieren sie vielfach mit dem Verlassen des Gebietes. Es ist also wichtig, einer Zunahme der Störungen an den Gewässern der Riedbaar entgegenzuwir­ ken. Die Ausweisung von störung freien Gewässerbereichen wäre hier eine geeignete Maßnahme. In diesem Zusammenhang ist lobend zu erwähnen, dass die Anglergesellschaft Villingen an der Donau schon entsprechende Ruhezonen ausgewiesen hat. Text und Fotografie: Helmut Gehring Literaturnachweis: Bauer H.-G., M. Beschert und J. Hölzinger (1995): Die Vögel Baden-Württembergs – At­ las der Winterverbreitung. Ulmer, Stuttgart H. Gehring (1994): Die Gewässer der Riedbaar als Überwinterungsgebiet fur Wasservögel – Entwicklung der Rastbestände. Schriften der Baar, 39, Donaueschingen C.-P. Hutter und Thielcke, G. (1990): Natur ohne Grenzen. Weitbrecht, Stuttgart/Wien Die Tafelente, 1993wurde mit 114 Vö­ geln dieser Art die bisherige Höchstzahl er­ mittelt. Blässhühner sind wie die Stockenten zahlenmäßig stark vertreten, bis zu 1000 Vögel wurden bereits gezählt. -..:=— 264

Nordische Wintergäste Liste aller festgestellten Wasservogelarten mit Angaben zur Regelmäßig- keit und zu den Höchstzahlen (Untemu:h11ngszeitram 1989 bis 1999) Art Rc2clmäßi11:keit Höchstzahl (Monat/Jahr) Sterntaucher Zwergtaucher Haubentaucher Schwarzhalstaucher Rothalstaucher Kormoran Graureiher Silberreiher Höckerschwan Singschwan Saatgans Graugans RostJ?;ans Pfeifente Schnatterente Krickente Stockente Knäkente Spießente Löffelente Kolbenente Tafelente Reiherente Bergente Seheilente Mittelsäger Zwergsäger Gänsesäger Teichhuhn Blässhuhn Eisvogel Wasseramsel D A A D D A A c A D A* A D A A A A c B B c A A D B D D A A A A A 3 80 20 3 1 173 112 1 32 7 17 25 2 102 112 96 1600 4 7 16 11 114 350 1 19 1 2 147 11 1000 6 6 (11/96) (11199) (12/94) (9/95) (10/91) (11196) (9/89) (12/93) (1194) (2/97) (2/90) (3/99) (12/96) (2/91) (11/99) (l/96) (11/90) (9/94) (10/92) (9/92) (2/93) (1193) (3/94) (12/94) (2/94) (1193) (1197) (2/93 ) (10/99) (12/94) (10/90) (12/89) A: überwintert traditionell d.h. alljährlich I A*: überwinterte traditionell bis 1994/95 B: nahezu jedes Jahr, jedoch nicht den ganzen Winter über / C: regelmäßig einzelne Beobachtungen / D: seltener Wintergast, meist nur für kurze Zeit. 265

Umwelt und Natur Arten- und farbenreich: Auf zarten, bunten Flügeln unterwegs – Schmetterlinge E s gibt wenige Lebewesen auf dieser Erde, die die Phan­ tasie der Menschen mehr beschäftigen als die Schmet­ terlinge. In unzähligen Geschichten, Schlagertexten oder Opern – Puccinis Madame Butterfly – wird der Schmetterling zum Inbegriff des Glücks- oder Hochgefühls. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Liebesglück oder Liebes­ schmerz in allen Variationen. Bei den frisch Verliebten befin­ den sich die Schmetterlinge angeblich sogar im Bauch, ohne dass es bei diesen Leuten zu Magenverstimmungen kommt, sondern eher zu Stimmungseuphorie. 266 Das Tagpfauenauge schreckt seine Fressfeinde durch seine „Augen „.

Schmetterlinge Der Zitronen- Jalter ist einer der ersten Schmetterlinge im Frühling. Papierschmetterlinge schaukeln von der Decke in Kindergärten ebenso wie bei Ärzten und Zahnärzten. Bei den Letztgenannten sicherlich, um die Patienten auf andere Gedanken als den verhassten Bohrer zu bringen. In einem bekannten Schlagertext heißt es: „Schmet­ terlinge können nicht weinen“, dies würde ich aber – angesichts des schwindenden und bedrohten Lebens­ raumes mancher Arten – eher bezweifeln. Wenn die Falter könnten, würden manche ob dieser Situation si­ cher ein paar Tränen vergießen. Trotzdem begegnet uns Menschen der Schmetterling im täglichen Leben, ob als Symbol oder in der Wirklichkeit, als Glücksbringer, der uns positive Lebensin1pulse vermitteln kann. Bevor ich mit diesem Bericht begann, frag­ te ich in meinem Bekanntenkreis Menschen verschiedenen Alters und Ge­ schlechts, was sie mit der Begegnung oder dem Gedanken an einen Schmetterling verbinden würden. Fast ohne Ausnah- me sprachen alle von angenehmen Gedanken und Glücksge- fühlen, Begriffe wie Heiterkeit, Fröhlichsein, Beschwingtheit, Schwerelosigkeit und ähnliche wurden genannt. Sein Flug stehe für Leichtig­ keit, etwa so wie auf Wolken schwe­ ben. Wenn es möglich wäre, sollte man so leben können wie ein Schmetterling, meinte eine Person. Bei so viel Sympathie für diese Geschöpfe ist es schon erstaunlich, dass wir sie nicht besser schüt­ zen, d. h. ihren Lebensraum zu erhalten suchen. Un­ bestritten ist dabei die Tatsache, dass wir die Landwirtschaft nicht mehr so betreiben können wie vor 50 oder noch mehr Jahren. Eine wirk- Der liehe Chance, um den Schmetterlingen wieder entsprechende Lebensräu- Admiral einer me zu schaffen, wäre, die Gärten und Rasenflächen in Siedlungen und Park- unserer schön­ anlagen nach ökologischen Gesichtspunkten zu bearbeiten. Einiges hat sich sten Edelfalter. in den letzten Jahren hier zwar zum Positiven gewendet, doch gibt es nach meiner Ansicht immer noch zuviel kurz geschnittene Rasenflächen – auf dem sich kaum ein Schmetterling einfinden wird – statt Kleinbiotope. In einem Buch über Schmetterlinge konnte ich nachlesen, dass es in Mit­ teleuropa mehr als 3 000 verschiedene Arten gibt, weltweit rund 150000. Damit werden diese Geschöpfe an Vielzahl im Reich der Insekten nur noch von den Käfern übertroffen. Die Schönheit ihrer Farben, ihre Zartheit, ma- 267

Umwelt und Natur chen sie zu wahren Kleinodien und erwecken mehr als jede andere Insek­ tenordnung die Aufmerksamkeit – früher auch die Sammelleidenschaft – bei den Menschen. Heute wird in Anbetracht der zurückgehenden Bestän­ de von Naturfotografen wie mir mit den Foto- oder Videokameras „ge­ sammelt“. Nicht selten offenbaren sich dem Blick sogar kleine oder un­ scheinbare Arten bei genauem Hinsehen oder durch das Makroobjektiv als wahre Kunstwerke der Natur. So ist es verständlich, dass es Menschen gibt, die geradezu verliebt in diese Spezies sind. Betrachtet man die Schmetterlinge durch die wissenschaftliche Lupe, so wird einem sehr schnell bewusst, dass fast alles in der Natur einen tieferen Sinn hat als nur schön zu sein. So tragen die Flügel der Augenfalter Zeich­ nungen, die wie die Augen von Wirbeltieren aussehen. Bei der Annäherung eines Vogels klappt der Falter blitzschnell die Flügel auseinander, so dass die „Augen“ gut sichtbar sind. Die Schrecksekunde des Fressfeindes nutzt der Falter zur Flucht. Einern weiteren Trick im Überlebenskampf bedienen sich Arten wie die Hornissen- oder Bremsenschwärmer, die als harm­ lose Schmetterlinge aussehen wie die erwähnte giftige Insektenart und so in deren Schutz leben. Man bezeichnet diese Erscheinung als „Mimikry“, eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Tarnfarben oder Zeich­ nungen sollen andere Arten bei entsprechender Unterlage unsichtbar ma­ chen. Rot-schwarz, rot-gelb oder ähnliche Muster sind die Grundlagen der Warnfärbungen. So wird der mögliche Feind darüber informiert, dass de­ ren Träger schlecht schmeckt oder gar giftig ist. Das trifft vor allem auf die Arten zu, deren Raupen sich von Giftpflanzen ernähren. Es fällt schwer, die Vielfalt von Formen, Farben und Mustern auf den Flü­ geln der Schmetterlinge nur als Anpassung an die Umwelt zu begreifen. Doch überall, wo genaue Untersuchungen angestellt wurden, zeigte es sich, dass sie für das Überleben der Arten notwendig sind. Auch der gaukelnde Flug unserer Tagfalter, der uns so leicht und schwerelos erscheint, hat letzt­ endlich den Sinn, einem anfliegenden Vogel zu entkommen. Das soll aber alle Naturfreunde nicht davon abhalten, Begeisterung für die Schönheit und Grazie unserer Schmetterlinge zu empfinden. Bei sehr vielen Arten werden die Weibchen größer als die Männchen, weil sie die Eier erzeugen und eine Zeit lang mit sich tragen müssen. Dies be­ dingt ein höheres Körpergewicht und, um die gleichen Flugleistungen zu 268 Rechts oben: Der Schwal­ benschwanz steht auf der roten Liste für gefährdete Ar­ ten. Links: Das nachtakti­ ve Pfauenauge gehört zur Gat­ tung der Efau­ enspinner. Rechts: Die Raupe des Schwalben­ schwanzes.

Umwelt und Natur vollbringen wie die Männchen, müssen die Flügel der weiblichen Tiere auch eine größere Spannweite haben. Eines der großen Wunder der Natur ist die vollständige Verwandlung in­ nerhalb einer Generationsfolge der Schmetterlinge, die sogenannte Meta­ morphose. Aus Platzgründen will ich hier nur das Wichtigste erwähnen. Aus dem Ei wird die Raupe, dann erfolgt die Verpuppung und zuletzt schiebt sich aus dieser der zarte buntschillernde Schmetterling. Es gibt wohl kaum einen größeren Unterschied in der Gestalt eines einzelnen Indivi­ duums als diese Um- und Verwandlung. Bei sehr vielen Arten ist die Le­ benszeit als Schmetterling gleichzeitig ihre kürzeste und dient hauptsäch­ lich der Fortpflanzung. Die Raupenzeit ist fast ausschließlich dem Fressen gewidmet, dabei können bis zu vier Häutungen vorkommen, ehe die Rau­ pe ihre endgültige Größe erreicht hat. Im Puppenstadium vollziehen sich im Inneren tiefgreifende Umbildun­ gen, bei denen die Organe der Raupe eingeschmolzen werden. Aus dem entstandenen unscheinbaren Zellhaufen entwickeln sich nun die inneren Organe des zukünftigen Schmetterlings. Sind alle Entwicklungsvorgänge abgeschlossen, platzt die Haut der Puppe auf, und wie von geheimnisvol­ len Kräften getrieben, entsteigt ihr der Falter. Die Metamorphose steuert aber nicht nur den Umwandlungsprozess zum fertigen Schmetterling, sondern auch den Zeitpunkt der Umwandlung, um in unseren Breiten die kalte und in den Tropen die sehr heißen Jahreszei­ ten zu vermeiden. Es ist damit eine ganzheitliche Überlebensstrategie der Schmetterlinge. Doch je tiefer der Mensch in das geheimnisvolle Leben der Falter ein­ dringt, desto seltener scheinen sie zu werden. Es wird deshalb unser aller Anstrengung bedürfen, diesen herrlichen Geschöpfen durch die Schaffung neuer oder die Verbesserung vorhandener Lebensräume das Überleben zu sichern. Der Raumbedarf vieler Arten ist bescheiden, daher ließe sich bei etwas weniger Nutzung aus manchem Dorf- oder Stadtpark geradezu ein Schmetterlingspara­ dies machen, damit sich auch noch unse­ re Enkel und Uren­ kel an diesen Gauk­ lern über Blüten er­ freuen können. Text und Fotografie: Erwin Kienzler 270 Rechts: Das Tauben­ schwänzchen ist sehr schwer zu fotografie­ ren, da es nie länger aef ei­ ner Blüte ver- weilt. Es gehört zur Familie der Schwärmer. Rechts unten: Der Distelfal­ ter unternimmt in manchen Jahren weite „Ausflüge“, so­ gar bis über die Alpen. Links: Die Raupe des Distelfalters.

Der Schwarzwald- Baar- Kreis im Farbbild fotografiert von Erwin Kienzler, Schonach Rauhreif bei der „Thadäuskapelle“ in Schonach-Obertal Benediktinerkirche in VS -Villingen Die ,,Poleneiche“ in VS-Villingen Wegkreuz bei Tannheim fotografiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler fotografiert von Wilfried Mayer, Villingen-Schwenningen fotografiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach Im fürstlich-fürstenbergischen Schloßpark, Donaueschingen Bauerngarten in Hammereisenbach Schwarzbauernhof bei Furtwangen Weihnachten am Villinger Münster fotografiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenwei !er fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach fotografiert von Wilfried Mayer, Villingen-Schwenningen 272 Die Baar bei Wolterdingm (Foto: Gerhard Krieger).

Architektur, Bauen und Wohnen Wer rettet das Schwarzwaldhaus? 19. Kapitel/ Almanach 2002 Über die Not der Schwarzwälder mit dem landschaftsgerechten Bauen Der halbwegs ursprüngliche Rest ist, nach den Vorstellungen der neuzeitlichen Landwirtschaft und den hygienischen Wohnbedüifnissen, veraltet und unwirtschaftlich geworden: Wahrhaft trostlo­ se Aussichten fitr das alte Schwarzwaldhaus! (Haas, Berthold: Das Bauernhaus im Schwarz­ wald-Baar-Kreis, in: Der Schwarzwald-Baar­ Kreis 1970) Die Sorge um die Erhaltung und Weiter­ entwicklung des Schwarzwaldhauses treibt, wie man sieht, die Freunde dieser Landschaft nicht erst seit gestern um. Es waren – ver­ bürgtermaßen – Architekten, die schon ab der Mitte des 19. Jahrhundert befürchteten, die ebenso originelle wie intelligente Holz­ konstruktion dieses Hauses könnte verloren gehen. Als dessen eigentlicher Anwalt tat sich seit dem frühen 20. Jahrhundert jedoch der Schwarzwaldverein hervor. Für ihn war das Haus ein Stück Heimat, das als landschafts­ prägendes Charakteristikum um keinen Preis geopfert werden durfte. Zu lebhaften öffent­ lichen Kontroversen kam es freilich erst um das Jahr 1960. Damals beabsichtigte die (staatliche) Badische Landsiedlung, zustän­ dig für den Bau und die Finanzierung von Aussiedlerhöfen, den Allerweltstyp ihres Flachdachgehöfts auch im Hochschwarzwald einzuführen, also mitten im Gebiet der ge­ schlossenen Hofgüter mit seiner unverwech­ selbaren Hauslandschaft. Höfe sind bis dahin, nach Brand oder wenn der Altbau zu gar nichts mehr taugen wollte, in aller Regel noch in überkomme­ nem Baustil erneuert worden. Der kompak­ te Eindachhof mit Hocheinfahrt, Steildach, ja, zuallermeist auch mit dem schwarzwald- Der Obergrundhof bei Gütenbach, ein landscha.ftsgerechtes Hofgefüge. 281

Archi1ek1ur, Bauen und Wohnen Der Ettenberghofin Gütenbach, ein Positiv-Beispiel für landschaflsgerechtes Bauen. typischen Walmen, wurde noch von nie­ mandem ernstlich in Frage gestellt. Dennoch hatte sich der Aderlaß an histo­ rischer Bausubstanz zwischen den Weltkrie­ gen offenbar verstärkt, Anlaß genug für eine erste gründliche Bestandsaufnahme; das Er­ gebnis füllt das 1953 erschienene Standard­ werk „Das Schwarzwaldhaus“ von Hermann Schilli. Es lohnt sich noch immer, darin he­ rumzublättern. Und sei es nur, um sich beim Betrachten des Bildmaterials zu verge­ genwärtigen, was alles der Schwarzwaldland­ schaft zwischenzeitlich, im Verlauf nur eines halben Jahrhunderts, an prachtvoller histo­ rischer Bausubstanz abhanden gekommen ist. Die architektonische Einzigartigkeit der alten Höfe, zugleich aber auch die Vielfalt der regionalen Erscheinungsformen, vom Heiden- bis zum Hotzenhaus, lassen sich heute allenfalls nod1 in dem von Schilli ge­ rade noch rechtzeitig errichteten Freilicht­ museum „Vogtsbauernhof“ erahnen. Daß das Schwarzwaldhaus zum unver­ zichtbaren Inventar dieser Kulturlandschaft gehört, das haben – in den Jahren des auf­ blühenden Fremdenverkehrs – vorweg die Schwarzwaldmaler, von Hans Thoma bis Hermann Dischler, Einheimischen wie Be­ suchern nahegebracht. Das „malerische“ Haus gilt seitdem als Erkennungsmerkmal dieser Landschaft, ein Zweckbau, der aus noch immer unerforschten, heidnisd1-dunk­ len Ursprüngen plötzlich in die Bauge­ schichte eingetreten war und nun als „Spit­ zenleistung europäischer Holzbaukunst“ (Architekturprofessor Ulrich Schnitzer) ge­ rühmt und gepriesen werden durfte: Wel­ ches deutsche Mittelgebirge konnte sich mit einem vergleichbaren Werbeträger schmük­ ken? Keine Frage, der weltweite Bekannt­ heitsgrad des Schwarzwalds war nid1t zu­ letzt den behäbigen, Behaglichkeit verströ­ menden Walmdachhäusern zu verdanken, die mit der schönen Sommerfrische-Land- 282

schaft auf das Natürlichste verwachsen zu sein schienen. Nun also die – staatlich betriebene – radi­ kale Abkehr von der überkommenen Bau­ tradition. Als erster schlug der Schwarzwald­ verein Alarm. Heimatpflege gehörte nun einmal (und gehört noch immer) nebst dem Natur- und Landschaftsschutz zu den urei­ gensten satzungsgemäßen Aufgaben dieses Verbands. Unter seiner Federführung mel­ dete sich die „Arbeitsgemeinschaft Heimat­ schutz Südbaden“ zu Wort, ein mitglieder­ starkes Zweckbündnis von bis zu zwanzig Verbänden und Organisationen, das sich erstmals 1953 beim „Kampf um die Wu­ tachschlucht“ und deren Rettung vor den Ableitungsplänen der Schluchseewerk AG einen Namen gemacht hatte. Mit Medienhilfe sorgte man jetzt dafür, daß auch das Schwarzwaldhaus zum Politi­ kum wurde, so sehr sich Agrarpolitiker und Landwirtschaftsfunktionäre über die uner­ betene Einmischung wundern mochten. Gefordert wurden nicht etwa bloß kosmeti­ sche Kompromisse zur Erhaltung der ver­ trauten Fassade, nicht ein Schwarzwaldhaus­ Verschnitt mit den üblichen Versatzstücken, mit Krüppelwalm und Geranienbalkon. ZielvorsteUung war die Synthese zwischen den „bewahrenden Kräften des Bodenstän­ digen“ und den modernen betrieblichen und wohnhygienischen Erfordernissen. Kurz: den Heimatschützern war an der orga­ nischen Weiterentwicklung gelegen, nicht an Heimatkitsch und nicht an Nostalgie. Im Stuttgarter Landwirtschaftsministerium verhallten die Forderungen nicht ungehört. Ein von Hermann Schilli 1961 gelieferter Entwurf eines ModeUhofs wurde vom Land­ wirtschaftsminister (F. Brünner) ausdrück­ lich gelobt und anerkannt. Es wuchs auch die Bereitschaft der Landwirtschafts- und Bauämter, sich verstärkt um Lösungen in landschaftsangepaßter Bauweise zu bemü­ hen. Baurechtlich genehmigt wurden die von der Landsiedlung bevorzugten Ein­ heitstypen nur in wenigen Einzelfällen. Wo sie im hohen Schwarzwald erstellt worden Wer rettet das Sd,warzwaldhaus? sind, haben sie sich in der Folge durchaus nicht bewähren können. Allerdings hatte bereits Schilli auf ein ent­ scheidendes Problem des landschaftsgerech­ ten Bauens aufmerksam gemacht: Auf die Mehrkosten, die sich bei seinem Modell noch auf vergleichsweise bescheidene 15 000 DM beliefen. Wer für die Mehrkosten letzt­ lich aufzukommen hatte, stand leider auch nicht im 1973 vom Ministerium für Ernä­ hung, Landwirtschaft und Umwelt Baden­ Württemberg aufgelegten „Schwarzwald­ programm“, in welchem der Leitsatz 3 lau­ tete: „Unter Berücksichtigung der landschafts­ prägenden Bedeutung von Gehöften in ex­ ponierter Lage sowie des ortsüblich ange­ wandten Baustils und der Gemeinde- und Landschaftsentwicklung ist anzustreben, das bauliche Erscheinungsbild in Anlehnung an die herkömmlichen Bauformen zu gestal­ ten.“ „Wachsen oder Weichen“ Nicht nur das leidige Problem der Über­ nahme allfälliger Mehrkosten blieb unge­ löst. Auch die Frage, wie denn der lobens­ werte Leitsatz in Architektur umzusetzen sei, blieb weithin offen. Den Umgang mit dem landschaftstypischen Baustoff Holz hatten nur die wenigsten Nachkriegsarchi­ tekten noch erlernt; im boomenden Wirt­ schaftswunderland waren andere Materiali­ en gefragt. Zusehends zerrannen die Erlöse aus dem Hofwald. Und mit ihnen begann sich auch die übrige Einkommenssituation auf den Höfen mehr und mehr zuzuspitzen. Zunehmender Kostendruck und sinkende Verbraucherpreise zwangen dazu, den Vieh­ bestand aufzustocken und das Produktions­ volumen auszuweiten. ,,Wachsen oder wei­ chen“ lautet seitdem das Überlebensrezept der Agrarpolitiker. Zu wachsen begann vor allem der Maschinenpark, und der verlang­ te nach Unterstellmöglichkeiten. Der Platz unter dem Walmdach wurde eng und enger. Wo weder An-, noch Umbaumaßnahmen 283

Architektur, Bauen und Wohnen ausreichen wollten, mußte neu gebaut wer­ den. Die Mehrkosten bei landschaftsgebun­ dener Bauweise bezifferte das Freiburger Re­ gierungspräsidium 1976 bereits mit 100 000 bis 180 000 DM je Betrieb, allein für den Be­ reich des Wirtschaftsgebäudes. Aus dem Etat des Landwirtschaftsministers konnten aber zu jener Zeit „für Einzelfalle“ gerade mal 25 000 DM abgezweigt werden. Kaum mehr als ein Scherflein jeweils schossen die Landkreise aus ihren Regionalprogrammen zu. Nicht genug jedenfalls, um einem Schwarzwälder Höhenlandwirt den Umbau oder gar die komplette Hoferneuerung in landschaftsgebundener Bauweise sd,mack­ haft zu machen. Zwei Pilotprojekte Dennoch gab die „Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz Südbaden“ ihren Kampf nod1 nid1t verloren. ,,Heimatschützer steigen dem Minister auf das Dach“, meldeten die Zei­ tungen am 3.9.1977. Die Politik reagierte, und man faßte den Beschluß, zwei Pilotpro­ jekte zu starten: Im Schwarzwald-Baar-Kreis fiel die Wahl auf den Hinterbauernhof im Linachtal, dessen Betriebsteil von Professor Schnitzer im Rahmen eines Forschungspro­ jekts neu erbaut wurde. Das Kostenvolumen für die Holzkonstruktion in traditioneller Ständer-Bohlen-Bauweise lag bei 600 000,­ DM (die Eigenlei tungen inklusive) und da­ mit, nach Ansicht des Architekten, durchaus im konkurrenzfähigen Bereid1. Neben den von Schnitzer mit Mitteln des Denkmal­ schutzes vorbildlich sanierten Höfen darf der Hinterbauernhof wohl als Musterbei­ spiel eines wohlgelungenen landschaftsge­ rechten Hofumbaus gelten. Schule gemacht hat das Beispiel nicht. Wo dennoch und da­ rüber hinaus optisch befriedigende Lösun­ gen zustande gekommen sind, sind sie zu­ meist das Ergebnis zäher Überzeugungsar­ beit von Kreisbeauftragten für Natursdrntz und Kreisbaumeistern vor Ort. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts sollte sich die betriebswirtschaftliche Lage der 284 Schwarzwaldbauern weiter verschärfen. Um­ bau „de Juxe“, wie das Bemühen um land­ schaftliche Einpassung und um Fortführung der Schwarzwälder Baukultur jetzt verstan­ den wurde, die Bereitschaft, hierfür Mehr­ aufwand in Kauf zu nehmen, all das war um­ bauwilligen Jungbauern kaum mehr zu ver­ mitteln. War nicht vor Jahren schon das „Schwarzwaldprogramm“ angesichts leerer öffentlicher Kassen sang- und klanglos aus­ gelaufen? Was halfs: Auch die Öffentlich­ keit sollte sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, daß das bekannte und vielgelieb­ te Schwarzwaldhaus – die Fallers hin, die Sd1warzwaldklinik her – eines nicht melu allzu fernen Tages zum Auslaufmodell wer­ den könnte. Der Sündenfall war – ausgerechnet im Landsd1aftsschutzgebiet Hochsd1warzwald längst geschehen. Mit der bau- und natur­ schutzrechtlid,en Genehmigung der ersten großen Hallenställe, jener genormten Ein­ heitstypen, wie sie seit den 1990er Jahren landauf landab, von Flensburg bis Fried­ richshafen erstellt zu werden pflegen, war der Damm endgültig gebrochen. Ohnehin hatten die „Privilegierung“ landwirtschaftli­ cher Bauvorhaben und eine „deregulierte“ Landesbauordnung keine Handhabe für ge­ stalterische Auflagen mehr offengelassen. Der Einheitsstall mit dem schwachgeneigten Dach, Statussymbol und sichtbarer Beweis für die fortschrittlid1e, arbeitsökonomisch optimierte, tiergerechte Milchviehhaltung ist, wie es scheint, nicht mehr aufzuhalten; allein schon seiner konkurrenzlos niedrigen Investitionskosten wegen. Im Landschaftsbild des Schwarzwalds in­ dessen sprengt der Fremdkörper jedes Hof­ ensemble. Mag der Bau des Großstalles bei hängiger Topographie noch so gewaltige Erdbewegungen und Terrassierungen erfor­ derlich machen, mag sich der Höhenland­ wirt jetzt auch immer öfter einmal genötigt sehen, die Naßschneemengen vom Hallen­ dach herunter zu schaufeln: Unter dem Druck der betrieblichen Sachzwänge scheint der Zug ein für alle Mal abgefahren zu sein.

Wer rettet das Schwarzwaldhaus? Mustergültig und landschafisgerecht saniert: Der Hinterbauernhof in Linach. Doch noch einmal raffte sich der Schwarz­ waldverein zu einem Rettungsversuch auf: ,,In Sorge um die Erhaltung der regionalty­ pischen Baukultur“ beschloß er 1999, in Zu­ sammenarbeit mit dem Regierungspräsidi­ um Freiburg und dem Badischen Landwirt­ schaftlichen Hauptverband (BLHV) einen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Un­ ter dem Motto „Weiterentwicklung von Schwarzwaldhöfen“ sollten, unter vorrangi­ ger Verwendung des Baustoffs Holz, neue architektonische Ideen zur Gestaltung des Stallbereichs erarbeitet werden. ,,Grundge­ danke des Ideenwettbewerbs“, so heißt es in der Ausschreibung, ,,ist es, moderne und wirtschaftlich tragbare Konzepte für die Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Betriebes mit den Erfordernissen bei der Er­ haltung der Kulturlandschaft zu verbinden. Der Auslober will sowohl die qualitätsvolle Fortentwicklung der alten Bauernhäuser för­ dern als auch die Erhaltung auch in Zukunft lebensfähiger Betriebe unterstützen.“ Ge­ plant werden sollte anhand dreier repräsen­ tativ ausgewählter Höfe aus dem südlichen Schwarzwald, darunter der Thomashof in U nterkirnach. Die Resonanz auf die Ausschreibung über­ traf alle Erwartungen, und so mußten aus dem Interessentenkreis von 300 in- und aus­ ländischen Architekten 40 Bewerber ausge­ lost werden. Die Ausbeute freilich, vorge­ stellt in einer Wanderausstellung und in ei­ ner Broschüre des Vereins Naturpark Süd­ schwarzwald e.V., dürfte unter Schwarz­ waldfreunden eher Beklommenheit denn Zuversicht ausgelöst haben. Anklänge an den überkommenen Schwarzwälder Baustil lassen sich allenfalls beim preisgekrönten Entwurf eines Münchener Architekturbüros ausmachen. Ansonsten schienen die Wett­ bewerbsteilnehmer das Walmdach gescheut zu haben wie der Teufel das Weihwasser: Die Ideen der übrigen Preisträger muten so futuristisch an, daß sie sich in ihrer gesichts­ losen Beliebigkeit wohl ebenso gut in die norddeutsche Tiefebene wie in‘ s Sauerland oder in den Mittleren Westen der USA ver­ pflanzen lassen. So hält sich denn unser Bedauern in Gren­ zen, wenn sich bislang noch keiner der Hof­ besitzer dazu hat durchringen mögen, den Wettbewerbsentwurf nun auch zu überneh­ men. Wo waren die einheimischen Architek- 285

Wer rettet da Schwarzwaldhau ? ten abgeblieben? Hatte die Jury resigniert angesichts der Scheu der Wettbewerbsteil­ nehmer vor der Auseinandersetzung mit ei­ ner jahrhundertealten Baukultur, vor dem Spiel mit den Schwarzwälder Stil- und Kon­ struktionselementen? Haben nicht gerade die Großen der Zunft, von Mies van der Ro­ he bis Le Corbusier, immer auch noch aus der alten ländlichen Architektur geschöpft? Die Form folgt der Funktion, lautet ein unumstößlicher Lehrsatz der Architektur. Wozu also noch ein Steildach, wo doch die Silage mittlerweile aus dem Fahrsilo oder im Preßballen herbeigekarrt wird. Und wel­ che Funktion, bitteschön, hat ein Walmen? Oder muß die Frage nicht doch andersher­ um gestellt werden: Wie funktioniert der landwirtschaftliche Betrieb der Zukunft un­ ter winterlichen Extrembedingungen? Wie, wenn nach Dauerniederschlägen das Gülle­ becken überläuft? Könnte sich der Walmen unter der Gewalt von Orkanböen nicht et­ wa doch als nützliche konstruktive Verstär­ kung erweisen? Sind die Standortskräfte, wie sie über die Jahrhunderte die Hausform modellierten, allesamt mit einem Mal außer Kraft gesetzt? In den Zeiten einer sich neu orientieren­ den europäischen Agrarpolitik, aufgeschreckt durch BSE- und MKS-Krisen, stellt sich am Ende desto drängender die Frage: Wohin überhaupt entwickelt sich Höhenlandwirt­ sd1aft? Sind die Vollerwerbsbetriebe, die Hätschelkinder der Agrarpolitiker alter Schu­ le, tatsächlich noch der Weisheit letzter Schluß? Gehört den „Progressiven“ unter den Jungbauern die Zukunft, die sich von ihren Beratern – allen Standortsnad1teilen zum Trotz – die Aufstockung haben auf­ drängen lassen, um ja aud1 fit zu werden für den europäischen Wettbewerb? Denen man deshalb alle noch so gewagten lntensivie­ rungssprünge, alle baulid1en Erweiterungen und Entgleisungen, alle Flächen- und Vieh­ bestandsvergrößerungen nachzusehen ge­ zwungen war, weil immer und überall gleich das betriebliche Überleben auf dem Spiel stand? 286 Vielleicht wird die Ökologisierung der Landwirtschaft, wie sie derzeit von Brüssel und von Berlin angemahnt wird, auch für den Schwarzwald wieder neue Perspektiven eröffnen. Mit der Agrarwende könnte auch neue Hoffnung für das Schwarzwaldhaus aufkeimen. Denn wer weiß: Am Ende darf es im Gebirge, wo betriebliches Wachstum mehr als anderswo zu Lasten ökologischer und landsd1aftlicher Q!ialität geht, doch auch wieder eine Nummer kleiner sein: Der „diversifizierte“ Bauernhof mit Ökolabel beispielsweise. Dessen Landschaftspflege brächte für die Artenvielfalt fraglos mehr als bloßes Freihalten der Landschaft unter In­ kaufnahme von Stickstoffdusche und allzu früher Silagegewinnung. Setzt sich im Konkurrenzkampf der euro­ päischen Urlaubsregionen jetzt noch die Er­ kenntnis durch, daß der Wiedererkennungs­ wert der Landschaft, daß jeder noch so be­ sd1eidene Rest landschaftlicher und bauli­ d1er Idendität wettbewerbsentscheidend sein kann, so wird sich in den Förderrichtlinien für den „ökologischen Ausgleichs- und Er­ holungsraum Schwarzwald“ womöglich auch wieder ein „Fördertatbestand landschaftsge­ rechtes Bauen“ verankern lassen. Der Bruch in der Schwarzwälder Bautradition wäre dann vielleicht eben noch zu kitten. Wolf Hockenjos An der Wutach Zwischen Ufergrün und Baumdach zieht Wasser Spuren schnell und klar ist der Weg mitgenommen viele Steine ungefragt Christiana Steger

Der Bühlhof in Schönwald Ein Blick in seine Geschichte und seine heutige Nutzung Architektur, Bauen und Wohnen Es ist nicht nur die im vorhergehenden Ar­ tikel geschilderte bauliche und denkmalpfle­ gerische Seite, welche den Bühlhof als le­ bendiges Zeugnis einstigen bäuerlichen Le­ bens im hohen Schwarzwald so beachtens­ wert erscheinen lässt. Das bis vor wenigen Jahren unansehnliche und marode Gebäu­ de, vor dessen Fassade der Wanderer heute beeindruckt stehen bleibt und das jedem Autofahrer sogleich in die Augen springt, birgt gleichfalls eine Besitz-, Lebens- und Fa­ miliengeschichte mit vielerlei erwähnens­ werten Details. Das in der Heimatchronik von Schönwald (1986) angegebene Erbauungsdatum des Hofes 1771 bezieht sich auf die Erneuerung wesentlicher Teile des Gebäudes, wobei da­ rin bereits über 200 Jahre zuvor ein Schwarz­ wälder Bauernleben seinen Anfang nahm. Doch liegen darüber bis heute keine Er­ kenntnisse vor. So muss denn die Hofge­ schichte zunächst einmal mit jener in die Balken des Wohnteils geritzten Barockin­ schrift aus dem letzten Drittel des 18. Jahr­ hunderts anheben, die hier noch einmal in moderner Schreibweise wiedergegeben sei: „Da geht man aus und ein, Gott wolle ei­ nem jeden gnädig sein. Das baute der ehrba­ re Andreas Ketterer und Maria Anna Nei­ ninger. Dieses Haus steht in Gottes Hand, Gott bewahre es vor Feuer und Brand.“ Eine große Fläche musste in früheren Zei­ ten ein Hofgut haben, um Besitzer, Kinder und Gesinde ernähren zu können. Der Bühl­ hof erreichte die Höhengrenze von Weißen­ bach und Schwarzenbach, auf der anderen Seite die Prisen. Im Zuge der Aufteilung ent­ standen im vergangenen Jahrhundert viele Der 1771 erbaute und liebevoll restaurierte Bühlhof in Schönwald. 287

Architektur, Bauen und Wohnen Der Bühlhef um das Jahr 1910. Neubauten darumherum , wo einst die Bau­ ersleute mit Knechten und Mägden mit da­ mals noch primitiven Mitteln die Äcker be­ wirtschafteten und die Ernte einbrachten. Eine Zeit der Teilungen Nur umrisshaft haben wir Kenntnis aus diesen und den folgenden Jahren. Die drei Ehen des Andreas Ketterer blieben kinder­ los. Der Hofnachfolger Magnus Reichen­ bach aus St. Peter hatte ein ganz anderes Schicksal. Seine Familie war mit zehn Kin­ dern gesegnet, aber was ihn trotzdem dazu trieb, seine Felder zu veräußern, ist uns nid1t bekannt. Schlechte Ernten bei dürfti­ ger Düngung, Spielschulden? Für das geschlossene Hofgut begann eine Zeit ununterbrochener Teilungen. 1885 stand eine „Klopfsäge“ in unmittelbarer Nähe rechts unterhalb des Hauses, durch die „Säg­ gasse“ mit diesem verbunden, daran grenz­ te der „Sägwald“. Sein Bestand wurde abge- 288 holzt, die Fläche für neue Bauten oder als Grünland genutzt. (Bis 1795 ist der Bühl­ bauer der Besitzer). Der eigens angestellte Säger bezog ein angrenzendes Häuslein, das Gut bei der Säge von acht Hektar wurde ab­ getrennt, d.h. selbstständig. Trotz regen Be­ sitzerwechsels blieb die Säge eine „Kunden­ sägmühle“ als eigenes Gewerbegut. Auch in späterer Zeit entstanden auf dem alten Ge­ werbegut neue Anwesen, zum Teil mit klei­ ner Landwirtschaft und bis in die heutige Zeit weitere Wohnhäuser. Zum Bühlhof ge­ hörte auch nach mündlicher Überlieferung in der Familie bereits 1728 auf dem Bühl­ berg ein Doppelhäuschen, das nad1 20 Jah­ ren abbrannte, aber wieder aufgebaut wur­ de. Es fiel 1851 ein letztes Mal in Asche. Die beiden Besitzer trennten sich schon im Vor­ feld, bauten je ein eigenes Häuschen mit ge­ sondertem Feld und Wald. Eine Besonder­ heit war das Wahrzeichen von Schönwald – drei Tannen und Granitfelsen – auf dem al­ ten Bühlhofboden, am Bühlberg, dem heu-

tigen Mühleberg. Ein Blitzschlag vernichte­ te es. 1832 erfolgte ein Umbau 1832 wurde das Haus umgebaut und an seiner oberen Seite ein Anbau mit einem ge­ wölbten Keller angebracht. Die Schwieger­ tochter des Magnus Reichenbach, die zehn­ te Besitzerin, verkaufte weitere Grundstü­ cke, behielt sich aber lebenslängliches Wohnrecht vor. Das ursprüngliche Gebäu­ de, erkennbar an seinem weißen Putz, ist ein selbstständiger Wohnsitz geblieben. Den Anbau kauften die Großeltern von dem die­ ses Jahr verstorbenen Besitzer Horst Storz im Jahr 1919. Die Landwirtschaft blieb dem Haus lange treu. Bis etwa 1956 hielt eine Pächterfamilie fünf bis sechs Kühe, dafür musste sie allerdings noch Feld pachten. Die nutzbare Fläche war zu klein geworden. Lukas und Franziska Duffner sind mittler­ weile die 21. Besitzer des Hofes. Lukas Duff­ ner ahnte 1986 nur in groben Zügen, was bei der Restaurierung des Gebäudes auf ihn zu­ kommen sollte. „Das Haus stand kurz vor Der Bühlhof in chönwald dem Zusammenbruch“, erinnert er sich heu­ te. „Noch einen Winter und es hätte flach gelegen!“ Der Vorbesitzer aus Schonach hat­ te seinerzeit vom Landesdenkmalamt Aufla­ gen zur Renovierung des Hofes bekommen und ließ dann auch Pläne erstellen. Lukas Duffner junior übernahm die genehmigten Pläne und änderte sie nach seinen Vorstel­ lungen ab. Er verhinderte zum Beispiel, dass mehrere große Schaufenster in die Fassade eingelassen wurden. „Stattdessen war ich für die kleinen Fenster, die eine typische Cha­ rakteristik hergeben“, erklärt der gelernte Schreiner, der seine eigenen Vorstellungen zum großen Teil selbst verwirklichte. Dazu gehörte auch das großflächige Dach, das mit Zedernholzschindeln gedeckt wurde. Doch zunächst musste es angehoben werden, da zuvor einzelne Gebälkstücke herausgesägt waren. Das Erstellen der Statik und des neu­ en Gebälks übergab er einer Fachfirma. An­ sonsten renovierte Lukas Duffner den Hof mit seinem Bruder in Eigenarbeit. Er muss­ te im Inneren des Gebäudes den Boden aus­ graben, da sich durch Nässe eine regelrech­ te Humusschicht gebildet hatte. Fast den ganzen Boden musste er danach neu beto­ nieren. Ein weiteres Problem war die Fassa­ de, die größtenteils morsch war und teilwei­ se nur provisorisch ausgebessert wurde. Das Obergeschoss behielt er sich selbst vor und machte daraus eine heimelige Wohnung für seine Familie. Da in diesem alten Gebäude auch einst ei­ ne der Wiegen der Kuckucksuhr stand, mach­ te sich das Ehepaar Gedanken über die Ge­ staltung des unteren Teils. Wo früher die Stube in dem in seiner Urform erhaltenen Anwesen war und sich die Bauernfamilien nach einem arbeitsreichen Tag »z‘ Liecht“ zusammenfanden, wurde für kurze Zeit das „Museumsstüble“ des Fördervereins Wo einst Kuckucksuhren gefertigt wurden, können Touristen heute Souvenirs eoerben, darunter auch viele Uhren. 289

des Hofes verkaufte, verschwand das Kreuz. Der Vater des zu Jahres­ anfang gestorbenen Mit- besitzers Horst Storz hatte den sehnlichsten Wunsch, wieder in den Besitz des Kreuzes zu kommen, und tatsächlich gelang es Lukas Duffner und dem Ortsgeistli­ chen, dieses Unikat zurückzuer­ werben. Da das Kreuz aber aufgrund sei­ ner über 70jährigen Geschichte alt und brüchig war, musste es restauriert werden. Einern Fach- mann das Kreuz anzuvertrauen wä­ re viel zu teuer geworden, also mach­ te sich Storz selbst an die Arbeit. Er sägte die brüchigen und faulen Stel­ len heraus, schnitzte die fehlenden Teile selbst und befestigte diese mit Holzzapfen am Korpus, wie man es schon früher getan hatte. Der Hob­ byschnitzer, der noch nie etwas von solchem Ausmaß schnitzte, hatte sogar das Kreuz neu geschaffen. Ein ortsansässiger Maler bemalte ihm das Kunstwerk kostenlos. Das Kreuz wird von den vielen Gästen, die im Bühlhof ein- und ausgehen wegen seiner Schönheit bewundert. Die beiden Besitzer­ familien verkörpern mit ihrem Tun ein Stück Heimatverbundenheit, wie es so bald nicht wieder zu finden ist. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist es besonders wichtig, dass es solche Mitbürger gibt, welche die wahren Werte erkennen, viel Idealismus ein­ bringen und so der Nachwelt ein Stück Ge­ schichte erhalten. Anlonia Fehrenbach Der Bühlhof in Schönwald Eine eigene Geschichte hat das Hofkreuz des Bühl­ hofes, es ist der Dank for die gesunde Wiederkehr der Söhne aus dem Ersten Weltkrieg. „Schwarzwalduhr“ eingerichtet, worin ei­ ne Ausstellung mit T ierschnitzereien bei Kuckucksuhren untergebracht war. In diesem rund 40 �adratmeter gro­ ßen Raum sind heute Schnitzereien jeder Art zu erwerben. Der ehemalige Stall des Hofes war für ein geplantes Ladengeschäft zu niedrig. Deshalb wurde kurzerhand das „obere Stockwerk“, in dem sich &üher die Kammern der Knechte und Mägde befan­ den, dazu genommen. Das alte Holz des Stalles konnte nur zum Teil genutzt wer­ den; es war durch die Einwirkung des Sal­ miaks stark angegriffen. In dem heute weitflächigen Ladenraum steht dem Besucher zwischen Alterhaltenern und Neuergänztem ein großes Sortiment bemalter Uhren, Souvenirs und traditionel­ ler Schwarzwälder Geschenkartikel zur Ver­ fügung. Nach einer fast vier Jahre dauernden Um­ bauzeit wurde der Bühlhof wieder mit Le­ ben erfüllt. Das umfangreiche restaurierte Wohn- und Geschäftshaus wird von Familie Duffner bewohnt und geschäftlich betrie­ ben. Die Geschichte des Hofkreuzes Eine eigene Geschichte hat das Hofkreuz: Während des Ersten Weltkrieges wohnte ei­ ne Familie im hinteren Teil des Hofes. Die Mutter legte zu dieser Zeit das Gelübde ab, ein Kreuz auf dem Bühlhof zu erstellen, falls ihre beiden Söhne aus dem Krieg heimkehr­ ten. Sie kamen 1918 zurück, und das Ver­ sprechen wurde eingelöst. Der Schnitzer des Korpus ist nicht mehr zu ermitteln. Als der damalige Besitzer 1973 den vorderen Teil 290

Die neue Mitte – Furtwanger Stadtkernsanierung Attraktive Innenstadt mit viel Grün und Erlebnis- sowie Ruhezonen geschaffen Architektur, Bauen und Wohnen Die Stadt Furtwangen im Schwarzwald hat im Zuge einer mehrere Jahre andauernden Stadtkernsanierung ihr Gesicht nachhaltig verändert: Wo noch „vor kurzem“ tagtäglich tausende von Kraftfahrzeugen mit ihrem Lärm und Abgasen den Bürgern zusetzten, ist heute Ruhe eingekehrt. Die neue Furtwanger Mitte ist eine wirkliche Stadtmitte, präsentiert sich modern und überaus bürgerfreundlich. Ein Wasserspielplatz an der Breg, großzügige Ruhezonen, ein Bächle, das mitten durch die Innenstadt fließt, Blumenschmuck und viele Bäume, gepflasterte Straßen sowie Gehwege und der Robert-Gerwig-Platz beim Deut­ schen Uhrenmuseum setzen neue Akzente, machen den Besuch von Furtwangen zu ei­ nem Erlebnis. Bürgermeister Richard Krieg zu den Verän­ derungen: ,,Es ist geschafft, denn die Ziele wurden erreicht: der Verkehr fließt ums Zentrum ohne Stau. Neu gestaltete und ver­ kehrsberuhigte Plätze, neue Straßenbilder, Spielplätze, Brunnen, Raum für Begegnung, Markt und Leben in der Stadt. Handel und Gastronomie erkennen die neuen Chancen und spüren den Erfolg. Gäste kommen, be­ staunen das Geschaffene und zollen Respekt für Mut und Leistung. Und wir Furtwanger dürfen stolz sein auf die neue Stadt mit der pulsierenden Mitte. Mit dem zentralen Bushalt am Rößleplatz wurde nach langer Diskussion ein architek­ tonisches Zeichen gesetzt, um den moder­ nen Geist Furtwanger Schaffens zu doku­ mentieren. Wir haben unser Ziel erreicht. Das Stadt­ bild paßt nun zum Fleiß und den Leistun­ gen der Bürger, zu den modernen Produk­ ten der Industrie, zum exzellenten Ruf der herausragenden Fachhochschule und zum einzigartigen Deutschen Uhrenmuseum.“ In Furtwangen wurde über etliche Teilas­ pekte der Stadtkernsanierung intensiv dis- Dank der Stadtkemsanierungjlirßt nun ein „Bäch­ le „durch Furtwangen, gibt es einen Marktplatz mit Blumen und Ruhebänken – eine neue Mitte. 291

Am ehemaligen Gewerbekanal erinnert der Mühlstein an eine geschichtstriichtige Stelle mitten in der Furtwanger Innenstadt. derrahmen weit über dem Landesdurchschnitt von 6 Millionen DM für ein Fördergebiet. Seit der Aufnahme von Furtwangen in das Stadtsanierungspro­ gramm im Jahre 1986 wurde der Förderrah­ men insgesamt sechsmal erhöht. Er betrug ursprünglid1 7,29 Mill. DM und hat sich so­ mit nahezu verdoppelt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf ca. 20,2 Millionen Mark. Bürger investieren 50 Millionen Mark Stadtkernsanierung bedeutet, daß eine Fülle von Projekten förderfähig ist, vor al­ lem auch private Sanierungsvorhaben. Die Bürger profitieren somit in vielfacher Hin­ sicht. Legt man die Angaben in den Bauge­ suchen zu den privaten Maßnahmen zu- Architektur, Bauen und Wohnen kutiert. Die Sanierung einer Stadtmitte, eine der wich­ tigsten kommunalpoliti­ schen Aufgaben überhaupt, ist Teamarbeit. Ohne ein vertrauensvolles Miteinan­ der zwisd1en Verwaltung und den Entscheidungs­ gremien (Gemeinderat und Bürgermeister), den Planern, Bürgerinnen und Bürgern sowie ausführenden Firmen ist die Sanierung nicht möglich. Die Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger hat eine beson­ dere Bedeutung: Ohne ihre Bereitschaft, die Sanierung zu unterstützen, ,,läuft nichts“. Die Sanierung in Furtwangen im Schwarz­ wald hat landesweit Beachtung gefunden. Sowohl Vertreter der Regierung als auch von Ministerien und Behörden weilten sd10n öf­ ters in der Hochschulstadt, um sich vom Fortgang der Sanierung ein Bild zu machen. Die Bedeutung, die der Furtwanger Stadt­ kernsanierung beigemessen wird, widerspie­ gelt sich auch in der besonderen Förderung durch das Land Baden-Württemberg: Mit derzeit 13 793 Millionen Mark liegt der För- 292

grunde, wurde im privaten Be­ reich ein Betrag von 50,1 Mill. DM investiert. Neben der Be­ trachtung, daß vor allen Dingen das örtliche Handwerk mit den Sanierungsvorhaben Arbeitsplät­ ze erhalten und schaffen konnte, muß natürlich besonders beach­ tet werden, daß mit den neu ge­ schaffenen Räumlichkeiten so­ wie Wohn- und Geschäftshäu­ sern auch die Grundlage für eine positive zukünftige Entwicklung geschaffen wurde. Es kam „nicht nur“ zu einer optischen Aufwertung des Stadt­ bildes, eine Stadtkernsanierung greift we­ sentlich tiefer. Freiflächen haben hohen Stellenwert Die Sanierungsziele wurden auch durch den Abbruch nicht mehr nutzbarer oder ex­ tensiver Gebäude erreicht. So war es mög­ lich, durch den Abbruch des Hauses Wmter­ mantel einen Marktplatz zu schaffen, eine Freifläche für vielseitigste Möglichkeiten mit- Furtwanger Stadtkernsanierung Grünanlagen und Blumen brin­ gen Farbe ins Furtwanger Stadt­ bild, am Marktplatz blüht im Sommer der Felberich. ten in der Stadt. Im Vorfeld � des Hausabbruches gab es eine intensive Diskussion über den Nutzen der Maßnahme, es wurde auf die Erhaltungswür­ digkeit des Hauses unter ge­ schichtlichen Belangen verwiesen, auch die Idee diskutiert, im „Nemesi“ ein Heimat­ museum zu verwirklichen. Doch da die Ge­ staltung von Freiflächen bei der Furtwanger Stadtkernsanierung einen zentralen Stellen­ wert einnahm, konnte auf diese Wünsche mit Blick auf das Ganze keine Rücksicht ge­ nommen werden. Heute hat diese Maßnah­ me eine hohe Akzeptanz, hat doch erst sie den Marktplatz möglich werden lassen. Zur Ausgestaltung einer neuen Mitte, einer Innenstadt, in der man gern verweilt, haben Großzügige Freijliichen im Einklang mit einer ‚lltl’­ kehrsberuhigten Zone haben dem Marktplatz wieder zu dem Stellenwert im Stadtgefüge verholfen, der ihm zusteht. Vom Verkehr entlastet, lädt die neue Mitte zum Bummeln und Verzt1eilen ein. 293

Architektur, Sauen und Wohnen neben dem Kernvorhaben Marktplatz fol­ gende Ausgestaltungs- sprich Sanierungs­ maßnahmen beigetragen: Bahnhofstraße, Lindenstraße mit Kindergartenvorplatz, Ger­ wigstraße mit Robert-Gerwig-Platz, Fried­ richstraße, Rößleplatz mit Busbahnhof 135 neue Stellplätze in Tiefgaragen Da das Parken im Straßenraum vor allem in den Wintermonaten wegen der Schnee­ massen sehr schwierig ist, galt es, das seit Jah­ ren vorhandene Parkplatzproblem zu lösen. Dazu wurden auch zwei Tiefgaragen ge­ schaffen. Im sogenannten „SF-Bau“ befin­ det sich eine öffentliche Parkierungsanlage mit 89 Plätzen, unmittelbar gegenüber, an­ grenzend an das Ratl1aus auf dem ehemali­ gen Bauhofgelände, eine Tiefgarage mit 46 Stellplätzen. Private Tiefgaragen brachten zu­ gleich den Ausgleich für überbaute Flächen. Im Rahmen der Sanierung wurden aber auch öffentliche Infrastruktureinrichtungen erneuert, erweitert bzw. neu geschaffen. So wurde der Kindergarten in der Lindenstra­ ße, die Sozialstation und das Rathaus teil­ weise saniert. Es wurde ein Stadtarchiv ge­ schaffen und es ist geplant, im Zuge der Rat­ haussanierung einen behindertengerechten Zugang zum Railiaus und zur Tiefgarage hin­ term Rathaus zu erstellen. Als Summe bleibt festzusteUen: die neue Qialität der Innenstadt hat Furtwangen zu ei­ ner „wiederbelebten Mitte“ verholfen. Der neue Marktplatz macht seinem Namen alle Ehre, denn er bietet Platz, und das nicht nur für den Markt. Er bietet wirklich die Chance, zur guten Stube von Furtwangen zu werden und damit Schauplatz des bürgerschaftlichen Lebens der Stadt. Zu den neuen Wahrzeichen der Stadt gehört auch der Zentrale Omnibusbahnhof am Röß­ leplatz mit seinem „Bogen“. Zum Standort des Busbahnhofes hatte es auch ein Bürger­ begehren gegeben, das am erforderlichen Qiorum jedoch gescheitert war. Die neue Mitte von Furtwangen jedenfalls kann sich sehen lassen, das belegen die vielen Komplimente, die die Furtwanger für ihre sa­ nierte Stadt von überallher erhalten. Vor al­ lem auch von den vielen Besuchern aus aller Welt, die nach ihrem Rundgang durchs Deut­ sche Uhrenmuseum zu einem Stadtbummel aufbrechen – das war nicht immer so. Furtwangen im Schwarzwald, das ist „Erleb­ nis Stadt“, „Erlebnis Architektur“, ,,Erlebnis Grün“, ,,Erlebnis Wasser“, „Erlebnis Einkau­ fen“, ,,Erlebnis Zeit“ – sprich städtebauliche Vielfalt. Wilfried Dold / Klaus Weber/ Dipl.-Ing. Karl Haag 294

Furtwangcr Stadtkernsanierung Von oben links: Sonnenuhrenpark beim Deutschen Uhrenmuseum, der „Bogen „am Rößleplatz {Zentra­ ler Busbahnhof), attraktive Geländer entlang der Breg, Trödlermarkt in der Gerwigstraße, Fassadende­ tail der Sozialstation und der viel besuchte Wasserspielplatz. 295

20. Kapitel/Almanach 2002 Stätten der Gastlichkeit Sauschwänzlewürstchen im Mitropa-Speisewagen Nostalgisches Zugrestaurant am Bahnhof Zollhaus in Blumberg Zur Saisoneröffnung im Mai 2001 bot die Blumberger Museumsbahn, liebevoll auch als „Sauschwänzlebahn“ bezeichnet, zum Bahnmuseum und dem original aufgebau­ ten Reiterstellwerk als neue Attraktion den restaurierten, nostalgischen Restaurations­ zug. An die hundert Meter lang sind die drei ro­ ten Mitropa-Speisewagen, die vom Gemein­ derat der Stadt Blumberg im Februar 1998 vom damaligen Standort in Aalen gekauft und im April 1998 an den Bahnhof in Blum­ berg-Zollhaus überstellt wurden. 1999 er­ folgte die Umsetzung der Waggons an ihren jetzigen Standort gegenüber des Bahnhofes. Nun begann auch die nicht einfache Suche nach einem Pächter. Mit Ruth Biller fand die Stadt Blumberg dann eine engagierte und versierte Gastro- nomin, die die mittlerweile von außen und innen renovierten Speisewagen übernahm. ,,Mitroparot und Creme, das sind die vor­ herrschenden Farben in unserem Zugre­ staurant und entsprechen eben genau der al­ ten Farbgebung“, erläutert Ruth Biller, die sich sehr viel Mühe mit der dekorativen Ausgestaltung der Wagen gegeben und so ein ansprechendes Ambiente geschaffen hat. Salonwagen mit Platz für 36 Personen Der erste der drei Wagen, der Salonwagen, ist mit Tischen und Stühlen möbliert, hier ist Platz fur 36 Personen und der Raum er­ innert jetzt an ein Speisezimmer gehobener Klasse. Hier kann wie in jedem gepflegten Restaurant gegessen werden, aber es ist auch gut geeignet für kleinere Familienfeiern oder Das Team mil speziellem Servicewagen und Gastwirtin Rulh Biller im noslalgisd, am besten restaurierten Mitropa-Speisewagen. 296

Mitropa-Speisewagea Nostalgie pur, der fast identisch erhaltene alte Mitropa-Speisewagen. Jubiläen, so die Gastwirtin. Im zweiten Wa­ gen kommt absolut altes Eisenbahnflair auf: Hier sitzen die Gäste auf Polsterbänken, überzogen im Kopfteil mit hellen Hussen, wie einst in den Fernzügen zum Beispiel Dortmund-Basel SBB, in denen Speisewa­ gen in dieser und ähnlicher Ausstattung mit­ liefen. Und manch einer der vielen Besucher der Blumberger Museumsbahn und des nostal­ gischen Zugrestaurants wird sich noch an den Gongschlag und den Ruf des Kellners auf diesen langen Bahnfahrten erinnern: „Bitte Platz nehn1en zum ersten Mittages­ sen“, und das Essen wurde serviert und es gab Stoffservietten an jedem Platz. Etwas von dieser nostalgischen Erinnerung bietet auch Ruth Eitler. Auf ausgesucht schönem Geschirr wird in diesen beiden Wagen vom Serviceteam, jungen Frauen in Bistroklei­ dung, serviert, und auf der Speisekarte finden sich Angebote und Menues, die nach der Bahn benannt sind. Zum Beispiel gibt es ein deftiges „Heizerfrühstück“ für alle, die an der morgendlichen Bahnfahrt teilnehmen wollen, und zu Mittag stehen dann die be­ liebten Schnitzel in allen Varianten an, aber es gibt auch ein Menü „Blumberg-Expreß“ oder „Wutachflühen“. Dazu finden sich auf der Speisekarte neben den regionalen Spe­ zialitäten wie Maultaschen auch Salatteller in großer Auswahl und rein vegetarische Ge­ richte. Alle Zutaten stammen aus kontrol­ liertem ökologischem Anbau. Ein ganz spe­ zielles Angebot, nur in den roten Mitropa­ Wagen, sind die heißen „Sauschwänzle­ Würstchen“ die, gekringelt wie die Bahnli­ nie, mit einem deftigen Kartoffelsalat serviert werden. Selbstbedienung im Bistro-Cafewagen Im Bistro-Cafewagen, dem dritten Wag­ gon mit bequemer, großer Bar, ist Selbstbe­ dienung angesagt und hier gibt es dann Kaf­ fee, Backwaren und kleine Snacks. Eine Sonderanfertigung ist der Getränkewagen, schmal und auf die Gänge der Speisewagen genau konzipiert, ebenso wie die Treppe, die vom Küchentrakt zum Biergarten hin­ unter geht und die problemlos erreicht wer­ den kann. „Im Biergarten setzen wir auf Selbstbedienung, aber bitte auch mit gutem Geschirr, das von uns abgeräumt wird. Für viele Gäste muss es halt schnell gehen, weil sie vor oder nach der Zugfahrt noch ins Rei­ terstellwerk und Museum möchten, da bieten wir eben diesen Schnellservice an.“ 297

Stätten der Gastlichkeit Ohne große Wartezeiten ist es möglich, in diesem Zugrestaurant zu essen, denn es wird auf den Fahrplan Rücksicht genommen, und wenn auch alles so schön nostalgisch aus­ sieht, die kleine, feine und leistungsfähige Bordküche ist auf dem küchentechnisch neuesten Stand, ebenso wie die Kühlräume und der Sanitärbereich, der zudem noch hübsch eisenbahnmäßig dekoriert ist. Und an sommerlich heißen Tagen sorgt eine Kli­ maanlage für angenehme Temperaturen in dem roten Mitropa-Wagen. Und noch eine Besonderheit hat das Nost­ algie-Restaurant zu bieten: es ist ein absolu­ tes Nichtraucherlokal. ,,Denn gegenüber auf den Gleisen wird von den Lokomotiven schon genug gequalmt“, so Pächterin Ruth Biller. Christiana Steger Mit zwei Autokränen wurden 19 9 9 die drei Mit­ ropa-Wagen auf ihren neuen Stadtort gehievt. Die Bergvesperstube „Hintereck“ Als Pächter konnte der Schwarzwaldverein Gütenbach gewonnen werden Unterhalb der Kaiserebene auf der Son­ nenterrasse des Simonswäldertals in einer Höhe von 950 Metern liegt das beliebte und weit über die Grenzen von Gütenbach hi­ naus bekannte Wanderziel „Hintereck“. Seit dem 18. Juli 1998 ist diese Bergvesper tube wieder mit neuem Leben erfüllt. Die ehemalige Holzfällerwohnung diente schon immer als Rasthaus, und das Forstamt Furtwangen verpflichtete jeden neuen Päch­ ter zu wirten. Als im Jahre 1997 ein Pächter­ wechsel anstand, kam der damalige Forst­ amtsleiter Stefan Gutzweiler auf den Schwarz­ waldverein, Ortsgruppe Gütenbach, zu. Schon vor vielen Jahren war der Schwarz­ waldverein als Pächter im Gespräch, aber aus unerfindlichen Gründen wurde damals zwei Stunden vor der Unterschrift ein ,,Rückzieher“ gemacht. Nach einjähriger Be­ ratungsphase in der Vorstandschaft der Orts­ gruppe stand dann der Entschluss fest, das Wanderziel „Hintereck“ zu erhalten und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu ma­ chen. Die Zustimmung wurde von der Mitglie­ derversammlung erteilt und für den ersten Vorsitzenden, Lorenz Wiehl, galt es mit der Vorstandschaft ein Konzept zu entwickeln. Seine Ehefrau Waltraud verwaltet seither die „Bergstube Hintereck“ und kräftig zur Seite stehen dem Ehepaar Wiehl die Teamchefs Gabi Merz, Christian Fichter und Baptist Hummel. Das ganze Jahr über sind vierzig freiwillige Helferinnen mit über 400 Einsät­ zen ehrenamtlich im Dienst. Zu Fuß erreicht man die „Hintereck“ in 45 298

Bergvesperstube .Hintereck“ Minuten vom Wanderparkplatz „Herren­ garten“ an der Landstraße L 173 zwischen Gütenbach und Simonswald über den „Wäl­ dersteig“ oder vom Wanderparkplatz „Leh­ mannskreuz“ auf der Dorerhöhe in knapp 20 Minuten. Dort angekommen, erwartet die Wanderer ein herrlicher Ausblick auf Feldberg, Kan­ del, Simonswäldertal, Zweribach und die Platte. Einmalig ist auch der Blick in die Tie­ fe, denn 500 Meter unter einem liegt das Wildgutachtal. Das Haus selbst wurde kaum verändert und so lädt die Bauernstube zum gemütlichen Verweilen ein. Die Ofenbank um den Kachelofen bietet ebenfalls Platz zum Ausruhen. ,,Man muss dem Haus die Seele lassen“, erklärt Lorenz Wiehl, denn bauliche Veränderungen wurden nur wenige vorgenommen. Urgemütlich ist es in der „Stube“, wo etwa 30 Personen Platz finden. Wird es einmal eng, dann wird eben zusammengerückt bis alle sitzen. Und jeder der Tearnchefs oder Helfer freut sich, wenn die Gäste Interesse an den typischen Schwarzwälder Vespern zeigen. Denn diese bieten den Gästen eini­ ges: Es werden nur heimische Produkte, er­ zeugt von den selbstvermarktenden Land­ wirten in Gütenbach, einen Platz auf dem Tisch bekommen. Das Brot bäckt im holz­ befeuerten Backofen Brigitte Riesle, Bäuerin vorn Breiteckhof. Auch der Käse stammt von Gütenbach Mit dem Einkauf des Gütenbacher Berg­ käses, dem Bauernkäse und dem Kräuterkä­ se aus der Hofkäserei „Hübschentäler GbR“ auf der „Unteren Leimgrube“ traf man ge­ schmacklich ausgezeichnete Käsesorten. So fehlte zum Schluss nur noch Wurst und Speck. Hier bot sich die Hofmetzgerei des von der Familie Dold bewirtschafteten Bühl­ hofs an. Wurst und Speck aus eigener Schlach­ tung, hergestellt aus dem Fleisch von Tieren aus heimischer Erzeugung, finden bei den Gästen regen Zuspruch. Seit diesem Jahr wird die „Bergvesperstube Hier wirtet der Gütenbacher Schwarzwaldverein: die Bergvesperstube „Hintereck „. 299

Bergvesperstube .Hintereck“ An schönen Wintertagen bietet sich dem Besucher der Bergvesperstube „Hintereck‘ eine bezaubernde Schnee­ landschaji und ein Rundblick, wie ihn nur wenige andere Aussichtspunkte im Bereich Gütenbach bieten. Hintereck“ auch als „Wanderheim“ gefuhrt. Für die Kinder gibt es Butter, Eier oder fri­ sche Milch vom benachbarten „Oberleh­ mannshof “ bei Christine Müller. Informationen über heimische Produkte Auch beim Verdauungsschnäpsle kann man auf ein Produkt eines Gütenbacher Bauern zurückgreifen, den Waldhimbeer­ geist von Sebastian Mack vom „Kilpenhof „. So erfahren die Besucher schon auf der Ves­ perkarte oder beim „Wirt“ viel über die hoch­ wertigen und frischen Produkte aus dem Schwarzwald. ,,Wurden wir am Anfang be­ lächelt, hat sid1 die Wiedereröffnung durch den Schwarzwaldverein wie ein Lauffeuer herumgesprochen und wir werden voll ak­ zeptiert“, resümiert der erste Vorsitzende. Beliebt ist die Vesperstube bei Wanderern, Bikern, Gleitschirmfliegern und Vereinen. Zwischen Weihnachten und Dreikönig gibt 300 es einen „Hüttenzauber“ mit Fleisch- oder Käsefondue. Nicht fehlen dürfen die immer frischen selbstgebackenen Kuchen. Auch die Kinder kommen auf dem Aben­ teuerspielplatz voll auf ihre Kosten. Hierfur zeichnet die Jugendgruppe des Vereins ver­ antwortlid1. Um das äußere Erscheinungs­ bild und die Außenanlagen kümmern sich die Rentner der Ortsgruppe. Dass die „Hintereck“, wenn sie geöffnet ist, ein ausgesprochen beliebtes Ausflugsziel ist, liegt vermutlich auch daran, dass sie nur vom 1. Mai bis 31. Oktober an Wochenenden und Feiertagen ab 10 Uhr und vom 27. De­ zember bis 6. Januar täglich ab 11 Uhr geöff­ net ist. Außerhalb der Öffnungszeiten kann das Haus auch als Ferienwohnung genutzt wer­ den. Renate Puchinger

Das Gasthaus „Sternen“ in Urach Das gut-bürgerliche Haus mit seiner langen Tradition ist ein Stück Ortsgeschichte Stätten der Gastlichkeit offenes Bier gezapft. Bis zur Übergabe führ­ ten die Eltern Fritz und Maria Bärmann die Gaststätte und zeichneten für eine gut-bür­ gerliche Küche verantwortlich. In diesem Sinne führt der älteste Sohn Ru­ dolf mit seiner Frau Martina die Gaststätte weiter. Die Ausstattung der Gasträume ist kinderfreundlich und strahlt eine angeneh­ me Gastlichkeit aus. Im Sommer finden freitags regelmäßige Grillabende auf der Terrasse statt und die Kinder können sich auf dem zum Haus gehörenden Spielplatz so richtig austoben. Ein Dämmerschoppen des Musikvereins Urach bereichert einen Grillabend bei safti­ gen Steaks, deftigem Hackfleisch, Bratwür­ sten oder anderen Spezialitäten. Ein reich­ haltiges Salatbuffet gehört selbstverständ­ lich dazu. Unzählige Veranstaltungen und Feste, angefangen von Kommunion, Ge­ burtstagen oder Schülertreffen gehören zur Tagesordnung im Uracher Gasthaus. Nicht nur Uracher Vereine tagen in den Räumen des „Sternen“, auch der Stammtisch könnte viel von langen Nächten erzählen. Die Fas- Hat man die Schwarzwaldhochstraße B 500 an der „Kalten Herberge“ in Richtung Do­ naueschingen verlassen, fährt man durch Urach, eine zehn kilometer lange Talaue. Heute ist Urach ein Ortsteil der Stadt Vöh­ renbach. Mitten im idyllisch gelegenen Dorfkern und nur wenige Minuten entfernt von der sehenswerten Kirche „Allerheili­ gen“, liegt das Gasthaus „Sternen“ der Fa­ milie Rudolf und Martina Bärmann. 1997 haben die beiden das Gasthaus vom Vater Fritz Bärmann übernommen. Das Gasthaus „Sternen“ kann eine lange Tradition vorweisen: Einige Einträge in den Kirchenrechnungen von 1744- 1768 und ein Hinweis im Familienbuch verhalfen die Fra­ ge zu klären, wann das jetzige Gasthaus „Sternen“, der frühere Schwörerhof, vom Vogthof getrennt wurde. Die Familie Fried­ rich Dilger verkaufte das Haus etwa 1770 an Thomas Schwörer aus Schönenbach. Daher der Name „Schwörerhof“ . Nach einem Brand im Jahr 1880 wurde das Schwörerhaus wie­ der aufgebaut und eine Gaststätte darin ein­ gerichtet. Seither ist der Gasthof in Famili­ enbesitz. Rudolf Bärmann lern­ te den Beruf des Kochs im Kur- und Sporthotel ,,Saiger Höh“ in Saig. Nach seiner dreijähri­ gen Ausbildung erwei­ terte er seine Kenntnisse in einer Metzgerei. Da­ nach folgten einige Jah­ re in einer Großküche mit Partyservice in Frei­ burg. Bereits 1978 wurde die Bauernwirtschaft moder­ nisiert und renoviert, von da an wurde auch Historische Ansicht des „ Gasthaus zum Sternen·: um 1930. 301

Gasthaus .Sternen· nachtsveranstaltung oder stimmungsvoll in der Weihnachtszeit, Familie Bärmann ver­ steht es immer, für den Gast das richtige Flair zu bieten. So mancher Urlaubsgast erlebte, meist ungeplant, einen langen Abend in den Reihen der Einheimischen, zum Beispiel des Musikvereins, und schwärmt noch heute von den lustigen Stunden mit der Blasmusik. Mit seiner Frau Martina hat Rudolf Bär­ mann die ideale Frau zur Seite. Die gelern­ te Einzelhandelskauffrau stammt aus dem Schnabelstal in Furtwangen und ist kein Neuling in der Branche. ,,Bedienen hat mir immer schon gefallen“, gibt sich die Wirtin überzeugt. Bereits auf zehn Jahre Erfahrung im Gaststättengewerbe konnte sie verwei­ sen. Hier im „Sternen“ ist sie „Mädchen für alles“. Ihr Refugium ist die gemütliche Gast­ stube. Es stehen immer frische Blumen auf den Tischen und bei Feierlichkeiten sorgt sie für den farbig abgestimmten Blumenschmuck und die passende Dekoration. Auch auf handwerkliches Geschick kann die Haus­ herrin stolz sein. Selbst den Tapetenwechsel oder den Anstrich in der ländlichen Gaststu­ be führt sie selbst aus. ,,Mir gefallt es, wenn es schön ist“, betont sie. Eine Fangemeinde im Internet Zu einem kommunikativen Treffpunkt für rund 50 bis 60 Internetfreunde ist das Gast­ haus „Sternen“ inzwischen gleichfalls ge­ worden. Durch Zufall kam der Amerikaner Mike Aubbs nach Urach in das Wirtshaus. Die Wirtifamilie Martina und Rudolf Bärmann mit Tochter Marina. Als ehemaliger Angehöriger amerikanischer Streitkräfte suchte er abgelegene Bauernhö­ fe in Deutschland. In dieser Mission kam er ins idyllisch gelegene Urachtal und machte Bekanntschaft mit dem Gasthaus „Sternen“. Die freundliche Aufnahme und die mun­ denden Speisen trugen mit dazu bei, dass er Urach sofort ins Herz schloss. Nach Been­ digung der Militärzeit richtete sich der Ame­ rikaner eine Webseite im Internet ein und war von nun an Ansprechpartner für Rei­ sende aus den Vereinigten Staaten, die nach Höfen und idyllischen Gegenden in „Old Germany“ verlangten. Auf diesem Wege kam es zu diesem Personenkreis, der übers Inter­ net miteinander Verbindung hat. Die Internetfreunde kannten sich zunächst nur „virtuell“. So kam der Wunsch auf, sich auch persönlich kennen zu lernen. Schließ­ lich hieß es: ,,Wir treffen uns im Sternen“. Dort fielen sich dann die Internetfreunde fern der Heimat jubelnd in die Arme und feierten bereits ihr erstes Treffen. So wurde nicht etwa die Bundeshauptstadt Treffpunkt der Internetfreunde aus Ameri­ ka, sondern das Gasthaus „Sternen“ im klei­ nen Ortsteil Urach . .Renate Puchinger 302 Die Terrasse des „Sternen“.

21. Kapitel/Almanach 2002 Sport Der Golfsport im Schwarzwald-Baar-Kreis Der Donaueschinger „Land- und Golfclub Öschberghof“ machte den Anfang Das Golfspielen hat in den letzten Jahr­ zehnten erheblich an Bedeutung gewonnen. Während es in den 1950er Jahren bei uns ge­ rade mal 2 000 Golfspieler gab, ist die Zahl der in Clubs eingeschriebenen Mitglieder am Ende der l 990er Jahre auf gut 370 000 angestiegen. 621 Golfclubs in Deutschland teilen sich diese Mitglieder. Weltweit schätzt man die Zahl der Golfspieler auf 30 MilJio­ nen: Die sportlichen Erfolge eines Bernhard Langer, der 1985 bei den US-Masters siegte, haben dem Golfsport auch in Deutschland einen gewaltigen Motivationsschub beschert. Golf war plötzlich „in“ und verlor seinen Exklusiv-Charakter. Der deutsche Golfverband förderte diese Entwicklung, kümmerte sich um den Auf­ bau von Jugendteams und förderte junge Ta- lente. Spitzenspiele und Spitzenspieler wa­ ren plötzlich für Sponsoren interessant, der Verband half beim Aufbau von Golfplätzen und Golf-Centern durch Fachberater mit. Im Jahr 2000 gab es in Baden-Württemberg 72 Golfplätze. Der 1976 eröffnete Donaueschinger „Land­ und Golfclub Öschberghof “ war schon früh mit von der Partie: Die Gründer hatten die Zeichen der Zeit erkannt, so dass der „Ösch­ berghof “ so etwas wie ein „Wegweiser“ wur­ de, dem weitere Clubs folgten. Im Land­ kreis kam 1990 der „Golf & Country Club Königsfeld“ hinzu. Das vorerst jüngste Kind ist die Golf-Übungsanlage im südlichen Teil des Kurparks Bad Dürrheim mit Blick auf den „Narrenschopf“. Sie wurde im Sommer 2000 eröffnet und ist ein weiterer Schritt auf Bunker und Grün am Öschberghofin Donaueschingen. 303

Sport Land- und Golfclub „Öschberghof“ dem Weg zur „Popularisierung“ des Golf­ sports im Schwarzwald-Baar-Kreis. Die drei Anlagen werden im Folgenden vorgestellt. Bei den Golfern in Deutschland hat er ei­ nen klangvollen Namen. Einmal wird er als ,,zauberhaftes Kleinod“ zwischen Donaue­ schingen und Aasen bezeichnet, mal als ,,Golfer-Mekka“, mal als „ökologische Oa­ se“. Fast immer aber steht die professionel­ le Arbeit für den Golfsport im Vordergrund. Im Jahr 2001 freilich ist das Jubiläum des Golfplatzes der Dreh-und Angelpunkt der Kommentare: Der „Land-und Golfclub Öschberghof“ in Donaueschingen wird 25 Jahre alt. Auf dem Golfplatz, der sich in einem gu­ ten und erfolgreichen Vierteljahrhundert auf der hügeligen Landschaft der Ostbaar und auf 100 Hektar Fläche vor den Toren Do­ naueschingens entwickelt hat, sind profes­ sionelle Strukturen das wichtigste Charak­ termerkmal. Vor gut 20 Jahren hat der Golf- club den herkömmlichen Vereinsstatus ab­ gelegt und sich auf neue Pfade begeben: Im Vordergrund steht seither das Ziel, den Golf­ sport für die Allgemeinheit zu fördern. Mit der engen Verbindung zwischen dem Hotel­ betrieb und dem „Land- und Golfclub Öschberghof“ legten Clubpräsident Win­ fried Goetsch, Hoteldirektor Bartholomäus Brack und Sportdirektor Gerhard Stähli den Grundstein für eine neue Konzeption. Da­ zu gehören nicht nur eine entsprechende Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, son­ dern auch die Suche nach Sponsoren, die at­ traktive Turniere unterstützen. Die Verände­ rung hat dem Donaueschinger Öschberghof zunehmend Anerkennung bei der Fachpres­ se gebracht und den Club auf inzwischen 580 Mitglieder ansteigen lassen. Was im Hotelbetrieb ohnehin schon an der Tagesordnung war, hielt auch in der Trai­ nings-und Wettspielpraxis Einzug: Mit Ger­ hard Stähli, dem einst erfolgreichen Eisho­ ckey-Crack der Eidgenossen und Coach der Schweizer Nationalmannschaft der Juni­ oren, hatte sich der Golfclub eine gehörige = -j- – /�- �� –� I Der „Hexmweiher“ des Donaueschinger Go!fplatzes. 304

Ö chberghof Donaueschingen Go!fen ist im Schwarzwald-Baar-Kreis längst zu einem Sport für die Allgemeinheit geworden. Portion internationaler Sporterfahrung „ans Ufer des Hexenweihers“ geholt, die sich bis heute bewährt hat. Gerhard Stähli selbst bleibt eher bescheiden. Der sportliche Ma­ nager des Clubs und langjähriger Sportwart im baden-württembergischen Golfsport, ist aber überzeugt davon, ,,dass am Öschberg­ hof die Infrastruktur stimmt“. Auf dem zertifizierten internationalen Meis­ terschaftsplatz finden in der knapp bemes­ senen Donaueschinger Saison von Mai bis Oktober jedes Jahr bis zu 70 Turniere statt: Zwischen 90 und 180 Teilnehmer pro Tur­ nier schlagen unzählige kleine Bälle über lange Distanzen über den Platz, um sie „ein­ zulochen“. Der Bedarf hat offensichtlich zu­ genommen, so dass zu dem 1976 eröffneten 18-Loch-Platz 1998 noch ein weiterer Neun­ loch-Platz hinzu gebaut wurde. ,,Die Tur­ niere erfordern einen enormen Pflegeauf­ wand für den Platz, Organisation, Verwal­ tung und Spielbetrieb müssen professionell gehandhabt werden“, stellt Gerhard Stähli heraus. Der Sportmanager weiß sich in den richtigen Händen: ,,Es macht Spaß am Öschberghof, hier kann ich als Profi arbei­ ten“, sagt der Schweizer, der 1985 seine Auf­ gabe in Donaueschingen übernahm. Von den insgesamt 580 Mitgliedern zählen 280 zu den Senioren, 45 sind derzeit als Ju­ gendliche gemeldet, 25 davon wiederum sind jünger als elf Jahre. So steht Jugendar- beit ganz oben beim Donaueschinger Club. Stähli hat sich die Förderung junger Leute mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermö­ gen konsequent zur Aufgabe gemacht: Der sportliche Erfolg blieb nicht aus: Die Jugend­ lichen treten regelmäßig bei Turnieren auf Landesebene an, aus einigen ehemaligen ju­ gendlichen Spielern sind inzwischen Profis geworden, die als Golflehrer ihr Geld verdie­ nen. Donaueschingen ist für den Golfsport eine „Talent-Schmiede“. Ein Jahr lang gratis Golfspiel „Es steht aber auch kindgerechtes Spielen und nicht bloß Profi-Golf im Vordergrund“, sagt Stähli, ,,dazu gehören Wochenend-Kur­ se mit Übernachtung und Schulprojekttage mit Gymnasien in Donaueschingen, Blum­ berg oder Rottweil. Stähli lädt zum „Schnup­ pern“ beim Golfclub Öschberghof ein. Der Club stellt die nötige Ausrüstung zur Verfü­ gung. Jedermann kann ein Jahr lang das Golfspiel gratis ausprobieren, ohne Mitglied zu sein. ,,Wir sind nicht elitär, sondern offen für jedermann“, versichert der Golfmanager. Nach der Gründung des Golfclubs am 21. Mai 1975 wurde ein Jahr später, am 26. Juni 1976 der Platz eröffuet. Der erste Abschlag erfolgte in einer „ausgeräumten“ Landschaft, in der Bäume und Sträucher noch fehlten und der Wind der rauhen Baar über die 18 305

Sport Löcher pfiff. So sollte es freilich nicht lange bleiben. Bereits 1986 ist stolz von 20 000 Bäumen und Sträuchern die Rede, die über das 100 Hektar große Gelände verteilt wuch­ sen: Von A wie Ahorn über Birke, Eiche, Lärche bis hin zu Pappel und Rotfichte. Platzmeister Karl Schnekenburger, dem die Ökologie von Anfang an ein Anliegen war, sorgte mit natürlicher Bepflanzung fur Abwechslung auf dem Areal. Freilich fassten nicht alle Arten Fuß, so dass immer wieder nachgepflanzt werden musste. Heute sind an die 40 000 Bäume und Sträucher dafur verantwortlich, dass der Golfplatz am Ösch­ berg sich in eine waldartige Landschaft ver­ wandelt hat und zu einem Naherholungs­ gebiet geworden ist: Die vielfältigen Tierar­ ten reichen von Fuchs zum Roten Milan, Störche, Rebhühner, bis hin zu Rohr- und Goldammer. Sie alle lassen sich offensicht­ lich von den durch die Luft sausenden Golf­ bällen nicht abschrecken. Auf zwei sogenannten „Dauerquadraten“ zählen Biologie-Experten regelmäßig die Pflanzenarten. Fazit der Untersuchung von Dr. Heinz Schulz und Dr. Gunther Hardt: „Auf beiden Flächen hat der Deckungsgrad der Gräser von 1990 bis 1997 abgenommen und der der Kräuter einschließlich der Legu­ minosen zugenommen. Es ist also eine Ent­ wicklung zu weniger wüchsigen aber ökolo­ gisch wertvolleren Rauhflächen zu verzeich- “ nen . Die Pflege des Platzes wird mit Akribie vor­ genommen. Der Golfplatz liegt in einem nie­ derschlagsarmen Gebiet, in dem im Jahres­ durchschnitt 750 Millimeter Regen fallen. So werden in trockenen Sommern 25 000 Kubikmeter Wasser aus dem „Hexenweiher“ entnommen um die Grünflächen zu berie­ seln. Ein Drainage-System ermöglicht den schnellen Ablauf des Wassers. Seit 1981 wur­ den sämtliche „Greens“ des Platzes systema­ tisch erneuert: Mit einer Kombination aus Drainage und einem speziellen Unterbau aus �arzsand, Kompost und Torf wurden die im Millimeterbereich zu messenden Grünflächen um die Löcher professionellen 306 Anforderungen angepasst. Durch gezielte Veränderung der Hindernisse, Begradigun­ gen der Abschläge wurden �alität und sport­ liche Anforderungen des Donaueschinger Platzes gesteigert. Für so manchen Golfball und so manche Partie wurde der Hexenwei­ her zum ungeliebten „Wassergrab“. Der Aufwand zahlt sich auf sportlichem Gebiet aus: Nicht erst seit Bernhard Langers internationalen Erfolgen ist der Golfsport „in“. In Donaueschingen hat die Jugendför­ derung schon lange einen hohen Stellen­ wert. Anspruchsvolle Turniere auf Landes­ und Bundesebene sorgen für weitere Anrei­ ze und einen Schub beim Golfsport. 1994 bekam der Öschberghof den Bundespreis des Deutschen Golfverbandes fur „vorbild­ liche, altersgemäße Jugendarbeit“: Hier ist sie wieder, die klare Konzeption von Golf­ direktor Gerhard Stähli. Der sportliche Be­ reich wird durch den Hotelbetrieb ergänzt. Umbauten und Modernisierungen in den Wohnbereichen, Tagungsräume, Wellness­ Studio, Schwimmbad und Sonnenterrasse, Restaurant und Bar und nicht zuletzt die an­ gebotenen Golfkurse sind die Gewähr fur ei­ nen rasanten Anstieg der Gäste im Donau­ eschinger „Land- und Golfclub Öschberg­ hof“. Der „Golf & Country Club Königsfeld“ Auf 70 Hektar Fläche ist im Norden von Königsfeld der 18-Lod,-Platz des „Golf & Country Clubs“ entstanden. Sanft gewellt ist das Areal, das sich ohne große Umbauten und Erdbewegungen in seine natürliche Um­ gebung einpasst. In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich das ehemals landwirt­ schaftlich genutzte Gelände zu einem wun­ derschönen Golfplatz entwickelt Knapp 800 Meter hoch gelegen, spielen die Natur und der gute Name Königsfelds als „heilklimati­ scher Kurort“ eine wichtige Rolle bei der Vermarktung des Platzes: Lärm und Abgase kennt man nur vom Hörensagen, die Golfer finden vom Frühjahr bis in den Herbst hi­ nein einen nebelfreien Platz vor. Gastrono-

Golf & Country Club Königsfeld Der Go!fP!atz in Königsfald mit Blick zum Restaurant. mie und Wandermöglichkeiten ergänzen das Angebot, so dass die Gäste neben ihrer Leidenschaft für den Sport mit den kleinen Bällen abwechslungsreiche Kurzferien rund um Königsfeld verbringen können. Reiner Ibach und die beiden Golf „Pros“ Michael Ceasar und George Nikitaidis fin­ den noch weit bessere Argumente für den beständigen Zuwachs an begeisterten Mit­ gliedern beim Königsfelder Club: ,,Die Stim­ mung im Club ist sehr gut“, betont Golfleh­ rer Ceasar, ,,das Clubleben ist bei uns ausge­ prägt“. Reiner Ibach sieht „Spaß und die Su­ che nach Entspannung als wesentliche Fak­ toren für den Golfsport.“ Ibach, der im Sekretariat des Golfclubs eh­ renamtlich mitarbeitet, ist das berühmte „Mädchen für alles“. Sei es auf dem Platz oder im Büro, sei es als Turnierleiter, in der Buchhaltung oder bei der Suche nach Spon­ soren für Großveranstaltungen und wichti­ ge Turniere: Für Reiner Ibach sind „das so­ ziale Umfeld und die Abwechslung wichti­ ge Garanten für den Erfolg, es sieht gut aus im „Golf & Country Club Königsfeld“, sagt er, ,,wir haben eine stetige Entwicklung nach oben bei den Mitgliederzahlen.“ Zur Zeit sind im Königsfelder Club 540 Mitglieder eingeschrieben. Sie bilden mit ihren Beiträgen und einer „bezahlbaren“ Aufnahmegebühr das finanzielle Rückgrat des Golf & Countryclubs im Königsfelder „Angelmoos“. Mit dabei sind nicht nur gut 100 Mitglieder aus der Schweiz, sondern auch die Schwarzwälder Skisport-Asse Die­ ter T homa und die Brüder Martin und T horsten Schmitt. Wenn Martin Schmitt mal nicht gerade auf einer Sprungschanze um Weltcup-Punkte und Platzierungen kämpft, sucht er schon mal auf dem Königsfelder Platz Entspannung und Erholung beim „Einputten“. Wie beim Skispringen findet nämlich auch beim Golfspielen das Meiste im Kopf statt. ,,80 Prozent ist Konzentrati­ on, 20 Prozent ist körperliche Leistung“, ist Reiner Ibach überzeugt. ,,Shooting-Star“ bei den Königsfelder Gol­ fern war im vergangenen Jahr indessen Jens 307

Sport Beim Einputten – Go!f isl vor allem auch eine Fra­ ge der Konzentration. Hengstler aus Zimmern ob Rottweil, der mit 54 Schlägen, der „Platzreife“ also, in Königs­ feld anfing und inzwischen mit einem „Handicap von „minus 18″ antritt. ,,Das Golf-Virus ergreift dje Leute nach ersten Er­ folgen“, ist sich Ibach sicher. Vor allem auf die richtige Schwungtechnik komme es beim Spiel an und auf den koordinierten Be­ wegungsablauf, auf das Durchhaltevermö­ gen bei der etwa vierstündigen Runde über knapp sieben Kilometer. Nach zwei Jahren Verhandlung und Dis­ kussion, nach Planungs- und Finanzierungs­ gesprächen war 1990 Baubeginn auf dem Platz. Der Münchener Golfplatzbauer „Har­ rodine-Golf“ zeichnet verantwortlich für den Bau der 18-Loch-Anlage, deren Fertigstel­ lung bereits im Oktober 1990 mit einem ,,Platzfest“ gefeiert wurde. Bespielbar frei­ lich war der Platz erst ein Jahr später: Am 17. August 1991, also vor ziemlich genau zehn Jahren, fand das erste Königsfelder Turnier statt. Gespielt wurden zunächst nur neun Löcher, erster Turniersieger wurde Daniel Fleig aus Fischbach. Clubpräsident Berthold Müller und Vize­ präsident Michael Weinmann leiten inzwi­ schen einen Club, der sich von anfangs 30 Golf-Interessierten zu einer großen Organi­ sation entwickelt hat. Seit den ersten An­ fangen 1991 ging es stetig voran mit dem Club: Rund 40 offizielle Turniere stehen im Jahr 2001 im Veranstaltungskalender des Königsfelder Clubs. Sportliches „Highlight“ 308 ist inzwischen die jedes Jahr im August statt­ findende offene Golfwoche. Im Schnitt ge­ hen an den vier Tagen rund 500 Teilnehmer an den Start. Die offene Golfwoche hat sich zu einem Ereignis entwickelt, mit Festzelt, Musik- und attraktivem Abendprogramm. Turnier der Partnerclubs, Maiturnier, Se­ niorengolf, Herrengolf, Damengolf, ,,Golf & Wellness Turnier“, ,,Audi Qiattro-Cup“ oder der „Preis des Präsidenten“ sind nur ei­ nige T itel in der langen Liste der Turniere auf den Königsfelder „Greens“. Hinzu kommen Ranglistenturniere und seit drei Jahren die stark nachgefragten „Schnupperkurse“ für Anfänger. Die beiden Golflehrer kümmern sich am Tag um bis zu 200 Schüler. Sie bringen ihnen die richtige Haltung bei, korrigieren den Schwung, ana­ lysieren mit ihren Schülern gemeinsam auf dem Videoschirm den Bewegungsablauf und stehen mit Rat und Tat zur Seite, auch was „Regelfragen“ und „Etikette“ auf dem Golfplatz anbelangt. Ein regelmäßiges Ju­ gendtraining findet mittwochs und freitags von 16 bis 18 Uhr statt. ,,Der Club sorgt für den eigenen Nachwuchs“, unterstreicht Ibach. Inmitten des Platzes ist ein großes Biotop entstanden. Ein Teich, der überspielt wer­ den muss, stellt die Spieler häufig genug vor schwierige Anforderungen. Auf dem Platz wurden 500 Großbäume und 1 500 Klein­ bäume gepflanzt, 7 500 Sträucher und An­ sitzwarte für Greifvögel lassen der Natur viel Raum. Die Ökologie hat sich in den zurück­ liegenden zehn Jahren gut entwickelt. Stel­ lenweise haben die Gäste eine wunderschö­ ne Aussicht auf die Schwäbische Alb. Ein stilvolles behagliches Clubhaus rrut Restau­ rant und Terrasse vervollständigen die Anla­ ge. Der Club hat sicl1 als Ziel 620 Mitglieder gesetzt. ,,Wir blicken sehr optimistisch in die Zukunft“, sagt Reiner lbach. „Öffentliche Golf-Übungsanlage Bad Dürrheim“ Sie ist das „jüngste Kind“ in der Runde der Golfanlagen im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Golf-Übungsanlage Bad Dürrheim Im Sommer vergangenen Jahres eröffnet, er­ freut sich die �anz prosaisch betitelte „Öf­ fentliche Golf-Ubungsanlage Bad Dürrheim“ bereits einiger Beliebtheit: Hier steht ganz eindeutig „Golf für Jedermann“ im Vorder­ grund. Die drei Kurzbahnen stehen allen Interessierten offen und bieten ideale Trai­ nings- und Spielmöglichkeiten für alle Leis­ tungsklassen. Der Bad Dürrheimer Platz, den der Dip­ lom-Sportlehrer Stefan Zehringer als Päch­ ter betreut, hat speziell die Anfänger des fas­ zinierenden Golfsports im Visier: Stefan Zehringer gibt ihnen die notwendige Anlei­ tung und Hilfestellung, um in das Spiel mit den kleinen Bällen „hineinzuschnuppern“ oder sich am Ende gar mit dem „Golfvirus“ zu infizieren. Stefan Zehringer legt Wert darauf, dass auf dem Bad Dürrheimer Platz eine lockere At­ mosphäre herrscht. ,,Keiner wird schief an­ geschaut, wenn die ersten Schläge misslin­ gen“, sagt der Golflehrer, der vorher im Ten- nis tätig war und mit der Eröffnung der Bad Dürrheimer Übungsanlage sozusagen „das Fach wechselte“. Anfänger bekommen eine kostenlose Einführung in den Sport, lernen, wie Schlägerhaltung, Schwung, Stellung und Abschlag sein sollen, um zum erfolgrei­ chen Golfspiel zu führen. Wem das nicht ausreicht, kann bei einem der zweistündigen Schnupperkurse mitma­ chen. Zunächst gibt es allgemeine Informa­ tionen zum Spiel und zur Ausrüstung. Es werden Grundkenntnisse vermittelt, Ab­ schläge, Annäherungsschläge und das „Put­ ten“ werden geübt. Leihschläger und Übungs­ bälle sind im Preis inbegriffen. Wer seinen Spaß am Golfen findet, kann natürlich auch Trainerstunden buchen: Auf Wunsch gibt es Einzel- oder Gruppenunterricht. ,,Nach kur­ zer Zeit“, davon ist Zehringer überzeugt, „können auch Anfänger die ersten richtigen Löcher spielen“. Bad Dürrheims Kurdirektor Michael Stein­ bach und Bürgermeister Hagmann haben Golf bedeutet: üben, üben … Diese Möglichkeit besteht unter anderem auf der Anlage in Bad Dürrheim. 309

Golf-Übungsanlage Bad Dürrheim Chippen willgelernl sein – wie hier betm 1rammg m Had JJürrheim. Pitching-Green“ vervollständigt, auf denen Annäherungsschläge auf das Grün aus maxi­ mal 35 Metern Entfernung geübt werden können. Für das Einputten stehen dann hochwertige Grüns zur Verfügung und sechs Übungslöcher. Drei Spielbahnen mit 94, 84 und 87 Meter Länge lassen auch bei Anfän­ gern das richtige Golf-Gefühl aufkommen. Stefan Zehringer ist für den Anfang zufrie­ den. In der relativ kurzen ersten Saison ka­ men im vergangenen Jahr immerhin 2 000 Gäste auf die Anlage. Die Nachfrage hat sich gut entwickelt, einige Spieler zählen bereits zu den Stammgästen. Der Sportlehrer wünscht sich natürlich mit der Zeit eine Erweiterung der Übungsanlage auf sechs bis neun Bah­ nen. ,,Das wäre dann natürlich für die Gäs­ te interessanter“, sagt Zehringer, ,,Platz wäre ja noch vorhanden“. Zehringers Erfahrun­ gen nach einem Jahr sind positiv. Die Gäste wiederum zeigen sich meist überrascht, wie schwer das Golfspielen eigentlich ist: Man braucht viel Übung, auch unter Anleitung. ,,Aber es gibt viel Motivation, wenn die ers­ ten Schläge gelingen“, berichtet Stefan Zeh­ ringer, ,,das begeistert die Leute dann schon, den meisten macht es Spaß“. Manfred Beathalter das Ziel, die Trendsportart Golf in der Kur­ stadt zu etablieren und dem Badeort neue Impulse zu geben. Im Juni 1999 wurde un­ weit des Bad Dürrheimer Narrenschopfs dann der erste Spatenstich gefeiert, ein Jahr später begannen die sportlichen Aktivitäten. 30 Abschlagsplätze stehen auf der „Dri­ ving Range“ zur Verfügung. Die Bahn ist 250 Meter lang, was in der Regel für die meisten Golfspieler ausreichend ist. Entfer­ nungsschilder, Zielstangen und Zielnetze er­ möglichen Abwechslung beim Üben. Die Anlage wird durch ein „Chipping-und ·� Bal/ an Ball, ohne Training gehl beim Go!f nichts. 310

Bad Dürrheim – die aktive Kur- und Radsportstadt Die Deutschen Radsportmeisterschaften ein weiteres sportliches Highlight Sport Natur pur erleben. Den Schwarzwald aktiv von seiner schönsten Seite entdecken. Wo? Im Sport- und Fitnessort Bad Dürrheim. Bad Dürrheim, Heilklimatischer Kurort und Europas höchstes Sole-Heilbad (695 bis 940 m), bietet optimale Bedingungen fur ei­ ne gelungene Erholung: Sole, klare Luft, über­ durchschnittlich viele Sonnenstunden, idea­ les Gelände zum Wandern und vor allem zum Rad fahren. Bad Dürrheim verfugt über eine mehr als 1100 Jahre alte Geschichte und 150 Jahre Er­ fahrung in Kur und Gesundheit. Das Jahr 2001 stand im Zeichen des Jubiläums „Bad Dürrheim: 150 Jahre Kur und Erholung“. Bad Dürrheim ist ein gefragtes Ziel auch bei Promis: früher Bert Brecht, heute TV­ Wetterfrosch Jörg Kachelmann, der sein Wetterstudio Süd in Bad Dürrheim eröffnete. Bad Dürrheim entwickelt sich zunehmend zu einem Zentrum fur Profi- und Freizeit­ sportler. Besonders gefragt: Rad fahren fur jeden Anspruch. Seit Jahren trainiert in Bad Dürrheim regelmäßig die bundesdeutsche Rad-Elite (u. a. Jan Ullrich). Die Herren Ski alpin Nationalmannschaft und die Spitze der europäischen Fußballer und Leichtathleten schätzen ebenfalls Bad Dürrheims optimale Bedingungen. Auch die behinderten Spitzen-Radsportler berei­ teten sich in Bad Dürrheim auf die Paralym­ pics 2000 in Sydney vor. Diese langjährige Kompetenz im Radsport qualifizierte Bad Dürrheim als Gastgeber fur die Deutschland­ Tour 2000 und fur die Deutsche Radsport­ meisterschaft Bad Dürrheim- Donaueschin­ gen am 30. Juni/1. Juli 2001 mit rund 240 Elite-Radfahrern. Deutsche Radsportmeisterschaft 2001 Sämtliche deutschen Profi-Rennställe (u. a. Team Telekom, Team Coast, Team Nürnber­ ger, Team Gerolsteiner) und die besten Rad- Bei der Deutschland-Tour 2000 waren 240 Elite-Radsport/er im Schwarzwald-Baar-Kreis unterwegs. 311

Sport Profis traten an. Bei den Herren sicherte sich Jan Ullrich (Team Telekom) Platz eins und damit den T itel „Deutscher Meister 2001 „. Auf Platz zwei kam Erich Zabel (Team Tele­ kom), Christian Wegmann (Team Saeco) er­ kämpfte sich Platz drei. Sieger der Bergwer­ tung wurde Jan Ullrich. Bei den Damen heißt die Deutsche Meisterin 2001 Petra Rossner (Team Saturn). Platz zwei belegte Hanka Kupfernagel (Team Farm Frites, Nie­ derlande). Auf Platz drei kam Judith Arndt (Frankfurter RC’90 e.V). Die anspruchsvolle Strecke fuhrte durch die Ostbaar. Die Meisterschaft wurde auf ei­ nem 18 Kilometer langen, anspruchsvollen Rundkurs ausgetragen. Das bot den faszi­ nierten Zuschauern entlang der Strecke ganztägig spannenden Radsport nonstop und hautnah. ,,Ein einmaliges Festival des Radsports“, so Donaueschingens Oberbür­ germeister Dr. Bernhard Everke, Bad Dürr­ heims Bürgermeister Gerhard Hagmann und Kurdirektor Michael Steinbach. Als DM-Schirmherr wirkte der baden-württem­ bergische Ministerpräsident Erwin Teufel. Burckhard Bremer, Sportdirektor des Bun­ des Deutscher Radfahrer (BDR), charakteri­ sierte die DM als das größte nationale Sport­ ereignis in Vergabe des BDR. Dem BDR ge­ hören 130 000 Mitglieder an. Seine Aktivi­ täten liegen sowohl im Hochleistungs- als auch im Breitensport. In Bad Dürrheim gin­ gen insgesamt ca. 113 männliche Fahrer an den Start, darunter die bundesdeutschen Radstars: Weltcup-, Olympia- und Tour-de­ France-Sieger. Ergänzend waren Landesver­ bandsmeister und die besten Mannschaften der U 23 mit dabei. Jochen Dornbusch, der Trainer der Frauen, reiste mit rund 60 Radsportlerinnen zur DM an. Zur Vorbereitung auf die DM in Bad Dürrheim – Donaueschingen gingen die Rad-Damen zuvor 14 Tage lang in den USA auf Rundfahrt. Die Damen starteten am Samstag, 30. Juni, und fuhren 126 Kilome­ ter über sieben Runden. Am Sonntag, l. Juli, folgte der Start der Elite Männer. Die Her­ ren fuhren 216 Kilometer über zwölf Run- 312 den. Als Höhepunkt wurde in Donaue­ schingen-Aasen der „Bergpreis der Finanz­ gruppe der Sparkassen“ ausgefahren. Die erste Schlüsselstelle forderte zwischen Kilo­ meter 1,1 und 3,0 beim Anstieg zur Bad Dürrheimer Hirschhalde heraus. Die Maxi­ malsteigung liegt im Mitteldrittel bei acht Prozent. Bei Kilometer 9,1 bis Kilometer 10,0 begann der zweite Anstieg hinauf zum Aussichtspunkt Donaueschingen-Aasen-Hei­ denhofen mit einer Maximalsteigung von 15 Prozent, ebenfalls im Mitteldrittel des Anstiegs. Als Anreiz lockten 1 500 Mark fur den Top­ Bergfahrer und 750 Mark fur die Spitzen­ Bergfahrerin. Die DM-Zuschauer begeisterte ein großes Ral1menprogramm mit Musik sowie Bühnen­ shows, Festzelt und Messe. Die „Deutschlandtour 2000″ Strömender Regen – strahlende Gesichter. Bad Dürrheim feierte die Deutschlandtour, Deutschlands größte Rad-Rundfahrt, am 28./29. Mai 2000 als Riesenerfolg. ,,Eine würdige Königsetappe“, Lob gab es fur den Gastgeber dieser dritten Etappe von Pforz­ heim nach Bad Dürrheim von allen Seiten: von den Radsportlern, von Baden-Württem­ bergs Ministerpräsident Erwin Teufel, den begeisterten Zuschauern, von SAT 1 und von den Organisatoren. ,,Gigantisch. Das größte Ereignis fur Bad Dürrheim der letz­ ten Jahre“, so Kurdirektor Michael Stein­ bach. Auch die Tourleitung äußerte sich be­ geistert über die perfekte Organisation und den reibungslosen Ablauf: ,, Bad Dürrheim war ein vorbildlicher Gastgeber der Deutschlandtour.“ Nach dem Eröffnungsfest am 25. Mai 2000 in Bonn war die Deutschlandtour am 26. Mai gestartet. Die 1 236 Kilometer lange Route fuhrte durch sieben Bundesländer von Bonn über Wiesbaden, Pforzheim, Bad Das Haupifeld der Deutschen Radsportmeister­ schaflen bei der Hirschhalde in Bad Dürrheim.

Sport Dürrheim, Stuttgart, Ansbach, Herzogenau­ rach bis Potsdam und gelangte dann am 1. Juni 2000 in Berlin ins Ziel. Die Radelite fuhr die 215 Kilometer von Pforzheim durch den Schwarzwald nach Bad Dürrheim bei schlechtem Wetter und kühlen zehn Grad. Unter harten Bedingun­ gen packten die Radstars, unter ihnen Erik Zabel und Jan Ullrich, die anstrengende Strecke mit über 1000 Höhenmetern. Etappensieger wurde der Deutsche Meister von 1999, Udo Bölts vom Team Telekom mit sechs Stunden und zwei Minuten. ,,Bei dem starken Dauerregen kann man vor die­ ser sportlichen Leistung nur den Hut zie­ hen“, lobten Baden-Württembergs Minister­ präsident Erwin Teufel und Rad-Altmeister Rudi Altig bei der Siegerehrung. Unter den 248 Teilnehmern der Tagestour der Jeder­ männer, der verkürzten Königsetappe von Elzach nach Bad Dürrheim, befanden sich auch die 23 Männer und zwei Frauen vom Team Solemar. Als Zweiter fuhr Albrecht El­ ser vom Team Solemar über die Ziellinie. Der 2ljährige aus Vöhringen bei Sulz meis­ terte die 94,4 Kilometer lange Tour in zwei Stunden und 48 Minuten. Ebenfalls im vor­ deren Feld erreichten zwei weitere Elser-Brü­ der die Ziellinie: Bernhard Elser (18 Jahre) und Paul Gerhard Elser (28 Jahre). Die Ge­ brüder Elser sorgten gemeinsam mit Micha­ el Enz, Bernd Binder und Roman Buder für den zweiten Platz des Team Solemar in der Mannschaftswertung. Der Jüngste im Team Solemar, der Bad Dürrheimer Benedikt Lang (16 Jahre), kam mit einer Zeit von zwei Stunden 57 Minuten auf Platz eins der Ju­ nioren. Platz eins in der Klasse der Senioren ging ebenfalls an das Team Solemar: an Wil­ li Haßler (drei Stunden vier Minuten). RiderMan Weiter richtet Bad Dürrheim den jährli­ chen RiderMan, eines der größten Jeder­ mann-Straßenradrennen Europas (21. bis 23. September 2001) mit über 2 000 interna­ tionalen Teilnehmern aus. Der RiderMan Begeisterte Radsportfans säumten bei der Deutschen Meisterschaft den Straßenrand (Bergwertung Aasen). 314

2001 gehörte erneut der Golden Bike Serie des Weltradsportverbandes (UCI) an und war 2001 sogar Ort des Finales. Insgesamt neun internationale Golden-Bi­ ke-Radsportveranstaltungen lockten im Jahr 2001. Anreiz zur weltweiten Anreise nach Bad Dürrheim waren die speziellen Golden­ Bike-Regeln. Jeder Teilnehmer, der in 2001 an zwei Golden-Bike-Rennen teilnahm und zum Finale, dem RiderMan, kam, erhielt ei­ ne besondere Auszeichnung. Sogar aus den USA und aus Südafrika kamen Radler. An drei Tagen geht es in Bad Dürrheim beim Ri­ derMan jeweils zum Saisonausklang rund. Am Freitag beginnt der RiderMan mit ei­ nem Warm-Up angeführt von ehemaligen Größen der internationalen Radsportszene. Dabei kann jeder 45 Kilometer per Rad die Gegend und Sehenswürdigkeiten rund um Bad Dürrheim erkunden. Am Samstag läuft dann jeweils ganztägig auf abgesperrten Straßen das Einzelzeitfahren – die Chance unter Wettkampfbedingungen a Ja Tour de France wie ein Elitefahrer den Kampf gegen die Uhr zu gewinnen. Auf einer 25 Kilome­ ter langen Schleife starten die Teilnehmer/in­ nen im 30-Sekunden-Takt. Als absolutes Highlight gilt das anspruchs­ volle Straßenrennen ebenfalls auf abgesperr­ ten Strecken. Auf einem 60 Kilometer lan­ gen Rundkurs hat jeder Teilnehmer noch auf der Strecke die Chance, die mögliche Distanz zu wählen (60, 120, 180 oder den Marathon über 240 Kilometer). Alle Teilnehmer erhalten – wie bei Profi­ Rennen – Verpflegung auf der Strecke, tech­ nische Hilfe durch Renndienstfahrzeuge und medizinische Betreuung. Aktuelle Infos stehen auf der Homepage www.riderman.de. Außerdem immer geboten beim Rider­ Man: ein attraktives Rahmenprogramm für die ganze Familie mit Musik, Funsport, spektakulären Bühnenshows und einer gro­ ßen Cycling-Messe. In Bad Dürrheim und seinen sechs ländli­ chen Stadtteilen leben über 12 000 Einwoh­ ner. Die als Naturwaldgemeinde ausgezeich- Bad Dürrheim – aktive Radsportstadt Ein Stadt des Sports, vor allem des Radsports, ist Bad Dürrheim. Hier „Warming Up“ zum „Rider Man2000″. nete Kurstadt ist bekannt für ihre renom­ mierten Fach-Kurkliniken (Indikationen: Atemwege, Herz-/Kreislauf, Bewegungsap­ parat), die gastfreundliche Hotellerie und Gastronomie mit ihren badischen Speziali­ täten, die reizvolle Innenstadt, nette Läden und die gemütlichen Lokale. Dagmar Schneider-Damm Informationen: Kur- und Bäder GmbH Luisenstraße 4 78073 Bad Dürrheim Telefon: 07726/666-295 Telefax: 07726/666-301 E-mail: badduerrheim@t-online.de Homepage: www.badduerrheim.de 315

Sport Rock‘ n‘ Roll-Weltmeister aus Niedereschach Regina Benz-Mini und Ludwig Mini tanzen in der Weltspitze In der Masterdass, der Königsklasse im Formations-Rock’n‘ Roll tanzt in der Welt­ meisterformation „Wilder Süden“ vom RRC Böblingen auch ein Paar aus dem Schwarz­ wald-Baar-Kreis mit: Regina Benz-Mini und Ludwig Mini aus dem Niedereschacher Orts­ teil Fischbach. Zum zweiten Mal wurde die Formation „Wilder Süden“ im November 2000 in der Königsklasse des Rock’n‘ Roll Formationstanzes nun Weltmeister. In Luzern verteidigte der „Wilde Süden“ nach einem spannenden Finale im Konzert­ haus die ein Jahr zuvor erstmals errungene Weltmeisterschaft und krönte nad1 dem Ge­ winn der Deutschen Meisterschaft und der Europameisterschaft das bislang erfolg­ reichste Jahr dieser WM-Formation, die sich aus Spitzenpaaren aus ganz Baden-Würt­ temberg zusammen setzt. So wie alle Paare, die im „Wilden Süden“ tanzen, glänzen auch Regina Benz-Mini und Ludwig Mini durch eine hochklassige Akrobatik. Zusammen mit einer abwechs­ lungsreichen Choreografie zum Titel der Les Humphries Singers war die süddeutsche Formation bei der WM in Luzern einmal mehr eine Klasse für sich und ließ selbst die Gastgeberformation aus Luzern hinter sich. Dritter wurde mit der Formation „Master Rats“ vom RRC Rocking Rats Hameln eine weitere deutsche Formation. In den vergangenen 15 Monaten haben Regina Benz-Mini und Ludwig Mini zusam­ men mit dem „Wilden Süden“ alle Turniere gewonnen, an denen sie am Start waren. Ei­ ne Erfolgsserie, die ihresgleichen sucht, zu­ mal es für die Paare aus ganz Baden-Würt­ temberg nid1t einfach ist, zusammen zu trai­ meren. Viele Strapazen müssen die Paare dabei auf sich nehmen, drei bis vier Mal wird wöchent­ lich trainiert, wobei die Anfahrtswege zum jeweiligen, zentral gelegenen Trainingsort oft Stunden dauert. Doch die Liebe zum Die Formation „ Wilder Süden“ mit Regina Benz-Mini und Ludwig Mini. 316

im Rock’n‘ Roll Sport ist es, die das Fischbacher Erfolgspaar alle Strapazen auf sich nehmen lässt. Unzählige Male müssen die verschie­ denen Sprünge geübt und trainiert werden, dies gilt vor allem für so gewagte Sprünge wie den Todessprung über zwei Personen, den im „Wilden Süden“ alle acht Damen springen. In Fischbach und natürlich auch Schwarz­ wald-Baar­ Kreis ist man stolz auf das WM­ Paar, das in Fischbach sowie die anderen Paa­ re in ihren Heimator­ ten, gleich mehrfach für den großartigen WM-Erfolg geehrt wurde. Niedereschachs Bürgermeister Otto Sieber und Fischbachs Ortsvorsteher Peter En­ gesser waren zusammen mit Leonie Link und Berthold Stern aus Fisch­ bach sowie 70 weiteren Fans aus der näheren Umge­ bung sogar nach Luzern gefahren, um den WM­ Tanz des Fischbacher Paa­ res persönlich zu bewun­ dern und so konnten sie, zusammen mit mehreren Bussen voller Fans aus ganz Baden­ Württemberg, den WM-Sieg live er­ leben. Am Maibaum in der Fischbacher Ortsmitte wurde das WM-Paar ebenso verewigt wie Willi Müller, der im Kraftdreikampf als weite­ rer Fischbacher bereits mehr­ fach zu WM-Würden gelangt ist. Bei der traditionsreichen ,,Brotspende“ in Niederesch­ ach wurde das WM-Paar eben­ so geehrt wie im Ortschaftsrat. Ganz Niedereschach und ins­ besondere natürlich auch Rock’n’Roll-Weltmei ter Fischbach sind stolz auf das erfolgreiche Paar, von dem derzeit noch nicht klar ist, ob es nicht einmal eine sportliche Pause ma­ chen wird, denn eigentlich ist in der Fami­ lienplanung des WM-Paares nun eine „Ba­ bypause“ geplant. Ob’s klappt, wird man se­ hen. Zum Werdegang: Ludwig Mini ist gebürtig aus St. Georgen/Schw. und Regina Benz- Mini stammt aus Schopf­ heim/Wiesen- tal. Beide sind von Kindesbei­ nen an rm Turnverein, Abteilung Turnen, aktive Mitglieder. Regina ist seit 1984 im TV St. Georgen als Übungsleiterin im Lei­ stungsturnen tätig, war vorher schon in Schopf­ heim in diesem Bereich aktiv. Zusätzlich ist sie seit 1999 Lei­ terin der Turnabteilung und gehört zur Vorstandschaft des TV St. Ge- orgen, der mehr als 1500 Mitglie­ der zählt. Seit 1993 unterrichtet sie Rock’n’Roll für Kinder an der Musikschule in Dunningen. Ludwig ist seit 1990 stellver- tretender Abteilungsleiter im Rock’n‘ Roll Club „Body shakers“ in Sulz, welchem beide seit 1987 als aktive Mitglieder angehören. Sie sind Gründungsmitglieder im „Rock’n‘ Roll Club“ Villingen, der 1987 gegründet wurde und seit 1988 als eingetragener Verein be­ steht. In diesem Club wurde Regina 1992 zur Sportwartin gewählt. Die­ ses Amt übt sie bis heute aus. Bei­ de sind seit 1997 im Rock’n‘ Roll Die Rock’n‘ Roll-Weltmeister bei einem ihrer Auftritte. 317

Rock’n’Roll-Weltmeister „Club 2″ Villingen als Trainer wechselweise tätig. Kennen gelernt hat sich das Paar beim Deutschen Turnfest 1983 in Frankfurt. Erste gemeinsame Rock’n‘ Roll-Tanzschritte er­ lernte man 1984 in der Tanzschule Tessari in Villingen. Das erste Einzelpaar-Turnier bestritten die beiden im September 1985 in der C-Klasse im Rock’n‘ Roll Club Angeli. 1987 sd1afften sie den Aufstieg in die B-Klasse, der Aufstieg in die höchste Deutsche Klasse, die A-Klas­ se erfolgte 1989. Bis 1995 nahm das Paar ak­ tiv an zahlreichen Einzelpaarturniertänzen teil. 1996 baute das Paar in Fischbach ein Haus, 1997 waren sie bei der Gründung der Rock’n‘ Roll-Formation „Wilder Süden“ mit Standort in Böblingen dabei, bereits 1997 ereichte man mit dieser Formation den Deutsd1en Vize-Meistertitel und belegte im selben Jahr Platz 4 bei der Weltmeisterschaft und gewann den Großen Preis von Deutsch­ land. 1998 folgte der Gewinn der Deutschen Meisterschaft, der Europameisterschaft und der Vizeweltmeisterschaft. 1999 wurde das Paar mit der Formation „Wilder Süden“ erst- Regi.na Benz-Mini und Ludwig Mini gehören im ( n‘ Roll-Formations tanz zur Weltspitze. Rod mals Weltmeister und im Jahr 2000, dem bislang erfolgreichsten Jahr der Formation, gewann die Formation alles, was es zu gewin­ nen gab , siegte bei allen Starts und wurde demzufolge im Jahr 2000 Weltmeister, Eu­ ropameister und Deutscher Meister. Albert Bantle Formationstanzen erfordert ein Höchstmaß an Können. Verlangt ist neben tänzerischen Höchstleistungen auch Akrobatik und vor allem absolute Präzision bei den schwierigen Figuren. 318

Freizeit, Erholung, Kleinkunst 22. Kapitel/ Almanach 2002 Das „Am-Vieh-Theater“ – tierisch gute Unterhaltung Die ganz außergewöhnliche Karriere einer Baaremer Dorf-Comedy-Bühne Am 25. April 1997 ist die kulturelle Erleb­ nis-Landschaft Baar ganz plötzlich reicher gewesen. Variantenreicher. Erfolgreicher. Da ging auf einem vermeintlichen kulturpoliti­ schen Brachland, wo man kaum überregio­ nal beachtete Bühnen-Innovationen erwar­ ten durfte, eine verblüffende Talent-Saat auf. Fünf junge, zupackende Männer, die ihre Lust an der Laien-Schauspielerei bis­ lang (nur) in Fasnet-Sketchen gewetzt hat­ ten, waren „umständehalber“ zu einer für sie äußerst verlockenden Pionier-Idee gekom­ men: In der alten Festhalle des Baar-Dorfes Mundelfingen, die nach dem Bau einer neu­ en Leergut war und eigentlich abgebrochen werden sollte, wollte das �intett ein stän­ diges Kleinkunst-Forum schaffen. Ihrer Lust an Comedy und Klamauk, Schauspielerei und Bühnenspaß ein festes Domizil zu ge­ ben, wurde zur großen Verlockung für die fünf Freunde. Und vielleicht kämen sogar ein paar Zuschauer von außerhalb … Gegen anfängliche Widerstände im Dorf­ parlament, wo der Spleen vom eigenen Theater zuerst nur Argwohn weckte, trieben die Gründer-Naturen ihre Pläne voran, er­ hielten Un- terstützung aus dem Hüfinger Rathaus und von einem Nachbarn, der die schon morbi­ de Immobilie für 90 000 Mark erwarb und so hoffnungsvoll auf die Theater-Idee setz­ te, dass er den Bau für zehn Jahre an die jun­ gen Männer verpachtete. Heimelige Dorfplatzkulisse Ein Jahr später hatten sie sich darin einge­ nistet -und wie! Eine handwerkliche Meis­ terleistung wurde damit 1996 zur beeindru­ ckenden Ouvertüre in der damals noch na­ menlosen Comedy-Bühne: In unzähligen Feierabend-Stunden kleideten der heute 39- jährige Schlosser Wolfgang Gut, der 43-jähri­ ge Zimmerei-Besitzer Hans Kindler, der 37- jährige Schreiner Joachim Mäder, der 38-jäh­ rige Elektrotechniker Martin Springindschmit­ ten und der 38-jährige Hauptgesellschafter und Vorstandsvorsitzende der weltweit ope­ rierenden Donaueschinger Aktiengesell­ schaft Living Systems, Kurt Kammerer, den schmucklosen Saal mit rustikalem Interieur aus, projizierten per Scheunentor und Dach- fragment, Bauernhaus-Fassade und Stadl-Requisiten eine heimelige Dorfplatz-Kulisse an die vier Wände. Vor ihr finden 150 Besucher Platz und gibt es eine Wirtshaus-Theke, auf deren Umsatz an Theater­ einem Abend so mancher Gastronom nei­ disch werden könn­ te. Den Augen der Besucher bietet die neue alte Festhalle Gelegenheit für eine Entdeckungsreise zu 319 ,,Die Fünf‘ vom ,,Am-Vieh-Theater“ brachten Comedy und Kla­ mauk auf die Baar, genauer nach Munde!fingen.

Freizeit, Erholung, KI inkunst Das Publikum steht schon beim Kartenvorverkauf Schlange, die Sitzplätze im urigen „Am-Vieh-Theater“ sind heiß begehrt. allerhand originellen und originalen Interieur-Ak­ zenten. Heute, fünf]ahre später, ist das Mundelfinger Pro­ jekt ein in ganz Südba­ den einmaliges Gesamt­ kunstwerk geworden. Mehrfach schon interes­ sierten sich Fernsehen und Rundfunk dafür und die Tageszeitung SÜDKURIER, die als Medienpartner vom ersten Tag an das Vorhaben begleitet und publiziert, fungiert mittlerweile als Bot­ schafter zwischen dem Dorftheater und ei­ ner immer weiter wachsenden Fan-Gemein­ de. Mehr als 20 000 Besucher, portioniert zu 150 pro Vorstellung, addierten sich bereits in das Mundelfinger Theater. Eine Gemein­ schaft der Glücklichen gewissermaßen, denn die Kartenvorverkaufs-,,Acts“, bei denen der SÜDKURIER an der Donaueschinger Kä­ ferstraße die Tickets für die bevor tehenden Programmstaffeln anbietet, avancierten in­ zwischen selbst schon zu Kult-Ereignissen. Bis zu acht Stunden lang vor Öffnung des Schalters wächst der Bart wartender Kaufin­ teressenten, erreicht eine Länge von bis zu zweihundert Metern. Der Großteil der Lau­ ernden geht am Ende leer aus. Mit Cam­ pingmöbeln und Frühstücksbesteck bela­ gern Fans aus der ganzen Region den Zei­ tungsschalter, was beispielweise den in ei­ nem benachbarten Hotel logierenden Sän­ ger Roberto Blanco einmal in arge Verwun­ derung stürzte, hatte er am Abend zuvor bei einem Konzert in der Donauhalle doch weit weniger Andrang erfahren. Beim Versuch, dem prominenten Sänger aus München das Ziel solcher Publikums­ Massen zu erklären, hatten die Hoteleigen­ tümer ziemliche Probleme. Schon dieser 320 Name …. !?! ,,Am-Vieh-Theater“. Keineswegs griechisch, wie Roberto Blanco zuerst sicher gedacht haben mag, orientiert am irrefüh­ renden phonetischen Klang. Vielmehr die Assoziation „eben tierisch gut“ fallt dem Kenner da ein für das Programm auf den Mundelfinger Bühnenbrettern. Die unver­ bindliche Klassifizierung als „Dorf-Come­ dy“ trifft noch am ehesten die Genre-Iden­ tität dessen, was sich die fünf Spaßmacher da jeweils in mehrwöchiger Klausurarbeit an Themen ausdenken unter Programmtiteln wie „Startklar“, ,,2. Etpappe“, ,,Der Zirkus geht weiter“, ,,Lampenfieber“ oder – seit Frühjahr 2001 „Ein bisschen Spaß muss . “ sem . Dabei entsteht ei­ ne kunterbunte Mi­ schung aus Klamauk und herrlicher Situa­ tionskomik, trefflich überzeichnender Charakter-Karika­ tur, skurrilen Wit­ zen und Publi­ kums-Veralbemng, groteskem Blödsinn und ge- W0nn einer eine Billigreise tut … , eine viel belachte Szene aus dem ,Am-Vieh-Thea­ ter“ in Munde!fingen.

konnter Sprach-Imitation. Und verpackt, ausstaffiert und präsentiert wird dieses drei­ stündige Bühnen-Menü mit originellen Re­ quisiten und Überraschungs-Effekten. Der „echte“ Schauer auf ein Vordach, der sich dann zum dünnen Faden aus einer Dachrin­ ne in eine Regentonne spinnt, gehört eben­ so dazu wie ein urplötzlich anspringender Transmissions-Riemen im Heustadel oder ein Hub-Podest, welche die Akteure am An­ fang der Aufführung aus dem Bühnen-Bo­ den prägt und über das sie am Ende wieder untergehen im tosenden Applaus-Meer. Ein Baaremer Komödienstadel Dazwischen liegt eine Kleinkunst-Kost, die ihr Publikum zu schallendem Gelächter biegt, zum Kopfschütteln bringt und alle­ mal zum Weitersag,eJJJ veranlasst, wil!. �L�dh Am·Vieh·Theater der Abend in diesem Baaremer Komödien­ stadel doch ist. Meist sind es ja nur die ganz alltäglichen Szenen, die „Deddel“, ,,Matze“ oder „Kuddel“ – so die Spitznamen der Bühnentalente – überreif werden lassen zu effektvollen Inszenierungen. Mal darf das Publikum die bierseligen Herren beim Dia­ log und in einschlägiger Gestik im Bierzelt­ Pissoir beobachten. Mal gibt‘ s die Persiflage auf jener nervös-hektischen Stimmung, die auf der Reservebank einer Fußballmann­ schaft in spannungsvollen Minuten herrscht. Mal wird zur Tour de France geschaltet oder erlebt das Publikum einen Hochzeits-Robo­ ter, welcher zwei Homosexuelle vermählt, mal nehmen die Theater-Macher ihre Zu­ schauer mit zu einem Billig-Flug oder lassen „Manta-Manni“ mit seinen Fahrkünsten prahlen, während er ein (heimlich) vom 321

Am-Vieh-Theater Parkplatz kopiertes Autonum­ mernschild zerknüllt, das er als Trophäe durch den Saal trägt und ins Publikum nach dem im­ mer ziemlich perplexen Besit­ zer fragt. Bis heute ist es für die meisten Besucher ein Rätsel, was den ganz spezifischen Reiz dieser Comedy-Variation ausmacht. Denn eigentlich wird da auf ei­ ne ganz neue Kategorie von Bühnenvergnügen geblättert, die es noch in keinem Theater­ Lexikon gibt. Irgendwo im Nie­ mandsland zwischen dem Klamauk des Die­ ter Hallervorden, der juckreizenden Hektik von Otto Waalkes, dem Wortwitz des Ma­ thias Richling, dem bayerischen Komö­ dienstadel und den Büttenreden der Main­ zer Fasenacht ist jene Unterhaltungs-Sym­ biose angesiedelt, die auf der Baar erfunden wurde. Doch jeder Vergleich hinkt dann doch wieder, weil das im Am-Vieh-Theater aufgelegte Programm zwischen der ersten und der letzten Vorstellung bis zur Un­ kenntlichkeit mutiert, sich an spontanen Einfällen infiziert, gezielt nachgebessert wird oder sogar aus dem Publikum Pointen angelt, die kein Regisseur besser erfinden könnte. Fertig, vollendet ist das Programm im Am-Vieh-Theater nie; wer zwei-oder gar dreimal in einer Spielzeit das selbe Pro­ gramm erlebt, wird hundert neue Facetten und zusätzlich aufgefädelte Gags entdecken. Fertig aber sind auch die Schauspieler Kurt Kammerer, Wolfgang Gut, Hans Kindler, Joachim Mäder und der Bühnentechniker Martin Springindschmitten nicht, wenn sie sich nach der letzten Zugabe ausblenden. An jedem Abend nämlich krabbeln sie da­ nach aus der Kulisse, mischen sich unters Volk, lassen sich feiern und interviewen und haben noch immer diese heimlich-stille Freude daran, so viel Vergnügen unter die 322 Spaß daran, Freude zu verbreiten Wtnn der Himmel Tränen lacht … Leute zündeln zu können. Schließlich war die Idee mit dem Am-Vieh-Theater ursprüng­ lich ja gar nicht auf so viel öf­ fentliche Wirkung ausgerichtet, sondern wollte in seiner Wir­ kung allenfalls an den weih­ nachtlichen Laientheatern oder an lokalen Fasnet-Programm­ abenden Maß nehmen. Einmal aber haben die Wo­ chenend-Komödianten auch schon einen Misserfolg kassiert. Nicht auf den Brettern freilich -da rollt die Erfolgswoge noch unvermindert, -aber mit Brettern dafür. Die Erfahrung hinter sich, mit schrägen Sachen Erfolg zu haben, grün­ deten sie zusammen mit einem Designer, ei­ nem Marketing-Fachmann und einem Schreiner in1 Herbst 1998 eine Möbel-Ma­ nufaktur. Unter dem Namen „Murx“, der Programm sein sollte, versuchten sie Möbel und andere Gebrauchsartikel zu produzie­ ren und zu vertreiben, die eine hochwertige Karikatur des Schiefen, Schrägen und Feh­ lerhaften waren. Windschiefe Schränke, Vit­ rinen mit gesprungenen Scheiben oder von einem überdimensionalen Nagel durch­ wachsen, doch alles von höchster handwerk­ licher Fertigungsqualität und aus besten Ma­ terialien -die Geschäftsidee war bestechend originell, aber sie verwelkte. Auf die Frage, wie viele Möbel sie nach zahlreichen PR-Aktionen und Messe-Prä­ sentationen schon verkauft haben, antwor­ ten die „Murx“-Fabrikanten inzwischen im trotzig Zuversicht ausstrahlenden Brustton: „Wir sind gerade mit dem Verkauf des ersten Schrankes befasst.“ Sei‘ s drum -sie haben ja ihr absatzstarkes Produkt! Fünf Jahre läuft der Pachtvertrag für die alte Mundelfinger Fesilialle noch. Genug Zeit für immer neue Comedy-Pro­ duktionen. Zeit zum Lachen für Tausende. Wo!fgang Losert

„Hanoren-Club“ fördert das gesellschaftliche Leben Freizei� Erholung, Kleinkunst Vor 15 Jahren wurde in Bruggen ein ungewöhnlicher Verein aus der Taufe gehoben te das dörfliche Leben frische Impulse erhal­ Vereine, die sich die Förderung des kultu­ rellen Lebens auf die Fahnen geschrieben ten, ohne Zwang zu zeitlich festgelegten Treffen. Woher kommt nun der Name „Hanoren“? haben, mag es viele geben. In Bruggen, ei­ nem Bräunlinger Stadtteil im Bregtal, wur­ Auch heutzutage werden die Bruggener Ein­ de vor 15 Jahren eben solch ein Verein ge­ gründet, der allerdings sowohl in seinem wohner landläufig als „Hanoren“ bezeich­ Namen als auch im Engagement seiner Mit­ net, seit wann, dies läßt sich zeitlich nicht mehr fixieren. Nach Überlieferungen be­ glieder seinesgleichen sucht. Gemeint ist der stand der Ort Bruggen im Jahre 1770 ledig­ „Hanoren-Club“, der am 30. Januar 1987 lich aus vier Höfen, deren Bauern sich regel­ aus der Taufe gehoben wurde und sich be­ mäßig zum Cego-Spiel trafen. Die vier Kö­ reits am 3. November des gleichen Jahresei­ ne Satzung gab. Neben der Förderung des nige des Spiels werden auch „Hanoren“ ge­ kulturellen Dorflebens sind weitere Ziele, nannt, womit die Vermutung nahe liegt, daß gemeinschaftliche Unternehmungen sowie sich die heutige landläufige Bezeichnung die Pflege gesellschaftlicher Zusammenar­ aus der Spielleidenschaft dieser Bauern ab­ beit zu entwickeln. Die Idee der Vereins­ leitet. Was lag da näher, als den 1987 gegrün­ gründung geht in starkem Maße auf den deten Verein „Hanoren-Club“ zu taufen?! noch heute amtierenden Vorsitzenden Hu­ So ungewöhnlich wie der Name „Hano­ bert Heine zurück, der zunächst besonders ren-Club“ sind die Bestimmungen in der die fastnachtlichen Aktivitäten im Ort bes­ Satzung, nach denen die Bruggener den Sta­ ser organisiert wissen wollte. Doch schnell tus eines Mitglieds im „Hanoren-Club“ er­ war allen Beteiligten klar, daß der Verein werben können. Jeder, der in dem Bräunlin­ mehr bieten sollte. Das ganze Jahr über soll- ger Stadtteil wohnt oder gewohnt hat, ist Der Hanoren-Club ist Ausdruck einer starken Do,jgemeinscha.fi, die ihresgleichen sucht. 323

hierzu berechtigt. So verwundert es nicht, daß neben den rund 80 Mitgliedern, die im Dorf selber wohnen, auch einige weiter ent­ fernt lebende ehemalige Bruggener noch dem Verein die Treue halten. Die Mitglied­ schaft bekommen die Kinder gleich mit in die Wiege gelegt, können aber mit dem 16. Lebensjahr entscheiden, ob sie weiter in dem Verein mitwirken wollen. Auch sind die 16jährigen stimmberechtigt. Ungewöhnliche Altersstruktur .,Hanoren-Club“ Ungewöhnlich ist die Altersstruktur im „Hanoren-Club“, dessen älteste Mitglieder weit über 80 Jahre alt sind. Gleich den Jahr­ ringen eines Baumes gibt es Jugendliche zwi­ schen 15 und 18 Jahren, Erwachsene zwi­ schen 30 und 50 Jahren sowie das Alte Se­ mester zwischen 70 und 90 Jahren. Ein kon­ tinuierlicher Altersaufbau fehlt. Aus diesem Fakt resultiert auch die Tatsache, daß der Verein keine starren Veranstaltungs- und Ak­ tivitätsstrukturen aufweist. Das Jahrespro­ gramm ist zum großen Teil ein Spiegel der Interessen der älter werdenden Mitglieder. Dinge, wie etwa das Maibaum-Aufstellen für Kinder, verlieren irgendwann wieder den ih­ nen zuvor zugeschriebenen Stellenwert, da eben aus Kindern Jugendliche, aus Jugend­ lichen Erwachsene werden und eine Zeit­ lang kein Mitgliedernachwuchs der jüngsten Altersgruppe vorhanden ist. Dafür tauchen wieder frische Ideen auf, die den geänderten Bedürfnissen erneut gerecht werden. Im nächsten Jahrzehnt dann wird wohl wieder eine Kindergruppe nahezu gleichen Alters die Stelle der Jüngsten einnehmen. Trotz der starken Dorfgemeinschaft, die sich durch den „Hanoren-Club“ nach außen manifestiert, schotten sich die Einwohner Bruggens nicht ab. Die gesellschaftlichen und kirchlichen Bindungen sind seit jeher nach Bräunlingen stark ausgeprägt. Auch das sonstige Vereinsleben spielt sich weitge­ hend in der benachbarten Zähringerstadt ab. Falls jedoch Zusammenhalt gefragt sein sollte, dann packen die „Hanoren“ an. ,,Das 324 Engagement der Mitglieder hat in den ver­ gangenen Jahren nicht nachgelassen“, zieht Hubert Heine Resümee. Natürlich verände­ re sich die Freizeitgestaltung der Bruggener Jugend, so wie überall, ,,jedoch ziehen die jungen Leute an einem Strang, wenn sie ge­ fordert werden“. Stefan Limberger-Andris Winter Die Pflugschar rostet langsam ein, Der Winter schleicht ins Land herein, Die Sonne will erkalten. Der Sommer trieb ein falsches Spiel; Denn ei! versprochen hat er viel, Doch weniger gehalten. Die Trübsal summt ihr altes Lied. Eine Hand ist welk, ein Bauer müd; Wo sind des Sommers Garben? Wo ist des Lebens reicher Lohn? – Ein Rabe krächzt, es klingt wie Hohn: ,,Komm lerne mit mir darben!“ – Die Sorge sinnt beim Ackerstein Und meißelt scharfe Runen ein Für kommende Geschlechter. Erfroren ist ein Lebenstraum; So geht‘ s auch Dir, Du merkst es kaum, Nicht besser und nicht schlechter! Josef Afbicker

23. Kapitel/ Almanach 2002 Lyrik der Heimat Lyrik der Heimat Faszination für den ,,Mythos Triberg“ Folge eines Hemingway-Besuchs: Triberger Hemingway-Preis Ernest Hemingway ( 1899-1961) besuchte 1922 als 23jähriger amerikanischer Zeitungs­ korrespondent in Begleitung seiner jungen Frau Hadley und eines befreundeten Ehe­ paars Triberg im Schwarzwald. Seine Erlebnis­ se und Beobachtungen hielt er in mehreren Storys fest, die zunächst im „Toronto Star Weekly“ veröffentlicht wurden. Der Schriftsteller und spätere Nobelpreis­ träger (1954), der als „Vater“ der Kurzge­ schichte (short story) gilt, setzte Triberg in seiner Erzählung „Schnee am Kilimandscha­ ro“ ein literarisches Denkmal. Dafür revan­ chiert sich die Stadt mit den Triberger „He­ mingway-Days“ zum Gedenken an den in Europa nicht unumstrittenen Autor. ,,Wie würde Hemingway Triberg heute se­ hen?“ lautete die Aufgabe zum „Triberger Hemingway-Preis“, der erstmals zu den „He­ mingway-Tagen“ im Jahr 2000 von der Stadt Triberg, dem Parkhotel „Wehrle“ und der Uhrenfabrik „Hubert Herr“ ausgeschrieben wurde. Aus 23 Einsendungen wählte die dreiköp­ fige unabhängige Jury, der die südamerika­ nische Literaturwissenschaftlerin Dr. Lucy Lachenmaier aus Villingen-Schwenningen, Roland Links, Verleger und Publizist aus Leipzig und Wolfgang Hertwig, deutscher Hemingway-Biograph aus Leipzig, angehör­ ten, die besten Arbeiten aus. Der erste Preis ist mit 1000 DM dotiert, der zweite mit einem Wochenende a la He­ mingway im Parkhotel „Wehrle“ und der dritte Preis ist eine holzgeschnitzte Kuckucks­ uhr der Firma Hubert Herr in Triberg. Die Preise wurden in einer Matinee, die während der „2. Triberger Hemingway-Wo­ che“ stattfand, am 22. Juli verliehen. Dagmar Schneider-Damm, die erste Preis­ trägerin, die Politikwissenschaft, Publizistik und Amerikanistik studierte, lebt als Journa­ listin in Niedereschach. Zu ihren journalis­ tischen Vorbildern gehören neben Egon Er­ win Kisch auch der amerikanische Nobel­ preisträger Ernest Hemingway. An Hemingways Sprache faszinieren sie die einfachen, kurzen Sätze, die manchmal unterkühlte Erzählhaltung, die sparsame Szenengestaltung und der klare Stil. Diese Sprache findet sich in ihrem Beitrag „My­ thos Triberg“ wieder, wie nachfolgender Auszug erkennen lässt: ,, … Tribergs Ruf fin­ det weltweit Resonanz. Pilgerströme aus al­ ler Herren Länder ergießen sich zu Deutsch­ lands höchsten Wasserfallen. Gleißende Tropfen im Regenbogenlicht. Wanderer mit Karohemd und mit Plaketten verzierten Stö­ cken. Rucksacktouristen mit Karte und Rei­ seführern. Busladungen mit Kanadiern und Amerikanern: ‚I made Europe in three days.‘ Visit-Stopp in Deutschlands berühmten ‚Börgs‘: ‚Heidelbörg‘, ‚Rothenbörg‘ und ‚Treibörg‘, of course … “ ,,Wie die Welt sich wandelt … “ schreibt Er­ nest Hemingway in „Schnee auf dem Kili­ mandscharo“. Geblieben ist die Faszination für den ‚Mythos Triberg‘. Der zweite Preisträger, der 42jährige Gym­ nasiallehrer Johannes Kaiser, der an den St. Ursula-Schulen in Villingen Deutsch und Religion unterrichtet, veröffentlichte bereits mehrere Gedichtbände und Erzählungen. Im vergangenen Jahr hat er den Wettbe­ werb für die beste alemannische „Asterix“­ Übersetzung gewonnen und arbeitet derzeit am zweiten Band „Asterix uf Alemannisch“. „Ernest an Kurt“ überschrieb Johannes Kaiser seinen fiktiven Brief Kaiser bringt darin die beiden Schriftsteller – Emest He­ mingway und Kurt Tucholsky – die Triberg einst mit ihrem Besuch beehrten, zusam- 325

.Mytho Triberg“/Heu und Kirschen men. So würdigte die Jury bei ihm neben Stil vor allem die Kenntnisse des Autors zu Tri­ berg und der Zeit, wie der folgende Auszug zeigt: ,,Einmal wäre die Stadt beinah von den Schützengräben eingeholt worden: da­ mals, als die Verbrecherbande, welche Sie, Kurt, aus Deutschland vertrieben hatte, mit ihrem gewaltigen Krieg zu Ende kam. Weni­ ge hatten wie Sie die Verbrechen vorausge­ ahnt; viele waren wie Sie an der Macht ver­ zweifelt. Beinahe hätten die sich hier ver­ schanzt, in den Tunnels der Schwarzwald­ bahn. Heute weiß das kaum noch jemand … “ Der in Schramberg im Schwarzwald gebo­ rene Daniel Oliver Bachmann, der dritte Preisträger, ist Dozent für Drehbuch und Film an der Filmakademie Baden-Württem­ berg sowie der Hochschule Pforzheim und betätigt sich seit einigen Jahren auch als frei­ er Schriftsteller. Er beeindruckte die Jury mit seinem Beitrag „Reise ohne Ziel: Das Le­ ben“. Das Urteil der Jury: Ohne Zweifel gut Heu und Kirschen geschrieben und sogar mit raffiniert einbe­ zogenen Hinweisen auf den Schwarzwald und die Triberger Wallfahrtskirche „Maria in der Tanne“, wie die folgende Leseprobe bei­ spielhaft belegt: ,,Es sind die Packen, die uns zu „Maria in der Tanne“ fuhren. Die Packen des Lebens. Die hatte auch er zu tragen. He­ mingway. Was „Maria in der Tanne“ ihm er­ zählte, ist was sie uns allen erzählt: Ihre Ge­ schichte … Und Hemingway. Auch heute erzählt sie ihre Geschichte de­ nen, die kommen. Erzählt sie, um neue Kraft zu geben. Und vielleicht? Vielleicht gab ihm ihre Geschichte die Kraft für seine Geschich­ ten? Wer weiß? Wer weiß, was sie mir geben wird? Die Zukunft wird es zeigen … “ Nach der Preisverleihung im Parkhotel „Wehrle“ konnten sich die Literaturfreunde über eine szenische Lesung der Theater-AG des Schwarzwald-Gymnasiums freuen. Klaus Nagel Das Jahr auf dem Land hielt für Kinder Freuden bereit, die die Erinnerung mühelos, ja willig festhält. Es sind Träume geworden, freilich von der Art, die „abrufbar“ und nicht wie die „echten“ der Willkür unterwor­ fen sind. Die Aufzählung wäre lang, und vollständig könnte sie niemals sein. Das Bar­ fußlaufen, die ersten Kirschen, das Herrich­ ten der Gräben zur Wässerung der Wiesen, das Aufsitzendürfen auf den Leiterwagen, (manchmal) das Viehhüten, das Zuschauen beim Bäumefallen, das Trinken „kuhwar­ mer“ Milch am Abend, heimliches Fischen, das Warten auf das „Zeitig“ (Reif) werden der Früchte, das Warten auf ein Kälbchen oder auf Schweinchen, auf die Brut einer Glucke, die Freude über volle Pritschen oder Fruchtkästen, das Schlachtfest, der erste Schnee, das Schlittenfahren. Ganz zu schwei­ gen von den Bräuchen, die das Kirchenjahr mit sich brachte, vom Osterfeuer bis zum Adventskranz, von den Kerzen zu Lichtmess bis zum Kräuterbüschel an Mariä Himmel­ fahrt. Ein gewisser Stolz kam hinzu, ländli­ che Techniken zu kennen oder einmal erler­ nen zu dürfen. Das Dengeln einer Sense war eine solche Kunst, ein selbstgebundener Bir­ kenbesen war ein kleines Kunstwerk. Frei­ lich war auch das Wissen um sie eine (nicht immer im guten Sinne genutzte) Möglich­ keit, Stadtkindern gegenüber, die sich etwas auf die Vorteile städtischen Lebens zugute taten, Paroli bieten zu können, wenn nicht sich ihnen überlegen zu zeigen. Arme Stadtkinder, dachte ich später oft, denen das alles, so viel Glück, ohne ihre ei­ gene Schuld vorenthalten bleibt. Über das bäuerliche Brauchtum sind schon Bücher geschrieben worden, keine Darstellung ist mir jedoch bekannt, in der eine je nach Wit- 326

terung kurze Kinderseligkeit beschrieben und der Nachwelt überliefert worden wäre. Wir nannten es „Heuhoppen“, eigentlich war es ein Springen von einer Treppe oder von der „Hurt“, der obersten Ebene des Schwarz­ waldhauses oder der „Dennberge“, der Wand, die das Heu vom Mittelgang der Ten­ ne abhält, auf das eben abgeladene, lockere Heu hinunter. Es war der Platz in der Nähe der beiden Hauskobolde „Butzenmäckeler“ und „Bindlibubber“ auf der fensterlosen, finsteren Bergseite des Hauses im oberen Hausflur und auf der Heubühne, der Geis­ ter, von denen man uns in frühen Kinder­ jahren erzählte. Schreckgeister sollten sie sein, um Kleinkinder von diesen dunklen Räumen fernzuhalten. Genaueres wussten wir aber nicht von ihnen. Wie waren sie ge­ kleidet? Stießen sie unartikulierte Schreie aus oder packten sie Kinder? Entführten sie gar Kinder? Der Butzenmäckeler „kommt“ einfach. Damit hatte sich die Sache. Aber so recht im Ernst wurde nie über sie gespro­ chen, so dass Angst vor ihnen nie wirklich aufkommen mochte. Außerdem waren wir bald über das Alter hinaus, wo man abergläu­ bischen Vorstellungen anhing. Freilich setzte das „Heuhoppen“ einen Heu­ stock von ansehnlichem Umfang, also einen Hof von größerer Fläche, voraus. Einer, der Futter nur für eine oder zwei Kühe vorsah, taugte dafür nicht. Und da es „für einen al­ lein im Himmel nicht schön ist“, war eine Mindestzahl an Kindern für das rechte Ver­ gnügen notwendig. Waren wir wenigstens zu viert, kam ein beispielloses Hochgefühl auf. Nachdem die ersten Wagen auf der Heu­ bühne abgeladen waren, hätte eigentlich für die Bauersleute die nächste Arbeit darin be­ standen, das Heu „käb“ (dicht) zu stampfen, um in guten Jahren möglichst viel auf dem Heustock unterzubringen. Dies geschah auch in der Dachschräge, und das war eine anstrengende, schweißtreibende Arbeit, für die die Kinder zu schwach waren. Die große Masse des Heues aber in die notwendige Dichte zu bringen, das besorgten wir im Al­ ter zwischen acht und zwölf Jahren. Wir ta- Lyrik der Heimat ten das auch deshalb besonders gern, weil wir in dieser Zeit wenigstens von der schwe­ reren Arbeit in der heißen Junisonne befreit waren und dennoch für das Ganze etwas Sinnvolles leisteten. Rein instinktiv fanden wir für unsere Sprünge ins frische, weiche Heu die ungefährliche Höhe, wählten auch den richtigen zeitlichen Abstand hinterei­ nander, so dass keiner auf den anderen sprang und es zu Verletzungen gekommen wäre. Nie ist das geringste Unglück geschehen. Soll ich die Tiefe des Sprungs heute schätzen, so kä­ men drei, höchstens vier Meter heraus. Spaß wollten wir haben, keine Mutproben vorei­ nander ablegen. Kunststückchen im Fallen, Pirouetten, Purzelbäume in der Luft, von uns „Bockschinder“ genannt, kamen uns nicht in den Sinn. Und eine Jury, die Preise zu vergeben gehabt hätte, gab es auch nicht. Am zünftigsten war es immer nach jedem frisch abgeladenen Heuwagen. Danach tauch­ te man ins luftige Heu ein, das Haar voller dürrer Halme und Hälmchen, die Ohren voller Heublumen, Hemd und Hose sowie­ so, und man krabbelte wieder heraus, zur Seite, der nächste sprang und der übernächs­ te, der Genuss war vollkommen, die Freude unbeschreiblich. Da nun jede Lust nach dem Wort des Dichters tiefe Ewigkeit will, so bekamen wir von unserem Treiben, dem unschuldigsten Spiel der Welt, auch nicht so schnell genug. Wir hatten nichts dagegen, wenn der Augen­ blick sich zur Dauer weitete. An dichterische Wahrheiten dachte keiner, wir erlebten sie. Merkwürdig, es ist mir auch nicht erinner­ lich, dass einer einmal sagte, jetzt sei er mü­ de oder es mache ihm keinen Spaß mehr. Im Gegenteil, wir wussten, dass, je strenger der Heuet, desto eher dieses Glück zu Ende war, wir den Augenblick also ausschöpfen muss­ ten. Das alles fand in einer über jedes Maß interessanten Umgebung statt. So aufregend interessant kann eine Tenne heute niemals mehr sein, Aufbewahrungsort verschiedener landwirtschaftlicher Geräte, der ersten Ma­ schinen, der Zweite Weltkrieg hatte einen Stillstand sowohl in der Entwicklung als 327

Heu und Kirschen auch in der Möglichkeit der Anschaffung gebracht, so dass für uns lange Zeit blieb, die gleiche Tedrnik gründlich anzusehen. Die „Putzmühle“ und der Sd1leifstein waren noch aus vorindustrieller Zeit, wurden noch von Hand angetrieben, jünger waren die Dresch­ maschine, die Futterschneidemaschine, die Schrotmühle, die Kreissäge, die alle über die Transmissionsriemen angetrieben wurden. (Da lauerten allerdings auch Gefahren, vor denen wir uns hüteten). Dazu kam der Ge­ ruch ausdünstenden Heus, vermischt mit dem von „Karrensalbe“ und Sd1mieröl. Im Übrigen war die Tenne auch ein interessan­ ter Ort für Versteckspiele das ganze Jahr über. Wie anders wird die Landwirtschaft heute betrieben! Die Geschichte hat bis in Scheu­ ne und Stall durchgeschlagen. Erfahrungen, Weisheiten wurden wertlos. Der technische Fortschritt veränderte alles. Man muss heu­ te die 50 sd1on hinter sich gelassen haben, um sich nod1 an djese Zeit zu erinnern. ,,Was würden dje alten Leute sagen, wenn sie nod1 einmal kämen?“ hört man heute fragen. Der „Heuet“ ist kein gesellschaftliches Ereignis mehr, bei dem die ganze Verwandtsd1aft, Nachbarschaft, Freunde und Bekannte hel­ fen. Das Heu kommt gar nicht mehr alle auf den Heustock. Was dort an Arbeit noch übriggeblieben ist, übernimmt ein Gebläse. Für die Silos braucht das Gras auch nicht mehr dürr zu sein. Vom Wetter und seinen Kapriolen ist man weitgehend unabhängig geworden. Riesige Ballen, weiß oder dunkel­ grün, von Spöttern „Sauriereier“ genannt, luft- und wasserdicht eingeschweißt, bleiben den Winter über draußen. Von der Freude, auf dem Heu herumzutollen, wissen Kinder heute nichts mehr. Philosophen, und seit ei­ niger Zeit nicht mehr nur sie, setzen hinter die Vorteile des Fortschritts ein Fragezeid1en, haben gewichtige Gegenargumente. Es hat halt alles zwei Seiten. Auf dem Land wusste man das eigentlich immer. Der Jahreslauf wollte es so, dass meist zur gleid1en Zeit die ersten Kirschen reif wur­ den. Und diese gehörten uns, wie Heide!- 328 beeren und Pilze Allgemeingut waren und sind. Wir fragten erst gar nicht, sondern be­ trachteten es als unser selbstverständliches Recht, unsern Lohn. Man achtete höchstens darauf, dass sie in ihrer Mehrzahl, die frü­ hesten unter ihnen, die köstlid1en „Weiß­ bäckle“, auch wirklich reif waren. Wir klet­ terten hinauf zu ihnen, meist ohne Leiter, mit unseren Kräften hätten wir ohnehin nur die kurze handhaben können, hockten auf den Ästen, saßen gelegentlich sogar recht bequem, streckten uns nach den äußersten, nahmen aud, einmal einen Haken zu Hilfe, wenn die Äste zu lang und zu dünn und die Arme zu kurz waren. Ein Wagnis gingen wir auch hier nicht ein. Die Kirschkerne spuck­ ten wir aus oder sd1luckten sie. Wir fühlten uns wie „die Vögel des Himmels“, denen wir zuvorkamen, wir „ernteten“, wo es nichts zu säen gab. Wir entlohnten uns selber für ei­ ne Arbeit, die in Wal,rheit keine war. ,,Wer hat, dem wird gegeben werden“. So ging das in der unberührten Kinderwelt, fernab aller ge ellschaftlichen Problematik. Schmutz, Ungerechtigkeit, Leid, a!Jes Böse drang rucht zu uns oder man hielt es von uns fern. Wir lebten gedankenlos in dem Sinne, dass wir uns um irgendwelche bedrohlichen Zustän­ de oder Entwicklungen keine Sorgen mach­ ten, selbst um unsere eigene Zukunft nid1t. Dass sie uns Unglück bringen könnte, dass aud, uns „schwarze Lose“ zugeteilt würden, schlossen wir aus, und wenn es anders be­ stimmt sein sollte, es lag ja alles noch selbst­ ver tändlich in weiter Feme, und wir hatten nod1 Zeit bis dahin. Für uns war es klar, oh­ ne dass e jemals ausgesprochen wurde, das Leben würde immer eine Möglichkeit, in al­ len Schwierigkeiten einen Ausweg wissen. So war unser Erlebnis des Urvertrauens. Die Menschen waren gut, die Welt war gut, Gott war gut. Karl Volk Beim „Heuhoppen ‚: Zeichnung von Helmut Groß.

Lyrik der Heimat Das Rufglöcklein Heiteres aus dem Klosterleben St. Ursula Stellen wir uns einmal vor, dass mit einem Schlag sämtliche Telefone der Welt versagen würden, niemand sich mehr fernmündlich unterhalten, Hinweise geben, ärztliche Hil­ fe erbitten könnte usw. -kaum vorstellbar! Damit wären von einer Sekunde auf die an­ dere weite Bereiche unseres modernen Le­ bens gelähmt. Besonders das geschäftige Treiben in Großstädten würde chaotische Verhältnisse annehmen. In diesen werden nämlich pro Stunde eine Million Telefona­ te geführt, Ferngespräche, hauptsächlich aber Ortsgespräche. Unternehmer, Geschäftsleu­ te, Gewerbetreibende, Handwerker und Be­ hörden sind auf das Telefon angewiesen. Früher kam man freilich auch ohne dieses moderne und nützliche Gerät der Nachrich­ tenübermittlung aus. Dadurch verlang-sam­ ten sich logischerweise viele Vorgänge im Alltag, und der Lebensrhythmus war ge­ mächlicher. Vorteile: weniger Hektik und Nervosität, dafür mehr Zeit für Besinnung und Muse. Ausgeblieben sind aber dennoch nicht Situationen, wo rascher Handlungsbe- Das Rufglöcklein 330 Slu•� Rufzeichenplan ,,Al lllllll 2001 Frau ,Supe„iorin : • • • – .S,..H.Christa : – -1 Sr. t1. tuise : 1 •• f Rufzeichenplan 5r. M.S13run: f • •• Sr. M. 6isela. : • • Hr darf vonnöten Sr. M. Luitgard: 11 war. Man den­ Sr.M. ‚Roswif�ct: ··-­ ke nur an die Sr. H, Ulri�e: zahlreichen Brände im Mit- telalter, ande­ re schwere Unglücksfalle, herannahende Feinde und dergleichen. Berittene Eilkurie­ re jagten durchs Land und brachten Hiobs­ botschaften oder auch günstige Depeschen für Ratsherren und Bürger. Auch gab es an­ dere „Schnellvermittler“ von sehr wichtigen Nachrichten, zum Beispiel Feuer-und Licht­ zeichen von Burg zu Burg oder noch früher bei den alten Römern entlang dem Limes. – Je nach Situation musste man sich eben zu helfen wissen. Man höre und staune, was sich die St. Ur­ sula-Frauen schon vor zwei Jahrhunderten hinsichtlich prompter und sicherer Nach­ richtenübermittlung für den „Hausgebrauch“ ausgeklügelt hatten, es ist das sogenannte ,,Rufglöcklein“. Installiert ist es an der Au­ ssenmauer zum Klosterinnenhof, gleich ne­ ben der Pforte, und kann von der dort diensttuenden Schwester leicht bedient wer­ den. Besucher, Gäste, Handwerker, die am oder im Kloster Reparaturen ausführen oder neue Einrichtungen anbringen müssen, kön­ nen so in Windeseile an die richtige „Adres­ se“ vermittelt werden. Jede Klosterfau hat ihr eigenes, individuelles Läutezeichen, ähn­ lich einem Code. Natürlich konnte die Pfor­ tenschwester nicht alle akustischen Erken­ nungssignale beherrschen, denn in früheren Zeiten übertraf die St. Ursula-Belegschaft um ein Vielfaches die heutige.

Aus diesem Grund war in Glockennähe gut übersichtlich ein Rufzeichenplan ange­ bracht, wobei man zwischen den Signalen Geläut(-), Kapitel (I) und Klang(.) unter­ scheidet. Heute sieht er so wie auf dem Bild links aus. Beim „Geläut“ schlägt der Schwengel dop­ pelseitig in kurzer Folge an den Glocken­ rand. Heiteres au d m Klo terleben Beim „Kapitel“ schlägt der Schwengel nur einseitig an den Glockenrand. Beim „Klang“ schlägt der Schwengel einmal beidseitig und einmal einseitig an den Glockenrand. Wür­ den Sie, lieber Leser, dies in ihr inneres Ge­ hör übertragen können: Die Klosterfrauen können es. Helmut Groß Ein nicht ganz alltäglicher Fall für das Rufglöcklein Frau Schnatterbeck steht an der Pforte, hell aufgeregt, macht viele Worte; der Pfortenschwester tut sie kund mit vorgeschob’nem, schrägem Mund: ,,Ich hab sehr Wichtiges zu sagen – das liegt mir lang schon auf dem Magen.“ Frau Schnatterbeck steht an der Pforte, hell aufgeregt, macht viele Worte; der Pfortenschwester tut sie kund mit vorgeschob’nem, schrägem Mund: ,,Ich hab sehr Wichtiges zu sagen – das liegt mir lang schon auf dem Magen.“ Das muss die Superiorin wissen, für sie ist es ein „Leckerbissen“, bevor es andere im Städtli verfälschen – geben‘ s gar ins Blättli, schnell schnell rufen Sie mir die Sup* und schon läutet die Glocke, schwupp deutlich klar ihr Bim Bim Bim und Bim Bam Bim Bam Bim – schon naht mit Höchstgeschwindigkeit lautlos, flink wie die Gazelle die Sup und ist auch schon zur Stelle. ,,Was wollen Sie, Frau Schnatterbeck?“ Die ihrerseits perplex und weg, ist wie gelähmt, vom Blitz getroffen, ihr „Schrägmul“ stehet ganz weit offen. Das Wort bleibt ihr im Halse stecken, so gewaltig ist ihr Schrecken! Sie weiß nicht mehr, was sie wollt‘ petzen und worüber sie wollt‘ hetzen. Die Sup verzeiht Frau Schnatterbeck und schickt sie höflich wieder weg: „Behüt Sie Gott, auf Wiedersehen, beim nächsten Mal wird’s besser gehen“. *Superiorin Frau Schnatterbeck 331

Lyrik der Heimat Das Teufenmännchen Zwischen Fischbach und Flözlingen fließt ein kleines, unscheinbares Bächlein, der Teufenbach. Um diesen rankten sich in früherer Zeit gar sonderbare Geschichten und um das soge­ nannte Teufenmännchen, welches gar man­ chem Wanderer in unliebsamer Erinnerung geblieben sein soll. So erzählte man sich die Geschichte auch von jenem Bauern, der eines Samstags in al­ ler Herrgottsfrühe auf dem Wege zum Markt in Rottweil war, um sein Gemüse in der Tra­ ge gegen andere Waren einzutauschen. Eilig schritt der Landmann aus, damit er recht bald am Ziel wäre. So näherte er sich auch dem Teufenbach, aus dessen Niederung graue Nebelschwaden quollen. Ohne auf die dichter werdenden Schleier zu achten, tauchte der Mann in die trübe Suppe und gelangte auch schon an den Steg, der über den Bach führte. Als er diesen schnellen Schritts überqueren wollte, stellte sieb ibm unübersehbar ein Männlein in den Weg. Ruhig stand es da und machte keiner­ lei Anstalten, seinen Platz zu räumen und den Weg freizugeben. So sehr sich der Bau­ er auch mühte an dem sonderbaren Wicht vorbeizukommen, es gelang ihm nicht. Als nichts mehr half, verlegte sid1 der Bau­ er aufs Verhandeln: „Wer Du auch seist, laß mich doch gehen! Ich will Dir auch gern ei­ nen Wecken mitbringen!“ Da löste sich der Bann und das Männlein war augenblicklich verschwunden. In der Neckarstadt löste der Mann sein Versprechen ein und kaufte einen Wecken, den er auf dem Rückweg dem Männlein gab. Und siehe, das Bäuerlein kam ungehin­ dert über den Steg. So geschah es nun an jedem Samstag, wenn der Landmann in die Stadt mußte. Doch eines Tages wurde es ihm zu dumm dem Männlein erneut zu Willen zu sein. Zu­ mal kränkte ihn auch das Geld, das er schon 332 für all die Wecken ausgegeben hatte. Viel­ leicht dad1te er auch: „Was der Wecken dir, so für mich das Bier!“ Jedenfalls ist anzuneh­ men, daß der Bauer in irgendeinem Wirts­ haus den Handel auf seine Weise beglichen hatte, als er sich spät abends auf den Heim­ weg mad1te. Ohne Wecken, versteht sich. Kräftigen und heiteren Schrittes eilte er auf das Brücklein zu. Zu seinem Erstaunen war es frei, das Männlein nirgends zu sehen. Frohgemut passierte er den Steg. Schon war er im Begriff den Fuß ans andere Ufer zu set­ zen, da traf ein Stoß das auf der Brücke noch kurz verharrende Bein und der Bauer flog in hohem Bogen kopfüber in den Bach. Aus ei­ nem Gesträuch nahe dem Gewässer aber hörte er ein vergnüglid1es Kichern, als er sich triefend naß ans Ufer zog. nach E. Meier, nacherzählt von Joachim Sturm Teiefenmännchen, Zeichnung von Helmut Groß.

“ „S’isch scho rächt gsi … Lyrik der Heimat „Ruf mal bei den Breithaupt‘ s an, Karl, Sommerau, da gibt’s am Donnerstag eine Goldene Hochzeit“. In den kleinen Redak­ tionsräumen der Lokalzeitung mitten im Schwarzwald geht es ruhig zu. Der Redak­ teur, mittelgroß und stets fröhlich, entzün­ det die Zigarrette, bläst den Rauch genüß­ lich aus und schaut seine Volontärin an. ,,Mach ich“, sagte die und greift zum Tele­ fonhörer. Die Schwiegertochter ist dran. Ja, man habe Goldene Hochzeit. Ja, die Zei­ tung wird erwartet am Mittwoch um 11 Uhr. Perfekt. Die junge Frau strahlt durch den bläulichen Rauch den „Chef “ an. ,,Endlich mal ein Interview!“, der erste große Auftrag in der neuen Heimat. V ielleicht kommt sie dadurch mal um das leidige Express-Weg­ bringen herum, dieser leidige Botendienst, der notwendig war, um die Fotos und Nega­ tive ins 100 Kilometer entfernte Verlagshaus zu schicken. Das ist immer eine Hetze: Der Herr Redakteur pflegt seine Filme auf den letzten Drücker zu entwickeln, die Negative müssen dann in Windeseile in ein Kuvert, das Kuvert in eine gelbe „Bombe“ gesteckt, zum Bahnhof gerast und das Ganze dem Zugführer in die Hand gedrückt, der eigent­ lich vor einer halben Minute schon das Ab­ fahrtssignal geben wollte. Ein Anruf am Bahnhof hatte das Wunder des Wartens am Bahnhof vollbracht. . Der Mittwoch ist ein sonniger Tag, die Na­ tur strahlt und die Volontärin parkt ihr Au­ to irgendwo zwischen dem St. Georgener Ortsteil Sommerau und dem Gasthaus Stau­ de. Sie macht sich auf den Weg, den Hof zu suchen, der zwar einen Namen hat, der nir­ gends zu lesen ist, dafür aber eine sichtbare Hausnummer. Nur, wo war hier draußen die Straße? Endlich findet sie den Hof. Vorsich­ tig klopft sie an die Tür – keine Antwort. Nach einem weiteren Klopfen stapft es hin­ ter der Tür, die energisch aufgerissen wird: „S’isch offen“. Gut. „Sind Sie die Frau von der Zeitung?“, fragt eine Frau mittleren Al­ ters, offensichtlich die Schwiegertochter. „Der Bauer wartet scho.“ Huch, fünf Minu­ ten zu spät und schon wird gewartet … Kaum hat die Volontärin den Fuß in den Hausflur gesetzt, geht rechts neben ihr eine Tür auf, ein stattlicher alter Herr im schwar­ zen Wams, dunklen Hosen, richtig geputzt, steht vor ihr, reicht die Hand, deutet auf die Stube und lässt sie herein. Die Tür ist nied­ rig, die Stube auch, links der große Kachel­ ofen, rechts eine Sitzbank mit langem Tisch davor. Aha, einen Herrgottswinkel gibt es hier auch. Unsere „Zeitungsfrau“ staunt, will die Fototasche ablegen und den Stenoblock herausholen, wird aber daran gehindert. ,Jetzt wird erseht g’vesperet“, sagt der Bau­ er und weist ihr einen Platz am Fenster an. Er setzt sich an das Tischhaupt, seinen Gast zur Linken. Die Tür geht auf und eine klei­ ne, rundliche Frau tritt herein mit einem Ta­ blett. Die Bäuerin trägt Tracht, die langen Schleifenbänder wehen bei jedem Schritt. Auf dem Tisch stehen jetzt ein Krug Most und eine noch verschlossene Flasche, in der Mitte liegt ein Brett mit Wurst und Käse, Brot, Butter. Die Bäuerin legt ein Holzbrett vor den Mann und den Gast, reicht spitze, scharfe Messer und nimmt Platz. Das Vesper dauert eine gute halbe Stunde. Der Bauer ißt ein Stück von der „Bratwurscht“, den Speck schneidet er dem Gast vor, der Most wird kräftig nachgeschenkt. Und als nun der Gast mehr als gesättigt weitere Bissen ablehnt, wird die Flasche entkorkt. ,,Selbstgebrannt“, da hält der Bauer mit, die Bäuerin nickt da­ zu. Das brennt höllisch, die Knie sind schon Pudding. Hilfe, was wird mit meiner Ge­ schichte? Goldene Hochzeit im Alkoholne­ bel. Die Frau räumt ab und setzt sich wieder, der Mann holt die Pfeife, erlaubt nun Block und Kugelschreiber und erzählt von sich, von ihr, die Ehe sei „scho rächt gsi“, Kinder 333

Sisch scho rächt gsi“ auch, ältester Sohn erbt den Hof, ja, viel Ar­ beit, aber gutes Leben, im Krieg verschont, Einquartierung – ,,des bruuche se nit schrie­ we“ – die Frau immer gesund und fleißig. Kurzum 50 gottesbrave Jahre. Punkt. Eine Frage an die Frau wird vom Mann beantwor­ tet. Bleibt noch der Griff zur Kamera für das Foto zur Geschichte. Auch dafür hat der Bauer vorgesorgt. ,,Sie war noch beim Fri­ seur“, verkündet er, streicht sich selbst das Haar glatt und stellt sich neben seine Frau. Die sitzt aufrecht auf der Ofenbank. Er legt die Hand auf ihre Schulter, sie sind ein fest­ liches Paar. Aber auch ein ernstes: Keine noch so fröhliche Aufmunterung zum La­ chen verändert die Gesichtszüge. Es ist geschafft. Der Bauer geleitet „die Frau von der Zittung“ an die Haustür. ,,Ja, hawe se alles verstande, se sind ja nicht von hier?“ Sie hat verstanden, sagt sie betont hochdeutsch. ,,Wo komme se her?“ ,,Aus Norddeutschland“, wird ihm Bescheid gege­ ben. ,,So, so … „. Damit ist sie entlassen. Anderntags trifft die Volontärin vor der Redaktionstür auf den Goldhochzeiter. Er hat einige Zeitungen unter dem Arm und sagt zu ihr im Vorübergehen: ,,S’isch scho rächt gsi“. Sie stürmt zum Redakteur: ,,Ja, hat er dazu nicht mehr zu sagen, ich hab mir da beinahe was abgebrochen, um aus den mageren Sätzen noch was rauszuholen.“ ,,Ja, was hat er denn gesagt?“, fragt irritiert der Redakteur und legt die Zeitung weg. ,,S’isch scho rächt gsi, hat er gesagt“. ,Ja, was willst du denn, das ist hier im Schwarzwald das höchste Lob, das du haben kannst.“ Aha. Renate Bökenkamp Alles Leibgedinghaus im Schwarzenbachtal, Schönwald. 334

Verschiedenes Personen und Fakten Gerhard Lamers wurde am 28. Februar 2000 als neues Mitglied des Kreistages ver­ pflichtet. Gerhard Lamers, Oberstudienrat, wohnhaft in Dauchingen, rückte nach für Gerhard Dietz, der aus beruflichen Gründen (Wahl zum Bürgermeister in Rheinstetten) als Kreistagsmitglied ausgeschieden war. Lotti Späth, langjährige Kreisrätin (CDU), Mitbegründerin des Kinderschutzbundes in Villingen und des Fördervereins Feldner Mühle, feierte am 16. August 2000 ihren 80. Geburtstag. Anton Bruder (50), Bürgermeister in Dau­ chingen, wurde am 15. Oktober 2000 mit 76,67% der Stimmen bei einer Wahlbeteili­ gung von 61,08% und einem Herausforde­ rer in die zweite Amtsperiode gewählt. Valentin Hofacker (88), Rektor i. R., Stadt­ rat, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Hei­ matfreund und langjähriger Autor des Alma­ nach, starb am 23.11. 2000 in Bräunlingen. Alfred Vogt (79), Bürgermeister von Tri­ berg 1970-1986, starb am 8.Januar 2001 in der Stadt seines Wirkens. Werner Hirt (69), langjähriger Mitarbeiter am Almanach, erhielt zusammen mit seinen Sängerkameraden der Villinger Spittelsänger am 25.Januar 2001 die Bürgermedaille der Stadt Villingen-Schwenningen. gen von 1950 bis 1980 starb am 12. Februar 2001 in Donaueschingen. Hanna Krepp (83), Mitarbeiterin am Alma­ nach, starb im Februar 2001 in Schwennin­ gen. Adam Berberich (86), Landtagsabgeord­ neter (SPD) 1972-1980, Gewerkschaftsse­ kretär und Kreistagsmitglied der Landkrei­ se Villingen, Villingen-Schwenningen und Schwarzwald-Baar von 1959 bis 1989, starb am 25. März 2001 in Villingen. Bernd Bierer (56), Direktor des Amtsge­ richts Donaueschingen, wurde im April 2001 zum Direktor des Amtsgerichts Villingen er­ nannt. Joachim Bender (53), langjähriger Autor des Almanach, starb am 13. Mai 2001 in Schonach. GrafHugo von Nostiz-Rieneck (58), per­ sönlicher Begleiter von Joachim Fürst zu Fürstenberg und letzter Dauerbewohner des Schlosses in Donaueschingen, starb am 18. Mai 2001 auf Schloß Epernburg bei Bren­ ken (Westfalen). Clemens Stahl ( 46), Bürgermeister in Blum­ berg, wurde am 20. Mai 2001 mit 56,6% Stimmenanteil zum Oberbürgermeister in Giengen gewählt. Klaus Haubner (61), Vorstandsvorsitzen­ der der Sparkasse VS, erhielt am 30. Januar 2001 für seine beruflichen Verdienste die Große Baden-Württembergische Sparkassen­ medaille. Dr. Hans-Eberhard Meier (85), Leiter des staatlichen Veterinäramtes in Donaueschin- Paula Fürstin zu Fürstenberg, Frau von Jo­ achim Fürst zu Fürstenberg, feierte am 22. Mai 2001 ihren 75. Geburtstag. Joachim Laule, Leiter des Straßenbauam­ tes Donaueschingen, trat zum 31. Mai 2001 in den Ruhestand. 335

Orden, Medaillen Nad1stehende Personen aus dem dlwarzwald-Baar-Kreis wurden im Zeitraum vom 1. 7. 2000 bis 31. 8. 200 l öffentlidl ausgezeichnet: Mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (Abkürz.: BVK = Bundesverdienstkreuz, BVK l. Kl. = Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, BVK a.B. = Bundesverdienstkreuz am Bande, BVM = Bundesverdien tmedaille): BVK 18.05.2001 Stemmer, Herbert Dauchingen BVKa.B. Rösch, Irmgard 22.05.2001 VilliJ1gen-Schwenningen 20.06. 2001 Muckle, Albert BVKa.B. Vöhrenbach 31.08. 2001 BVK Funke, Fritz Furtwangen mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg 20. 09. 2000 Kleiner, Albert St. Georgen zum Ehrenbürger der Gemeinde Möndlweiler 30. 06.2001 Lehmann, Gerhard Möncllweiler Nachtrag zum Zeitraum 01.01.1999 bis 30.06.2000 mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg 29.01.1999 Maier, Dieter Eberhard Mönchweiler Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 25. März 2001 Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen Wahlberechtigte Wähler insgesamt Ungültige Stimmen Gültige Stimmen 116005 71 874 624 71250 620/o 0,90/o 99,10/o 124 773 78 306 999 77 307 62,80/o 1,30/o 98,70/o Wahlvorschläge CDU SPD GRÜNE FDP/DVP REP Tierschutzpartei NPD ÖPD PBC Gewählt wurden: VS – Erwin Teufel (CDU), TUT/D – Franz chuhmacher (CDU), Herbert Moser (SPD), Emst Pfister (FDP/DVP) Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen 54,70/o 27,30/o 5,60/o 6,90/o 2,70/o 1,00/o 0,40/o 0,50/o 0,80/o 38 944 19 478 4 025 4 951 1 892 744 313 351 552 53,30/o 26,70/o 5,00/o 9,10/o 4,30/o 41 210 20 606 3 896 7 033 3 353 0,40/o 0,60/o 0,50/o 333 469 407 Land Sdlwarzwald-Baar-Kreis Bundesgebiet Stichtag West 8,40/o 30.6.1999 30.6.2000 30.6.2001 Arbeitslosigkeit im ge amten Bunde gebiet zum 30.6.2001: 8,9% 5,60/o 4,50/o 3,90/o 6,20/o 5,00/o 4,60/o 7,40/o 7,10/o 336 Bundesgebiet Ost 16,80/o 16,50/o 16,80/o

Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Veränderungen in Prozent in Zahlen Stand der Wohnbevölkerung 31.12.1999 12 080 Bad Dürrheim 10734 Blumberg 6 115 Bräunlingen Brigachtal 5 296 Dauchingen 3 528 Donaueschingen 21 160 9 865 Furtwangen 1 423 Gütenbach Hüfingen 7 666 Königsfeld 5 855 3 205 Mönchweiler Niedereschach 5 769 St. Georgen 13 970 2 532 Schönwald Schonach 4 284 Triberg 5 546 2724 Tuningen 2 864 Unterkirnach Villingen-Schwenningen 80 891 Vöhrenbach 4 098 Kreisbevölkerung insgesamt 209605 30.09.2000 12 111 10 667 6 117 5 320 3 569 21263 9 861 1 401 7 673 5 914 3 179 5 785 13 973 2 493 4 334 5 486 2781 2 883 81 224 4 108 210142 31 -67 2 24 41 103 -4 -22 7 59 -26 16 3 -39 so -60 57 19 333 10 537 0,26 -0,62 0,03 0,45 1,16 0,49 -0,04 -1,55 0,09 1,01 -0,81 0,28 0,02 -1,54 1,17 -1,08 2,09 0,66 0,41 0,24 0,26 Ausländische Mitbürger in Zahlen Gemeinde Ausländer insges. davon ehemaliges Stand 31.12. 2000 Türken Jugoslawien Italiener Griechen Sonstige Ausländeranteil in Prozent Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach VS 2 Vöhrenbach 662 1 090 616 230 173 2 044 1 180 51 807 292 217 265 1 714 66 308 605 255 246 11459 615 56 525 381 67 15 563 242 0 336 24 10 44 236 5 28 202 60 52 2 154 232 233 360 70 27 so 338 503 6′ 123 63 104 93 537 17 150 140 7′ 20 3 379 173 118 16 26 34 42 351 354 31 147 22 35 30 634 16 95 105 118 32 2 179 147 14 1 0 1 0 6 2 0 15 3 0 7 13 0 0 5 0 7 795 4 241 188 139 101 66 786 79 20 186 180 68 91 294 28 35 153 77 135 2 952 59 5,4 8,9 9,1 4,2 4,3 8,7 10,8 3,5 9,5 4,6 6,4 4,5 10,9 2,6 6,7 9,8 8,4 7,9 12,3 12,7 22 895 5 232 6 393 873 Gesamt 9,8 Die Angaben zu den jugoslawischen Staatsangehörigen beinhalten auch die selbständigen Nachfolgestaaten Kroatien, Bosnien und Slowenien.1 Nur Rest-Jugoslawien; Villingen-Schwenningen 4 532 5 878 337

143 – Uhrenindustriemuseum, Schwenningen: 172, 174-176 -Foto tudiomgvs,Schwenningen: 173 – Gisela Gerst, Brigachtal: 203-205 – lrm­ gard Rösd1, Villingen: 234-236 – HerbertJaag, Villingen: l 78u.li. -Gerhard Stähli, Donau­ esdungen: 303-305 -Stefan Zehringer, Bad Dürr­ heim: 309/310 -Direvi, Villingen: 311, 313-315 – Erwin Kienzler, Sd,onad, 332 Errata Almanach 2001 S.51: Die von Jürgen Henckell initiierte Blum­ berger Kunstausstellung fand im Jahr 2000 zum 22. Male statt und nicht wie angegeben zum 19. Male. S.336: Im Fotonachweis wurde der Wohnort des Fotografen Dietrich Krieger mit Villingen­ Sd,wenningen angegeben. Richtig i t Bräunlin­ gen. Bildnachweis Almanach 2002 Die Aufnahmen auf der Titel eite stammen von Wilfried Dold, Vöhrenbach und Nikolaus Reder Niedereschach (kleines Bild). Motiv Titelseite: Die Hexenlochmühle in Neu­ kirch. Kleines Bild: Wuescht, Puppe von Inge­ borgJaag und Ansicht Bräunlingen. Die Fotografie auf der Rückseite stammt von Wil­ fried Dold, Vöhrenbach. Motiv Rückseite: Ringwaldbrunnen in Villin­ gen-Sd,wenningen Bildnachwei für den Inhalt: Soweit die Bildau­ toren hier nicht namentlich angeführt werden, stammen die Fotos jeweils vom Verfasser des be­ treffenden Beitrages. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nad, der Autorenangabe beziehen sich auf die jeweilige Textseite): Fotostudio Seeger, Schwenningen: 5, -Wilfried Dold, Vöhrenbach: 7, 19/20, 42, 48, 53-55, 58, 590., 63u., 73, 77, 210-219, 177, 1780., 178u.r., 179-185, 291-295, 318 -Nikolaus Reder, Nieder­ eschach: 14, 52, 610., 62, 65, 67, 70/71 -Erhard Hehl Fotografie, Tiefenbronn: 15 -Schachtner, Landratsamt Villingen: 17 -Dr. Joachim Sturm, Niederesd,ach: 31/32, 68, 86 -Jochen Hahne, Villingen: 34, 36, 40, 46, 206-209 -Kreisarchiv SBK: 39 – Dr. Langer, Donaue chingen: 41 – Herbert Böhm, Triberg: 47 -Bernhard Hauser, Bräunlingen: 56, 59u.li. und u.r., 60, 61 u., 630. – doldverlag (Archiv), Vöhrenbach: 57, 91-96, 123, 126, 144, 145u., 157, 190 – Katrin Dold, Vöh­ renbach: 79/80 -Archiv Polizeidirektion VS: 81- 83 -Gerhard Packmohr, Villingen: 89 -Firma Hal0s, Schwenningen: 980.r., 99u., 100 -Foto­ Carle, Triberg: 101/102, 104/105 -Firma HSS, Tuningen: 109 – Photo Sauer, Villingen: 116 – Singer Photographie, Villingen: 117 – Fotostu­ dio Maier, Villingen: 124 -Atelier Hugel: 131, 133/134, 158, 160 – Archiv Bräunlingen: 141- 338

Die Autoren unserer Beiträge Albicker, Josef, 78183 Hüfingen-Hausen vor Wald (verst.) Auer, Dr. Anita, Kalkofenstraße 9/1, 78050 Villingen-Schwenningen Bantle, Albert, Sinkinger Straße 40a, 78078 Niedereschach Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29, 78166 Donaueschingen-Pfohren Bethge, Anne, Wöschhalde 72, 78052 Villingen-Schwenningen Bökenkamp, Renate, Schwarzwaldstraße 4, 78122 St. Georgen Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Dold, Wilhelm, Mozartstraße 8, 78112 St. Georgen Dorer, Marcel, Ackerstraße 1, 78122 St. Georgen Esslinger, Werner, Sunthauserstraße 1, 78609 Tuningen Fehrenbach, Antonia, Vordertalstraße 1, 78098 Triberg Frei, Urs-Beat, Habsburgerstraße 3a, CH-6003 Luzern Gehring, Dr. Helmut, Königsberger-Straße 30, 78052 Villingen-Schwenningen Gfrörer, Ulrike, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Groß, Helmut, Am Schwalbenhaag 1, 78048 Villingen-Schwenningen Gwinner, Joachim, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Göbel, Nathalie, Freiburgerstraße 14, 78048 Villingen-Schwenningen Hauptvogel, Birgit, Zähringerstraße 32, 78183 Hüfingen Hauser, Wolfgang, Hauptstraße 28, 78234 Engen Hockenjos, Wolf, Kalkofenstraße 11, 78050 Villingen-Schwenningen Kahlert, Prof Dr. Helmut, Am Bodenwald 4, 78120 Furtwangen Kienzler, Erwin, Grubweg 15, 78136 Schonach Kottrnann, Ingeborg, Bruggerstraße 96, 78628 Rottweil Krümmer, Sabine, Friedrichstraße 21, 78050 Villingen-Schwenningen Limberger-Andris, Stefan, Mühlenstraße 7, 79877 Friedenweiler-Röthenbach Losert, Wolfgang, Friedrich-Fischer-Straße 14, 78166 Donaueschingen Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Nagel, Klaus, Mozartstraße 20, 78098 Triberg Nienhaus, Heinz, Ledderkesweg 4, 46242 Bottrop Packmohr, Gerhard, Hoher Rain 23, 78052 VS-Weilersbach Puchinger, Renate, Felsentalstraße Sa, 78147 Vöhrenbach Rothermel, Dr. Helmut, Weidenmattenweg 2, 79312 Emmendingen Rösch, Daniela, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Rösch, Hans, Görlitzer Straße 89, 78052 Villingen-Schwenningen Schlenker, Helmut, Paulinenstraße 27, 78054 Villingen-Schwenningen Schlenker, Kurt, Staigstraße 6, 78609 Tuningen Schmid, Werner, Schmellbachstraße 11, 70565 Stuttgart Schneider-Damm, Dagmar, Luisenstraße 4, 78073 Bad Dürrheim Schnibbe, Prof Klaus, Ilbenstraße 50, 78120 Furtwangen Schultheiß,Jochen, Blauenweg 25, 78112 St. Georgen Schulz, Friedhelm, Sebastian-Kneipp-Straße 30, 78048 Villingen-Schwenningen Schulze, Ute, Herdstraße 9, 78050 Villingen-Schwenningen Schyle, Wolfgang, Pressesprecher, Polizeidirektion Villingen-Schwenningen Seefried, Gabriele, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 Marbach Sprich, Roland, Bühlstraße 57, 78112 St. Georgen Steger, Christiana, Birkenweg 8, 78176 Blumberg Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Tribukait, Wolfgang, Hochkopfweg 21, 78050 Villingen-Schwenningen Toleikis, Hartmut, Wöschhalde 54, 78052 Villingen-Schwenningen Volk, Karl, Untertal 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Wahl, Dr. Joachim, Stomeyersdorfstraße 3, 78467 Konstanz Wegener, Wilfried, Eichendorffstraße 3, 78086 Brigachtal Winkler, Marianne, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Zimmermann, Michael, Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen 339

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat und Almanach I Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel I Aus dem Kreisgeschehen 10 Jahre Kreishaus – ,,Infotag“ zum Jubiläum – Das Landratsamt auf dem Hoptbühl auch eine architektonische Meisterleistung I Manfred Beathalter Herausforderungen für Umweltpolitik im Landkreis – Unbeschränktes Wachstum kann nicht das Ziel einer Politik der Zukunft sein I Joachim Gwinner Soziale im Schwarzwald-Baar-Kreis – Die soziale Planung will auch die Ursachen ozialer Schäden beheben I Gabriele Seefried Psychisch krank – Treffen kann es jeden I Ulrike Gfrörer 25 Jahre Schule für Körperbehinderte – Die Gesd1ichte einer äußeren und inneren Schulentwicklung I Marianne Winkler Ringzugsystem: Umsetzungsphase eingeleitet- Wesentliche Strukturver­ besserung durch Gesamtinvestitionen von 80 Mio. DM I Gabriele Seefried Die BSE-Krise und ihre Folgen – Beim bislang einzigen Fall im Landkrei handelte es sich um ein zugekauftes Tier I Gabriele Seefried Digitale Alarmierung der Feuerwehren – Überrascht von den Ergebnissen der stationären Geschwindigkeitsüberwachung I Gabriele Seefried Landesberufsschule für Hotel- und Gaststättengewerbe – Internat in Villingen-Schwenningen wird erweitert und saniert I Dr. Helmut Rothermel Altlandrat Dr. Gutknecht feierte 70. Geburtstag – Über zwei Jahrzehnte lang die Entwicklung des Schwarzwald-Baar-Kreises an vorderster Stelle geprägt I Stefan Limberger-Andris Fünf Jahre Krei partnerschaft mit Bacs-Kiskun – Fabian Schmidt als Teilnehmer des Landkreises beim Künstlersympo ium I Daniela Rösch/Fabian Sd,midt 2. Kapitel I Schwarzwald und Baar – Portrait eines Landkreises (5) Unterwegs von Bräunlingen bis Döggingen I Wolfgang Tribukait 3. Kapitel I Städte und Gemeinden Oberkirnach – von der Landwirtschaft geprägt – Der Großteil des Gemarkungsbereichs gilt als Außenbereich I Dr. Joachim Sturm Das Wappen von Oberkirnach I Wappenbuch des Landkreises Villingen Hausen vor Wald sd,on im Jahr 890 erwähnt – Hansjakob: ,,Ein malerisch gelegener Ort am Fuße des Auenberges … “ / Dr. Helmut Rothermel Das Wappen von Hausen vor Wald/ Klaus Schnibbe Ein erster Preis für Gremmelsbach – Den Kreiswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ gewonnen/ Karl Volk 4. Kapitel / Behörden und Institutionen Der Flugzeugabsturz in Blumberg – Aus dem Einsatztagebud1 der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen/ Wolfgang Sd1yle 340 2 3 6 8 14 22 30 33 36 41 44 46 48 so 52 64 69 72 75 78 81

Arbeitsamt mit kundenorientierten Teams – Dienstleistungen sollen verstärkt „vor Ort“ angeboten werden 5. Kapitel / Bildungseinrichtungen Eine Trainingsfirma für Schüler gegründet – ,,Jochen Rofall Handels- und Service GmbH“ muss sich am Markt behaupten / Gerhard Packmohr Eine Schulgründung mit Folgen – Die Großherzoglich Badische Uhrmacherschule zu Furtwangen 150 Jahre alt/ Helmut Kahlert 6. Kapitel / Industrie, Handwerk und Gewerbe Mit Präzisionswerkzeugen zum Erfolg – Hakos GmbH verfügt über eine Produktionsfläche von 2 000 Qyadratmetern / Sabine Krümmer Das älteste Emaillierwerk in Deutschland – ,,Emaillierwerk Friedrich Allgeier GmbH“ in Triberg wurde 1906 gegründet/ Karl Volk FELA Hilzinger GmbH geht neue Wege – Vollautomatische Fertigungslinie für Leiterplatten-Produktion eingerichtet/ Sabine Krümmer HSS in Tuningen gilt als einer der Marktführer – Dienstleistungen rund um den Antrieb von Maschinen verschiedenster Art/ Dr. Helmut Rothermel 7. Kapitel / Persönlichkeiten Musische Interessen standen im Vordergrund – Herbert Muhle war beruflich und privat in der Doppelstadt engagiert/ Stefan Simon Vielschichtiges Engagement für die Gemeinde – Wilfried Leibold – Lehrer, Bezirksrat und Kirchengemeinderatsmitglied / Ingeborg Kottrnann Landwirtschaft und Politik aus Leidenschaft – Zum Tod von Franz-JosefKornhaas / Ute Schulze Seine Schüler erinnern sich gern an ihn – Helmut Groß – Lehrer, Künstler und Karikaturist / Karl Volk ,,Ein guter Kellner ist auch mal ein guter Schlingel“ – Hans Ulrich-Lochar – Fachlehrer zwischen Tradition und Trends / Anne Bethge Ehemaliger Vorsteher der Brüdergemeine – Heinz Burkhardt – Die Geschichte der Herrnhuter bewahrt/ Nathalie Göbel Stets um Landwirtschaft und Jugend bemüht – Bruno Weber war 22 Jahre Leiter der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen-Schwenningen / Christina Nack Große Verdienste um die Stadt Furtwangen – Zum Tod von Altbürgermeister und Ehrenbürger Hans Frank/ Helmut Rothermel Die Silbermedaille in Seoul gewonnen – Florian Gießler – ein erfolgreicher Stuckateur aus Gremmelsbach / Karl Volk 8. Kapitel / Archäologie Gräber beherbergen wertvolle Informationen – Der Fürst vom Magdalenenberg und die gewonnenen Erkenntnisse / Joachim Wahl 9. Kapitel/ Geschichte Baden oder Baden-Württemberg? – Die Gründungsphase des neuen Bundeslandes / Dr. Joachim Sturm 85 88 91 98 101 106 109 111 113 116 117 120 122 124 126 128 131 136 341

W iederverleihung verloren gegangener Stadtrechte -Leo Wohleb und die Kommunen als Träger der badischen Widerstände / Stefan Limberger-Andris Die Schwarzwälder Gewerbeausstellung 1884 -Im Jahr 1884 präsentierte sich in St. Georgen die Schwarzwälder Industrie / Jochen Schultheiß Die Hutzelmühle in Burgberg -Ohne Genehmigung errichtet und heimlich gemahlen / Hartmut Toleikis ,,Adler“ und „Victoria“ -Kurhotels ersten Ranges -Schönwald um 1900 – „Vom Dörflein“ zum Höhenluftkurort/ Heinz Nienhaus 10. Kapitel / Museen „Ruhestörung“ im Franziskanermuseum – Die Neukonzeption der Abteilung „Keltisches Fürstengrab Magdalenenberg“ / Anita Auer Treffpunkt und Kommunikationszentrum -Das Heimatmuseum in Tuningen vermittelt Geschichte auf lebendige Art/ Werner Esslinger/ Kurt Schlenker/Dr. Helmut Rothermel 11. Kapitel / Uhren und Uhrenge chichte Bürk-Uhren und -Kontrollapparate -Die neuen Erzeugnisse der Würt­ tembergischen Uhrenfabrik in Schwenningen nach 1950 / Werner Schmid Uhrenindustriemuseum erweitert -Im Schwenninger Museum eine Abteilung für die Veranschaulichung von Uhrentechnik geschaffen / Ingeborg Kottmann 12. Kapitel / Brauchtum Die Fasnetpuppen von IngeborgJaag -Die Traditionsfiguren der Villinger Fasnet einmalig chön nachgestaltet / Christina Nack Ein Schwarzwälder Sonderling -Der „Stocker“ -ein Einsiedlerleben in den Wäldern um St. Georgen / Heinz Nienhaus Schwarzwälder Tradition nach Amerika exportiert -Trachtenverein St. Georgen und Musikverein-Trachtenkapelle Nußbach als Botschafter des Schwarzwälder Brauchtums in New York/ Wilhelm Dold/Roland Sprich 13. Kapitel / Kirchen, Kapellen und Glocken „Und wollt‘ ein stummer Hund nie sein“ -Dekan i. R. Walter Schlenker und sein Gottesdienst: Das Evangelium als politische Weisheit/ Michael Zimmermann 14. Kapitel/ Musik Händelsatz bei Bedarf auch mit dem Saxofon – Das Gymnasium St. Georgen bietet Musikprofil an / Marcel Dorer „Kultureller Herbst“ in der St. Martins-Kirche -Seit zehn Jahren bietet Brigachtal kulturelle Höhepunkte/ Wilfried Wegener Seit 40 Jahren in der Webergas e -Der Jazz-Club Villingen / Friedhelm Schulz 15. Kapitel / Kunst und Künstler 140 144 149 152 158 162 166 172 177 186 191 194 200 202 206 Hubert Rieber -Arbeiten am Menschen und Menschlichem/ Urs-Beat Frei 210 342

Sammlung Grässlin – Aktuelle Gegenwartskunst – weit entfernt von den Kunstzentren / Stefan Simon Georg Grieshaber – Fotografie, reduziert auf das Wesentliche /Birgit Hauptvogel 16. Kapitel / Gesundheit und Soziales Zehn Jahre Freundeskreis Oradea/Rumänien – VS – Vielfache Hilfe für die notleidende rumänische Bevölkerung geleistet / Hans Rösch Altenpflegeheim Hüfingen mit neuem Konzept – Sieben Jahre lang wurde geplant und umgestaltet / Manfred Beathalter „Impulse ’99 – Es tut sich was!“ – Eine Beschreibung der Sozialen Lage in Tuningen / Wolfgang Hauser 10 Jahre Kontakte nach Tula – Mit Hilfstransporten fing alles an – aktive Städtepartnerschaft mit vielfältigen Beziehungen / Friedhelm Schulz Hilfen geben, Erfahrungen austauschen – Kirchenbezirk Villingen unterhält Partnerschaft zur Karnataka-Süd-Diözese / Marcel Dorer 17. Kapitel / Landwirtschaft Strauße auf der Baar – Die Straußenfarm Steppacherhof hat Erfolg mit Selbstvermarktung/ Christiana Steger 18. Kapitel / Umwelt und Natur Trotz Kälte gute Lebensbedingungen – Nordische Wintergäste auf den Gewässern der Riedbaar / Helmut Gehring Arten- und farbenreich – Auf zarten, bunten Flügeln unterwegs – Schmetterlinge / Erwin Kienzler Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild 19. Kapitel/ Architektur, Bauen und Wohnen Wer rettet das Schwarzwaldhaus? – Über die Not der Schwarzwälder mit dem landschaftsgerechten Bauen/ Wolf Hockenjos Der Bühlhof in Schönwald – Ein Blick in seine Geschichte und seine heutige Nutzung/ Antonia Fehrenbach Die neue Mitte – Furtwanger Stadtkernsanierung – Attraktive Innenstadt mit viel Grün und Erlebnis- sowie Ruhezonen geschaffen / Wilfried Dold/ Klaus Weber/Dipl.-lng. Karl Haag 20. Kapitel / Stätten der Gastlichkeit Sauschwänzlewürstchen im Mitropa-Speisewagen – Nostalgisches Zug­ restaurant am Bahnhof Zollhaus in Blumberg/ Christiana Steger Die Bergvesperstube „Hintereck“ – Als Pächter konnte der Schwarzwaldverein Gütenbach gewonnen werden/ Renate Puchinger Das Gasthaus „Sternen“ in Urach – Das gut-bürgerliche Haus mit seiner langen Tradition ist ein Stück Ortsgeschichte / Renate Puchinger 220 226 234 237 243 246 249 251 254 266 272 281 287 291 296 298 301 343

21. Kapitel / Sport Der Golfsport im Schwarzwald-Baar-Kreis – Der Donaueschinger „Land­ und Golfclub Öschberghof“ machte den Anfang/ Manfred Beathalter Bad Dürrheim – die aktive Kur- und Radsportstadt – Die Deut chen Rad port­ meisterschaften ein weiteres sportliches Highlight/ Dagmar Schneider-Damm Rock’n‘ Roll-Weltmeister aus Niedereschach – Regina Benz-Mini und Ludwig Mini tanzen in der Weltspitze/ Albert Bantle 22. Kapitel / Freizeit, Erholung, Kleinkunst Das „Am Vieh-Theater“ – tierisch gute Unterhaltung – Die ganz außer­ gewöhnliche Karriere einer Baaremer Dorf-Comedy-Bühne / Wolfgang Losert ,,Hanoren-Club“ fordert das gesellschaftliche Leben – Vor 15 Jahren wurde in Bruggen ein ungewöhnlicher Verein aus der Taufe gehoben / Stefan Limberger-Andris 23. Kapitel / Lyrik der Heimat Faszination für den „Mythos Triberg“ – Folge eines Hemingway-Besuchs: Triberger Hemingway-Preis/ Klaus Nagel Heu und Kirschen / Karl Volk Das Rufglöcklein – Heiteres aus dem Klosterleben St. Ursula/ Helmut Groß Das Teufenmännchen – nach E. Maier/ nacherzählt von Dr. Joachim Sturm „S’isch scho rächt gsi … „/Renate Bökenkamp Gedichte Der Stelzenläufer/ Helmut Schlenker An der Wutach / Christiana Steger Winter/ Josef Albicker Verschiedenes Personen und Fakten Orden, Medaillen Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 25. März 2001 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Ausländische Mitbürger in Zahlen Bildnachweis Errata Die Autoren unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 344 303 311 316 319 323 325 326 330 332 333 45 286 324 335 336 336 336 337 337 338 338 339 340