Almanach 2012 Kultur | Geschichte | Wirtschaft | Politik | Natur | Sport | Freizeit Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises
He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Karl Heim, Land rat Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Wil fried Dold, Re dak teur Hans-Wer ner Fi scher, Dipl.-Bib lio the kar Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Wil li Todt, Ge schäfts füh rer i. R. Karl Volk, Re al schul ober leh rer i. R. Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-61-6 Rechte Seite: Bei Herzogenweiler – Blick über die Baar hinweg bis Hochemmingen.
Persönlichkeiten 3
Eh ren lis te der Freun de und För de rer des Al ma nach 2012 AGVS Aluminium Werke Villingen-Schwenningen IMS GEAR Donaueschingen Spedition Julius Mayer Bräunlingen ANUBA Vöhrenbach i-punkt immobilien Donaueschingen Stadtwerke Villingen-Schwenningen BIW Burger Industriewerk Präzisionstechnik, Schonach KBS-Spritztechnik Schonach STEIN Automation Villingen-Schwenningen CONTINENTAL AUTOMOTIVE Villingen-Schwenningen Leopold und Poldi Messmer, freie Architekten, Furtwangen sternplastic Hellstern Villingen-Schwenningen ebm-papst St. Georgen EGT AG Triberg Günter Helmut Papst, St. Georgen STRAUB-VERPACKUNGEN Bräunlingen Ernst Reiner, Stempel, Scanner, Präzisionsteile, Furtwangen Harald Vogt, Betriebsverpach- tung, Donaueschingen Emil Frei, FreiLacke Bräunlingen Ernst Reinhardt Villingen-Schwenningen Volksbank Triberg eG Triberg Wiha Werkzeuge Schonach Johann Wintermantel Kies-, Schotter- u. Betonwerke Donaueschingen Udo Zier Verpackungen Furtwangen Energiedienst AG Rheinfelden RICOSTA Schuhfabriken Donaueschingen Fürstlich Fürstenbergische Brauerei, Donaueschingen S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke Furtwangen Gerhard Jordan Schreinerei und Innenausbau Villingen-Schwenningen SBS-Feintechnik Schonach Bauunternehmung Hermann Furtwangen SCHMIDT Technology St. Georgen Hess AG Form + Licht Villingen-Schwenningen Schwarzwaldhof Fleisch- und Wurstwaren, Blumberg Hinzsch Schaumstofftechnik Mönchweiler Sparkasse Schwarzwald-Baar Villingen-Schwenningen 8 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschen nicht namentlich genannt zu werden. 4 Rechte Seite: Klatschmohn am Feldrand bei Pfaffenweiler.
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Zum Geleit Energiewende ist nur mit mehr Windkraft zu schaffen Dem Jahrbuch 2012 des Schwarzwald-Baar-Kreises zum Geleit Liebe Almanach-Leserinnen und -Leser, wir le- ben zu Beginn des zweiten Jahrzehnts – im neuen Jahrtausend – in einer spannenden, aber auch schwierigen Zeit. Einer Zeit des Umbruchs und des Paradigmenwechsels. So war es über viele Jahrzehnte selbstverständlich, dass die Bevölkerung in unseren Städten und Gemein- den kontinuierlich zunimmt. Die vornehmste Aufgabe der Kommunalpolitik war, die Infra- struktur der wachsenden Bevölkerung und ih- rer Ansprüche anzupassen. Seit einiger Zeit wissen wir und jetzt spüren wir ganz konkret: Die Bevölkerung nimmt ab und dies wird sich in absehbarer Zeit fortsetzen. Jetzt geht es nicht mehr vorrangig darum, zusätzliche Infrastruk- tur zu schaffen, sondern die Infrastruktur bei zu- rückgehender Bevölkerungszahl zu halten bzw. an die neue Situation anzupassen. Ein weiterer Paradigmenwechsel ergibt sich bei der Energiepolitik mit dem Beschluss des Bundestages, bis zum Jahr 2022 aus der Atom- energie auszusteigen. Der rasche Ausbau re- generativer Energien bekommt nun eine ganz neue Dimension. Die regenerativen Energien sind deshalb auch ein Schwerpunkt im Alma- nach 2012. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind wir hier schon recht gut aufgestellt. Wir decken knapp 20 % des Energiebedarfs bereits aus re- generativen Energien; im Landesdurchschnitt sind es weniger als 17 %. Im Schwarzwald-Baar-Kreis stehen die meis- ten Biogasanlagen und die meisten Windrä- der im Regierungsbezirk Freiburg. Auch die Wasserkraft ist in unserem Quellenlandkreis von einiger Bedeutung. Neben der Linachtal- sperre und dem Kirnbergstausee haben wir noch eine Vielzahl kleinerer Wasserkraftwerke. Gleichwohl sind wir vom Ziel der Landesregie- rung, 40 % der Energie aus regenerativen Ener- 6 giequel len zu erzeugen, noch ein gutes Stück entfernt. Hier kommt vor allem dem Ausbau der Wind- energie eine besondere Bedeutung zu. Die Schwarzwaldhöhen sind von der Windhäufig- keit her natürlich besonders prädestiniert. Auch auf der Baar könnte man sich weitere Standorte vorstellen. Wenn man sich die Auseinander- setzungen um den Ausbau der Windkraft in der Vergangenheit vor Augen führt, wird deut- lich, dass es hier zu erheblichen Nutzungs- konflikten kommen wird. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir in der Abwä- gung der Windenergie einen höheren Stellen- wert wie bisher einräumen müssen, wenn wir die in ei nem großen gesellschaftlichen Konsens beschlos sene Energiewende schaffen wollen. Gleichwohl dürfen wir bei aller Euphorie für regenerative Energien die Belange der Natur
nicht aus den Augen verlieren. Wir haben das Glück, dass wir im Schwarzwald-Baar-Kreis ei ne außerordentlich vielfältige und hochwertige Fau- na und Flora haben, wie man das kaum noch ein- mal vorfindet. Nicht umsonst unterliegen mehr als 50 % der Kreisfläche dem EU-Naturschutzsys- tem Natura 2000. Wir haben im Schwarzwald- Baar-Kreis das zweitgrößte Vogelschutzgebiet in Baden-Württemberg mit einer Vielzahl seltener oder vom Aussterben bedrohter Vogelarten. Der rote und schwarze Milan kommt europaweit bei uns am häufigsten vor. Im Schwarzwald-Baar- Kreis haben wir ein international bedeutsames Drehkreuz des Biotopverbundes. Die Baar ist ein wichtiger Trittstein für die Zugvögel auf ih- rem jährlichen Flug in den Norden und zurück ins Winterquartier. Darüber hinaus ist die Baar das Bindeglied zwischen den Naturgroßland- schaften Schwarzwald und Schwäbische Alb. Nutzungskonflikt wird deutlich Unsere wunderschöne Landschaft und weitge- hend noch intakte Natur ist auch unser Pfund, mit dem wir im Tourismus, einem sehr wich – tigen Wirtschaftsfaktor im Schwarzwald-Baar- Kreis, wuchern können. Das Titelbild des Alma- nach 2012 bringt den Nutzungskonflikt sehr deutlich zum Ausdruck. Der Blindensee, ein touristisches Kleinod und hochwertiges Hoch- moor mit drei Touristinnen im Vordergrund und unmittelbar im Hintergrund ein Windrad, das die Silhouette dominiert und sich im Wasser des Blindensees spiegelt. Ähnliche oder noch größere Nutzungskon- flikte wird es beim Ausbau von Überlandlei- tungen geben, die notwendig werden, um den Strom von den Windparks im Norden Deutsch- lands zu den Verbrauchern im Süden zu trans- portieren. Und auch der weitere Ausbau von Biogas- anlagen führt zu Konflikten, wenn dies zu ei- ner Monokultur mit Maisfeldern und zu einem nachhaltigen Verlust von Ackerbauflächen führt. Es wird also darauf ankommen, sich den Anforderungen der Energiewende mit einem deutlichen Ausbau der regenerativen Energien Zum Geleit zu öf fnen und dabei gleichzeitig darauf zu achten, dass die Attraktivität unseres Lebens- raumes erhalten bleibt. Eine schwierige, aber auch spannende Auf- gabe. Sie wird nur gelingen, wenn wir unseren schönen Schwarzwald-Baar-Kreis in einem of- fe nen Diskurs mit den Bürgerinnen und Bür- gern gemeinsam weiterentwickeln. Der Almanach wird seinen Beitrag dazu leis- ten, indem er in dieser Ausgabe, aber auch in den nächsten Jahren, sowohl über das Poten- tial an regenerativen Energien im Schwarzwald- Baar-Kreis, als auch über die hochwertige Fauna und Flora in unserem Quellenlandkreis berich- tet. Darüber hinaus wird der Almanach aber na- türlich auch künftig, wie in dieser Ausgabe, das breite Spektrum von Aktivitäten in Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und Freizeit aufzeigen. Voraussetzung ist, dass auch künftig viele Menschen bereit sind, daran mitzuwirken, wie dies auch beim Almanach 2012 wieder der Fall war. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den vie- len Autoren und Fotografen, die dazu beigetra- gen haben, auch 2012 wieder ein sehr anspre- chendes, informatives Heimatjahrbuch entste- hen zu lassen. Herzlichen Dank auch in diesem Jahr den vielen Firmen und treuen Freunden des Alma- nachs, ohne deren großzügige Förderung die Herausgabe dieses Jahrbuches nicht möglich wäre. Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, Sie finden auch im Almanach 2012 jede Menge an- regenden Lesestoff und wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen. Ihr Karl Heim, Landrat 7
1. Kapitel Aus dem Kreisgeschehen Berufliches Schulwesen erneut ein Schwerpunkt bei den Investitionen Die Arbeitslosigkeit sinkt im Juli 2011 auf 3,5 % – Deutlich höhere Steuereinnahmen Erfreulicherweise setzte sich der konjunkturelle Aufschwung, der bereits 2010 begann, im Jahr 2011 fort. Im Juli 2010 betrug die Arbeitslosen- quote noch 5,4 %; im Juli 2011 waren es noch 3,5 %. Die Betriebe sind überwiegend gut aus- gelastet. Das Problem ist aktuell nicht die Ar- beitslosigkeit, sondern ein Mangel an Fachar- beitern. Bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Euro-Krise mit einer Verunsicherung der Märkte sich nicht zu einer neuen Wirtschaftskrise ent- wickelt. Dies führte in der Folge zu deutlich höheren Steuereinnahmen, an denen über den Finanz- ausgleich auch die Kommunen partizipieren. Da- rüber hinaus können sich die Gemeinden nach finanziell sehr schwierigen Zeiten nun wieder über steigende Gewerbesteuereinnahmen freu- en. Für die Kreisumlage, die wichtigste Einnah- me des Landkreises, wirken sich die höheren Die berufliche Bildung ist und bleibt ein genereller Schwerpunkt der Kreispolitik. Hier ein Blick in die Hotelfachschule in Villingen-Schwenningen, die weiteren Raumbedarf hat. Steuereinnahmen der Gemeinden im Jahr 2011 aber erst im Jahr 2013 positiv aus. Grundlage für den Kreishaushalt 2011 waren die niedri gen Steuereinnahmen der Gemeinden im Jahr 2009, mit der Folge, dass die Investitionen im Jahr 2011 stark zurückgefahren wurden und gleichwohl die Kreisumlage um 3,9 % Punkte erhöht werden musste. Zum Glück führte die wirtschaft liche Er- holung dazu, dass die Sozial ausgaben, insbe- sondere die Ausgaben bei Hartz IV, niedriger ausfielen als geplant und sich damit die Situa- tion bei den Kreisfinanzen entspannte. Investitionsschwerpunkt war auch im Jahr 2011 das berufliche Schulwesen. Nachdem im Jahr 2010 mehrere große Erweiterungsbauten in Betrieb genommen werden konnten, lag der Investitionsschwerpunkt 2011 bei energetischen Sanierungen und Brandschutzmaßnahmen. Neben weiteren Sanierungsmaßnahmen ste – hen als große Investitionsmaßnahmen nun die Lösung des Raumbedarfs an der Hotelfachschu- le und die Generalsanierung des Altbaus der Albert-Schweitzer-Schule an. Der Schulbereich wird deshalb auch in den kommenden Jahren ein ganz wesentlicher Schwerpunkt der Kreis- politik sein. 8
Aus dem Kreisgeschehen Im sozialen Bereich hat der Landkreis auch in Zukunft eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen. Viel disku- tiert wird gegenwärtig die Inklusion, die Kooperation zwischen Sonderschulen und allgemeinen Schulen, wie zwischen der Südstadtschule und der Carl-Orff- Schule für Geistigbehinderte in Villingen (oben). Ein Schwerpunkt der Arbeit des Bildungsbüros indes ist die Verbesserung der Sprachkompetenz im Vorschul- alter – auf dem Foto rechts in der Kindertagesstätte Maria Goretti in Furtwangen. Im Bereich unserer Sonderschulen für Geis- tig- und Körperbehinderte zeichnet sich eine Entwicklung ab, deren Folgen für den Landkreis noch nicht absehbar sind. Unter dem Stichwort Inklusion sollen behinderte Schülerinnen und Schüler weitgehend in das allgemeine Schulwe- sen integriert werden. Dies könnte erhebliche Konsequenzen für unsere Sonderschulen ha- ben. Um die Diskussion zu versachlichen und über unser sehr leistungsfähiges Sonderschul- wesen im Kreis zu informieren, fand zu diesem Thema im Juni 2011 eine sehr gut besuchte Podiumsdiskussion statt. Dass die Inklusion nicht ohne gesellschafts- politischen Sprengstoff ist, machten Landrat Karl Heim und Hüfingens Bürgermeister Anton Knapp in der regen Podiumsdiskussion deut- lich. Die Umsetzung der Inklusion dürfe die be- währte Sonderschule nicht infrage stellen, for- derte Landrat Heim. Inklusion dürfe auf keinen Fall die finanziell mit dem Rücken an der Wand stehenden Kommunen zusätzlich belasten, lau- tete eine weitere Forderung. Bildungsbüro bemüht sich um mehr Sprachkompetenz bei Vorschulkindern Eine gute Entwicklung hat das im September 2010 in Betrieb genommene Bildungsbüro im Rahmen der Bildungsregion Schwarzwald-Baar genommen. Ein Schwerpunkt des Bildungsbü- ros war eine Verbesserung der Sprachkompe- tenz von Vorschulkindern. Hier konnten in en- ger Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen in den Kindergärten einige Maßnahmen umgesetzt werden. Ein großes Kompliment ist hier den Er- zieherinnen auszusprechen, die sich ne ben ihrer Alltagsarbeit sehr engagiert eingebracht haben. 9
Aus dem Kreisgeschehen In die Elektrifizierung der Eisenbahnstrecke Donau- eschingen-Neustadt investiert der Landkreis in den kommenden Jahren rund fünf Mio. Euro. Ein weiteres Ziel war die Erleichterung des Übergangs von Realschulen auf berufliche Gym- nasien. Weil nach dem Lehrplan der Realschulen häufig nicht die notwendigen mathematischen Grundlagen für ein berufliches Gymnasium ver- mittelt werden, wurde unter dem Motto „Mathe for Future“ auf freiwilliger Basis ein Aufbaukurs angeboten. Gerade im Bildungsbereich gibt es noch vie le Bereiche, die ein abgestimmtes Han- deln der verschiedenen Akteure erfordern. Für unser Bildungsbüro stehen deshalb noch viele wich tige Auf gaben an. Eine Neuausrichtung im Bildungsbereich ergibt sich durch die neue grün-rote Landesre- gierung nach der Landtagswahl im März 2011. Nachdem erst im letzten Jahr mit einem großen kommunalpolitischen Kraftakt in einigen Städ- ten und Gemeinden Werkrealschulen eingerich- tet wurden, ließ die neue Landesregierung er- kennen, dass sie dies für kein zukunftswei- sendes Konzept hält. Nach den Vorstellungen der neuen Landesregierung sollen auf freiwil- liger Basis 10-jährige Gemeinschaftsschulen ein- ge richtet werden. Wie diese genau strukturiert sein sollen und welche Konsequenzen dies für die beruflichen Schulen des Kreises hat, ist zur 10 Zeit noch offen. Im Bildungsbereich ist also nach wie vor viel in Bewegung. Diese Neuordnung hätte erneut erhebliche Auswirkungen auf den öffentlichen Personen- nahverkehr, die im Moment noch nicht ab ge- schätzt werden können. Riesenschritt zur Verbesserung des Schienenpersonenverkehrs Einen Riesenschritt zur Verbesserung des Schie – nenpersonenverkehrs konnte im Juli 2011 ge- macht werden. Nachdem die Elektrifizierung der Strecke Donaueschingen-Neustadt vom Land in den Generalverkehrsplan aufgenommen wur- de, unterzeichneten Landrätin Störr-Ritter für den Zweckverband Regio-Nahverkehr Freiburg (ZRF) und Landrat Heim für den Schwarzwald- Baar-Kreis eine Vereinbarung über die Planung, Umsetzung und Finanzierung dieser Maßnahme. Der Schwarzwald-Baar-Kreis investiert danach in den nächsten Jahren rund fünf Millionen Euro für die Elektrifizierung auf seinem Gebiet. Wenn die Maßnahme reali siert ist, entfallen die Umstiege in Titisee-Neustadt und es sind durchgehende Verkehre vom Oberzentrum Vil- lingen-Schwenningen zum Ober zentrum Frei- burg möglich. Als Fernziel ist nun noch eine Elek trifizierung der Bahnlinie Villingen-Rottweil anzustreben.
Aus dem Kreisgeschehen nenanbindung ist die „Datenautobahn“. Der Landkreis erstellt hierzu in Kooperation mit der Hochschule Furtwangen University ein Ge- samtkonzept für den Ausbau der vorhandenen Breitbandinfrastruktur zu einem möglichst flä- chendeckenden Hochgeschwindigkeitsnetz auf Glasfaserbasis. Ein Lenkungsausschuss, an dem neben den Pro jektpartnern Städte, Gemeinden, die IHK und die Handwerkskammer Konstanz be- teiligt sind, koordiniert diese Arbeit und versucht in Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern das schnelle Internet schrittweise Wirklichkeit wer- den zu lassen. Bei der Genehmigung von Windrädern steht der Landkreis in Südbaden an der Spitze Auf den Paradigmenwechsel in der Energie- politik mit weitreichenden Folgen auch für den Landkreis wurde im Vorwort bereits hingewie- sen. Auch unser Almanach-Schwerpunkt be- fasst sich ab der Seite 196 mit diesem Thema. Die Kreisverwaltung hat bereits bisher den Ausbau der regenerativen Energien in viel- fältiger Weise unterstützt. So z.B. bei der Ge- nehmigung von Biogasanlagen. Nicht umsonst gibt es im Schwarzwald-Baar-Kreis die meisten Bio gasanlagen im Regierungsbezirk. Allerdings stoßen wir zunehmend an Grenzen. Es fehlen die Flächen für den Anbau von „Futter“ für neue Biogasanlagen. Damit steht der Anbau von Ein- satzstoffen für Biogasanlagen in Konkurrenz zum Anbau von Tierfutter und Früchten bzw. das Material muss von weither transportiert werden, was ökologisch nicht sinnvoll ist. Auch bei der Genehmigung von Windrädern sind wir in Südbaden an der Spitze. Aber auch die Windräder wachsen nicht in den Himmel. Auf den Nutzungskonflikt mit dem Naturschutz wurde im Vorwort bereits eingegangen. Die vie- len Flächen, die unter besonderem Naturschutz stehen, schränken den Bau weiterer Windräder ein. Die Landesregierung will durch eine Ände- rung des Planungsrechts den Bau von Wind- rädern generell erleichtern. In den kommenden Jahren werden wir im Almanach berichten kön- nen, inwieweit dies gelungen ist und welche Probleme sich hierbei ergaben. 11 Landrätin Störr-Ritter für den Zweckverband Regio- Nahverkehr Freiburg und Landrat Karl Heim für den Schwarzwald-Baar-Kreis unterzeichnen eine Vereinbarung zur Elektrifizierung der Bahnstrecke Neustadt – Donaueschingen. Ein großer politischer Zankapfel mit Auswir- kungen auf den Schwarzwald-Baar-Kreis ist die geplante Tieferlegung des Stuttgarter Bahn- hofs. Im November 2011 soll dazu nun eine Volksab stimmung stattfinden. Tröstlich für den Schwarzwald-Baar-Kreis und die ganze Region ist, dass sich sowohl Gegner als auch Befür- worter darüber einig sind, dass mit oder ohne Stuttgart 21 der Ausbau der Gäubahn und da- mit eine bessere Schienenanbindung unserer Re gion unabdingbar ist. Im Straßenbau hat sich der Landkreis auf- grund der schwierigen Finanzlage auf ein Mini- malprogramm beschränkt. Die größte Maßnah- me ist die grundlegende Erneuerung der Kreis- straße zwischen Obereschach und Schabenhau- sen mit dem Neubau eines Radweges. Eine der wichtigsten Straßenbaumaßnahmen im Land- kreis ist der Lückenschluss der B 523 zwischen der Au tobahn und der B 33. Die Städte und Ge- meinden an dieser Strecke, der Landkreis, der Regionalverband und die IHK setzen sich mit Unterstützung durch unsere Abgeordneten und viele Unternehmer dafür ein, dass diese Maß- nahme von Bund und Land als vordringlich an- erkannt und möglichst bald realisiert wird. Hochgeschwindigkeitsnetz für das Internet in Vorbereitung Eine „Verkehrsinfrastruktur“, die für die Zu- kunftsfähigkeit eines Landkreises heute genau- so wichtig ist wie eine gute Straßen- und Schie-
Auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände befindet sich nun das Umweltzentrum Schwarzwald- Baar-Neckar. Das Foto zeigt (v. links) Michael Neuenhagen, Landrat Karl Heim, Agrarminister MdL Alexander Bonde (GRÜNE), OB Rupert Kubon, Erster Landesbeamter Joachim Gwinner, MdL Karl Rombach (CDU), Armin Schott und Cornelia Kunkis-Becker. Die billigste und verträglichste Energie ist nach wie vor die, die man nicht braucht; d.h. den Möglichkeiten der Energieeinsparung und Ener- gieeffizienz kommt jetzt nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels, sondern auch der Energiewende eine noch größere Bedeutung zu. Hier leistet unsere Energieagentur mit ihrer professionellen, kostenlosen Beratung seit nun- mehr drei Jahren hervorragende Arbeit. sind sehr optimistisch, dass das Projekt geneh- migt wird und im Jahr 2012 starten kann. Darüber hinaus nimmt der Landkreis am Deutschen Naturschutzpreis 2011 teil. Hier sind wir von 175 Teilnehmern mit weiteren 22 Teil- nehmern in die Finalrunde gekommen. Die besondere Bedeutung, die bei dem im Kreis vorhandenen Naturpotenzial einer nach- haltigen und umweltschonenden Landwirtschaft zukommt, wird durch mehr als 350 Landschafts- pflegeverträge auf über 1.600 ha wertvoller Fläche belegt. Damit steht der Kreis auf einem Spitzenplatz im Regierungsbezirk und trägt mit den daraus fließenden Mitteln von fast 700.000 Euro jährlich erheblich zur Sicherung der wirt- schaftlichen Existenz unserer Landwirte bei. Im Quellenlandkreis finden sich Hochmoore von europäischem Rang Auf die hochwertige und z.T. einmalige Fauna und Flora in unserem Quellenlandkreis wurde im Vorwort bereits hingewiesen. Nicht zuletzt ha- ben wir im Kreis Hochmoore von euro päischem Rang. Deshalb hat sich der Schwarzwald-Baar- Kreis um ein Naturschutzgroßprojekt von inter- nationaler Bedeutung beworben. Im Rahmen dieses Projekts sollen die vielen bedeutenden Moore im Landkreis erfasst, er- halten, z.T. renaturiert und soweit möglich mit- einander vernetzt werden. Das Projekt umfasst ein Volumen von rd. 6 Mio. € in einem Zeitraum von 11 Jahren. Es wird zu 75 % vom Bund, zu 15 % vom Land Baden-Württemberg und zu 10 % vom Schwarzwald-Baar-Kreis, dem Kreis Tuttlingen und den betroffenen Gemeinden finanziert. Wir 12 Neues Umweltzentrum ein Meilenstein des Umweltschutzes in der Region Ein Meilenstein des Umweltschutzes im Land- kreis ist die Eröffnung des Umweltzentrums Schwarzwald-Baar-Neckar auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände in VS-Schwennin- gen durch den Minister für den ländlichen Raum, Alexander Bonde, am 23. September 2011. Das Umweltzentrum ist im ehemaligen Pa- villon des Landes auf der Landesgartenschau untergebracht und wurde dem Trägerverein Umweltzentrum von der Stadt Villingen-Schwen- ningen zur Verfügung gestellt. Der Landkreis hat sich in der langen Vorbereitungsphase sehr in- tensiv mit eingebracht. Die Geschäftsstelle des Naturschutzgroßprojekts wird im Umweltzen- trum untergebracht und trägt so mit den Miet- zahlungen maßgeblich zur Finanzierung des laufenden Betriebes bei.
Unsere wunderschöne Landschaft lädt na- türlich zum Wandern und Radfahren ein und ist damit das Pfund, mit dem wir im Tourismus wuchern können. Das Radtourismusprojekt „Rad- Paradies Schwarzwald und Alb“, das wir ge- meinsam mit dem Kreis Rottweil im Jahr 2010 umsetzen konnten, hat sich vor diesem Hin- tergrund gut entwickelt. 2011 haben wir es um ein E-Bike-Konzept ergänzt. Nun können auch weniger sportliche Radfahrer problemlos im Schwarzwald und auf der Alb radeln. Das bundesweit erste Job-Center eröffnet Im Sozialbereich hat sich der Kreistag einmü- tig dafür entschieden, die Leistungen für Hartz IV-Bezieher künftig gemeinsam mit der Agentur für Arbeit in einem gemeinsamen Job-Center zu erbringen. Am 5. Juli 2011 wurde das Job-Center Schwarzwald-Baar als bundesweit erstes Job- Center nach einer getrennten Aufgabenerfül- lung im Beisein von Sozialministerin Altpeter und dem Vorstandsmitglied der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Alt, eröffnet. Nun erhalten die Bezieher von Hartz IV-Leistungen in einer Einrichtung alle Leistungen aus einer Hand. Sorge macht die Entwicklung der Kosten in der Jugendhilfe. Hier ist auch bei abnehmenden Jugendlichen seit Jahren eine bedenkliche Kos- Die erste Gesundheitsmesse in Schwenningen war ein großer Erfolg. Die Arbeitsgemeinschaft Gesund- heitspflege im Schwarzwald-Baar-Kreis war ebenso vertreten wie der Quellenlandkreis selbst, der u.a. sein Internet-Gesundheitsportal präsentierte. Aus dem Kreisgeschehen tensteigerung festzustellen. Eine Organisati- onsuntersuchung soll nun die Effizienz der ein- zelnen Leistungen, aber auch der Aufgabener- füllung unter die Lupe nehmen. Demografischer Wandel große Herausforderung für die Zukunft – Erste Gesundheitsmesse Um unseren älteren Mitbürgern auch bei gewis- sen altersbedingten Einschränkungen weiter- hin zu ermöglichen, in ihrer gewohnten Umge- bung zu verbleiben, hat der Schwarzwald-Baar- Kreis das Modellprojekt „Zukunftssicherung durch technikunterstützte Altenhilfe und Pflege“ gestartet. Mit finanzieller Unterstützung des Landes und in Kooperation mit der Hochschu- le Furtwangen soll untersucht werden, wie im ländlichen Raum, z.B. durch mo derne Telekom- munikationstechniken, aber auch andere tech- nische Möglichkeiten, älteren Menschen, auch wenn sie allein wohnen, eine sichere Unterstüt- zung und Pflege gewährleistet werden kann. Gesundheit und Pflege im Alter war eines von vielen Themen, die auf der großen Gesund- heits- und Vitalmesse im Oktober 2011 behan- delt wurden. Diese Messe wird erstmals ge- meinsam vom Gesundheitsnetzwerk Schwarz- wald-Baar und der SMA Südwest Messe- und Ausstellungs-GmbH auf dem Messegelände in Schwenningen veranstaltet. Ein Problem, das sich in allen ländlichen Bereichen abzeichnet ist die ärztliche Versor- gung. Dies gilt im Schwarzwald-Baar-Kreis vor allem für das westliche Kreisgebiet im Bereich Triberg, Schonach und Schönwald. Hier werden 13
Aus dem Kreisgeschehen in den nächsten Jahren über 50 % aller Ärzte in den Ruhestand gehen und die Nachfolge ist in keiner Weise gesichert. Um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wurde aus dem Gesund- heitsnetzwerk eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich diesem Problem gezielt annimmt. Das Problem der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum ist im Grund nur ein Teilpro- blem des demografischen Wandels, der sich in allen Lebensbereichen auswirkt. Der demo- grafische Wandel und seine Folgen wird in den nächsten Jahren das Generalthema vor allem der Kommunalpolitik in unseren Gemeinden und im Kreis sein. Der Kreistag wird sich Anfang 2012 in einer Klausurtagung mit diesem Thema intensiv auseinandersetzen. Im Vorfeld hat sich der Landkreis um die Teilnahme an einem Bundesprojekt „Regionale Daseinsvorsorge“ beworben, in dessen Rahmen mit finanzieller Unterstützung des Bundes ganz konkret die Auswirkungen des demografischen Wandels in bestimmten Lebensbereichen und die sich daraus ergebenden Handlungsalter- nativen untersucht werden sollen. Eine Antwort auf den demografischen Wandel ist die Image- kampagne des Land- kreises mit der wir auf unsere Stärken hinweisen wollen und über die im Almanach 2011 ausführlich be- richtet wurde. In der Endfassung haben wir das Label „Quellenlandkreis Schwarzwald- Baar“ noch leicht abgewandelt in „Quellenland Schwarzwald-Baar-Kreis“ um den offiziellen Na- men des Landkreises mit in das Label aufzu- nehmen. Das Label des Schwarzwald-Baar- Kreises: „Quellenland Schwarz- wald-Baar-Kreis“. Die Rohbauarbeiten für das neue Zentralklinikum sind fast abgeschlossen Die größte und bedeutendste Baumaßnahme, an der der Landkreis als Gesellschafter betei- ligt ist, war auch 2011 das neue Zentralklinikum im Zentralbereich von Villingen-Schwenningen. 14 Die Rohbauarbeiten sind nun abgeschlossen, die Fenster eingebaut und der Innenausbau ist in vollem Gang. Ziel ist nach wie vor Fertigstel- lung Ende 2012 und Umzug bzw. Einweihung im ersten Halbjahr 2013. Erfreulich ist, dass sich dieses gewaltige Bauvorhaben nach wie vor im Kostenrahmen bewegt. „Dauerbrenner“ Fluglärmbelastung Die „Dauerbrenner“ Flugbelastungen durch den Flughafen Zürich und Atomendlager Benken ha- ben auch im Jahr 2011 die Kreispolitik beschäf- tigt. Beim Thema „Flugbelastungen“ ist von be sonderer Bedeutung, dass Bundesverkehrs- minister Ramsauer auf einer Informationsver- anstaltung in Blumberg zum Ausdruck brachte, er wolle das Problem bis Ende des Jah res einer Entscheidung zuführen; entweder durch eine Vereinbarung mit der Schweiz, was anzustre- ben ist, oder durch eine einseitige Verordnung des Bundes. Bislang ist bei den Verhandlungen in der eigens hierzu eingerichteten Arbeitgrup- pe noch kein Fortschritt zu erkennen. Wenn bis Ende des Jahres kein Ergebnis erzielt wird, müsste der Bund mit einer einseitigen Verord- nung handeln, wenn die Aussage von Bundes- minister Ramsauer eingehalten werden soll. Sehr erfreulich ist, dass die neue Landesregie- rung in Stuttgart die Position der süddeutschen Landkreise genauso eindeutig unterstützt wie die Vorgängerregierung. Beim Atomendlager Benken hat die neue Landesregierung unsere Forderung unterstützt, den Bereich der betroffenen Gemeinden auf ei – nen Radius von 30 km um das geplante End- lager zu erweitern. Die Schweiz scheint aber nicht bereit zu sein, dieser Forderung nachzu- kommen. Wie bereits im Almanach 2011 berichtet, wur- de dem Schwarzwald-Baar-Kreis aber zugestan- den, einen Vertreter in die Partizipationsverfah- ren „Südranden“ und „Benken“ zu entsenden, obwohl keine Gemeinde im Schwarzwald-Baar- Kreis sich im Radius des von der Schweiz de- fi nierten betroffenen Bereichs liegt. Diese Par- ti zi pationsverfahren wurden zwischen zeitlich eingeleitet. Karl Heim
Aus dem Kreisgeschehen Das Zentralklinikum, an der der Landkreis als Gesellschafter maßgeblich beteiligt ist, soll Ende 2012 fertigge- stellt sein, die Einweihung ist für das erste Halbjahr 2013 vorgesehen. Die Fotos zeigen die Baustelle im Sep- tember 2011, unten bei einer Besichtigung durch die Stadträte von St. Georgen. 15
Aus dem Kreisgeschehen Hilfe über die Grenze hinweg Über 1.200 Teilnehmer haben den Schwarzwald-Baar-Kreis und den Kanton Schaffhausen einem „Stresstest“ in Sachen Katastrophenschutz unterzogen Es war ein Szenario, wie man es bestenfalls aus einem Katastrophenfilm kennt: Wimmernde und schreiende Kinder laufen durch den Wald, tote Menschen sind unter umgestürzten Bäumen begraben. Ein paar Steinwürfe entfernt ist ein Omnibus einen Abhang hinuntergestürzt, hier gibt es ebenfalls zahlreiche Tote und Verletzte. Dazwischen zahlreiche Helfer von verschiede- nen Hilfsorganisationen. Doch die insgesamt vier im Landkreis und dem Kanton Schaffhau- sen verteilten Katastrophenschauplätze wurden nicht von einem Hollywood-Regisseur in Szene gesetzt, sondern von den Katastrophenschutz- beauftragten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis und dem Schweizer Kanton Schaffhausen, die die verschiedenen deutschen und schweize- rischen Hilfsorganisationen einem „Stress-Test“ unterzogen. Es handelte sich um die erste grenz- überschreitende Katastrophenschutzübung, bei der das Zusammenwirken von deutschen und schweizerischen Hilfs- und Rettungsorganisa ti- onen geprobt wurde. 1.200 Personen nahmen an dieser Übung mit dem Namen „Nimbus 2011“ im Mai diesen Jahres teil. Rund 600 Einsatzkräfte aus Deutschland und der Schweiz im Einsatz Es waren rund 600 Einsatzkräfte von verschie- denen Rettungsorganisationen aus Deutschland und der Schweiz, dem Schweizer Militär sowie 200 Teilnehmer von Führungsstäben, Übungs- leitern und Beobachtern und an die 400 Verletz- tendarsteller, die den Rand des Schwarzwald- Baar-Kreises und des Kantons Schaffhausen an einem Samstag im Mai in das Katastrophensze- nario tauchten. Angenommen wurde, dass ein schweres Unwetter über dieser Region nieder- ging und starker Regen und Sturm dieses Ge- biet in den Ausnahmezustand versetzten. 16 Bereits vor vier Jahren hatten Manfred Pfef- finger, Sachgebietsleiter Katastrophenschutz beim Landratsamt und sein Schweizer Pendant Martin Vögele die Idee einer Grenzraum über- schreitenden Übung. Bereits seit 2 Jahren liefen die intensiven Planungen. Die Schwerpunkte lagen dabei auf der Rettung einer großen Anzahl von Personen und der Bewältigung un- terschiedlicher Unglücke. Aus diesen Vorgaben entstand ein Szenario, das laut der Verantwort- lichen durchaus realistisch ist. Angenommen wurde ein Jahrhundert-Unwetterereignis mit „gren zen losen“ Ausmaßen mit Sturm und Hoch- wasser. In dessen Verlauf wurden verschiedene Sze – narien eingebettet. In einem Pfadfinderlager richtete der Sturm große Schäden an. Rund 300 „Pfadis“, davon etliche verletzt, mussten eva- kuiert werden. Dazu wurde auf einer abgele- genen Fläche ein echtes Pfadfinderlager aufge- baut und „katastrophengerecht“ präpariert. Die Mimen, im Schweizerdeutsch „Figuranten“, spiel- ten ihre Rollen authentisch und schrien, jam- merten oder stöhnten, verhielten sich wie im Schockzustand und forderten die Rettungskräf- te damit nicht nur physisch, sondern auch psy- chisch. Am Grenzübergang Bargen bot sich den Ein- satzkräften ein schreckliches Bild. Ein Reise- bus, der einen Tankwagen streifte, geriet ins Schleudern und stürzte eine Böschung hinun- ter. Wieder mussten etliche Verletzte gerettet und medizinisch versorgt werden. Um eine un bekannte Flüssigkeit aus dem ha- varierten Tank zug aufzufangen und unschäd- lich zu machen, rückte der Gefahrgutzug des Schwarzwald-Baar-Kreises aus, um gemeinsam mit den Schweizer Kollegen der Chemiewehr Schaffhausen die Gefahr zu bannen. Im Bereich Blumberg-Achdorf baute das Schweizer Militär eine Behelfsbrücke und sorgte so dafür, dass
Aus dem Kreisgeschehen die Rettungswege über die Wutach, die laut Übungsannahme zu einem reißenden Fluss ge- worden ist, sichergestellt waren. Und schließ- lich wurden im schweizerischen Oberwiesen bei Stühlingen die Schlagkraft von Technischem Hilfswerk, Schweizer Zivilschutz und Feuerweh- ren auf die Probe gestellt, die sich mit einge- stürzten Häusern und Unmengen von Geröll und Schlamm konfrontiert sahen. Oben: Eine Aufgabe bei der Nimbus-Übung war der richtige Umgang mit einem Gefahrguttransport. Die Feuerwehr Blumberg schäumte einen havarierten Gefahrguttransporter ein. Unten links: Auch große Betonteile mussten zur Bergung von Verletzten und zum Freimachen der Straßen weggeräumt werden. Unten rechts: Der umgestürzte Bus am Grenzüber- gang Bargen wird von der Feuerwehr mit einem Schaumrohr gesichert, während Helfer die Verletzten retten. Landrat Karl Heim: „Eine große Herausfor- derung für alle Beteiligten“ Was an allen Schadensplätzen deutlich wurde, war das Zusammenspiel der Einsatzkräfte bei- der Länder. Es gab keine deutschen oder schwei- zerischen Helfer. Alle arbeiteten Hand in Hand. Landrat Karl Heim, der zusammen mit der für den Bevölkerungsschutz im Kanton Schaff hau- sen zuständigen Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel und Gästen aus der Politik und 17
Aus dem Kreisgeschehen den Hilfsorganisationen alle Schadensplätze be- sichtigte, zeigte sich beeindruckt. „Das war ei- ne große Herausforderung für alle Beteiligten.“ Es sei wichtig, dass man im Schadensfall weiß, wie der andere arbeitet. „In Krisen Köpfe ken- nen“, lautete eines der strategischen Ziele. Kommunikation im Bereich der Führungsebene wird noch verbessert Während an der Basis vor Ort die Zusammenar- beit der unterschiedlichen Organisationen gut funktionierte, gab es in der Führungsebene noch Verbesserungsbedarf. Wie Hans Probst vom Schweizer Bundesamt für Bevölkerungs- schutz sagte, „muss hier die Kommunikation noch verbessert werden.“ Angesichts des Übungsum- fangs lasse sich so eine Übung allerdings nicht jährlich wiederholen. An der Großübung „Nimbus 2011“ waren folgende Rettungskräfte aus dem Schwarzwald- Baar-Kreis beteiligt: Feuerwehren aus Donau- eschingen, Hüfingen, Blumberg, Achdorf, Kom- 18 Das Schweizer Militär baut bei Blumberg-Achdorf ei- ne Behelfsbrücke und demonstriert die Tragkraft mit einem schweren Fahrzeug. Zuschauer beobachten den Brückenbau interessiert. mingen, 1. Einsatzeinheiten des Roten Kreuzes Villingen-Schwenningen und 2. Einsatzeinheit DRK Donaueschingen/Malteser Hilfsdienst, Ge – fahrgutzug Schwarzwald-Baar-Kreis und Not- fallnachsorgedienst des Schwarzwald-Baar-Krei- ses, Technisches Hilfswerk (THW) Ortsverbände Villingen-Schwenningen, Donaueschingen und Bad Säckingen. Roland Sprich Rechte Seite: „Nimbus“ – dunkle Wolke – lautete der Name der Katastrophenschutzübung des Schwarz- wald-Baar-Kreises und des Kantons Schaffhausen am 21. Mai 2011. Über 1.200 Personen beteiligten sich daran.
Aus dem Kreisgeschehen 19
Aus dem Kreisgeschehen Vielfältige Hilfen für das Alter Schwarzwald-Baar-Kreis eröffnet ersten Pflegestützpunkt in Baden-Württemberg Das Thema Alter und die damit einhergehenden Sor- gen und Nöte sind bei vie- len Menschen allgegenwär- tig. Gebrechliche oder pflege- bedürftige Menschen selbst oder Angehörige, die helfen wollen, das richtige Versor- gungsangebot für sie zu finden, stehen dabei vor einer großen Heraus forderung. Die Organisati- on einer guten Versorgung bedeutet, sich in ei – nem Dschungel an Dienstleistungen zurechtzu- finden z.B. Essen auf Rädern, Hilfsmittelverleih, Körperpflege, Krankenpflege oder Fahrdienste – das Angebot an Leistungen und Anbietern ist groß und kaum überschaubar. Mit unabhängigen Be- ratungsstellen, den Pflegestützpunkten, möchte man den Ratsuchenden eine Orientierungshilfe geben, um die pflegebedürftigen Menschen über angemessene Leistungen zu beraten. Eine wesentliche Ursache der Versorgungs- defizite sind Informationsmängel. Es fällt den Betroffenen und ihren Angehörigen oftmals sehr schwer, die richtigen Unterstützungsleistungen zu finden. Sie müssen Wohnsituation und Ge- sundheitszustand des Betroffenen, familiäre, eh renamtliche und profes- sionelle Unterstützung so- wie die richtigen Hilfsleis- tungen mit einander in Ein- klang bringen. Die Pflege- stützpunkte sollen bei die- ser Aufgabe als Informati- onsknotenpunkt dienen und gleichzeitig dafür sorgen, dass vor Ort die rich- tigen Angebote für die Bedürfnis se der pflege- bedürftigen Menschen geschaffen werden. Das Be ratungs an gebot der Pflegestütz punkte steht jedem Bürger unentgeltlich zur Ver fügung. Erster Pflegestützpunkt in einem Landkreis in Baden-Württemberg So haben sich im Schwarzwald-Baar-Kreis der Landkreis und die Kranken- und Pflegekassen zusammengeschlossen und am 1. April 2010 lan- desweit den ersten Pflegestützpunkt in ei nem Landkreis in Baden-Württemberg eröffnet. Der Unten: Isabell Gleichauf beim Beratungsgespräch im Pflegestützpunkt des Schwarzwald-Baar-Kreises. 20
Erster Pflegestützpunkt in Baden-Württemberg ratungsangebot, z. B. auf der Südwestmesse, Gesundheitsmesse, in den Innenstädten und durch Veranstaltungen und Vorträge. Eine enge Verzahnung mit den Selbsthilfegruppen des Schwarzwald-Baar-Kreises und den bürger- schaft lich Engagierten ist ebenfalls eine wich- tige Aufgabe des Pflegestützpunktes. Somit können beispielsweise pflegende Angehörige auf bestehende Angebote hingewiesen und ein Hilfsnetzwerk rasch aufgebaut werden. Regelmäßig finden auch Beratungen in allen Städten und Gemeinden des Kreises statt. Die Bür gerinnen und Bürger werden u.a. umfas- send zu folgenden Themen beraten: • • • • • rund um die Pflege und ums Alter zu diesbezüglichen Leistungen der Pflege- und der Krankenkassen zu Sozialleistungen zu sämtlichen Hilfsangeboten in der Pflege zur Koordinierung von Diensten oder im Einzelfall zu in Frage kommenden Angeboten. Die Betroffenen werden somit bei der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen unterstützt. Jan Hauser Kontaktdaten: Pflegestützpunkt Schulgasse 23 (Abt-Gaisser-Haus) Zimmer 1.2 (im 1. Obergeschoss) 78050 Villingen-Schwenningen z 07721/913-7456 Fax: 07721/913-8456 Pflegestuetzpunkt@Lrasbk.de www.lrasbk.de (Suchbegriff Pfle- gestützpunkt auswählen) Öffnungszeiten Mo. – Fr. 8.00 bis 11.30 Uhr Do. 14.00 bis 17.30 Uhr Termine außerhalb der Sprechzei – ten nach Vereinbarung. Ihre Ansprechpartner: Isabell Gleichauf, Carina Wong 21 Der Pflegestützpunkt ist im Abt-Gaisser-Haus in Villingen-Schwenningen untergebracht. Hier gibt es kostenlose Informationen rund um das Thema Pflege. Pflegestützpunkt wird bislang sehr gut ange- nommen. Den Bürgerinnen und Bürgern kann oftmals mit Einzelinformationen schon geholfen werden. Bei Pflegebedürftigen, deren häusliche Versorgung gefährdet ist, gelingt es häufig mit geeigneten Lösungen, den Verbleib in der häus- lichen Umgebung zu sichern. Die häusliche Pfle – ge entspricht in den allermeisten Fällen den Wünschen der Betroffenen und ist manchmal auch kostengünstiger. Neben den ambulanten Leistungen stehen die Pflegeheime und andere stationäre und teil- stationäre Einrichtungen, wie z. B. die Tages- pflege zur Verfügung. Die regionalen Heime im Schwarzwald-Baar-Kreis bieten ebenfalls ein reichhaltiges Angebot. Von der Kurzzeitpflege über Alltagsbegleiter und Wohngruppenkonzep- te bis hin zu beschützten Bereichen für Men- schen mit Demenz und weiteren ta ges struk tu- rieren den Angeboten werden den Betroffenen offeriert. Jedes Angebot zur richtigen Zeit hat seine Berechtigung. Um die richtige Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt auszuloten, stehen den Bür gerinnen und Bürgern im Schwarzwald-Baar-Kreis mit Carina Wong und Isabell Gleichauf der zeit zwei Mitarbeiterinnen im Pflegestützpunkt zur Ver- fügung. Diese sind im Abt-Gaisser-Haus inmit- ten der Villinger Innenstadt einfach und barrie- refrei zu erreichen. Der Pflegestützpunkt infor- miert auch regelmäßig öffentlich über sein Be-
2. Kapitel Städte und Gemeinden Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar Wie auf dem Präsentierteller liegt Hochemmingen und ist schon von Weitem gut zu sehen. Wanderer und Radfahrer, die sich von Bad Dürrheim aus etwa dem als Ausflugslokal beliebten Waldcafé nähern, haben so immer ihr Ziel vor Augen. Die exponierte Lage des Ortes hat einen weiteren Vorteil: Der Ausblick ist beeindruckend und unverbaut. Man hat in alle Himmelsrichtungen einen faszinierenden Blick, der sich auch in den Straßennamen niederschlägt. „Schöne Aussicht“ heißt eine Straße, „Paradiesstraße“ eine andere. In der großzügigen Ortsmitte weht noch das Flair des alten Dorflebens. Eine öffentliche Waage ge- genüber der Kirche lässt erahnen, dass hier frü- her das Leben von der Landwirtschaft geprägt war. Die Waage wird heute noch genutzt, wenn ein Bauer seine Ernte wiegen will. Ein Wiege- meister versieht dann bei Bedarf seinen Dienst, auch wenn er längst nicht mehr so viel zu tun hat. Bis in die 1970er-Jahre gab es in Hochem- mingen 75 landwirtschaftliche Be triebe, heute werden nur noch sechs davon bewirtschaftet, immerhin vier von ihnen im Haupterwerb. Ein Gang durch die Geschichte Archäologische Funde belegen, dass hier be- reits in der Hallstattzeit Menschen siedelten. Der erste Siedler soll ein „Emo“ gewesen sein, Hochemmingen 1938, einstöckiges Wohnhaus mit hoher Scheune, Federzeichnung von Guido Schreiber, Villingen. 22
Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar nach ihm ist indirekt der Ort und direkt die Straße, an der die Kirche liegt, benannt. Früh- geschichtliche Spuren trägt auch der nahe ge- legene Türnleberg, wo eine hallstattzeitliche Fliehburg stand. Die Abschnittsburg war rund- um durch Wallgräben gesichert. In ihrer Nähe befand sich auf einem Plateau ein mittelalter- licher Burgstall (urkundliche Erwähnung 1349, 1570 und 1703 als Burg Falkenstein), der im Mittelalter einen von Villingen kommenden und an die Donau führenden Handelsweg sicherte. Außerdem finden sich bei Hochemmingen hall- stattzeitliche Hügelgräber. Im größten Grabhü- gel südlich des Türnlebergrückens ist ein Ober- haupt der keltischen Abschnittsburg bestattet. Zur Geschichte Hochemmingens ist das Internet eine wertvolle Quelle, bei Wikipedia findet sich viel Interessantes: In Urkunden ist Hochemmingen erstmals im Jahr 1120 erwähnt. Ein Fronhof gehörte dem Kloster Amtenhausen, dem ältesten von St. Georgen gegründeten Frauenkloster. Dieser Hof wird in allen Urbaren von 1312 bis 1508 an erster Stelle aufgeführt und war immer bewirtschaftet. Bäuerlich geprägt – Hochemmingen auf einer kolorierten Ansichtskarte der Jahrhundertwende. 1697 findet sich die erste Mitteilung zu Leh- rer und Schule in einer Kirchenfondsrechnung über eine Ausgabe an den „Schulmeister für geleisteten Fleiß im Kirchengesang“. Nach dem Urbar von 1788 wurde die „Normalschule“ ein- geführt und 1858 wurde das ehemalige Schul- haus mit Rathaus und Lehrerwohnung erbaut. Zweimal wurde Hochemmingen von schwe- ren Bränden heimgesucht: Bei dem großen Brandunglück von 1602 brannte das ganze Dorf ab, nur die Kirche blieb verschont und beim zweiten Brand 1669 wurden zahlreiche Gebäu- de wie die Zehntscheuer zerstört. Bei diesem zweiten Brand war auch die Kirche betroffen (nur das Bild der heiligen Dreifaltigkeit blieb verschont). Panoramablick auf Hochemmingen. Der größte Ortsteil von Bad Dürrheim zählt ca. 1.430 Einwohner.
Städte und Gemeinden Zur Wappengeschichte von Hochemmingen Geteilt; oben in Blau ein wachsender, rotgezungter goldener Löwe, unten in Blau ein goldenes Schräggitter, die Teilung mit goldener Leiste überdeckt. Das Wappen geht zurück auf das Pri- vatsiegel wohl eines fürstenbergischen Vogts (?) aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es gibt ohne jede Umschrift ein Vollwappen wieder, des- sen Farben jedoch unbekannt sind. (Ein ähnliches Siegel mit demselben Wap pen kam auch bei Heidenhofen vor). Aus dem Anfang des vorigen Jahrhun- derts dürfte ein rundes Siegel mit dem badi- schen Wappen und Palmzweigen stammen. Später wurden Farbdruckstempel ohne Bild verwendet. Das obige Wap- pen wurde auf Anregung des f. f. Kon- servators Wagner im Jahre 1896 vom Gemeinderat angenommen. Die Gemeinde gehörte zum fürs- tenbergischen Amt Hüfingen (der Amts- sitz wurde 1844 nach Donau eschingen verlegt), seit 1939 Landkreis Donau- eschingen. Am 1. Januar 1972 wurde Hochem- mingen nach Bad Dürrheim, Landkreis Villingen, eingemeindet. Das Wappen ist damit erloschen. Schon 1632 wurde die Kirche bei der Beset- z ung durch die Schweden teilweise zerstört und ihrer Glocken beraubt. Episoden aus der Geschichte des landwirt- schaftlich geprägten Ortes begegnen einem auf vielfältige Weise, so auch aus der Zeit des Bau- ernkrieges. Dem Bauernführer Hanns Müller von Bulgenbach verweigerten die Hochemmin- ger 1524 mit der Begründung die Gefolgschaft, sie wollten bei den Herren von Fürstenberg ver- bleiben, diese meinten es gut mit den armen Leuten. Blick zur Hauptstraße mit dem traditionsreichen Gasthaus zur „Sonne“ (rechts) – kolorierte Ansichtskarte der Jahrhundertwende. In der „Kirchengeschichte der Baar“ ist ver- merkt, dass sich Pfarrer Frank im Jahr 1615 be- schwert, weil im katholischen Hochemmingen verbotenerweise zwölf württembergische und somit evangelische Dienstboten beschäftigt seien. Interessant ist eine Untersuchung des Ortes nach einer Bannkarte von 1790, danach lebten damals „52 Männer, 50 Weiber, 87 Söhne und 81 Töchter am Ort. 1738 gab es in Hochem- mingen 17 ganze und vier halbe Bauern sowie 39 Handfrohner.“ Das „Neuestes und gründlichstes alphabe- tisches Lexicon“ von Johann Friedrich Kratzsch berichtet 1845: „Hoch-Emmingen — Dorf mit Pfarrkirche. 62 Häuser, 434 kathol. Einwoh- ner. … zur Standesherrschaft des Fürsten von Fürstenberg gehörig, erscheint schon im Jahr 24
819 und hat 1 Wein- und 2 Bierwirthschaften.“ Ein „verschlafenes Dorf“ war Hochemmingen nicht, was eine Anordnung im Gefolge des Badischen Aufstandes von 1848/49 zeigt: Ma- jor Busch vom Frankfurter Bataillon wird am 11. Juli 1849 angewiesen, in Hochemmingen sämt- liche Waffen einzuziehen und auch genauere Hausdurchsuchungen vorzunehmen. Zu dieser Zeit leben 83 Familien am Ort, 451 Katholiken und sieben evangelische Mitbürger. Ein Anlass mag gewesen sein, dass sich die Gemeinde- vorsteher Hochemmingens und sieben anderer Gemeinden am 13. April 1848 in Sunthausen versammelten. Sie beschlossen zwar, den Auf- rufen von Friedrich Hecker und Gustav Struve keine Folge zu leisten, doch zumindest einige Hochemminger hatten sich wohl dennoch am Badischen Aufstand beteiligt. Dass man in Hochemmingen „zu feiern ver- steht“, zeigt sich 1915 im Rahmen der Mobilma- chung vor dem Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Kriegsbegeisterung. Der Pfarrer ver merkt im Kirchenbuch, „die Männer hielten die Polizeistunde nicht ein und zögen selbst sonntags bis spät in der Nacht mit den Mäd- chen auf den Straßen herum.“ Im Standardwerk „Die Baar“ von 1938 schildert Josef Bader eine Wanderung durch Baar dörfer, über Hochemmingen hält er fest: „Schön liegt Hochemmingen. Das schönste Haus heißt auch hier ‚Vogtshaus‘. Es ist Sonn- tag, stolz tragen die Frauen die Bandhaube“. Hochemmingen zur Stunde Null Ein schweres und dunkles Kapitel in der Hoch- emminger Geschichte waren der Zweite Welt- krieg und die Stunde Null. Hermann Riedel erzählt in seinem Buch „Ausweglos“ viele Details der dramatischen Ereignisse um Hoch- emmingen. „Am Nachmittag des 25. April 1945, 25. April 1945: Französische Soldaten treffen von Mühlhausen kommend in Hochemmingen ein. Ent- nommen dem Buch „Ausweglos“ von Hermann Riedel. Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar gegen 17 Uhr, kamen von Mühlhausen her fran- zösische Panzer, die von Marokkanern beglei- tet waren, in den Ort. Ein Serbe hat sie schon vor dem Ort in Empfang genommen. Ein Panzer ging gleich im Hofe des Hauses von Hermann Bacher, damals das letzte Haus gegen Bad Dürrheim, in Stellung und schoß von dort auf das auf Gemarkung Hochemmingen stehende ‚Waldcafé‘, wohl in der Meinung, daß dieses noch von deutschen Soldaten besetzt ist. Erst als auf dem ‚Waldcafé‘ die weiße Fahne gehißt wurde, stellte der Panzer das Feuer ein. Drei Panzer gingen in Stellung am Orts- ausgang gegen Tuningen und Sunthausen und nahmen von da aus den Troß der deutschen Ko- lonnen, der auf der Straße Hirschhalde – Bie- singen stand, unter Feuer.“ Die französische Kriegsberichterstatterin Anni Gacon, die sich bei der französischen Panzerkolonne befand, die Hochemmingen besetzte und auch einige Fotos von der Besetzung machte, berichtete in einem Pressebericht: „Vor uns Hochemmingen. Die Marokkaner springen eilends von ihren Lastwagen. Simon und seine Abteilung befinden sich bald am äu- ßersten Rand des Dorfes, 200 Meter vom Wald 25
Städte und Gemeinden Blick zum Türnleberg, wo eine hallstattzeitliche Fliehburg stand. Rechts die katholische Kirche mit dem unter Denkmalschutz stehenden Stufengiebel- gebäude des ehemaligen „Hirschen“. entfernt, wo sich die Deutschen aufhalten. Die Panzerjäger schießen auf die am Waldrand gelegenen Hütten, etwas südlicher. Welch ein Lärm! Eigene Panzer kommen aus Richtung Bad Dürrheim. Verbindung. Im Wald wird herumge- schossen. In Hochemmingen sind alle Häuser weiß beflaggt … Polnische (soll wohl heißen ju- goslawische – Der Verf.) Gefangene im grauen Drillich mit dreieckiger Feldmütze empfangen uns mit großen Gebärden und kräftigem Klat- schen…“ Die französische Panzerkolonne rückte am Abend des 25. April wieder ab. Einige deutsche Soldaten, die nicht weitermarschiert waren und sich im Ort aufhielten oder sich versteckt hat- ten, wurden von den Franzosen aufgespürt, ge- fangen genommen und zunächst zum Rathaus gebracht, von wo sie von den Franzosen bei ih- rem Abzug mitgenommen wurden. knapp 1.500 fast verdreifachte. Knapp 200 Ein- wohner bringt die Seniorenresidenz Hirschhal- de dem Ortsteil Hochemmingen. In Hochemmingen gibt es nicht das Pro- blem leerstehender Bauernhäuser im Ortskern. Das einzige nicht genutzte Haus gehört der Stadt, es handelt sich um das unter Denkmal- schutz stehende Stufengiebelgebäude neben der katholischen Kirche. Früher befand sich hier das ehemalige Gasthaus „Hirschen“, das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wohl als Rauchhaus gebaut wurde. Das Sterben des Einzelhandels konnte der Anstieg bei den Einwohnerzahlen nicht verhin- dern, auch nicht die sinkende Bedeutung des Ortes für den Fremdenverkehr. Eine ganze Wei- le lang profitierte Hochemmingen von der be- nachbarten Kurstadt Bad Dürrheim. Der Frem- denverkehr blühte, viele Kurgäste quartierten sich bei privaten Zimmervermietern ein, das Gasthaus „Adler“ ist aus dieser Zeit noch in ei- nigen Quellen als Kurhotel verzeichnet – doch die Gesundheitsreformen zeigten auch hier ih- re Wirkung. Vier Gaststätten Einwohnerzahl hat sich verdreifacht Um die Infrastruktur zu verbessern, setzte der Ort in der Nachkriegszeit auf Expansion: Neue Baugebiete lockten Pendler und junge Familien in das Dorf, dessen Einwohnerzahl sich von gut 500 am Ende der 1970er-Jahre auf mittlerweile Neben dem Gasthof „Adler“ existieren die Sport- lergaststätte und das traditionsreiche Waldca- fé Fischer aus dem Jahr 1906. Inhaber Hubert Fischer ist Küchenmeister und holte bei einer internationalen Junioren-Kochmeisterschaft die Goldmedaille. Die Besonderheit am Waldcafé 26
ist, dass die Wirtsleute auch gleichzeitig Land- wirte sind. Ein weiteres geschichtsträchtiges Wirtshaus war die „Sonne“, die jahrhundertelang als Post- station, Gefäng nis und Wirtshaus diente. Das Gasthaus stand schon Jahrzehnte leer, bevor es neue Eigentümer fand, die es liebevoll von innen und außen restaurierten. Heute ist das Haus mit seinem großzügig angelegten Garten ein Schmuckstück, aber natürlich keine Gast- stätte mehr. Die Besitzer haben alle Bausünden vergangener Jahrzehnte rückgängig gemacht – soweit es ging. Das Gebäude wird von Fachleu- ten auf ein Alter von gut 300 Jahren geschätzt. Auch das Backhaus und eine malerisch mit Efeu bewachsene Scheune gehören zum Ensemble. Obwohl die Scheune längst baufällig und nicht mehr zu retten ist, lassen die Eigentümer sie stehen, denn sie gehört ins Dorfbild und bildet von der Straßenseite her eine ansprechende Kulisse. Nicht nur an dieser Stelle ist viel Grün im Ort. Liebevoll angelegte Bauerngärten zie- ren als bunte Farbtupfer den Dorfkern. Reges Vereinsleben Entlang der großzügigen Hauptstraße spenden zahlreiche Bäume Schatten, auf dem Platz hin- ter der Kirche steht gleich ein halbes Dutzend Das frühere Gasthaus „Sonne“ und die dazugehörige alte Scheune – Idylle im Ortskern. Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar Kastanien, die so prächtig sind, dass sie es mit jedem bayerischen Biergarten aufnehmen könnten. Einmal im Jahr feiert die Narrenzunft hier ihr Kastanienfest. Überhaupt hat Hochemmingen ein reges Vereinsleben. Zehn Vereine gibt es im Ort und die Freiwillige Feuerwehr. Der älteste ist der Mu sikverein, der 1901 gegründet wurde und ei ne Bläserschule für Jugendliche plant; der mitgliederstärkste ist der FC Hochemmingen, der neben Fußball auch Badminton, Turnen und Gymnastik anbietet. Alle Vereine zogen an einem Strang, als es darum ging, eine alte Bundeswehr- halle in eine Mehrzweckhalle umzuwandeln. Seit jeher hat die Fastnacht in Hochemmin- gen einen hohen Stellenwert und lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Dass die Narrenzunft auf eine lange Tradition zurück- blickt, dokumentiert ein „Narrenblättle“ aus dem Jahr 1897. Die Narrenzunft wurde 1976 aus der alten Narrenzunft „Früh auf – Spät heim“ neu gegründet, da das Interesse an der Zunft zu erlöschen drohte. Die Narrenzunft ist Mitglied in der Schwarzwälder Narrenvereinigung und nimmt an deren Narrentreffen teil. Die Hauptfi- gur ist der Eckbühlblätz. Auch die Jugendlichen des Ortes zeigen viel Initiative. Allen finanziellen Widrigkeiten zum Trotz setzten sie mit großer Beharrlichkeit ei- nen Hockeyplatz durch, der inzwischen sogar über Flutlicht verfügt. Jahrelang sammelten sie Spenden und verkauften auf dem Weihnachts- markt Fliederbeersaft. Für dieses Engagement wurden sie nicht nur mit einem Hockeyplatz be- 27
lohnt, sondern 2007 auch mit einer Auszeich- nung vom damaligen Ministerpräsidenten. Auch der Rentnertreff ist besonders aktiv und über die Ortsgrenzen hinweg bekannt. Weil hier so viele Besichtigungen und Ausflüge or- ganisiert werden, kommen Senioren auch aus anderen Ortschaften her, um an den Aktivitäten teilzunehmen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag warten viele Theaterfreunde darauf, „endlich reingelassen“ zu werden – in der Gemeindehalle spielen die Akteure der Theatergruppe der Narrenzunft. Die Hochemminger Theatergruppe ist Garant für ei- nen heiteren Theaterabend. Aktive Landjugend ein großer Gewinn Die Landjugend in Hochemmingen ist sehr aktiv. Jeden Mittwoch treffen sich die Mitglieder, jede Woche organisiert ein anderer das Programm. Im vergangenen Sommer hat die Jugendorga- nisation des Deutschen Bauernverbandes zum ersten Mal zur Sonnwendfeier geladen, 15 an- dere Landjugend-Gruppen aus der Region wa- ren gekommen und sind zu Klängen des Musik- vereins mit Fackeln durch den Ort gezogen bis hin zu einer abgemähten Wiese, auf der sie ein haushohes Feuer entfachten. Johanna ist eines der jüngsten Mitglieder in der Landjugend. Sie kam vor neun Jahren nach Hochemmingen und war sofort von Ackerbau und Viehzucht fasziniert. Obwohl keiner aus ihrer Familie aus der Landwirtschaft stammt, ist sie begeistert von jeglicher Arbeit auf dem Städte und Gemeinden Bei der kreisweiten Sonnwendfeier der Land jugend von Hochemmingen. 28
Hof. Früh hat sie die Nachbarn gefragt, ob sie ihnen helfen kann, mit 14 machte sie den Trak- torführerschein und ist seitdem eine gefragte Hilfe für die Landwirte im Ort. „Ich mache alles, vom Umpflügen bis zum Silieren, das macht mir einfach Spaß.“ Inzwischen gehört sie zum Kreisvorstand der Landjugend und hat auch einen Beruf ge- wählt, der ansatzweise mit ihrem Hobby zu tun hat. Zu ihren Lieblingsplätzen in Hochemmin- gen gehören die Feldwege am westlichen Orts- rand. „Von da aus kann man über Bad Dürrheim bis nach Villingen sehen und bei schönem Wet- ter sogar bis auf den Fürstenberg“, schwärmt sie. „Hier leben freundliche Leute“ Die Bewohner leben gern hier. Die Preise für Bau land liegen unter denen in Bad Dürrheim, für Kinder ist der Ort ein Paradies. „Der Kindergarten ist hervorragend“ schwärmt Martina Rempp, die Sport- und Freizeitangebote stimmen auch. Der Radweg nach Tuningen, der seit 20 Jahren auf der Wunschliste der Gemeinde steht, scheint sich bald zu realisieren, was vor allem für die Real- und Werkrealschüler wichtig ist. Auch die Verkehrsanbindung ist gut. „Ich bin sehr schnell in Schwenningen, in Bad Dürr- heim sowieso, und in sechs bis sieben Minuten bin ich auf der Autobahn zum Bodensee oder nach Stuttgart“, betont eine Hochemmingerin. Diese gute Anbindung ist auch der Grund dafür, dass in Hochemmingen gleich zwei Speditio- nen ansässig sind. Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar Die Getreideernte wird eingefahren, noch gibt es im Ortsgebiet von Hochemmingen Landwirte. Doch die verkehrsgünstige Lage ist sicher nicht der einzige Grund, weshalb es auch viele junge Menschen im Ort hält: „Hier leben ein- fache, freundliche Leute“, sagt der Nebener- werbslandwirt, der gerade seine rotbunten Kü- he im Stall neben der Kirche versorgt. „Gesprä- chig und hilfsbereit.“ Stephanie Wetzig/wd Fotos unten: Hochemmingen hat ein tolles Radwe genetz zu bieten, das sich auch für Inliner bestens eignet. Bei einer Höhenlage von ca. 800 Metern gibt es im Baardorf einen Winter mit Schnee. 29
Städte und Gemeinden Niedereschach – ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort in bester Lage Niedereschach im Eschachtal am Ostrand des Schwarzwaldes hat in jüngerer Zeit weiter an Attraktivität gewonnen. Nicht nur die gute Lage im Schwarzwald-Baar- Kreis oder die Nähe zu den Zentren Villingen-Schwenningen und Rottweil sind dafür verantwortlich, vielmehr sind es vor allem auch die vielen Arbeitsplätze, die reizvollen Neubaugebiete und die hervorragende Infrastruktur des Ortes, die ihn attraktiv machen. Die Lage ist auch geographisch günstig: Die Autobahn ist schnell erreicht, sprich, liegt fast vor der Haustüre. Niedereschach gilt in der Nachbarschaft als schmucke, sympathische Gemeinde, für deren Besuch es viele Gründe gibt. Manche Auswär- tige konsultieren hier einen Arzt und erledi- gen Einkäufe, andere lockt ein Theater- oder Konzertabend, etliche Bürger aus der Nach- barschaft fahren zum Arbeiten nach Nieder- eschach. Wer in großer Gesellschaft feiern oder eine andere Großveranstaltung ausrichten will, kommt an Niedereschach ebenfalls nicht vor- bei: Die Eschachhalle ist mit ihren rund 1.000 Plätzen konkurrenzlos geräumig und attraktiv. All das schätzen natürlich auch und gerade die Niedereschacher, die kaum einen Grund haben, den Ort zu verlassen. Er bietet alles, was der Mensch zum Leben braucht und das obendrein in zauberhafter Umgebung. Der Erhalt der ho- hen Lebensqualität und die Entwicklung ihrer Gemeinde sind den Einwohnern viel Wert. Ihr Zusammengehörigkeitsgefühl ist ebenso aus- geprägt wie ihre Verantwortungsbereitschaft: Davon zeugt etwa die Bürgerenergie Nieder- eschach eG (BEN) als jüngste, beispielhafte Ge- meinschaftsinitiative. Glockenspiel am Rathaus Seit zwei Jahren gibt es einen weiteren spezi- ellen Grund für die Bürger im Landkreis einen Ausflug nach Niedereschach zu unternehmen. Vier Mal täglich wehen hier verschiedene Me- 30
Das Glockenspiel am modernen Niedereschacher Rathaus. Die 24 Glocken erklingen viermal am Tag. an lodien durch’s Dorf und begleiten die Menschen durch den Tag und durch Jahreszeiten. Das die Glockenspiel der Rückseite des Rathauses ist die Quelle, aus der die Musik sprudelt – ein in- strumentales Kunstwerk, das ausschließlich mit Spenden aus der Bevöl- kerung finanziert wurde. Der wunderschöne Klang der 24 Glocken mischt sich harmonisch mit dem Plätschern der Eschach, die unbegradigt mit- ten durch das Dorf fließt. Idyllische Sitzplätze laden zum Verweilen ein, Wege entlang des naturgeschützten Ufers zum Spaziergang, bei dem seltene Pflanzen bestaunt werden können, mit etwas Glück auch vom Aussterben bedrohte Tiere wie Neuntöter und Eisvogel. Schon früh durch die Industrie geprägt Dabei ist Niedereschach im Gegensatz zu seinen vier Ortsteilen und den meisten Nachbarkom mu- nen, die sich seit Aus- siedlung und Aufgabe vieler landwirtschaftli- cher Betriebe neu konfi- gurieren mussten, kein ehemaliges Bauerndorf. Es war „schon immer“ Unbegradigt und natürlich belassen fließt die Eschach durch den Ort. Niedereschach – attraktiver Wohn- und Arbeitsort ein kleines, ländliches Industriezentrum und als solches ebenfalls mit dem Zwang zum Wan- del konfrontiert. Anders als die schleichende und anhaltende Agrarkrise, die freilich auch etliche Höfe in und um Niedereschach herum betraf und betrifft, sorgte im Kernort Mitte der 80er-Jahre die Krise in der Uhrenindustrie für einen gewaltigen Schock. Große Firmen wie Jerger- und Peter-Uhren verschwanden als ele- mentar bedeutsame Arbeitgeber, blieben aber auf der Bildfläche. 31
Städte und Gemeinden Produkte des Niedereschacher Motorrad-Ausstatters Touratech genießen einen hervorragenden Ruf: Sie sind vielseitig, robust und vereinen maximale Leis tung mit geringem Gewicht. Hier die KTM 690 Enduro – eine gelungene Mischung aus Gelän- de- und Spaßbike. Die bei zahlreichen Rallye- und Enduroveranstaltun gen gewonnenen Erkenntnisse sind auch ins Touratech-Zubehör für das neue Zug- pferd eingeflossen. Geboren aus der Erfahrung vieler Reisekilometer, entwickelt aus der Praxis für die Praxis und getestet unter härtesten Bedingungen wurde durchdachtes Zubehör entwickelt, das allen Anforde- rungen gerecht wird, wie es in einem Pressetext heißt. Die Gemeinde krempelte nach der Struktur- krise die Ärmel hoch und hieß auf dem neuen Gewerbegebiet an der Dauchinger Straße auch Firmen willkommen, die anderswo abgelehnt wurden. Viele Existenzgründer fanden hier ei- ne Heimat. Mehr als 20 Betriebe in gesundem Branchen-Mix sind aktuell in Niedereschach registriert; zusammen bieten sie rund 1.500 Arbeitsplätze. Das sind vergleichsweise viele für eine Gemeinde mit insgesamt ca. 6.000 Ein- wohnern. 32 32 Schmid Technology größter Arbeitgeber Schmid Technology ist der größte Arbeitgeber mit mehr als 300 Beschäftigten am Standort, weltweit stehen mehr als 2.400 Menschen bei dem hochinnovativen Maschinenbauunter neh- men in Lohn und Brot. Schmid ist die interna- tional führende Technologie-Schmiede für High- tech-Automationssysteme, die maßgeschneidert für die Photovoltaik-Branche ent wickelt und ge- fertigt werden. Dieser Markt wächst bekanntlich rasant, analog dazu expandiert auch das Nieder- eschacher Vorzeige-Unternehmen. Wirtschaftliche Aushängeschilder sind eben – so die beiden zweitgrößten Mittelständler, Tan nenhof und Touratech mit jeweils 200-köp- figen Belegschaften. Die eine ist berühmt für die Produktion von Schwarzwälder Schinken und lädt jedes Jahr zusammen mit Vereinen und Gemeinde zum beliebten Schinkenfest in die Eschachhalle ein, in dessen Zentrum die Krönung der Schinkenkönigin steht. Die Toura- tech AG wiederum ist ein kreativer und weltweit agierender Motorrad-Ausstatter, der sich auf Geländemotorräder und Equipment für weite Reisen unter erschwerten Bedingungen spezi-
Niedereschach – attraktiver Wohn- und Arbeitsort Von der Industrie geprägt – viele Niedereschacher arbeiten an ihrem Wohnort. alisiert hat. Magnet für tausende Biker und Abenteuer-Fans ist das Touratech Travel Event, das regelmäßig auf dem Betriebsgelände ver- anstaltet wird. Einen hervorragenden Namen weit über die Gemeindegrenzen hinaus genie- ßen auch familiäre Mittelständler wie Nepomuk Jerger, Roth und Förderer und andere. Viele Erwerbsfähige aus Niedereschach ar- beiten hier, was die Verbindung zur Gemein- de intensiviert – Wohnen, Berufstätigkeit und Freizeit erfordern keinen Ortswechsel. Dank ver lässlicher Gewerbesteuereinnahmen ist die Finanzlage der Kommune stabil und ermög- Zum Kreis der großen Arbeitgeber in Niedereschach gehört u.a. der Tannenhof. Seine Schinken- und Wurstspezialitäten werden nach überlieferten Rezep- ten und der handwerklichen Tradition von Schwarz- wälder Hausmetzgern zubereitet. Der Tannenhof wählt Jahr für Jahr beim Schinkenfest in der Eschach- halle seine Schinkenkönigin (links). Gegründet wurde das Unternehmen 1975 durch Hans und Brigitte Schnekenburger in VS-Villingen. licht eine intakte Infrastruktur. Es gibt Kinder- gärten in jedem Ortsteil, sechs insgesamt mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten und Trägern. Der in Niedereschach ist bei der Katholischen Kirchengemeinde St. Mauritius an gesiedelt, drei werden in Regie von Eltern- vereinen betrieben. Auch das ist ein Zeugnis für das in Niedereschach auffällig ausgeprägte Verantwortungsgefühl in eigener Sache. Pionierhafte Bürger-Energie beschert der Gemeinde einen Imagegewinn Nicht erst seit der Atom-Katastrophe in Japan engagieren sich die Niedereschacher für eine Energieerzeugung, die nicht nur auf die öko- logischen Notwendigkeiten, sondern auch auf die lokalen Möglichkeiten und Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das pionierhafte Genossen- schaftsmodell der Bürger-Energie hat der Ge- meinde neues Profil und Imagegewinn beschert und entwickelte eine anhaltende Eigendynamik, die stetig neue Kreise erreicht. Die Biogas-Anla- ge von drei Landwirten sorgt seit 2010 mit der davor verpuffenden Abwärme beinahe für den annähernd kompletten Heizbedarf der Schule.
Das ehemalige Fabrikgebäude von „Förderer und Söhne“ wurde in Eigenarbeit in eine Kulturfabrik um- gewandelt. Sie ist heute das Zuhause von sechs Ver- einen, und zwar des Trachtenvereins „Reckhölderle“, des Musikvereins „Harmonie“, des Gesangvereins „Eintracht“, der Narrenzunft, des Radfahrvereins „Viktoria“ und des Deutschen Roten Kreuzes. Weiter befindet sich hier der Jugendclub. Solarenergie ist ebenso ein Thema, das Dach der Eschachhalle wurde mit einer Photovoltaik- Anlage ausgestattet, viele Privatleute nutzen die Kraft der Sonne, ein Projekt für sich ist der Solarpark in Fischbach hinter dem dortigen Gewerbepark. Aktuell wird die Errichtung einer Hackschnitzel-Anlage geprüft – der Gedanke der Nachhaltigkeit mit Wertschöpfung vor der Haustür hat sich in Niedereschach durchgesetzt. 150 Helfer haben in 22.000 Arbeitsstunden die Kulturfabrik entstehen lassen neuen Bürgermeister gewählt hatten. Ebenso beeindruckend für den gebürtigen Schramber- ger: „Man findet kaum Neid. Die Vereine besu- chen einander und helfen sich gegenseitig.“ Beispielhaft sind das Schmiedesteighaus in Fischbach und das Haus der Vereine in Scha- benhausen. Besonderheit hier ist zudem der zweiwöchentliche Bürgertreff in der Schlierbach- halle, bei dem die Bürger einander ehrenamtlich mit Kaffe, Kuchen und Abendessen verwöhnen. Niedereschachs „gute Stube“ mitten im Zen- trum ist die Kulturfabrik als gemeinsames Ver- einsheim. 1992 kaufte die Gemeinde das Ge- bäude von der Firma „Förderer und Söhne“, die ins Industriegebiet umgesiedelt war. In den fol- gen den drei Jahren verwandelten die Vereine in bemerkenswerter Eigenleistung (150 Menschen stellten in rund 22.000 Stunden Know-how und Muskelkraft unentgeldlich zur Verfügung) die ehemaligen Fabrikräume in eine krea tive und multifunktionale Begegnungsstätte. 1995 wur- de die Kulturfabrik eingeweiht und ist seither aus dem gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. „Die Menschen fühlen sich verantwortlich“, hat Martin Ragg bald herausgefunden, nachdem ihn die Niedereschacher im März 2010 zu ihrem Die Vereinsgemeinschaft ist leidenschaft- lich gern Gastgeber etwa beim traditionellen Dorffest, das zuverlässig auch in der Nachbar- 34
Das vielfältige Niedereschacher Vereinsleben wi- derspiegelt der „Maibaum“ in der Ortsmitte. Unge- wöhnlich gestaltet ist die Ortseinfahrt aus Richtung Rottweil (rechts). schaft ein Publikumsmagnet ist. Die insgesamt 40 Vereine locken überhaupt immer wieder Menschen aus größerem Radius in die Gemein- de und verhelfen ihr auch auswärts zu einem exzellenten Ruf. Mitglieder des Radfahrvereins Viktoria, der 2010 seinen 100. Geburtstag fei- erte, erstrampeln sich immer wieder Meister- titel auf Landes- und Bundesebene. Überregional erfolgreich ist die Twirling- Tanz-Sport-Gruppe (TTSG) Niedereschach, de- ren Seniorenteam 2011 als bestes in Deutsch- land gefeiert wurde. Im gleichen Jahr nahmen Niedereschacher Twirlerinnen an der Europa- meisterschaft in Turin teil; regelmäßig sind sie bei internationalen Turnieren vertreten und beliebte Gastgeber für süddeutsche, baden- württembergische und deutsche Meisterschaf- ten. Auch alle weiteren Vereine prägen das Ge- meindeleben und sind Anker der Gemeinschaft, ob KJG, Landfrauen und Jugendclub, Gesang- verein, Hundefreunde, Narrenzunft, Musik- und Sportvereine in allen Ortsteilen. Sportliche Aushänge- schilder von Niedereschach sind die Tänzerinnen der Twirling-Tanz-Sport-Grup- pe. Die Fotos zeigen von links Diana Eisenzapf und Vanessa Metzger, die im Juli 2011 bei den Europa- meisterschaften in Turin am Start waren, dort mit dem Team Rang neun belegten. 35
Städte und Gemeinden dellprojekt ist das Bildungshaus in Kappel, das mit seinem fließenden Übergang vom Kinder- garten zur Schule unter einem Dach wissen- schaftlich begleitet wird. Überhaupt ermöglicht die Gemeinde gern die Erprobung neuer päda- gogischer Konzepte, sofern die Impulse dazu von einer engagierten Elternschaft kommen, wie der Waldkindergarten als kreisweit einer der ers- ten seiner Art demonstriert. In der modernen und freundlichen Seniorenwohn- anlage Eschachpark fühlen sich die Bewohner rund- um wohl, wie sie bei ihren täglichen Spaziergängen auch den Passanten berichten. Mitten im Ort lebend ist hier niemand vom Alltag ausgeschlossen. Zur intakten Infrastruktur gehört eine le- bendige Schullandschaft mit drei Grundschu- len und einer Werkrealschule, die in enger Ko- operation mit der Nachbargemeinde Deißlingen betrieben wird. Mit kräftiger Unterstützung von Eltern und der örtlichen Wirtschaft wird gerade ein innovativer Cyber-Classroom für dreidimen- sionalen Unterricht eingerichtet. Das Gebäude wurde nach grundlegender Sanierung zur Ganz- tagesschule aufgewertet mit eigener Mensa, Lehrschwimmbecken im Anbau, kostenfreiem Musikunterricht für jedes Kind und intensiver Nachmittagsbetreuung. Ein eigenständiges Mo- Ein überdimensionaler Peter-Wecker erinnert bei der Seniorenwohnanlage am Eschachpark an das Zeit- alter der Uhrenfertigung. Die Wohnanlage steht am einstigen Standort der „Uhrenfabrik Adolf Jerger KG“, wie eine Infosäule erläutert. 36
Gute Versorgung für Senioren Junge Familien werden mit bezuschussten Bau- plätzen willkommen geheißen und im Rhyth- mus des Lebens finden auch Senioren Ge- borgenheit und Halt in der Gemeinde. Mit der Seniorenwohnanlage Eschachpark hinter dem Rathaus bietet sie mehr als ein Gebäude mitten im Zentrum, das mit betreutem Wohnen, Pfle- gehaus und Tagespflege die gesamte Palette altersbedingter Bedürfnisse abdeckt. Zudem werden Senioren und deren Angehörige von einer Seniorenbetreuerin beraten, deren Stelle von der Gemeinde bezuschusst wird. Der Caritasverband und die ehrenamtlich tätige „soziale Drehscheibe“ garantieren gu- te pflegerische und medizinische Versorgung. Dank der nur einen Steinwurf entfernten Kultur- fabrik können die Senioren unkompliziert am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilha- ben und schätzen ebenso die Nähe von Ärzten, Apotheke, Banken, Einkaufsmöglichkei ten und Gastronomie. Die Orientierung der Menschen im admini s- trativen Labyrinth Deutschlands wird zuneh- mend schwieriger; auch dabei bietet die Ge- meinde unkonventionelle Hilfestellung. Neu er- dings bietet Alt-Bürgermeister Otto Sieber re – gelmäßige Sprechstunden an, in denen er die Bürger bei sozialen Fragen berät. Er hat die Ge- schicke der Gemeinde 40 Jahre lang mit inte- grativer Weitsicht gelenkt. Der lange Zeitraum ist so ungewöhnlich wie die enge und unkom- plizierte Kooperation mit seinem Nachfolger, der sich regelrecht in die Gemeinde verliebt hat. „Sie hat ein warmes Herz, darum leben die Menschen gern hier.“ Defizite sieht Martin Ragg lediglich bei den Übernachtungsmöglichkeiten und in der touristischen Vermarktung. „Wir ha- ben so viel zu bieten, das ist jedoch noch zu we- nig bekannt.“ Wo sonst gibt es das: Sonntag für Sonntag ist Sinkingen zugeparkt, Besucher strömen massenweise zum Taubenmarkt, der obendrein mit viel Gegacker und Kikeriki auch noch für ei- ne turbulente Geräuschkulisse sorgt. In Scha- benhausen lockt ein geologischer Lehrpfad entlang des Schlierbachs zu abenteuerlichen Exkursionen auch in die Unterwelt – Ziel ist Niedereschach – attraktiver Wohn- und Arbeitsort Die Eschachhalle ist ein beliebter Tagungsort. ein mittelalterlicher Bergstollen. In Kappel ist der Streichelzoo Ausflugsmagnet für Groß und Klein. Auch in sportlicher Hinsicht bleiben in Nie- dereschach kaum Wünsche offen, die klassische Freizeitsport-Palette wird mit Boule, Skateboard, E-Bike, Hockey, Minigolf und mehr familien- freundlich ergänzt. Christina Nack Von der alten Kirche ist nur noch der Turm erhalten. 37
3. Kapitel Architektur und Denkmalpflege Zähringerstadt mit Flair – die neue Bräunlinger Mitte begeistert Die Altstadtsanierung von Bräunlingen ist eines der größten Projekte, das die 6.000-Einwohner-Stadt in jüngerer Zeit bewältigt. Sie beschäftigt Verwaltung, Bürger und Gemeinderäte seit 1985: das ist mehr als ein Vierteljahrhundert. Im Rahmen einer „Denkwerkstatt“ konzipierten die Bräunlinger ab 1999 gemeinsam das in jeder Hinsicht gelungene neue Stadtbild, das auch in anderen Bereichen der Innenstadt noch umgesetzt wird – die Stadtkernsanierung bleibt ein Großprojekt. Entstanden ist eines der charmantesten Stadtzentren der Region. Wie gut die Altstadtsanierung bei den Bräunlingern und ihren Gästen ankommt, lässt sich in den Gästebüchern der Hotels nachlesen. Mit „Bräunlingen ist eine richtige Märchenstadt!“, hat einer der Besucher das neue Flair der Zähringerstadt besonders treffend beschrieben. 38 38
„Das mächtige Erscheinungsbild der Kirche wird durch die neue Treppenanlage des Kirchplatzes aufgefangen und in das Umfeld eingebunden. Ein erhöhter Platzbereich direkt vor der Kirche unterstreicht die Prominenz des Ortes und wirkt wie eine Tribüne im städtischen Leben.“ | Architekt Tilmann Schalk 39
Architektur und Denkmalpflege Doch bis zu dieser „Märchenstadt“ ist es ein langer, steiniger Weg gewesen. 1985, als die Untersuchungen für das erste Sanierungsge- biet „Sommergasse/Zwingelgasse“ anlaufen, ist Bräunlingen ein in die Jahre gekommenes Städtchen. Mehr als die Hälfte aller Gebäude stammen aus der Zeit vor 1900, 31 Prozent sind gar vor dem Jahr 1800 erbaut worden. Ein land- wirtschaftlicher Betrieb sorgt inmitten der Stadt für Unmut. Zu all dem kommt eine drückende Verkehrsbelastung: Täglich schieben sich rund 12.000 Autos und 600 LKWs durchs Müh- lentor und an der Stadtkirche vorbei. Nein, es soll nicht einfach werden, dieser Stadt seinen Charme zurückzugeben. Bürgermeister Jürgen Guse erinnert sich: „Als ich im Januar 1986 als Bürgermeister in Bräunlingen begann, war die Stadt schon in das Landessanierungsprogramm aufgenommen. Damit lag eine wichtige Voraussetzung zu einer Stadtsanierung vor. Meine erste Aufgabe war es nun, einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für den ersten Sanierungsabschnitt ‚Sommer- gasse/Zwingelgasse‘ durchzuführen.“ Zusam- men mit dem neuen Bürgermeister beginnt der Gemeinderat das Mammutprojekt: Die Stadt geht mit einer 1,3 Millionen Mark teuren Sanie- rung der Straßen und Plätze voran, ordnet die zum Teil verqueren Grundstücksverhältnisse neu und bringt den Landwirt im Sanierungsge- biet mittels finanzieller Förderung dazu, seinen Innenstadt-Hof auszusiedeln. Die Stadt initiiert ein Pilotprojekt mit der Baugesellschaft Os- trach, einen Supermarkt samt Wohnungen, und realisiert in Eigenregie zudem das Projekt „Kaisertörle“ mit elf Wohnungen und vier Ge- werbeeinheiten. Vier Häuser links vom Stadttor wurden mustergültig saniert. Hier fand auch die Stadtbücherei ihre Heimat. Die privaten Hausbesitzer spüren schon bald, dass es der Verwaltung ernst ist – und ziehen langsam aber sicher mit. Bei Privatsa- nierungen zahlt die Stadt den Eigentümern rund 40 Prozent Zuschuss, insgesamt fließen fünf Millionen DM an Fördergeldern, die rund 30 Millionen Mark an privaten Investitionen auslösen. 52 zusätzliche Wohnungen werden im Herzen der Stadt geschaffen, viele neue Stellplätze entstehen, die Zahl der Gewerbe- 40 betriebe steigt von zwölf auf 24. Zudem schafft die Stadt zwei neue öffentliche Einrichtungen: das Kelnhof-Museum und die bereits erwähnte Stadt bücherei Kaisertörle. Es wird eine gründ- liche, aber auch langwierige Erneuerung: Die öffentlichen und die privaten Sanierungsmaß- nahmen sind 2001 abgeschlossen. Das Gebiet umfasste 3,7 Hektar mit 66 Grundstücken und 72 Gebäuden. „Keine weitere Stadtsanierung ohne Umgehungsstraße“ Schon Anfang der 1990er-Jahre macht sich in Bräunlingen Zufriedenheit über die gelungene Sanierung von Sommer- und Zwingelgasse breit. Bürgern und Verwaltung ist aber auch klar, dass sie nur ein erster Schritt sein kann. Die Blicke der Bräunlinger richten sich vor allem auf die zentrale Straße der Stadt, die Zähringerstraße. Bürgermeister Jürgen Guse: „Jetzt konnte die Stadtsanierung im Herzen der Stadt begonnen werden, das war meine Vision, mein großes Ziel von Anfang an.“ Bevor im Stadtkern die Sanierung starten kann, müs sen die LKW-Karawanen, die durch ihr gewaltiges Gewicht täglich das Kaffee- geschirr in den anliegenden Häusern zum Klirren bringen, aus der Stadt verschwinden. „Keine weitere Stadtsanierung ohne Umge- hungsstraße“, heißt das Credo des Bräunlinger Bürgermeisters. Nach langen Diskussionen im Ge meinderat, Kontra-Bürgerinitiativen und Ver- sammlungen in der Stadthalle kommt die Umge- hungstraße schließlich im Jahr 2000. Nun muss sich Bräunlingen für die Altstadt- sanierung Teil zwei noch die finanzielle Unter- stützung aus dem Landessanierungsprogramm besorgen. Es dauert bis 2004, bis ein entspre- chender Antrag und ein Förderrahmen von 2,33 Millionen Euro bewilligt wird. 2005 startet die Stadt schließlich einen großen Architekturwett- bewerb, um Ideen für die Neugestaltung von Kelnhofplatz, Zähringerstraße, Kirchplatz und Kirchstraße zu sammeln. Die neue Bräunlinger Mitte. Platz mit Lichtstelen gegenüber der Kirche mit Blick zum Mühlentor.
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Der Kelnhofplatz vor und nach seiner Sanierung. Er gilt als Keimzelle der Stadt, denn hier stand früher die Burg. Abends setzen die Lichtstelen besondere Akzente. Bild Mitte: Links im Vordergrund das Kelnhof-Museum. Rechte Seite: Der Kelnhofplatz ist nach seiner Sanierung ein beliebter Treffpunkt, zumal an Sommertagen. Architektur von Tilman Schalk überzeugt die Bräunlinger von Anfang an Überzeugen kann dabei ein junger Architekt aus Stuttgart: Tilman Schalk. Mit seinen fein- sinnigen Ideen, die auf moderne Weise die Stärken des Bräunlinger Stadtkerns hervorhe- ben, aber auch viele funktionale Vorteile wie zusätzliche Flächen, praktische Parkplätze und wohldosierte Begrünung aufweisen, überzeugt Schalk die Bräunlinger. Der Architekt weiß in seinem Entwurf die ungewöhnlich weiten Stra- ßenräume und Freiflächen zu nutzen und ver- steht es zudem, historisch relevante Orte des Städtchens – Kelnhofplatz, Zähringerplatz und Kirchplatz – mittels Lichtstelen und einheit- lichem Granit- und Natursteinpflaster dezent hervorzuheben. Ein weiterer Pluspunkt: Tilman Schalk teilt die Bräunlinger Altstadt klug in Abschnitte auf, sodass die Stadt den Kraftakt Stadtsanierung schrittweise angehen kann. Den ersten, rund 2.400 Quadratmeter gro- ßen Abschnitt dieses Projekts lässt die Stadt ab April 2008 realisieren. Die Sanierung beginnt an der Keimzelle der Stadt; dem Kelnhofplatz, wo im frühen Mittelalter die Ortsburg stand. Am denkmalgeschützten Gebäude des Kelnhofmu- seums wird der ehemalige Burgzugang durch die Ergänzung zusätzlicher Stufen und Sitz- blöcke zum Herz des Kelnhofplatzes erhoben. Auf den Ort, an dem an der Fastnacht stets das Hexenfeuer lodert, weist nun ein Kreis aus al- tem Wackenpflaster hin. Mit drei Lichtstelen wird der Zugang zur Altstadt markiert und zu- gleich an das ehemalige Waldtor erinnert, das an dieser Stelle einst existierte. So wie bei allen folgenden Sanierungsab- schnitten nutzt die Stadt die offengelegten 42
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Der Zähringerplatz bietet als Hauptblickfang eine kreuzförmige Lichtinstallation (unten links) und Infotafeln zur Geschichte der Zähringer. Oben der Platz vor seiner Sanierung. Straßen auch, um im Zuge der Bauarbeiten marode Kanäle und Wasserleitungen auszu- bessern und auszutauschen – auch wenn somit insgesamt gut 600.000 Euro auf die Baukosten der Stadtsanierung draufgeschlagen werden müssen. Im Juli 2008 ist der erste Abschnitt des zweiten Teils der Stadtsanierung geschafft. Zweiter Bauabschnitt im Jahr 2009 Kein Jahr später rollen die Bagger erneut an: Im Mai 2009 beginnt die Stadt mit Abschnitt zwei, der 2.800 Quadratmetern Fläche rund um Zähringerplatz und Bruggener Straße ein neues Gesicht gibt. Zum Kernstück dieses Sanierungs- areals wird der neue Zähringerplatz, der an das mittelalterliche Geschlecht der Zähringer erin- nert. Bräunlingen stand im frühen Mittelalter unter dem Einfluss der Herzöge von Zähringen und pflegt noch heute eine Verbindung zu an- deren Zähringerstädten in Süddeutschland und der Schweiz. Eine Lichtinstallation in Form eines Kreuzes, die sich über in den Boden ein- gelassene Leuchtstreifen fortsetzt, ist das Sym- bol dieses Platzes. Es stehe für „die Thematiken Schwarzwald, Silberbergbau, das sogenannte Zähringerkreuz sowie die Stadtgründung im All- gemeinen“, formuliert Architekt Tilman Schalk seine Grundidee. Infotafeln und runde Sitzele- mente komplettieren den Platz. Ein gutes halbes Jahr später geht es nahtlos weiter – auch auf Drängen der anliegenden Ge- werbe und Geschäftsbetreiber, welche die Bau- stellen möglichst bald aus der Hauptverkehrs- straße raus haben wollen. So dringt die Sanie- rung im April 2010 zum Herzen der Stadt vor: dem Kirchplatz vor der altehrwürdigen Stadt- Das Mühlentor, das wohl markanteste Symbol der Stadt, ist mit Lichtakzenten nun auch nachts außergewöhnlich in Szene gesetzt. 44 44
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Architektur und Denkmalpflege Blick zum Narrenbrunnen und Kelnhofplatz – das nächtliche Bräunlingen hat faszinierende Impres sionen zu bieten. kirche „Unsere Liebe Frau vom Berge Carmel“, erbaut 1881 bis 1889, sowie dem östlichen Teil der Zähringerstraße bis hin zum wohl markan- testen Symbol Bräunlingens, dem Mühlentor. Während das Tor durch eine neue Beleuch- tung besser in Szene gesetzt wird, bekommt der Platz vor der Kirche ein ganz neues, eigenes Ambiente. Architekt Schalk beschreibt seine Idee so: „Das mächtige Erscheinungsbild der Kirche wird durch die neue Treppenanlage des Kirchplatzes aufgefangen und in das Umfeld eingebunden. Ein erhöhter Platzbereich direkt vor der Kirche unterstreicht die Prominenz des Ortes und wirkt wie eine Tribüne im städtischen Leben.“ Gegenüber der Kirche wird hinter einer Reihe von fünf Lichtstelen eine Wasserrinne installiert – auch diese mit historischem Hin- tergrund: Sie erinnert an einen prähistorischen Bachlauf, der einst diesen Bereich querte (sie- he Foto auf Seite 41). Granitsteine bereiten Sorgen Insgesamt werden bis Ende 2010 rund 2,05 Millionen Euro (ohne die rund 600.000 Euro für Kanalarbeiten) in den zweiten Teil der Stadtsa- nierung gesteckt, das Land beteiligt sich mit Zuschüssen von insgesamt rund 754.000 Eu- ro. Die Bauarbeiten im dritten Abschnitt enden im Oktober 2010. Eigentlich war einmal der August 2010 als Abschlussdatum des dritten Abschnitts der Stadtsanierung anvisiert gewe- sen, um bis zum Straßenmusiksonntag, einem der größten Events in Bräunlingen, eine frisch sanierte Stadt vorzeigen zu können. Aus diesem Wunsch wird allerdings nichts: Denn wie so oft bei großen Sanierungsprojek- ten geht auch die Bräunlinger Stadtsanierung nicht ohne unangenehme Überraschungen über die Bühne. In der Zähringerstadt sind es die flächendeckend verlegten, portugiesischen Granitsteine, die den Verantwortlichen Sorgen be- reiten. Bereits im ersten Abschnitt weisen einige 46 von ihnen nach wenigen Monaten Schäden auf: An manchen brechen Ecken ab, andere sacken regelrecht ab. Als die Qualität einiger dieser Steine auch im dritten Abschnitt zu wün schen üb- rig lässt, zieht Stadtbaumeister Rüdiger Mün- zer die Reißleine: Die gelieferten Steine, die bei einer Prüfung in Sachen Rohdichte, Druck- festigkeit und Wasseraufnahme glatt durch- fallen, werden zurückgewiesen, eine weitere Lieferung wegen schlechter Sicherung während des Transports gar nicht erst angenommen. Er werde nicht akzeptieren, „dass wir irgendeinen Murks einbauen“, sagt Münzer im Juli 2010 im Bräunlinger Gemeinderat. Die Folge ist ein Baustopp, der das Ende der Arbeiten spürbar nach hinten verlagert. Am
Aus dem Wirtschaftsleben Ende soll sich die harte Haltung der Stadt aber auszahlen. Für die vermurksten Pflastersteine ringt die Verwaltung der betreffenden Firma Schadenersatz und eine zusätzliche Material- lieferung ab. Die Gewährleistung für die Steine wird von zwei auf zehn Jahre verlängert. Stadtsanierung bleibt ein Großprojekt Mit der Hauptachse der Stadt zwischen Keln- hofplatz und Mühlentor erstrahlt nun das Herz der Bräunlinger Altstadt in neuem Gewand. Doch abgeschlossen ist die Stadtsanierung da- mit noch nicht. Für weitere Straßen und Plätze in der Innenstadt, darunter der Rathausplatz, die Kirchstraße Süd, der Stadthallenvorplatz und die Zwingelgasse sind Sanierungspläne vorhanden und über einen Aufstockungsantrag werden weitere Landesmittel erhofft. Auch die 2.300 Quadratmeter große Stadthalle, erbaut 1952, ist Teil der Stadtsanierungspläne und steht als nächstes auf dem Programm: Im Juni 2011 werden als erster Schritt die WC-Anlagen saniert, richtig losgehen mit den Umbau- und Sanierungsarbeiten soll es dann 2013. Die komplexe Stadtkernsanierung und da- mit eine der großen Zukunftsaufgaben der Stadt Bräunlingen sei noch lange nicht abgeschlos- sen, schätzt Bürgermeister Jürgen Guse. Es ist eben ein langer Weg zu einer Märchenstadt. Michael Klitzsch 47
Aus dem Wirtschaftsleben Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen ist fertiggestellt » Fünf Jahre nach Beginn der Bauarbeiten ist das Hochwasserrückhaltebecken bei Wolter- dingen so gut wie fertiggestellt und so dürfen von sofort an Zehntausende von Donau- Anrainern auf mehr Schutz vor Überschwem- mungen hoffen. Für rund 22 Millionen Euro ist ein mächtiger Staudamm entstanden, der im Juni 2012 beim „Internationalen Donautag“ feierlich in Betrieb genommen wird. Jetzt steht allerdings noch eine Bewährungsprobe aus: Planer und Fachleute der Wasserwirtschaft wollen möglichst schon im Frühjahr 2012 ei- nen Probestau vornehmen, um die Funktiona- lität der Anlage sicherzustellen. Fotos: Das Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen und Stufen seiner Entstehung. 48 48
Aus dem Wirtschaftsleben 49
Architektur und Denkmalpflege Sobald mit der Schneeschmelze im Schwarz- wald genügend Wasser von den Bergen kommt und die Abflussmenge damit groß genug ist für ein kleines oder mittleres Hochwasser, sollen die Technik der Anlage und der Damm einem Belastungstest unterzogen werden – der Einstau ist vorgesehen. Dann wird auch die Zusammen arbeit der Behörden geübt, die ja Straßensperrungen und Umleitungen orga- nisieren und die Einsatzkräfte entsprechend mobilisieren müssen. Die Fachleute werden so konkret erfahren, ob der Querriegel mit einer Kronenlänge von 460 Metern und einer 18 Me- ter hohen Spitze sowie einem 110 Meter breiten Fuß wirklich hält, was er verspricht. Der Staudamm jedenfalls versperrt inzwi- schen, da die gesamte Dammhöhe erreicht ist, den Wolterdingern die Sicht ins Bregtal. Der Klosterwald auf der Nordseite des Tales mit seinem Fichtenbestand wurde teilweise gefällt. Tennisplätze und Fußballplatz des FC Wolter- dingen mussten weichen und wurden nach Os- ten verlegt, etwas näher an das Dorf heran. Diskussion über die beste Lösung In der Anfangsphase des Projekts, Mitte der 1990-er-Jahre, gab es nicht nur Befürworter, sondern auch kritische Stimmen zu dem Stau- damm. Die Schutzmaßnahme als solche war un- bestritten, zu gravierend waren 1990 die Hoch- wasserschäden (siehe Kasten am Fuß der Seite). Doch was ist die richtige Lösung? Darüber wurde viel diskutiert. Es wurden Al ternativ-Lösungen entwickelt: Anstelle eines großen Staudamms in Wolterdin- gen wurden mehrere dezentrale kleinere Bau- maßnahmen im Oberen Bregtal vorgeschlagen, die zwischen Vöhrenbach und Furtwangen einen nach Ansicht der Befürworter ökologisch verträg- licheren Hochwasserschutz ermöglicht hätten. So jagten sich zum Beispiel im Donau- eschinger Gemeinderat vor mehr als einem Jahrzehnt mehr oder weniger praktikable Ideen. Ein „Tüftler“ unter den Stadträten liebäugelte unter anderem mit versenkbaren Damm-Bau- werken aus Kunststoff. Ein Donaueschinger Wasserbau-Ingenieur entwickelte, unterstützt von Umweltschützern und Mandatsträgern von „Bündnis 90/Die Grünen“, Pläne für dezentrale Lösungen im gesamten Einzugsgebiet der Breg. Dazu gehörten zehn kleinere Bauwerke, unter anderem der Kirnbergsee, die Linachtalsperre, das Obertal bei Urach, Projekte in Schollach und Vöhrenbach, Furtwangen und Rohrbach. Oberhalb von Wolterdingen sollte ein Becken mit nur 600.000 Kubikmetern entstehen und ein relativ kleiner Damm etwas weiter talauf- wärts. Das Hochwasser von 1990 Das Hochwasser vom 15. Februar 1990 be- scherte der Baar im Einzugsgebiet von Bri- g ach, Breg und Donau eine Katastrophe von bislang ungekannten Ausmaßen. Sechs Menschen verloren ihr Leben, die Schäden bezifferten sich auf Millionen. So kam es zum Bau des Hochwasserrückhaltebeckens. Überall im Schwarzwald-Baar-Kreis, vor allem aber in Hüfingen, Bräunlingen und Wolterdingen, aber auch in Donaueschingen und Pfohren standen unzählige Häuser unter Wasser. Autos auf Parkplätzen, Geschäfte und Gebäude wurde vom Hochwasser über- flutet. Und weil auch das Donau eschinger Wasserwerk überflutet war, mussten sich die Menschen aus Tankwagen mit Trinkwas- ser versorgen. Schlamm hatte Straßen und Vorgärten in eine Wüste verwandelt, umgekippte Öltanks sorgten für Umweltschäden, Hausrat, Kühl- truhen oder Möbel waren reif für den Sperr- müll. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Und während die betroffenen und schockier- ten Einwohner in den Ortschaften tagelang mit dem Reinigen ihrer Häuser und dem Wegschaffen von Dreck, Schlamm und Haus- rat zu tun hatten, setzte ein regelrechter Ka- tastrophen-Tourismus ein, der Tausende von Schaulustigen auf die Baar lockte. 50
Aus dem Wirtschaftsleben Das Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen im Luftbild, die Aufnahmen entstanden im August 2010. Das gesamte Erdmaterial wurde einem Steinbruch in der Nähe des Staudammes entnommen (unten). 51
Architektur und Denkmalpflege Wirksamer Schutz durch den Damm Zur Baugeschichte, über die erstmals im Alma- nach 2010 berichtet wurde: Das 18 Meter hohe Auslassbauwerk in der Mitte des Dammes ist seit Sommer 2008 in Betrieb: Die Breg fließt hier durch die drei Stollen eines gigantischen Betontors, das im Falle eines Hochwassers mit Stahlschützen geschlossen wird. Erst bei einem fünfjährlichen Hochwasser reagiert das Be- cken. Seine volle Wirkung entfaltet der Damm im Falle eines 100-jährigen Hochwassers. Dann kommen in jeder Sekunde rund 176 Kubikmeter Wasser aus dem Bregtal heran und es wird sich ein großer See aufstauen. Der Damm soll diese Hochwassermenge im Ernstfall auf 75 Kubik- meter je Sekunde herunterregeln, also immer noch 15mal mehr als die mittlere normale Ab- flussmenge von fünf Kubikmetern je Sekunde. Im Falle eines Falles wird der Stausee eine Fläche von bis zu 70 Hektar überdecken, das Becken kann bis zu 4,7 Millionen Kubikmeter fassen. Das Wasser wird dosiert in den Kolk see vor dem Damm abgegeben. Dessen Aufgabe ist es, die Strömungsenergie der heranströ- menden Wassermassen zu brechen, damit sie ihren Schrecken verlieren. 23 Gemeinden flussabwärts profitieren von dem Bauwerk, erläutert Oliver Stenzel, stellver- tretender Projektleiter. Der Wasserbauexperte des Regierungspräsidiums Freiburg mit Dienst- sitz in der Außenstelle Donaueschingen ist zu- ständig für Planung und Bau von Gewässern erster Ordnung und damit auch für den Hoch- wasserschutz an Donau, Neckar und Bodensee. In Wolterdingen, Bräunlingen, Hüfingen und Donaueschingen, in Tuttlingen, Sigmaringen, Binzwangen, Riedlingen oder Munderkingen summierten sich die Schäden beim großen Hochwasser von 1990 auf viele Millionen Mark. Zuviel, als dass sich die Baukosten für das Wolterdinger Becken von insgesamt gut 22 Millionen Euro nicht lohnen würde! Das Becken wird, so Oliver Stenzel, den Hochwasserspie- gel in Wolterdingen um 40 bis 90 Zentimeter reduzieren, in Sigmaringen um bis zu 35 und in Hundersingen bei Riedlingen noch um fünf bis 30 Zentimeter. Deswegen müssen die 23 Kommunen, die in den „Genuss“ des Hochwas- 52 serschutzes kommen, 30 Prozent der Gesamt- kosten oder sieben Millionen Euro aus eigenen Mitteln aufbringen. Und sie mussten zusätzlich vor ihrer Haustür kleinere Schutzmaßnahmen umsetzen, um einen lokalen Schutz sicherzu- stellen. Ausgleichsmaßnahmen für die Ökologie Der Damm verändert das Bregtal. 700 Meter entfernt vom Damm wird seit 2008 ein gan- zer Berg weggebaggert, 370.000 Kubikmeter Schürf- und Schüttmaterial türmen sich seither zu dem mächtigen Bauwerk auf. Erkenntnisse, ob der Querriegel das Kleinklima im Bregtal verändern wird, dürfte erst die Zukunft brin- gen. Aber für den ökologischen Ausgleich wird einiges getan. Allein 20 größere und kleinere Maßnahmen sind vom planenden Regierungs- präsidium vorgesehen. Manches geht zu Lasten der Landwirtschaft, die Flächen abgeben muss für den Naturschutz. So entstehen auf sechs Hektar Fläche die zwei Wildflusszonen „In der Enge“ und „Breg- feld“, die auf den „Bloderwiesen“ zwischen Wolterdingen und Bruggen die Breg in ein ver- zweigtes Fluss-System verändern. Ziel dabei ist, einen Bogen der Breg aufzubaggern, so- dass auf natürliche Weise Feuchtgebiete und eine Art Inselstruktur entstehen können. Auch im Bereich „Vorderzindelstein“ sollen Buhnen dem Fluss ermöglichen, dass er wieder „mäandern“ und sich sein eigenes altes Bett suchen kann. Dabei entstehen noch einmal 16.000 Kubikmeter Erdaushub. Ein Teil davon wird für die Neugestaltung und Auffüllung der Aushubstelle verwendet. Der Staudamm wird mit standorttypischem Saatgut begrünt, in Wie- sen verwandelt oder mit Büschen bepflanzt, am Dammfuss auch mit Bäumen. Donau-Programm und Zeitplan Ziel des 1992 vom Land Baden-Württemberg beschlossenen Integrierten Donau-Programms (IDP) ist die Verknüpfung von Hochwasser- schutz und Ökologie. Überschwemmungsge-
biete für die Rückhaltung von Hochwasser sol- len gesichert und möglichst erweitert werden. 227 Einzelmaßnahmen wurden für die 285 Kilometer lange Strecke von Donau und deren Quellflüssen im Bereich des Landes Baden- Württemberg vorgestellt. Dazu gehören 69 Hochwasserschutzmaßnahmen, 68 Einzelmaß- nahmen zur naturnahen Gewässergestaltung, 55 Maßnahmen für die ökologische Durchgän- gigkeit der Donau oder 31 Naturschutzgebiete. Rund um den Wolterdinger Staudamm war reichlich Arbeit zu erledigen, unter anderem die Sicherung der Stromversorgung durch einen „Ringschluss“ der Stichleitung von Wolterdin- gen zum „Zindelstein“ und von Hammereisen- bach zum „Fischerhof“. Allein 80 Maßnahmen umfasst der landschaftspflegerische Begleit- plan: Er reicht von naturnaher Umgestaltung von Uferstrecken an Breg und Weiherbach über die Rodung und den Umbau von Waldbestän- den, der Anlage einer Flusserlebniszone und einer Flutmulde in der Bregaue, Extensivierung von Ackerland bis hin zum Bau eines neuen Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen „Schlauchwehrs“ am Bregwerk, mit dem der Hochwasserschutz für Wolterdingen ergänzt wird. „Meilensteine“ für die Umsetzung des Hochwasser-Rückhaltebeckens waren der Raum ordnungsbeschluss im November 1999. Im November 2003 wurde der Planfeststellungs- beschluss gefasst. 2004 wurden die Wolterdin- ger Sportanlagen von Fußball- und Tennisclub verlagert. 2005 wurde die Finanzierung durch das Land Baden-Württemberg sichergestellt. Baubeginn war am 13. Juli 2006 mit dem Spa- tenstich. 2008 waren Betonbauwerk und Aus- lassbauwerk abgeschlossen. Danach folgte der Erdbau. Im Sommer und Herbst 2011 wurde das Betriebsgebäude erstellt. Die Einweihung er- folgt im Sommer 2012. Manfred Beathalter Durch die drei Stollen werden im Ernstfall die Hoch- wassermengen hinter dem Erddamm kontrolliert abgelassen, das Wasser fließt dosiert in den im Vor- dergrund zu sehenden Kolksee.
4. Kapitel Persönlichkeiten Lichtgestalt mit Bodenhaftung Jürgen Georges Hess mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet Er ist es zwar nicht mehr offiziell per Mitgliedschaft, aber in seinem Herzen ist Jürgen Georges Hess ein Pfadfinder geblieben: Auf der Suche nach dem, was heute richtig ist und morgen neue Perspek- tiven eröffnet. Und gerne auch zu einer guten Tat bereit. Aus der Pfadfinderzeit ist ihm der Name Georges geblieben. Als jüngster Stammesführer Südba- dens pflegte er intensive Kontakte zu franzö- sischen Jugendgruppen. Die Franzosen konn- ten das „Ü“ im Jürgen so schlecht aussprechen, erklärt er, wie es zu seinem zweiten Vornamen kam. Den kann man auch mal für den offiziellen halten und vergebens in einem Namensregister nach dem „Schorsch“ suchen, schmunzelt Hess über eine Begebenheit aus jüngster Zeit. Doch am Ende landet man bei dem heute 66-jährigen Unternehmer. Dafür ist der „Lam- pen-Hess“, ein gebürtiger Villinger, in der Re- gion zu stark präsent. Das gilt, obwohl er einige Monate im Jahr in den USA lebt und dort als Ge- schäftsführer von Hess America, einer Tochter- firma in South Carolina, tätig ist. Internationaler Vorzeigebetrieb Jürgen Georges Hess wurde im April 2011 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundes- republik Deutschland verliehen. Für die Eh- rung hatten ihn die Stadtverwaltung Villingen- Schwenningen und der Landkreis Löbau- Zittau (heute Landkreis Görlitz) in Sachsen vorgeschla gen. In der Heimatstadt des Unter- nehmers im Schwarzwald und in der Oberlau- sitz in Löbau haben Werke des seit 2007 als Familien-AG geführten Betriebs ihren Standort. 54 54 Jürgen Georges Hess Als erster Eindruck drängt sich damit auf: Hier wird ein Arbeitgeber dafür gewürdigt, dass er einen gut funktionierenden, international agierenden Vorzeigebetrieb aufgebaut hat, der heute 400 Mitarbeitern eine gesicherte Existenzgrundlage bietet. Doch die gewaltige unternehmerische Leistung war es nicht allein. Hess ist darüber hinaus leuchtendes Beispiel als Kunst- und Kulturfreund, als Mensch mit ausgeprägter sozialer Einstellung und als ver- antwortungsbewusster Bürger. Ein Scheinwerfer richtet sich zunächst auf die heutige Rolle des Ordensträgers. Jürgen Georges Hess hat sich als Aufsichtsratsvorsit- zender aus dem operativen Geschäft zurückge- zogen. Er leitet die amerikanische Tochterge-
Jürgen Georges Hess – Lichtgestalt mit Bodenhaftung Nirgendwo sonst kann das Unternehmen anschaulicher zeigen, was Hess Form + Licht so besonders macht, als auf dem Schauplatz am Stammsitz in VS-Villingen. Auf 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden alle Leuchten unter Realbedingungen präsentiert. sellschaft, hat die Hess Consulting gegründet und ist als Berater der Hess AG in „verschie- dene Projekte“ eingebunden, wie er sagt, um den Eindruck zu entkräften, er sei der heimliche Herr im Haus. „Wir telefonieren täglich mehr- mals“, beschreibt er den intensiven Kontakt zum Vorstandsvorsitzenden der Hess-Gruppe. Die Leitung des Unternehmens hat er 2007 an Sohn Christoph, 40, übergeben. „Glücksfall für das ganze Land“ Die Verdienste um solide Zukunftsperspektiven für die Mitarbeiter sind es jedoch nicht allein, die Jürgen Georges Hess zu einem „Glücksfall für das ganze Land“ machen, wie es Wirt- schaftsminister Ernst Pfister in einer seiner letz- ten Amtshandlungen sagte. „Es trifft den Richtigen“, formuliert es ein Wegbegleiter, der Hess aus der politischen Ar- beit im Kreistag kennt. In diesem Gremium hat Hess den Beinamen „soziales Gewissen der CDU“. Er wisse nicht, ob er den verdient habe, wehrt er ab. Er stellt aber im Gespräch ein- drucksvoll unter Beweis, dass er nicht aus Ver- sehen die Schulspeisung unterstützt, im Vor- stand des Vereins Jugend- und Berufshilfe tätig ist, wie auch im Beirat der Stiftung Lernen-För- dern-Arbeiten. Er verteidigt den Kreiszuschuss für den Hilfsverein Refugio gegen beabsichtigte Kürzungen. Die Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen müsste eigentlich der Staat drin- gend übernehmen, ist er überzeugt. Deutsch- land profitiere davon, dass man weltweit tätig ist, deshalb „müssen wir auch etwas weltweit tun“, betont Hess die Verantwortung, die man auch für Wirtschaftsflüchtlinge habe. Die Inte- gration von Ausländern erfolge deshalb nicht ausreichend, weil sich keiner richtig dem The- ma annehme. Hess vergleicht hiesige oft schei- ternde Bemühungen mit jenem Erfolgsmodell, das er vor zehn, zwölf Jahren für osteuropä- ische Juden in Israel beobachtet hat. Das hieß: Sprache lernen und zwar morgens, mittags, abends und wenn es sein muss, auch nachts. 55 55
Persönlichkeiten Beispielhafte Hess-Projekte in der Region: Mit den neuen LED-Geländerleuchten an der Bickenstegbrücke in VS-Villingen werden zwei Drittel der Energie eingespart. Prächtig illuminiert hat Hess die Linachtalsperre. Hess gilt als „Grenzgänger“, weil er unver- krampft mit Vertretern anderer Parteien um- geht. Er weiß, „das Leben erfordert immer auch die Suche nach einem Kompromiss“. Nur seine heutige berufliche Rolle erlaubt ihm, auch ein- mal kompromisslos seinen Standpunkt zu ver- treten. Klare Linie ist sein Ding. Er braucht nicht viele Worte, damit die andere Seite versteht. Was bringt ihn zur Weißglut? Unfähigkeit, Irrtümer, die sich wiederholen und damit zum System werden. Die Aufzählung ist länger. Sie zeigt die Facette des „knallharten Geschäfts- mannes“ – eine Rolle, die ihm ebenfalls zuge- schrieben wird. Wie könnte es auch anders sein? Chancen gesucht und ergriffen Wir blenden zurück: Als 23-Jähriger muss Hess, weil sein Vater schwer krank war, den damals kleinen Betrieb übernehmen und steht mit dem Rücken zur Wand. Er habe sich und seine Fami- lie nicht von Sozialfürsorge abhängig machen wollen. So sei nur ein Ausweg geblieben: Den Betrieb zum Erfolg führen. Er habe Chancen ge- sucht und ergriffen, neue Produkte zu finden und zu erfinden, die man in einer Gießerei her- stellen konnte. Auf Wappenteller und magne- tische Schlüsselbretter folgt die erste gegos- sene Altstadtleuchte, basierend auf seinem Entwurf, 1978 aufgestellt in Villingen. Der Schritt zum Entwerfen von modernen Leuchten sei damit vorgezeichnet gewesen, blickt Hess zurück. Es habe gute 10 Jahre ge- dauert, bis er aus einem maroden Geschäft ei- nen ordentlichen Kleinbetrieb mit 30 Mitarbei- tern gemacht habe. Erst danach begann eine dynamische Entwicklung zur heutigen Familien- Aktiengesellschaft Hess. Senior Hess freute sich anlässlich der Ordensverleihung vor rund 140 geladenen Gästen: „Inzwischen haben wir einen idealen Weg gefunden, über meine Betei- ligung im Aufsichtsrat und die Übergabe der Geschäftsführung an meinen Sohn Christoph vor über vier Jahren, die Firma in der Familie weiter zu führen“. Apropos Familie: Jürgen Georges Hess ist seit 2004 in zweiter Ehe verheiratet mit Monika, einer geborenen Flaig. Mit Stolz erwähnt er die 600 Jahre zurückverfolgbaren Wurzeln dieser Familie in Villingen. Die 17 und 21 Jahre alten Kinder seiner Frau gehören zur Patchwork-Fami- lie. Jüngstes Mitglied im Hess-Clan ist seit Janu- ar 2011 Enkel Florian Georges, zweites Kind von Sohn Christoph Hess und dessen Frau Astrid Sterzel. Christin, 35, die Tochter aus erster Ehe, lebt am Bodensee. 56
Jürgen Georges Hess – Lichtgestalt mit Bodenhaftung Hess Niederlassung in Cape Corel, einer Stadt im Südwesten von Florida. Jürgen Hess beabsichtigt, bis zu seinem 70. Geburtstag als Präsident von Hess America zu wirken. Was wäre, wenn Jürgen Georges Hess nicht die Firma übernommen hätte? Sein Traum sei es gewesen, Historiker zu werden. Germanist, vielleicht Lehrer, sinniert er über einen denk- baren anderen Lebensentwurf. Doch Jürgen Georges Hess schätzt die Vor- teile der Unternehmertätigkeit. Die biete ein großes Feld der Freiheit, Selbstverwirk lichung, und – „wenn man es richtig macht“ – einen fi- nanziellen Erfolg. Er betont im nächsten Atem- zug, dass jeder ein Teil des Firmenpuzzles sei. „Da gehört auch der ausländische Arbeiter an einem Schleifbock dazu, der eine eintönige Ar- beit macht, aber gebraucht wird, weil er ein be- sonderes Geschick dafür hat.“ Auf sein Gespür für Menschen vertraut Hess. Er habe zur rech- ten Zeit gute Leute um sich gescharrt. Die seien auch geblieben, verweist er auf eine sehr ge- ringe Fluktuation. Präsident von Hess America – für Wochen und Monate weit weg vom Stammsitz Villingen Durch seine Tätigkeit als Präsident von Hess America ist er für Wochen und Monate weit weg vom Stammsitz in Villingen. Er beabsichtigt, wie es in USA durchaus üblich ist, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten. Auch danach werde er zeitweise in Cape Corel, einer Stadt im Südwes- ten Floridas, wohnen. Doch er wolle jederzeit die Möglichkeit haben, seinen Lebensfeier- abend in Deutschland zuzubringen, „weil ich mich als Deutscher fühle“. Der „American Way of Life“ habe ihm gefallen, räumt er ein. Die Kehr- seite sei jedoch die Zwei-Klassen-Gesellschaft. Man könne es sich fast nicht leisten, krank zu werden. Das sei unbezahlbar. Stichwort Gesundheit. Das ist ein Bereich, in dem Jürgen Georges Hess mit sich selbst in- zwischen konsequent ist. Durch Sport auf dem Laufband, dem Ergometer oder an Geräten bringt er heute deutlich weniger Kilos auf die Waage. Das Rauchen hat er sich vor acht Jahren von einem Tag auf den anderen abgewöhnt, dank drastischer Warnung von wohlmeinender Seite. Dabei gehörten die Glimmstengel seit der Jugendzeit dazu. Als Nachkriegskind wuchs er im Bewusstsein auf, dass ein Deutscher nichts hat, auf das er stolz sein könne. Durch seine persönliche Nähe zu Frankreich – die erste Fremdsprache war Französisch, er hatte Ver- wandtschaft in Frankreich und war zum Jugend- austausch dort – zelebrierte er die französische Lebensart. Die findet er bei den filterlosen Gau- loises, seinem Deux Chevaux und in den Chan- sons von Georges (!) Brassens. 57
Persönlichkeiten Als Hess in den 1990er Jahren das Exportge- schäft mit Frankreich aufbaute, hätte er Gele- genheit gehabt, eine neue Wahlheimat zu su- chen. Doch die früh übernommene Verantwor- tung hatte ihn da schon stark geprägt. Er habe erkannt, dass Unternehmer in Deutschland von der deutschen Mentalität profitieren, „von der Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber und von der Tatsache, dass Arbeitnehmer nicht Nehmen großschreiben, sondern Arbeiten“. Seit 1999 Mitglied des Kreistags So viel zu einem Teil der Vergangenheit. Dabei vermeidet es Jürgen Georges Hess zurückzubli- cken, wie er sagt. Weil ihm das Heute und die Zukunft wichtig seien. Die Auswahl seiner für die nächste Zeit bereitgelegten Lektüre ist be- achtlich und vielfältig. Hess, der sich als einer aus der Generation Gerd Schröder und Joschka Fischer bezeichnet, schlägt das Buch der Auto- ren Axel Hacke und Giovanni di Lorenzo „ Wofür stehst Du?“ auf. Er ist aber alles andere als fest- gelegt. Ein Krimi, ein Schinken, ein Sachbuch, die Geschichte der Moltkes. Man nimmt es ihm gerne ab, dass er einen dreiwöchigen Urlaub erst einmal mit einer Woche Entspannen und Bücherlesen beginnt. Dabei ist Jürgen Georges Hess alles andere als einer, der nur seine Nase zwischen zwei Buchdeckel steckt und sich ansonsten für nichts interessiert. Im Gegenteil. Er gilt als bril- lanter Gesellschafter, aufmerksamer Gastge- ber, guter Kumpel, feiner Kerl. Ein Mensch, der zwangsläufig im Mittelpunkt steht, ohne sich aufzudrängen, weil es kurzweilig mit ihm ist. Man sagt über ihn, er sei „ein guter Netzwer- ker“. Er ist seit 1999 Mitglied des Kreistags, kan- didierte zunächst als Unabhängiger auf der CDU- Liste, gehört inzwischen der Partei an und wurde 2009 mit zweitbester Stimmenzahl gewählt. Bil- dung und Soziales, Umwelt, Technik und Ge- sundheit, Jugendhilfe sind seine Themen. In der Öffentlichkeit besonders wahrgenom- men wird sein Engagement als Vorsitzender des Freundeskreises der Schwarzwald-Baar-Klini- kum Villingen-Schwenningen GmbH. Er habe erkannt, dass das Haus Freunde und vor allem 58 ein besseres Marketing brauche, hält er sich zugute. Als Mitglied im Aufsichtsrat der Wirt- schaftsförderung VS GmbH sowie im Aufsichts- rat des Klinikums und als Verwaltungsrat der Sparkasse Schwarzwald-Baar übt er Tätigkeiten aus, die Vertraulichkeit erfordern und bei de- nen unternehmerischer Weitblick gut einge- setzt ist. „Wenn er etwas macht, kniet er sich richtig rein“, beurteilen Politiker aus dem Kreis seinen Einsatz. Wegbegleiter loben den „wun- derbaren, allzeit hilfsbereiten und immer groß- zügigen Schorsch“. Großartiges soziales Engagement – ein Bauchgefühl für Menschen Bereits seit mehr als 50 Jahren engagiert sich Jürgen Georges Hess im Ehrenamt und für sozi- ale Zwecke. Alles begann mit dem Eintritt in den Bund Deutscher Pfadfinder im Jahr 1954. Als 15-Jähriger zeigte er als jüngster Stammesfüh- rer Südbadens Führungsqualitäten im Umgang mit 130 Pfadis. 1965 war er Gründungsmitglied und bis 2000 Präsident der ältesten deutschen Guggenmusik. Die „Alte Kanne“ veranstaltete Osiander-Stadtfeste und spendete mehr als 200.000 DM an soziale Zwecke. Als Elternbeirat Jürgen Hess bei der Arbeit in der Gießerei.
Jürgen Georges Hess – Lichtgestalt mit Bodenhaftung Jürgen Hess (rechts) mit Ministerpräsident Lothar Späth (Mitte) und OB Gebauer auf einer Südwestmesse am Ende der 1970er Jahre. Rechts: Bei Sepp Herberger zu Besuch mit der Guggenmusik „Alte Kannen e.V.“, links vorne Jürgen Hess, Gründungsmitglied und bis 2000 Präsident der ältesten deutschen Guggenmusik. des Kindergartens in Klengen initiierte er das erste Fest mit dem Ziel, Geld für die Einrichtung zu sammeln. Im Gesamtelternbeirat des Gym- nasiums am Romäusring und als Mitglied der Schulkonferenz der St. Ursula Schule in Vil- lingen engagierte er sich ebenfalls. Von 1991 bis 1997 war er Präsident des Vil- linger Sommertheaters und Initiator des Thea- ters am Turm. Kultureinrichtungen wie dem seit 50 Jahren bestehendem Jazzclub Villingen und dem Kommunalen Kino Guckloch stand Hess finanziell in schwierigen Zeiten besonders zur Seite. Hess gab den Anstoß für den Kulturpreis des Landkreises, den der Kreis, die Sparkasse und die Firma Hess gemeinsam ausloben. Seit dem Jahr 2002 zählt Jürgen Georges Hess zu den aktiven Förderern des Katzenmu- sikvereins „Miau“. Sein privates Engagement als Wirt in verschiedenen Fasnetstüble-Lokalen hat Pater Gabriel Anada eine fünfstellige Sum- me für seine Seelsorgertätigkeit in Kamerun ein- gebracht. Inzwischen sagt sich Hess, dass er genug Fasnet in seinem Leben gemacht habe und steht dazu, dass er sich in eine andere Richtung entwickelt. Die richtige Entscheidung treffen, Entwick- lungen rechtzeitig erspüren. Einer aus seinem Umfeld beschreibt ihn so: Was Karl Lagerfeld bei Coco Chanel ist, sei Jürgen Georges Hess bei der Hess AG. Er sei der kreative Kopf. Nein, wehrt Hess geschmeichelt ab. Er sei nicht der Designer, aber er könne beurteilen, was gutes Design ist. Zu wissen, was gefragt ist, sei sein Schlüssel zum Erfolg. Er vertraue auf sein Bauchgefühl für Menschen und für gutes De- sign. Er sieht sich als Mensch, der nicht von der Ratio gesteuert ist. Dem sei es auch geschul- det, dass er, von amerikanischen Freunden ge- fragt, wo er am liebsten leben möchte, zunächst Italien genannt habe. Die Vernunft sage ihm je- doch: Es war unüberlegt diese Aussage zu tref- fen, nur wegen des milden Klimas, des guten Weins, der Kunst des leichten und genüsslichen Lebens. Seine überlegte Antwort laute: „Ich bin hier zu Hause, in Deutschland, denn wir haben ein gutes Land in den letzten Jahrzehnten geschaf- fen“. Weiter meint er: „Dieses Land gewährt uns eine nachhaltige Lebensqualität, hier steht der Mensch, stehen seine demokratischen Rechte, seine Gesundheit und seine Unver- sehrtheit im Mittelpunkt“. Darauf sei er stolz, sagt Hess, die Lichtgestalt, und stellt damit ein- drücklich seine Bodenhaftung unter Beweis. Verena Wider 59
Persönlichkeiten Thomas Henkelmann, Connecticut Ein amerikanischer Gourmetkoch der Spitzenklasse mit Bräunlinger Wurzeln Geplant waren eineinhalb Jahre, mittler- weile ist er 21 Jahre dort und in Connec- ticut, USA, zu einem Gourmetkoch der Spitzenklasse aufgestiegen. Dankbar ist der ehemalige Bräunlinger Thomas Henkelmann, der nunmehr seit 21 Jahren in Amerika lebt, für seine deutsche Mentalität und für das Aufwachsen in der Zähringerstadt, dem er nach eigener Aussage seine Bodenständig- keit und seine Wertvorstellungen verdankt und ein Stück weit auch seinen Erfolg. Thomas Hen- kelmann hat sich in Amerika einen Namen ge- macht, da er eine Koryphäe der französischen Küche ist – schlichtweg ein Gourmetkoch der Spitzenklasse. Er ist in den Staaten bekannt, weil er ein eigenes Hotel, das „Homestead Inn“ und ein Restaurant namens „Thomas Henkelmann“ besitzt. Zu seinen Gästen zählen unter anderem Ikonen der Filmindustrie und Wirtschafts bosse. Im Jahre 2002 wurde er mit dem Titel „Relais Gourmonds“ und „Relais et Chateaux“ ausge- zeichnet. Sein Restaurant gehört zu den besten 40 von ganz Amerika. Connecticut steht an erster Stelle. Im Res- taurantführer „Les Grandes Tables du Mon de“, in dem Marc Haeberlin von der Auberge D’Ill Präsident ist, wird er als einer der 146 Besten von drei Kontinenten angegeben. Dabei hatte er als Jugendlicher keine Ambitionen, Koch zu wer- den, es war mehr eine Laune des Schicksals. Eigentlich wollte er Werkzeug ma cher werden, da er aber keine Lehrstelle bekam, bot ihm Helmut Zier, ein Freund der Familie an, eine Thomas Henkelmann, erfolgreicher Spitzenkoch in Amerika mit Bräunlinger Wurzeln. 60
Das Hotel „Homestead Inn“ in Greenwich ist ein im viktorianischen Baustil er richtetes Herrenhaus mit einer optimalen Lage: Von New York aus ist es in 45 Minuten mit dem Zug zu erreichen und es liegt nur 15 Minu- ten vom Strand von Long Island entfernt. Lehre im Schwarzwald-Hotel in Titisee zu besorgen. Dort lernte er die Grund- lagen der französischen Küche. Seine Wurzeln in Bräunlingen liegen im Gasthaus Zacher beim Stadttor, das von seinen Eltern betrieben wurde. Das Gasthaus Zacher unter der Regie von den Henkelmanns war beliebt und über die Stadtgrenze auch bekannt für seine gutbürgerliche Küche. Thomas Henkelmann schwärmt jetzt noch da- von, dass sein Vater die beste Brat- wurst der Welt machen konnte. Er selbst hat sich aber der französischen Küche verschrieben. Nach seiner Lehrzeit folgte ein Jahr im weltberühmten Hotel „Le Richemond“ in Genf. Dort musste er feststellen, dass man als Deutscher in der Küche nicht besonders geachtet war. Der damalige Chefkoch, ein Franzose, sagte zu ihm: „Geh zurück nach Hause! Du sprichst ja nicht einmal Französisch!“. Um der französischen Küche gerecht zu wer- den, war es wichtig, flüssig franzö- sisch sprechen zu können. Thomas Henkelmann besuchte deshalb zu- sätzlich zur Kochausbildung noch dreimal in der Woche einen Französisch-Kurs und um sein Französisch zu perfektionieren, verbrachte er eineinhalb Jahre in Paris. Die Brüder Haeberlin als Mentoren! Seine Mutter erkannte seine außergewöhnliche Begabung und auch seinen Ehrgeiz. Auf ihr Drängen hin fuhr er per Anhalter mit einem Freund der Familie nach Illhaeusern im Elsass zu der mit drei Michelinsternen ausgezeichne- Thomas Henkelmann – Gourmetkoch der Spitzenklasse ten „L‘ Auberge de L’ill“. Diese gehört den welt- berühmten Gourmetköchen der französischen Küche und seinen Mentoren, den Brüdern Hae- berlin. Damit begann die einflussreichste Bezie- hung in Thomas Henkelmanns Karriere, die auch seinen weiteren Lebenslauf zeichnete. Er bezeichnet seine Lehrzeit dort auch als emotio- nalstes kulinarisches Erlebnis: „Es war sehr be- wegend, dort zu arbeiten. Ich habe viel gelernt, nicht nur wie man den richtigen Geschmack trifft oder Saucen zubereitet, sondern auch wie man rationell arbeitet und nicht durchdreht“. 61
Persönlichkeiten Auch ein Augenschmaus: Kulinarische Impressionen aus der Küche von Thomas Henkelmann. Die Auswanderung nach Amerika Im Anschluss an seine Lehrzeit bei Haeber- lin arbeitete er als Patissier (Küchenkonditor) und Poissonier (Fischkoch) im 3-Sterne Restau- rant „Aubergine“ in München. Dort war sein Kü- chenchef der „Chefkoch des Jahrhunderts“ Eckart Witzigmann, der auch als Halbgott der Küche bezeichnet wurde. Sein Meisterabschluss zum Küchenchef folgte. Harte Arbeit und der Verzicht auf vieles prägten diese Zeit. Seine Zu- kunft und seine Perspektiven standen noch in den Sternen. Verschiedene Sachen schwebten dem damals 28-Jährigen vor. Unter anderem zog er das Anheuern auf einem Schiff im Pazifik oder Indischen Ozean in Erwägung, wobei er davon gleich abgekommen ist. 100-prozentig sicher war er sich immer über seine Leiden- schaft zur gehobenen französischen Küche. In- tensiven Kontakt hatte er nach wie vor mit sei- nen Mentoren, den Brüdern Haeberlin. Nach Amerika kam Thomas Henkelmann auf deren Wunsch. Sie hatten ihn gebeten, ein Restaurant in deren Namen zu führen. 62 Während er die französische Sprache mittler- weile gut beherrschte und auch „lebte“, hatte er keinerlei Vorkenntnisse in Englisch. Ein sechs – wöchiger Englandaufenthalt in einer Familie und ein Crashkurs sollten dem abhelfen. So brach er 1989 mit gebrochenem Englisch in die Staaten auf, wo er dann als Chefkoch im „Le Parker Meridien“ und als Küchenchef im „La Panetière“, New York arbeitete. Dort lernte er auch seine Frau Theresa kennen, die damals ein Praktikum absolvierte, um das Führen eines Ho- tels zu erlernen. Beide hatten die gemeinsame Vision, ein eigenes Hotel und Restaurant zu be- sitzen und scheuten sich auch nicht, das Risiko und die Verantwortung zu tragen. Bis Investoren gefunden werden konnten, vergingen aber noch- mals eineinhalb Jahre. Aber das Warten hatte sich gelohnt. In dieser Zeit wurde nämlich das „Homestead Inn“ in Greenwich, Connecticut zum Verkauf angeboten. Das „Homestead Inn“ ist ein im viktorianischen Baustil errichtetes Herren- haus aus dem 18. Jahrhundert mit einer optima- len Lage: Von New York aus in 45 Minuten mit dem Zug zu erreichen und nur 15 Minuten vom Strand von Long Island entfernt.
Grundstein für eine sensationelle Karriere 1997 übernahm Thomas Henkelmann dann zu- sammen mit seiner Frau Theresa das „Home- stead Inn“ sowie das Restaurant „Thomas Hen- kelmann“ – der Grundstein für seine sensatio- nelle Karriere in den Staaten war gelegt. Tho- mas Henkelmann bietet zeitgenössische fran- zösische Küche, saisonale Spezialitäten und eigene Kreationen, die seine Handschrift tragen und ihn bekannt gemacht haben. „So wie ein Maler eine Landschaft interpretiert, so koche ich meine Interpretation von französischem Essen. Es ist meine Leidenschaft und mein Leben“, äußert sich der ambitionierte Chefkoch über seine Arbeit. Er ist der „französischste“ der deutschen Küchenchefs. Er kreiert überraschende Kombinationen, indem er die Grenzen zwischen den Produkten niederreißt, wie zum Beispiel Champagner Sau- erkraut mit Meeresfrüchten oder Mousseline mit Osietra Kaviar und Wachteleiern. Für ihn ist jeder Gast etwas Besonderes. Seine Speisekar- te bietet Menüs für den „kleinen Geldbeutel“ bis zu gehobener Preisklasse. Seine Weinkarte hat über 400 verschiedene Weine, die schwer- punktmäßig aus Frankreich und Amerika kom- men. Die Preisklasse liegt zwischen 40 und 4.500 Dollar pro Flasche. Thomas Henkelmann selbst ist zertifizierter Sommelier und Weinkell- ner der American Sommelier Association. Das Restaurant bietet Platz für 140 Gäste. In Spit- zenzeiten wie Thanksgiving, Muttertag oder Os- tern werden an einem Tag bis zu 450 Gäste be- wirtet. Vierschichtbetrieb und 16 Kellner In der Küche selbst wird mit 15 Personen im Vierschichtbetrieb gearbeitet. Im Service küm- mern sich um die 16 Kellner um das Wohl der Gäste. Am Anfang bedeutete das für den lei- denschaftlichen Koch einen 16-Stunden-Tag, in einer 7-Tage-Woche für fünf Jahre ohne Unter- brechung! „Der Beruf des Kochs ist körperlich sehr anstrengend. Wenn ich nicht in der Küche bin, versuche ich deshalb in Form zu bleiben“, so Thomas Henkelmann, der den Stress durch Thomas Henkelmann – Gourmetkoch der Spitzenklasse Thomas Henkelmann und seine Frau Theresa vor ihrem beim Hotel „Homestead Inn“ liegenden, mehr- fach preisgekrönten Restaurant. Skifahren, Tennisspielen und durch den Besuch im Fitnessclub sowie bei der Fasanenjagd kom- pensiert. Für ihn ist es wichtig, in Form zu blei- ben, um das durchzustehen, da man in diesem Beruf ständig auf den Beinen ist. Das „Homestead Inn“ wiederrum ist das „Steckenpferd“ seiner Frau Theresa, die es als Innenraumdesignerin liebevoll eingerichtet hat und jetzt leitet. Es verfügt über 18 hochklassige Zimmer und Suiten und einen Konferenzraum für gehobenes Management. Es herrscht ein europäisches Flair, das von balinesischen und chinesischen Stilen beeinflusst wird. In Bräunlingen unterhält Thomas Henkel- mann noch regen Kontakt zu seinen Geschwis- tern und Freunden. Gelegentlich besuchen ihn auch Bräunlinger in Greenwich und werden dann von seinen außergewöhnlichen Kochkünsten verwöhnt. Petra Molitor Mehr Informationen finden Sie unter: www.homestead inn.com www.thomashenkelmann.com 63
Persönlichkeiten Regisseurin Sigrid Klausmann Die Furtwangerin ist mit ihren Dokumentarfilmen sehr erfolgreich „Geschichten erzählen ist meine Leiden- schaft“, sagt Sigrid Klausmann-Sittler. Es sind keine erfundenen Geschichten, sondern Begegnungen und Erlebnisse, die die Regisseurin in ihren Dokumentarfilmen ein fängt. Den ersten Film „Fliegen wirst du noch“ drehte sie 2006. Lebhaft und gesten- reich erzählt die zierliche Frau, wie sie bei einer Reise auf die Krim die Stelzenläufer kennen lernte, die Protagonisten ihres Films. Inzwischen entstanden weitere Filme. Besonders erfolgreich wurde „Lisette und ihre Kinder“, ein Film, der das letzte Jahr ei- ner Kindergärtnerin vor ihrer Pensionierung einfing. Ihr Gesamtwerk wurde auf besonde- re Weise gewürdigt: Die Stadt Ludwigsburg hat Sigrid Klausmann-Sittler für jahrelanges kulturelles Engagement mit ihrem Kultur- preis ausgezeichnet. In Furtwangen im Schwarzwald, in einem abgelegenen Haus in der Hinterbreg, wuchs Sigrid Klausmann auf. Sie ist das dritte von sieben Kindern, 1955 geboren. Ihr Vater war Schuhmachermeister, ihre Eltern bauten sich in jenen Jahren ein eigenes Geschäft auf. Die Kinder erlebten eine unbeschwerte Zeit, „das war ein ganz eigener Kosmos“ erinnert sich Sigrid Klausmann. „Wir hatten wenig Geld, aber viele Freiräume“. Nachbarskinder gesellten sich zu der Klausmannschen Kinderschar, im Haus lebten drei Generationen. Es gab viele Verwand- te, bei gegenseitigen Besuchen wurde viel gelacht und gesungen. Die Eltern waren begeisterte Sän- ger im Furtwanger Gesangsverein, und auch zu Hause spielte die Musik eine wichtige Rolle. 64 Sigrid Klausmann mit Ehemann Walter Sittler. Ebenso wichtig war der Sport. Sigrid turnte begeistert und erfolgreich. Zwischen dem zwölf- ten und dem 18. Lebensjahr gehörte sie der Leis- tungsriege des Furtwanger Turnvereins an, die, trainiert von Leo Meyer, damals überregional sehr erfolgreich war. Dreimal pro Woche war Training angesagt, dazu kamen die Wettkämp- fe, die junge Geräteturnerin war viel unterwegs. Sie machte den Sport zum Beruf: Nach der Mittleren Reife besuchte sie die Sport- und Gymnastikschule „Kiedaisch“ in Stuttgart und war zwei Jahre später, erst 19 Jahre alt, Sport- und Gymnastiklehrerin. Das war eigentlich nicht die Ausbildung, um eine Anstellung an einer staatlichen Schule zu finden. Aber Sigrid Klaus- mann hatte Glück und wurde am Progymnasium in Mengen engagiert. Fünf Jahre arbeitete sie dort, hatte viel Spaß mit den Kindern und viele Freiräume für ihre Arbeit, wie sie sich gern erin- nert. Bei einer Fortbildung lernte sie Regine
Popp kennen, die an der Sporthochschule Köln lehrte und gerade eine Tanzkompanie in Lud- wigsburg gegründet hatte. „Schöne Bewegun- gen zu Musik habe ich immer geliebt“, erläutert sie ihren Entschluss, sich dem Tanzensemble anzuschlie ßen. Da sie außerdem inzwischen als Lehrerin nach Salem gewechselt hatte, führte sie ein ziemlich anstrengendes Leben, pendelte zwischen Hohenfels und Ludwigsburg, aber die Freude am Tanzen gab der agilen Frau die nötige Kraft und Ausdauer. In Hohenfels, der Unterstufe der Internat- schule Salem, inszenierte Sigrid Klausmann mit den Schülern ihr erstes Musical. Es erzählte Ge- schichten aus dem Internatsalltag. „Es ging mir darum, die Talente der einzelnen Kinder heraus- zufinden, jedes mit einer Aufgabe zu betrauen“. Liebe auf den ersten Blick Die Welt des Theaters lernte die junge Frau durch ihren Ehemann Walter Sittler kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick, und noch heute erinnert sie sich an jede Einzelheit. Dass ihre Kollegin in Salem Margret Sittler ihre Schwie- germutter werden würde, wusste sie noch nicht, als sie bei einer Tagung im Birklehof im Schwarz- wald einen gut aussehenden jungen Schauspie- Sigrid Klausmann hinter der Kamera. Sigrid Klausmann ler sah. „Wer ist das?“, fragte sie bei Kollegen und bestand darauf, Kontakt zu knüpfen, bevor die Tagungsteilnehmer sich trennten. Walter Sittler war Schauspieler in Mannheim. „Gar nicht eitel, ziemlich kritisch gegen sich selbst“, so hat sie ihn von der ersten Begegnung in Er- innerung. Die zwei verstanden sich auf Anhieb, ein halbes Jahr später waren sie verheiratet. Drei Kinder machten das Familienglück komplett. Jenny wurde 1985 geboren, Benedikt 1987 und Lea 1989. Walter Sittler wurde am Staatstheater Stuttgart engagiert. Die Familie siedelte 1987 nach Stuttgart über und wohnt dort bis heute. Inzwischen ist das Ehepaar viel auf Reisen, Walter Sittler als begehrter Fernseh- und Film- star, Sigrid Klausmann als Filmemacherin, die ihre Geschichten in allen Weltgegenden findet. An der Kunstschule „Labyrinth“ unterrichte- te Sigrid Klausmann zehn Jahre lang. Die Kom- bination von Musik, Tanz und Theater machte den besonderen Reiz dieser Kunstschule aus. Sie unterrichtete Modern Jazz, entwickelte Cho reografien. Ein Höhepunkt der Arbeit in Ludwigsburg war das Musical „Der überaus starke Willibald“. Sie schrieb das Buch von Willi Fährmann um für die Bühne und übernahm ne- ben der choreographischen Arbeit auch die Ge- samtleitung der Aufführung, die 1996 überaus erfolgreich Premiere hatte. Die Ludwigsburger Zeit endete mit dem Tanztheater-Projekt „Unter- wegs“. Es erzählt von 19 Menschen, die auf eine Reise gehen und fängt ein, wie sie diese verändert. 65
Persönlichkeiten Auf eigenes Risiko den Einstieg in den Dokumentarfilm gewagt Der erste Film „war ein Sprung ins eiskalte Was- ser“, erinnert sich Sigrid Klausmann heute mit einem vergnügten Lachen. Sie hatte immer wie- der Fortbildungen gemacht und auch für ihren Ehemann Stoffe entwickelt, Drehbücher ge- schrieben – die Welt des Films kennengelernt. „Abenteuerlust, meine Neugierde, auch eine Portion Naivität“ standen am Beginn der Film- produktion. Sie drehte auf eigenes Risiko, fand Mitstreiter, die an der Geschichte mehr interes- siert waren als am schnellen Verdienst. Zu „Fliegen wirst du noch“ reiste das Team auf die Krim und kam mit 70 Stunden Filmma- terial heim. Die frisch gebackene Filmregisseu- rin kaufte sich einen eigenen Schnittplatz und arbeitete mit Henk Drees zusammen, einem re- nommierten Cutter, der mit dem deutschen Ka- merapreis ausgezeichnet war. Etwa ein halbes Jahr lang wurde gearbeitet, bis das Material auf Spielfilmlänge von 75 Minuten konzentriert und die Geschichte des verletzten Stelzenläufers in eindrucksvollen Bildern erzählt war. Auf vier Festivals heimste der Streifen viel Lob ein. „Lisette und ihre Kinder“ – Erfolg im Kino Die Protagonistin ihres nächsten Films „Lisette und ihre Kinder“ kannte Sigrid Klausmann seit langem, ihre eigenen drei Kinder besuchten diesen Kindergarten. Das letzte Jahr von Lisette Siek-Wattel begleitete das Filmteam mit der Kamera. Der Alltag im Kindergarten, der behut- same Umgang mit den Kindern, aber auch die Melancholie des Abschieds bringt der Film zum Ausdruck. Die Premiere in Stuttgart war „ein Riesenerfolg“, acht Wochen lang füllte er das Kino, für einen Dokumentarfilm re kordverdächtig. Eine 45-Minuten-Version schaffte es ins Fernse- hen in der Rubrik „Menschen hautnah“. Lisette Siek-Wattel und Sigrid Klausmann besuchten etwa 70 Filmveranstaltungen und führten viele Gespräche über frühkindliche Erziehung. Ein Jahr vor der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika produzierten Sigrid Klausmann und Walter Sittler einen Film mit Thomas Hitzlsper- 66 ger. Er zeigt die Begegnung des Profifußballers mit Kindern in einem Township, wo etwa die Hälfte der Kinder HIV-positiv sind. Regie führte Sigrid Klausmann. Der Profifußballer unterstützt seitdem das Hilfszentrum „Ubuntu Africa“, das von der jungen Amerikanerin Whitney Johnson gegründet wurde. Die Kritik über diesen Film: „Es geht auch anders. Die ARD zeigte mittags eine 33 Minuten lange Dokumentation über das Engagement des Fußball-Profis Thomas Hitzls- perger. Er strich keinem der aidskranken Kinder über die Haare, sondern unterhielt sich mit ih- nen wie ein großer Bruder. Kein unsägliches Betroffenheits-Geseire, sondern authentische Anteilnahme. Ganz großes Fernsehen. Wir wün- schen uns von der ARD am 11. Juli vor dem End- spiel eine Wiederholung. Der Film ist zu wert- voll, als dass er nur einmal gesendet wurde.“ Viele Ideen im Kopf, Drehbücher in der Schublade, die unternehmungslustige Filme- macherin hat noch viel vor. Sie versteht es, Menschen genau zu beobachten, sie zum Spre- chen zu bringen, oft mit Hilfe von Dolmetschern. Sigrid Klausmann eröffnet oft einen ungewöhn- lichen Blickwinkel auf scheinbar Alltägliches. Dies ist beim Projekt „Hundert Schulwege“ der Fall. Dahinter steckt die Idee, Kinder aus unter- schiedlichen Völkern und Gesellschaften in Fünf-Minuten-Filmen auf ihrem Schulweg vorzu- stellen. Der Pilotfilm entstand erst kürzlich in ihrer Heimat, in Neukirch. Diesen Herbst hat sie einen zweiten Schulweg im Township Khaye- litsha gedreht. Finanzierung ist die größte Herausforderung Mit den Dreharbeiten ist es nicht getan. Schwie- rig, oft sehr aufreibend, ist es, Geld aufzutrei- ben, denn selbst für eine Low-Budget-Produk- tion sind schnell mal 100.000 Euro fällig. So ist Sigrid Klausmann immer auch auf der Suche nach Filmfördermitteln oder verhandelt über Fernseh-Verträge. Aber da ist sehr schwer dran zu kommen, „ein Sendeplatz im Fernsehen für einen Dokumentarfilm ist wie ein Sechser im Lotto“, weiß sie aus leidvoller Erfahrung. Im Kino haben es Dokumentarfilme ebenfalls schwer. Im Jahr 1996 gründeten Walter und
Sigrid Klausmann Links: Sigrid Klausmann mit Anna-Lena und deren Schwester Luisa. Das Bild entstand in Neukirch beim Dreh zum Schulweg-Film. Rechts im Gespräch in Südafrika: Sigrid Klausmann mit Nukawe und Whitney Johnson. Sigrid Sittler deshalb eine eigene Produktions- firma „Schneegans“. Unter www.schneegans- productions.eu schreibt das Ehepaar über seine Beweggründe zu diesem Schritt: „Die Schnee- gans Productions produziert und co-produziert ausschließlich Ihre eigenen Dokumentarfilme. Die Geschichten, die wir erzählen, suchen wir nicht, sie begegnen uns. Sie handeln von Men- schen, die uns mit ihren außergewöhnlichen Biografien und Schicksalen bewegen und zum Nachdenken bringen, die uns Mut machen und dazu ermuntern, uns einzumischen und eine humane Gesellschaft zu gestalten.“ Warum bleibt die Regisseurin dem Doku- mentarfilm treu, warum wechselt sie nicht zum Spielfilm, mit ihrem Mann Walter in der Haupt- rolle? Das wird Sigrid Klausmann des öfteren gefragt. Sie betont, der Dokumentarfilm biete mehr Freiheiten der Gestaltung, das Drehbuch ist nicht so festgelegt wie bei einem Spielfilm. Wenn ihr Filmteam beginnt, hat sie natürlich ein Konzept und ein Drehbuch, aber so ganz genau wissen die Filmemacher doch nicht, was pas- siert, wie sich die Begegnungen mit den Men- schen entwickeln. Sie sucht ihre Protagonisten nicht in der Welt der Schönen und Reichen, sie lenkt den Blick auf Menschen mit ungewöhnlichen Schicksalen. Eines dieser Projekte trägt den Ti- tel „Cherkezi“, der Film führt nach Mazedonien zu Musikern im Romaviertel Skopjes. Sigrid Klausmann dokumentiert die Menschen anrüh- rend und einfühlsam, voller Wärme und Humor, sie will zum Nachdenken anregen – und das schafft sie ohne erhobenen Zeigefinger. Vielfältig sozial engagiert Das Ehepaar engagiert sich auch privat vielfäl- tig im sozialen und im politischen Raum. Die Geschenkvariante zur Silbernen Hochzeit ist nur ein Beispiel. „Wir haben alles“, betonten Walter Sittler und Sigrid Klausmann-Sittler und stellten eine Spendenbox auf, deren Inhalt den HIV-positiven Kindern der Organisation „Ubun- tu Africa“ zugute kam. Hier hatte Sigrid Klaus- mann auch ihren Hitzlsperger-Film gedreht. Das Beispiel machte Schule und inzwischen ordern auch andere die Ubuntu-Kinder-Wanderbox zu Geburtstagen und Jubiläen. Mehr Infos dazu fin- den sich unter: www.ubafrica.org Die Kinder der Familie sind inzwischen aus- geflogen und steuern ebenfalls künstlerische Berufe an. Lea studiert Jazz Saxophon, Jenny angewandte Theaterwissenschaften, Bendikt steuert den Beruf des Ausstatters bei Film und Theater an. Ihre Schwarzwälder Wurzeln hat Sigrid Klausmann nicht gekappt. Trotz vieler Reisen und Termine nimmt sie sich immer wieder Zeit, zusammen mit ihrem Mann Walter Sittler einen Abstecher zur Furtwanger Familie zu machen. Christa Hajek 67
Persönlichkeiten In Erinnerung an Klaus Merkle Erfolgreicher Geschäftsmann, sozialer Partner und Familienmensch Welchen Respekt Klaus Merkle in Villingen- Schwenningen, in der Region und weit darüber hinaus genoss und welcher Beliebtheit er sich erfreute, zeigte sich bei der bewegenden Trauerfeier am 20. Mai im Villinger Münster. Ein fast nicht enden wollender Zug von Menschen entbot dem mitten aus dem Leben gerissenen Geschäftsführer der Baugenossenschaft Familienheim Schwarzwald-Baar-Heuberg am Sarg einen letzten Gruß. Selten war das Villinger Münster bei einer Trau- erfeier bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Besucher mussten sogar stehen. Unter den Trauergästen befand sich auch Alt-Ministerprä- sident Erwin Teufel. Wenige Tage zuvor hatte die Nachricht vom Tod Klaus Merkles für große Bestürzung und Fassungslosigkeit gesorgt. Der 57-Jährige war auf der Rückfahrt von einem geschäftlichen Ter- min mit dem Auto auf der Bundesstraße 2 bei Wittenberg verunglückt. Ein Herzinfarkt, den Klaus Merkle am Steuer des Wagens erlitten hatte, setzte seinem Leben ein Ende. Ein Schock für seine Familie, Freunde, Kollegen und Mitar- beiter. Klaus Merkle war ein ruhiger und beson- nener Mensch. Keiner, der in seiner Umgebung Hektik verbreitete oder für Aufregung sorgte. Und dennoch war er, wenn es um geschäftliche Belange ging, innovativ, zielstrebig und erfolgs- orientiert. Über 21 Jahre stand er bei der Bauge- nossenschaft Familienheim Schwarzwald-Baar- Heuberg eG als geschäftsführendes Vorstands- mitglied an der Spitze. Und in all den Jahren engagierte er sich in außergewöhlicher Weise für das im sozialen Wohnungsbau tätige Unter- nehmen. Der Beruf war Klaus Merkle geradezu eine Berufung, hatte sein Vater, Ewald Merkle, doch 1949 zusammen mit Karl Brachat, Albert Haas und Josef Astfäller die „Neue Heimat“, aus der später die „Familienheim“ wurde, aufgrund feh- lender Wohnungen in der Nachkriegszeit ge- gründet. Ewald Merkle, heute Ehrenbürger der Stadt Villingen-Schwenningen, leitete über Jahrzehnte hinweg die Geschicke des Unterneh- mens, ehe sein Sohn Klaus 1990 die Geschäfts- führung übernahm. Respekt und Anerkennung Klaus Merkle war ein höchst erfolgreicher Ge- schäftsmann. Respekt und Anerkennung fand er weit über die Stadtgrenzen hinaus. Er formte die Baugenossenschaft Familienheim zu einem 68
modernen Wohnbauunternehmen um. Er führte das Unternehmen durch wirtschaftlich schwie- rige Zeiten, die gerade in der Baubranche tiefe Einschnitte mit sich brachten. Die von Klaus Merkle und seinem Team entwickelten Kon- zepte hatten zu allen Zeiten eine hohe Akzep- tanz am Markt. Exemplarisch sei nur die Bebau- ung auf dem Gelände des ehemaligen Ausbil- dungszentrums Winkler an der Villinger Turm- gasse genannt, die eine völlig neue Wohnquali- tät in das traditionsreiche Riet-Viertel brachte. Mit Geschick und Weitblick zum modernen Dienstleistungsunternehmen Mit Beginn der Geschäftsführertätigkeit von Klaus Merkle bei der „Familienheim“ 1990 musste die Baugenossenschaft durch Gesetz auf die Anerkennung als gemeinnütziges Unternehmen verzichten und sich dem freien Wettbewerb stellen. Mit Geschick und Weitsicht schaffte es Klaus Merkle, die Baugenossenschaft für den Markt fit zu machen. Heute ist die „Familien- heim“ ein modernes Dienstleistungsunterneh- men, das allerdings immer noch das Wohl der Allgemeinheit und den Grundsatz der Gemein- nützigkeit nicht aus den Augen verliert. Priorität haben nach wie vor familienge- rechte Eigenheime, Eigentums- und Mietwoh- nungen. Das Leis tungsspektrum beinhaltet aber auch z.B. die Baubetreuung für gewerb- liche und private Bauherren sowie Fremdver- waltungen. Unter Klaus Merkle realisierte die Baugenossenschaft unzählige Projekte, ange- fangen beim modernen und ökologisch wegwei- senden Neubau bis zur Modernisierung und Sanierung des Altbaubestandes. Dass die „Fami- lienheim“ heute 2.500 Wohnungen besitzt und als kerngesundes Unternehmen dasteht, das ist sein Verdienst. Bei allem wirtschaftlichen Erfolg war dem Geschäftsführer der soziale Aspekt des Miteinanderwohnens aber immer eine ganz besondere Herzensangelegenheit. Das von der christlichen Soziallehre ge- prägte Menschenbild bestimmte Klaus Merkles Handeln als Chef. Und so bezeichneten ihn sei- ne Mitarbeiter als einen verlässlichen Men- schen, der jedem seine Aufmerksamkeit schenk- In Erinnerung an Klaus Merkle te. Wenn es sein musste, stand Klaus Merkle durchaus sehr nachdrücklich zu seiner Über- zeugung, er suchte aber in gleichem Maße den Ausgleich. Das wussten und schätzten auch seine geschäftlichen Partner, für die stellvertretend der Villinger Architekt Gerhard Janasik genannt werden soll. Er beschreibt Klaus Merkle als einen „charakterfesten Menschen und fairen Partner“. Der Familienheim-Geschäftsführer ha- be immer menschliche Werte vermittelt und sei fair auf allen Ebenen gewesen, „bis hin zu den Handwerkern am Bau“, sagt Janasik. Der Tod Klaus Merkles war für ihn wie für viele andere „ein hoher menschlicher Verlust“. Gerhard Janasik hätte als Architekt mit Merkle zu gerne noch das aktuelle Großprojekt der „Familien- heim“ beendet, die Neubebauung an der Roten Gasse in Villingen. Wie sehr Klaus Merkles Fachwissen im Kol- legenkreis geschätzt war, zeigte seine Wahl im Jahr 2000 zum ehrenamtlichen Vorstandsvorsit- zenden des Siedlungswerkes Baden mit Sitz in Karlsruhe, in dem 24 selbstständige Wohnungs- baugesellschaften zusammengeschlossen sind. Klaus Merkle engagierte sich aber auch per- sönlich über die Grenzen der Familienheim hi- naus weit in die Region hinein. Besonders am Herzen lag ihm natürlich seine Heimatstadt Vil- lingen, wobei er sich immer als überzeugter Doppelstädter outete. Und so resümiert Ober- bürgermeister Rupert Kubon: „Die Stadt war ihm immer wichtig.“ Dabei habe er sich immer für die Sache stark gemacht und nie versucht, persönliche Vorteile zu erringen. Im alltäglichen Leben von Villingen fest verwurzelt Klaus Merkle war fest verwurzelt in der Tradi- tion, im alltäglichen wie kirchlichen Leben Vil- lingens. Gerne besuchte er mit seiner Familie im Sommer Feste der Vereine, unterstützte diese auch im Rahmen seiner Möglichkeiten. Wie es sich für einen waschechten Villinger gehört, lag ihm die Fasnet besonders am Herzen und mit Freude und Energie stieg er an den „Hohen Ta- gen“ ins Wueschthäs. Noch an Fasnet 2011 war 69
Persönlichkeiten er mit seiner Wueschtgruppe unterwegs und hatte wie immer jede Menge Spaß. Wer den vi- talen und fitten Klaus Merkle an diesen Tagen erlebte, der konnte auch nicht ansatzweise er- ahnen, dass wenige Wochen später sein Herz urplötzlich zu schlagen aufhörte. Ein Familienmensch Klaus Merkle war trotz allem Engagement vor allem eines: ein Familienmensch. „Die Familie war sein Zuhause, sein wertvollster Ort“, hob dann auch der Villinger Dekan und Münsterpfar- rer, Josef Fischer, bei seiner Trauerrede hervor. Und er beschrieb Klaus Merkle als einen „wun- derbaren Mann und Menschen“, der Stärke und Weitsicht, aber auch Sensibilität, Menschlich- keit und einen hohen Familiensinn in seinem Wesen vereinigt habe. Was ihm seine Familie, was ihm seine Frau Ulrike bedeuteten, lässt sich an einer kleinen Begebenheit sehr schön able- sen. So sehr er das Wueschtlaufen an Fasnet liebte, so wichtig war ihm vor einigen Jahren gerade an Fasnet ein Ski-Urlaub mit seiner Frau. „Ich hab ihr diesen Urlaub lange versprochen und dann fahren wir auch“, seine Begründung dafür, in jenem Jahr nicht ins Narrenhäs gegan- gen zu sein. Was Klaus Merkle seiner Familie bedeutete und wie schmerzlich sein Tod für sie war und ist, das zeigte bei der Trauerfeier im Münster eine von seinen drei Kindern gestaltete Collage mit Fotografien aus dem Leben des „bes- ten Papas der Welt“. Dieter Wacker Bernhard Hoch – Mann des Ausgleichs Mit seinem Tod verlor die Region Schwarzwald-Baar einen ihrer Repräsentanten Mit dem Tod von Bernhard Hoch verlor die Region Schwarzwald-Baar einen überregi- onal bekannten Repräsentanten. Hoch ver- starb 57-jährig am letzten Tag des Monats April im Jahr 2011. Er hinterließ seine Frau und drei erwachsene Söhne. Bernhard Hoch war es gelungen, bemerkens- werte Karrierespuren zu zeichnen: Von einer Villinger Backstube aus arbeitete er sich als ein- facher Handwerker empor zur einflussreichen Position des Präsidenten der Kon stanzer Hand- werkskammer. Ingesamt 17 Jahre lang führte er die Vereinigung der Handwerkerschaft zwi- schen Bodensee, Hochrhein und Schwarzwald. Für die Kammer war es eine erfolgreiche Zeit. Bildungs einrichtungen wurden neu gegründet, bestehende Weiterbildungsmöglichkeiten aus- gebaut. Im Kammerbezirk arbeiten 70.000 Be- schäftigte in 12.000 Handwerksbetrieben. 70
Der Mann, der 1969 in Villingen seine Lehre in der Backstube seines Vaters Karl Hoch be- gonnen hatte, beeindruckte seine Gesprächs- partner immer wieder mit bodenständig orien- tierten Einschätzungen aber auch mit zukunfts- gerichteten, mutigen Entscheidungen. Hoch war einerseits respektiert und andererseits hoch geschätzt. Ein Grund dafür war: Er wusste, wovon er sprach. Der langjährige Obermeister der Metzgerinnung, Wilhelm Riesle, formulierte angesichts des Todes von Bernhard Hoch nicht von ungefähr: „Er war einer von uns.“ Seit 1984 war Hoch Mitglied der Vollver- sammlung der Handwerkskammer Konstanz. Zu dem engagierte er sich ab 1986 als Kreis- handwerksmeister im Schwarzwald-Baar-Kreis und von 1988 bis 1995 als Obermeister der Bä- ckerinnung Schwarzwald-Baar. Ab 1989 war er Vizepräsident der Handwerkskammer. Ein zweiter Grund für die Wertschätzung des Menschen Bernhard Hoch war seine Fähigkeit, fröhlich und gelöst seinen Beruf hinter sich las- sen zu können. Unvergessen sind die Stunden, in denen er wie Hunderte andere auch tagelang bei seiner geliebten Villinger Fastnacht mitfei- erte. Mit einem eigenen Fastnachts-Stüble trug er zudem als generöser Gastgeber zur heimischen Brauchtumspflege gezielt bei. Der Villinger, der 1982 den Bäckereibetrieb seiner Familie übernommen hatte, bleibt vor allem als Mann des Ausgleichs in Erinnerung. Stets suchte er gute Lösungen oder, wenn es nicht anders ging, vernünftige Kompromisse. Auch seine privaten Geschäfte führte er von sei- ner Backstube aus nach diesem Muster. Von 1989 bis ins Jahr 2000 leitete er den bis auf acht Filialen angewachsenen elterlichen Betrieb mit der Zentrale an der Villinger Herdstraße, bevor er seine Geschäftsanteile an die Bäckerei Schaaf in Sulz am Neckar verkaufte. Seit dem Jahr 2004 firmiert der Betrieb bis heute als Thomy’s Knusperhäusle. Hoch fungierte als einer von zwei Geschäfts- führern in dieser Firma. Als er 2010 dort aus- stieg, folgte die Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Firma ATV Alutechnik Villingen GmbH. Mit Bestürzung nahmen die Menschen die Nachricht vom Tod des Villingers auf. Einer, der seine Berufsausbildung im Betrieb von Bern- In Erinnerung an Bernhard Hoch hard Hoch geleistet hatte, formulierte in einem Kondolenzblog ergriffen: „Er war der beste und der härteste Lehrmeister, aber stets gerecht und innovativ.“ Patrik Münch, Obermeister der Metallinnung Schwarzwald-Baar formulierte auf der selben Plattform: „Manchmal bleibt einem der Wert eines Menschen verborgen. Nicht so bei Bernhard Hoch. Seine Hochwertigkeit offen- barte sich bei jeder Begegnung. Er war ein ganz Guter!“ Was damit gemeint sein könnte, erfuhren viele Begleiter von Bernhard Hoch immer wie- der. Zum Beispiel, als in Villingen auf Grund ei- ner privaten Initiative ein neuer Weihnachts- marktverein Anlauf nahm, um endlich ein wür- diges und dem Anlass gerechtes Angebot am Münsterplatz auf die Beine zu stellen. Wie selbstverständlich stellte sich Hoch an die Seite der Männer der ersten Stunde, wurde Vorstands- mitglied im Verein und ließ seine Erfahrung in die gänzlich neu geschaffene Großveranstal- tung mit einfließen. Fast 1.000 Menschen nahmen tief bewegt Abschied von einem hoch verdienten Mann Bei der offiziellen Trauerfeier für den Verstor- benen am 19. Mai 2011 in der Villinger Fideliskir- che ging es auch darum, gemeinsam Abschied zu nehmen und den unfassbaren Tod von Bern- hard Hoch zu verstehen. Einer seiner Söhne spielte zum Ende der Feier in der Kirche ein Stück des deutschen Popsängers Xavier Naidoo ab. Das Lied trägt den Titel: „Was wir alleine nicht schaffen“. Fast 1.000 Menschen nahmen von Bernhard Hoch an diesem Tage mit schwerem Herzen Abschied. Altdekan Kurt Müller hatte auf der Kanzel zuvor formuliert: „Bernhard Hoch ist nicht fort. Er wird präsent bleiben. In unseren Vorstellungen, in unserem Herzen.“ Sein Vermächtnis wird 2012 noch einmal be- greifbar werden. Dann wird in Singen ein neu gebautes Bildungszentrum der Handwerkskam- mer in Betrieb gehen. 5.000 Quadratmeter, 18 Millionen Euro reine Baukosten und eine Über- zeugung: Bildung ist alles. Vor allem dafür lebte Bernhard Hoch. Norbert Trippl 71
5. Kapitel Aus dem Wirtschaftsleben Aus dem Wirtschaftsleben IMS Gear: Antriebslösungen für die Welt des Automobils Die Firmengruppe bietet allein an ihren deutschen Standorten über 1.400 Arbeitsplätze Zwei Jahre vor dem 150-jährigen Bestehen schreibt ein traditionsreiches Schwarzwälder Unternehmen munter weiter an seiner einzigartigen Erfolgsgeschichte: Die „IMS Gear GmbH“ macht sich auf, die Welt zu erobern. Ihre Antriebs lösungen, ursprünglich nur im Schwarzwald und auf der Baar hergestellt, bewegen Automobile in aller Welt. IMS Gear hat seine Wurzeln in Eisenbach, doch der Firmensitz wurde vor wenigen Jahren vom Stamm- werk Eisenbach nach Donaueschingen verlegt. Dort stehen mittlerweile sieben Werke. 72 Standort Gainesville, USA Standort Virginia Beach, USA
Aus dem Wirtschaftsleben IMS Gear ist auf allen wichtigen Märkten Europas, den NAFTA-Staaten Nordame- rikas sowie in Asien mit eigenen Produk- tionen vertreten. Weil jedes der Werke primär für den Markt vor Ort arbeitet, ist der Kontakt zum Kunden eng. Das erleichtert die Kommunikation, verkürzt Reaktionszeiten und ermöglicht, spe- zifische Besonderheiten der Märkte zu berücksichtigen. Das Rückgrat des globalen Verbundes bilden die Stand- orte in Deutschland mit der zentralen Entwicklung mit Versuch, dem Formen- bau und der Verwaltung. Standort Querétaro, Mexiko Standort Taicang, China 73
Aus dem Wirtschaftsleben Kleingetriebe und Zahnräder verstellen Auto- sitze manuell oder elektrisch oder öffnen und schließen Autofenster elektrisch, sie sind das Herz von elektromechanischen Servo lenkungen oder elektrischen Parkbremsen – helfen Ver- brauch und Emissionen zu re duzieren im Be- reich des Motormanagements bei Benzin- und Dieselmotoren. Standorte in Eisenbach, Do- naueschingen, Aasen und Trossingen aber auch in Nordamerika und China sind die Grund- lage dafür, dass die Firmengruppe „IMS Gear“ in der Zahnrad- und Getriebetechnik weltweit eine herausragende Spitzenposition einnimmt: IMS Gear berichtet mit Stolz vom kontinuierli- chen Wachstum eines weltweit gefragten Auto- mobilzulieferers. Vom Eisenerz zur Uhr – Johann Morat fertigt Zahnräder und baut Maschinen Schon Ende des 15. Jahrhunderts, so schildert „impuls“, eine firmeneigene Broschüre zum 140-jährigen Bestehen im Jahr 2003, wird in Eisenbach nach Eisenerz gegraben. In der kar- gen Schwarzwald-Landschaft in 1.000 Metern Höhe lohnen weder Viehzucht noch Ackerbau. Die Ausbeute an Erz im Fürstenbergischen Bergwerk von Eisenbach ist gering, sodass das Bergwerk 1670 geschlossen wird. Die Rettung bringt die Uhr, die um 1730 Einzug hält in dem kleinen Dorf: Aus den anfänglichen Versuchen, Uhren aus Holz in Metall nachzubauen, entstehen neue Werkzeuge und Fer- tigkeiten und Kenntnisse, die immer weiter verfeinert werden. Nach wenigen Jahren prägen Uhren in Eisenbach das wirtschaftliche Geschehen. Eisenbach entwickelt sich zum Zentrum der Feinmechanik, von hier aus wer- den die Uhrenma- cher mit Maschi- nen, Werkzeu- gen und Zahnrä- dern beliefert. Zahnstuhl von Johann Morat & Söhne aus dem Jahr 1863. 74 Johann Morat Johann Morat spielt eine Schlüsselrolle. Er macht sich mit 25 Jahren selbständig und be- ginnt Zahnräder zu produzieren. 1863 hebt er ein Unternehmen aus der Taufe, in einer Zeit des Umbruchs, als die handwerklichen Struk- turen immer weiter verdrängt werden und die industrielle Fertigung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Herstellung von Zahnrädern, Zahnradwellen und Drehteilen wird zum blühenden Geschäft. Aber Johann Morat verfolgt noch ganz ande- re Pläne, denn er baut die entsprechenden Werkzeuge und Maschinen selbst. So wird bereits zwei Jahre nach Gründung des Unternehmens die erste Verzahnungs- maschine serienmäßig her gestellt. Fortan prägen lange Zeit Rä der- und Triebschneid ma – schi nen, Präzisions- drehbänke, Hand rä der- schneidmaschinen, Zahn-, Arrondier-,
IMS Gear Gründungsstandort von IMS Gear: In Eisenbach befindet sich heute neben der Komponenten- und Getriebefertigung die Produktion von Standard- Planeten getrieben und Verzahnungswerkzeugen. Schneid- und Profilfräser oder Kreissägen das Geschehen. In den Annoncen der Vergangen- heit tauchen aber auch schon Schneckentriebe, Räder, Wellen und „complette Trieb- und Rad- sätze“ auf. Schon bald werden Uhrenfabriken in der gesamten Region beliefert Um 1890 arbeiten bereits sechs Söhne im Betrieb mit, neue weitere Mit- arbeiter kommen hinzu, Morat beliefert bald Uhrenfabriken in der Region. Abnehmer waren Uhrenhersteller in Furtwangen oder Neustadt, die mit Feinme- chanik und Laufwerken aller Art ihr Geld verdienten und gerne auf die Maschinen und Metallzahnräder zu- rückgriffen, die das Eisenbacher Unternehmen „Johann Morat & Söhne“, so hieß die Firma ab 1899, und in der Kurzform „M&S“, in guter Qua- lität herstellte. Schon in den frühen Jahren peilte Johann Morat den europäischen Markt an: Seine Pro- dukte wurden auf internationalen feinmecha- nischen Messen in Paris, London oder Italien angepriesen. „Johann Morat hat der Uhrenin d us- trie im Schwarzwald zum Durchbruch verhol- fen“, ist Geschäftsführer Clemens Rosenstiel sicher, kleine Uhrenfabriken in Furtwangen, Triberg oder Neustadt wurden beliefert, „Jo- hann Morat hatte einen klaren Schwerpunkt beim Maschinenbau gesetzt“, sagt Ro- senstiel, der selbst gut vier Jahr- zehnte das Geschehen bei IMS mitgeprägt hat. Morat lieferte Maschinen, Bearbeitungs- werkzeuge und Material für Feinmechanik, Wellen und Zahnräder. Uhren selbst wurden bei Morat in Eisen- bach allerdings nie gebaut. 75
Aus dem Wirtschaftsleben Ein Spezialist für Zahnräder und Getriebe ist „IMS Gear“ bis heute. Getriebe für Sitzverstel- lungen, Planetengetriebe für Elektrowerkzeuge, Baugruppen und Komponenten für elektrische Servolenkungen in Autos, oder für Schließ- systeme: Zahnräder, Zahnräder, Zahnräder, ob aus Metall oder Kunststoff spielen seit Jahr- zehnten die Hauptrolle. Damit knüpft IMS Gear immer wieder an die Vergangenheit an, der Hightech-Konzern des 21. Jahrhunderts ist ver- wurzelt mit seinen Anfängen von 1863. Ein weltweit erfolgreicher Zulieferer der Automobilindustrie Vor nicht ganz 150 Jahren in der kleinen Schwarzwaldgemeinde Eisenbach gegründet, ist aus dem einstigen feinwerktechnischen Zu- lieferer der damals blühenden Uhrenindustrie des Schwarzwaldes ein weltweit tätiger Auto- mobilzulieferer geworden: Vom Uhrenbau in Triberg, Furtwangen oder Neustadt führte der Weg von IMS Gear zu einem großen Spezia- listen der Zahnrad- und Getriebetechnik für die Autoindustrie: Innovative Bauteile, Baugruppen und Getriebe stehen ebenso auf der weitge- fächerten Produktpalette wie Planetengetriebe, die bis zu 10.000 unterschiedliche Getriebe- konfigurationen zulassen, oder Verzahnungs- werkzeuge, mit denen Zahnräder und Schne- cken aus Metall gefräst werden, bis hin zur ei- genen Härterei – unzählige Produkte und Teile, Räder und Rädchen aus Metall und Kunststoff verlassen die Werkshallen: Das Unternehmen setzt auf Fertigungstiefe und eigenes „Prozess- Know-how“. Das global aktive Unternehmen bedient als Zulieferer „der zweiten Reihe“ namhafte Firmen wie Bosch, Continental, ZF Lenksysteme, TRW, Johnson Controls oder Brose. Mit der Folge, dass VW, Audi, BMW, Daimler oder Ford, Fiat, GM oder Chrysler die Produkte von IMS Gear einbauen und mit Getrieben und Zahnrädern aus Eisenbach oder Donaueschingen durch die Welt fahren. So hat IMS die Krise von 2009 hervorragend gemeistert. „Das Jahr nach der Krise war überaus erfolgreich und das Beste in der 148-jährigen Firmengeschichte“. Mit einem Umsatz von 164 Millionen Euro lag der Zuwachs 2010 um 40 Prozent über dem Krisenjahr. Für 2011 wird eine weitere Umsatzausweitung auf 200 Millionen Euro erwartet. Das Unternehmen boomt, weil der Fahr- zeugmarkt weltweit größer geworden ist und größere Stückzahlen zur Folge hat. Und: Auch weil mit neuen Technologien im Fahrzeugbau neue Ideen gefragt sind. Die elektromechani- 76 Automatische Montageanlage für die Fertigung von Planetengetrieben.
IMS Gear 1.400 Arbeitsplätze bietet IMS Gear in den deutschen Werken, den Mitarbei- tern werden beste Bedingungen und modernste Technik geboten. Rechts eine Spritzgussanlage zur Herstellung von Zahnrädern aus Kunststoff. sche Servolenkung, die klassische hydrauli- sche Servolenkungen ersetzt, verwendet eben- so Zahnräder wie die neuen elektrischen Park- bremsen, die auf Knopfdruck funktionieren und damit unter anderem das Anfahren am Berg erleichtern. In der Ausbaustufe sollen jährlich zehn Millionen Einheiten für Lenkgetriebe her- gestellt werden, zehn Millionen Einheiten für die Bremsen und bei den elektrischen Sitz- verstellungen sind es mehr als 20 Millionen. „Das sind Größenordnungen, die wir stemmen müssen“, räumen die Geschäftsführer Clemens Rosenstiel und Bernd Schilling ein. „Aber diese Herausforderungen sind auch für uns Verpflich- tung“. Die Dimensionen haben sich gegenüber frü- heren Jahren verändert, sie machen uns für be- stimmte Produkte zum Weltmarktführer“, freut sich Rosenstiel über den erfolgreichen Weg. Er wurde unter anderem auch mit der Verlegung der Firmen- zentrale von Eisenbach nach Elektrische Parkbremse: sie funktioniert auf Knopf- druck und erleichtert das Anfahren am Berg. Donaueschingen eingeschlagen: Die positive Entwicklung in Donaueschingen, die aus klei- nen Anfängen zum neuen Technikzentrum der IMS Gear führte, war das Werk von Norbert Will- mann, sagt Rosenstiel. Überaus erfolgreiche Geschäftsführung Die Geschäfte laufen gut. Die beiden langjäh- rigen Geschäftsführer Norbert Willmann und Clemens Rosenstiel können sich in ihrer Arbeit bestätigt sehen. Beide übernahmen 1992 die Geschäftsführung als Nachfolger für den 1994 verstorbenen Rudolf Zimber-Morat. Damit ste- hen seither zwei Mitarbeiter an der Spitze des Unternehmens, die selbst schon ein großes Stück Firmengeschichte bei IMS Gear mitgeprägt haben: Beide sind schon seit vier Jahr- zehnten für das Unter- nehmen tätig. Mit Wolf- gang Weber und Bernd Schilling wurden im März 2011 zwei lang- jährige Führungs- 77
Aus dem Wirtschaftsleben Die Geschäftsführung von IMS Gear; von links: Clemens Rosenstiel, Wolfgang Weber, Bernd Schilling und Norbert Willmann. kräfte aus dem eigenen Haus ins Team der Ge- schäftsführer berufen und damit bereits auch die Nachfolgefrage in die Wege geleitet. Denn Norbert Willmann wird Ende 2011 die Alters- grenze erreichen und aus dem Unternehmen ausscheiden. Clemens Rosenstiel wird Ende 2012 in den Ruhestand gehen. Auch Wolfgang Weber und Bernd Schilling sind seit Jahren in verantwortlicher Position bei IMS tätig. Sie sollen die Arbeit kontinuier- lich fortführen und langfristig die gute Unter- nehmensentwicklung sicherstellen. Wolfgang Weber ist 52 Jahre alt, verheiratet und hat vier Töchter. Er ist Ingenieur der Fahrzeugtechnik und arbeitet seit 2006 bei IMS Gear, zunächst als Geschäftsbereichsleiter, danach als Ver- triebsleiter. Weber war bei BMW, UTA und John- son Electric in Hongkong und Shanghai tätig. Bernd Schilling ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn. Er ist Ingenieur der Standard-Planetengetriebe von IMS Gear lassen bis zu 10.000 verschie- dene Konfigurationen zu. 78 Werkstoff- und Oberflächentechnik. Er arbeitet seit 1994 bei IMS Gear und leitete zuletzt den Vertrieb und die Entwicklung Komponenten. Von 1996 bis 1999 wirkte er beim Aufbau des Standorts Gainesville/USA mit, danach leitete er bis 2004 den Formenbau mit seinen 90 Mit- arbeitern. 25.000 Quadratmeter Produktionsfläche in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg In Donaueschingen stehen inzwischen sieben Werke. Der Firmensitz wurde vor wenigen Jah- ren vom Stammwerk in Eisenbach nach Do- naueschingen verlegt. Ein Werk in Trossingen soll im Oktober in Betrieb gehen. Es umfasst 8.000 Quadratmeter Fläche. Ein Neubau in Donaueschin- gen mit 9.000 Quadratmetern wird ebenfalls im September fer- tig gestellt sein und ein weiteres Gebäude in Do- naueschingen mit 8.000 Quadratmetern ist bereits
bezogen, sodass in der Region Schwarzwald- Baar-Heuberg insgesamt 25.000 Quadratmeter Produktionsfläche zur Verfügung stehen. In den Auslandsstandorten stehen auf nochmals 20.000 Quadratmetern Produktionsmaschinen von IMS Gear, so in den beiden amerikanischen Werken Virginia Beach und Gainesville, in Querétaro in Mexiko und in Taicang in China. In den deutschen Werken sind im Jahr 2011 rund 1.400 Mitarbeiter beschäftigt Die Basis des Erfolgs „sind gute und motivierte Mitarbeiter, bei uns erfahren sie Wertschät- zung“, sehen Rosenstiel und Weber ein Erfolgs- rezept für das Personalmanagement. „Hierzu- lande ist der Kampf um die jungen Leute ent- brannt“, wagt Clemens Rosenstiel einen Blick in die nähere Zukunft: IMS Gear wird die Zahl der Lehrlinge von 80 auf 150 steigern, um sie in Donaueschingen und Eisenbach auszubilden. Mit Trossingen wird ein neues Einzugsgebiet angepeilt. So sind derzeit 1.400 Mitarbeiter in den deutschen Werken und nochmals gut 300 Mit- arbeiter in den ausländischen Standorten tätig. Allein um die 100 Ingenieure arbeiten in Ent- wicklung und Labor: So konnte das Unterneh- men weltweit eine Spitzenposition erlangen, sind sich die Verantwortlichen sicher. IMS Gear Dazu gehört eine attraktive Firmenkultur mit offener Kommunikation nach innen und außen. IMS Gear setzt trotz seiner weltweiten Aktivitäten auf die Region Schwarzwald und Baar. Dazu gehören die Zusammenarbeit mit Landkreis und Landratsamt ebenso wie die Un- terstützung und Sponsorentätigkeit für Vereine und soziale Einrichtungen, für Jugendhilfe oder Behindertenwerkstätten der Lebenshilfe und ähnlicher Einrichtungen. Bernd Schilling un- terstreicht die regional wichtige Stellung des Unternehmens mit der Mitarbeit in Verbänden, sei es der Prüfungsausschuss der IHK oder dem kürzlich gegründeten Kunststoff-Institut Südwest. „Wir wollen verstärkt Impulse bei den Ausbildungsgängen und Inhalten setzen“, erläutert Schilling: Dabei gehe es um die Inge- nieurstudiengänge, um Fragen der Automatisie- rung, um Betriebswirtschaft und die Ausbildung zum Mechatroniker. „Ziel ist eine Kombination von Theorie und Praxis auf Basis einer besseren Vernetzung von Industrie und Hochschulen“. „Wir arbeiten mit Technik, dazu brauchen wir Leute und Wissen“: Clemens Rosenstiel hält unter diesem Aspekt das neue Technische Gymnasium, das an der Gewerbeschule in Do- naueschingen eingerichtet wird, für „ganz wich- tig. Das ist genau das, was wir brauchen, eine gute Ausbildung im schulischen Bereich“. Das bringe für Donaueschingen eine erhöhte Stand- ortqualität. Manfred Beathalter Im Ausbildungszentrum von IMS Gear. Die Zahl der Lehrlinge wird von 80 auf 150 gesteigert. 79
Aus dem Wirtschaftsleben GANTER – weltweit führender Hersteller von Normelementen Der Furtwanger Anbieter von Normteilen zum Bedienen und Spannen sowie Vorrichtungs- und Maschinen elementen wird in der vierten Familiengeneration geführt Im Jahr 1894 hatte der Furtwanger Mechaniker- meister Otto Ganter eine bahnbrechende Idee. Der Betreiber einer mechanischen Werkstatt fasste den Entschluss, häufig angefragte Bedien- elemente für Drehmaschinen nicht mehr nur auf Bestellung zu fertigen, sondern auf Vorrat. Der Vorteil: Die Produktion der Teile wurde dadurch günstiger und für den Kunden wa- ren sie sofort, ab Lager und auch in kleinen Stückzahlen erhältlich. Das „Ganter-Norm-Teil“ war geboren. Bereits 1912 erschien dann der erste Ganter- Normteile-Katalog – noch fünf Jahre vor Einführung der Deutschen Industrie Norm (DIN). Heute wiegt der Ganter-Katalog 3,7 Kilo und bietet auf 1.300 Seiten ca. 50.000 Artikel. Für den Handwerksbetrieb war das der Durchbruch: Bislang hatte Otto Gan- ter die Montage kleiner elektrischer Anlagen wie Hausklingeln übernom- men, mit Glüh birnen ge- handelt, die Reparatur von Hausgeräten und einfache Dreharbeiten ausgeführt. Zum Antrieb seiner Dreh- maschine nutzte er das Wasserrad des Rotenbau- ernhofes an der Triberger Straße, in dessen Leibge- ding sich die Werkstatt der Ganters befand. In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgt der Eintritt der beiden Söhne Karl und Ernst Ganter – letzterer ist auch als Schwarz- waldmaler bekannt. Sie führen die industrielle 80 Otto Ganter gründete den heute weltweit führenden Hersteller und Anbieter von Normelementen GANTER GRIFF im Jahr 1894. Begonnen hat die Erfolgsge- schichte mit einem Handwerks- und Handelsbetrieb, der u. a. Tischmangen produzierte.
Aus dem Wirtschaftsleben Die Otto Ganter GmbH & Co. KG in Furtwangen. Unten: Der Ganter-Katalog einst und heute – auf 1.300 Seiten präsentiert der Weltmarktführer in seinem 3 , 7 Kilo schweren Katalog über 50.000 Artikel. 81
Aus dem Wirtschaftsleben Mit Schaugläsern kann man den Flüssigkeits- stand im Auge behalten. Grifffer tigung ein und begründen eine Fas- sondreherei unter Nut- zung der Elektrizität. Mit dem Beginn des Dritten Reiches tritt das eigentliche Ge- schäftsfeld wie in anderen Be trieben auch mehr und mehr in den Hinter grund: Gan- ter wird zum rüs tungswichtigen Betrieb, der Verschraubungen für die Flugzeughydraulik herstellt. Nach Kriegs ende kommt es durch die französische Besatzungsmacht zur Demontage von ca. 50 % des Maschinenparks. Die 1950er Jahre bringen der mittlerweile auf 30 Mitarbeiter angewachsenen Firma eine neue Geschäftsidee: Der Ganter-Katalog um- fasst jetzt nicht nur Griffe aus der eigenen Ferti- gung, sondern das Programm wird durch Han- delsware, insbesondere Kunststoffteile, erwei- Normteile von Ganter: Vielfalt als Programm. tert. Es erfolgt der Übergang vom reinen Fertigungsunterneh- men zum Dienstleister. Dieser wird 1968 nach dem Ein- tritt von Bernhard Gan- ter ins Unternehmen forciert: Der Sohn von Karl Ganter führt die Geschäftsidee konse- quent weiter, das Normteile- Programm umfasst jetzt nicht mehr nur Griffe, sondern alle Arten von Normelementen für die gesam te Industrie. Mit großem Erfolg ist Ganter 1973 zudem erstmals auf der Hannover Messe vertreten. Ganter liefert Normelemente für die gesamte Industrie Heute ist das mittelständische Unternehmen der weltweit führende Hersteller von Norm- elementen zum Bedienen und Spannen sowie 82
von Vorrichtungs- und Maschinenelementen für die unterschiedlichsten Anwendungen und Branchen. So finden Normelemente von Gan- ter ihren Einsatz im Werzeugmaschinenbau, aber auch in der Medizin- und Rehatechnik, in Holzbearbeitungsmaschinen, Verpackungsma- schinen, in Maschinen zur Verarbeitung von Lebensmitteln oder im Fahrzeugbau. Die Firma Otto Ganter GmbH & Co. KG wird mittlerweile in der vierten Familiengeneration geführt, Geschäftsführer ist der 35-jährige Ste- fan Ganter. In über 110 Jahren hat es also nur vier Geschäftsführer gegeben. Entscheidend für den Erfolg des Unternehmens war und ist die Standardisierung seiner Produkte. Ein „ein- faches“ Handrad wird beispielsweise nicht nur in einer Ausführung ange- boten, sondern ist in bis zu 11 unterschiedlichen Durchmessern mit jeweils verschiedenen Bohrungen und in unterschied- lichen Materia lien, Farben, Oberflächen und Ausstattungen – ab Lager – erhältlich. An die 50.000 Artikel umfasst das Ganter Produktsor- timent, eine enorme Vielfalt. Das Unternehmen ist längst weltweit tätig und auf sämtlichen Kontinenten und in rund 50 Ländern präsent. Geschäftsführer Stefan Gan ter: „Wir sind überall dort vertreten, wo etwas hergestellt wird.“ Und einer der Schwer- punkte, auf den bereits Firmengründer Otto Ganter setzte, ist auch heute noch entschei- dend für den Erfolg: Die rasche Auslieferung einer Bestellung, dank eines straffen Logis- tikkonzeptes. „Wir sind in der Lage, 85 Prozent unserer Bestellung innerhalb von 24 Stunden auszuliefern. Das ist ein enormer Vorteil für die Kunden und eine wichtige Abgrenzung gegen- über der Konkurrenz aus Asien“, betont Stefan Ganter. Denn wird ein Normteil in der Produk- Oben: Ganter-Exzenterspanner GN 927. Rechts: Ein hochmodernes, vollautomatisches Lager ist das Herzstück der Logistik bei Ganter – täglich werden bis zu 700 Kundenaufträge ausgeliefert. Aus dem Wirtschaftsleben 83
Aus dem Wirtschaftsleben tion benötigt, kann ein Kunde eben nicht tage- oder wochenlang warten, bis es geliefert wird. Seit 1971 gibt es ein Joint Venture-Abkommen mit dem italienischen Unternehmen Elesa Für den Erfolg von Ganter ist auch die Koopera- tion mit anderen Herstellern verantwortlich, de- ren Produkte mit vertrieben werden und die das Ganter-Programm so vervollständigen. Wich- tigster strategischer Partner, und das bereits 84 Modernste Fertigungsanlagen sichern die Wettbe- werbsfähigkeit. Unten: Eine moderne CNC-gesteuerte Rohrbiegemaschine ermöglicht das schnelle Reagie- ren auf Sonderwünsche! seit 1971, ist Elesa, ein italienischer Hersteller von Bedienelementen, vorwiegend aus Kunst- stoff, mit dem ein Joint Venture-Abkommen abgeschlossen wurde. Marketingleiter Axel Weber: „Heute gibt es in vielen Ländern, darun- ter China und Indien, gemeinsame Vertriebsnie-
Ganter Griff derlassungen unter der Marke ‚Elesa + Ganter‘. Dadurch wird die Marktpräsenz gestärkt – vor allem in Osteuropa und Asien“. Neben den extrem kurzen Lieferzeiten ist auch die schnelle und eindeutige Zuordnung der Teile ein Trumpf des Unternehmens, eben dank der Ganter-Norm. Dazu gibt es einen übersicht- lich gestalteten Katalog, in dem sich im Handum- drehen benötigte Elemente finden lassen. Sämt- liche Normelemente sind darin umfassend mit technischer Zeichnung, Materialangaben und allen sonstigen Spezifikationen beschrieben – ein klarer Vorteil für jeden Konstrukteur. Die neueste Ausgabe des Ganterkatalogs umfasst über 1.300 Seiten und ist gewichtige 3,7 Kilo schwer. Auch die Ganter-Webseite unterstützt bei der Auswahl der passenden Elemente. Natür- lich sind Online-Bestellungen in einem benut- zerfreundlichen Verfahren möglich. Ein zusätzlicher Service: Sämtliche Norm- teile sind auch elektronisch in allen 2D- und 3D-Formaten verfügbar und können kostenlos per Download auf den eigenen Rechner geholt werden. Das spart Zeit und ermöglicht dem Ganter-Kunden ein exaktes Konstruieren am Bild schirm. Effiziente Prozesse sowie 24-Stunden-Lieferservice werden vom Markt gefordert. Und wenn ein Kunde einmal nicht das pas- sende Normteil findet, werden bei Ganter auch Sonderlösungen nach Kundenvorgaben umge- setzt. Dabei bietet Ganter die erforderliche technische Beratung, entweder vor Ort durch den eigenen Außendienst oder am Telefon über eine spezielle „Beratungsabteilung“ und über- nimmt anschließend Konstruktion, Herstellung und Lagerung des Sonderteils. Das Motto „Service inklusive“ ist daher nicht nur ein Werbeslogan, sondern Realität. Längst erfüllen viele Elemen te aber nicht mehr nur einzig ihren Zweck, sondern sind auch ergonomisch optimiert, das heißt bedie- nerfreundlich, und verfügen über ein anspre- chendes Design wofür das Unternehmen in den letzten Jahren mehrere Auszeichnungen erhal- ten hat. Wichtig ist für Ganter seine Produkte auf zahlreichen Messen im In- und Ausland zu prä- sentieren, 94 waren es im Jahr 2011 weltweit. Von Hannover über Shanghai, in São Paulo oder Moskau – bis nach Neu Delhi zeigt Ganter sein vielfältiges Programm. Daneben gibt es Haus- 85
Aus dem Wirtschaftsleben „Service inklusive“ – innerhalb von 24 Stunden hat jeder Ganter-Kunde sein Normteil in Händen. messen bei großen Unternehmen. Hier kommt Ganter in die entsprechende Firma, um sein Sor timent und dessen Möglichkeiten vorzustel- len und dabei eine Vielzahl von Konstrukteuren zu erreichen. Diese Vorgehensweise spart dem Kunden Zeit und Aufwand und damit Geld. Für solche Gelegenheiten wurde eigens ein Mini- Messestand entwickelt. Über 250 Mitarbeiter – Ganter ist in der Region Furtwangen ein wichtiger Arbeitgeber Die Firma Ganter setzt schon immer auf ein eigenes, natürliches Wachstum. Dokumentiert wird dieses Wachstum durch eine Reihe von Er- weiterungen am Standort in Furtwangen. Die alte Werkstatt des Gründers Otto Ganter muss- te bis 1950 genügen, in den Jahren 1951 bis 1958 wurde dann der heutige Verwaltungs-Alt- bau errichtet und 1958, 1972 und 1990 folgten jeweils weitere Produktionshallen und Verwal- 86 tungsebenen, um dem wachsenden Produktsor- timent gerecht zu werden. Daneben gibt es ein Zweigwerk in Rheinhausen bei Herbolzheim. Im Jahr 2000 und 2008 wurde ein hochmo- dernes, vollautomatisches Logistikzentrum fer- tiggestellt bzw. erweitert – ein entscheidender Schritt für die Serviceorientierung des Unter- nehmens. 2009 folgte dann ein neues Rohma- teriallager. Heute prägt die Firma Ganter mit ihren verschiedenen Bauten optisch das Quar- tier zwischen Triberger Straße und ehemaligem Krankenhaus im Furtwanger Norden. Parallel zu diesen Erweiterungen stieg die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kon- tinuierlich: Zählte das Unternehmen 1980 noch 70 Mitarbeiter, so waren es zehn Jahre später bereits 125 und 165 im Jahr 2000. Im Jahr 2010 waren 230 Personen bei Ganter beschäftigt und im Jahr 2011 über 250. Damit ist die Firma Ganter nicht nur ein wichtiges Furtwanger Tra- ditionsunternehmen, sondern auch ein großer Arbeitgeber in der Region. Mit einer einzigartigen Sortimentsbreite, einem durchgängigen Servicekonzept und dem Vorteil, „alles aus einer Hand“ anbieten zu kön- nen, sieht sich das Familienunternehmen für die Zukunft gut gerüstet. Matthias Winter
Normelemente aus Edelstahl gewinnen zunehmend an Bedeutung. Speziell in der Pharmaindustrie sind diese Produkte sehr gefragt. Ganter Griff 87
Aus dem Wirtschaftsleben Die Löwenbrauerei Bräunlingen setzt auf regionale Kreisläufe Das Bierbrauen liegt seit dem 18. Jahrhundert in der Tradition der Familie Kalb Regionale Wirtschaftskreisläufe führen zu einem regional erfolgreichen Produkt. Friedrich Kalb, Inhaber der Löwenbrauerei Bräunlingen, hat dieses Grundprinzip in den vergangenen Jahrzehnten zu sei- nem persönlichen Erfolgsrezept werden lassen. Der 61-Jährige ist nicht nur Mitglied der Vereinigung „Die Bierbrauer mit Leib und Seele“, der Baden-Württem- berg weit neun Privatbrauereien angehören, sondern lebt dies auch in seiner Unternehmensphilosophie. ergebe den unverwechselbaren Charakter und den besonderen Geschmack der Bier spezialitä- ten, erläutert Friedrich Kalb. Die Mehr weg- gebinde werden auf kurzen Transportwegen zu den Kunden gebracht – Pasteurisieren ist des- halb überflüssig. Friedrich Kalb: „Unsere Biere füllen wir konsequent in Mehrweg fla schen ab. Und weil wir auch nach der Abfüllung auf kon- servierende Maßnahmen verzichten, erhalten Sie unsere Bierspezialitäten eben nur ‚in der Nachbarschaft‘ – dafür aber immer brau frisch!“ Die Löwenbrauerei hat als die letzte verblie- bene Brauerei von ehemals fünf Braustätten Tra dition in Bräunlingen. Der langen Geschichte Qualität steht für den Brauer aus Leidenschaft an erster Stelle: Gerste, Hopfen und Malz als Ausgangsprodukte des Brauens werden nach strengen Kriterien eingekauft und zu Bier ver- edelt: Braugerste wird ausschließlich von Landwirten aus Bräunlingen bezogen, die ihre Fel der nach kontrollierten Richtlinien bewirt- schaften. Friedrich Kalb weiß, dass faire Preise die heimische Land wirtschaft unterstützen und gleichzeitig einen Beitrag zur Landschaftspflege leisten. Der Aroma hopfen stammt ausschließ- lich aus dem Anbaugebiet Tett nang. Klassische Gärung und kalte Lagerung be- stimmen die Produktion. Wärme und Druck als beschleunigende Maßnahmen beim Reifeprozess sind für Fried- rich Kalb ein Tabuthema. Min- destens 40 Tage reifen – dies ist für die Bräunlinger Biere der Lö- wenbrauerei das Höchste. Dies Von rechts: Eveline Kalb wird nach einem Brasilienaufenthalt in der Löwenbrauerei Bräunlingen mitar- beiten. Der heutige Geschäftsführer Friedrich Kalb übernahm den väter lichen Betrieb 1994 von Heinrich Kalb (1913 – 2006). 88 88
Löwenbrauerei Bräunlingen Das Sudhaus der Löwenbrauerei. der Löwenbrauerei fühlt sich Friedrich Kalb seit jeher verpflichtet. Millionen-Investitionen sollen den Fortbestand des Unternehmens sich ern: 1983 wurde eine neue Kellerei errichtet, 1991 mit dem Getränkemarktneubau ein weiterer Unterneh- mensbaustein gesetzt. 1998 investierte das Fa milienunternehmen in ein neu es Sudhaus und 2010 schließlich in eine moderne Fla sch en – abfüllerei. Und: Die Löwenbrauerei bleibt weiterhin in Familienhand: Tochter Eveline Kalb legte im Juni 2007 als Gesellin ihre Meisterprü- fung im Brauer- und Mälzerhandwerk ab. Dass ihr dieses Handwerk im Blut liegt, be- wies sie bereits zuvor als Bundessie gerin im Leistungswettbewerb des Deutschen Hand- werks. Wenn sie nach ihrem Aufenthalt in Brasilien in ihre Heimat zurückkehrt, wird sie in dem Bräunlinger Braubetrieb mitar- beiten – dann bereits als achte Generati- on im Familienun ternehmen. Das ist eine überaus stolze Firmentradition! Ein Bier bester Qualität: das „Keller-Pils“ der Bräunlinger Löwenbräu. Als Traditions-Brauer auch beim Altstadtfest sehr aktiv Friedrich Kalb ist als Bräunlinger Traditions- Brauer weit über seine berufliche Tätigkeit hi- naus für seine Heimatstadt aktiv – er ist ein verdienter Bürger, war lange Zeit Zunftmeister der Narrenzunft und hat sich im Rahmen seiner Leidenschaft fürs Bierbrauen u.a. auch für das 89
Aus dem Wirtschaftsleben Acht Biersorten – vom Keller-Pils bis zu „WEISSER- LEO“ reicht die Palette, ergänzt um ein Radler. Altstadtfest engagiert. Ganz im Stil der 1950er- Jahre wird dabei das Getreide mit alten Geräten geschnitten, gebunden und dann auf einem höl- zernen Leiterwagen gesammelt. Doch es bleibt nicht nur beim Ernten und Dreschen der heimischen Braugerste: Brau- ereichef Friedrich Kalb, einer der Partner der Ko- operation „Die Brauer mit Leib und Seele“, ver- arbeitet die dabei ge dro sch e ne Gerste zu Malz weiter und braut dann eine ganz besondere Bierspezialität, so besonders wie alle Biere der Löwenbrauerei: Neben den Erfolgsmarken Kel- lerpils und Meisterpils eroberten das Weizen- Auch eigene Limonaden, Fruchtsäfte oder Cola- Getränke hat die Löwenbrauerei im Sortiment. bier „WEISSER LEO“, das „Jahrgangsbier 23.04“, das an das Reinheitsgebot von 1516 erinnert, sowie das „Märzen“ neue Bierfreunde. Dafür sorgen neben Braumeister Karl Frey auch wei- tere sieben Mitarbeiter. Die Löwenbrauerei bietet aber nicht nur acht Biersorten, sondern auch alkoholfreie Ge- tränke wie Limonaden und Fruchtsäfte an. Da- runter den „Löwi“ Iso Sport, ein isotonisches Fruchtsaftgetränk oder klassische Orangen- und Zitronenlimonade. Von der Gastwirtschaft zur Brauerei Die Geschichte der Löwenbrauerei führt bis ins 18. Jahrhundert zurück, Hinweise auf die Exis- tenz einer Löwen-Wirtschaft sind bereits im 17. Jahrhundert vorhanden. Johannes Linsi ist als erster Wirt „Zum rothen Löwen“ verzeichnet. Erwähnt ist dieser im Juli 1728 in einem Bräun- 90
Löwenbrauerei Bräunlingen zogen wurde, musste die Brauerei ohne einen Braumeister auskommen. Der Bräunlinger war an die Westfront nach Frankreich abkomman- diert worden und verlor bei den Kampfhand- lungen den linken Arm. Nach seiner Heimkehr in die Zähringerstadt blieb Friedrich Greiner jedoch dem Brauhand- werk verbunden: Er erledigte sämtli che Arbei- ten so gut es eben ging mit der rechten Hand. Friedrich Greiner bestätigte 1932 die Eröffnung des Verbots des Ministers des Innern am Tag der Reichspräsidentenwahl (13. März 1932): Bis zum Eintritt der Polizeistunde durfte kein Branntwein ausgeschenkt und nicht mit Trink- branntwein Kleinhandel getrieben werden. 1935 ist die „Brauerei zum Löwen“ als Schank- wirtschaft mit Branntweinausschank aufge- führt. Die Konzession hierzu war am 28. Sep- tember 1921 erteilt worden. Das „Gasthaus zum Löwen“ mit Brauerei im Jahr 1934. Die Existenz einer Löwenwirtschaft lässt sich in Bräunlingen bereits für das 17. Jahrhundert nach- weisen. linger Ratsprotokoll: Joseph Dangeleysen hatte beim Stadtrat den Antrag gestellt, im eigenen Hause wirten und mit Wein handeln zu dürfen. Die erste urkundliche Erwähnung der „Bier- brauerei zum Löwen“ unter Leitung der Witwe Enderle stammt aus dem Jahr 1764. 1780 ist Fidel Enderle als Eigentümer des „Bräuwirts- haus samt der Brauerei“ erwähnt. Das „Gast- haus zum Löwen“ samt Brauereiwerkstatt war Fidel Enderle von seinem Stiefvater Anton Bau- mann abgetreten worden. Fidel Enderle ver- pflichtete sich daraufhin, seinem Stiefbruder Franz Joseph Baumann die Biersiederei beizu- bringen. 1798 plante Fidel Enderle einen Bier- kellerbau. Der Bau wurde ihm genehmigt, jedoch mit dem Vor- behalt, dass ihm dort jegliches Getränkeausschenken für immer untersagt bleibe. 1824 ist ein er- kauftes Bierbrauerei-Realrecht ver – merkt, das auf dem „Gasthaus zum Löwen“ ruhte. Das Großherzogliche Stabsamt (Verfügung vom 6. Au- gust 1835) anerkannte 1835 bei Re gulierung der Wirtschaften das „Gasthaus zum Löwen“ als Realwirt- schaft. Der Erste Weltkrieg (1914-1918) traf die Löwenbrauerei hart. Da Friedrich Greiner als Soldat einge- Braumeister Greiner – Großvater von Friedrich Kalb – mit seinen Enkelkindern Friedrich und Heinz Kalb beim Anstoßen. 91
Aus dem Wirtschaftsleben In den 1930er Jahren modernisierte die Wirtsfamilie den Betrieb: der Bau eines Sud- hauses stand an. Fertiggestellt war der Anbau 1939. Dorthin verlagert wurde auch die erste halbmanuelle Flaschenabfüllanlage der Braue- rei, die bis 1936 im ersten Stock des alten Ge- bäudes untergebracht gewesen war. Friedrich Greiner beantragte 1937 die Erlaubnis zur Be- nutzung einer Getränkeschankanlage beim Be- zirksamt Donaueschingen. 1965 fand eine mo- derne Flaschenabfüllerei ihren heutigen Stand- ort in einem großen Hallenkomplex neben der Gastwirtschaft. Zum Kriegsende, als überall große Not herrscht, ist die „Brauerei zum Löwen“ neben anderen Bräunlinger Gastwirtschaften und Schankwirtschaftsbetrieben angehalten, Ver- pflegung nach bisher herrschender Gewohn- heit auszugeben. Am Ende des II. Weltkrieges wurde das „Gasthaus zum Löwen“ von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und die „Brauerei zum Löwen“ auf den 1. November 1945 geschlossen. In der Gaststätte richteten sich Soldaten häuslich ein und die Wirtsfamilie hatte diese ein halbes Jahr lang mit den Tages- mahlzeiten zu versorgen. Die Brauerei musste geschlossen werden, weil es an den Grundmate- rialien zum Bierbrauen fehlte: Braumalz war kaum zu bekommen. Gegen Ende 1946 hatte sich das französische Militär allerdings aus al- len Bräunlinger Gastwirtschaften zurückgezo- gen. Die „Gastwirt schaft zum Löwen“ war be- reits im Juni 1946 nicht mehr belegt, denn sie taucht in einer entsprechenden Liste der Stadt- verwaltung nicht mehr auf. Ein besonderes Ereignis stellte für die Lö- wenbrauerei der Besuch des Badischen Staats- präsidenten Leo Wohleb dar. Leo Wohleb war am 28. März 1952 nach Bräunlingen gekom- men, um der Kommune die auf der Grundlage der Deutschen Gemeindeordnung 1935 (Zweiter Teil; „Benennung und Hoheitszeichen der Ge- meinden“, S.10) aberkannten Stadtrechte wie- der zu verleihen. Die damalige Gemeinde Bräunlingen hatte am 22. November 1951 einen entsprechenden Antrag an das Badische Minis- terium des Innern gestellt. Das Mittagessen nahm Leo Wohleb in Begleitung des Badischen 92 Friedrich Kalb setzt auf Tradition – und dies nicht nur beim Bierbrauen. Regionale Wirtschaftskreisläufe sind ein Kernstück seiner Unternehmensphilosophie. Hier zeigt er eine historische Löwenbrauerei-Flasche. Innenministers Alfred Schühly in der Brauerei- gaststätte ein, da diese als einzige Gastwirt- schaft Bräunlingens ein Wasserklosett aufwei- sen konnte. Hier die weitere Familienfolge: Ruth Greiner (1921 – 2001), die Tochter von Friedrich und Lui- se Greiner, heiratete 1948 Heinrich Kalb (1913 – 2006). Ein Jahr nach der Heirat führte Heinrich Kalb zusammen mit seinem Schwiegervater den Betrieb. Sohn Friedrich Kalb (*1951) über- nahm 1994 schließlich den Betrieb. Er heiratete 1980 Sigrid Wohlfahrt (*1952). „23.04“ – das Jahrgangsbier zum „Tag des deutschen Bieres“ Friedrich Kalb braut Bier mit Leib und Seele, hält immer wieder auch Vorträge zu dieser The- matik oder führt Interessierte durch seine Brauerei. Dabei erzählt er gerne auch „Bierge- schichte und Biergeschichten“. Dazu gehört, wie man in der Löwenbrauerei früher für die
Löwenbrauerei Bräunlingen Links im Bild einige Zutaten des Bierbrauers: dunkles und helles Gerstenmalz, Weizenmalz und Natur- hopfen. Rechts der Lagerkeller, in dem das „Bräunlin- ger Löwenbräu“ mindestens 40 Tage reift. Kühlung der Getränke sorgte: Während Groß- Brauereien mit Kältekompressoren arbeiteten, begnügten sich die kleinen lange Zeit mit den sogenannten „Eisgalgen“. Das im Winter abge- schlagene und eingelagerte Eis hielt im Eiskel- ler der Löwenbrauerei bis zum nächsten Winter. Bis 1962 betrieb die Löwenbrauerei selbst ei- nen solchen Eisgalgen. Friedrich Kalb: „Meist Maurer waren die Saisonarbeiter am Galgen, die mussten ihr schuldig gebliebenes Bier vom Sommer abarbeiten.“ Zur Öffentlichkeitsarbeit der Löwenbrau- erei, zur Leidenschaft Bier, gehört auch: „Bier- geschichte – Biergerichte“ zu erleben und zu genie ßen, so beispielsweise bei Produktprä- sentationen und Veranstaltungen zum „Tag des Deutschen Bieres“. „23.04“ – das Jahrgangs- bier ist wirklich eine ungewöhnliche Bierspezi- alität: seinen Namen trägt das Bier, weil es am 23. April, dem Tag des deutschen Bieres, einge- braut wird. Unter Aufsicht von 23 Bierpaten und stilecht mit einem zünftigen Bier- und Brauerei- fest. Dann bekommt das Bier Zeit zum Reifen. Genauer gesagt: sehr viel Zeit! 120 Tage entwi- ckelt diese Spezialität seinen Charakter und ei- nen kräftigen Geschmack. Das ist doppelt so lange wie bei klassisch handwerklich gebrau- ten Bieren und um ein Vielfaches länger als bei den so genannten Fernsehbieren, die schon nach kurzer Zeit in den Handel kommen, betont Friedrich Kalb. Das Jahrgangsbier reift und reift und reift. Und erst im September wird das erste Fass angestochen. Und das schmeckt man. Der „Tag des deutschen Bieres“ – das war beispielsweise 2010 ein Abend zusammen mit der Löwenbrauerei Bräunlingen und der Lamm- gesellschaft Bräunlingen e.V und dem Mon- tagsstammtisch aus Rottenburg. Was so ein Schmaus bei bester Unterhaltung durch die Lammgesellschaft bedeutet, zeigt ein Blick auf die Speisefolge: Ein Treberhäpple mit Ziegen- Kerbel-Aufstrich macht den Auftakt, als Zwi- schengang gibt es Salat-Bratkartoffeln auf Rau- kenest in Bier-Essig-Dressing und zum Haupt- gang serviert der Küchenchef geschmorte Rin- derhüfte auf Sellerierösti mit Weizenbier-Ap- felsößle. Und dazu wird natürlich ein Löwen- bräu aus Bräunlingen kredenzt. Es sind Brauer mit Herz und Seele eben, die solche Events auf den Weg bringen. Stefan Limberger-Andris/wd 93
Das imposante Firmengebäude der Ernst REINHARDT GmbH an der Güterbahnhofstr. 1 in VS-Villingen. Hier arbeiten mehr als 90 Beschäftigte. stärke des Unternehmens, das im Laufe seiner Historie bereits mehr als 50 Patente angemel- det hat. Das aktuellste Patent gilt beispielswei- se für eine Trommel-Beschichtungseinrichtung für schüttbare Gewindeteile. Hier wird gewähr- leistet, dass Schrauben mit Außen- und Innen- griff bei hohem Korrosionsschutz gleichmäßig beschichtet werden können. Die Beschichtung von Massenteilen verschaffe den Kunden einen immensen Wettbewerbsvorteil, der mit her- kömmlichen Verfahren nicht zu erzielen sei, wie die Geschäftsleitung erklärt. Nicht zuletzt dank solch innovativer Lösungen hat sich die Lebens- dauer eines Autos seit den 1970er-Jahren von gut elf, auf heute 17 Jahre erhöht. Der Einsatz von Beschichtungen im Bereich Korrosions- schutz macht’s möglich. Rechts: universell einsetzbarer Kammertrockner. Aufgrund ihrer Konstruktion und Ausführung sind REINHARDT Kammertrockner bzw. REINHARDT Kam- meröfen für die unterschiedlichsten Anwendungen wie Trocknung, Einbrennen von lackierten oder tränk- lackierten Teilen, Tempern von Kunststoffteilen, Vor- wärmung, Wärmebehandlungen wie Anlassen und etliche andere Verfahren geeignet. :: Die Ernst REINHARDT GmbH Gegründet im Jahre 1937, avancierte die Ernst REINHARDT GmbH vom Hersteller für Geflügelaufzuchtgeräte im Laufe der Jahr- zehnte zum international tätigen Unter- nehmen und Marktführer in den Bereichen Industrietrockner, Wärmebehandlungs-, Be- schichtungs- und Slush-Moulding-Anlagen. 90 Mitarbeiter sind an der Güterbahnhof- straße 1 in 78048 Villingen-Schwenningen (Stammsitz) beschäftigt. Die Kunden stammen aus den Schlüsselindustrien wie Automotive, Nutzfahrzeugbau, Luftfahrt und produzierendes Gewerbe allgemein. 95
Aus dem Wirtschaftsleben Tüftlergeist und großartige Visionen Eine gehörige Portion Tüftlergeist und große Visionen trieben den Techniker und Erfinder Ernst REINHARDT vor 75 Jahren bei der Gründung seines Unternehmens in Villingen im Schwarz- wald an: „Für den Farmer, für den Züchter, für den Landwirt“ wurde die Zielgruppe von dem Hersteller von Geflügelaufzuchtanlagen und Bienenzuchtgeräten einst definiert. Ein idylli- sches Landhaus mit großem Hühnergehege und einem „Freilandkükenheim“ aus dem Hause REINHARDT im Vordergrund; Tannen, ein Landwirt sowie die Münstertürme Villingens als Wahr- zeichen des Firmenstandortes im Hintergrund, zieren das farbige Aquarell-Deckblatt eines „Bestell-Kataloges“ der Ernst REINHARDT GmbH am Ende der 1940-er, Anfang der 50er-Jahre. Hahn und Küken als Logo der Firma, die schon 1947 als GmbH eingetragen wurde, bürgten für beste Qualitätsprodukte. Und dass die fachmännische Beratung seit jeher bei REINHARDT eine tragende Rolle spielt, spiegelt sich unter anderem in den gerade- zu liebevoll aufbereiteten Tipps der Kataloge wider. Eine farbige Fotodokumentation „Vom Ei zum Küken“ findet sich darin ebenso, wie Füt- terungsrezepte und wirkungsvolle Zusätze, so der „Gewürzte Futterkalk“ aus der Tierarznei- mittel-Abteilung des Unternehmens bis hin zu Anleitungen für Imker, die einen Bienenstand bauen oder erweitern wollen. „Weil Wärme wirkt“ Was war vor mehr als einem halben Jahrhundert der „Stolz jeder Hausfrau“? REINHARDT ’s Elek- trobügeleisen. Mit Hartholzgriff, einem Gewicht von rund drei Kilogramm und einem Preis von 13,20 DM ein echter Renner aus der Elektrogerä- teabteilung. Seit eh und je hatte sich REINHARDT mit seinem Angebot breitgefächert aufgestellt und irgendwie drehte sich schon damals alles um den neuen Firmenslogan aus dem Jahre 2011: „Weil Wärme wirkt“. Was heute für spannende Produktionspro- zesse in der Industrie gilt, hatte damals bereits seine Gültigkeit, und zwar von der elektrischen 96 Farbiges Deckblatt eines REINHARDT-Kataloges aus den 1940er-/1950er-Jahren. Unten: Elektrogeräte von REINHARDT, das Bügeleisen war drei Kilogramm schwer und kostete 13,20 DM. Ofen?!
Ernst REINHARDT GmbH Doppelkochplatte bis hin zum kleinen elektrischen Zimmerofen. Die Kernkompetenzen lagen je- doch bis 1952 eindeutig im Geräte- und Anlagenbau rund um die Ge- flügelaufzucht und der war in aller Welt gefragt: Ob eine „Elektro- Schirmglucke mit Kontrolllampe für eine gesunde Kükenaufzucht“, die eine Bodenfläche beheizte und in drei unterschiedlichen Wattstär- ken erhältlich war, die „zuverläs- sige Elektro-Bruthenne“ oder aber das „praktische und schöne REIN- HARDT-Freiland-Kükenheim“, das seinen „Bewohnern“ Wärme, Son- ne, Licht und Luft versprach – alle Produkte wur den bis ins Detail ausgetüftelt und stets ver- bessert. So gab es in den 1950er-Jahren beispiels- weise den „Original Bismarck Motor-Allesbrü- ter“, der laut eingeholten Gutachten mit noch weniger Arbeit höhere Schlupfergebnisse erzie- len konnte und mit gleich drei verschiedenen Bundespatenten ausgestattet war. Diese Anla- ge, die einen Schlupf- und Vorbrüter beinhal- tete und obendrein über eine vollautomatische Eier-Wendevorrichtung verfügte (bis zu 24 Mal täglich!), eignete sich für Hühner-, Enten- und Gänseeier und kostete bei einer Gesamtkapa- zität von mehr als 7.200 Eiern rund 5.600 DM. Eine beeindruckende technische Neuerung, die schon damals von Konstruktionsweitsicht, In- novation, Know-how und Detailakribie zeugte. Stärken, über die sich das Unternehmen REIN- HARDT übrigens bis heute definieren lässt. Ak- kuratesse bei jeglicher, individueller Kunden- anforderung stand und steht nach wie vor im Mittelpunkt des Handels. Gelungener Generationenwechsel Das Unternehmen Ernst REINHARDT GmbH in den 1980er-Jahren. ternehmens schon an der Qualität der Geschäfts- ausstattung, wie hochwertigen, geprägten Brief- bögen beispielsweise, ablesen ließen. Und bei REINHARDT war obendrein das einstige Logo aus Hahn und Küken dem Schriftzug „Spezial- fabrik für luft- und wärmetechnische Anlagen“ ge wichen. Schon Familienoberhaupt Ernst hatte nämlich die Zeichen der Zeit erkannt und die Umstellung der Produktion auf Industrieöfen und Farbspritzanlagen eingeläutet. Eine wegweisende Entscheidung, wie sich schnell herausstellen sollte: Weiter auf Erfolgs- kurs wurde 1964 die erste Rotationsgussma- schine konstruiert und gefertigt. Hiermit konn- ten Armstützen für Autos produziert werden. Nicht nur die Maschinen nahmen immer größe- re Ausmaße mit immer noch hochwertigerer Technik an, sondern auch die Produktions- fläche wurde Zug um Zug erweitert. Galt einst auf den REINHARDT-Broschüren der Zusatz „mit Gleisan schluss“ noch als besonders erwäh- nenswert, nahm im Laufe der Jahrzehnte die Globalisierung wie selbstverständlich ihren Lauf – Vertretungen in Europa und Kooperati- onen in Indien beispielsweise, zeugen heute von der Weltoffenheit und Bedeutung des Un- ternehmens. Nach einem Vierteljahrhundert erfolgreicher Fir- menhistorie folgte ein gelungener Generatio- nenwechsel im Hause REINHARDT: Sohn Eugen Reinhardt übernahm 1962 die Geschäftsfüh- rung und lenkte fortan die Geschicke. Es war die Zeit, als sich der Rang und Namen eines Un- Neue Möglichkeiten in den 1980er-Jahren Der Anlagenbau für den Bereich Automotive wurde immer bedeutender. Der Blick in das Cockpit eines Autos offenbart weshalb, denn 97
Aus dem Wirtschaftsleben Vom „Allesbrüter“ zum Weltmarkt- führer für wärme technische Lösungen Ernst REINHARDT GmbH feiert 75-jähriges Bestehen – Innovativ und konstruktionsstark Vor 75 Jahren wurde die Golden Gate Bridge bei San Francisco fertiggestellt, Charlie Chaplins Film „Mo – derne Zeiten“ wurde zum echten Kassenschlager und in Villingen im Schwarzwald wurde im selben Jahr der Grundstein für eine kleine „industrielle Revolution“ gelegt: Ernst REINHARDT grün – dete ein Unternehmen für den Bau von Geflügelaufzuchtgeräten mit erfolgreichem Vertrieb im In- und Ausland. Heute nimmt das mittelständische Unternehmen REIN- HARDT als Hersteller von Industrieöfen und Trocknern eine führende Rolle am Welt- markt ein. Was war, was bleibt, was kommt – ein Blick auf eine ebenso bewegte wie bewegende 75-jährige Firmenerfolgsgeschichte mitten in Villingen-Schwenningen. Beinahe jeder in der Doppelstadt kennt zwar das imposante, weil besonders hohe Firmen- gebäude an der Güterbahnhofstraße 1 in Vil- lingen, aber längst nicht alle wissen, was da- hinter steckt: Auf einer Fläche von gut 6.000 Quadratmetern konstruieren und produzieren mehr als 90 Mitarbeiter Maschinen und An- lagen, die an die wichtigsten Industriezweige weltweit geliefert werden. Industrieöfen, Trockner, Wärmebehandlungs-, Beschichtungs- und Slush-Moulding-An lagen – kurzum, Komplettlösungen für eine moderne und effiziente Produktion sind das Metier des Wärmespezialisten, der damals wie heute auf Individualität und Nähe zum Anwender setzt. Und genau daraus entspringt die Innovations- Slush-Moulding-Anlage von REINHARDT, mit der Form – häute für das Innere von Automobilen produziert werden. Das Unternehmen aus VS-Villingen bietet Komplett lösungen für eine effiziente Produktion. 94 Bildtext
Aus dem Wirtschaftsleben wahrschl. Wärmebeh. Rotationsformanlagen von REINHARDT garantieren bei kurzen Vorlaufzeiten geringe Kosten beim Werk- zeugbau und eine hohe Ausbringung. dort findet sich Polyvinylchlorid, besser be- kannt als PVC, soweit das Auge reicht. Sage und schreibe 16 Kilogramm davon befinden sich durchschnittlich in jedem Wagen. Slush- Moulding heißt das Verfahren zur Herstellung passgenauer, gesinterter Formhäute, die im Fahrzeuginnenraum quasi überall vorkom- men. Instrumententafeln, Handschuhkasten, Türverkleidungen – im Jahre 1985 wurde von REINHARDT die erste Slush-Moulding-Anlage gefertigt. Die überaus strapazierfähigen Slush-Häute passen sich millimetergenau an die jeweilige Oberfläche und Zwischenräume an. Für die Herstellung wird eine dreidimensionale Galva- noform in einem Vorwärmeofen auf eine Tem- peratur von rund 250 Grad Celsius aufgeheizt – dann mit einem PVC-Pulverkasten gekop- pelt. Das Pulver verteilt sich durch Drehungen gleichmäßig in der Form, schmilzt und bleibt schließlich an der heißen Innenform haften. Es folgt das Nachgelieren der pulverbehafteten Form in einem Ofen. Die schonende Abkühlung mittels Luft in einer Kühlzone schont die Form und sichert beste Slush-Haut Ergebnisse. Ein- fach imposant: Auch die schwerste Anlage, die aus Villingen stammt, ist eine Slush-Moulding mit einem Gesamtgewicht von 220 Tonnen, ei- ner Länge von 50 und einer Breite von elf Me- tern. Geordert von einem namhaften Autoher- steller in Niedersachsen. Es klingt so nah und ist doch schon wieder länger als 20 Jahre her: 1989 wurde die erste Beschichtungsanlage nach Dänemark geliefert und einige Mitarbeiter aus dem REINHARDT-Team können sich daran erinnern, als sei es gerade gestern gewesen. Denn ein Teil der Belegschaft und der Geschäftsführung ist seit Jahrzehnten bei REINHARDT beschäftigt – die betriebsältes- ten Mitarbeiter gehören seit mehr als 40 Jahren zum Team. Um für die Zukunft bestens aufge- stellt zu sein, sind selbstredend auch junge Leute in dem Ausbildungsbetrieb gefragt. Die Berufe Industriekaufmann, Elektroniker und Konstruktionsmechaniker können bei REINHARDT fundiert erlernt werden. 98
Millenniums-Coup gelandet: Rotationsform- anlage zur Herstellung von Segelbooten Kaum war das neue Jahrtausend angebrochen, landete REINHARDT einen wahren Millenniums- Coup: 2001 konnte nämlich eine der größten Rotationsformanlagen zur Herstellung von Se- gelbooten realisiert werden. Ganz gleich ob An- lagen- oder Fahrzeugbau, Freizeitindustrie oder Agrarwirtschaft – nahezu alle Branchen nutzen das Rotationsformverfahren, weil die Kosten des Werkzeugbaus gering, die Vorlaufzeiten kurz und die Ausbringungen hoch sind. Und ge- nau diese Vorteile wurden von den findigen Köpfen der zertifizierten Firma REINHARDT früh erkannt und sichern bis heute eine stabile, in- ternationale Marktposition. Viele Sport- und Spielgeräte, Gartenmöbel, Behälter wie wasserdichte Boxen und Tanks, Boote, ja sogar mobile Toilettenhäuschen, wie sie jeder kennt, werden im Rotationsformver- fahren hergestellt. Wie das in der Praxis aus- sieht? Ein oder mehrere Werkzeuge werden auf einen Formträger der Rotationsformanlage angebracht und mit Kunststoffpulver befüllt. Unter gleichzeitiger, biaxialer und langsamer Rotation werden die Werkzeugoberfläche und das Pulver aufgeheizt. Das schmelzende Pul- ver haftet an den Werkzeuginnenwänden und bildet aufgrund der kontinuierlichen Rotati- onsbewegungen eine gleichmäßige Kunststoff- schicht. Nach vollständiger Aufschmelzung des Pulvers, wird der Formträger unter andauernder Rotation in eine Kühlkammer gefahren. Ernst REINHARDT GmbH Durchlaufofen der Firma REINHARDT zum Anlassen von Metallteilen. Die mittels Luft folgende Kühlphase des Werkzeugs dauert so lange an, bis der Kunst- stoff kristallisiert ist. Erst dann stoppt die Rota- tion und die nahtlos geformten Kunststoffteile können entnommen werden. REINHARDT kon- struiert und entwickelt multifunktionale, auto- matisierte und platzsparende Rotationsform- anlagen, immer individuell auf Kundenwunsch ausgerichtet. Wärmebehandlungsanlage der Firma REINHARDT für Aluminiumgussteile. 99
Ernst REINHARDT GmbH Von links: Die beiden aktuellen Geschäftsführer Klaus Storz und Martin Sackmann, gemeinsam mit dem Beirats- vorsitzenden Eugen Reinhardt. Foto rechts: Stefan Reinhardt, Produktmanager Wärmebehandlungsanlagen. Was bleibt: Qualitätsprodukte und ein herausragender Service Neben Slush-Moulding-, Rotationsform-, Wär- mebehandlungs- und Beschichtungsanlagen baut REINHARDT sozusagen „Öfen fürs Leben“ – und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die bewährte, robuste Konstruktion der Anlagen ist sämtlichen Herausforderungen der Industrie gewachsen. Der Temperaturbereich von 80 bis rund 600 Grad Celsius deckt nahezu alle Anwendungen der verschiedenen Branchen ab. Wahlweise können die Trockner mit ver- schiedenen Beheizungsarten – elektrisch, gas- oder ölbeheizt, mit Warmwasser oder mittels Dampf – ausgeführt werden. Die internationale Vertriebsorganisation und der herausragende Service garantieren den Kunden schnelle Reak- tionszeiten. 75 Jahre: Die Zukunft hat bereits begonnen Das Tüfteln und Erfinden liegt bei Familie Rein- hardt offenkundig in den Genen und somit bei den Nachkommen gleich mit in der Wiege. Da verwundert es wenig, dass Eugen Reinhardt als Beiratsvorsitzender bis heute in dem re- nommierten Unternehmen tätig ist und dessen Sohn Stefan ebenfalls in die Fußstapfen des Großvaters und Vaters trat. Mit den beiden Geschäftsführern Klaus Storz und Martin Sack- mann, sowie einer 90-köpfigen Belegschaft am Stammsitz in Villingen-Schwenningen und weiteren zahlreichen Mitarbeitern weltweit, ist das innovative Traditionsunternehmen bestens aufgestellt für die Zukunft. Und die lässt sich bei REINHARDT längst nicht nur an schnöden Zahlen messen. Denn die Ernst REINHARDT GmbH zeigt Flagge, setzt sich ein, macht sich stark und engagiert sich – und zwar nicht nur für Kunden und Mitarbeiter, son- dern auch in besonderem Maße für soziale Pro- jekte. Es wird bewusst Verantwortung übernom- men. Beispielsweise unterstützt REINHARDT seit Jahren das Projekt „United Way of Baroda“, das sich um Bildung für Kinder sowie Arbeits- plätze für Frauen in Indien kümmert. Auch regi- onal hilft REINHARDT: Neben der Kinderkrebs- nachsorgeklinik in Freiburg etwa, wird aktuell ganz konkret der Bau des Palliativzentrums in Villingen-Schwenningen aktiv unterstützt. Das Erfolgsrezept der 75-jährigen Firmen- geschichte lässt sich so zusammenfassen: Mitgebracht werden Fleiß, Ehrgeiz, Know-how und Können sowie jahrzehntelange Erfahrung. Eingesetzt werden diese Erfolgsfaktoren in ei- ner gesunden Balance aus Fortschritt und Wirt- schaftlichkeit. Denn auch und gerade im gro ßen Jubiläumsjahr wissen bei der Ernst REINHARDT GmbH alle: Die Zukunft hat bereits begonnen. Marion Peters 100
Die Bewegung der Patienten als Antrieb Aus dem Wirtschaftsleben ARTICO-Sportklinik in Villingen-Schwenningen: Die Gelenkspezialisten Mit der ARTICO-Sportklinik in Villingen-Schwenningen hat der Orthopäde Dr. Gernot Felmet eine medizinische Einrichtung geschaffen, die insbesondere durch die Ent- wicklung des so genannten All-Press-Fit- Verfahrens in der Kreuzband-Chirurgie weitreichende Beachtung findet. Das von der Klinik veranstaltete Internationale Gelenksymposium führt Wissenschaftler und Mediziner jährlich in Villingen-Schwenningen zusammen, um die neuesten Ent- wicklungen in der Gelenkchirurgie auszutauschen. „Ihre Bewegung ist unser Antrieb“ Bewegung ist nicht alles im Leben – aber oh- ne Bewegung ist alles nichts. Diese Erkennt- nis ver anlasste den Orthopäden und Chirurg Dr. Gernot Felmet, mit der ARTICO-Sportklinik in Villingen-Schwenningen eine Einrichtung in der Region zu schaffen, in der sich alles um die persönliche Mobilität des Menschen dreht. „Ihre Bewegung ist unser Antrieb“, lautet das Motto der Gelenkspezialisten. Ganz besonde- re Expertise besitzt die ARTICO-Sportklinik in der Behandlung von Kreuzbandrissen im Knie. Das so genannte All-Press-Fit-Verfahren für die fremdimplantatfreie Kreuzbandplastik wurde in der Klinik entwickelt und perfektioniert (siehe Info-Kasten). Zu einer international renommierten Veran- staltung hat sich das Internationale Gelenksym- posium entwickelt, das von der ARTICO-Sport- klinik jährlich veranstaltet wird. Für jeweils zwei Tage treffen sich Mediziner aus dem In- und Ausland in der Zentrale der Schwenninger BKK in Villingen-Schwenningen, um die neues- ten Entwicklungen arthroskopischer Chirurgie zu diskutieren. „Das ist ein wirklich hochstehendes Pro- gramm als Grundlage internationaler Begegnung und wissenschaftlichen Austausches“ lobte etwa der Ehrengast des Symposiums 2010, Prof. Dr. Ejnar Eriksson (Schweden), Wegbereiter der ar- throskopischen Chirurgie und einst Präsident des Dr. Gernot Felmet Weltverbandes der Sportmedizin. Das Sympo- sium steht seit Beginn unter der wissenschaft- lichen Leitung von Dr. Gernot Felmet zusammen mit Prof. Dr. Matthias Steinwachs (Zürich) und Priv.Doz. Dr. Friedrich Thielemann vom Klini- kum Schwarzwald-Baar. „Bei der Auswahl der Themen ist es uns immer wichtig, die alltägli- chen Fragen in der Tätigkeit als Orthopäde 101
Aus dem Wirtschaftsleben Die ARTICO-Sportklinik in VS-Schwenningen. und Unfallchirurg, als Chirurg, Sportarzt und Physiotherapeut zu berücksichtigen,“ erläutert Dr. Felmet. Dr. Gernot Felmet ist ein in- ternational anerkannter Spezi- alist für Gelenkchirurgie. Nach dem Studium der Humanme- dizin in Marburg und der weite- ren Ausbildung in Gießen, Bern, Münster und Bad Mergentheim ließ er sich 1990 in Villingen- Schwenningen als Orthopäde nieder. Schon wäh rend der assistenz ärztlichen Phase erlangte Dr. Fel met 1987 zwei Patente in der Hüftendo- prothetik. Seitdem ist er beratend in der Indus- trie tätig, wobei sowohl die Weiterentwicklung des prothetischen Implantationsmaterials als auch die Verbesserung bzw. Neuentwicklung von Chirurgiegeräten Schwerpunkte seiner Tä- tigkeit sind. Wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen widmen sich unter anderem den Bereichen Osteologie, Arthroskopie sowie der Qualitätsanalyse von Rehabilitationsverfah- ren in der Orthopädie. Sein Wissen und seine Erfahrung gibt Dr. Fel met als gefragter Referent gerne an den medizinischen Nachwuchs weiter. Er besitzt die Ermächtigung zur Weiterbildung im Fach Or- thopädie für zwei Jahre und ist Instrukteur der Arbeitsgemeinschaft für Arthroskopie (AGA). Vortragsreisen, zum Beispiel zur Erläuterung und Demonstration der von ihm entwickelten fremdimplantatfreien Kreuzbandplastik im „All- Press-Fit-Verfahren“, führen ihn in zahlreiche europäische Länder und nach Übersee. Intensiver Austausch mit zahlreichen Universitätskliniken Intensiv gepflegt wird zum Beispiel der wissen- schaftliche Austausch mit zahlreichen Univer- sitätskliniken, so in Kairo, Moskau oder War- 102 schau. Hinzu kommen zahlreiche Vorträge und Lehroperationen bei Treffen international füh- render Orthopäden. In Kairo befindet sich ein Ausbildungszentrum für die All-Press-Fit-Tech- nik, in dem Mediziner aus dem gesamten Na- hen Osten sowie Nordafrika in dieser Technik geschult werden. Zwischen den drei staatlichen Universitäten in Kairo und der ARTICO-Sportkli- nik wurde 2009 eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. Das ist das Ergebnis einer Vortragsreise, zu der Dr. Gernot Felmet in Ägypten weilte. Anfang Mai 2009 war Felmet Ehrengast der drei wich- tigsten staatlichen Universitäten in Kairo. Die führenden Professoren der Fakultäten wurden über die Operationstechnik All-Press-Fit in der Kreuzbandchirurgie im Rahmen einer Vorlesung in der Ain Shanmps-Universität mit zahlreichen Kollegen aus dem gesamten Land informiert. Es folgte eine Liveübertragung einer Kreuzband- operation aus dem Operationssaal für alle Teil- nehmer. Zuvor hatten sich Delegationen aus Ägypten in Villingen-Schwenningen über die innovative Methode informiert und sich von der Entwick- lung beeindruckt gezeigt. Erste Operationen sind von Prof. Dr. Singery, der ebenfalls in der ARTICO-Klinik hospitierte, bereits mit großem Erfolg durchgeführt. „Diese Methode wird sich in Ägypten und dem gesamten mittleren Osten als Standard durchsetzen,“ sagte Singery in seiner Vorlesung während der Jahrestagung der
Ägyptischen Gesellschaft für arthroskopische Chirurgie in Alexandria, zu der Felmet eben- falls als Ehrengast geladen war. Über den be- reits etablierten wissenschaftlichen Austausch hinaus wurde in Kairo vereinbart, die Zusam- menarbeit zu intensivieren und Doktoranden der Universität Kairo zu Gastaufenthalten nach Villingen-Schwenningen zu delegieren. Hochrangiger Besuch aus Ägypten 2010 besuchte eine weitere hochrangige Dele- gation aus Ägypten die ARTICO-Sportklinik, um sich über die neuesten Entwicklungen in der Kreuzband-Chirurgie zu informieren. Landrat Karl Heim hieß die Mediziner bei einem Emp- fang willkommen. „Ich bin begeistert, dass solche Kapazitäten wie Sie in den Schwarz- wald-Baar-Kreis kommen,“ begrüßte Heim die Mediziner. Prof. Dr. Abdel Aziz El Singery, Prof. Dr. Ezzat Kamel und Prof. Dr. Adel Hamed, die den orthopädischen Fakultäten der jeweiligen Universitäten vorstehen, sowie Dr. Mohamed Abdel Sattar, der für ein Medizintechnikunter- nehmen arbeitet, nutzen die Möglichkeit, live bei Operationen dabei zu sein. Der intensive wissenschaftliche Dialog be- eindruckte den Landrat, zumal die ARTICO-Sport- klinik nicht nur mit den Universitäten in Kairo enge Zusammenarbeit pflegt, sondern auch die Zusammenarbeit etwa mit führenden russi- schen Medizinern pflegt. „Wir sind ein Gesund- heits-Landkreis, und mit dem Neubau des Kli- nikums bauen wir diese Position aus. Daneben freuen wir uns, leistungsfähige Privateinrich- tungen wie die ARTICO-Sportklinik zu besit- zen“, so Heim. Enge wissenschaftliche Kontakte bestehen auch zu polnischen Universitätskliniken. So wurde Dr. Felmet eine besondere Ehre zuteil: Aus Anlass des 4. Gelenksymposiums besuchte Was- silij N. Smirnov (links), Generalkonsul Russlands in Deutschland, die ARTICO-Sportklinik in VS-Villingen. Begrüßt wurde er von Landrat Karl Heim (Mitte) und Dr. Gernot Felmet (rechts). ARTICO-Sportklinik Als erster Deutscher erhielt er die Ehrenmit- gliedschaft der Polnischen Gesellschaft für arthroskopische Chirurgie. Die Auszeichnung wurde dem Schwenninger Mediziner während einer Jahrestagung der Gesellschaft in War- schau vom Vorsitzenden Prof. Dr. Jaroslaw De- szczynski übertragen. Felmet hatte in Warschau den Eröffnungsvortrag zum Thema fremdma- terialfreier Kreuzbandersatz gehalten. In der Universitätsklinik Warschau wird die All-Press- Fit-Methode praktiziert. Der Kontakt zu den pol- nischen Kollegen kam über das internationale Gelenksymposium in Villingen-Schwenningen zustande, bei dem Mediziner aus Polen regel- mäßig zu Gast sind. Weitere hochmoderne Verfahren stehen zur Verfügung Dieser intensive wissenschaftliche Austausch führt dazu, dass die ARTICO-Sportklinik auch andere, hochmoderne Verfahren wie zum Bei- spiel die Knorpelregeneration AMIC anbietet. Das Kürzel steht für „autologe matrixinduzierte Chondrogenese“. Das bedeutet übersetzt so viel wie: die Neubildung von Knorpelgewebe aus körpereigenen Zellen unter einem Kolla- genschwamm (Matrix). Entwickelt wurde das Verfahren in Zusammenarbeit mehrerer Univer- sitätskliniken, und nach ausgesprochen ermu- tigenden Ergebnissen an mehreren Hundert Pa- tienten brachte die ARTICO-Sportklinik das in- novative Verfahren in die Region Schwarzwald. Ein weiterer Schwerpunkt der Gelenkspe- zialisten an der ARTICO-Sportklinik liegt auf 103
ARTICO-Sportklinik dem Erhalt des Meniskus im Knie. Entgegen lang verbreiteter Ansicht kommt dem Meniskus als Puffer und Vergrößerung der Auflagefläche zwischen Ober- und Unterschenkel eine hohe Bedeutung in der Gesamtfunktion des Knie- gelenks zu. Dr. Gernot Felmet warnt deshalb da- vor, den Meniskus bei Verletzungen vorschnell zu entfernen. Vielmehr sei in vielen Fällen eine Meniskusnaht und damit der Erhalt des Menis- kus angezeigt. Schnelle Rehabilitation dank Fast Fit Training Neben der konservativen und operativen Ver- sorgung bildet die Rehabilitation und das Auf- bautraining einen Schwerpunkt in der ARTICO- Sportklinik. Aus diesem Grund wurde das Fast fit Training entwickelt. Dabei handelt es sich um eine hoch potente Trainingsform, die bei wenig Zeitaufwand besonders effizientes Trai- ning mit schnellen Fortschritten bei Fitness und Kraftzuwachs ermöglicht. Fast Fit basiert auf dem propriozeptiven Vibrationstraining in Verbindung mit dem Ganzkörper-Elektrosti- mulationstraining. Dies sind zwei innovative Methoden, die den aktuellen Stand der Sport- wissenschaft widerspiegeln und bislang vor allem im Höchstleistungssport aufgrund ihrer positiven Effekte Anwendung finden. Mit dem Fast Fit Training nach Dr. Felmet stehen diese modernen Trainingsarten nun jedermann zur Verfügung. Das Fast Fit Training verschafft nicht nur bei der Rehabilitation entscheidende Vorteile. Leistungssportler können mit individuellen Pro- grammen einen neuen Level ihrer Leistungs- fähigkeit erreichen. Und auch für alle, die sich einfach nur fit, straff und gesund halten wollen, stellt das Fast Fit Training die ideale Alternative dar: weniger Zeitaufwand, weniger Quälerei, mehr Fitness, mehr Gesundheit. Eine wissen- schaftliche Studie mit Beschäftigten der BKK Schwenningen hat dies gezeigt. Der Bauchumfang hatte sich reduziert, die Bauchmuskulatur gefestigt und zum Teil bes- ser definiert. Dadurch wurde allgemein eine bessere Körperhaltung erreicht. Circa 50 % aller Trainierenden gaben an, dass sich Rü- ckenschmerzen weitestgehend zurückgebildet haben oder gar nicht mehr aufgetreten sind. Auch Beschwerden an der Halswirbelsäule und den Kniegelenken bildeten sich im Trainings- verlauf weitestgehend zurück. Alle Teilnehmer verspürten durch das Training ein besseres all- gemeines Wohlbefinden und ein angenehmes Körpergefühl. Müdigkeit, Schlappheit und Ab- gespanntheit wurden abgebaut, sie fühlten sich leistungsfähiger, zufrieden und körperlich fit. Stefan Preuß Das Fast Fit Training ver- schafft nicht nur bei der Re- habilitation entscheidende Vorteile. Leistungssportler können mit individuellen Programmen einen neuen Level ihrer Leistungsfä- higkeit erreichen. Fast alle Teilnehmer stellten schon nach ca. vier Wochen eine deutliche Verbesserung der gesamten Rumpfmus – ku latur fest. XXX 104
Die Bezeichnung All-Press-Fit steht für ana- tomisch korrekte Kreuzbandplastiken ohne Fremdimplantate. Dieses von Dr. Gernot Felmet an der ARTICO-Sportklinik entwickelte Verfah- ren bietet eine Reihe von Vorteilen. Bei Verlust des vorderen Kreuzbandes entsteht eine insta- bile Führung des Kniegelenks. Daraus resultie- ren Unsicherheit und Schlingerbewegungen, für deren Belastung der Knorpel nicht geschaf- fen ist. Innen- und Außenmeniskus sind gefähr- det und können abreißen oder gequetscht wer- den. Zur Vermeidung dieser Selbstzerstörung des Gelenkes reicht die Muskelkraft mittel- bis langfristig nicht aus. Deshalb ist der vordere Kreuzbandersatz notwendig. Üblicherweise werden zum Kreuzbander- satz eigene Sehnen wie die Patellarsehne oder Semitendinosus- und Grazilissehne verwendet. Diese werden in die Implantationskanäle einge- zogen und mit Schrauben oder Krampen befes- tigt. Kommt es zu einer erneuten Zerreißung des Kreuzbandersatzes, müssen diese Fremd- materialien entfernt werden. Das verursacht meist größere Knochendefekte. Häufig sind Knochentransplantationen notwendig, um ei- nen erneuten Kreuzbandersatz zu ermöglichen. Zur Beseitigung dieser Probleme wurde in der ARTICO-Sportklinik eine fremdmaterialfreie Operationstechnik von Dr. Felmet entwickelt. Mit Knochendübeln, die aus den Implantations- kanälen stammen oder wie bei der Patellarsehne direkt an der Sehne anhängen, wird die körpereigene Sehne in die Implantationskanäle eingepresst. Das funktioniert wie ein Korkstopfen auf der Flasche oder wie Holzdübel. Das Verfahren wur- de durch eine gelenknahe Fixierung perfektioniert, so dass eine korrekte anatomische Rekonstruktion erfolgt. Die Nachbehandlung wird ebenfalls erheblich beschleunigt, da nach drei- einhalb bis vier Wochen das neue Kreuzband mit den Knochendübeln in die Knochenstrukturen fest einge- heilt ist. Die Operation wird ambulant oder auch unter stationären Bedin- gungen, in jedem Fall aber minimal- ARTICO-Sportklinik in Villingen-Schwenningen invasiv durchgeführt. Von außen sieht man lediglich die zwei kleinen Hautschnitte der Arthroskopie und einen etwa zwei Zentimeter langen Hautschnitt am inneren Schienbein- kopf, über den das Sehnenpaar (bei Hamstring) gewonnen und in das Gelenk eingezogen wird. Fremdmaterialfreie Operationstechnik All-Press-Fit-Verfahren von Dr. Gernot Felmet Mit Knochenzylindern, die mit Hohlfräsen beim Anlegen der Implantationskanäle gewonnen werden (kein Materialverlust wie beim Bohren) wird das Sehnentransplantat Press-Fit gelenk- nah verankert und ist in 3-4 Wochen fest ein- gewachsen. Der verbleibende Kanal wird eben- falls mit Restknochen aufgefüllt. Sportfähigkeit ist nach drei bis sechs Mona- ten, abhängig von dem persönlichen Trainings- zustand, möglich. Arbeitsfähigkeit ist durch- schnittlich bei leichter körperlicher Belastung nach drei bis vier Wochen erreicht. Ein weiterer Vorteil besteht neben der rein biologischen Operation darin, dass bei einem erneuten Riss in gleicher Technik ohne wesentlichen Kompro- miss das Kreuzband erneut ersetzt werden kann. 105
6. Kapitel Soziales Modernes und freundliches Zuhause Das Furtwanger Altenheim St. Cyriak liegt mitten in der Stadt „Wohnen und Pflege im Herzen der Stadt“ lautet das Motto des Alten- heims St. Cyriak. Das am Furtwanger Kirchberg, oberhalb der ebenfalls dem heiligen St. Cyriak geweihten katho- lischen Stadtkirche gelegene Gebäude bietet seit seiner im Jahr 2009 abge- schlossenen Generalsanierung und Erweiterung 98 Senioren oder Pflegebedürf- tigen ein neues Zuhause. Für einen Verbleib an diesem Ort und damit für eine Sanierung des Bestandes haben sich die Verantwortlichen des Caritas-Altenheim- Vereins e.V. ganz bewusst entschieden – trotz vieler Probleme bei der Sanierung. Dass etwas unternommen werden musste, war seit längerer Zeit klar: Der alte, im Jahr 1977 bezogene Bau verfügte vorwiegend über Mehrbettzimmer. Das war nicht mehr zeitgemäß und entsprach nicht mehr dem Wunsch der Bewohner und ihrer An- gehörigen. Hinzu kam aber, dass das 30 Jahre alte Ge- bäude auch als solches dringend sanierungsbe- dürftig war. Da hieß es, viel Geld in die Hand zu nehmen – sehr viel Geld: 10,054 Millionen Euro kostete am Ende die Sanierung und Erweiterung des Gebäudes. Dafür weist St. Cyriak heute den Standard eines Neubaus auf: Überwiegend Einzelzimmer mit Nasszelle sind entstanden; bewusst belassen wurden neun Doppelzimmer beispielsweise für Ehepaare oder Senioren, die nicht alleine in einem Zimmer leben wollen. Die Entscheidung, am angestammten Ort „im Herzen der Stadt“ zu bleiben, bietet den Senioren mit Ost-Zimmern einen tollen Blick auf die Uhrenstadt und somit ein Stück Verbunden- Hoch über der Stadt und doch ganz nah dabei: Das generalsanierte und erweiterte Altenheim St. Cy riak bietet 98 Senioren oder Pflegebedürftigen ein modernes Zuhause.
Eine interessante Facette des „Betreuten Wohnens“ sind die Appartements und Wohnungen. heit mit der Heimat. Aber auch für einen klei- nen Ausflug in die Innenstadt ist die Lage ideal, der Aufzug bringt die Bewohner im Nu auf das Straßenniveau und damit mitten in die belebte Innenstadt. Doch auch umgekehrt funktioniert der Aus- tausch: Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der Stadt sind öfters im Heim zu Gast, man merkt schnell: Es ist „ihr“ Heim. Und dafür sind nicht nur die kurzen Wege zum Besuch der Angehöri- gen verantwortlich. Es gibt vielmehr eine breite Unterstützung für das Heim und seine Bewoh- ner. Das zeigt am besten eine Zahl: 989.567 Eu- ro, also eine knappe Million, betrug das Spen- denaufkommen von Furtwanger Privatleuten und Firmen für die Sanierung und Erweiterung des Altenheims. hier keine Rede sein. Eine geräumige Terrasse vor dem Haupteingang lädt zum Verweilen und Plaudern ein, ebenso die Begegnungsstätte „Kirnerstube“, ein Treffpunkt nicht nur für die Bewohner, sondern auch für viele Furtwanger Gruppierungen. Top-Angebot für die Senioren ist jedoch ein „Snoezelen“-Raum, auf dessen Nutzung jeder Bewohner und jede Bewohnerin einen Anspruch hat. Bei Farbenspielen und Lieblingsmusik kann man sich entspannen, und das nicht nur während der Wintermonate. Vor allem auch für Bewohner mit Rückenbeschwerden, die an den Rollstuhl gefesselt sind, ist das ein wichtiger Ausgleich. „Es ist ein Gefühl, als ob man im Wasser liegt“, beschreibt es Heimleiter Thomas Wehrle. Warme, ansprechende Farben statt „Krankenhausatmosphäre“ Dass sich die Sanierung gelohnt hat, ist für Besucher schon auf den ersten Blick zu erkennen. Vorherrschend sind warme, an- sprechende Farben, von einer „Krankenhausatmosphäre“ kann Freundlich, modern und hell präsen- tieren sich die Gemeinschaftsräume. Vom Speisesaal aus hat man einen tollen Blick auf die Stadt. 107
Links: Festlichkeiten während der Ferienwoche, der Außenbereich ist großzügig. Rechts: Ordensschwester Marti- nella bei ihrer Tätigkeit im Heim, insgesamt zwei Schwestern helfen bei der Betreuung der Bewohner mit. Riesiges Angebot: Von Gymnastik und Sturzprophylaxe bis hin zu JMS-Konzerten Ansonsten gibt es für die Bewohner ein riesiges Angebot an Betätigungsmöglichkeiten und Kon – takten, das reicht von der Gymnastik über die Sturzprophylaxe bis hin zu Kreativangeboten wie Brot backen, basteln, Geschichten und Gedichte hören und lesen. Regelmäßig ist die Jugendmusikschule St. Georgen-Furtwangen zu Gast, ebenso Musik- und Gesangvereine, die Abwechslung in den Alltag bringen. Auch die Volkshochschule Oberes Bregtal ist mit Vorträgen und das kommunale Guckloch-Kino mit einem speziellen Filmangebot für Senioren vertreten. Und schließlich stehen den Heimbe- wohnern auch die Veranstaltungen des Alten- werks im Pfarrsaal offen, der sich in dem selben Gebäude befindet. Das ehrenamtliche Engagement zahlreicher Bürgerinnen und Bürger in vielfältigen Bereichen ist enorm. Insgesamt stehen dem Heim zur Zeit 55 ehrenamtliche Kräfte zur Verfügung. Ihr Ein- satz gilt natürlich vorwiegend den Bewohnern, für die beispielsweise auch Patenschaften über- nommen werden. Es gibt aber auch etwa eine „Rollstuhlfit-Gruppe“, die regelmäßig rund 40 Rollstühle auf Vordermann bringt, die Bremsen prüft, die Stühle putzt und sie den Senioren blitzblank sowie funktionstüchtig wieder über- lässt. Um die „Ehrenamtlichen“ kümmert sich Ulrike Schmitt vom Sozialen Dienst des Hauses. Angeboten wird für die Helferinnen und Helfer ein monatlicher Stammtisch und natürlich sind sie auch zu den Festen des Heimes eingeladen. Der gute Geist im Haus wird wesentlich durch die 84 Mitarbeiter getragen Geblieben ist auch nach der Sanierung der gu- te Geist des Hauses, der dem Einsatz der 84 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken ist. Dafür steht unter anderem die jährliche „Fe- rienwoche“ im Heim, in der den Bewohnern nicht nur täglich wechselnde Aktionen und begleite- te Ausflüge geboten werden, sondern auch ein ganz besonderes Menue-Angebot und am Ende der Woche ein Gala-Dinner, auf das sich viele Bewohner schon lange vorher freuen. Die sehr aufwändige und arbeitsintensive Woche wird vorwiegend durch den ehrenamtlichen Einsatz von Mitarbeiterinnen sowie Freunden des Heims ermöglicht. Verkörpert wird der gute Geist des Hauses aber auch durch die Ordensschwestern, die nach Abschluss der Sanierung von ihrem bishe- rigen Domizil im Kindergarten Maria Goretti in 108
das vierte Obergeschoss des Altenheims zogen, wo Wohnungen für betreutes Wohnen angebo- ten werden. Die Schwestern ergänzen die Be- treuungsmöglichkeiten des Hauses mit einem geistlichen Angebot, übernehmen Sitzwachen und machen Einzelbesuche bei Bewohnern, die nur wenig Besuch von Außen erhalten. Das An- gebot des betreuten Wohnens im Dachgeschoss des Gebäudes wird übrigens zur Zeit von neun Personen genutzt. Ein wichtiger Mosaikstein im Bild von „St. Cyriak Wohnen und Pflege“, wie sich die Einrichtung nennt, ist auch die Küche des Hauses, die täglich frische Mahlzeiten zuberei- tet, wobei möglichst Zutaten der Saison verwen- det werden und auf eine schonende Zubereitung geachtet wird. Ein Angebot, das übrigens auch Tagesgästen von Außen zur Verfügung steht. Dabei stand die Idee Pate, in der Stadt lebenden Sen i oren auch einmal ein geselliges Miteinan- der zu ermöglichen, einen Austausch und Ge- spräche bei Tisch, erläutert Thomas Wehrle. Die Gäste erhalten für einen günstigen Preis nicht nur Suppe, Salat, einen Hauptgang und ein Dessert, sondern auch ein Getränk samt Kaffee. Etwa zehn bis 21 Gäste nehmen dieses Angebot täglich war. Bei Bedarf wird vom Heim auch ein Fahrservice von und bis zur Haustür geboten. Vermehrt gibt es mittlerweile auch weitere Angebote für Senioren, die zu Hause leben. Ne- ben der Kurzzeitpflege, die gerade für Angehö- rige sehr wichtig ist, gibt es in Zusammenarbeit mit der Sozialstation Oberes Bregtal „niedrig- schwellige“ Betreuungsangebote, etwa zwei Halbtage wöchentlich im Haus zu verbringen und dessen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Ein Fahrdienst holt die Tagesgäste ab und bringt sie wieder nach Hause zurück. Seit dem Jahr 2011 neu angeboten wird auch eine integrierte Tagespflege. Bei all diesen Angeboten für Externe geht es darum, pflegende Angehörige zu entlasten, aber auch, Einsamkeit zu vermeiden und die Sicher- Nicht vergessen sein: Im Altenheim St. Cyriak kümmern sich über 50 ehrenamtliche Helfer um die Senioren. Altenheim St. Cyriak Furtwangen Im Überblick – die Angebote von St. Cyriak Wohnen und Pflege: Lebende • Betreutes Wohnen • Integrierte Tagespflege • Niedrigschwellige Betreuungsgruppen • Wohnen und Pflege • Kurzzeit- und Verhinderungspflege • Preiswerter Mittagstisch für zu Hause • Beschützend angelegter Wohnbereich • Die Begegnungsstätte Kirnerstube • Ein in der eigenen Küche täglich frisch zubereitetes Speisenangebot • Vielfältiges Veranstaltungsangebot • Kostenlose Beratung in allen Fragen garten und Snoezelenraum für an Demenz Erkrankte mit Sinnes- rund ums Alter Nähere Informationen zu Leistungen und Angebot von St. Cyriak Wohnen und Pflege finden sich auch im Internet unter www.st-cyriak.de 109
Ein faszinierender Ruhepol für die Bewoh- ner des Altenheims St. Cyriak ist der Klara- Siedle-Sinnesgarten. Der wunderbare Gar- ten wurde Dank einer Spende des Unter- nehmerehepaares Gabriele und Horst Sied- le (unten rechts) in Höhe von 300.000 Euro möglich. Das Foto unten zeigt das Ehepaar Siedle zusammen mit Stadtpfarrer Paul Demmelmair und Altenheimleiter Thomas Wehrle bei der Einweihung des Sinnesgar- tens. Finanziert wurde das Vorhaben aus dem Erbe von Klara Siedle, einer Tante von Horst Siedle über die Siedle-Stiftung.
heit und Selbständigkeit von Senioren zu erhal- ten. Dazu gehört die erwähnte Sturz prophylaxe, aber auch beispielsweise ein wöchent liches Walking-Angebot für Rüstige. Ein prächtiger, faszinierender Ruhepol: der Klara-Siedle-Sinnesgarten Für die Bewohner des Hauses gibt es aber noch eine weitere, einmalige Attraktion: Den Klara- Siedle-Sinnesgarten. Direkt und ebenerdig an das zweite Obergeschoss anschließend erstreckt sich ein wunderbarer Garten mit Ruhebänken und einem Teich. Ein Garten, in dem auch Kräu- ter angepflanzt werden, die den Geruchssinn an- sprechen, sowie zahlreiche Blumen und Pflan- zen, die eine wahre Augenweide sind. Zwei Rundwege führen durch das Terrain, selbstverständlich sind sie rollstuhlgerecht angelegt. Auch ein Barfuß-Pfad gehören dazu sowie eine Mariengrotte. Die Möglichkeit, sich direkt ab Haus an der frischen Luft zu bewegen, wurde von den Senioren gleich nach Fertig- stellung rege genutzt. Nicht zuletzt für Bewoh- ner, die an Demenz leiden, bietet der Garten eine ideale Möglichkeit, ihren Bewegungsdrang aus zuleben. Erfreulicher Nebeneffekt für die Mitarbeiter(innen): Die Suche nach „ausgeris- senen“ Heimbewohnern, im alten Heim ein häu- figes Problem, bleibt ihnen weitgehend erspart. Der Sinnesgarten wurde im Juli 2011 offiziell eingeweiht. Er hätte jedoch nie angelegt werden können, hätte nicht das Unternehmerehepaar Gabriele und Horst Siedle 300.000 Euro dazu bei- gesteuert. Klara Siedle, die Tante von Horst Sied- le, verbrachte ihre letzten Lebensjahre selbst in dem Heim, noch vor dessen Sanierung. Ihr Erbe vermachte sie Horst Siedle. Doch der Ehrenbür- ger der Stadt Furtwangen und langjährige Stadt- sowie Kreisrat stellte das Vermögen der Siedle- Stiftung zur Verfügung. Und so konnte man den Klara-Siedle-Sinnesgarten finanzieren. Geboren wurde die Idee der terrassenar ti- gen Gestaltung des Gartens im Vorstand des Vereins und für den Freiburger Architekten Wolfgang Huller war es eine anspruchsvolle Auf- gabe, das Projekt an diesem Ort zu realisieren. Denn der Garten musste über der Tiefgarage des Altenheim St. Cyriak Furtwangen Heims angelegt werden und ursprünglich ließ eine hinter dem Haus aufsteigende Böschung wenig Raum für den Garten. Doch die Probleme konnten hervorragend gelöst werden und heute ist die Anlage ein Schmuckstück für „St. Cyriak Wohnen und Pflege“. 10,054 Millionen Euro an Sanierungskosten Abschließend noch Zahlen zum Bau: Von den 10,054 Millionen Euro Sanierungskosten (inklu- sive dem Aufwand für die Ausquartierung) haben das Land Baden-Württemberg 2,003 Millionen Euro und der Landkreis Schwarzwald-Baar 1,002 Millionen Euro getragen. Die Stadt Furtwangen beteiligte sich mit 750.000 Euro daran, sodass die öffentliche Hand insgesamt 3,755 Millionen Euro übernommen hat. 972.500 Euro steuerte das erzbischöfliche Ordinariat Freiburg bei und 500.000 Euro das Deutsche Hilfswerk (aus Lot- terie-Mitteln). Rund 107.000 Euro Baukostenzu- schuss brachte die katholische Pfarrgemeinde St. Cyriak auf, hinzu kommen 25.000 Euro für den Bau der Altenheimkapelle, zusammen sind das knapp 132.000 Euro. Insgesamt belaufen sich die Zuschüsse auf 5,302 Millionen Euro. Die übrigen Sanierungskosten trägt der örtliche Caritas-Altenheimverein. Geld, das offensicht- lich gut angelegt ist. Namhafte Unterstützung für den Kauf von Pflegebetten gab es ebenfalls. Zu nennen sind hier die Furtwanger Firmen Otto Ganter sowie die Firma SSS Siedle, die 50.000 beziehungsweise 25.000 Euro für die Anschaf- fung der Betten spendeten. Und diese kommen nicht nur den Bewohnern zugute, sondern er- leichtern auch den Mitarbeiterinnen die Arbeit. Bereits im Jahr 2007 hatte das Altenheim St. Cyriak sein 30-jähriges Bestehen gefeiert, gleichzeitig gab es den ersten Spatenstich für den Erweiterungsbau. Für die Zukunft von Be- treuung und Pflege in der Uhrenstadt sind nun optimale bauliche Voraussetzungen geschaffen worden. Die hervorragenden Leistungen, die in „St. Cyriak Wohnen und Pflege“ erbracht werden, wurden im März 2011 auch bei der Regelprüfung durch den medizinischen Dienst der Kranken- kassen bestätigt, bei der das Heim die Gesamt- note 1,0 erhielt. Matthias Winter 111
7. Kapitel Bildungseinrichtungen Christy-Brown-Schule: Nichtbehinderte lernen von Behinderten Liebevolles Miteinander prägt die Atmosphäre – Die Schule für Körperbehinderte feiert ihr 35-jähriges Bestehen » Die Besucherin steht keine zehn Sekunden im Foyer der Christy-Brown-Schule. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt ein Rollstuhlfahrer. Ein höflicher und liebevoller Umgang mitei- nander prägt den Schulalltag in einer Ganztageseinrichtung, die mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche mit schwersten Handicaps täglich besuchen. Es war vor 35 Jahren ein beson- deres Anliegen des früheren Landrates Dr. Rainer Gutknecht, diese für behinderte Kinder und Jugendliche so wichtige Schule zu gründen. Hier lernen die Schüler – trotz ihrer Behinde- rung – so selbstbestimmt wie nur irgend möglich zu leben. 112
Christy Brown Schule Mutig voran – auf zur nächsten Unterrichtsstunde. Ob mit dem Fahrrad, an Gehhilfen, mit dem Rollstuhl oder auf dem Rollbrett liegend: Jeder Schüler versucht, in einer Schule ohne Trep pen seinen Weg selbst zurückzulegen, so wie es im späteren Leben sein soll – trotz des schweren Handicaps. 113 113
Bildungseinrichtungen „Hier hilft jeder jedem so gut wie er kann“, bekräftigt Rüdiger Stern, der Rollstuhlfahrer aus der Ein- gangshalle. 1990 hat er die Villin- ger Schule für Körperbehinderte am Hoptbühl mit dem Hauptschul- abschluss in der Tasche verlassen, um eine spezielle Wirtschaftsschu- le zu besuchen und eine Lehre als Industriekaufmann zu machen. Einmal in der Woche kommt der 37-Jährige seit 2008 an die Schu- le, um gemeinsam mit einer Päda- gogin „E-Rolli“-Nutzern den richtigen Umgang mit dem elektrischen Rollstuhl aufzuzeigen. „Er ist für unsere Schüler ein großes Vorbild“, nickt Marianne Winkler, seit 2000 Leiterin der Schule. Rüdiger Stern 1980 vom damaligen Landrat Rainer Gut- knecht initiiert, wird die Schule von den Land- kreisen Tuttlingen und Rottweil mitgetragen. Spiegelbildlich für das Engage- ment der Region ist auch das Ein- zugsgebiet der Schule, das weit über die drei Kreise hinausgeht, auch wegen des hervorragenden Rufes, den die Christy-Brown-Schu- le überall genießt. Als Schulträger ist der Schwarzwald-Baar-Kreis zu- ständig für die sächliche Ausstat- tung sowie die Bereitstellung des Personals. Der Kreis übernimmt hier die Aufgabe in Verantwortung für die beiden anderen Kreise. Die Schule gehört zum Schulamt Donaueschingen und ist eine Ganztagesschule. Anfangs war die Einrichtung in einer Be- rufsschule in St. Georgen untergebracht. Da die Ka pazität des 1986 bezogenen Schulgebäudes nicht mehr ausreichte, kam 1997 ein Anbau hin- zu. 125 Kinder und Jugendliche besuchen heute die Einrichtung, von der Grundschulstufe bis Christy Brown – eine Schule und ihr Namensgeber Christy Brown wurde 1932 in Dublin, Irland geboren. Er war das zehnte Kind einer iri- schen Arbeiterfamilie. Nach einer schwie- rigen Geburt fiel er mit vier Monaten durch Bewegungsauffälligkeiten auf, was später als schwere Athetose diagnostiziert wur- de (zurückfallender Kopf, verkrampfte, oft hinter dem Rücken verschlungene Hände, verkrampfte Mund- und Sprechmuskula- tur). Und der Junge wurde von den Ärzten für „schwachsinnig“ gehalten. Seine Mutter beschäftigte sich in be- sonderer Weise mit ihm und war von seinen Fähigkeiten zu lernen und seine Umgebung wahrzunehmen überzeugt. Sie zeigte ihm Bilder und las ihm vor. Christy Browns vor- rangiges Interesse galt seinem linken Fuß und seinen Zehen. Eines Tages nahm er mit seinen Zehen des linken Fußes eine Kreide auf und kritzelte auf die Schiefertafel einer Schwester. Sein linker Fuß sollte auch in Zukunft sein wesentliches Werkzeug bleiben. So gelang es ihm, das Schreiben mit Unterstüt- zung durch seine Mutter zu erlernen und er malte ebenfalls mit Hilfe des linken Fußes. Bei einem Zeichenwettbewerb einer Lokal- zeitung erlebte er erste öffentliche Anerken- nung. Erst als junger Erwachsener erhielt Chris- ty Brown professionelle Hilfe im Rahmen von Physiotherapie und sonstiger Unterstüt- zung. Er begann zu schreiben und erlebte seinen größten literarischen Erfolg mit dem Erscheinen seiner Biographie „Mein linker Fuß“ im Jahre 1954. Weitere Werke erschie- nen, darunter auch verschiedene Gedicht- bände. 1981 verstarb Christy Brown. Christy Browns Leben und seine litera- rischen Werke waren geprägt von Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Auseinan- dersetzung mit seiner eigenen Behinderung, der Suche und dem Kampf nach Liebe und Anerkennung, dem Kampf gegen die Ver- zweiflung und dem Wunsch nach dem Ver- standenwerden. 114
Die Klangliege (oben) überträgt Schwingungen auf den gesamten Körper. Sie wirkt dadurch regulierend auf die Muskelspannung sowie andere Körperfunktionen und fördert die Selbstwahrnehmung der Schülerinnen und Schüler. Man kann sie sowohl aktivierend und konzentrationsfördernd wie auch zur Entspannung einsetzen. Klangschalen wirken gezielt auf bestimmte Körperregionen ein und verbessern das Wohlbefinden. 115
Bildungseinrichtungen zur Berufsschulstufe reicht das breite Spektrum des schulischen Angebotes. Der Schule zugeordnet ist die Frühförder- stelle, die die Beratung von Familien von nicht schulpflichtigen Kindern übernimmt sowie die Förderung dieser Kinder. Wie schwer es die Schule anfangs hatte, geht aus ihrer Namens- findung hervor. Auf ihrer Internetseite „www. christy-brown-schule-vs.de“ berichtet sie aus dem Jahr 2003: „Seit 27 Jahren besteht unse- re Schule als Schule für Körperbehinderte. Die Anfänge waren in St. Georgen in teils proviso- rischen Räumlichkeiten. Seit 17 Jahren gibt es das schöne Gebäude in der Güterbahnhofstra- ße in Villingen, in dem es eine Freude ist zu lernen und zu arbeiten. Wir haben nun einen Schulnamen verdient, der uns Motto sein soll, um die uns aufgetragene Arbeit zu erfüllen. Wir wollen nicht ‚K-Schule‘ genannt werden, wie es häufig heißt und wir wollen uns namentlich un- terscheidbar machen zu den bestehenden Son- derschulen in der Stadt und im Kreis.“ Sich bewegen, ohne anzustoßen Voll Stolz zeigen die Schüler das hochmoderne Schwimmbecken, das mit einem verstellbaren Hubboden und seiner Temperatur von 32°C perfekt auf die Bedürfnisse der teils schwerst- behinderten Schüler/innen zugeschnitten ist. „Hier kann man sich bewegen, ohne überall anzustoßen, das hier ist einzigartig in der Re- gion“, schwärmt Marianne Winkler. Herausra- gend ist auch ein weiteres Spielgerät auf dem Freigelände: eine Schaukel für Rollstuhlfahrer, die über den Förderverein der Schule finanziert werden konnte. Anders als noch vor 20 Jahren prägen heute viele Kinder und Jugendliche mit mehrfachen Behinderungen das Schulbild. „Nur Körperbe- hinderte“ besuchen mittlerweile meistens eine Regelschule. Rund 70 Prozent der Handicaps ihrer Schüler gehen auf eine Cerebralparese (Gehirnlähmung) zurück, kommt Winkler auf das Schicksal ihrer Schützlinge zu sprechen. Diese Form der Behinderung wird durch Sauer- stoffmangel im Gehirn ausgelöst, etwa während der Geburtssituation. Die Beeinträchtigungen 116 Die Christy-Brown-Schule und ihre Schwerpunkte Die Schwerpunkte in der schulischen Förde- rung liegen in unterschiedlichen Bereichen des Lernens und der Lebensbewältigung. Besonders bedeutsam sind: . Erziehung zur Selbständigkeit . Bewegungsförderung . Kommunikationsförderung . Gemeinsames Lernen und Differenzierung . Umgang mit der eigenen Behinderung . Gestalten und Lernen . Unterricht in Anlehnung an die unterschiedlichen Bildungsgänge . Kooperation mit Eltern und Familien . Feste und Feiern . Begegnungsmaßnahmen mit anderen Schulen . Kooperation mit außerschulischen Partnern können sich in der Folge auf unterschiedliche Bereiche wie z.B. Kognition, Sprache oder Mo- torik beziehen. Warum gerade ich? Rüdiger Stern, aufgrund einer Tetraspastik ge- handicapt, haderte noch nie mit seinem Schick- sal oder stellte sich die Frage: „Warum gerade ich?“ Der Niedereschacher überlegt nicht lange: „Ich kenne ja nichts anderes, außerdem bin ich ein positiv denkender Mensch.“ Er weiß aber zu gut aus Gesprächen, dass es einige Menschen mit Behinderungen gibt, die sich zurückziehen „und den Kopf hängen lassen“. Gerade für junge Menschen mit fortschrei- tender Erkrankung ist es schwer, ihr Leben mit Behinderung zu akzeptieren. Es ist Aufgabe der Pädagogen in der Schule als Gesprächspart- ner und Begleiter für alle Fragen zur Verfügung zu stehen. In der Schule ist deshalb auch das Thema „Tod“ präsent und kann nicht verdrängt
Aus dem Wirtschaftsleben Zur Vorbereitung auf ein möglichst selbständiges Leben gehört auch, sich über Mülltrennung Gedanken zu machen. Hier lernen die Kinder gerade den Unterschied zwischen Biomüll und Gelber Sack kennen. Mit einem berührungs empfindlichen Bildschirm können sich die Schüler entsprechend artikulieren. 117
Bildungseinrichtungen oder verschwiegen werden. Auch dazu gibt es konkrete Konzepte und Formen des Umgehens. Zur Zeit findet sich in der Eingangshalle der „Er- innerungstisch“ für einen in den Ferien verstor- benen Mitschüler. Liebevoll gestaltet sind die Briefe und Bilder der Mitschüler/innen. Doch selbst hier gibt es auch Beispiele für eine fast beschämende Lebensfreude. Ein junger, mitt- lerweile verstorbener Mann, konnte nicht be- greifen, dass sich Menschen umbringen: „Ich lebe doch so gerne.“ Er konnte damals gerade noch zwei Finger bewegen. Wir sind gerade deshalb auch eine Schule, in der wir wissen, dass jeder Tag und jeder Augenblick zählt und wichtig ist. „Eine unserer Aufgaben ist es, die Men- schen im Umgang mit ihrer Behinderung zu be- gleiten“, erläutert Marianne Winkler das Schul- konzept. Ein weiterer Mosaikstein im Schulkon- zept ist das Heranführen zu höchstmöglicher Selbständigkeit. Dies kann das selbständige Bedienen eines Radiorecorders über eine Tas- te sein oder auch das Absolvieren einer Lehre und der Weg in einen Betrieb, wie es Rüdiger Stern geschafft hat. „Solche Betriebs-Angebote weiten sich immer mehr aus.“ Eine Schlüssel- 118 Kreative Lösungen wie die An- steuerung eines PCs mit Tastern in Kopfnähe bieten den Schülern die Möglichkeit, trotz schwerer Behinderungen vielfältige Lern- wege zu nutzen und Einfluss auf ihre Umwelt auszuüben. rolle spielt auch der regelmä- ßige Kon takt zu verschiedenen Schu len im Landkreis. Ein Ge- winn für Behinderte wie Nicht- behinderte, wenn Lerngänge, gemeinsa mer Kunst- oder Sportunterricht auf dem Stun- denplan stehen. „Für unsere Kinder ist es hochinteressant, wie der Alltag an anderen Schulen abläuft“, so Winkler. Die Nichtbehinderten lernen, wie man liebevoller und behutsamer miteinan- der umgeht: Solche Kontakte mit Behinderten fördern die Sozialkompetenz der Kinder ohne Handicap. Eine intensive Schulpartnerschaft mit dem benachbarten Gymnasium am Hoptbühl be- steht nun schon im dritten Schuljahr und stellt sich als spannendes Projekt für alle Beteiligten dar. Auch Rüdiger Stern möchte den Kontakt mit Gleichaltrigen nicht missen, die sich gerade durch gegenseitige Schulbesuche ergeben und vertiefen. Erst kürzlich bei einem gemeinsamen Wochenende in München hörte er wieder einen seiner Kumpels sagen: „Von dir kann man sich eine gute Scheibe abschneiden.“ „Lebenszufriedenheit“ – ein wichtiger Baustein im Schulkonzept Das Erreichen einer „Lebenszufriedenheit“ ist ein weiterer wichtiger Baustein im Schulkon- zept. Für die meisten Eltern war der Besuch der Christy-Brown-Schule ohne Alternative: „Ich hätte es sonst viel, viel schwerer gehabt“, urteilt der Mittdreißiger. Im Einzelfall kann der Wech-
Christy-Brown-Schule Körperliche Aktivitäten haben an der Christy-Brown- Schule einen großen Stellenwert und werden mit einem Spiel- und Sportfest gefeiert. Der Spaß an den persönlichen Bewegungsmöglichkeiten und das Erleben der eigenen Fähigkeiten motivieren zu in – dividuellen Höchstleistungen. sel an eine Regelschule gelingen, so Winkler. Im Einzugsbereich der Schule werden durch deren sonderpädagogischen Dienst derzeit 20 Schüler an allgemeinen Schulen betreut. Doch die erfahrene Sonderschulpädagogin weiß auch um die Probleme: „Es ist schwierig, immer nur das Schlusslicht in der Klasse zu sein und überhaupt nicht mehr mit einem Lerntempo mithalten zu können, bei dem schon Kinder oh- ne Behinderung ihre Schwierigkeiten haben.“ Wichtig ist den über 60 Lehrkräften die Be- ratung von betroffenen Eltern, ihnen auf dem „schmerzhaften Weg“ zu helfen, das Handicap ihres Kindes zu verarbeiten und zu akzeptie- ren. Die Akzeptanz der Familie ist stark geprägt vom Verhalten des Umfeldes: „Es gibt Eltern, die sind total isoliert, andere wiederum haben Unterstützung von Verwandten und Freunden.“ Natürlich gibt es auch die diskriminierenden Sprüche oder Menschen, die Behinderte nur an- starren. Rüdiger Stern hat die Fähigkeiten da- zu, mit Gafferei humorvoll umzugehen. Er fragt auch dann wieder zuvorkommend: „Kann ich Ihnen etwas helfen?“ Eva-Maria Huber 119
8. Kapitel Archäologie Die Entdeckung des Sternenhimmels vom Magdalenenberg Die Entdeckung ist sensationell: Im Fürstengrab vom Magdalenenberg wurde bei einer nachträglichen Grabungsauswertung durch das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz ein keltisches Kalenderwerk entdeckt – die Anordnung der Gräber um das zentrale Fürstengrab stimmt mit den Sternenbildern des nördlichen Himmels überein. Bei dem 100 Meter breiten Grabhügel handelt es sich somit um die weltweit älteste keltische Anlage, die nach Mondzyklen ausgerichtet war. Die Erbauer der Anlage setzten Stangenreihen auf den Hügel, um die Mondwenden zu erfassen. 120 Diese Himmelserscheinungen waren bestimmend für die keltische Zeitrechnung. Der Sternenhimmel
vom Magdalenenberg zeigt eine Sternenkonstellation, die von der Wintersonnenwende bis zur Sommersonnenwende nachts zu sehen ist. Dr. Allard Mees, Wissenschaftler am Römisch- Germanischen Zentralmuseum, half bei der Untersuchung der Grabanlage eine Software der NASA. Die Fotografie auf dieser Doppelseite zeigt den Sternenhimmel am Magdalenenberg vom 21. September 2011. Das Licht unmittelbar über dem mit einem Scheinwerfer ausgeleuchteten Bereich (Grabhügel und Eiche) stammt von Rietheim und Brigachtal. Es handelt sich dabei um die viel diskutierte „Verschmutzung der Nacht mit Licht“ . Links am Sternenhimmel der Jupiter. 121 l d o D d e i r f l i W : o t o F
Archäologie Im Jahr 2011 wurde von Allard Mees, Archäo- loge am Römisch-Germanischen Zentralmu- seum in Mainz, eine völlig neue, weltweit beachtete Interpretation über die Bedeutung des frühkeltischen Grab hügels am Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen vorgestellt. Die La- ge der Gräber auf dem Magdalenberg wurde offenbar wohl überlegt gewählt: mit ei nem weiträumigen Blick auf die Alpen und zwar in 122 Abb. 1: Lage des Magdalenenbergs aus der Vogelperspektive, der Blick geht nach Südosten in Richtung Alpen. Blickrichtung Südosten, d.h. der Ort war vor allem für die Beobach- tung von Himmelserscheinungen am südöstlichen Horizont optimal geeignet (Abb. 1). Bei der Anlage scheint es sich um einen riesigen am Mondzyklus ausgerichteten Ka- lender zu handeln. Der Berg ist der größte Grabhügel dieser Epoche in Mitteleuropa. Gelegentlich wurde auf das ei- genartige Verteilungsmuster der kreisförmig angelegten Gräber schon in der Vergangenheit hinge- wiesen (Abb. 2)1. Nun gelang es dem Mainzer Archäologen eine in sich stimmige Lösung für diese auffällige Anordnung zu finden: trägt man auf die vorgefundenen Gräber nämlich Sternen- bilder auf, dann zeigt sich eine erstaunliche Übereinstimmung mit den bekanntesten Him- melskonstellationen, die auch in einer korrekten relativen Abfolge zueinander stehen (Abb. 3). Zwischen 1970 und 1973 wurde der frühkel- tische Grabhügel auf dem Magdalenenberg voll – ständig durch Konrad Spindler und seine Mitar- beiter ausgegraben2. Er ist mit einem Durch mes- ser von 102 m bis jetzt der größte keltische Grab- hügel in Westeuropa. Das auf Südosten aus ge- richtete Zentralgrab lag unterhalb einer acht- eckigen Steinsetzung in der Mitte des Grabhü- gels. Darin befand sich ein Fürstengrab mit den Überresten einer Fürstenbestattung mit Wagen, das bereits in antiker Zeit ausgeraubt wurde. Der Grabhügel selbst enthielt 126 Gräber mit 136 sogenannten Nachbestattungen. Die Kopf – ausrichtungen der Gräber bildeten zwei Halb- kreise in südöstlicher Richtung (Abb. 3). Mittels der Jahrringdatierungen der Holzringe (Dendro- chronologie) konnte das zentrale Grab auf das Jahr 616 v.Chr. datiert werden. Abb. 2: Gesamtplan des Fürstengrabhügels. Eingezeichnet sind die einzelnen Gräber.
Vor dem Bau der Anlage wurden vier Stan- gensetzungen vom unteren rechten Eck des Fürstengrabes ausgehend radial angelegt. Die- se Stangensetzungen zielen auf die Mondwen- den. Eine fünfte Stangensetzung wurde von der Mitte in Richtung Süden angebracht. (Abb. 3) Diese Konstruktion konnte für die Stangenset- zung I mit Hilfe der Dendrochronologie auf 614 v. Chr., für die Stangensetzung II auf 618 v. Chr. und für die Stangensetzung III auf 616 – 614 v. Chr. festgelegt werden.3 Allerdings sind die genauen Nordungen in den unterschiedlichen Grabungsplänen problematisch: es gibt unter- schiedliche Ausrichtungen des Nordpfeiles um mehrere Grade. Auch die Frage, ob man den magnetischen Norden oder den azimuthischen Norden benutzt hat, lässt sich nicht mehr klären. Abb. 3: Gesamtplan des Fürstengrabhügels mit den eingetragenen Sternbildern. Ein gewisser Spielraum muss somit in Kauf ge- nommen werden. Von den Nachbestattungen konnten die Gräber 39, 72, und 6 in das Jahr 616, 604 und 593 v. Chr. datiert werden. Diese relativ kur- ze Zeit ist in Übereinstimmung mit dem zeit- lich sehr einheitlichen Fundmaterial, das die Archäo logen als typisch für die frühkeltische Zeitstufe Hallstatt D1 bezeichnen. Wie erfolgte nun die Übertragung des Ster- nenhimmels auf die Gräber? Mittels Computer- programmen der NASA kann man heute den Stand des Sternenhimmels von damals rekons- 123
Archäologie Abb. 4: Darstellung des Sternbildes Löwe in der abendländischen Kultur (links), bei den Miriti- Typuyo-Indianern (Mitte) sowie bei den Kobéua- Indianern (rechts). truieren4. Allerdings sollte dabei ei ne Beson- derheit in der astronomischen Software beach- tet werden: da es kein Jahr Null gab, steht eine rechnerische Angabe wie „-618“ eigentlich für das Jahr 619 v. Chr. Das gleiche gilt auch für die Datierungen aus der Dendrochronologie. Im Grabhügel vom Magdalenenberg können folgende Sternbilder wiedererkannt werden: Klei- ner Bär, Drache, Großer Bär, Bärenhüter, Nörd- liche Krone, Schlangenkopf, Herkules, Leier, Pfeil, Schwan, Delphin, Kepheus und Kassiopeia. Die Sternbilder der Ekliptik fehlen vollständig. Zu beachten ist außerdem: Es ist bekannt, dass die Zahl der einem Sternbild zugeordneten Sterne im Laufe der Zeit schwankte und auch in römischer Zeit nicht feststand. Exakte Orientierung von Sternbildern in der Ur- und Vorgeschichte nicht eindeutig Der Sternenhimmel vom Magdalenenberg zeigt eine Konstellation, die ab der Winterson nen – wen de kurz vor Sonnenaufgang bis zur Som – mersonnenwende kurz nach Sonnenuntergang in dieser Nord-Süd-Orientierung sichtbar ist. Die exakte Orientierung von Sternbildern war in der Ur- und Vorgeschichte jedoch nicht eindeu- tig festgelegt. Griechische Autoren diskutieren z.B. 280 v. Chr. über die Richtung des Drachen- kopfes5. Ein vollständiger und zumal noch as- tronomisch zueinander relativ korrekt angeord- neter Sternenhimmel mitten im frühkeltischen Hallstattkulturkreis dürfte daher wohl kaum ohne aus dem Mittelmeerraum übernommene Erkenntnisse entstanden sein. sein, wonach proportionale Verzerrungen und Drehungen zur damals üblichen Bildersprache gehörten. Die Tatsache, dass die Sternbilder of fenbar so angeordnet wurden, dass die Mitte des Grabhügels frei blieb, sorgt für unsere heu- tige Vorstellung für einen weiteren Verfremdungs- effekt. Ein direkter Vergleich mit unseren moder- nen Sternenkarten ist daher kaum möglich. Die Art der Wiedergabe von Sternbildern war schon immer abhängig vom kulturellen Kontext: Un- terschiedliche Völker stellen die gleichen Stern- bilder völlig unterschiedlich dar (Abb. 4)6. Interessant ist hierbei auch eine Doppelbe- stattung im Sternbild der Leier (Grab 78 siehe Abb. 3). In diesem Doppelgrab fand man eine Frauenbestattung mit einem Gürtelblech mit Sonnen- und Sternenmotiven. Vielleicht handelt es sich dabei um eine dem Fürsten nahestehen- de Frau. Die Zweiteilung des Grabhügels, an- gedeutet durch die Kopfrichtungen der Gräber, (Abb. 3), gerade aber auch das Vorkommen von Brandbestattungen in der Tradition der vorhe- rigen frühkeltischen Hallstatt C-Kulturstufe und die dazugehörige Grobkera mik in der südwest- lichen Hälfte, könnte auf eine frühere Entste- hungszeit hinweisen. Die Stangensetzungen aus Holz waren paarweise radial angeordnet. Im feuchten un- teren Bereich waren sie noch erhalten, im obe- ren kalkhaltigen Boden verwittert. Die Stangen ragten mehrere Meter aus der Grabhügelfläche heraus. Diese Setzungen gehörten von Anfang an zum Gesamtkonzept der Anlage. Mit diesen Bauelementen im Gelände scheint eine Roh- skizze zur Orientierung über die wichtigsten Mond ereignisse aufgestellt worden zu sein. Die ungewöhnliche Anordnung der Sternbil- der entsprang offenbar einem völlig anderen, für die frühkeltische Zeit üblichen Stilbewusst- Die Grabkammer hat eine südöstliche Orien- tierung und ist anscheinend nicht exakt auf ein astronomisches Ereignis zurückzuführen. Der 124
Abb. 5: Schematische Darstel- lung der Sonnen- und Mondwen- den. nach Südosten ausgerichtete Kopf des Fürsten entsprach der damals üblichen Bestat- tungssitte. Nur der acht- eckige Steinsatz ist in der frühkeltischen Hallstattzeit ein einzigartiges Phänomen und auch in Italien fehlen Vorbilder für eine achteckige Steinsetzung. Während das Verständnis der Sonnenwenden weit ver- breitet ist, ist das Phänomen der Mondwenden heutzutage kaum bekannt. Der Sonnen- aufgang pendelt jährlich zwi- schen dem nördlichen und dem südlichen Wendepunkt der Sonne am Horizont hin und her. Die Positi- on von Sonnenauf- und untergang wird jeweils durch die Sommer- bzw. Wintersonnenwende bestimmt. Der Aufgangspunkt des Mondes voll- führt eine solche Pendelbewegung innerhalb eines Monats. Die Wendepunkte des Mondes sind nicht fixiert, son dern schwanken in einem Rhythmus von 18,61 Jahren (Abb. 5). D.h. nach 18,61 Jahren befindet sich die extreme Mondpo- sition wieder in der gleichen Situation. Aus die- sem Grund liegt der Aufgangspunkt des Mondes etwa 9,3 Jahre lang innerhalb der Wendepunkte der Sonne, um dann in den darauffolgenden Jahren au- ßerhalb der Sonnenlaufbahn aufzugehen (Abb. 6). Diese Maxima bzw. Minima be- zeichnet man als die Große bzw. Kleine Mondwende. Zur Feststellung der Großen Mondwende konnte der frühkeltische Beobach- Abb. 6: Auf- bzw. Untergänge von Sonne und Mond zwischen 618 und 600 v.Chr. ter zwei Mess punkte einrichten, eine Visierlinie zur Erfas sung des Mondauf- bzw. untergangs und einen Fixpunkt, der z.B. die tiefste Position des Mondes im Süden erfasst. Man behalf sich mit einem fixierten Messpunkt (Stangenset- zung III) als Ausgangspunkt für die Beobach- tung nach Süden, weil nur dort der Mond zur Zeit der Mondwenden sowie bei Vollmond sei- nen höchs ten bzw. tiefsten Stand hat. Längst nicht alle Mondwenden konnten auch tatsächlich wahrgenommen werden. Mond wen- 125
Archäologie Abb. 7: Auf die große südliche Mondwende ori en- tierte „Prozessionsstraße“ vom Glauberg bei Frank- furt. den können z.B. auch bei Neumond oder Ta- geslicht stattfinden. Im Jahr 618 v.Chr. waren die Voraussetzungen für die Beobachtung der großen südlichen Mondwende am Tag der Som- mersonnenwende (29.06.618) ideal. Einen so ausgeprägten Kenntnisstand des Sternenhimmels nördlich der Alpen um 620 v. Chr. überrascht auf den ersten Blick. Die Ent- wicklung der astronomischen Kenntnisse in Griechen land zeigt jedoch, dass die Quellen ein struk turiertes Wissen zu Sternbildern ab ca. 430 belegen. Stangensetzungen waren auf dem Grabhügel klar erkennbar Bei Homer findet sich schon ein sehr weit rei- chendes Wissen über die übrigen Konstella- tionen. Vermutlich waren schon im 6. Jhd. v. Chr. Himmelskarten und Globen mit den wichtigsten Sternbildern im Gebrauch. Die Beschreibungen bei Homer setzen bei den Zuhörern ein astrono- misches Wissen über die Rotation des Himmels voraus. Bemerkenswert ist allerdings, dass das Phänomen der Ekliptik bis ca. 450 v. Chr. in Griechenland keine Erwähnung findet. Dies wird erst dann von dem griechischen Autor Eukte- mon erwähnt. Dies verdeutlicht, dass die Abwe- 126 senheit der Ekliptik im Sternenhimmel vom Magdalenenberg völlig in Übereinstimmung ist mit dem Wissen der frühen griechischen Astro- nomen um 600 v. Chr., wo dieses Wissen eben- falls fehlte. Die Forschung ist sich darüber einig, dass in der frühkeltischen Hallstattzeit die Menge der Importe aus dem Mittelmeerraum sprung- haft anstieg. Viele schwarzfigurige griechische Gefäßreste, Amphoren und andere Importgüter belegen die Verbindung zum Mittelmeerraum. Aber erst gegen Ende des 6. Jhd. v. Chr. kann man von einem wahren Strom mediterraner Im- porte reden. Der Magdalenenberg dürfte also noch vor oder ganz zu Beginn der ersten Kon- takte mit dem Mittelmeerraum entstanden sein. Die Stangensetzungen auf dem Magdalenen- berg zur Er fassung der Mondwenden waren auf dem Grabhügel klar er kennbar. Bezüge zu Ster- nen aufgängen fehlen eindeutig. Im vorangegan- genen Neolithikum ist eine Orientierung an Mond- wenden bis jetzt nicht nachweisbar. Dagegen findet sich die Orientierung an mindestens ei- ner Sonnenwende an so bekannten Orten wie Stonehenge in England oder Gosseck in Deutsch- land. Auch auf der bronzezeitlichen Scheibe aus Nebra ist ein Bezug zu den Sonnenwenden er- kennbar. Die dort vermuteten Mond bezüge sind allenfalls sekundär. Die „Prozessionsstrasse“ auf dem frühkel- tischen Glauberg zielte auf die Große südliche Mondwende (Abb. 7)7. Aufgrund der astrono- mischen Daten wird dort, in Zusammenhang mit dem Fundmaterial, eine Entstehungszeit zwischen 502 und 452 v. Chr. angenommen.8 Die meisten frühkeltischen Grabhügel wurden ohne Dokumentation eingeebnet bzw. von Grabräu- bern geplündert. Allein deshalb ist die doku- mentierte Ausgrabung vom Magdalenenberg – ungeachtet der unglücklichen Ungenauigkeiten hinsichtlich der Nordung – sehr wertvoll gewe- sen. Einige weitere so vollständig erhaltene Grab- tumulus geben uns zusätzliche Informationen über die Mondorientierung der frühen Kelten. Auch beim berühmten Fürstengrab von Hoch- dorf ist eine Orientierung auf die Mondwenden nachweisbar (Abb. 8) 9. Sowohl im burgundischen Bressey (Abb. 9)10 als auch im badischen Dattin- gen (Abb. 10)11 gibt es kleinere Grabhügel mit
Entdeckung des Sternenhimmels vom Magdalenenberg Sonnenorientierung der griechisch-römischen Hochkultur im Süden. Sowohl bei Caesar als auch bei Strabo wird die Mondkultur der Kelten angesprochen und als völlig abweichend von dem durch Caesar initiierten und noch heute gültigem Julianischen Kalendersystem betrachtet. Die keltische Mondkultur wurde mit den Er- oberungszügen des auch als Kalenderreformer tätigen Caesar vernichtet. Der Magdalenen- berg ist ein in Europa einzigartiges Phänomen: nur hier tritt die verlorengegangene keltische Mondorientierung erstmals in ihrem vollen Um- fang in Erscheinung. Dr. Allard Mees/Dr. Silvia Wagner Fußnoten Dieser Aufsatz ist eine stark verkürzte aber inhaltlich erwei- terte Fassung von: Mees, A – Der Sternenhimmel vom Mag- dalenenberg: Das Fürstengrab bei Villingen-Schwenningen – ein Kalenderwerk der Hallstattzeit, Jahrbuch des Rö- misch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 54, 2007 (2011 erschienen), 217-264. Die redaktionelle Beratung und Betreuung übernahm Frau Dr. Silvia Wagner, Villingen- Schwenningen. An dieser Stelle möchte ich Ihr für ihre un- ermüdliche Hilfe und Ihren Rat danken. 1 Abbildung aus Meyer-Orlac, R., Einige Erwägungen zu den Stangensetzungen im Magdalenenberg. Archäologische Nachrichten Baden 1983, 12-21. 2 Spindler, K., Magdalenenberg I, (1971) ; II(1972); III (1973); IV (1976); VI (1980) : Der hallstattzeitliche Fürstengrabhü- gel bei Villingen im Schwarzwald. 3 Billamboz, A. / Neyses, M., Das Fürstengrab von Villingen- Magdalenenberg im Jahrringkalender der Hallstattzeit. In: K. Spindler, Der Magdalenenberg bei Villingen. Ein Fürsten- grabhügel des 7. vorchristlichen Jahrhunderts. (Stuttgart 1999) 91-109. 4 z.B.: „Stellarium 9“; Weitere Programme: „Alcyone Eph- emeris 4.2“ und „Stellar and Lunar Visibility 3.2“. 5 Hipparchos, Phainomenon, i 4,4-7. 6 Gombrich, E., Art and Illusion. A study in the psychology of pictorial representation (Washington 1959), p.91. 7 F.-R. Herrmann, Der Fürstengrabhügel und seine Erfor- schung. In: Die Keltenfürsten vom Glauberg. Ein frühkel- tischer Fürstengrabhügel am Hang des Glauberges bei Glauburg-Glauberg, Wetteraukreis. Archäologische Denk- mäler in Hessen 128/129 (Wiesbaden 1996), S. 25, Abb. 16. 8 Deiss, B., Zur Struktur und Orientierung der Grabensys- teme um den Fürstenhügel am Glauberg, in: Der Glauberg in keltischer Zeit. Zum neuesten Stand der Forschung. Öf- fentliches Symposium, 14.-16.September 2006, Darm- stadt. Fundberichte Hessen Beih. 6 (Wiesbaden 2008) 279- 294; Zwischen Himmel und Erde. Das Keltische Kalender- werk am Glauberg (Prospekt) (Wiesbaden 2008). 9 http://www.brera.mi.astro.it/~gaspani/hochd.htm 10 Mees 2007 (2011), a.a.O.S. 263, Abb.23. 11 Alt, K.W. / Munz, M. / Vach, W., Hallstattzeitliche Grab- hügel im Spiegel ihrer biologischen und sozialen Strukturen am Beispiel des Hügelgräberfeldes von Dattingen, Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Germania 73, 1995, 281-316. 127 Abb. 8: Plan des Fürstengrabes von Hochdorf mit Orientierungen der Mondwenden. Abb. 9: Plan des Grabhügels von Bressey. 1 1 6 1 6 1 6 5 ° 1 6 8 ° 1 6 7 ° 1 6 6 ° 1 7 0 ° 1 7 1 ° 1 6 9 ° 1 7 3 ° 1 7 4 ° 1 7 2 ° 1 7 5 ° 1 7 6 ° 1 7 7 ° 1 7 8 ° 1 7 9 ° 1 8 0 ° 1 8 1 ° 1 8 2 ° 1 8 3 ° 1 8 4 ° 1 8 5 ° 1 8 6 ° 1 8 7 ° 1 8 8 ° 1 8 9 ° 1 9 0 ° 1 9 1 ° 1 9 2 ° 1 9 3 ° 1 9 4 ° 1 9 5 ° 1 1 5 1 6 1 6 6 2 3 ° 4 ° 1 ° 0 ° 1 5 9 ° 1 5 8 ° 1 5 7 ° 1 5 6 ° 1 5 5 ° 1 5 4 ° 1 5 3 ° 1 5 2 ° 1 5 1 ° 1 4 0 ° 1 4 9 ° 4 8 ° 1 ° 1 4 7 ° 4 6 1 ° 4 5 1 ° 4 4 1 ° 4 3 1 ° 2 1 4 ° 4 1 ° 1 0 3 ° 1 9 3 ° 1 8 3 ° 1 7 3 ° 1 6 3 ° 1 5 3 ° 1 4 3 ° 1 3 3 ° 1 2 3 ° 1 3 1 ° 1 2 0 ° 1 2 9 ° 8 °1 2 7 °1 2 1 9 6 ° 1 9 7 ° 1 9 8 ° 1 9 9 ° 2 0 0 ° 2 0 1 ° 2 0 2 ° 2 0 3 ° 2 0 4 ° 2 0 5 ° 2 0 6 ° 2 0 7 ° 2 0 8 ° 2 0 9° 2 1 2 0° 11° 2 1 2° 3° 6 °1 2 5 °1 2 4 °1 2 3 °1 2 2 °1 2 1 °1 2 0 °1 1 9 °1 1 8° 1 1 7° 1 1 6° 11 5° 11 4° 113° 112° 111° 110° 109° 108° 107° 106° 105° 104° 103° 102° 101° 100° 99° 98° 97° 96° 95° 94° 93° 92° 91° 90° 89° 88° 87° 86° 85° 84° 8 3 ° 8 2 ° 8 1 ° 8 0 ° 7 9 ° 7 8 ° 7 7 ° 7 6 ° 7 5 ° 7 4 ° 7 3 ° 7 2 ° 7 1 ° 7 0 ° 6 9 ° 6 8 ° 6 7 ° 6 6 ° 6 5 ° 6 4 ° 6 3 ° 2 6 6 ° 1 6 ° 0 5 ° 9 5 ° 8 5 ° ° 7 5 ° 6 5 ° 5 5 ° 4 5 ° 3 5 ° 2 5 1 ° 5 0 ° 4 9 ° 4 8 ° 4 7 ° 4 6 ° 4 5 ° 4 4 ° 4 3 ° 4 2 ° 4 1 ° 4 0° 3 9° 3 8° 3 7° 3 6° 3 5° 3 4° 3 3° 2° 1° 3 3 0° 9° 3 2 ° 8 2 ° 7 2 ° 6 2 ° 5 2 ° 4 2 ° 3 2 ° 2 2 ° 1 2 ° 0 2 ° 9 1 ° 8 1 ° 7 1 ° 6 1 ° 5 1 ° 4 1 ° 3 1 ° 2 1 ° 1 1 ° 0 1 ° 9 ° 8 ° 7 ° 6 ° 5 ° 4 ° 3 ° 2 ° 1 ° 0 6 3 ° 9 5 3 ° 8 5 3 ° 7 5 3 ° 6 5 3 ° 5 5 3 ° 4 5 3 ° 3 5 3 ° 2 5 3 2 1 4° 2 1 5° 2 1 6° 2 1 7° 2 1 218° 219° 220° 221° 222° 223° 224° 5° 2 2 6° 2 2 7° 2 2 8° 2 2 9° 2 0° 2 3 ° 2 1 3 2 ° 3 2 ° 2 ° 3 3 4 2 ° 3 5 2 ° 3 6 2 3 7 ° 2 ° 3 8 ° 2 3 9 ° 2 3 0 ° 2 4 1 ° 2 2 4 2 4 2 243° 244° 245° 246° 247° 248° 249° 250° 251° 252° 253° 254° 255° 256° 257° 258° 259° 260° 261° 262° 263° 264° 265° 266° 267° 268° 269° 270° 271° 272° 273° 274° 275° 276° 277° 278° 279° 280° 281° 282° 283° 284° 285° 286° 287° 288° 289° 290° 291° 292° 293° 4° 9 2 5° 9 2 6° 9 2 7° 9 8° 2 9 ° 2 9 9 ° 2 0 0 ° 3 1 0 ° 3 2 0 ° 3 3 0 ° 3 4 0 ° 3 5 0 ° 3 6 0 ° 3 7 0 ° 3 8 ° 9 0 3 ° 0 0 3 ° 1 1 3 ° 1 2 3 ° 1 3 3 ° 1 4 3 ° 1 5 3 ° 1 6 3 ° 1 7 3 ° 1 8 3 ° 1 9 3 ° 1 0 3 ° 2 1 3 ° 2 2 ° 3 2 3 ° 3 4 2 ° 3 5 2 ° 2 3 ° 6 3 7 2 ° 8 2 3 ° ° 9 2 3 ° 0 2 3 ° 1 3 3 ° 2 3 3 ° 3 3 3 ° 4 3 3 ° 5 3 3 ° 6 3 3 ° 7 3 3 ° 8 3 3 ° 9 ° 0 3 3 3 3 3 ° 2 1 4 4 3 3 4 3 ° 3 ° 4 4 3 4 3 ° 5 4 3 ° 6 4 3 ° 7 4 3 ° 8 4 3 ° 9 4 3 ° 0 5 3 ° 1 5 3 verifizierbar an den Mondwenden orientierten Gräberanordnungen. Dies zeigt, dass Mondwen- den ein tragendes Element in der frühkeltischen Kultur waren und die Gestaltung ihrer Grabhügel mitprägten. Genau diese Sicherheit der ander- weitig zuverlässig dokumentierten Orientierun- gen ermöglicht es, die Unklarheiten in der Gra- bungsdokumentation (vor allem bezüglich der variierenden Nordpfeile) vom Magdalenenberg in einen größeren Rahmen einzupassen und ei- ner sinnvollen Erklärung zuzuführen. Die Mondorientierung der Kelten nördlich der Alpen stand später im starken Kontrast zur
9. Kapitel Geschichte Schätze der Erde – Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis Von der Suche nach Eisenerz, Silber, Edelsteinen und anderen Bodenschätzen | von Martin Fetscher Der Bergbau war in der Geschichte der Menschheit seit den frühen Hochkulturen immer eine Grundlage für Macht und Reichtum. Die gewonnenen Rohstoffe waren Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und der Bedarf war besonders hoch wäh- rend Zeiten des Krieges oder der Aufrüs tung. Bis ins 19. Jahrhun- dert war es ein Privileg der Herr- schenden, bergmännisch nach den Schätzen der Erde zu graben. In vielen klassischen Bergbaure- gionen ist bis heute der einstige Reichtum sichtbar, welcher sich aus dem Bergbau ergab. In Baden- Württemberg sind dies insbeson- dere die Reviere des Silberberg- baus im Schwarzwald. Viele In- dustriestandorte verdanken ihren Ursprung dem Bergbau oder der direkten Bergbaufolgeindustrie. Foto: Im Gipsbergwerk bei Fützen. Die Stollen sind größtenteils vom Grundwasser überflutet, Erkundungstouren wie diese wären heute un- 128 möglich, der Stolleneingang ist längst verfüllt.
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Geschichte Waren Eisen und Blei eine wichtige Grundlage für die Wirtschaft und Rüstungsindustrie, so wa- ren es für die Herrschaftshäuser insbesondere auch die Edelmetalle wie Silber und Gold, deren Abbau zu eigenem Reichtum und Wohlstand verhalf und außerdem prestigeträchtig war. Münzrechte waren kleinräumig verbreitet und man war deshalb bestrebt, den Bedarf an den Münzmetallen Silber und Kupfer vorrangig regi- onal durch Abbau im eigenen Herrschaftsgebiet zu decken. So versuchte jedes Herrschaftshaus mit allen Möglichkeiten, Bodenschätze und ins- besondere Vorkommen von Gold oder Silber zu erkunden, in vielen Fällen auch dort, wo nach modernen geowissenschaftlichen Erkenntnis- sen solche Erze gar nicht oder nur in sehr gerin- gen Mengen vorkommen können. Bodenschätze umfassen Erze, Edelsteine wie Diamanten, Kohle, Erdöl und Erdgas, Stein- salz, Schwefel und viele andere. Die festen Bo- denschätze werden in erster Linie im Tagebau, also an der Oberfläche, oder bergmännisch, das heißt im Bergbau abgebaut. In diesem Beitrag soll über die bergmän- nisch gewonnenen Bodenschätze im Schwarz- wald-Baar-Kreis berichtet werden. Der Mineraloge unterscheidet Bodenschät- ze nach ihrer geologischen Herkunft und Ent- stehung, sowie nach ihrem Chemismus. Metalle kommen in Form von Erzen oder insbesondere die Edelmetalle auch in Reinform, also gedie- gen, vor. Die ca. 80 vorkommenden Elemente sind auf der Erde unterschiedlich verteilt. Es gibt vielfältige geologische Prozesse, durch welche es zu einer Anreicherung von Elementen kommt. So können sich Lagerstätten bilden. Ganglager sind im Schwarzwald die wichtigste Lagerstättenform Als wichtige Lagerstätte für Erze seien Gang- lagerstätten genannt. Dies ist auch die wich- tigste Lagerstättenform im Schwarzwald. Gänge sind sozusagen verheilte Bruch- oder Störungs- flächen im Gestein, in welchen sich bestimmte Mineralien, sehr häufig Quarz, angereichert ha- ben. Häufig sind es hoch mineralisierte, heiße Grundwässer, welche gelöste Stoffe in kühlere 130 Eisenbacher Hämatit – im Vöhrenbacher-Eisenbacher Erzrevier finden sich im Eisenbacher Granit wertvolle Erze und andere Mineralien. Gesteinspartien transportieren, wo dann Mine- ralien in Form von manchmal schönen Kristallen oder auch in Form von begehrten Erzen in sol- chen „hydrothermalen“ Gängen ausgeschieden werden. Als berühmte Erzreviere auch für Silber im Schwarzwald seien der Schauinsland oder die Lagerstätten von Badenweiler oder im Kin- zigtal genannt. Eine weitere, wichtige Form sind sedimentäre Lagerstätten, das heißt, Lagerstätten, bei wel- chen sich Bodenschätze im Meer oder in Flüssen abgelagert haben. Solche Lagerstätten befinden sich auch entlang der Schwäbischen Alb. Der Schwarzwald-Baar-Kreis wird im öst- lichen Bereich etwa östlich einer Linie Königs- feld – Unterbränd von Sedimentgesteinen, also Ablagerungen von Meeren und Flüssen, auf- gebaut. Diese werden unterlagert von kristal- linen Gesteinen, welche westlich dieser Linie im Schwarzwald zu Tage treten. Dieser geologisch sehr alte, kristalline Sockel ist durchfurcht von Störungs- und Kluftsystemen, die in manchen Bereichen wertvolle Erze oder Mineralien enthal- ten. Im „Vöhrenbacher-Eisenbacher Erzrevier“ streichen bzw. verlaufen solche Gangsysteme in Nordwest-Südost-Richtung fast senkrecht- stehend durch die Gesteine, den Eisenbacher Granit bzw. den Gneis im oberen Bregtal. Damit zusammenhängend ist das kleine Erzrevier mit Erzgängen im Bereich Unterkirnach/Groppertal.
Außerdem zu nennen ist das Triberger Revier mit Erzvorkommen entlang der Kesselberg- Verwerfung und mit Vorkommen bei Gremmels- bach, bedeutenderen Vorkommen jedoch nörd- lich angrenzend in Hornberg-Niederwasser. Ver- glichen mit den bekannten Ganglagerstätten im westlicheren Schwarzwald sind die Ganglager- stätten im Schwarzwald-Baar-Kreis jedoch eher wenig bedeutend. Im Sedimentgestein im östlichen Teil des Schwarzwald-Baar-Kreises sind vor allem die Steinsalz- und Gipsvorkommen des Muschel- kalkes bzw. des Keupers und die Eisenerze des Braunen Juras, des Doggers, bekannt. Wäh- rend das Steinsalz im Schwarzwald-Baar-Kreis nie bergmännisch gewonnen wurde, sondern ledig lich über Solebohrungen in Bad Dürrheim, Schwenningen und Donaueschingen-Aasen, so wurde Gips auch bergmännisch gewonnen. Steinsalz und Gips haben sich bei heißem Kli- ma vor über 200 Millionen Jahren in flachen Meeren abgelagert. Damals herrschten hier Ab- lagerungsbedingungen vergleichbar mit dem heutigen Toten Meer. Weniger bekannt sind schwach erzhaltige Schichthorizonte in Sedimenten der Trias-Erd- zeit. Zu nennen sind kupferhaltige Schichten im oberen Buntsandstein oder auch bleiglanz- haltige Horizonte im Muschelkalk (Bleiglanz- bank oder Spiriferinenbank). Im Muschelkalk handelt es sich um dünne Schichthorizonte, in welchen das Gestein in bergfrischem Zustand in fein verteilten, kleinen, bis maximal erbsen- großen Mineralkörnchen Bleiglanz (Bleisulfid) oder manchmal auch Kupferglanz enthält. Diese wurden z.B. in Niedereschach zwischen Kappel und Schabenhausen abgebaut. Dort bildeten sich auch die hierzulande relativ seltenen Kup- fermineralien Malachit und Azurit, welche im Mittelalter zeitweise auch als Farbstoff sehr be- Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis gehrt waren. Als Lagerstätte haben diese Vor- kommen keine Bedeutung. Das Doggererz bei Blumberg – die Eisenoolithe des Braunen Juras Die bedeutendsten Erzvorkommen im SBK sind die Eisenoolithe des Braunen Juras bei Blum- berg, das sogenannte Doggererz. Ein Oolith ist ein Gestein, welches aus Ooiden aufgebaut ist. Das sind kleine korn- bzw. kugelförmige schalig aufgebaute Mineralaggregate mit ca. 0,3 mm Durchmesser, welche sich im Meer gebildet ha- ben. Meist bestehen solche Ooide aus Kalzium- carbonat. Im Falle der oberen Doggerschichten bestehen sie hingegen zu einem wesentlichen Teil aus Eisenerz, einer Mischung verschie- dener Eisenoxide und -hydroxide. Erzhaltige Schichten des Doggers erstrecken sich über die gesamte Schwäbische Alb. Die ergiebigsten Schichtmächtigkeiten und Erzgehalte befinden sich allerdings im Bereich von Blumberg – Gei- singen sowie im Bereich der Ostalb, wo in Geis- lingen/Steige und Wasseralfingen bei Aalen Eisenerz der mittleren Doggerschichten noch in größerem Umfang und länger als in Blumberg abgebaut wurde. Die Eisenerzvorkommen im Bereich der südlichen Alb werden auf insgesamt 1,5 Milliarden Tonnen geschätzt und stellen da- mit das zweitgrößte Vorkommen Deutschlands dar. Allerdings ist der Eisengehalt relativ gering und zudem bereitete die Aufbereitung der ver- hältnismäßig kieselsäure- und phosporreichen Erze seit jeher Schwierigkeiten. Der Vollständigkeit zu erwähnen sind die Bohnerze. Das sind knollen- oder bohnenför- mige Eisenerzkongretionen, welche sich in Verwitterungssedimenten des Weißen Juras der Schwäbischen Alb oder auch im Bereich des Mu- schelkalkes gebildet haben. Bohnerze spielten in der Frühgeschichte auch in unserer Region si- Blumberger Doggererz: Gesucht sind die kleinen, gerade mal ca. 0,3 mm großen, kugelför- migen, rostbraunen Ooide, die im ganzen Gestein verteilt sind. 131
Und auch wenn man noch so geduldig entlang der Breg mit der Goldwaschpfanne unterwegs wäre: Gold sprich Goldflitter wie im Rhein oder in Graubünden ist im Schwarzwald-Baar-Kreis bis heute keines gefun- den worden. Hier die Breg bei Wolterdingen. cherlich eine gewisse Bedeutung, da sie an der Erdoberfläche einfach eingesammelt werden können. Bedeutender sind diese Vorkommen auf den Hochflächen der Schwäbischen Alb. Gold und Diamanten Wenn man von Bodenschätzen spricht, so dür- fen Gold und Diamanten nicht fehlen. Funde von Gold im Schwarzwald-Baar-Kreis sind dem Verfasser nicht bekannt. Als potenzielle Lager- stätte sind die in urzeitlichen Flusssystemen ab- gelagerten Sandsteine wie der Buntsandstein oder auch der Stubensandstein im Keuper zu nennen. In solchen Sandsteinen können Gold- flitter als sogenannte Seifen enthalten sein, wenn das Ausgangsgestein bzw. -erz goldhal- tig war. Werden die Sandsteine dann durch die Verwitterung wieder zu Sand zersetzt und dieser dann in Bächen und Flüssen erneut in schwe rere oder weniger schwere Bestandteile getrennt, kann man mit viel Ausdauer und et- was Glück aus solchen Bachsanden Goldflitter herausschürfen. Entsprechende Goldfunde sind im Stubensandstein in Baden-Württemberg viel- fach belegt. In Stutt gart-Kaltental wurde im Spät- 132 mittelalter so gar in großem Stil Gold gewaschen. Der Stubensandstein ist im Schwarzwald-Baar- Kreis allerdings nur wenige Meter mächtig und entsprechend wenig verbreitet. Weit verbreitet hingegen ist der Buntsandstein. Diamanten können nur unter extremen, weltweit sehr seltenen Bedingungen entstehen, welche zum Beispiel in Südafrika angetroffen werden können. Diamantfunde sind in Deutsch- land nicht bekannt. Edelsteinfunde hingegen sind bekannt, be- scheidene Halbedelsteinfunde sogar aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis. So wurden zum Bei- spiel beim Bau eines Eisenbahntunnels bei Nuß- bach flaschengroße Bergkristalle gefunden, wie sie heute im Triberger Schwarzwaldmuseum bestaunt werden können. In einem Bergwerk in Nußbach wurden unter anderem Jaspis und Achat gefunden. Weiter zu nennen ist Karneol, eine rote Quarzvarietät, welche auf Äckern im Buntsandstein gefunden werden kann (sog. Karneolschichten) und welche in der Frühge- schichte zu Pfeilspitzen oder Schmuck verwen- det wurde. Vom Kesselberg bei Oberkirnach sind Achate bekannt, welche als Schmuckstein Verwendung fanden. Rot oder braun gefärbte Achate sind unter Archäologen auch unter dem Namen Silex bekannt. Rote Granate, die z.B. bei den Alemannen als Schmuckstein sehr beliebt waren, kann man auch im Schwarzwald-Baar- Kreis finden – allerdings nicht in Schmuckqua- lität sondern als kleine, rote Einsprenglinge im Gneis-Gestein z.B. im Bereich Furtwangen und Rohrhardsberg.
„Schwarzwälder Bergbau ganz anderer Art“: Tunneleingang der Schwarzwaldbahn bei Gremmelsbach. In den Gesteinsformationen wurden auch Bergkristalle gefunden, die teils flaschengroß gewesen sein sollen, wie es in der Literatur zum Bahnbau heißt. Ein Vertreter dieser Gattung ist das unten rechts abgebildete Kappenquarz, gefunden bei Niederwasser. Links ein Karneol aus dem Hirzwald bei Triberg, der in der Frühgeschichte z.B. zu Pfeilspitzen oder Schmuck verarbeitet wurde. Die Exponate befinden sich im Schwarzwaldmuseum Triberg. 133
Torfabbau wurde im Schwarzwald-Baar-Kreis un ter anderem im Schwenninger Moos betrieben – hier im Luftbild zu sehen. Steinkohle und Erdöl Steinkohle wurde vorwiegend in einer Erdzeit gebildet, welche im Schwarzwald-Baar-Kreis nicht repräsentiert ist, nämlich im Karbon. Bei Offenburg wurde solche Karbon-Kohle zeit- weise abgebaut. Steinkohleähnliche Bildungen al lerdings findet man auch hier in den soge- nannten Lettenkohleschichten im Unterkeuper. Es handelt sich um wenige Zentimeter dicke dunkelbraun-kohlige Schichtlagen. Diese sind al lerdings weit davon entfernt, als abbauwürdig bezeichnet zu werden. Bei Döggingen sind im 19. Jahrhundert mehrere Versuche überliefert, die geringwertigen Kohlelager der Lettenkohle als „Steinkohle“ abzubauen. Sucht man nach Erdöl oder Erdgas, so be- nö tigt man immer ein Liefergestein, also ein Meeres sediment mit hohem organischem An- teil, in welchem sich Erdöl oder Erdgas bilden, und ein Speichergestein, also ein Gestein mit großem Porenvolumen welches in der Lage ist, 134 Erdöl oder Erdgas zu speichern. Da Erdöl leich- ter ist als Wasser muss das Speichergestein nach oben hin abgedichtet sein. Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es zwar keine Erdöllagerstätten, jedoch immerhin ein erwähnenswertes Erdöl-Liefergestein: der Öl- schiefer oder Posidonienschiefer im Schwarzen Jura (Lias) hat einen Öl- bzw. Paraffingehalt von bis zu 6%. Aufgrund des ölig-fauligen Geruchs werden besonders bitumenhaltige Partien im Ölschiefer auch als Stinkstein bezeichnet. Dass sich keine Öllagerstätten gebildet haben liegt vor allem daran, dass sich der Ölschiefer in der näheren Region zu nah an der Erdoberfläche be- findet und sich oberhalb des Ölschiefers keine abgeschlossenen Speichergesteine befinden. Den Lias-Ölschiefer findet man in etwa entlang einer Linie Tuningen – Neudingen – Aselfingen. Bei Göppingen wurde in den 1920er-Jahren aus Ölschiefer in industriellem Maßstab Öl gewon- nen. Im oberschwäbischen und bayrischen Al- penvorland (z.B. bei Pfullendorf) haben sich aus den bitumenhaltigen Schichten des Schwarzen und Braunen Juras in größerer Tiefe kleinere Erd- öl- und Erdgaslagerstätten gebildet, aus wel chen stellenweise mittels Tiefbohrungen gefördert wurde.
Der verhältnismäßig reine, quarzreiche Sand stein des mittleren Buntsandsteins fand vieler orts Verwendung zur Glasherstellung wie beispielsweise in Herzogenweiler oder im Glas – bachtal bei Königsfeld. Als Brennmaterial in gro ßem Maßstab gewonnen wurde Torf, z.B. im Schwenninger Moos, im Pfohrener Ried, bei Sumpfohren, im Plattenmoos bei Tannheim oder im Aitrachtal bei Blumberg. Der Bergbau in Baden-Württemberg Mit Einzug der Bronzezeit und anschließend der Eisenzeit begann in Mitteleuropa die Aus- beutung von Erzlagerstätten. Noch früher ge- nutzte Bodenschätze sind Gold und Silber sowie Schmuck- und Werkzeugsteine wie z.B. Jaspis. Bronze ist eine Legierung aus Zinn und Kupfer. Während Kupfer und Zinn im Schwarzwald kaum vorkommen und man während der Bronzezeit praktisch auf die Einfuhr von Bronze angewie- sen war, kann davon ausgegangen werden, dass die Eisenerzvorkommen in Baden-Würt- temberg ab der Eisenzeit um ca. 800 v. Chr. ge- nutzt wurden. Konkrete Funde von Werkzeugen oder Schlacken aus der Hallstatt-Zeit belegen dies. Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis lassen sich für diese Zeit bereits Hinweise finden. Die alten Griechen sowie die Römer kann- ten bereits den Bergbau. Während der Römer- zeit war neben Eisen auch die Gewinnung von Blei von großer Bedeutung. Sie ist auch im Schwarzwald vielerorts belegt. Im Hochmittel- alter erreichte der Silberbergbau im Schwarz- wald einen ersten Höhepunkt. Mit Anlass dafür waren die Vielstaaterei mit vielfach eigenen Münzrechten und ein blühender Handel. Mit Er- schließung von Erzvorkommen in der Neuen Welt am Ende des Spätmittelalters sanken die Edelmetallpreise und manche Abbaureviere ver- loren an Interesse. Bis zur Industrialisierung war es eine ho- he Kunst, aus Erzen Metalle herzustellen und diese zu unterschiedlichsten Gegenständen zu schmieden. Es ist überhaupt erstaunlich, mit welch primitiven Mitteln die Menschen damals in der Lage waren, die eher minderwertigen Erze unserer Region zu Metall zu verarbeiten. Lias-Ölschiefer mit Ammonit. Im Ölschiefer finden sich oft auch Versteinerungen. Der erdölhaltige Tonschiefer ist entlang einer Linie Tuningen – Neudingen – Aselfingen verbreitet. Geologische Skizze der Baar, entnommen „Badische Heimat“, 1938, Sonderband zur Baar. 135
Geschichte Die Arbeit unter Tage ist körperlich sehr belastend – und zum Versturzrisiko kommen die schlechte Luft und die Dunkelheit hinzu. Im Licht und im Ge- stank einer Karbitlampe unter Tage zu arbeiten ist in der Tat Schwerstarbeit. Die Lampe stammt aus dem einstigen Bergbaubetrieb in Blumberg und ist im Museum der Sauschwänzlebahn ausgestellt. Auch die Erzgewinnung im Berg- bau war sehr mühsam, denn der Abbau erfolgte mit primitivem Werkzeug händisch. „Gesprengt“ wurde nicht mit Sprengstoff, son- dern es wurden zunächst Löcher gebohrt und in diese wurde trockenes Holz hineingetrieben, welches die Bergfeuchte aufnahm, zu quellen begann und dadurch in der Lage war, Felsbro- cken abzusprengen. Die Erkundung erfolgte über Probeschürfe oder Probestollen. Eine wich- tige Rolle spielten Wünschelrutengänger, wel- che den unterirdischen Verlauf von Lagerstätten erkunden sollten. Einen Meilenstein für die moderne Rohstoff- erkundung bildete die geologische Landeskar- tierung Ende des 19. Jahrhunderts sowie die Entwicklung moderner Bohrtechniken. Eine große Herausforderung im Bergbau stellen seit jeher neben dem Versturzrisiko, welches im Wesentlichen abhängig vom jewei- ligen Gestein ist, auch eindringendes Wasser sowie die Bewetterung (bergmännisch für Belüf- tung) von unterirdischen Stollen dar. Hierdurch waren dem frühen Bergbau enge natürliche Grenzen gesetzt. Die Suche nach Bodenschätzen war für die jeweiligen Landesherren von sehr großer Be- deutung. So wurde vielerorts nach Bodenschät- zen gesucht. Beispielsweise wurde im schwä- bischen Bad Boll lange sehr aufwändig nach Silber gegraben in Schichten des Schwarzen Ju- ras, also wo nach modernen Erkenntnissen kein Silber zu erwarten ist. Gefunden wurde statt- 136 dessen Mineralwasser. Andernorts in Baden-Württemberg ist belegt, dass Silberminen jahrelang be- trieben und finanziert wurden, die angebliche Ausbeute jedoch aus fremden Silberbergbauregionen im Erzgebirge herbeigeschmug- gelt wurde. Seit der Gründung Badens im Jahr 1806 ist der Abbau von Erzen ein Privileg des Staates bzw. von dessen Genehmigung abhängig. Gips hingegen konnte lange noch „bergfrei“ als Eigentum des jewei- ligen Grundstücksbesitzers abge- baut werden. Die bescheidenen einheimischen Vorkommen waren nicht konkurrenzfähig Die fortschreitende Mechanisierung zu Beginn der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhun- dert, neue Abbaumethoden und nicht zuletzt der steigende Bedarf an Rohstoffen verhalfen dem Bergbau im Schwarzwald zunächst zu einer neuen Blüte. Der Bergbau wurde zuneh- mend industrieller und zentralisierte sich auf größere Vorkommen. Während der Kolonialzeit und mit besseren weltweiten Transportmög- lichkeiten verloren viele regionale Vorkommen an Bedeutung. Insbesondere der Anschluss unserer Region an das Eisenbahnnetz um 1870 ermöglichte die Einfuhr von günstigen Rohme- tallen zur Weiterverarbeitung, so dass die be- scheidenen einheimischen Vorkommen nicht konkurrenzfähig waren. Erst die Autarkiebestrebungen im Dritten Reich waren nochmals Anlass für eine gestei- gerte Förderung einheimischer Erzvorkommen. Längst aufgelassene Abbaustätten wurden wie der aufgenommen und mit teilweise gro- ßem Aufwand betrieben. Das bis heute gültige Reichslagerstättengesetz aus dem Jahr 1934 schreibt zum Beispiel vor, dass alle Bohrungen über 100 m Tiefe der geologischen Landesbe- hörde anzuzeigen sind. Gegen Kriegsende kam mit dem wirtschaftlichen Niedergang auch der Bergbau zum Stillstand. Vielfach wurden auch
Anlagen nach dem Prinzip der verbrannten Erde gesprengt. In den 1950er Jahren wurden einige Bergbau- betriebe wieder neu aufgenommen. Die Verbes- serung der weltweiten Transportmöglichkeiten bzw. entsprechend günstigere Angebote hoch- wertigerer Lagerstätten im Ausland verdrängten landeseigene Bergbauprodukte nach und nach, so dass heute lediglich die Steinsalzbetriebe in Heilbronn und Haigerloch sowie die Grube Clara im Kinzigtal übrigblieben. Geschichte des Bergbaus im Schwarzwald-Baar-Kreis Ist in manchen Bergbauregionen der Reichtum vergangener Bergbauzeiten zum Beispiel an- hand von hochwertiger, historischer Bausub- stanz sichtbar, so sucht man im Schwarzwald- Baar-Kreis vergeblich nach Spuren solchen Reich- tums. Dennoch ist der frühere Bergbau stellen- weise heute noch sichtbar. Betrachtet man die Bergbaustätten im Schwarzwald-Baar-Kreis, so muss man unter- scheiden, wo lediglich Bodenschätze gesucht Blick vom Steinbruch Riegger an der Gemarkungs- grenze von Hammereisenbach/Eisenbach ins Urachtal. Erz wurde in dieser Gegend bereits im Mittelalter abgebaut. wurden oder auch mit größerem Aufwand min- derwertige Vorkommen unwirtschaftlich abge- baut wurden und wo tatsächlich erfolgreich und in gewerblichem oder industriellem Maßstab abgebaut wurde. Letzteres beschränkt sich auf wenige Standorte im Schwarzwald-Baar-Kreis. Zu nennen sind hier die Erzreviere Blumberg und im Bereich Eisenbach/Hammereisenbach/ Urach sowie lokale Vorkommen in Unterkirnach und Gremmelsbach. Weiter ist der Gipsbergbau in Fützen und Döggingen zu nennen. Immerhin für die Ortschaften Blumberg mit Zollhaus und Hammereisenbach war ihre Bergbauvergangen- heit prägend und es lassen sich bis heute deut- liche Spuren erkennen. Die ältesten, indirekten Belege für die Erzge- winnung stammen aus der Zeit der Kelten. Am Magdalenenberg in Villingen, dem größten kel- tischen Fürstengrabhügel Mitteleuropas (siehe auch Seite 120), wurden bei Grabungen Geröll- 137
Geschichte Blick auf Hondingen (vorne) und Fürstenberg. In der Gegend um Hondingen kann man von der Erd- oberfläche Bohnerz (Foto unten) aufsammeln, in frühgeschichtlicher Zeit wurde es zu Erz verarbeitet. Bohnerze – knollenartige Eisenerze – findet man im Bereich der Juranagelfluh (Blumberg/Hondingen/ Ried öschingen) an vielen Orten. schlegel gefunden, welche in der damaligen Zeit für die Erzaufbereitung verwendet wurden. Das lässt vermuten, dass bereits in keltischer Zeit Erze aus dem Groppertal oder aus dem Bereich Eisenbach zu Eisen verarbeitet wurden. Die Her- stellung von Eisen und entsprechenden Geräten und Waffen stellte für die Kelten, die um 600 v. Chr. in die Gegend von Villingen eingewandert waren, den entscheidenden Vorteil gegenüber der Urbevölkerung dar. Ebenfalls in keltischer Zeit belegt ist die Ei- sengewinnung aus Bohnerz an verschiedenen Orten der Schwäbischen Alb. Im südlichen Kreis im Bereich des Juranagelfluh um Riedöschingen und Hondingen oder auf den Hochflächen des Hohen Randen lassen sich ebenfalls solche Bohnerzknollen an der Erdoberfläche sammeln. In Hondingen wurde im Jahr 2003 genau im Bereich der Doggererz-Schichten Grund- mauern eines römischen Ge- bäudes entdeckt. In der Nä he fanden sich auch Schlackereste. Da der Ort eher untypisch ist für eine 138 römische Villa, lässt sich vermuten, dass die Be- siedlung mit den Erzvorkommen in Verbindung zu bringen ist. Flurnamen bei Blumberg wie „Erzgraben“ oder „Erzäcker“ wie auch über die Felder verstreute Schlacken von pechsteinar- tigem Aussehen lassen darauf schließen, dass bereits im Mittel alter oder früher Erz gewonnen wurde, welches an Ort und Stelle verhüttet wur- de. In Merishausen im Kanton Schaffhausen ist die Verhüttung von Doggererz durch Grabungen bereits für das 7. Jahrhundert belegt und da dort die gleichen, erzhaltigen Makrocepha- lenschichten des Doggers vorkommen wie in Blumberg, liegt die Vermutung nahe, dass auch in Blumberg bereits zu dieser Zeit Eisenerz ge- wonnen und verarbeitet wurde. Im Mittelalter war Erzbergbau zunächst ein königliches Recht. Im Jahr 1234 wurde das Berg recht durch den König an die Grafen von Freiburg verliehen, unter anderem an der Breg und „allen verstreuten Bächen“ nach Silber zu graben. Dieser älteste urkundliche Beleg für Bergbau in unserer Region bezieht sich auf die Umgebung von Vöhrenbach. Nach ca. 1500 be- anspruchten Landesfürsten wie hier in der Regi- on die Fürsten zu Fürstenberg die Bergwerke auf ihrem Grund und Boden als ihr Eigentum, auch wenn sie meist nicht in eigener Regie betrieben wurden. Meistens wurden sie gegen einen ver- traglich festgesetzten Ertrags- anteil in Pacht gegeben. Mit Aufbau des Bahnnetzes boten
sich wirtschaftlichere Möglichkeiten, Erz zu transportieren und es statt mit Holzkohle mit Steinkohle zu verhütten. Auch konnte Eisen als Rohstoff über große Entfernungen günstig transportiert werden. Ei- senindustrie-Standorte in Deutsch- lands Steinkohlegebieten setzten sich mehr und mehr durch. Durch neue Verfahren setzte die Massenerzeugung von Ei- sen und Stahl ein. Damit war der Erzabbau in unserer Region nicht mehr wettbewerbsfähig und das Eisenwerk in Hammereisenbach wurde im Jahr 1867 liquidiert. Ein Jahr später wurde der Eisenbahnanschluss nach Donaueschingen in Betrieb genommen und die Versorgung mit günstigeren Rohstoffen konnte zukünftig über die Schiene erfolgen. Erzabbau im Revier Blumberg – ein ausgesprochen großes Vorkommen Im Jahr 1934 wurde aus Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches heraus sowie durch gro ße Rohstoffnachfrage aufgrund der Rüs tungs- aktivitäten der Erzabbau im Revier Blumberg wieder aufgenommen. Hierbei war von Bedeu- Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis Das Siegel der Doggererz- Aktien gesellschaft Blumberg. tung, dass das Blumberger Revier zwar nicht ein qualitativ gutes Erz liefert, das Vorkommen insgesamt jedoch ausgesprochen groß ist und bereits damals relativ gut zu erkunden war. Viele andere Erzre- viere wie auch das Eisenbacher Revier lieferten zwar qualitativ bessere Erze, jedoch waren die gangförmigen Vorkommen räumlich bzw. men- genmäßig sehr begrenzt. Der Abbau von Dog- gererz wurde in großem, industriellem Umfang betrieben. Betreiber war die Doggererz-AG, ei- ne Gesellschaft aus mehreren Hüttenwerken im Saargebiet. In Gutmadingen wurde bereits ab 1930 Erz durch die Gute-Hoffnungs-Hütte AG in der Karl-Egon-Grube bergmännisch gewonnen. Das Bergrecht für die gesamte Region besaß zu- nächst noch das Haus Fürstenberg. Nach lang- jährigen Verhandlungen kaufte die Doggererz AG erst im Jahr 1940 dem Fürsten die Rechte an Bergbauingenieure bei der Begutachtung einer Verwerfung in einem Blumberger Stollen. 139
Typische Blumberger Siedlungsstraße mit Blick zur katholischen Kirche. Ein Haus ist wie das andere, die Einwohnerzahl der Stadt stieg innerhalb von zehn Jahren um das Zehnfache. 15 Bergwerksfeldern zusammen mit wichtigen Grundstücksflächen ab. Im Gegenzug musste sich die Firmenleitung verpflichten, in allen Kanti- nen die Erzeugnisse der Fürstenberg-Brauerei anzubieten. Dies war auch bereits früher wäh- rend des Betriebs des Hammerwerks in Ham- mereisenbach Bedingung für die Verpachtung und führte dort schon zu einem beträchtlichen Bierumsatz. Der Bergbau in Blumberg wuchs enorm schnell mit der gesamten Infrastruktur, wel- che für die Erzförderung, deren Transport und Verarbeitung erforderlich war, jedoch auch be- züglich der Unterbringung und Versorgung der Berg arbeiter und ihren Familien. Bis zu ca. 1.500 Arbeiter waren im Bergbau beschäftigt, die bis zu fast einer Million Tonnen Eisenerz pro Jahr zu Tage förderten. Innerhalb weniger Jahre bekam das bis dahin verträumte Bauerndorf Blumberg das Gesicht einer groß angelegten, jedoch nur halbfertigen Bergbaustadt. Die Einwohnerzahl von Blumberg stieg innerhalb von zehn Jahren auf fast das Zehnfache. sogenannten Vorschmelzwerk mit dem Namen Hermann-Göhring-Werk verarbeitet werden und per Bahn in das Saarland weitertransportiert werden. Hierdurch sollte das Gewicht des Erzes verringert werden, indem es zu Vorschmelzei- sen angereichert wurde. Damit sollten die Trans- portkosten massiv gesenkt werden. Zum Vor- schmelzwerk sollte das Erz von Zollhaus über eine Gleisstrecke durch das Hondinger Tal und einem Tunnel unter dem Fürstenberg (Schächer) nach Neudingen gelangen. In Neudingen waren vier Hochöfen mit einer Tagesleistung von je 300 Tonnen geplant Eine weitere Standortalternative war im Tal süd- lich von Riedböhringen, wie eine Planung aus dem Jahr 1939 belegt. Dieser Standort wurde aufgegeben zugunsten von Neudingen, weil dort mehr Platz und an der Donau mehr Wasser vor- handen war und zudem die Verkehrsanbindung insbesondere ans Schienennetz bes ser war. Hier sollten 4 Hochöfen mit einer Tagesleistung von je 300 Tonnen entstehen. Mit dem Bau des Neu- dinger Hüttenwerkes und dessen Infrastruktur mit Straßen etc. wurde 1940 begonnen. In Neu- dingen sollte das Erz bis zu einem Eisengehalt von 90 % aufbereitet werden. Noch im Jahr 1941 war ein weiterer Ausbau der Förderung geplant. Ab 1942 sollte das Erz in Neudingen in einem großen Hüttenwerk, einem Sehr bald standen dem Deutschen Reich im besetzten Lothringen und Norwegen sowohl qualitativ als auch quantitativ weitaus besse- 140
re Eisenlagerstätten zur Verfügung. Es fehlten zur Errichtung des Neudinger Hüttenbetriebes Arbeitskräfte und Baustoffe. Der Bau verlief schleppend. Es zeichnete sich ab, dass der Be- trieb eines solchen Hüttenwerks nur unter be- triebswirtschaftlichen Verlusten möglich sein würde. Im Mai 1941 wurden die Arbeiten am Neubau eingestellt. Als neuer Standort wurde Kehl gewählt, der kriegsbedingt dann jedoch ebenfalls nicht verwirklicht wurde. Im April 1942 wurde der Abbau von Doggererz auf der Baar eingestellt. Die Bergleute wurden in an- deren Bergbauregionen eingesetzt oder zum Kriegsdienst eingezogen. Die Anlagen in Blum- berg wurden so weit wie möglich demontiert und anderorts verwertet. Gebäude und Stollen wurden ausgebombten Industriebetrieben zur Herstellung von Rüstungsgütern zur Verfügung gestellt. Dies war in Blumberg wie auch in Neu- dingen bereits der Ursprung für den industri- ellen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Die bergmännische Gewinnung von Gips ist im Schwarzwald-Baar-Kreis eine Besonderheit Eine Besonderheit im Schwarzwald-Baar-Kreis ist die bergmännische Gewinnung von Gips. Gips des Gipskeupers wird heute noch vielerorts in Baden-Württemberg abgebaut, allerdings in der Regel im Tagebau. Einige Abbaustätten sind entlang der Autobahn A81 im Landkreis Rottweil zu sehen. Im südlichen Schwarzwald- Baar-Kreis streichen die Gipsschichten vielfach in relativ steilem Gelände aus. Wenn man in steilem Gelände schichtförmige Lagerstätten im Tagebau gewinnen möchte, sind große Abraummengen unvermeid- bar. Als weiteren Vorteil kommt man bei bergmännischer Gewinnung bald in tieferliegende Gesteinsbereiche, in denen die Gesteine noch bergfrisch vor- liegen und der Gesteinsverband stabiler ist als in der Nähe der Oberfläche. Zudem ist in oberflächennahen Bereichen Gips häufig aus- In Fützen bei Blumberg gewonnener Gips, der dort bergmännisch abgebaut wurde. Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis gelaugt, da er relativ gut wasserlöslich ist. Wohl aus diesen Gründen hat man in Fützen und im Gauchachtal bei Döggingen Keupergips auch bergmännisch gewonnen. Benachbart zu Fützen wurde in Grimmels- hofen auch Gips des mittleren Muschelkalkes im Stollenbetrieb gewonnen. Die Gipse der Anhy- dritgruppe des mittleren Muschelkalkes sind in der Regel reiner als Keupergipse, die stark mit Ton durchsetzt sind. Im Tagebau wurde Keuper- gips auch in Aselfingen, Hüfingen, Bad Dürrheim, Schwenningen und Mühlhausen gewonnen. Das gebrochene Gipsgestein musste früher weiter zerkleinert und in Gipsmühlen gemahlen werden. Die wichtigste Gipsmühle der Baar be- fand sich am heutigen Posthaus in Döggingen. Die im Jahr 1790 errichtete Gipsmühle hatte lange Zeit eine Monopolstellung in der Baar. Zunächst wurde Gips in erster Linie zu Dünge- zwecken abgebaut. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde Gips auch in größerem Maßstab als Bau- stoff verwendet. Der Bauboom der Nachkriegs- zeit bewirkte nochmals einen gesteigerten Be- darf an Gips, doch auch hier bewirkte die zuneh- mende Technisierung der Abbaumethoden eine Zentralisierung der Abbaustandorte. Als dann der Gipsbedarf in den 1970er Jahren zurückging, wurden viele kleine Gipswerke geschlossen, so auch die im Schwarzwald-Baar-Kreis, obwohl hier bis heute noch gewaltige Lagerstätten vorhanden sind. So endete mit der Schließung des Gipsbergwerkes in Fützen im Jahre 1977 die jahrhundertelange Bergbaugeschichte im Be- reich des Schwarzwald-Baar-Kreises. Abbau und Aufbereitung von Erzen sind immer mit großen Erdbewegungen sowie mit 141 141
Geschichte hohem Wasserverbrauch verbunden. Überall wo Erze abgebaut wurden, stoßen wir heute auf Hinterlassenschaften wie Abraumhalden, Schlackenreste und entsprechend der heutigen Möglichkeiten der Analytik auch auf anthro- pogene Bodenbelastungen durch Schwerme- talle. Bach- und Flusswässer, welche im Laufe von Jahrhunderten zur Wäsche und Aufbe- reitung von Erzen verwendet wurden, welche jedoch auch auf natürlichem Weg erzhaltige Mineralien aufgenommen haben, haben diese weitertrans portiert und teilweise in Flussauen oder Schwemm ebenen der Vorlandbereiche des Schwarzwaldes wieder abgelagert. Hier- durch sind in manchen Böden Schwermetalle wie Kupfer, Blei oder Arsen angereichert. Hohe Belastungen, die auch umfangreich untersucht wurden, sind aus den wichtigen Abbaugebieten im Kinzig-, Elz- oder Münstertal bekannt. Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis sind solche Be- Rechte Seite: Die Abraumhalden und Tagebau- bereiche des Bergwerkes in Blumberg sind heute wertvolle Biotope – hier wächst neues Leben. lastungen, wenn auch in sehr viel geringerem Umfang, vor allem in den Aueböden von Brigach und Breg bekannt. Aber es gibt auch eine andere Seite, arten- reiche Biotope nämlich: In Blumberg sind die ge waltigen Erdumwälzungen, die im Rahmen des Bergbaubetriebes, aber insbesondere auch im Rahmen des Tagebaubetriebes erfolgten, noch bis heute gut sichtbar. Die Tagebaube- reiche sind teilweise bis heute nicht rekultiviert worden, so dass sich innerhalb der letzten 60 Jahre eine besondere Vegetation eingefunden hat, die reich an geschützten Pflanzen- und Tier- arten ist. Solche Bereiche sind insbesondere am Ristelberg östlich von Zollhaus oder an den Süd- hängen des Eichberges erkennbar. Gremmelsbach MANGAN Nußbach SILBER, BLEI, ACHAT Niedereschach KUPFER, BLEI (SILBER) hr h a rdsb e Blindensee o R r g Triberg Guta c h Brigachquelle Ke s s elber g B r e g B r i g a c h Groppertal EISEN Unterkirnach BLEI Villingen Vöhrenbach MANGAN, EISEN (SILBER) Schwenningen Schwenninger Moos Neckarursprung Bad Dürrheim Linachtalsperre Hammereisenbach MANGAN, EISEN (SILBER) Donaueschingen Donaubeginn B r e g Rechts: Skizze zu den gegenwärtig bekannten Bergwerken im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Bis heute sind die Stollen und Abbaugebiete nicht syste- matisch erfasst, weitere Stollen sind also wahr- scheinlich. 142 Brändbac h Kirnbergsee G a u chach Döggingen GIPS ehem. Bergwerke mit vorwiegend abgebautem Bodenschatz h c a t u W Erz-Aufbereitungsanlage Hammerwerk Donau Hondingen BOHNERZ Ei c h berg c h A itr a Blumberg EISEN Fützen GIPS R a nde n
Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis 143
Geschichte Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis – die Abbaugebiete im Einzelnen Vöhrenbach – eine Stadt, die auf Silberadern gründet? In Vöhrenbach wurde nach Silber gegraben. Der Bergbau ist bereits seit dem 15. Jahrhundert schriftlich belegt. Dort ist von einer „Richen- gruob“, also einer „Reichen Grube“, die Rede. Allerdings konnte der tatsächliche Fund von Sil- ber in jüngerer Zeit trotz vielfacher Suche nicht konkret bestätigt werden, obwohl viele Überlie- ferungen und auch der alte Flurnamen „Silber- acker“ beim Friedhof darauf hindeuten. Häufig allerdings wurden solche Flurnamen auch ein- fach für einen ertragreichen Acker verwendet, dessen reiche Frucht sich in Silber umwandeln ließ. Es gibt heute noch einen begehbaren alten Erz stollen an der Schleife, der ca. 12 Meter lang ist. Weitere Stollen sind zugeschüttet oder ver- sperrt wie „Rottlers Loch“ oder der wahrschein- lich größte und älteste Vöhrenbacher Stollen am Felsen, in den man noch 1860 vom Bierkeller des Felsenwirts aus gelangte. Dieser Stollen soll noch vor der Erfindung des Schießpulvers mit Schlegel und Eisenarbeit ausgeführt worden sein, also ohne Sprengungen. Bei der Umgestal- tung des Friedhofes stießen die Arbeiter 1964 ebenfalls auf alte Stollen. Dort in der Nähe gibt es auch einen 10 Meter tiefen Schacht, der als eventuelle Belüftung für andere Stollen fungiert haben könnte. Der gegenwärtig einzige, gut begehbare Vöhrenbacher Stollen (oder Versuchsstollen) in der Nähe der früheren Schleifenmühle zeigt kei- Vöhrenbacher Ansichtskarte der Jahrhundertwende, die den Silberbergbau, das Bruderkirchle und die Sage von den „Sieben Jungfrauen“ zum Inhalt hat. Der hier zu sehende Eingang zu einem Silberberg- werk entstammt jedoch der Phantasie des Künstlers. 144
Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis ne Hinweise auf Silbermineralien. Er war einst deutlich länger und verlief nach einer Bestands- aufnahme von 1860 gut 20 Meter in südlicher Richtung. Schon 1745 wird dieser Stollen in ei- ner Beschreibung erwähnt. Er steht in engem Zusammenhang mit dem kurzzeitigen Wieder- aufleben der Bergbauaktivitäten in Vöhrenbach im 18. Jahrhundert. Es wurden damals Gesteins- proben vorgelegt, die bis zu 17 % Silber enthiel- ten. Das allerdings entpuppte sich als Betrug, denn der Goldschmiedgeselle, der die Untersu- chung vornahm, wurde von den Bergarbeitern, die sich den Weiterbetrieb des Stollens sichern wollten, dazu angestiftet. Die Mineralgänge von Vöhrenbach enthal- ten hauptsächlich Schwerspat (Baryt, Barium- sulfat) mit stark manganhaltigem Brauneisen- erz. Der mächtigste Gang liegt neben der öst- lichen Mauer des Vöhrenbacher Friedhofs und ist dort etwa 4 Meter mächtig. Noch um 1835 wurde der Gang beim Friedhof auf Schwerspat abgebaut, zuletzt durch den Apotheker Salzer aus Villingen. Braunstein (Manganerz) wurde in Vöhrenbach zeitweise auch von Hafnern gemah- len und zum Färben genutzt oder zur Entfärbung bei der Glasherstellung verwendet. In der Ortschronik von Vöhrenbach ist die Bergbaugeschichte der Stadt ausführlich be- schrieben. Besondere Erwähnung verdient die Sage von den sieben Jungfrauen, die beim Bru- derkirchle einst von Hunnen auf dem Scheiter- haufen verbrannt worden sein sollen. Ein Ölbild aus dem Jahr 1742 zeigt diese Sage im Bild. Jede der Jungfrauen stieß vor ihrem Tod eine Verwün- schung aus – eine lautete, dass die Vöhrenba- cher Silbergruben versiegen werden. So kam es dann auch… Aufgrund des vage überlieferten Silberab- baus untersuchten zahlreiche Fachleute im 19. und 20. Jahrhundert die in allen damals noch vorhandenen Stollen anstehenden Gesteine, fanden jedoch keine Hinweise auf Silber. Auch wenn Silberfunde in Vöhrenbach nie konkret be- legt werden konnten, so ist es aus geologisch- mineralogischer Sicht durchaus möglich, dass in den Vöhrenbacher Gängen zu irgendeiner Zeit einmal Silber gefunden wurde, vielleicht ein kleines lokales Vorkommen, welches voll- ständig ausgebeutet wurde. 145 Blick in den schon 1745 erwähnten Bergwerksstollen im Gewann „Schleife“ in Vöhrenbach. Der vordere Teil des Stollens ging bei Bauarbeiten verloren, der noch vorhandene Teil hat eine Länge von ca. 12 Metern. Quarznester, rein weißer Schwerspat und auch ein Brauneisensteinvorkommen sind an der Decke des Vöhrenbacher Stollens auszumachen.
Geschichte Ein weiteres Erzvorkommen befindet sich zwi- schen Vöhrenbach und Hammereisenbach östlich oberhalb des Bernreutehofes. Das Grubenfeld trug den verheißungsvollen Namen „Schwarzwaldse- gen“. Im Jahr 1660 sind dort drei Schächte und ein Stollen beschrieben. Anfang des 18. Jahrhundert soll dort auch Kupfer gefunden worden sein. Im nassen Winter 1713/1714 soffen alle Gruben ab und wurden nicht mehr weiterbetrieben. 100 Erzgänge und das Fürstlich Fürstenber- gische Hammerwerk von Hammereisenbach Im Eisenbachtal und seinen Nebentälern finden sich ca. 100 Erzgänge. Sie sind relativ einheit- lich ausgeprägt als Quarz- und Schwerspatgän- ge mit Eisen- und Manganerzen. Zum Teil führen sie auch Wolfram und Uran. Sie sind bis 50 cm stark und verlaufen senkrecht gestellt in Nord- west-Südost-Richtung. Beim Eisenerz handelt es sich um Eisenglanz und hauptsächlich kirsch- rotfarbenen Roteisenstein (beides Formen von Hämatit Fe3O4). Das vorwiegende Manganerz ist Braunstein (Manganoxid). Häufig vergesell- schaftet sind rote Quarzmineralien wie Jaspis bzw. Karneol. Die geringe Mächtigkeit der Gän- ge und deren steilgestellte Lage sowie die Tatsa- che, dass die Erzführung zur Tiefe hin abnimmt, gab dem Bergbau keine großen Aussichten. Im In Hammereisenbach abgebauter Braunit sprich Braunstein. Wesentlichen erfolgte der Abbau im Eisen- bacher Revier bis 1867 und kurzzeitig noch 1916 bis 1920 und 1940 bis 1942. Zwar sind die Erz gehalte stellenwei- se deutlich höher als in Blumberg, jedoch sind die Vorkommen sehr begrenzt, sodass des- halb der Abbau nicht einen industriellen Maß- stab wie etwa in Blumberg annahm. Außerdem hat das Erz ungünstige Schmelzeigenschaften. Es ist so zähflüssig, dass es generell mit ande- ren Erzen, zum Beispiel mit Bohnerzen der Alb, gemischt werden musste. Für das Dorf Hammereisenbach war der Bergbau beziehungsweise die Folgeindustrie namensgebend. Hammerwerke wurden lange Zeit mit Hilfe von Wasserrädern mit Wasser- Ansicht von Hammereisenbach um 1840. Vorne das damalige hintere Hammerwerk. 146
energie betrieben. In Hammereisenbach war ge- nügend Wasser zur Aufbereitung der Erze sowie zur weiteren Verarbeitung von Eisen vorhanden. Außerdem günstig war ein fast unbegrenztes Dargebot an Holz in den umgebenden Wäldern sowie ursprünglich die Lage in Nähe zur Burg Neufürstenberg. Im Ortsbereich von Hammer- eisenbach drängen sich ebenfalls einige Gänge zusammen. Ab 1840 wurden dort nur noch Man- ganerze abgebaut, welche als Braunstein vor allem zu Färbezwecken in den Handel kamen. Pingen und Halden lassen auf einen ebenfalls lebhaften Bergbau am Sommerberg bei Urach, am Fahrenberg, im Griffelwald, an der Bären- reutte und bei Fahlenbach schließen. Die Hammereisenbacher Eisenhütte ist bereits 1523 erwähnt In Hammereisenbach ist das Bestehen einer Eisenhütte bereits seit 1523 urkundlich belegt. Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Eisenhüt- te durch die Villinger Gebrüder Michael und Jo- hannes Schwerdt, die gerne als erste Villinger Unternehmer bezeichnet werden, mit großem Er folg betrieben. Die Jahresproduktion be- trug unter ihrer Regie knapp 2.000 Zentner Schmiedeeisen. In Villingen wurde das Eisen dann in einem Eisenwerk und verschiedenen wei- terverarbeitenden Betrieben verwertet. Um 1700 existierten in Villingen entlang der Brigach bis zu vier Hammerwerke, sie besaßen wasserbetriebene me- chanische Hammer zum Schmieden von Rohei- sen. Bei den Vogtsbauern- höfen in Gutach kann man noch einen solchen Hammer besichtigen. Der Name des Fürstenbergischer Bergmann aus dem F.F. Archiv, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis Wohngebietes Hammerhalde in Villingen erin- nert an die Mühlen, in welchen zeitweise Ham- merwerke betrieben wurden. Das obere Hammerwerk im Bereich des Kirn- acher Bahnhofs wurde noch bis ca. 1870 betrie- ben – drei Jahre vor Inbetriebnahme der Schwarz- waldbahn. Die Metallverarbeitung hat deshalb in Villingen traditionell große Bedeutung. Sie erlebte mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert nochmals einen Aufschwung und auch heute existieren bedeutende Betriebe mit langer Tradition. Im Jahr 1636 musste das Hammereisen- bacher Werk stillgelegt werden, als Villingen belagert wurde. Nach den Kriegswirren des 30-jährigen Krieges erlebte der Erzabbau eine Blüte und es wurde in Hammereisenbach im Jahr 1705 ein größeres, neues Hammerwerk er stellt und 1756 ging ein neuer Hochofen in Betrieb. Es wurden in der Umgebung von Hammereisen- bach zeitweise 25 Gruben betrieben. Im 18. Jahr- hundert war das Hammerwerk die meiste Zeit an Schweizer Kaufleute verpachtet. Im 19. Jahrhundert nahmen die Fürstenber- ger den Betrieb selbst in die Hand und unter dem Hüttenfachmann Ferdinand Steinbeis, der auch „Vater der Industri- alisierung Württembergs“ genannt wird, kam der Betrieb zur Blüte. Im Jahr 1835 waren im Hammerwerk 30 Arbeiter beschäftigt. Eine noch größere Anzahl war bei der Erzförderung so- wie bei der Beschaffung von Holz bzw. Kokskohle be- schäftigt. Viele erfahrene Bergarbeiter wanderten aus dem Erzgebirge zu. Verar- beitet wurden bis zu 8.000 Zehntner Eisen pro Jahr. Angegliedert war ein Schleifwerk. Hergestellt wurden vor allem Bleche, Draht und Waffen. Die Gruben in Fahlenbach wurden ursprüng- lich als Silbergruben bezeichnet, was darauf schließen lässt, dass in frühester Zeit nach Silber gegraben wurde. Für das Jahr 1661 sind Fördermengen belegt, und zwar ca. 70 t Rot- eisenstein (Hämatit) und 1,6 t Schwarzeisen erz (Psilomelan). Alten Erzählungen aus einer Pfarr- chronik zufolge sollen die Gruben dem Besitzer 147
Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis einen Ertrag von „einer ganzen Wanne voller Silberstücke“ beschert haben. Er soll aber dann seinen Reichtum schnell verprasst haben. Im 19. Jahrhundert erfolgte vorwiegend Braun- stein-Abbau in bis zu 50 m tiefen Schächten. Bis zu 16 Arbeiter sollen beschäftigt gewesen sein und bis zu 80 Zentner Erz pro Tag abgefahren worden sein. Im Rahmen landesweiter Uranpro- spektionen wurden hier in den 1950er Jahren erhöhte Urangehalte festgestellt. Unterkirnach: In der „Grube Ferdinand“ wurde Bleiglanz abgebaut In Unterkirnach durchschneidet ein bedeu- tender Schwerspatgang den Renchgneis bzw. den Granitporphyr am Hardtberg, verläuft dann in südöstlicher Richtung durch das Wohngebiet Marbental zum Roggenberg im Bereich des heu- tigen Streichelzoos und quert schließlich das Schlegelbachtal. Der ca. 0,5 m mächtige Gang enthält eingesprengten Bleiglanz (Bleisulfid) und wurde deshalb in der „Grube Ferdinand“ auf Blei abgebaut. Sehr häufig in solchem Bleiglanz enthaltenes Silber sucht man in Unterkirnach 148 Blick ins Groppertal bei VS-Villingen, im Hintergrund rechts Unterkirnach. Die Erzvorkommen hier sind in Entstehung und Ausprägung mit dem im Eisenbach- Vöhrenbacher Revier vergleichbar. allerdings vergeblich. Dagegen ist überliefert, dass der Gang in einigen Bereichen das Gang- mineral Flussspat (Calciumfluorid) führte und stellenweise von Kupfererzen begleitet war. Historisch belegt ist der Abbau hier seit dem Jahr 1790. Im Jahr 1792 wird von Tagesschächten mit ca. 150 m Tiefe berichtet, welche aufgrund schlechter Grundwasser- und Bewetterungsbe- dingungen jedoch bald aufgegeben werden mussten. Immerhin wurde ein Stollen mit ca. 270 m Länge errichtet. Im Jahr 1816 wurden ca. 200 kg Bleierze verkauft, woran man sieht, dass der Maßstab des Abbaus doch eher gering war. 1825 ging der Betreiber der Grube in Konkurs und der Abbau war beendet. Unterkirnacher Granit- porphyr mit ein- gesprengtem Bleiglanz.
Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis 149 Noch heute zeugen im Groppertal versperrte und eingefallene Stollen von der einstigen Bergbau- aktivität. Am Uhu-Felsen versperrt ein Gitter den Stolleneingang, zu groß ist die Einsturzgefahr. Hier befand sich ein Brauneisenstein-Bergwerk. Abgebaut wurden aber auch Baryt, Eisen- und Manganerze und das bereits in der Hallstattzeit. Im Bereich der Ruine Roggenbach wurde ei- ne Grube für Braunstein (Manganerz) betrieben. Der Abbau erfolgte dort durch einen Bauern na- mens Beha nur im Nebenerwerb. Im Umfeld des Kirnacher Bahnhofes finden sich weitere Hinweise auf Bergbau. Hier verläuft über mindestens 1 km Länge ein Erzgang pa – rallel zur Eisenbahnlinie. Diese Erzvorkommen sind in Entstehung und Ausprägung mit dem im Eisenbach-Vöhrenbacher Revier vergleichbar. Beim Uhu-Felsen befand sich ein Brauneisen- stein-Bergwerk, dessen Mundlöcher man heu- te noch erkennen kann. Nur 200 m von diesem Bergwerks-Areal entfernt befindet sich eine hallstattzeitliche Befestigung im Germanswald, sodass ein Abbau bereits zu dieser Zeit zu ver- muten ist. Auch hier setzen sich die Gänge aus Baryt (Schwerspat) sowie aus Eisen- und Man- ganerzen zusammen. Bei genauerem Hinsehen kann man diese Mineralien hier noch aufspüren. Schriftlich überliefert ist ein aktiver Bergbau für die Jahre 1803 – 1815. Auch hier handelte es sich nur um einen Kleinbetrieb. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden noch weitere Versuche unternommen, die jedoch alle bald eingestellt wurden. In der Talaue im Bereich der Feldner Müh- le findet man häufig Schlackenreste, welche auf frühere Aktivitäten der Erzaufbereitung
Am Kesselberg in Oberkirnach, wo sich auch heute noch Abbauspuren befinden, wurde im 17. Jahrhundert ein Erzbergwerk betrieben, welches im Jahr 1623 zu Beschwerden aufgrund von Flur- schäden führte. Die „berckhsknaben“ hätten Felder durch Gräben so ruiniert, dass „seithe- ro khein Hantvoll Frucht“ mehr darauf wächst. Das Erz wurde nach Hornberg zur weiteren Ver- arbeitung transportiert. Außerdem sind Achate bekannt. Weitere Gänge befinden sich im Bereich Triberg-Nußbach im Vordertal, wo im „hinteren Dorf“ bis 1842 erfolgreich Erz gefördert wurde. Gegraben wurden Silber-, Blei- und Kobalter ze sowie kleinere Mengen von Jaspis und Achat. Im Jahr 1744 wurde einer Grube der Name „Der Weg zum Achat auf Hirsch“ verliehen. Für eine wei- tere Grube in Nußbach namens „Grube Jakob“ wurde 1840 sogar ein Gesellschaftsvertrag mit über 50 Aktionären geschlossen. Die Aktivitäten verliefen sich anschließend im Sand. Hier verläuft die markante Kesselberg-Ver- werfung, an welcher sich in Gesteinsschollen um mehrere hundert Meter gegeneinander be wegt haben. Entlang der Verwerfung findet sich an mehreren Stellen eine Quarzbrekzie aus der Permzeit – die ältesten Ablagerungen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Diese ist entstanden, indem schotterartig zertrümmertes Gestein ent- lang der Störungszone durch Zufuhr von Quarz verbacken wurde. Am Heidsteinhof sind neben Quarzminera- lien auch Schwerspat sowie Eisen-, Mangan- und Kupfererze enthalten. Im Vordertal wurden in den 1970er Jahren Uran-Prospektionsboh- rungen durchgeführt, bei welchen neben den genannten Erzen auch Wismut, Arsen-, Kobalt- und Uranmineralien gefunden wurden. Entspre- chend der Mineralienvergesellschaftung (Para- Jaspis, wie er auch im „Hinteren Dorf“ in Nußbach ge- funden wurde (Schwarzwaldmuseum Triberg). Pyrolusit – Weichmanganerz aus Gremmelsbach (Schwarzwaldmuseum Triberg). hinweisen. An der ehemaligen Tuchbleiche an der Brigach wurde Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts vom damaligen Betreiber Ummen- hofer auch eine Gips- und Erzmühle betrieben. Neben dem Kellerhäusle in Stockburg (St . Georgen) war in den 1980er Jahren ein Stol- len eingebrochen, welcher jedoch wieder ver- füllt wurde. Zahlreiche Gewannnamen weisen auf Bergbau hin. Auch der Name des Gropper- tals ist nach SCHMAEDECKE 1989 auf Bergbau- aktivitäten zurückzuführen (Gropper = Grube). In Gewann Rötenbach bei Gremmelsbach wurden Manganerze abgebaut Im Bereich nördlich von Triberg sind zahlreiche Erz-Mineralisationen vorhanden, die neben Ei- sen- und Manganerzen auch Zinn und Uran enthalten. Außerdem sind Flussspat und der Edelstein Topas dokumentiert. Abgebaut wur- den diese Vererzungen lediglich in Rötenbach bei Gremmelsbach. Dort wurden vor allem Man- ganerze abgebaut, die von vorzüglicher Quali- tät gewesen sein sollen. Interessant ist dieses Erzvorkommen vor allem wegen des Zinns im Granit von Niederwasser (Hornberg), wo diese deutlich besser entfaltet sind. Es handelt sich um bis zu erbsengroße Kristallaggregate von Zinnerz, welche sich ausgehend von Quarzgän- gen im umgebenden Triberger Granit gebildet haben, indem Mineralien im Granit durch Impräg- nierung verdrängt bzw. ersetzt wurden (soge- nannte Greisen). 150
genese) ist hier auch Silber zu vermuten. Die Paragenese entspricht dem historisch bedeu- tenden Schwarzwälder Silberrevier in Wittichen (bei Alpirsbach). In Niedereschach ist ein Verein dem historischen Bergbau auf der Spur Seit Anfang 1989 wurden durch Aktivitäten der Forschungs- und Arbeitsgemeinschaft für histo- rischen Bergbau e.V. Niedereschach zwei alte Bergwerksstollen im Ortsteil Schabenhausen freigelegt und der Öffentlichkeit zugänglich ge macht. Der Stollen am Kohlerberg am nord- östlichen Ortsrand von Schabenhausen ist im Bereich der Schichtgrenze Buntsandstein und Muschelkalk angelegt. Primär sind hier ge- ringe Anteile von Fahlerz und Kupferglanz fein versprenkelt im Gestein vorhanden. Durch Ver- witterungsprozesse haben sich hieraus grüner Malachit und blauer Azurit gebildet, zwei sehr farbintensive Mineralien, die auch als Halbedel- steine bekannt sind und die in früherer Zeit auch als Farbstoff verwendet wurden. Die am stärksten vererzte Schicht ist aller- dings nur 40 cm stark und hat einen Kupfergehalt von ca. 0,2%. Der andere Stollen mit dem neu- en Namen „Karl im Mailänder“ mit über 100 m Länge befindet sich zwischen Schabenhausen und Kappel im Bereich des Muschelkalkes. Hier wurde die sogenannte Bleiglanzbank abgebaut. Diese ist meist 20 – 30 cm mächtig und in dolo- mitischer Grundmasse sind kleine Körnchen von Bleiglanz enthalten. In Bleiglanz ist immer auch ein gewisser Anteil von Silber enthalten, da das Kristallgitter von Bleiglanz in der Lage ist, Silber einzubauen. Das Gewann „Silberhal- de“ nördlich von Kappel hat hierdurch vermut- lich seinen Namen erhalten. Die beiden Stollen wurden aufgrund von historischen Überlieferungen gefunden. Die historischen Belege sind, gemessen an der tat- sächlichen Bedeutung der Lagerstätte, relativ zahlreich. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lag Das Museumsbergwerk in Niedereschach steht für Besichtigungen offen, ein Verein hat den alten Stollen wieder instandgesetzt. 151
Geschichte Eingang zum Museumsstollen „Karl im Mailänder“, rechts Blick in den Stollen mit 100 m Länge, abgebaut wurde die sogenannte Bleiglanzbank. Niedereschach im Einflussbereich der freien Reichsstadt Rottweil. Auch hier ging es den Rottweiler Landesherren mit Sicherheit in ers- ter Linie um die Gewinnung von Silber, denn ab 1507 wurden in Rottweil eigene Silbermünzen geprägt. In alten Schriften sind Stollen mit dem Nah- men „Herzog-Carl-Kupferschieferwerk“ bei Kap- pel erwähnt mit 38 Lachtern Länge, was etwa einer Länge von 120 m entspricht. In Schabenhausen trifft man auf den Flur- namen „Knabbenloch“ mit dem „Haldenweg“. Der Beginn des Bergbaus in Schabenhausen ist nicht bekannt, jedoch findet das „Berckwerck zu Capel“ bereits im Jahr 1507 Erwähnung. Im Jahr 1602 waren 33 Bergknappen beschäftigt, welche ca. 8.000 Zentner kupfererzhaltiges Ge- stein gewonnen hatten. Man erhoffte sich reich- liche Kupferausbeute, welche nach Straßburg geliefert werden sollte. Über den tatsächlichen Kupfergehalt ist nichts überliefert, allerdings lässt die Tatsache, dass der Bergbau daraufhin erst einmal eingestellt wurde, entsprechende Schlüsse zu. 152 Aus dieser Zeit stammt ein Bericht, nach welchem Gestein aus Kappel in Konstanz un- tersucht wurde und „etwas Silber“ festgestellt wurde. Allerdings kam die Untersuchung bereits damals zum Ergebnis, dass „der unkosten höher als der ertragende nutzen khommen mechte.“ Der Höhepunkt der Abbautätigkeit durch die Stadt Rottweil wird im 17. Jahrhundert vermu- tet. Die letzten Abbautätigkeiten sind Ende des 18. Jahrhunderts belegt. Es muss angenommen werden, dass der Abbau bereits damals an der Grenze der Rentabilität lag, was wie eingangs beschrieben an der geologischen Situation lag. Der Abbau der Doggererze in Blumberg war das mit Abstand größte Bergbauprojekt Mit Abstand den größten Maßstab im Schwarz- wald-Baar-Kreis erreichte der Abbau der Dog- gererze in Blumberg. Anlage und Struktur der Stadt Blumberg sind bis heute wesentlich ge- prägt von der jüngsten Phase des Bergbaus, obwohl diese nur 8 Jahre (1934 bis 1942) andau- erte. Problematisch an den Eisenerzen aus dem Revier Blumberg sind nicht nur die relativ ge- ringen Erz- bzw. Eisengehalte von bis zu 26 %, sondern in Verbindung damit auch relativ hohe Silizium- und Schwefelgehalte. Das Erzlager ist
Obwohl die jüngste Phase des Bergbaus in Blum- berg gerade acht Jahre dauerte, prägt sie die Stadt bis heute. Oben: Der Stadtbrunnen aus Travertin des Blumberger Künstlers Hans-Joachim Müller mit seinen Motiven zur Burg Blumberg und zur Bergbau- geschichte. Unten links der Eingang zum Stoberg- stollen. Eine der Loren, die hier oder im Eichberg- stollen zum Einsatz kamen, ist bei der Museumsbahn ausgestellt (unten rechts). Der Lokalhistoriker Bern- hard Prillwitz hat sie mit Doggererz gefüllt. ca. 4 m mächtig. Ebenfalls problematisch ist auch der Gesteinsverband, denn die direkt über- lagernden Schichten sind sehr tonhaltig und da- mit sind freitragende Stollen nur begrenzt bzw. mit hohem Versturzrisiko möglich. Um 1550 wurden die Rechte zum Erzgra- ben vom Fürstenberger Landesherren an einen Augs burger Kaufmann verpachtet, das Schmel- zen und Verarbeiten musste jedoch in den Be- trieben in Hammereisenbach stattfinden. Die 153
Geschichte Grafen von Fürstenberg errichteten dann im Jahr 1662 ein Schmelz- und Hammerwerk in Blum- berg. Der Standort war von daher nicht ideal, da besonders in Trockenzeiten nicht ausreichend Wasser zur Verfügung stand. Um Trockenpe- rioden zu überbrücken wurden auch zum Teil bereits vorhandene großflächige Staubecken oder Fischweiher genutzt, deren Dämme bis heute sichtbar sind. Bemerkenswert ist, dass zum Transport der Holzkohle ab 1683 für mehre- re Jahre 3 – 5 Kamele eingesetzt wurden. Das Hammerwerk wurde 1694 und das Schmelzwerk ca. 1730 aufgegeben und nach Kirchen-Hausen verlegt, wo sie bis 1746 betrie- ben wurden. Weitere Betriebszweige befanden sich in Bachzimmern bei Immendingen. Kostspielige Investitionen in die Infrastruktur von Blumberg erforderlich Ab 1934 wurde das Eisenerzlager großzü- gig untersucht mit 30 km Schürfgräben, ca. 1.000 Schürfschächten und über 300 Bohrungen. Als Ergebnis wurden alleine in Blumberg knapp 400 Millionen Ton- nen Erz als abbauwürdig erachtet. Be- rücksichtigt man den durchschnittlichen Eisengehalt und einen gewissen Abbau- verlust kommt man auf über 60 Millionen Tonnen Eisen. Dies sind rein mengenmä- ßig auch europaweit betrachtet beacht- liche Zahlen. Zur Erschließung der Erze waren kostspielige Investitionen für die Infrastruktur erforderlich. Hierzu grün- deten die 5 Saarhütten im Jahr 1936 die Doggererz Bergbau GmbH, später Dog- gererz AG. Der nationalsozialistische Vierjahresplan von 1936 verpflichtete die Saarhütten, ihren Eisenerzabbau Der „Schwarze Mann“, gespendet von Kommerzienrat Röchling von den gleichnamigen Stahlwerken. 1939 wurde das Denkmal feierlich ent- hüllt, es steht für die Integration der fremden Bergleute in die Stadt Blumberg. 154 massiv auszubauen. Von Anfang an fehlte es an allem, auch an Bergarbeitern. Die Situation ent- spannte sich im Jahr 1938 vorübergehend, als das Arbeitsamt die Erlaubnis erteilte, 500 ita- lienische Arbeiter anzuwerben, und verschärfte sich zu Beginn des Krieges wieder, als viele an die Front eingezogen wurden. Das Erz wurde sowohl im Bergbau gewon- nen als auch im Tagebau in denjenigen Be- reichen, in welchen das Erzflöz aus dem Berg „ausbeißt“. Die Hänge des Aitrachtals beider- seits von Blumberg bzw. Zollhaus wurden quer durchfurcht von Tagebau-Gruben, wobei bis zu 15 m Überdeckung abgeräumt wurden. Der Tagebau wurde bald der Fa. Baresel in Stuttgart übertragen. Der Abtransport erfolgte über Schmalspur-Schienen. Es waren insgesamt bis zu 7 Lokomo- tiven im Einsatz. An den Südhängen des Eichberges sowie im Bereich des Steppacher Hofes östlich von Zoll- haus sind diese Abbau- gebiete noch gut sicht- bar. Andere entlang des Lindenbühls wie auch entlang des Stoberges sind weitgehend verfüllt. Nach Osten hin senken sich die Doggererzschich- ten ab unterhalb des Tal- niveaus des Aitrachtals. Da die Schichten im Allgemei- nen mit ca. 4° nach Südos- ten einfallen, wählte man für die Stollenzugänge Bereiche, in welchen die Schicht etwas oberhalb der Talaue ansteht und man so die Infrastruktur optimal unterbringen konnte. Im Stollenbetrieb wurden die Vorkommen im Stoberg sowie im Eichberg abgebaut. Insge- samt waren vier Stollenmünder am Stoberg und vier Stollenmün- der am Eichberg zuzüglich der zahlreichen Belüftungsschächte vorhanden.
Der Lurgi-Drehofen zum Gewinnen des Erzes im Auf- bau, Dampflok für den Erztransport und Bergleute im Stollen. Aufgrund der ungünstigen geo logischen Ver- hältnisse kam es immer wieder zu Unfällen, Wassereinbrüchen oder ungeplanten Verstür- zen. Die Unfallhäufigkeit war doppelt so hoch wie in anderen deutschen Erzbergbaubetrieben. Die Arbeitskleidung bestand aus Gummistiefeln, wasserdichter Oberbekleidung und Lederhelmen. Die Abbautechniken wurden ständig geändert und verbessert, sodass im Jahr 1941 eine Gru- benleistung von 5 t Erzgestein pro 8-stündiger Mannschicht erreicht werden konnte – beim damaligen Grad der Maschinisierung eine un- glaubliche Leistung, da noch alles geschaufelt werden musste. Das Erz wurde mittels elek- trischen Gummitransportbändern mit bis zu 1.200 m Länge transportiert. Der Antransport von Verbaumaterial aus Holz und Eisen wie der Abtransport von Erz wurde mit Hilfe von drei Diesellokomotiven sowie von Loren bewältigt. Alleine im Jahr 1938 wurden über 10.000 Fest- 155
Die Abbaugebiete im Überblick: 1 Eichbergstollen 2 Stobergstollen 3 Tagebaubereich am Stoberg 4 Förderbrücke zum Lurgi-Ofen 5 Tagebau am Ristelberg 6 Tagebau am Lindenbühl 7 Tagebau am Eichberg des hohen Wassergehaltes und des geringen Erzgehaltes muss- te das Erz für den Transport mit Hilfe von Braunkohle geröstet werden. Ein spezieller Röstofen (sog. Lurgi-Drehofen) bewirkte die Anreicherung auf einen Eisengehalt von 45 %. Eine Verhüttung vor Ort fand nicht statt, da hierzu zu der Zeit meist Steinkohle verwendet wurde. Das Erz wur- de 350 km weit über die Bahn mit Pendelzügen mit 1.000 t Fassungsvermögen zu den Saarhüt- ten zur Weiterverarbeitung transportiert. Das zeigt, welche Bedeutung das Schienennetz für die Rohstoff- und Schwerindustrie hatte. Die an der Doggererz AG beteiligten Saarhütten deckten lediglich 6 % ihres Bedarfs mit Doggererz. Der Abbau von Doggererz war nicht wirt- schaftlich und gegenüber den Erzen der Minet- te oder Erzen aus Luxemburg oder Schweden zu keiner Zeit konkurrenzfähig. Es erfolgten in vielfacher Weise Subventionierungen durch die Nazis. Außerdem waren Aufbereitung und Transport extrem energieaufwendig, und so- wohl Brennstoffe als auch Transportmit tel wa- ren knapp und wurden anderweitig benötigt. Nachdem ab 1941 die besseren Erze in Frank- reich und Schweden zur Verfügung standen – die Nationalsozialisten betrieben hier einfach Raubbau – wurde die Förderung in Blumberg zurückgefahren und schließlich eingestellt. Am Ende des Krieges wurden die Stollen von der französischen Besatzungsmacht weitgehend gesprengt. Die bergrechtliche Konzession, erteilt zu- letzt durch das Wirtschaftsministerium Baden- Württemberg, zum Abbau von Eisenerz lief erst im Jahr 1997 aus, an den Erzabbau dachte da längst niemand mehr. meter Grubenholz verbaut. Durch den Einsatz von Verbrennungsmotoren war die Luft im Berg- werk denkbar schlecht. Ein 18 m tiefer Wetter- schacht mit Ventilator nahe am Stollenmund im Hondinger Tal ermöglichte eine Belüftung mit bis zu 1.500 m³/Minute. Für die Wasserhaltung wurden Pumpen mit einer Leistung bis zu 13 m³/ Minute installiert. Durch unvorhergesehene geologische Ver- werfungen sowie durch das Nachbrechen des Gebirges bis an die Erdoberfläche nach Ausbau des Erzlagers kam es besonders nach Regen oder der Schneeschmelze zu sehr großen Was- seraufkommen. Noch heute ist die ungewöhn- lich unregelmäßig wellige Oberfläche in den Wäldern des Stoberges und des Eichberges als Ergebnis sehr gut erkennbar. Bis zu 950.000 t Erz pro Jahr gefördert und fast 7 Kilometer Stollen gegraben Das Erz wurde über ein 1.640 m langes Viadukt über das Aitrachtal zum „Südwerk“ transpor- tiert. Die Rampe am Stoberg wie auch einzel- ne Pfeiler im Zollhausried sind heute noch gut sichtbar. Der Dynamitverbrauch lag bei bis zu 120 Tonnen pro Jahr. Mit einer Belegschaft von bis zu 1.800 Arbeitern wurden bis zu 950.000 t Erz pro Jahr gefördert. Bei der Stilllegung im April 1942 waren fast 7 Kilometer Stollenstrecke auf- gefahren. Schwieriger als der Abbau noch stell- te sich die Aufbereitung des Erzes dar. Aufgrund 156
Gipsbergbau in Fützen – ein Stollensystem mit 26 Kilometern Länge Im Gipskeuper ist Gips vorwiegend als so- genannter Fasergips enthalten. Der Gips- gehalt im Gestein insgesamt liegt bei bis zu ca. 50 %, wobei die in der Regel 0,5 bis 2 cm starken Fasergipslagen aus kristallinem Gips selbst sehr rein sind. Der Gipsabbau in Fützen ist bereits im 17. Jahrhundert belegt, und zwar durch einen Streit der Stadt Schaffhausen und des Klosters St. Blasien um die Bergrechte. Damals gehörten Fützen und Epfenhofen zur Schweiz. Im Jahr 1718 erlangte das Kloster endgültig die Rechte und zog von da an für gegrabenen Gips einen „Bergzoll“ ein. Fützener Gips wurde bereits da- mals gehandelt bis Zürich, Luzern und sogar nach Österreich. Gemahlen wurde er zunächst in den großen Schaffhausener Wassermühlen. 1755 erlangten zwei Fützener Privatleute na- mens Gleichauf die Grabrechte auf der Gemar- kung Fützen und handelten den Gips bis nach Oberschwaben und Bayern, wo er in dieser Zeit viel für barocke Stuckarbeiten gebraucht wur- de. Die Gebrüder Gleichauf betrieben auch eine Gipsmühle. In einem Bruch am Worberg wurde Gips bis in die 30er Jahre des vorigen Jahrhun- derts gewonnen. Der „moderne“ Gipsabbau begann 1946 mit der Gründung eines Gipswerkes durch den Füt- zener Gipsermeister Philipp Dörr. Bereits 1949 begann man, Gips mit Hilfe von Handbohrma- schinen und Sprengungen bergmännisch abzu- bauen. Zeitweise waren bis zu 25 Personen be- schäftigt. Das gesamte Stollensystem erreichte eine Länge von insgesamt 26 Kilometern. Im Jahr 1965 wurde das Gipswerk an die Fa. Knauf verkauft. Ab 1974 wurde der Gips in die Schweiz abtransportiert und im Jahr 1977 wurde der Betriebsstandort wegen Unrentabilität aufge- geben. Zuletzt wurden monatlich bis zu 3.500 Tonnen Gips gewonnen. Interessant sind auch zwei besondere For- men von Gips, welche in Fützen gefunden bzw. abgebaut wurden. Zum einen der im barocken Kirchenbau beliebte Alabastergips, eine fein- körnige, häufig schön strukturierte Art von Gips. Dieser ist manchmal grünlich oder rosa gefärbt Marienglas aus Fützen, eine sehr reine, glasartige Form von Gips. und wurde im Kirchenbau gerne verwen- det oder die natürliche Struktur wurde nachgeahmt. Der Abbau von Alabaster für die Belieferung von Klöstern und Kirchen ist bereits für das Jahr 1505 belegt. Original Fützener Ala- baster wurde zum Beispiel im Jahr 1775 für den Chor der Konstanzer Kathedralkirche verwen- det. Im Flussbett der Wutach gibt es zwischen Aselfingen und der Wutachmühle Fundstellen von rosafarbenem Alabastergips. Zum anderen ist das Marienglas zu nennen, eine sehr reine, glasartig durchsichtige Form von Gips. Marienglas ist in Mitteleuropa relativ selten und daher sind Belegstücke aus Fützen eine Besonderheit. Gezielt abgebaut wurde Ma- rienglas zum Beispiel in Sizilien. In Döggingen ist der Gipsabbau seit 1740 überliefert In Döggingen wurde Gips in größerem Maßstab an den Osthängen des Gauchachtals gewonnen. An der „Gaishalde“ kann man heute noch die Wände des Gipsbruches sowie kurze Gips- stollen anschauen. Der Gipsabbau in Döggingen ist ab dem Jahr 1740 übeliefert. Die Fürstlich Fürstenbergische Standesherrschaft hatte das Bergrecht inne, welches sie nur einzelnen wei- tergaben. Die ehemalige Gipsmühle beim Dög- ginger Posthaus aus dem Jahr 1790 hatte lange Zeit das alleinige Recht zum Gipsabbau in der gesamten Baar. Ab ca. 1830 gab es dann in Döggingen und Umgebung zahlreiche weitere Betriebe. Die Fürstlich Fürsten- bergische Standesherrschaft be – trieb eine eigene Grube mit dem Namen Amalia, später Maria Antonia. Hier stieß man beim Gipsabbau auf Lettenkoh- le, welche das Gipslager Alabastergips aus Aselfingen. 157
Im Fützener Gipsstollen 158
unterlagert. Daraufhin wurde zeitweise gezielt auf Kohle abgebaut in der Hoffnung, mächtigere Kohleschichten zu finden. Es existiert hierzu ein Grundriss mit der Bezeichnung „Alte Kohlen- grube 0,25 – 0,40 m Lettenkohle“. Heute wird die Grube in Döggingen „Erzknappertsloch“ genannt. Dieser Name zeigt, dass hier „Knap- pen“ also Bergarbeiter tätig waren und außer- dem enthält die Lettenkohle Pyrit (Eisensulfid) und Kupferkies. Der Betrieb der Grube musste immer wieder wegen Unrentabilität eingestellt werden, doch immer wieder während des 18. bis 20. Jahrhunderts erfolgten neue Versuche. Mit dieser Kohle wurden in Bad Dürrheim in der Saline Siedeversuche durchgeführt. Sie rauchte wohl extrem und brachte bei Weitem nicht die gewünschte Heizleistung. Aufgrund des hohen Schwefelgehaltes verbreitet sie beim Verbren- nen einen stinkenden-stechenden Geruch. In den Jahren 1919 bis 1974 wurde nur noch eine Gipsmühle betrieben. Nach dem 2. Welt- krieg erfolgte teilweise nochmals der Abbau un- ter Tage mit erfahrenen Bergleuten vom stillge- legten Doggererzbergbau aus Blumberg. Doch der Stollenvortrieb mit einfachen technischen Mitteln bereitete zum Berginneren hin zuneh- mend Schwierigkeiten. Nach einem schweren Bergunglück bei welchem das Stollengewölbe einstürzte und ein Bergmann ums Leben kam, wurde der Abbau nur noch im Tagebau betrie- ben. Es wurden verschiedene Gipsprodukte wie z.B. Gipsdielen hergestellt. Eine Feldbahn mit einer Holzbrücke über die Gauchach förderte den Rohgips von der Abbaustelle am Kupfer- brunnen am linken Gehänge der Gauchach zum Gipswerk rechtsseitg der Gauchach auf Unadin- ger Gemarkung. Weitere Abbaubereiche wurden in Unadingen und schließlich in der Gaishalde erschlossen. In Gipswerk und Gipsbruch arbei- teten zeitweise bis zu 30 Beschäftigte und es wurden bis zu 1.000 Sack Baugips pro Tag er- zeugt. Das Gestein wurde hierbei gemahlen und auf 180 Grad erhitzt. 1971 wurde das Gipswerk an die Vereinigten Gipswerke in Horb verkauft und ging danach zu Fa. Knauf über. Während dem Bauboom der 60er/70er Jahre wurde mit den Dögginger-Unadinger Gipsprodukten vor allem für den regionalen Markt in der Region Freiburg abgedekt. Für den zunehmend verwen- Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis deten „Spritzgips“, also maschinell aufgetra- gener Putz, hatte der Dögginger Gips ungüstige Eigenschaften. Deshalb ging der Absatz stark zurück und das Werk musste schließlich ge- schlossen werden. Die Gebäude wurden 1979 abgetragen. Damit endete das lange und viel- seitige Kapitel Bergbaugeschichte im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Verwendete Quellen 1. Schalch, F., Erläuterungen zur geologischen Karte Blatt Villingen, 1899 2. Sauer, A., Erläuterungen zur geologischen Karte Tri- berg, 1899 3. Schalch, F., Erläuterungen zur geologischen Karte Blatt Blumberg, 1908 4. Henglein, Dr. M., Erz- und Minerallagerstätten des Schwarzwaldes, Stuttgart 1924 5. Maier, W., Der Bergbau im ehemaligen Herrschaftsbe- reich, in Geschichte der Stadt Triberg, 1964 6. Dietl, Reinhold, Die gewerbliche Entwicklung des Land- kreises Donaueschingen, in: Landkreis Donaueschingen, Südkurier 1966 7. Albiez, Gustav, Eisenerz-Bergbau in Blumberg 1934 – 1942, in Schriften der Baar 1974 8. Hecht, Winfried, Ein Rottweiler Silberbergbauversuch am Nordrand der Baar, in: Schriften der Baar 1974 9. Willimski, Paul, Fützen im Laufe der Zeit, Stadt Blum- berg 1981 10. Walcz, Günter M., Doggererz in Blumberg, Südkurier 1983 11. Bliedtner, M. & Martin, M., Erz- und Minerallagerstät- ten des mittleren Schwarzwaldes, Geologisches Landes- amt Baden-Württemberg, 1986 12. Schmaedecke, M., Bergbaureste im nördlichen Schwarzwald-Baar-Kreis, Arch. Ausgr. Bad.-Württ 1989 13. Martin, Dr. M., Historischer Bergbau auf Gemarkung Niedereschach, in: Almanach 1993 14. Maiwald, Klaus, Unterkirnach, 1994 15. Krieg, Karl, Bergbau in Vöhrenbach, in: Vöhrenbach, Neue Beiträge zur Stadtgeschichte, 1994 16. Stecker, Otto, Der Bergbau, in: 900 Jahre Schabenhau- sen, 1994 17. Bächle, Hans-Wolfgang, Eisenerzbergbau, Hütten- werke, Folgeindustrien im Bereich der Schwäbischen Alb, 1995 18. Dold, Werner, Döggingen, 1996 19. Nutz, Andreas, Michael und Johannes Schwert, in Vil- lingen und Schwenningen, 1999 20. Jehle, Gerhard: Die Industriearchitektur von Villingen und Schwenningen bis 1945, 2001 (Dissertation) 21. Franz, Matthias & Rohn, Joachim, Erläuterungen zur geologischen Karte Blatt Blumberg, 2004 22. Werner, W. et al., Rohstoffbericht Baden-Württemberg 2006, Regierungspräsidium Freiburg 23. Seidelmann, Wolf-Ingo, Pläne zum Bau einer Eisenhüt- te auf der Baar (1938 – 1940), in: Schriften der Baar Band 53, 2010 24. Seidelmann, Wolf-Ingo, Die Baar verliert ihre Montan- betriebe (1940-1942), in: Schriften der Baar Band 54, 2011 159
Geschichte 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzeln der Stadt Adalbert von Ellerbach 1111 als Herr von Hornberg erstmals erwähnt – Zum Stadtjubiläum wurde der Schlossfelsen mit seinen Burgresten leichter begehbar gemacht » Die Stadt Triberg feierte auf großar- tige Weise ihr 900-jähriges Jubiläum. Es begründet sich in der Ersterwähnung des Adalbert von Ellerbach als Herr von Horn- berg im Jahr 1111, der auf dem Schlossfel- sen in Gremmelsbach seine Burg erbaut hatte. Er legte den Grund für die Erschlie- ßung des Gutachtals – wahrscheinlich unter Mitwirkung der Herzogsfamilie der Zähringer. Zwischen 1240 und 1250 dann gründete die Familie ihren neuen Wohn- sitz auf dem Bergvorsprung in Hornberg – 400 Meter tiefer gelegen. Die Teilung des Besitzes und die Einrichtung der Herrschaft Triberg war 1280 vollendet. Triberg schloss sich Österreich, Horn- berg dem Haus Württemberg an. „Alt- Hornberg“, jetzt zur Herrschaft Tri berg gekommen, verlor an Bedeutung. Im 30-jährigen Krieg wurde die Felsenburg nach Kämpfen mit bayerischen Truppen von den abziehenden Schweden und Franzosen im März 1641 niedergebrannt und danach wohl aufgegeben. Foto: Reste der Felsenburg Althornberg, in der Bildmitte der zwei Meter tiefe Brunnenschacht. 160 160
900 Jahre Triberg 161 161
Geschichte Zum Jubiläumsjahr 2011 bewältigten die Stadt- verwaltung Triberg und die Ortsverwaltung Gremmelsbach die Sanierung des Aufstiegs zum Schlossfelsen. Ziel war, die urtümliche Ge- stalt des Naturdenkmals nicht zu beeinträch- tigen. Die bestehende Steintreppe wurde neu gesetzt, der Handlauf erneuert und die Fläche auf der Höhe des Felsens mit einem Gitterzaun begrenzt. Zur Sicherheit der Besucher wurde der Trinkwasserschacht mit einem versenkten Stahlgeflecht versehen. Der Schacht hat eine Tiefe von etwa zwei Metern. Eine Emailtafel am Fuße des Felsens gibt einen Überblick über die Unzweifelhaft findet man überall auf dem Schlossfel- sen Reste der früheren Felsenburg. So Lager für Bal- ken (oben links), „ehemalige Räume“ werden ahnbar (linke Seite rechts unten und oben) oder man kann den ein Meter breiten und zwei Meter tiefen Brunnen- schacht begutachten (unten links). Geschichte der Burg. So wird der Schlossfelsen für die kommenden Generationen ein gern be- suchtes Wanderziel bleiben. Ein beliebtes Wanderziel war der Schloss- felsen schon in früherer Zeit und er hatte pro- minente Besucher – so Heinrich Hansjakob. Der berühmte Volksschriftsteller und Pfarrer erzählt in seinem Buch „Erinnerungen einer al- ten Schwarzwälderin“: „Wie war ich erstaunt, als ich auf diesen Felsen stand ! Solch eine Aus- sicht eigenartigsten Reizes hätte ich da oben nie erwartet. Man sieht nicht weit, aber man schaut in eine so malerisch gruppierte Menge waldiger Bergspitzen, kleiner Täler und grüner Mulden, daß einem das Herz aufgeht vor Freu- de über dieses Stück Schwarzwald.“ Heinrich Hansjakob war eines Nachmit- tags im Mai 1900 von Hofstetten aus mit eige- ner Kutsche auf dem „Sephenhof“ (zwischen Leutschenbachhof und Dieterlebauernhof ab- gegangen) um drei Uhr angekommen, wo der junge Bauer seinen Pflug stehen ließ und die Führung „bis an die Rappen- und Schlossfel- 162
sen übernahm. Da Hansjakob nur einen Tag zur Verfügung hatte, wird die Zeit schon bald zum Aufbruch gedrängt haben. Denn weder beschreibt er das eigentlich schönere Panora- ma nach Norden, das untere Gutachtal von der Burg Hornberg bis in die Nähe von Hausach mit seinen prachtvollen Höfen in Gutach, die Ber- ge des nördlichen Schwarzwalds am Horizont in weiteren, blauen Fernen – noch sah er die sichtbaren Überreste am historischen Schloss- felsen, den aufzusuchen offensichtlich die Zeit nicht reichte. Dieser war damals möglicherweise kaum anders als über einen unsicheren Pfad am hals- brecherischen Steilhang zu erreichen. So ist anzunehmen, dass Heinrich Hansjakob von der ganzen Felsengruppe nur den Rappenfelsen bestieg und das darunter beginnende wildro- mantische Gelände gar nicht betrat. Denn die- ses hätte sich zum Höhepunkt seiner Erzählung gestalten lassen. So konnte er also nicht mit ei- genen Augen feststellen, dass die drei Burgen Althornberg, Hornberg und Triberg miteinander 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzel der Stadt in Sichtkontakt standen. Er sah die ausgemei- ßelte „Kammer“ nicht, auch nicht den Schacht auf dem Felsen, die vielen unübersehbaren Abtreppungen und Balkenlager, die Steinhal- de am Fuße des Felsens, die einmal die Mauer gebildet hatten, die „Burgenpflanze“, das Im- mergrün. … Dabei spielt im Dreißigjährigen Krieg die Burg Althornberg in seiner Erzählung „Der Leutnant von Hasle“ eine Rolle. (Vier „Feld- stücke“, Geschütze, hatten dort die Schwe- den postiert, die sie zur Erstürmung der Stadt Haslach abzogen.) In Hansjakobs Jahren stand vielleicht auch noch das Burgtor. So bleibt er in Althornberg nur der Naturbeobachter. Eigent- Der Aufstieg zum Schlossfelsen bei Gremmelsbach ist auch der Aussicht wegen lohnend, allerdings sollte gut zu Fuß und schwindelfrei sein, wer sich auf den Felsen wagt. Dort oben hat man „fernab der Welt“ auch Zeit für eine Wanderpause. 163
Geschichte lich hätte der Geschichte der Burg Hansjakobs besonderes Interesse gelten müssen, wie sie hier nur in groben Zügen be- schrieben werden kann. Die Gründer und das Gründungsjahr waren vergessen 900 Jahre nach Erbauung wird zum ersten Mal ein Jubiläum der Burg Althornberg gefeiert. Lange Jahrhunderte vorher waren Gründer und Gründungsjahr vergessen, wenn auch die Burg als solche nicht. Zu deutlich hatte sie ihre Spu- ren hinterlassen, am Felsen selbst und in den geschichtlichen Bezeichnungen wie „Schloss- felsen“, „Burghalde“, „Herrenäcker“, „Althorn- berg“ und vielleicht sogar „Zimmerwald“. Auch die Sage trug das Ihre zu Existenz und Unter- gang der Burg bei, freilich nach ihren Möglich- keiten auf ungeschichtliche Weise. Es heißt, die Burg sei durch Blitzschlag während eines ausgelassenen Gelages an einem Heiligen Abend zerstört worden. Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens steht zu lesen: „Die Bewohner der Burg Althornberg forderten das Strafgericht Gottes heraus, indem sie am Weihnachtsabend tanzten und sich Batzenwe- cke unter die Füße banden.“ Erst den intensiven Bemühungen des Hei- matforschers Konrad Kaltenbach aus Nieder- wasser, des Pfarrers in Aasen bei Donau- eschingen, ist es zu danken, dass das Gründer- geschlecht mit Adalbert von Ellerbach (heute Erbach bei Ulm) wieder ins Licht der Geschichte zurückkehrte. Die Ergebnisse veröffentlichte er in den „Heimatblättern“ von 1926 – 1934 (S. 58–96). Dafür wertete er Akten in Archiven in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz aus. Begeistert beschrieb er den Urwald in Mitteleuropa nach der letzten Eiszeit durch Zurückprojizieren des Baumbe- standes seiner Jahre. Die Dendrochro- nologie stand ihm noch nicht zur Ver- fügung. Nur kleine Inseln unterbrachen die Wildnis – ein Hinweis auf die große Kulturleistung des Gründergeschlechts. Besiedelt war der Schwarzwald um 1100 164 Abb. auf dieser Seite: In der Umgebung der Burg Althorn- berg gefundene Scherben, wohl 13. oder 14. Jahrhundert. Fotos: W. Neuß von Osten her, seiner siedlungsfreundlicheren Seite bis St. Georgen, wo wir Hof- und Flurna- men wie „Harprehtesvelt“, „Huphenhus“, „Wel- chenveld“ kennen. Im Jahr 1111 wird Adalbert von Ellerbach erstmals als Herr von Hornberg genannt (Neuß, Von Hornberg ein Adelsname, Skizze zum Herr- schaftsgebiet und Abbildungen von Funden, S. 24 – 31). In diesem Jahr muss seine Burg er- baut gewesen sein. Zu dieser Zeit begannen sich die Adligen nach ihren Burgen oder Be- sitzungen zu nennen, nachdem sie vorher nur einen Namen führten oder sich nach ihrem Amt (z. B. Truchseß) nannten. Der Anlass war eine Schenkung der Brüder Rudolf und Werner von Zimmern an das Kloster St. Georgen. Dass ne- ben Adalbert auch seine Söhne Burkhart und Conrad Zeugen waren, erfahren wir ebenfalls aus diesem Akt. Zwei Jahre später ist Adalbert bei der Weihe der Klosterkirche in St. Peter anwesend. Es sind die einzigen erhaltenen Er- wähnungen, die aus den Lebzeiten Adalberts erhalten sind (Harter, Adel S. 111). Die Bindungen zu den Nachbarklöstern waren also gegeben, schon früher müssen sie zum Grafengeschlecht der Zähringer bestan- den haben. Dies ist erst eine neuere Erkenntnis von Hans Harter. Jahrzehntelang nahm man an, weil dies anderswo so war, Adalbert sei „für irgendwelche Verdienste“ (Hitzfeld, Die Schlös- ser, S. 189 f) vom Kaiser (es hätte Heinrich V. gewesen sein müssen) mit dem Hornberger Gebiet belehnt worden. Worin diese Verdienste bestanden haben sollen, ist nirgends belegt. Übersehen wurde, dass die Zähringer zügig und konsequent ihre Position im Südwes- ten verstärkten, das „Städte- gründergeschlecht“ eine Stadt nach der anderen gründete, im Schwarz- wald Fuß fasste und die Macht hatte, mit ihre Reichsgebiet
Vasallen zu belehnen. Das unbewohnte Gebiet um die Gutach sollte gegen Ansprüche des Bi- schofs von Straßburg geschützt werden. Außer- dem sollte eine Straße durch den Schwarzwald von Straßburg nach Villingen gelegt werden. Hier einen getreuen Vasallen zu haben, konnte für die Zähringer nur von Vorteil sein. Zu dieser Verbindung später mehr. Die Burg Althornberg war eine typische Felsenburg Die Burgen, die im Mittelalter gebaut wurden, sind Adelswohnsitze und Wehrburgen zugleich gewesen. Für die Bauingenieure war das eine große Herausforderung. Gerade die Burg in Alt hornberg ist ein Beispiel. Dies ist nicht so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Burgen, die die Kaiser in Italien bauten, waren Stützpunkte für die Armee, im ost römischen Reich waren sie Dauerunterkünf- te für die Truppen (Mitterauer, Warum Euro- pa? S. 130f). Die 19.000 Burgen im deutschen Sprachgebiet waren bis auf wenige Ausnahmen Wohnburgen. Ob das auch in Althornberg so war, kann man nur annehmen. Fest steht, dass die Burg Althornberg eine Wohn- und zugleich Felsenburg war. „Im Unter- schied zu gewöhnlichen Höhenburgen, die den anstehenden Fels als Untergrund für die einzel- nen Bauten nutzen, wird bei Felsenburgen die gesamte Anlage der Burg durch natürliche, oft solitär stehende Felsformationen wie Felsna- deln oder Klippen bestimmt. Typisch für eine Felsenburg ist ihre Gründung auf einem Fel- sen, der auch ohne größeren Ausbau als Be- festigungsanlage dienen kann. Bei einfachen Wehranla gen dieser Art kann der Felsen über 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzel der Stadt In der Nähe der einstigen Burg liegt der Zinken „Alt- hornberg“. Leitern er reicht werden, die bei Gefahr hoch gezogen werden. Felsenburgen verfügen zu- sätzlich über hölzerne und steinerne Auf- und Anbauten“, heißt es bei der Online-Bibliothek „wikipedia“ zur grundsätzlichen Bedeutung solcher Anlagen. Ihrem Zweck entsprechend musste die Burg Althornberg mit der notwendigen Zahl von Räumen ausgestattet sein. Dies lassen noch Spuren, Einkerbungen und Abtreppungen am Felsen erkennen. Der harte Granitfelsen wur- de abgeschrotet, so dass eine ebene Fläche entstand, beim Aufgang ist eine aus dem Stein gemeißelte Kammer nicht zu übersehen. (Auf- nahmen und Funde: W. Neuß, Von Hornberg, S. 25–29 und ders. Hornberg im Gutachtal, S. 65–69). Auch der Blick aus der Ferne zeigt: Die Burg Althorn- berg war auch eine typische Felsenburg. 165
Die einstige Felsenburg bot einen grandiosen Aus- blick auf den Schwarzwald bei Triberg und damit auch auf die Wege und Straßen dort. Das große Problem der Höhenburgen war die Gewinnung des Trinkwassers, meist wurde dazu das Regenwasser gesammelt. Den Brun- nenschacht in den Berg zu treiben war sehr mühevoll. (Meyer, Den Freunden ein Schutz, S. 71f). Der Brunnenschacht der Burg Althorn- berg ist noch heute vorhanden, er war eine Zis- terne, auch die Abflussrinne ist zweifelsfrei er- kennbar (Volk, Der Schacht, S. 254f). Mit einem Wippgalgen konnte man das Wasser heraus- bringen. Vermutet wurde fälschlicherweise in diesem Schacht die Befestigung der Burg durch vier Balken und sogar das Burgverlies. Der Besitzer der neu erbauten Burg durfte sich eines friedlichen Da- seins auf seinen Besitzungen nicht lange erfreuen, denn er sah sich bald in die Auseinandersetzungen des noch immer nicht beendeten Investitur- streits verwickelt. (Streit um das Recht, die Äm- ter von Bischöfen und Äbten zu besetzen, die Kirche forderte das überkommene Recht des deutschen Königtums zurück, 1076 Absetzung Papst Gregors VII. durch Kaiser Heinrich IV., Kirchenbann auf Heinrich IV., 1077 Gang nach Canossa, 1122 Wormser Konkordat.) Kaiser Heinrich V. brauchte die Unterstüt- zung seiner Anhänger gegen Bischof Adalbert von Mainz. Einst sein Vertrauter und mit dem hohen Amt des Kanzlers versehen, versuchte er jetzt zu Lasten des Reichs seine Macht durch Landgewinn zu vermehren. So entstand zwi- schen Kaiser und Bischof erbitterte Feindschaft (Hampe, Deutsche Kaisergeschichte, S. 76 f). Beide sammelten Verbündete, die Zähringer standen auf der Seite des Kaisers und ver- Details des Brunnens. Links eine natürliche Überlauf- rinne des Brunnens? Rechts die künstlich angelegte Abflussrinne? 166
pflichteten ihrerseits ihren Vasallen zur Mit- hilfe. Von 1112 bis 1118 standen sich bei Mainz zwei Heere gegenüber, bis ein Hoftag in Würz- burg die Einigung herbeiführte. Gottes Geist und Menschenwille wirkten nach der Meinung des Geschichtsschreibers Ekkehard von Aura eng zusammen (Buhlmann, Gründung und An- fänge, S. 36 f). Erhalten sind drei Quellen, zwei schriftliche und der Grabstein, die alle auf das Ende oder eine schwere Verwundung Adalberts in Mainz hinzuweisen scheinen. Der Grabstein ist im Lapidarium von St. Georgen zu besichtigen: „Ad Moguntiam occisus monachus q(ue) fac- tus“. Die bisherige Übersetzung: Bei Mainz ge- tötet und Mönch geworden. Zusätzlich ist das Todesjahr 1121 erwähnt. Da drei Jahre vorher der Krieg beendet war, kann „occisus“ nicht „getötet“ heißen, sondern muss mit „nieder- gehauen“, „schwer verwundet“ o. ä. übersetzt werden (Hans Harter, Adel, S. 112 f). Eine Verwundung muss es gewesen sein, die ihm noch drei Jahre ließ, um als Mönch im Kloster St. Georgen zu leben, wo er auch in der Michaelskapelle bestattet wurde. Ausdrück- lich vermerkt wird auf einer Zeichnung aus dem Klosterarchiv in St. Georgen, Albertus de Elrebach… „a quo omnes orti sunt“ – von dem alle abstammen (ebda, S. 110). Darauf legten die Nachkommen größten Wert. Eine solche würdige Begräbnisstätte zu erhalten, hob das Ansehen des Adelsgeschlechts, das Andenken eines hohen Adligen bewahren zu dürfen, hob in gleicher Weise das Ansehen des Klosters. Der Name „Adalbert von Helrebah“ wurde bewusst gewählt. Als Mönch ist er gestorben, nicht als Ritter. Das mag der Grund gewesen sein, dass sein Taufname Adalbert von Hel- rebah in den Stein gemeißelt wurde. Dass er auf der Seite des Kaisers (des Papstgegners !) kämpfte, in einem papsttreuen Kloster ange- nommen wurde – über seinen Tod hinaus: Dies deutet auf lange vorausgegangene starke Bindungen hin, die die Spannungen aushal- ten ließen. Zu denken wäre vielleicht auch an den Geist der Buße auf seiner Seite und den Geist christlichen Verzeihens auf der Seite der Mönche (Klepper, Nur ein wüster Steinhaufen? S. 46 – 64, insbesondere S. 50). 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzel der Stadt Das Wappen von Triberg entspricht dem des Minnesängers Bruno von Hornberg. Die Abbildung oben entstammt dem Codex Manesse, der zwischen 1300 und 1340 in Zürich entstand. Für Adalbert endete das Unternehmen in Mainz mit einer Tragödie, eine Katastrophe für sein Geschlecht war es nicht. Er hinterließ drei Söhne, Burkard, Konrad und Bruno, die seinen Stamm weiterführten. Wir wissen nicht genau, in welcher Generation die Herren von Horn- berg in Hornberg ihre zweite Burg erbauten und somit der Ursitz zur „Althornburg“ wurde. Lückenhaft und sehr sporadisch sind auch un- sere Kenntnisse über die folgenden Geschlech- 167
Geschichte ter und Besitzer der Burg Althornberg. Eine auf Einzelheiten gegründete, zusammenhängende Geschichte zu rekonstruieren, ist unmöglich. Einer der drei Söhne Adalberts, Burkard, war mit Wilburg von Zimmern (= Hohenzimmern) verheiratet, ein Hinweis (mit allem Vorbehalt) auf die Gewannbezeichnung „Zimmerwald“ in der Nähe der Burg? Durch besondere Taten sind sie nicht hervorgetreten, Mönche, Nonnen sind nicht bekannt, noch Stiftungen an Klöster, Fehden oder die Teilnahme an Kreuzzügen (Kal- tenbach, Heimatblätter, S. 60). Wohn- und Wehrburg blieb Althornberg wohl auch nach dem Bau der neuen Burg Wohn- und Wehrburg blieb Althornberg auch nach der Erbauung von (Neu-)Hornberg um 1200, soweit wir feststellen können, bevor die Burg 1608 als „zerfallener Burgstall alten Horn- berg“ (Urbar von Triberg, Hitzfeld, Hornberg, S. 29) bezeichnet wurde. Kaltenbach hält die Zeit des Hornberger Geschlechts auf der Alt- hornburg um 1200 oder bald danach für abge- schlossen, ohne angeben zu können, wer sie Jubiläumstheater – Triberg spielt 900 Jahre Stadtge- schichte. Die Fotos zeigen von links den Minnesänger Bruno von Hornberg, Bürgermeister Gallus Strobel und kleine Burgfräuleins. später bewohnt hat. Von einzelnen Personen wissen wir, können sie aber einer bestimmten Generation nicht zuordnen. Am sichersten ist nur, dass Bruno von Hornberg, der Minnesän- ger, der vierten Generation angehört, die die neue Burg erbaute (1219 – vor 1244). (Hitzfeld, Hornberg S. 36, Harter, Adel, S. 102) Glanz und Kultur des Mittelalters werden durch ihn in Hornberg sichtbar. Ob „Wernherus de Horinberch“, der das Klostergut Einsiedeln schädigte, und „C. (Kon- rad) de Hornberg“, der sich als „malefactor“ (Übeltäter) dem Kloster Gengenbach hervortat, zu den Raubrittern zu zählen sind oder nur ihr vermeintliches Recht mit Gewalt einforderten, ist ungewiss, die Forschung sieht heute die Problematik um die Raubritter differenzierter (Harter, Adel, S. 100 und 132). Fraglich ist auch, ob wirklich Heinrich (1180), der 35. Bischof von Basel, aus dem Geschlecht von Hornberg her- vorgegangen ist. Eine Freifrau Sigewis wohnte in nicht festzulegenden Jahren auf der Burg (Harter, Adel, S. 118). Um 1440 war der rauf- lustige, aber verarmte Herzog Reinold VI. von Urslingen (ohne Macht und Land, „Herzog von Schiltach“ genannt) Besitzer der Burg Althorn- berg. Fehden zu führen scheint seine Leiden- schaft gewesen zu sein: gegen Basel, Straß- burg, Oberndorf, Konstanz, Schaffhausen und andere. Sogar an den Hussitenkriegen hat er in der Ritterschaft St. Georgenschild (adliger Rit- terbund im Hegau) als Hauptmann teilgenommen. 168
Mit diesem „Herzog“ scheint das Ende der Burg gekommen zu sein, denn mit den Wirren, die er hervorrief oder von denen er zu profi- tieren hoffte, hängt auch die Zerstörung der Burg Althornberg zusammen. Mit 50 Adligen und Knechten zog er 1429 gegen Schaffhau- sen, die Schaffhausener hatten im Jahr zuvor Hornberg heimgesucht und einen „gar großen Raub mit Vieh“ gemacht (Harter, Die Herzöge, S. 79). Weil Reinold einen Bürger Schaffhau- sens in einem „Felsen-Fencknus“ gefangen hielt, brannten sie die Burg nieder (Hitzfeld, Hornberg: um 1440). Der Name des Gefangenen bleibt uns verborgen. So endet die Burg nach großen Wirrungen schließlich sang- und klanglos. Wann sie end- gültig zerstört oder zerfallen ist, ist schwer zu sagen. Zwar schreibt Abt Michael Gaisser in seinem Tagebuch (2. Band, S. 839 f) unter dem 4. März 1641 (während des 30-jährigen Krieges), er erhalte die Mitteilung von Ulrich Kamerer, „die Belagerung des neuen Horn- berger Schlosses sei aufgehoben, das alte (Schloss) sei von abziehenden Schweden-Fran- zosen angezündet worden“. Sollte wirklich die Burg in Althornberg gemeint gewesen sein, so läge die Frage nahe, ob nach Reinold VI. sie noch einmal notdürftig (?) aufgebaut wurde (Na- gel, Spuren, S. 86 ff). Nach 900 Jahren – Triberg feiert ein großartiges Stadtjubiläum 900 Jahre Burg und Ruine Althornberg auf der Gemarkung Gremmelsbach – der Grund für ei- ne Jubiläumsfeier der Gesamtstadt Triberg? Ge- dacht wird des Ursprungs der Geschichte und der Beginn der Kultur auf dem Gebiet der heu- tigen Raumschaft Triberg. Von 1111 an ist auf ei- ne zusammenhängende Geschichte unserer en- geren Heimat zurückzublicken. Die Anzeichen, dass hier Jahrhunderte zuvor die Kelten siedel- ten, sind unübersehbar und scheinen sich zu verdichten. Beweise für ununterbrochene Be- siedelung können sie nicht liefern. Die Verbindung Althornberg-Hornberg- Triberg aber lässt sich nachweisen, freilich je- weils ohne Jahresangabe für die Abtrennung 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzel der Stadt eines neuen Zweiges und das Baujahr einer eigenen Burg. Das Wappen mit den beiden Hör- nern und den drei Bergen wird in der Manesse- Handschrift mit dem Minnesänger Bruno von Hornberg abgebildet. Es wird von den Herren von Triberg weiterhin geführt. Ohne familiären Zusammenhang wäre dies undenkbar. Wenn der Minnesänger schon auf der neuen Burg ge- boren ist, wurde diese von der vierten Genera- tion erbaut. Bedeutsamstes Jahr für den Beginn der Ge- schichte Tribergs ist 1280, als „Burcart von Tri- berc“ als Zeuge im Kaufvertrag zwischen Bruno von Hornberg (1275–1310) und den Herzögen von Teck auftritt, im folgenden Jahr noch einmal in einer fürstenbergischen Urkunde. Burcart von Triberg ist direkter Nachkomme der Horn- berger Familie. Daran zweifelt die Forschung nicht. Ein zweiter Burcard von Triberg (1280– 1325) ragt durch seine vielen Stiftungen an die Klöster Rottenmünster, wo eine seiner Töchter (Katharina) Äbtissin, die andere (Gertrud) Klos- terfrau war, (St. Georgen, Frieden weiler, Ten- nenbach) heraus. Da er sich als „dienestman des riches“ bezeichnete, stellte der Lehensträ- ger des Reichs – Glied der zweiten Generation des Triberger Geschlechts – ein starkes neues Familienbewusstsein in den Vordergrund. Zu seinem Selbstgefühl mag auch seine mütter- liche Abkunft aus der vornehmen Familie War- tenberg auf der Baar beigetragen haben. (Zu diesen und den ihnen folgenden Geschlechtern s. Hans Harter, Adel S. 125 ff und Nagel, Spu- ren, S. 120 ff). Ein einmaliges Erlebnis war das Theater- stück zur Stadtgeschichte am 9. Juli 2011 mit über 150 Akteuren, ebenso die Aufstellung der Dampflok 50 245 aus dem Jahr 1938 auf dem Bahnhofsvorplatz. Von der Frühgeschichte der Stadt über den Bauernkrieg und den Stadtbrand bis in die heutige Zeit wurde im Theaterstück von Klaus Nagel der Bogen gespannt. Tausende von Zuschauern versammelten sich, um die far- benfrohe und geschichtsträchtige Aufführung zu erleben – eine Zeitreise durch 900 Jahre Stadtgeschichte. Der Burggarten hatte sich da- zu in eine hübsche Zeltstadt mit Theaterkulisse verwandelt. Karl Volk 169
10. Kapitel Museen Das neue Deutsche Phonomuseum Bürgermeister Michael Rieger: „Meilenstein der Stadtgeschichte St. Georgens“ Es ist ein tolles Museum geworden und ca. 1.500 Besucher in nur anderthalb Monaten sorgen für eine einzigartige Eröffnungsbilanz. Das neue Deutsche Phonomuseum im ehema- ligen Kaufhaus Brigau jedenfalls findet eine begeisterte Resonanz. Beginnend mit dem 1877 erfundenen Edison-Phonographen, über die zehn Jahre später erfolgte Erfindung des Grammo- phons, die den über 100-jährigen Siegeszug der Schallplatte einleitete, kann man die Entwicklung der Geräte bis zur HiFi-Stereophonie verfolgen. Auch die epochemachenden Plattenwechsler der Firmen DUAL und PE sind zu sehen. Rund 250 Exponate umfasst die Sammlung, verteilt auf 1.000 m2. Großen Raum nimmt die Darstellung der heimischen Phonoindustrie wie DUAL oder PE ein. Bürgermeister Michael Rieger betonte bei der Eröffnung vor 200 Gästen, das neue Museum sei ein „Meilenstein der Stadtgeschichte“. Michael Riegers besonderer Dank galt am 16. Juli 2011 den Arbeitskreisen Deutsches Phono- museum und Schwarzwälder Uhren. Das Team um Jürgen Weißer, Siegbert Hils und Wolfgang Winkler habe unzählige Stunden in die Einrich- tung investiert. „Dieses ehrenamtliche Enga- gement kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden“, so Rieger. Das Museum sei in St. Geor- gen als Heimatstadt der Weltmarke DUAL am richtigen Ort, betonte Landrat Karl Heim im Namen des Schwarz- wald-Baar-Kreises. Hier seien unglaubliche ehrenamtliche Kräfte am Werk. Private Sammlungen als Grundlage frühzeitig befassten Schon sich zwei St. Georgener Bürger mit die sem Thema: In privaten Phono- 170 sammlungen wurden Geräte über die Entwick- lung der Phonotechnik zusammengetragen. Gottlob Weißer, geb. 1904, als ausgebildeter Elektrotechniker in der Motorenentwick lung bei Fa. Perpetuum Ebner (PE) tätig, sammelte seit Mitte der 1950er Jahre. Außerdem richtete er bei PE mit Unterstützung der Inhaberin Her- mine Ebner ein Werksmuseum ein. In St. Geor- gen erhielt er den Beinamen „De Grammophon- Weißer“. Nach seinem Tode 1964 wurde seine bedeutende private Sammlung von sei- nem Neffen Jürgen Weißer weiterge- führt, der heute der Sprecher des Deutschen Phonomu seums ist. Walter Grieshaber, geb. 1924, sammelte ebenfalls historische Phonogeräte und deren Zube- Wenn das Grammophon spielt, Trichtergrammophon „Diamond“, System Phathé, Frankreich ca. 1915.
Architektonisch großzügig angelegt und mit einmaligen Exponaten ausgestattet ist das neue Deutsche Phono- museum in St. Georgen. Es befindet sich im ehemaligen Kaufhaus Brigau. Auf ca. 1.000 Quadratmetern sind rund 250 wegweisende Geräte der Phonogeschichte ausgestellt. 171
Museen Bundesverdienstkreuz verliehen Unternehmer Georg Papst: Großartige Verdienste Georg Papst wurde im Rahmen der Eröff- nung des Deutschen Phonomuse ums am 16. Juli 2011 mit dem Bundesverdienst- kreuz ausgezeichnet. Für das Museum sei ein Motor notwendig ge wesen, sagte Re- gierungspräsident Ju – lian Würtenberger bei der Ehrung. „Ohne die Initiative und das Da- fürstehen von Georg Papst wäre es nicht dazu gekommen“, ist sich Würtenberger sicher. Er würdigte Georg Papst als Unternehmer, För- derer, Wohltäter, Stifter und Familienvater. Sein Lebenslauf verbinde „den „Global Player mit dem heimatverbundenen Menschen“. Würtenberger erinnerte an sein Engage- ment im Unternehmerverband, im Gemein- derat und Kreistag sowie als Mitglied der IHK- Vollversammlung. „Leistungsträger wie Sie setzen sich hohe Ziele“. Eine wichtige Größe sei für den Geehrten der Schutz des geistigen Eigentums, so Würtenberger mit Blick auf das Patentverwertungsunternehmen Papst Licen- sing. Was das Engagement von Georg Papst als Förderer, Stifter und Mäzen anbelangt, sei aber Nachahmung wünschenswert. Neben dem großartigen Einsatz für das Phonomuseum erwähnte der Regierungsprä- sident weitere Verdienste des Unter nehmers. Dazu gehören der Wiederaufbau des Freizeit- heims Weißloch, die Unterstützung der Ju- gend musikschule, des Jugendsinfonieorches- ters und des Bergstadtsommers sowie der Bau des medizinisch-the rapeutischen Zen- trums in St. Georgen. Georg Papst wünsch- te sich bei der Feierstunde, dass aus seiner „Aussaat viele Früchte erwachsen“. 172 172 hör. Als Feinmechanikermeis ter war er im Hause DUAL in der technischen Konstruktion beschäf- tigt – später in der Organisation und Durchfüh- rung von Messen und Ausstellungen. Beide Phono-Sammler fanden sich anläss- lich des Jubiläums „100 Jahre Gewerbeschule St. Georgen“ 1959 zu einer Sonderausstellung zusammen. Aus Archiven und Werksmuseen wurden erstmals gemeinsam aktuelle und ältere Produkte der Firma DUAL und der Firma PE aus- gestellt. Die Bedeutung der Phonoindustrie in St. Georgen wurde den Einwohnern auf einmal schlagartig deutlich. Ab 1970 erfolgte im Rahmen der Stadtkern- sanierung der Bau eines neuen Rathauses. Wal- ter Grieshaber unterbreitete dem damaligen Bürger meister Lauffer und dem Gemeinderat den Vor schlag, die beiden privaten Sammlungen in einem Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleichzeitig mit der Rathausein- weihung 1972 konnten die Exponate im Unterge- schoss ausgestellt werden. Die Sammlung ging später in den Besitz der Stadt St. Georgen über. Betreut wurde sie vom Arbeitskreis Phonomuse- um. Dieser führte auf Anforderung und zu festen monatlichen Terminen Führungen durch. In die- sem „alten“ Phonomuseum konnten jährlich zwi- schen 2.000 und 3.000 Gäste begrüßt werden. Eine Zeit der Stagnation folgte, da keine grö- ßere Ausstellungsfläche zur Verfügung stand. Gesammelte Geräte konnten in einem Depot in zwei Räumen in der Robert-Gerwig-Schule un- tergestellt werden, die aber auch bald aus allen Nähten platzten. Die Realisierung des neuen Phonomuseums Der Wunsch nach einer Ver größerung konnte erst Jahrzehnte später erfüllt werden: Ein groß- zügiger Mäzen und der Zuschuss des Landes Ba- den-Württemberg er möglichten es, zwei Stock- werke in einem ehe maligen Kaufhaus als Aus- stellungsfläche auszugestalten. Während im Rathaus 245 m² zur Verfügung standen, können nun in den neuen Räumen 965 m² Fläche belegt werden. Entscheidend hat Georg Papst (Fa. Papst Li censing, St. Georgen) als Mäzen, aber auch als
Ideengeber und Mitbeschaffer von öffent lichen Geldern, zur Verwirklichung des Museums bei- getragen: An zentraler Stelle steht in St. Geor- gen am Bärenplatz das ehemalige Kaufhaus Brigau im Besitz von Bernhard Kleofas. Zwei Stockwerke wurden vom Besitzer und der Stadt St. Georgen umfassend saniert. Architekt Arno Schwarz, St. Georgen, wurde mit der Planung für den Innenausbau beauftragt. Im Museum ist die Entwicklungsgeschichte der Phonoindustrie von ihren Wurzeln bis in die heutige Zeit dargestellt. Lange Zeit war diese Branche ein Schwerpunkt im St. Georgener Wirt- schaftsleben. Die Sammlung zeigt deshalb die Zusammenhänge zwischen dem Schwarzwälder Uhrenbau, der Feinmechanik und den Anfängen der Phonoindustrie. Aber sie dokumentiert eben so das Aufkommen der Elektronik in den 1980er Jahren, eine Entwicklung, die in St. Georgen einen tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel auslöste. Die Ausstellung ist in drei Gruppen aufge- teilt. Die größte Gruppe bildet die Entwicklung der Klangspeicherung für Sprache, Musik und deren Wiedergabe auf mechanischer Basis. Ne- ben den technischen Finessen haben viele Ge- räte auch einen bemerkenswerten ästhetischen Reiz. Dann folgt die elektromagnetische Wieder- Deutsches Phonomuseum St. Georgen gabe und als weitere Gruppe der Schwarzwälder Uhrenbau aus dem Raum St. Georgen. Durch die leihweise Überlassung der Pho- nographensammlung der Familie Dietz (GFT Technologies AG), ursprünglich das „Schwei- zer Phonomuseum“ von Mandy Schneebeli aus Stein am Rhein, hat das Museum durch seltene und wertvolle Exponate zudem eine wesentliche Bereicherung erfahren. St. Georgener Uhren- und Phonotechnik Die St. Georgener Uhrensammlung basiert auf den Exponaten des früheren Heimatmuseums und ist durch zahlreiche Neuerwerbungen und Privatsammlungen ergänzt worden. Sie zeigt den Einfluss der Uhrentechnik auf die Orches- trion- und Phonotechnik, insbesondere in der Antriebstechnik durch Feder-, Gewichts- und Elek- troantriebe. Im Bereich der Schwarzwälder Uhrenher- stellung spielen St. Georgen und Umgebung eine bedeutende Rolle: Aus Familien- und Kirchen büchern können von 1680 bis 1920 mehr als 800 Personen nachgewiesen werden, die sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Schwarzwalduhren beschäftigt haben. Auch in Schwarzwälder Uhrentechnik im Überblick: In St. Georgen beschäftigten sich im 19. Jahrhundert über 800 Personen mit der Herstellung und dem Verkauf von Zeitmessern. 173
Museen neuester Zeit haben sich St. Georgener Firmen, allen voran die Firma Staiger, mit fortschrittlichen Entwicklungen hervorgetan: Immerhin wurde das weltweit erste Quarz-Batterie-Wanduhrwerk in St. Georgen entwickelt und produziert. Aus der Uhrenindustrie und ihren Zuliefer- betrieben entwickelten sich im 20. Jahrhundert jene Unternehmen, die St. Georgen zu seinem Aufblühen und zum Ruf als Phonostadt verhol- fen haben. Eng verbunden ist dieser Wandel mit der Fabrik der Gebrüder Josef und Christian Stei- dinger, aus der die beiden Weltmarken DUAL und PE hervorgingen. Nachdem man 1907 schon Federwerke für Grammophone gefertigt hatte, zeigten die Brüder Steidinger auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1908 die ersten eigenen Feder- werke. Bereits ein Jahr später werden von ca. 60 Beschäftigten pro Monat rund 5.000 Federwerke produziert. Schließlich trennt sich der Weg der Brüder: Josef Steidinger gründet noch 1911 die „PERPETUUM Schwarzwälder Federmotoren und Automatenwerke“, PE entsteht. Christian Steidinger indes legt in diesen Jah- ren den Grundstein für das wohl bis heute be- kannteste St. Georgener Unternehmen: DUAL. Steidinger fertigt 1927 täglich bis zu 1.500 Fe- derlaufwerke. Und ein weiterer großer St. Georgener Name kommt nun ins Spiel: Mit dem neu eingestellten Ingenieur Hermann Papst wird bei DUAL die Ent- wicklung von elektrischen Grammophonantrie- ben vorangetrieben. Bereits 1928 können dem Handel fünf neue Modelle angeboten werden. Es werden monatlich 10.000 Stück davon gefertigt. 1937 kündigt Hermann Papst bei Steidin- ger, macht sich selbständig und eröffnet in St. Georgen ein Ingenieurbüro: Er entwickelt sei- nen Au ßenläufermotor weiter. 1942 entsteht die Firma Papst-Motoren, eine großartige Erfolgs- geschichte setzt sich fort: Zehn Jahre später beschäftigte man 130 Mitarbeiter, 1960 schon eintausend ! Mehr Informationen zu diesem Thema fin- den sich auf der Internetseite des Phonomu- seums (www.deutsches-phono-museum.de). Ein Gang durch das Phonomuseum Im Eingangsbereich des Deutschen Phonomu- seums zeigen mehrere Exemplare die Entwick- lung in der Phonotechnik auf. Im daneben an- gelegten Auditorium besteht die Möglichkeit, einen Werbefilm aus der einstigen DUAL-Ge- räteherstellung und einen Film über das frühere Phonomuseum zu sehen. Wie hat alles begonnen? Dem amerikani- schen „Eisenbahn-Telegraphisten“ Thomas Al va Edison kam der Gedanke, dass es doch möglich sein müsste, die menschliche Stimme aufzu zeichnen, statt sich mit Morsezeichen zu verständigen. Schon zuvor, am 9. April 1860, hatte der französische Erfinder Edouard-Leon Scott de Martinville eine Aufnahme mit sei- nem Phonautographen erstellt. Edison indes ent- warf den Phonographen. Es ist ein einzigartiger Glücksfall, dass sich das Modell mit der „Nr. 1“ im St. Georgener Museum befindet. Außer die- sem Gerät gibt es auf der ganzen Welt nur noch zwei weitere! Jahrzehntelang beherrschte Edison den Markt mit seinen Phonographen. Er verstand ihn vorwiegend als Diktiergerät, das auf der Weltausstellung 1903 in einer Neukonstruktion Weltberühmt und eine abso- lute Rarität: der Phonograph Nr. 1 von Thomas Alva Edison. 174 174
Ein Business-Phonograph von Edison. Er war mit Elektromotor und Pneumatiksteuerung ausgestattet. eine Goldmedaille erhielt. Der „Business-Pho- nograph“ war nun mit einem Elektromotor und einer Pneumatiksteuerung ausgestattet. Er war für Aufnahme und Wiedergabe eingerichtet – ei- ne geniale Idee. Das Deutsche Phonomuseum ist stolz, Originalgeräte zeigen zu können. Berühmte Sänger, wie Enrico Caruso oder Benjamin Gilgi erkannten die Möglichkeiten, die sich mit dieser Technik boten, nämlich ihren Be- kanntheitsgrad wesentlich zu erhöhen. 1887 erwuchs dem Phonographen durch die „Plattensprechmaschine“ des in den USA le- benden deutschen Erfinders Emil Berliner eine ernsthafte Konkurrenz. Er verwendete eine Schei- be als Aufzeichnungsmedium und erfand die Sei- tenschrift, um das Patent von Edison zu umge- hen. In der Seitenschrift sind die Informationen in den Flanken der Schallrille aufgezeichnet. Einige Jahre wurden beide Systeme, Phono- graphen und Grammophone, nebeneinander pro – Deutsches Phonomuseum St. Georgen duziert bis schließlich das Grammophon die Grundlage für den modernen Plattenspieler bil- dete und seinen Siegeszug antrat. Ein Blick in die Ausstellung – Grammophone in vielerlei Variationen. Die Grammophone bildeten die Grundlage für den modernen Plattenspieler, ihre Federlaufwerke stammten nicht selten aus St. Georgener Produktion. Die Antriebs-Systeme aus St. Georgen Der Antrieb der Grammophone erfolgte zu- nächst noch von Hand, kurze Zeit später jedoch durch Federwerke oder Elektromotoren, wie sie 175
Museen 176 in St. Georgen produziert wurden. Die Elektromo- toren kamen ab den 1920er Jahren verstärkt in Gebrauch, denn jetzt stand nahezu überall elek- trische Energie für den Antrieb zur Verfügung. Die Federlaufwerke, durch Fliehkraft-Regu- latoren gesteuert, wurden in St. Georgen in gro ßen Stückzahlen gefertigt und weltweit ex- portiert. So u.a. in die USA, wo sie als 1 Dollar- Laufwerke in den verschiedensten Laufzeit- ausführungen in die Grammophone namhafter Hersteller eingebaut wurden. Später wurden die Federlaufwerke mit Elektromotoren kombiniert und erlangten Weltruhm. Im Museum sind Ori- ginal-Beispiele zu sehen. Was lag näher für Fir- men mit Weltruf wie DUAL oder PE, als komplette Plattenspieler zu bauen? Die Gebrüder Steidin- ger brachten sie 1925 zunächst als Chassis auf den Markt. Mechaniker, Physiker und Chemi- ker arbeiteten Hand in Hand an den verschie- densten Verbesserungen, um die Qualität der Aufnahme und Wiedergabe zu optimieren und eine immer höhere Klangtreue zu erzielen – was ihnen eindrucksvoll gelang. Die elektromagnetische Aufzeichnung – Valdemar Poulsen Eine Abteilung des Deutschen Phonomuseums ist der elektromagnetischen Aufzeichnung ge- widmet. Es ist weithin unbekannt geblieben, dass das so populäre magnetische Schallspei- cherverfahren fast so alt ist wie die Schallplatte und die Phonographenwalze. 1888 bereits ver- öffentlichte Oberlin Smith theoretische Überle- gungen in der amerikanischen Zeitschrift „The Electrical World“ zur elektromagnetischen Auf- zeichnung. Der erste experimentelle Nachweis gelang jedoch dem Dänen Valdemar Poulsen, einem jungen Techniker aus Kopenhagen, be- schäftigt bei der Kopenhagener Telegraphen- Gesellschaft. Er gilt heute als Vater der mag ne- tischen Aufzeichnung. 1904 gelang ihm zum ers- ten Mal eine Sprechverbindung über Funk. 1906 wurde die ausgereifte Technik veröffentlicht. Von oben: Salongrammophone um 1925, Schellack- platte mit Schalltrichter im Gehäuse um 1930 und Tonbandgeräte sowie Mikrofone.
Tischgrammophon im Schwarzwaldhausstil ein Schaustück (Unikat). Mit dieser zweiten Erfindung erlangte Valdemar Poulsen Weltruhm. Bis in die 1970er Jahre wur- de sein Drahttonverfahren in Flugschreibern ver- wendet. Außerdem fand es Verwendung in Satel- liten und anderen unbemannten Raumschiffen. Zudem werden in dieser Abteilung die ver- schiedensten Tonband- und Diktiergeräte ge – zeigt. Die Antriebseinheiten, Reibräder, Motoren usw. für die Fabrikate von Grundig und Studer/ Revox wurden in St. Georgen hergestellt. Selbst modernste Handy-Recorder für SC-Speicherkar- ten, wie sie in den modernen Fotoapparaten ver- wendet werden, sind ausgestellt. Die Entwick- lung der Bauteilebestückung von verdrahteten Bauelementen bis zu den heutigen integrierten Bauteilen ist mit den Veränderungen im Laufe der letzten Jahre zu sehen. Mechanische Musikinstrumente und weitere Besonderheiten Im Museum wird in moderner Aufmachung auch eine kleine Auswahl an mechanischen Musik- ins trumenten gezeigt. Weltes Mignon, ein loch- bandgesteuertes Reproduktionsklavier, Orches- trien, Poppers Welt-Piano, Orphenions (Platten- Spielwerke) und Musikdosen sind zu sehen und zu hören – außerdem eine sprechende Uhr. Weitere Besonderheiten im Deutschen Pho- nomuseum sind Ausstellungsmodelle wie Plat- tenspieler mit schräger und kardanischer Auf- hängung zum Überkopfspielen von Schallplat- ten mit Hörbeispielen. Des Weiteren sind alle ersten Plattenwechsler von PE und DUAL aus- gestellt sowie ein Schweizer Modell, das die Vorder- und Rückseite der Schallplatte abspie- len kann, ohne diese zu drehen. Eine professi- onelle Plattenabspielmaschine des Bayrischen Rundfunks ist zu sehen, zudem verschiedene Musikboxen, Musiktruhen und Wurlitzer Musik- automaten. Alle Arten von Grammophonen, z.B. Trichter-, Schatullen-, Kof fer-, Konzert-, Kinder-, Elektronische Bauteile in einem Studiotonbandgerät um 1955. Deutsches Phonomuseum St. Georgen Reise- und „Salon“-Grammophone, Elektrolauf- werke ab 1920, Tonarme, Schall- und Nadeldo- sen, Fachliteratur, Sammlungen von Schellack-, Stereo-, Rundfunk- und Schallplattenschneide- maschinen runden die Ausstellung ab. Das Museum ist täglich, außer montags, von 10 bis 17 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Wolfgang Arno Winkler / Wilfried Dold 177
11. Kapitel Kunst und Künstler Das Kunstwerk, das Ergebnis zählt Kunstverein Villingen-Schwenningen ein Pool unterschiedlichster Strömungen Einst lautete die Gretchenfrage: Wie haltet Ihr es mit der Kunst des Abstrakten, wie mit Pop- Art und fotografischem Spiel? Nach „spannenden“ Jahren der Auseinandersetzung hat sich der Kunstverein Villingen-Schwenningen zwar nicht neu erfunden, aber weiter entwickelt. Bar jeder ideologisch verblendeten Kunst-Auffassung sehen sich Vorstand und Geschäfts- führung des Vereins als Pool von unterschiedlichsten Strömungen. Oder um es mit den Worten von Bernhard Fabry und Axel Heil zu sagen: „Nicht das Mittel zählt, sondern das Ergebnis“. Das Kunstwerk eben, „das, was es zu sagen hat“. Die Zeiten ändern sich eben, reflektieren Geschäftsführer Bernhard Fabry und Axel Heil, stellvertretender Vereinsvorsitzender. Während bei manchen Mitglie- dern die Passion für gegenständliche Malerei nie abgeebbt ist im Laufe der vielen Jahre, testen andere Künstler spielerisch, provokativ und immer wieder im höchs- ten Maße anregend die Möglichkeiten des Abstrakten und der Performance. Der Kunstverein schart schon lange nicht mehr nur „Tannwipfel-Maler“ um sich, wie es Axel Heil formuliert. Es soll keine Abwertung der damals, in den 1950er-Jahren, vorherrschenden Kunstvorstellung sein, als sich eine Gruppe von Villinger Frei- schaffenden zu einem lockeren Bund zusammenschloss. Eine Interessengemeinschaft mit künstlerischem Anspruch aber auch, ganz nüchtern, mit Verkaufsabsichten, ergänzt Axel Heil. Die zu Beginn eher homogene Gruppe änderte in den 1980er-Jahren ihr Bild: Während einige der Mitglieder noch eine spätexpressionistische Orientierung zeigten, erfolgten dann doch die ersten abstrakten Versuche, erinnert er sich. Der Künstler verbindet mit dieser Zeit noch mehr Erinnerungen: „Einige im Verein tolerierten das zwar, fanden das aber nicht so toll“, schmunzelt er noch heute über manche „spannende Diskussion“. Dennoch: die Zäsur war da. Die Tendenzen zu einer allgemeinen Ausweitung des künstlerischen Schaffens, auch bezüglich der Mittel, verstärkten sich. Das sich Abschotten gegen Pop-Art, Fotografie oder anderen Formen erlahmte. Wolfgang Eckerts Frag- ment zu einem Seitenaltar aus dem Jahr 2009. Im Kunstverein Villingen- Schwenningen besonders aktiv, von links: Vorsitzender Helmut Kury, stellvertretender Vorsitzender Axel Heil und Geschäftsführer Bernhard Fabry. 178
Und über all der Kunst schwebt der „Flying Torso“ des Bild- hauers Wilhelm Morat aus Titi- see-Neustadt. Kunst und Künstler „Manche traten zwar damals verärgert aus dem Verein aus“, blickt Axel Heil zu- rück. „Aber die Zeiten verändern sich eben, und ein Künstler widerspiegelt die Befindlichkeiten der jeweiligen Zeit“. Irgendwann erledigte sich die strittige Fra- ge: „Wie abstrakt darf es denn sein?“. Was heute ebenfalls keine Barriere für eine Mitgliedschaft mehr ist, sollte in den Anfangszeiten des Kunstvereins ebenso für Furore sorgen: In den Künstler- Kreis trat nur, wer eine akademische Ausbildung vorweisen konnte. Erst in den 1970er-Jahren vollzog sich ein Umdenken: Danach durften auch Freischaffende Künstler mit „einer angemessenen Qualifikation“ beitreten. Der formale wie inhaltliche Wandel vollzog sich Mitte der 80er-Jahre, als aus dem bislang eher lockeren Verbund der „Kunstverein VS e.V.“ wurde. Mittlerwei- le hat der Verein an die 40 aktive Mitglieder und 130 passive Unterstützer. Zu den Aktiven zählen auch Künstler wie beispielsweise Martin Starkmann, Marja-Schol- ten-Reniers oder Helfried Glitsch. Starkmann arbeitet nach dem Grundsatz „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ (Paul Klee). Er setzt ihn um im breiten Spektrum seiner Motive, die er oft in der Natur findet. Stilistisch bewegt er sich mit unterschiedlichen Techniken (Druckbild, Materialbild, drei- dimensionale Arbeit) „in einer Grauzone zwischen gegenständlicher und unge- genständlicher Darstellung“. Ob ungegenständliche Farbfeldmalerei, ob „nichtsnutzige“ Textilien: Was Marja Scholten-Reniers auf ihren Bildträgern gestaltet, erschließt sich über die motivische Grundlage des Abgebildeten. Alltägliche Gegenstände erhalten dabei neue Funktionen, die oft nahe an ihren früheren Bedeutungen liegen; Begriffe werden formal minimiert und frei für neue Inhalte durch den Betrachter. Helfried Günther Glitsch fühlt sich der gegenständlichen Malerei verpflichtet. Ob Landschaft, Akt oder Stillleben: Er lässt sich in seinem Schaffen von Motiven anregen, in denen er Ordnungen von Fläche und Form entdeckt, die er dann in seiner Malerei nicht ausschließlich gegenständlich umsetzt. In der Druckgrafik experimentiert er in Richtung Farbradierung. Eingebunden in den Verein sind aber auch Künstler, die schon längt den Schwarzwald-Baar-Kreis hinter sich gelassen haben, wie Paul Revellio. Die Jahresausstellungen als umfassende Werkschau Fester Bestandteil des Vereins und das Podium für eine umfassende Werkschau sind die Jahresausstellungen, zu denen seit längerem Gäste eingeladen werden. Freischaffende, die „sich aufgrund ihrer künstlerischen Position“ hervortun und etwas Neues zum Gesamtbild Kunstverein beisteuern. Im Landesgartenschaujahr 2010 waren dies beispielsweise der Plastiker Wolfgang Eckert und seine Frau, die Malerin Julia Elsässer-Eckert. Dieses Jahr soll es zum Spätjahr hin der Künstler Fritz Rapp unter anderem sein, der mit Fotografie experimentiert und auch mit Lichtprojektionen Aufsehen erregt. „Für Überraschungen ist er immer gut“, freuen sich Axel Heil und Bernhard Fabry schon jetzt auf diesen „speziellen Gast“. Eben- falls mit dabei ist Daniel Erfle aus Tuttlingen, der Papier als ein Medium entdeckt hat. Ein sich stets weiter entwickelndes vielschichtiges künstlerisches Schaffens- bild prägt den Verein, das um die Frage kreist: „Was macht den Menschen aus, was macht der Mensch mit den Menschen“, fasst Axel Heil die Philosophie künst- Farbenfroh bedeutet nicht immer gleich heiter: Der Publikums- liebling Paul Revellio zeigt dies mit seinen „Schwarzwald- mädchen“. 180
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Kunst und Künstler lerischen Arbeitens zusammen. „Die Ästhetik eines Werkes hat etwas mit der Erkenntnis zu tun, und nicht nur mit seiner schönen Erscheinung“, stellt er seine Sicht der Kunst-Dinge dar. Es gebe aber auch andere Mitglieder, weiß er, denen die Schönheit der Farbe und Form wichtiger sind. Jüngere Künstler dringend gesucht Der Kunstverein hat aber auch mit äußerst profanen Problemen zu kämpfen: Die Altersstruktur, die bei 50 plus liegt. „Für jüngere Künstler ist ein Verein im eher ländlichen Villingen-Schwenningen nicht besonders attraktiv“, urteilt Axel Heil. Kunstschaffende ziehe es eher auf die Rheinschiene, nach Stuttgart, München oder nach Berlin. Not macht erfinderisch, so auch den Vorstand um Helmut Kury: Aktionen des Vereins wie „Spiel- felder“ zur Fußball WM 2006 wech- seln sich ab mit Kooperationen mit dem Franziskaner-Museum bei- spielsweise, so im Projekt Bettel- kunst von Ilse Teipelke: Eine ver- hüllte Etage der städtischen Samm- lung wurde dem Publikum preisge- geben zum Entdecken gegen Spen- den: echt franziskanische Tradition. Ermutigend ist für den Kunst- vereins-Vorstand die Reaktion auf dessen Werkschauen: Das Publi- kum geht mit. Viele jüngere Leute kommen zu den Ausstellungen, zei- gen sich interessiert, fragen auch mal nach. „Die gehen nicht nur ins Museum, um sich an einem Bild zu erfreuen, die sind wissbegierig“, stellen die Kunsterzieher Axel Heil und Bernhard Fabry fest. „Die Lust am Erkenntnisgewinn ist ein Phä- nomen unserer Zeit.“ Expressiv und fragmentiert: marokkanische Marktszene aus dem Atelier der Königsfelder Künstlerin Lore Will. Finanziell unabhängig möchte der Kunstverein-Vorstand weiter- hin bleiben. „Kein Gast zahlt dafür, dass er hier ausstellen darf“, erläu- tert Bernhard Fabry. „Wir suchen die Gäste aus“. Seit der Gründung sind öffent- liche Gelder nicht entscheidend. Dafür finden Aktionen statt, um „das erbettelte Geld“ unter anderem der kulturellen Förderung von Jugendlichen zugutekommen zu lassen. Gemeinsame Projekte mit den städtischen Museen stehen 2012 eben- falls an. Nur kurz möchte er einen Schwerpunkt umreißen: „Die Migration wird beherrschendes Thema sein. Es soll eine künstlerische Darstellung einer immer vielfältigeren Gesellschaft werden.“ Eva-Maria Huber 182 Die Foto-Collage der Ihringer Künstlerin Sandra Eades wird ausgerich- tet. Bei der Kunst des kritischen Geistes des Kunstvereins Axel Heil ist Hin- tergrundwissen angesagt. Ordnung muss sein, auch zwischen der „Gartenschau- nachlese“ von Reinhard Sigle aus Deißlingen.
Museum Biedermann Donaueschingen 183
Kunst und Künstler Harry Ludszuweit: Preisgekrönter Architekt und Bildhauer Auch mit 86 Jahren stets auf der Höhe der Zeit – Unabhängigkeit wichtig Harry Ludszuweit studierte Architektur und Bildhauerei. Seit 1995, nach Übergabe seines Architekturbüros, beschäftigt er sich vorrangig mit Bildhauerei. Auf der Suche nach einer vi- suellen Gestaltung von Themen des Alltags entstanden 2008 die ersten Raumbilder. Grund- lage der dreidimensionalen Arbeiten sind Alltagsgegenstände, Fundstücke, Fotos und Spiel- zeug; sie werden mit kleinen Bronzen kombiniert. Die ineinander gestapelten Bronzegefäße ähneln menschlichen Figuren. Sie sind Sinnbilder für menschliche Körperlichkeit. Im Rahmen der Donaueschinger Regionalen, ein alle zwei Jahre stattfindendes anerkanntes Forum für Künstler aus dem Gebiet zwischen Konstanz, Freiburg und Stuttgart, wurde im Jahr 2009 zum dritten Mal der Kunstpreis der Stadt Donau- eschingen verliehen. Die Jury entschied sich bei der anonymen Auswahl für eine „frische, junge Position“. Das Interesse der Fachjuroren richtete sich auf das Werk „Kleines Skulpturen-Museum“. Arbeiten, in denen spielerisch und überaus fan- tasievoll auf Miniaturbühnen skurrile Geschichten inszeniert werden. Jung, frisch und besonders sehr individuell erscheint diese Kunstform schon, nur der Urheber dieser dreidimensionalen Szenarien war zu dem Zeitpunkt der Preisvergabe si- cherlich nicht mehr der Jüngste und in Donaueschingen, wenngleich auf einem anderen Gebiet, durchaus kein Unbekannter: Der Preisträger, der Architekt und Bildhauer Harry Ludszuweit wurde einige Tage nach der Preisvergabe 85 Jahre alt. Ein Jahr später, derselbe Ort, wenngleich erheblich architektonisch verändert. Im frisch gestalteten Konzertsaal der aufwändig umgebauten Donauhallen wird Ludszuweit eine andere Ehre zu- teil. Schon im Jahr 2002 erhielt er zusammen mit dem Konstanzer Architekturbüro Schaudt den 1. Preis für den Entwurf des acht Jah- re später fertiggestellten Renom- mierobjekts der Baarstadt. Wiede- rum ein Jahr später, wieder dersel- be Schauplatz: Der erfolgreiche Architekt, der anerkannte Bildhau- er erweist sich als großer Freund der sparten übergreifenden Kunst. Als ein in Donaueschingen ansäs- siger Kulturbürger ist es eine ge- sellschaftliche Pflicht an den welt- weit bekannten Musiktagen für Rechte Seite, oben: Der Tod und das Mädchen, 2008, Plexiglashaube, 25 x 25 x 18 cm, Assemblage. Rechte Seite, unten: Der Crash-Man, 2009, Plexiglashaube, 25 x 25 x 18 cm, Assemblage. Links: Harry Ludszu- weit im Atelier. 184
Kunst und Künstler Neue Musik teilzuhaben. Der Musikliebhaber Harry Ludszuweit macht das mit Begeisterung und zeigt sich auch in diesem Metier als Jäger und Sammler und zudem als großzügiger Stadtbür- ger: Seine Sammlung von 42 kunstvoll gestal- teten Werbeplakaten aus den Jahren 1964 bis 2005 vermachte er nun der Bürgerstiftung Do- naueschingen. Diese wiederum stellte die Werke der Stadt als Dauerleihgabe zur Verfügung. Die Sammlung dokumentiert nun in den Donauhallen in drei Reihen zu je 14 Plakaten das Geschehen der Musiktage seit 1964 bis ins Jahr 2005: Künst- lerisch wertvolle Zeugnisse internationaler Pla- katkunst und international bedeutende musika- lische Großereignisse begegnen sich auf diese Weise authentisch am Ort des Geschehens. Konzentration auf die Bildhauerei geboren in Schmilgen/Ostpreußen Professor Hermann Scheuernstuhl, Bildhauerei Harry Ludszuweit 1925 1947-1949 Kunstgewerbeschule Hannover 1949-1951 Kunstgewerbeschule Hamburg 1952-1957 Technische Hochschule Stuttgart, 1954 1958 1959-1995 selbständige Tätigkeit als Architekt Professor Edwin Scharff, Bildhauerei Architektur Mitarbeit bei Professor Günther Behnisch Diplom in Donaueschingen Ausstellungen ⁄ Ausstellungsbeteiligungen 1998, 2000 Jahresaustellung Kunstverein Villingen- Schwenningen 2002 Städtische Galerie im Turm, Donaueschingen 2003, 2005, 2009 Donaueschinger Regionale 2007 Architekturforum Freiburg 2009 Künstler helfen Obdachlosen, SKM Augsburg 2009 Die Natur verbindet. Künstlerinnen und Künstler des Schwarzwald-Baar-Kreises, Landratsamt Villingen-Schwenningen 2010 Zeitsprung II. Reinhard Voss ⁄ Jürgen Oschwald ⁄ Harry Ludszuweit. Zeitgenössische Künstler themati- sieren Werke aus der Sammlung des Stadtmuseums Hüfingen, Stadtmuseum Hüfingen Der in den vergangenen Jahren vielfach Geehrte hat sich seit 1995, mehr oder weniger im Ruhe- stand, auf sein erstes Studium, die Bildhauerei, konzentriert. Als Architekt ein Begriff, in Donau- eschingen unter anderem für die ebenfalls preis- gekrönten Solarhäuser im Wohngebiet „Auf der Staig“, genießt er inzwischen auch als Bildender Künstler ein stetig wachsendes Ansehen. Seit 2008 nun schafft Ludszuweit, der Ende der vierzi- ger Jahre bei Professor Hermann Scheuernstuhl an der Kunstgewerbeschule Hannover und im Anschluss bei Professor Edwin Scharff an der Kunstgewerbeschule Hamburg Bildhauerei studierte, meist klein- formatige, bühnenartige Objekte, in denen er oft surreal anmutende Situa tionen inszeniert. In den häufig durch Plexiglashauben geschützten Assemblagen wer- den Geschichten erzählt oder besser: eigentlich nur kurze Zusammenfassungen, die der Betrachter je nach Sichtweise ausbauen kann. „Der Wächter“ ist eine von den mittelalterlichen Totentänzen inspirierte Arbeit, „Der Tod und das Mädchen“, „Waldmann“, „Löffelgruppe“, „Die Frau und das Meer“, „Der Künstler und die Farben“ oder „Crash-Man“ hingegen bieten viel Raum zur Interpretation. Oben: Ohne Titel, 2010, Photoprint Acrylglas, Draht , 24 x 24 x 6 cm, Assemblage №051. Obwohl der seit 1959 in Donaueschingen beheimatete Künstler sehr intensiv in seinen Architekten-Alltag involviert war, galt seine Leidenschaft schon immer der Kunst. Frühe Gips- und Bronzeköpfe, inspiriert vom Stil seines Professors Edwin Scharff, gibt es in seinem Atelier gleichfalls zu sehen. Es befindet sich in einem der ebenfalls von ihm entworfenen Reihenhäuser „Auf der Staig“. Frühes Werk oder Alterswerk, das ist bei Ludszuweits Werkfülle und Schaffensdrang gar nicht so einfach auseinanderzuhalten. Das ist eigentlich auch gut so, denn das bedeutet, dass der Künstler auch in der gleichzeitigen Anwendung verschie- denster Stile, Techniken und Formen seinen Arbeiten eine wiedererkennbare eigenständige Handschrift verleiht. So unterscheidet sich das im Sommer 2011 Unten: Verlassener Raum, 2011, 24 x 15 x 22 cm, Assemblage. 186
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Kunst und Künstler entstandene Tonportrait seiner Ehefrau Annelie, die er seit Jahren liebevoll pflegt, in seiner Expressivität wenig von den Arbeiten, die er während seiner Studienzeit sechs Jahrzehnte zuvor schuf. Früh entstand auch die Serie „Architekturbröt- chen“, die man aber auch deutlich später datieren könnte. „Architekturbrötchen“ das sind Titel, die man nicht nur tautologisch verstehen kann. Die gegenständ- lichen Arbeiten verweisen auch auf eine andere Beziehungsebene. Der aufstre- bende Architekt schuf sich surreal-traumhafte auf Stelzen thronende „Architek- turbrötchen mit ökologischem Zugriff auf Nestwärme“ und „Wolkenkuckucks- heime“, wohl wissend, dass er seine Brötchen für sich und seine Familie eben nicht als Bildhauer verdienen kann. Lange Zeit hatte der anerkannte Architekt, dessen Bauten auch durch die enge geschäftliche wie freundschaftliche Verbundenheit zu dem Stuttgarter Ar- chitekten Günther Behnisch geprägt sind, schlicht und einfach keine Zeit, sich künstlerisch zu betätigen. Im Ruhestand wird diese Passion umso intensiver ausgelebt. Mit unglaublichem Schaffenswillen, Ideenreichtum und innovativem Experimentierdrang gibt Ludszuweit in seinem vielschichtigen Werk seine Sicht auf die Welt wieder. Der Mensch in Verbindung zu seinem Umgebungsraum Grundlage der dreidimensionalen Arbeiten sind die unterschiedlichsten Alltags- gegenstände: Fundstücke, Fotos, die schon Mal wie bei der Serie „Metropolis“ vom Fernsehbildschirm abfotografiert werden, aus Staniolpapier entworfene schlichte Figuren und kleine Bronzen. Zuweilen erscheinen die Menschen nur als vasenförmige Gefäße. Der Betrachter muss sie eben mit Inhalt füllen. Die „Pup- penstuben“ zeigen stets die vielfältigsten Aspekte unseres Alltagslebens auf. Und immer öfter gibt es das formale Element des Gitters, in der ganz deutlich der Architekt zum Vorschein kommt. Es geht in dieser jüngsten Werkphase um das Verhältnis des Individuums zum Umgebungsraum. Der Mensch steht bei diesen Arbeiten immer in Verbindung zu den Gitterrastern, auch wenn in der Serie „Zeit- verschiebungen“ Urzeitviecher hinter den Gittern erscheinen. Das wichtigste Gestaltungsmittel der aktuellen Arbeiten kommt jedoch auch vollkommen ohne Personal aus wie in der Reihe „Verbindungen“. Aber auch mit diesen äußerst klarstrukturierten architektonisch-künstlerischen Ordnungssys- temen werden verschiedenste Assoziationsfelder eröffnet. Die Gitterraster bilden beispielsweise den Rahmen, in dem chaotische Situationen geordnet werden. Die Gitterbilder funktionieren nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Teile und bekommen in Gesamtzusammenhang neue Eigenschaften. Sie können einer- seits als Orientierungshilfe dienen, andererseits beschränken sie auch die Wahr- nehmung. Analogien zu den Tarnnetzen beim Militär oder den Täuschungsmanö- vern in der Natur sind durchaus im Sinne des Künstlers. Weitere Aspekte bei der konsequenten Verwendung der Gittersysteme sind das Aufzeigen der Verbindung von Außenraum und Innenraum sowie der Dialog von Natur und Künstlichkeit. Letztlich geht es aber bei den Kästen um die Verwe- bung von Sehendem und Sichtbaren, also um die Auseinandersetzung des Be- trachters mit dem Objekt. Lange hat Harry Ludszuweit diesen Ansatz mit seinen architektonischen Objekten umgesetzt, nun macht er es im kleineren Maßstab mit seinen künstlerischen. Stefan Simon 188 Oben links und rechts: aus der Serie „Zeitver- schiebung“. Ohne Titel, 2010, 24 x 24 x 22 cm, Assemblage №020 und №022. Unten links und rechts: aus der Serie „Ver- bindungen“; Aufzeigen der Verbindung von Außenraum und Innenraum so- wie des Dialogs von Natur und Künstlichkeit.
Harry Ludszuweit 189
Kunst und Künstler Emil Jo Homolka Einer der bedeutendsten Künstler, die Königsfeld hervorbrachte Er war ein bedeutender Künstler und gilt als einer der bedeutendsten Künstler, die Königs- feld bislang hervorbrachte: Emil Jo Homolka etablierte sich in der Zinzendorfgemeinde im Pendel zwischen pädagogischen und künstlerischen Aktivitäten, schuf vielschichtige Werke in Bronze, Holz, Beton und Edelstahl für Kirchen, öffentliche Plätze und Gebäude, soziale Einrichtungen und Industriebetriebe. Seine markanten Skulpturen sind nicht nur in ganz Deutschland verstreut, sondern auch im Ausland, etwa in der Schweiz, in Frankreich, den USA, Polen und Australien. Nach langer Krankheit starb er im Dezember 2010 im 86. Lebensjahr. Homolka und Königsfeld, das bedeutet: In der Hauptschule gibt es einige der eher untypischen frühen abstrahierten „Turnerbilder“ des Künstlers zu sehen. 2005 erwarb die evangelische Kirchengemeinde Buchenberg mit Hilfe einer Spenden- aktion in der Bevölkerung ein zerbrechlich wie gleichsam kraftvoll wirkendes Bronze-Kruzifix für die Aussegnungshalle auf dem Friedhof. Ein besonderes und zugleich typisches Exemplar aus Homolkas Atelier. Der Künstler hat den Gekreu- zigten im schlichten romanischen Stil ohne Schnörkel zuvor schon hunderte Ma- le als Menschensohn dargestellt: Christus, „lebendig“, ohne Anzeichen von Lei- den, der den Tod besiegt. Es mag auch an den grausamen Erfahrungen während der Kriegsjahre gelegen haben, dass Homolka stets auch theologische Dimensi- onen in sein Schaffen einfließen ließ. Ein Jahr später – zum 200. Geburtstag Königsfelds – erwarb der Kernort eine Homolka-Skulptur. Der flötende Bronze-Engel kann in der Lesegalerie bewundert werden und entstand in der letzten Schaffensperiode des Künstlers, in der es ihm vor allem beschützende Engel mit brü- chigen Bronzeflügeln angetan hatten. Dass viele seiner erdverhafteten Him- melsboten ein Instrument spielen, ist der Inspiration der Geistigen Nothilfe zu verdanken, deren Musiker im Hau- se Homolka viele Jahre ein und aus gingen. Emil Jo Homolka in seinem Atelier in Königsfeld. Links: Ochsenkarren, 1970er-Jahre, Bronze. Auch wenn Homolka mit seiner Kunst in Königsfeld unterrepräsentiert erscheint: gut bekannt ist er selbstver- ständlich auch hier und nicht nur in Berlin, Tübingen, Karlsruhe, in Frank- reich, der Schweiz oder in den USA, wo Rechts: Flötender Bronze-Engel mit brüchigen Flügeln. 190
Emil Jo Homolka 191
Kunst und Künstler seine Arbeiten überall zu finden sind. Wenngleich aus einem ganz anderen Grund, der ihn damals überhaupt in den Schwarzwald lockte. 1946 begann er an der Kunstakademie Stuttgart ein Studium. Sein Professor war Karl Hils, sein ehema- liger Zeichenlehrer am Gymnasium. An der Kunstakademie hatte Homolka die Aufgabe, die Werkstätten wieder aufzubauen. Nach seinem Abschluss im Jahre 1951 sollte er den Lehrstuhl für Lehrerausbildung übernehmen. Aber bevor er künftige Lehrer ausbilden konnte, musste er selbst als Schullehrer tätig werden. Und so hat er durch Zufall eine Anzeige, in der ein Kunstlehrer für die Zinzendorf- schulen gesucht wurde, gelesen. Aus dem erwünschten Praktikum wurde eine Daueranstellung. Insgesamt 38 Jahre lang wirkte der beliebte Pädagoge als Kunstlehrer an den Zinzendorfschulen. Auch noch lange nach seiner Pensionie- rung hatte der ehemalige Lehrer Kontakte zu seinen Zöglingen wie Gotthard Glitsch oder Jochen Winckler, die ihm vor allem für die Vermittlung handwerk- licher Fähigkeiten dankbar sind. Und diese sind für jedermann sichtbar. In elf Handwerksberufen ausgebildet „Als zweites Kind von insge- samt fünf Geschwistern in Stuttgart geboren, habe er schon sehr früh den Trieb ge- habt, etwas selber herzustel- len,“ beschreibt es seine Ehe- frau Uta, mit der der Künstler 54 Jahre verheiratet war und mit ihr zusammen drei Kinder groß zog. So hat er schon als Schüler Modelle für seinen Lehrer, der Handwerksbücher herausgab, gebastelt. Aufgrund seines Talents hatte er schon im Alter von zwölf Jahren die Möglichkeit, neben dem Gymnasium die Kunstakademie zu besuchen. Dort wurde er in insgesamt elf verschiedenen Handwerksberufen ausgebildet. Als echtes Kriegskind musste er bereits 14-jährig als Hilfspolizist mitwirken. Da er direkt neben dem Karlsgymnasium wohnte, hatte Homolka mit seiner Mutter ausgemacht, dass sie bei Erhalt seines Einberufungsbefehls ein weißes Tuch aus dem Fenster hängen solle, weil damit seine Schulzeit beendet war. Auch während des Kriegsdienstes hatte Homolka das Beste aus der schreck- lichen Kriegssituation gemacht, wie er es einmal formulierte. Die Verwundung als 18-jähriger in Frankreich sah er rückblickend als Lebensrettung. Und seine hand- werklichen Fähigkeiten haben ihm wie so oft auch in der Gefangenschaft weiter- geholfen. Im Gefangenenlager in Marseille wurden Mosaikleger gesucht, so war er eben kurzerhand ausgebildeter Mosaikleger, durfte für den amerikanischen General arbeiten und kam so in den Genuss von Vergünstigungen. Überhaupt: Emil Jo Homolka hatte einen verschmitzten Humor und verblüffte seine Gesprächspartner in den langen Unterhaltungen immer wieder mit Schlag- fertigkeit und schwäbelndem Wortwitz. Das sind freilich Anekdoten, die in den Erinnerungen derer, die den Künstler gekannt haben, und hier ist es vor allem seine Frau, weiterleben. 192 Vielseitig begabt: Emil Jo Homolka beim Basteln von Modellen. Außergewöhn- lich begabt, besuchte er bereits als 12-jähriger die Kunst – aka demie.
Emil Jo Homolka Präsent bleibt Homolka aber schließlich auch durch zahl- reiche Zeugnisse seines Kunstschaffens, für das er in 1950er Jahren gleich zwei Mal den bedeutenden „Kunstpreis der Jugend“ erhalten hatte, eine Auszeichnung übrigens, mit der auch inter- national renommierte Künstler wie Joseph Beuys, Erich Hauser oder Otto Hayek geehrt wurden. Homolka anlässlich seines 80. Geburtstages: „So kam es, dass ich bis heute Aufträge habe und mich um nichts kümmern muss.“ „Allerdings konnte er kaum ausstellen, die Auftragsarbeiten wurden zur ständigen Ausstel- lung“, erinnert sich seine Frau Uta. Zuerst waren es die Kirchen, dann die Kommunen und schließlich Privatleute, die sich für sei- ne Werke interessierten. Man muss nicht nach Berlin fahren, wo er in Steglitz ein großes Abendmahl oder in der Eiermann-Kirche den Taufpavillon angefertigt hat, um einen typischen Homolka zu finden. In der Villinger Markuskirche etwa hat er bis auf den Opferstock alles gestaltet. Und im Stadtgebiet von St. Georgen gibt es eine stattliche Anzahl von sakralen und profanen Arbeiten aus der Hand Homol- kas. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Glockenspiel in St. Georgen. Gerade bei diesem Auftrag zeigt sich die Stärke Homolkas. Er stellt ei- nen klaren Bezug zur Historie der Stadt her: Abt Theoger, als Vertreter der Grün- dungszeit der berühmteste Abt des Klosters St. Georgen, Kaiser Maximilian, der St. Georgen 1507 das Marktrecht verlieh und Großherzog Friedrich von Baden, der 1891 den Ort zur Stadt erhob. Bei der vierten Figur jedoch handelt es sich um einen gewöhnlichen Bürger. Die Symbole des Gockels unter dem einen Arm und des Zahnrades in der anderen Hand geben Hinweise auf den bäuerlichen Ursprung und die feinmechanische Industrie, die für die Gemeindeentwicklung lange Zeit prägend war. Bestaunt wird das Glockenspiel vom „Glöcklesgucker“, ein Beiwerk, das Homolka gerne bei seinen öffentlichen Auftragsarbeiten einbezogen hat. Mit der staunenden Figur wird die Verbindung zum Betrachter hergestellt. Der Kon- trapunkt zum Hauptwerk verleiht dem Geschehen mit dem informativen und ge- schichtsträchtigen Inhalt die menschlich-humorige Note. Emil Jo Homolka bei der Herstellung eines Wachs- modells, 1970er-Jahre. Villinger Mar- kuskirche, mit Werken von Homolka. 193
Emil Jo Homolka Ganz in der Nähe im Rathaus ist eine Bronzescheibe Homolkas mit dem Ritter Georg zu finden. Am Bärenplatz steht sein Bären- brunnen. Auch der Taufdeckel in der Lorenzkirche stammt aus sei- ner Werkstatt. Vor dem Mathilde-Papst-Haus ist eine Handplastik von dem Königsfelder Künstler zu sehen. „Und außerdem“, so er- zählte Homolka selbstbewusst: „Jeder, der etwas auf sich hält, hat, zumindest in St. Georgen, privat einen Homolka.“ In seinen Arbeiten zeigt sich der Bildhauer, den man gemeinhin als Vertreter der sakralen Kunst einordnet, tief im Menschlichen verwurzelt und der Humanitas verpflichtet. Er gleitet in seinen Ar- beiten, die er größtenteils im Bronzeguss realisiert, aber die auch Mal in Holz, Aluminium oder Beton zur Geltung kommen, weder in die gegenständliche Anekdote, noch in die vermeintliche Ästhetik des Dekorativen ab. In einer Zeit, in der vieles beliebig geworden zu sein scheint, macht Homolkas Kunst ganz unaufdringlich Zusammenhänge sichtbar und der Künstler bezieht Stellung aus der engagierten Haltung eines freien Menschen. Technisches Können, die Sicherheit der Formgebung, die Raffinesse der fi- gürlichen Gestaltung und das inszenatorische Gespür für die Wirkungsmöglich- keiten der Figuren im Raum lassen Emil Jo Homolka alle Freiheit der Formulie- rung: Er sagt es, indem er es aufzeigt. Mit technischer Meisterschaft baut Homol- ka aus Wachsplatten seine Gestalten auf, bis jener Zustand erreicht ist, der dia- lektisch zwischen lebensvollem Volumen und zerbrechlich wirkender Fragilität dem Betrachter entgegen tritt. Das Prekäre, Gefährdete der menschlichen Exis- tenz wird in diesen Werken spürbar, obwohl und gerade weil sie so leicht daher- kommen. Einer Naturverbundenheit könnte man den großen Anteil von Tierplastiken Homolkas besondere Liebe zu Tieren ganz allgemein zuschreiben. Oder dem Ästheten, der Tierkörperformen und deren elegante Bewegungsabläufe, wie sie zum Beispiel in der Bronze „Tanz der Pferde“ ausdrucksvoll zur Geltung kommen, schätzt. Aber neben diesen Aspekten gibt es noch ein anderes künstlerisches Interesse am Tier. Es geht um Wesensähnlichkeiten zwischen tierischen und menschlichen Eigenschaften. Und so gibt es immer wieder das Tier im Menschen zu entdecken. Eine seiner größten Plastiken – eine Trennwand aus Beton in einer ehemaligen Kaserne – befindet sich in Tübingen in der Bundesforschungsanstalt für Viren- erkrankungen und wiegt rund 100 Tonnen. Dargestellt ist eine Herde stilisierter Stiere, die formal an ein großformatiges Holzrelief anknüpft, das die Abendmahl- szene zum Thema hat. Ob die Kunstwerke Homolkas nun im sa- kralen Umfeld angesiedelt sind, ob sich der Bildhauer ironisch mit den Tugenden des Menschen beschäftigt hat, wie bei der Skulptur „Faulenzer“ oder ob er wie bei den „Fischen“ oder „Pelikanen“ die Grazie der Kreatur darge- stellt hat, seine Arbeiten wirken stets form- vollendet, stilsicher und besitzen einen hohen Wiedererkennungswert. Stefan Simon 194 Das Glocken- spiel in St. Geor- gen, besteht aus vier großen Figuren: Abt Theoger, als der berühmteste Abt des Klos- ters St. Georgen (rechts), Kaiser Maximilian, der St. Geor- gen 1507 das Marktrecht verlieh (linkes Bild, links)und Großherzog Friedrich von Baden (rechts), der 1891 den Ort zur Stadt er- hob. Oben: Der Glöcklesgucker, der staunend bei dem Kunst- werk steht. Links: Bären- brunnen in St. Georgen.
Kunst und Künstler 195
1 1 9 9 6 6 Erneuerbare Energien
12. Kapitel Erneuerbare Energien Künftig mehr Windkraft – Bioenergie und Sonne an der Spitze Im Schwarzwald-Baar-Kreis werden jährlich ca. 157 Millionen Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt – Gütenbach ist bereits Stromexporteur von Bernward Janzing Schon dieser eine Satz klingt für Baden-Württemberg wie eine Revolution: „Wir wollen bis 2020 mindestens 10 Prozent unseres Stroms aus heimischer Wind- kraft decken.“ Er steht im Koalitionsvertrag der neuen Stuttgarter Regierung und beschreibt eine 180-Grad-Wende gegenüber der früheren Landespolitik. Eine Änderung des Landesplanungsgesetzes soll den Weg bereiten. Der Schwarzwald-Baar-Kreis liegt im Vergleich zu anderen Landesteilen bei der Windkraft schon heute recht weit vorne: „Im Regierungs- bezirk Freiburg haben wir die meisten Wind- kraftanlagen“, sagt Joachim Gwinner, der Erste Landesbeamte und Stellvertreter des Landrats in Villingen-Schwenningen. 19 Anlagen mit ei- ner Leistung von 21 Megawatt sind derzeit im Landkreis installiert. In Baden-Württemberg lie- ge der Schwarzwald-Baar-Kreis damit an siebter Stelle unter 35 Landkreisen, hat Gwinner errech- net. Besonders die Gemeinden Gütenbach und Schonach mit jeweils fünf Anlagen haben die Statistik des Landkreises geprägt. Windkraftanlagen auf der Kaiserebene in Gütenbach. Drei Anlagen sind dort gegenwärtig installiert. 197
Erneuerbare Energien Die meisten der Anlagen sind schon einige Jahre alt: „Wir hatten in den Jahren 2001 und 2002 einen Windkraftboom“, sagt Gwinner. Da seien im Jahr 60 bis 70 Bauanträge im Land- ratsamt eingegangen. Doch bald ebbte das Inte- resse wieder ab, was auch daran lag, dass die Kommunen nun nur noch auf ausgewählten Flä- chen Anlagen zuließen. In Furtwangen zum Bei- spiel, wo im September 1996 auf der Fernhöhe schon sehr früh eine kleine Windkraftanlage mit 250 Kilowatt errichtet wurde, wurde seither kei- ne weitere mehr installiert. Bislang stand Baden-Württemberg bei der Windkraft im Ländervergleich ganz am Ende, nur die Stadtstaaten und das kleine Saarland hatten noch weniger Rotoren installiert. Zum Jahresbe- ginn 2011 waren in Baden-Württemberg gerade 368 Anlagen mit zusammen 467 Megawatt am Netz. Damit entfielen zum Stichtag nur 1,7 Pro- zent der gesamten in Deutschland installierten Windleistung auf den Südwesten. Und mit ei- nem Anteil von gerade 0,9 Prozent Windkraft am Stromverbrauch wird Baden-Württemberg sogar alleine von Hamburg und Berlin unterboten. Im Jahr 2006 schon überschritt in Baden-Württem- berg die Stromerzeugung aus Photovoltaik jene der Windkraft. Mehr Windkraftanlagen wird es vor allem im Schwarzwald geben Um das Ziel der neuen Landesregierung von zehn Prozent Windstrom zu erreichen, muss der Landkreis die Windkraftnutzung versechsfa- chen. Allerdings seien nicht alle Teile des Kreises geeignet, sagt Gwinner: „Der Ausbau wird vor allem im Schwarzwald erfolgen.“ Das hat nicht nur damit zu tun, dass in der Regel mit der Höhenlage auch die Windverhältnisse im- mer besser werden, sondern auch mit Vogel- schutzgebieten. „Die Baar ist das zweitgrößte Vogelschutzgebiet in Baden-Württemberg“, sagt Gwinner. Nur auf der Alb gebe es ein noch größeres Areal. Zwischen Niedereschach und Blumberg liegen ein bedeutendes Vogelzugge- biet sowie konzentrierte Habitate von Rot- und Schwarzmilan. Hier seien Windräder kaum ge- nehmigungsfähig. 198 Sonne an der Spitze – 3.900 Photovol – taik anlagen sind im Landkreis am Netz Den meisten Ökostrom werden im Jahr 2011 im Landkreis vermutlich die Solaranlagen erzielen. 3.900 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von gut 64 Megawatt waren zum Jahresbeginn am Netz – mit deutlich steigender Tendenz. Die meisten davon gibt es naturgemäß in den grö- ßeren Städten: In Villingen-Schwenningen wa- ren zum letzten Jahreswechsel 780 Anlagen in- stalliert, in Donaueschingen 450. Die Wenigs- ten, nämlich nur 42, gab es in Unterkirnach. Rund 55 Millionen Kilowattstunden speisten die Solarstromanlagen im Jahr 2010 im Schwarz- wald-Baar-Kreis ins Netz – mit einem rasanten Tempo nach oben. Im Jahr zuvor waren es erst 31 Millionen Kilowattstunden gewesen. 2011 dürf- ten es über 70 Millionen werden. So erlebt auch der Schwarzwald-Baar-Kreis jenen Boom, der bundesweit die Energieland- schaft verändert. Im Sommer 2011 überschritt die Leistung aller Solarstromanlagen in Deutschland die Marke von 20.000 Megawatt. Zwar deckt die Sonne übers Jahr gerechnet da- mit erst drei Prozent des Strombedarfs, da diese theoretische Maximalleistung der Anlagen nie- mals überall wirklich erreicht wird. Aber es ist ein sehr wertvoller Strom, weil die Sonne vor allem Mittags Energie liefert, wenn die Nachfra- ge am höchsten ist. Mittags drücken inzwischen zeitweise mehr als 13 Gigawatt Photovoltaik ins Netz, womit die Photovoltaik in manchen Stun- den schon mehr als 30 Prozent des bundeswei- ten Strombedarfs deckt. An zahlreichen Tagen im Sommer 2011 wurde in Deutschland mehr Solarstrom erzeugt als noch im gesamten Jahr 2001 – nämlich mehr als 100 Millionen Kilowatt- stunden. Und die Entwicklung wird rasant weiter „Ganz nah an der Winkraft“ – im Bild die Anlage an der Kreisgrenze auf dem Rohrhardsberg bei Schonach. Die Zahl der Windkraftanlagen im Schwarzwald wird sich in naher Zukunft versechsfa- chen. Unten: Auch in Schonach selbst sind Windkraft- anlagen zu finden, rechts die Langenwaldschanze.
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Bräunlingen rangiert in der Solar-Bundesliga auf Rang 141, Villingen-Schwenningen (rechte Seite) hingegen auf Platz 1.598 (Stand August 2011), was allein mit dem Verhältnis von Solaranlagen zur Einwohnerzahl zu tun hat. Insgesamt aber ist das Oberzentrum die Stadt im Landkreis mit den meisten Solarzellen auf den Dächern, das zeigt der Blick in die jüngeren Stadtviertel und Neubaugebiete des Ober- zentrums – Tendenz weiter stark steigend! Verboten sind die Solaranlagen in den Altstadtbereichen, was u.a. sowohl für Bräunlingen als auch für Villingen- Schwenningen gilt. gehen. Im Jahr 2012 bereits dürfte die Solarener- gie in Deutschland mehr Strom liefern als die Wasserkraft. Das ist ein großer symbolischer Moment, denn die Wasserkraft galt bis vor 20 Jahren noch als die erneuerbare Energie schlechthin. Ursache und gleichermaßen Folge des So- larbooms ist ein rasanter Preisverfall der Tech- nik. So haben sich die Kosten des Solarstroms durch die Massenfertigung der Module alleine in den vergangenen fünf Jahren halbiert. In den letzten 25 Jahren gar ist der Preis um 85 Prozent gefallen. Und die Entwicklung wird weiter ge- hen: Im Jahr 2012 bereits wird die Kilowattstun- de Solarstrom vom Dach billiger sein als die Kilowattstunde Haushaltsstrom aus dem Netz. Und zur Mitte des Jahrzehnts wird die Photovol- taik zu den billigeren Arten der Ökostromerzeu- gung zählen – sie wird billiger sein als Offshore- Windkraft, billiger als Strom aus Geothermie und billiger als manche Kilowattstunde aus Bio- masse. Architektur und Denkmalpflege Unten: Der Solarpark Stierberg auf Gemarkung Sunthausen an der A81 in Bad Dürrheim produziert rund 1,7 Millionen Kilowattstunden Ökostrom pro Jahr. Damit können rund 450 Vier-Personen-Haus- halte versorgt werden. Die Finanzierung soll über eine lokale Bürgerbeteiligungsgesellschaft erfolgen. Der Solarpark verfügt über eine Spitzenleistung von 1,6 Megawatt Peak und ist gegenwärtig die zweitgrößte Anlage im Landkreis. 200
Architektur und Denkmalpflege Bräunlingen und Hüfingen in der Solarbundesliga gut platziert Bemessen an der Zahl der Bürger liegt im Land- kreis die Gemeinde Bräunlingen bei der Solar- energie vorne. In der Solarbundesliga (www. solarbundesliga.de), an der sich inzwischen 1664 Gemeinden beteiligen, lag Bräunlingen Mitte 2011 auf Platz 141. Dicht dahinter folgt Hü- fingen auf Platz 149. Gewertet wird dabei, wer pro Kopf die meisten Solaranlagen zur Stromer- zeugung und zur Wärmegewinnung betreibt. Alleine auf den Stromanteil bezogen, liegt Hüfingen im Landkreis auf einem unangefoch- tenen Spitzenplatz: 24 Prozent des verbrauch- ten Stroms wurden im Jahr 2010 von der Sonne erzeugt. Auch der Landkreis selbst hat an dem Ausbau der Photovoltaik mitgewirkt. Sämtliche 201
Erneuerbare Energien Dachflächen der kreiseigenen Schulen – es sind in der Summe 25.000 Quadratmeter – wurden mit Modulen belegt. So fließen jährlich alleine von den Schulen rund 200.000 Kilowattstunden Strom ins Netz. Darüber hinaus wird Solarenergie im Land- kreis aber auch auf einzelnen Freiflächen ge- nutzt. Die Kreismülldeponien in Hüfingen und Tuningen, sowie die Kompostanlage in Villingen wurden zu Solarstandorten gemacht. Zusam- men kommen sie auf eine Jahreserzeugung von 2,2 Millionen Kilowattstunden. Hinzu kam im Mai 2011 die Freilandanlage „Stierberg“ an der Autobahn 81 bei Bad Dürrheim. Sie soll alleine weitere 1,7 Millionen Kilowattstunden bringen. Insgesamt ist man im Landkreis mit Freilandan- lagen aber recht zurückhaltend, denn sowohl im Landratsamt wie auch in den Gemeinden herrscht die Einschätzung vor, dass sich Frei- landanlagen nur für vorbelastete Flächen eig- nen – nicht aber für Wiesen oder Ackergrund- stücke. Denn diese würden die Landschaft der Region erheblich beeinträchtigen. Zumal es auf den Dächern des Landkreises noch viel Poten- zial gibt. Neben dem Solarstrom gibt es natürlich noch die Solarwärme. Rund 58.000 Quadratme- ter Solarkollektoren sind auf den Dächern des Schwarzwald-Baar-Kreises installiert. Auf 1.000 Einwohner kommen damit rund 280 Quadratme- ter Kollektorfläche – ein überdurchschnittlicher Wert. Im Durchschnitt Baden-Württembergs liegt die Zahl bei 240 Quadratmetern. Eine große Solaranlage im Landkreis, die Solar-Farm Hüfingen GmbH, befindet sich auf der dortigen Kreis- mülldeponie, die 2005 stillgelegt wurde und heute als Grüngutkompostanlage betrieben wird. Trotz aller bautechnischen Schwierigkeiten einer ehemaligen Deponie fand sich ein Investor, an den der Landkreis das Gelände verpachtete. In der gegenwärtig ange- dachten Schlussausbaustufe soll die Anlage rund 1,8 Mio. Kilowattstunden bringen. Die kleine Fotografie unten rechts zeigt die Wechselrichter, sie leiten den Strom an einen Transformator weiter, über ihn erfolgt die Einspeisung des erzeugten Solarstroms ins Netz. 202
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Erneuerbare Energien Erster Landesbeamter Gwinner: „Die Wasserkraft ist weitgehend ausgereizt“ Die traditionelle Energie im Schwarzwald und auf der Baar ist die Wasserkraft. An den Bächen mit rund 1.000 Kilometern Gesamtlänge sind derzeit 54 Wasserkraftanlagen in Betrieb, die rund 13 Millionen Kilowattstunden einspeisen. Vielmehr werden es aber nicht mehr werden: „Die Wasserkraft ist weitgehend ausgereizt“, sagt Erster Landesbeamter Gwinner, „die klei- nen Wasserläufe, insbesondere im Schwarz- wald, sind ökologisch sehr sensibel.“ In der Historie der Wasserkraft spielt der Schwarzwald-Baar-Kreis eine beachtliche Rolle. Das populärste Projekt der vergangenen zwei Jahrzehnte ist natürlich die Linachtalsperre auf Vöhrenbacher Gemarkung, seit dort im Frühjahr 2007 der Wiederaufstau begann – 37 Jahre nach Stilllegung des Speicherkraftwerks. Die Mauer aus den zwanziger Jahren des ver- gangenen Jahrhunderts, die wegen ihrer einzig- artigen Bauweise als Kulturdenkmal gilt, war in den beiden Jahren zuvor für mehr als sechs Mil- lionen Euro saniert worden. Bautechnisch gilt die Linachtalsperre als Meisterwerk, weil sie aus 13 Rundbögen in einer fast schon filigran anmutenden Weise aufgebaut wurde – der teure Beton in der Bauzeit war Grund für diese kreativ luftige Konstruktion. Technikgeschichtlich interessant ist das Linachkraftwerk auch, weil es die Epochen der Stromwirtschaft wie kaum ein zweites Projekt in Deutschland abbildet. In bitterster Inflationszeit war es in den frühen zwanziger Jahren unter enor mem Einsatz der Vöhrenbacher erbaut wor- den. Doch im Dezember 1969 beschloß der Vöh- renbacher Gemeinderat, das historische Kraft- werk stillzulegen. Erst 1998 reaktivierte eine Bürgergesellschaft das Kraftwerk wieder, ehe Die Stadt Vöhrenbach ist stolz darauf als „Wasserkraftkommune“ zu gelten – was die Zahl der Wasserkraft- werke auf ihrer Gemarkung anbelangt steht sie im Landkreis mit elf Anlagen an der Spitze. Vor allem die in den Jahren 1921 – 1925 erbaute und deutschlandweit bekannte Linachtalsperre ist das Aushängeschild der Stadt. Das Wasserkraftwerk produziert nach seiner Generalsanierung (2005 – 2007) wieder umweltfreund- lichen Strom. Das Bild unten zeigt die Verkleidung der 13 Rundbögen mit einer Geomembran im Jahr 2006. Ein internatio nales Team von Spezialisten dichtete mit einer 2,5 mm dicken PVC-Schutzschicht die sanierungs- bedürftigen Gewölbe ab, was eine Grundvoraussetzung für die Reaktivierung der Anlage war. 204 204
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Erneuerbare Energien neun Jahre später auch die Staumauer wieder in Betrieb genommen werden konnte. Heute nennt sich Vöhrenbach stolz „Wasserkraftkommune“. Der Kirnbergsee bei Unterbränd – ein Wasserkraftwerk aus dem Jahr 1922 Ein anderes geschichtsträchtiges Wasserkraft- werk steht in Bräunlingen. Dort bauten die Stadtwerke im Jahre 1922 ein Wasserkraftwerk, das dem Stil der 1920er-Jahre entsprechend auch über eine Talsperre verfügt. So entstand der Kirnbergsee bei Unterbränd, der längst zu einem beliebten Badesee geworden ist. Zudem spielen das Gewässer und sein Umfeld auch für die Fischerei und den Naturschutz eine immer größere Rolle. Im Jahr 2000 wurde das Areal so- gar als sogenanntes „FFH-Gebiet“ ausgewiesen – als Naturschutzgebiet von europäischem Rang. Das Wasserkraftwerk, dessen Turbinen- haus im Bräunlinger Ortsteil Waldhausen steht, ist noch heute in Betrieb und erzeugt in einem durchschnittlichen Jahr 700.000 Kilowattstun- den Strom. Zu den bedeutenden Wasserkraftprojekten, die von Bürgern des Schwarzwald-Baar-Kreises initiiert wurden, zählt außerdem das Kraftwerk Stallegg in der Wutachschlucht – wenngleich dieses bereits jenseits der Kreisgrenze im Land- kreis Breisgau-Hochschwarzwald liegt. Der Fürst 206 Offizielle Eröffnung der Brändbachtalsperre in Un- terbränd bei Bräunlingen im Jahr 1922. Das Wasser- kraftwerk mit Staumauer ist heute als „Kirnbergsee“ bekannt, ein beliebter Badesee im Landkreis (Foto unten). Das Wasserkraftwerk ist nach wie vor in Be- trieb und kann eine Jahresleistung von ca. 700.000 Kilowattstunden Strom vorweisen.
zu Fürstenberg hatte es im Jahr 1895 bauen las- sen; es war seinerzeit das größte Flusskraftwerk Deutschlands. In den folgenden Jahrzehnten expandierte der fürstliche Stromversorger und belieferte bald die gesamte Region zwischen Donaueschingen und Lenzkirch-Grünwald mit Elektrizität. Im Jahr 1979 verkaufte das Fürsten- haus sein Stromnetz und das Werk Stall egg je- doch an das Kraftwerk Laufenburg, ehe der Stromversorger vom Hochrhein das Kraftwerk 1980 still legte. Seit der Jahrtausendwende lie- fert es wieder Strom, nachdem ein privater Be- treiber es gekauft und reaktiviert hatte. In den letzten beiden Jahrzehnten entstan- den im Schwarzwald-Baar-Kreis zudem zwei technisch interessante Neubauprojekte. In Bräunlingen wurde im Jahr 2002 ein Wasser- kraftwerk mit Schnecke statt Turbine realisiert. Vor mehr als 2.000 Jahren hatte Archimedes eine solche Wasserförderschnecke entwickelt, mit der er das wertvolle Nass unter Einsatz me- chanischer Energie auf höhergelegene Landflä- chen empor pumpen konnte. Dann aber kamen vor einigen Jahren Ingenieure auf die Idee, den Prozess umzukehren, und die alte Pumpen- schnecke als Turbine einzusetzen. In Bräunlin- gen wurde das seinerzeit größte Projekt dieser Art in Europa realisiert: Mit 3,10 Meter im Durch- messer und sieben Metern in der Länge, verar- beitet die Schnecke an einem historischen Ge- werbekanal am Donauquellfluss Breg bis zu vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Bei einer Fall- höhe von etwa 2,50 Meter kommt die Anlage auf eine Leistung von 65 bis 70 Kilowatt. Der we- sentliche Vorteil gegenüber einer Turbine: Die Tiefbauarbeiten sind deutlich einfacher und damit billiger. Ein anderes, nicht ganz gewöhnliches Kraft- werk entstand 1995 an der Breg zwischen Ham- mereisenbach und Zindelstein bei Wolterdin- gen, einem Stadtteil von Donaueschingen. Der Bauherr, ein Zimmermeister aus Donaueschin- gen, belebte hier eine alte Technik wieder, in- dem er das 700 Meter lange unterirdische Druckrohr komplett aus Kiefernholz fertigte. Fast 600 Kubikmeter Holz benötigte er für die Röhre mit zweieinhalb Metern Durchmesser. Die Holz-Technik biete viele Vorteile, sagte der Zimmermeister. So seien die Reibungsver- Wasserkraft In Bräunlingen wurde 2002 ein Wasserkraftwerk mit Schnecke statt Turbine realisiert. luste vergleichbar mit Kunststoff und geringer als bei Stahl. Auch im Laufe der Zeit nähmen die Reibungsverluste nicht zu, da sich am Holz kei- ne Partikel und Verkalkungen anlagern können. Am Holz bilde sich eine schleimige Schicht, die Komplett aus Kiefernholz gefertigt ist das 700 Meter lange, unterirdisch verlegte Druckrohr des Wasser- kraftwerkes Zwick bei Zindelstein. 207
Erneuerbare Energien so glatt werde, dass man sich im Rohr kaum fort- bewegen könne. Und preisgünstig seien die „nachwachsenden Rohre“ obendrein: ein Drittel billiger als Stahlrohre. Und was die Lebensdauer betrifft, erklärte der Wasserkraftwerker: „In Schweden gibt es Holzleitungen, die sind 115 Jahre alt.“ Selbst bei ungünstigen Bedingungen seien 60 Jahre das absolute Minimum. Neben Kiefernholz kommen auch Lärchen- und Douglasienholz in Frage, da diese Hölzer reich an natürlichen Harzen sind. Eine chemische Behandlung des Baustoffes ist nicht notwendig, weil Holz, das ständig dem Wasser ausgesetzt ist, nicht durch Pilze und In- sekten zerstört werden kann. Biogas: Früher Start in Bruggen Unterdessen ist auch die Bioenergie im Land- kreis gut vertreten: 62 Anlagen (davon 59 land- wirtschaftliche und 3 gewerbliche) speisen 64 Millionen Kilowattstunden jährlich ins Netz ein. 14 Anlagen stehen in Villingen-Schwenningen, Eine der ersten Biogasanlagen in Baden-Württem- berg kurz nach ihrer Inbetriebnahme. Das Foto zeigt den Pionier Helmut Friedrich, der auf seinem Hof in Bruggen 1996 die Anlage installierte. Jährlich werden 200.000 Kilowattstunden Strom erzeugt. die meisten allerdings im Städtedreieck Do- naueschingen (8 Anlagen), Hüfingen (8 An lagen) und Bräunlingen (10 Anlagen). Der Schwarz- wald-Baar-Kreis steht mit seiner Dichte an Bio- Die 2002 in Donaueschingen in Betrieb genommene Biogas-Pilotanlage verwertet in vier Rohrfermentern jähr- lich 8.000 Tonnen Lebensmittelabfälle aus Krankenhäusern. Das dabei entstehende Gas wird verbrannt: Über 700 Vier-Personen-Haushalte würden dadurch mit Strom und 210 zusätzlich mit Wärme versorgt, betonen die Betreiber. Die Besonderheit der vom ABB-Konzern finanzierten Pilotanlage steckt im „Futter“ für die Bakterien. Eine Monovergärung reicht, das bedeutet: Es werden nur Speisereste benötigt. 208 208
Biogasanlagen gasanlagen damit an der Spitze in Südbaden. In Baden-Württemberg liegt der Landkreis auf Platz 5 unter 35 Landkreisen. Das ist auch dem Biogas-Förderverein Schwarzwald-Baar-Heuberg zu verdanken, der im Jahr 1993 von acht Biogasfreunden in Bräun- lingen gegründet wurde. Und auch den Kommu- nen: Über einige Jahre hinweg bekamen Land- wirte in Bräunlingen, Hüfingen und Donau- eschingen für ihren Hof eine individuelle Wirt- schaftlichkeitsberechnung einer Biogasanlage komplett von den Kommunen finanziert. In Bräunlingen entstand dann auch eine der ersten Biogasanlagen im Land: Im Ortsteil Brug- gen nahm im Frühsommer 1996 ein Jungland- wirt, dessen Hof über 85 Großvieheinheiten ver- fügte, eine Biogasanlage in Betrieb und er- zeugte fortan 200.000 Kilowattstunden Strom im Jahr. Nebenbei spart das Biogas dem Land- wirt auch 4.000 Liter Heizöl ein, weil er auch die Wärme seines Privatkraftwerkes nutzt. Bioenergie ist aber nicht nur das Biogas der Landwirtschaft. Im Herbst 2002 ging in Donau- eschingen eine Pilotanlage in Betrieb, die in vier Rohrfermentern jährlich 8.000 Tonnen Lebens- mittelabfälle aus Krankenhäusern verwerten kann. In einem zweistufigen Fermentationspro- zess können daraus täglich 2.400 Kubikmeter Biogas gewonnen werden, die in einem Block- heizkraftwerk mit 511 Kilowatt elektrischer Leis- tung jährlich 2,9 Millionen Kilowattstunden Strom und 3,5 Millionen Kilowattstunden Wär- me erzeugen können. Eine Großanlage wurde 2010 in Tuningen mit Vollendung der 2. Ausbaustufe fertiggestellt: Auf einem Areal von 1,7 Hektar Größe werden pro Jahr 18.500 Tonnen regional nachwachsende Rohstoffe wie Mais, Ganzpflanzen- oder Gras- Silage sowie verstärkt Gras, Landschaftspflege- material, Stroh, Heu und Mist zu Biogas verar- beitet. Diesem wird das darin enthaltene Was- ser, das Kohlendioxid, der Schwefel und der Stickstoff entzogen. Das Gas besteht dann zu fast 99 Prozent aus Methan, während im rohen Biogas nur etwa 54 Prozent Methan enthalten sind. Biomethan entspricht in der chemischen Zusammensetzung Erdgas und kann daher, wenn es auf den gleichen Druck komprimiert In Tuningen erzeugt eine Powerfarm aus regional nachwachsenden Rohstoffen Biomethan, das ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Die Anlage in Tuningen ist durch den TÜV Süd zertifiziert – als erste in Deutschland unterschreitet sie den gesetzlichen Grenzwert für Methanverluste und das sehr deutlich. Nach der Aufbereitung besteht das produzierte Gas bis zu 99% aus Methan. Das Bioerdgas aus Tuningen wird von der EGT in Triberg bundesweit als Premiumprodukt unter dem Label „GasGrün“ verkauft. 209 209
Erneuerbare Energien wird, ins Erdgasnetz eingespeist werden. Eine Vermaisung der Landschaft sei im Schwarzwald- Baar-Kreis aber noch nicht zu beobachten, sagt der Erste Landesbeamte im Landratsamt, Gwin- ner: „Der Anteil des Mais an der Ackerfläche liegt bei uns zwischen 10 und 15 Prozent.“ Darüber hinaus wird Bioenergie im Land- kreis natürlich nicht nur zur Stromerzeugung und zur Gewinnung von Bioerdgas, sondern auch zur Wärmeversorgung genutzt – die älteste Form der Energiegewinnung aus Biomasse. In Bäunlingen werden Holzhackschnitzel zur Klär- schlammtrocknung eingesetzt. Die Genossenschaft Bürgerenergie Nieder- eschach (BEN) hat unterdessen eine Nahwärme- versorgung für die örtliche Schule und den Sportverein aufgebaut. Die Wärme stammt aus einer Biogasanlage, die 745 Meter von der Grund- und Hauptschule entfernt liegt. Da die Wärme früher weitgehend ungenutzt blieb, nah- men Bürger das Projekt in die Hand und mach- ten damit einen zweiten Heizkessel in der Schu- le – den Ölkessel – verzichtbar. Das Genossen- schaftsmodell war für die Bürger die Lösung der Wahl: „Die eingetragene Genossenschaft bietet Die Kornkammer Baar bei Hüfingen. Wie stark ver- ändert die Bioenergie die Landschaft und das Na- turgefüge der Baar insgesamt, wenn auf den Fel dern verstärkt Mais angebaut würde, weil dieser den Land- wirten den besseren Preis einbringt? Gegen wärtig ist diese Frage viel diskutiert. zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele überzeu- gende Vorteile. Die eG setzt auf Kooperation, Flexibilität und regionale Kompetenz“, heißt es bei den Initiatoren. Für Erdwärme wenig geeignet Als letzte der erneuerbaren Energiequellen bleibt die Erdwärme. Als Standort für die Strom- erzeugung aus Tiefengeothermie ist der Land- kreis wenig geeignet, weshalb es auch keine Planungen in dieser Richtung gibt. Denn auf der Baar – und im Schwarzwald ohnehin – trifft man in den notwendigen Tiefen von mindestens 3.000 Metern auf das kristalline Grundgebirge. Dort ist die Nutzung der Erdwärme nur mit dem Hot-Dry-Rock-Verfahren (HDR) möglich; und die- ses ist in Verruf geraten, seit in Basel im Dezem- ber 2006 und Januar 2007 die Arbeiten an einem Geothermiekraftwerk mehrere Beben bis Stärke 3,4 auslösten. Der Zusammenhang war eindeu- tig: Die Epizentren der Beben lagen jeweils direkt neben dem Bohrloch im Basler Stadtteil Kleinhüningen. Es gingen bei den Behörden 2.000 Schadensmeldungen ein. Das Projekt wurde gestoppt und das HDR-Verfahren hat seit- her zahlreiche Kritiker. Unterdessen ist die Nutzung der oberflä- chennahen Erdwärme mittels elektrischer Wär- mepumpen auch in manchen Regionen des Landkreises verbreitet, ein Beispiel ist Vöhren- bach. 213 Erdwärmesondenanlagen in Haushal- 210
Architektur und Denkmalpflege Biogasanlagen Eine Interessensgemeinschaft aus Niedereschacher Bürgern hat sich einer lokalen Energieversorgung an- genommen und als „Genossenschaft Bürgerenergie Niedereschach“ u.a. eine Nahwärmeversorgung für die örtliche Schule und den Sportverein aufgebaut. Die Genossenschaft ist ehrenamtlich organisiert und arbeitet kostendeckend aber nicht nach dem Gewinnmaximierungsprinzip. Sie soll von möglichst vielen Bürgern getra- gen werden und der Gemeinde Niedereschach zugute kommen. ten und Gewerbe sind verbreitet. Nachdem in früheren Jahren diese Technik häufig genutzt wurde, ist man inzwischen vorsichtiger gewor- den – das ist eine Auswirkung des Desasters in Staufen. Das gilt gerade auch auf der Baar mit ihrem kars tigen Untergrund, wo mitunter eben auch Gips ansteht. In Staufen nämlich zerfällt gerade die Alt- stadt, seit unter dem Rathaus bei der Installati- on einer Wärmepumpe mit Erdsonde eine Gips- Keuper-Schicht durchbohrt wurde, die durch den Eintritt von Wasser seither aufquillt. Inzwi- schen sind mehr als 250 Gebäude zum Teil schwer beschädigt – so hinterließ die Wärme- pumpenheizung Schäden von mehr als 50 Milli- onen Euro. Vor diesem Hintergrund hat im Jahr 2009 das Landesamt für Geologie in Freiburg den Stadt- und Landkreisen in Baden-Württem- berg empfohlen, Erdbohrungen zu stoppen, wenn diese auf Gips stoßen. Ein anderer Grund für die zunehmende Zu- rückhaltung bei Erdbohrungen liegt darin, dass es im Schwarzwald-Baar-Kreis eine Vielzahl von Wasserschutzgebieten gibt. Mancherorts sehen die Wasserversorger bereits die Erdwärmepum- pen heute als die Altlasten von morgen und war- nen vor einem „Wildwuchs beim Bohren von Erdwärmesonden“ weil „erhebliche Gefahren für die Qualität des Grundwassers und damit mittelbar auch des Trinkwassers“ bestünden. Und schließlich ist die elektrische Wärme- pumpe, die in Zusammenhang mit den Erdson- den benötigt wird, in jüngster Zeit auch erheb- lich teurer geworden. Denn sie braucht recht viel Strom. Lange versorgten die Stromanbieter die- se Anlagen zu Sonderpreisen – doch diese Markteinführungspreise, die mitunter nicht ein- mal die Kosten der Versorger deckten, werden inzwischen an das allgemeine Preisniveau an- gepasst. Damit werden die Wärmepumpen zu- nehmend unrentabel. Wohin geht im Landkreis die Entwicklung? Bleibt am Ende die Frage: Wohin geht die Ent- wicklung der erneuerbaren Energien im Land- kreis? Diese Frage ist eng gekoppelt mit der Frage nach den Potenzialen. Deswegen hat der Regionalverband Schwarzwald-Baar-Heuberg nun ein regionales Energiekonzept in Auftrag gegeben, das die Potenziale der Region analy- siert. Es soll Ende 2011 vorliegen. Bislang gibt es in dieser Hinsicht nur eine Studienarbeit, die im Jahr 2005 am Campus Vil- lingen-Schwenningen der Hochschule Furtwan- 211
Erneuerbare Energien gen University im Fachgebiet Umwelt- und Ver- fahrenstechnik erstellt wurde. Autor Matthias Engler kam damals auf ein technisches Poten- zial von rund 5 Milliarden Kilowattstunden jähr- lich. Im Vergleich zum Jahr 2010 mit 157 Millio- nen erzeugten Kilowattstunden Ökostrom wä- ren somit erst drei Prozent erschlossen. Allerdings entfallen nach der Untersuchung 2,9 Milliarden Kilowattstunden auf die Geother- mie; sie dürften damit bis auf weiteres nicht er- schlossen werden. Das wird mit den 1,1 Milliar- den Kilowattstunden Solarstrom eher möglich sein. Für den Wind setzt die Studie 470 Millio- nen Kilowattstunden an, für Biomasse 258 Mil- lionen. Wasserkraft hat ihr technisches Potenzial mit 24 Millionen Kilowattstunden am weitesten ausgereizt, nämlich zu mehr als der Hälfte. 157 Millionen Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien Die im Schwarzwald-Baar-Kreis erzeugten 157 Millionen Kilowattstunden Strom aus erneuer- baren Energien entsprechen einem Anteil von 15 bis 18 Prozent des Verbrauchs, rechnet Gwinner vor. Damit liegt der Landkreis annähernd im Durchschnitt; bundesweit wurden im Jahr 2010 rund 17 Prozent des Stromverbrauchs regenera- tiv erzeugt. 212 Ca. 1,1 Milliarden Kilowattstunden Solarstrom werden im Landkreis in naher Zukunft erzeugt, das bedeutet, dass sich das Bild unserer Städte und Dörfer weiter verändert – hier das Baardorf Riedböhringen. Rechte Seite: Der Breiteckhof in Gütenbach. Auf dem Dach des jahrundertealten Hofes ernten Solarzellen die Sonnenenergie, in der Ferne sind die Windkraftan- lagen auf der Kaiserebene zu sehen. Der Ort Güten- bach erzeugt längst mehr Wind- und Sonnenstrom als er selbst an Energie verbraucht. Anders als bundesweit, wo längst der Wind vorne liegt, war es im Jahr 2010 im Schwarzwald- Baar-Kreis noch die Biomasse mit 64 Millionen Kilowattstunden. Dicht dahinter folgt jedoch schon die Sonne mit 55 Millionen, die schon im Jahr 2011 an die Spitze rücken dürfte. Weit da- hinter folgen mit 25 Millionen die Windkraft und mit 13 Millionen die Wasserkraft. In den 20 Gemeinden des Landkreises sind die Werte sehr unterschiedlich. Gütenbach als Spitzenreiter ist – vor allem seiner fünf Wind- kraftanlagen wegen – längst Stromexporteur; die Ge meinde deckt den Stromverbrauch von Haus- halten und Gewerbe bereits zu 109 Prozent selbst. Es folgen Hüfingen mit 73 Prozent (vor allem aus Bioenergie und Sonne), Brigachtal mit 67 Prozent (überwiegend Bioenergie) und Scho-
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Links: Windkraftwerke der ersten (vorne) und der neuesten Generation – fotografiert beim Blindensee. Rechte Seite: Der Triberger Wasserfall wird seit 1888 zur Stromerzeugung genutzt. Der Landkreis kann bei der Nutzung erneuerbarer Energien auf eine lange Tradition zurückblicken. Landkreis kann auf lange Tradition verweisen Der Landkreis könnte damit seine große Traditi- on fortsetzen, auf die er in Bezug auf die Strom- erzeugung aus erneuerbaren Energien zurück- blicken kann. Vor allem Triberg hat hier einen großen Namen: Im Sommer 1884 stellte Triberg als erste Stadt Deutschlands seine Straßenla- ternen vollständig auf elektrisches Licht um. Der Strom wurde von kleinen privaten Wasserkraft- werken an der Gutach geliefert. Und mit zehn Wasserkraftwerken steht Triberg heute noch auf Platz zwei aller Gemeinden im Landkreis – über- troffen nur von Vöhrenbach mit 11 Wasserkraft- werken. Der Ausbau dürfte in den kommenden zehn Jahren vor allem beim Wind erfolgen, so wie wei- terhin bei der Photovoltaik. Wasserkraft dürfte nur in bescheidenem Rahmen zulegen. Auch bei der Biomasse wird sich der Ausbau verlangsa- men, nachdem die Debatte um die Flächenkon- kurrenz von Nahrungsproduktion und Energie- gewinnung längst begonnen hat und in man- chen Regionen auch ökologische Bedenken ge- gen die zunehmenden Maismonokulturen auf- kommen. Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis sind diese Diskussionen längst an der Tagesordnung – vor allem im Bereich der Baar. Gleichwohl ist das Ziel einer komplett rege- nerativ geprägten Stromwirtschaft im Schwarz- wald-Baar-Kreis machbar. Auch in der bereits zitierten Studienarbeit an der Hochschule Furt- wangen University ist das dokumentiert: „Es zeigt sich, dass mit den vorhandenen techni- schen Potenzialen eine 100-prozentige regene- rative Stromversorgung des Schwarzwald-Baar- Krei ses möglich ist.“ Wenn wir uns anstrengen, können wir das schaffen — davon ist auch Land- ratsstellvertreter Gwinner überzeugt. nach mit 54 Prozent (vor allem Wind). Am Ende der Statistik stehen Villingen-Schwenningen mit 4,8 Prozent, Blumberg mit 5,5 Prozent und Mönchweiler mit 6,5 Prozent.In allen Gemein- den dürften die Anteile im Jahr 2011 nochmals deutlich zulegen, nachdem zwischen 2008 und 2010 der Anstieg bei rund 50 Prozent lag. Vor allem die Photovoltaik verzeichnete enorme Zu- wachsraten von mitunter 60 bis 70 Prozent pro Jahr. So dürften es in wenigen Jahren schon mehrere Gemeinden geben, die mehr Strom er- zeugen als sie verbrauchen. 214
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13. Kapitel Umwelt und Natur Die Buchen Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 6) Text und Fotografie: Wolf Hockenjos Sie gehören zu den Lieblingsmotiven der Schwarzwaldfotografen – kein Bildband, kein Schwarzwaldkalender, der auf die windgeschorenen und kampferprobten Windbuchen des Schauinslands verzichten möchte. Nicht viel weniger fotogen sind die breitkronigen Weid- und Wetterbuchen, wie sie, als Einzelbäume oder in Baumgruppen, die Weidberge des Südschwarzwalds zieren, genauso wie die Wacholderheiden der Alb. Doch auf der Baar und auch im Baarschwarzwald sucht man sie leider vergebens. Eigentlich schade, denn fürs Auge stellen solitär erwachsene Buchen fraglos eine Bereicherung des Landschaftsbildes dar. Auch Deutschlands bis unlängst noch mit Abstand meistfotografierter Baum ist eine Weidbuche: die prachtvolle Bavaria-Buche im bayerischen Naturpark Altmühltal. Dass die Buchen (genauer: die Rotbuche, Fagus sylvatica) östlich des Schwarzwaldkammes in der freien Landschaft wie auch im Wald weithin fehlen, hat klimatische, geologische, vor allem aber nutzungsgeschichtliche Ursachen. In den Pollenprofilen der Moore, mit deren Hilfe die Baumartenmischung im Naturwald von einst rekonstruiert werden kann, sind Buchenpol- len erstaunlicherweise auch bei uns durchaus vertreten (Buchenanteil auf der Baar 37 %, im Baarschwarzwald 18 %). Es gab die Mischwälder mit Buchenbeteili- gung demnach auch auf der Baar, erst recht in den diesseits wie jenseits angrenzenden Land- schaften. Doch weil vor allem der Spätfrost im Kaltluftstau der Baar und der Donauzuflusstä- ler der Buche heftiger zusetzt als ihren frost- härteren Konkurrentinnen, war die „Mutter des Waldes“ hier nach Rodungen und Kahlschlägen stets von Ausrottung bedroht. Die sauren, oft staunässebeeinflussten Buntsandsteinböden schwächen sie zusätzlich in ihrer Vitalität. Wo- hingegen sie sich im Gneis und im atlantischer getönten Klima des Westschwarzwalds, erst recht auf den Weißjurastandorten der Baaralb, als nahezu unverwüstlich erwiesen hat. Nirgends erlebt man das Frühlingserwa- chen intensiver als im Buchenwald, vom ersten 216 Vogelkonzert, dem Trommeln der Spechte, von der Märzenbecher- und Anemonenblüte bis zum Knoblauchduft des Bärlauchs. Frisches Bu- chengrün im Mai, das Goldgelb der verfärbten Buchen im Oktober – wo sie fehlen, ist das Wald – erlebnis nur halb so schön! Bekämpfung der Buche im 20. Jahrhundert Nicht nur die Kahlschläge im Gefolge der Glas- hütten und Eisenwerke haben der Buche bei uns zugesetzt. Auch die planmäßige Forstwirt- schaft der Neuzeit, die stets dem profitableren Nadelholz den Vorzug gab, war nicht schuldlos an ihrem Verschwinden: Die Buche, so verkün- dete noch 1855 Carl Gebhard, Chef der FF-Forst- verwaltung, in einem Vortrag vor dem „Forst- lichen Verein im badischen Oberlande“, verdie- ne nicht nur keine Berücksichtigung, vielmehr sei „ihre Bekämpfung mindestens bis zu ihrem spärlichen Eingesprengtseyn in die Nadelholz- bestände“ geboten. Die beiden starken Buchen am Blumberger Eichberg verdanken ihr hohes Alter nicht zuletzt den Wegmar- kierungen, die an den Stämmen angebracht wurden.
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Umwelt und Natur Und weil die „Bekämpfung“ der Buchen im Baar-Schwarzwald so erfolgreich war, wurde noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts sogar unter Forstleuten die These vertreten, Baar und Baar-Schwarzwald seien aus klimatischen Gründen eine von Natur aus buchenfreie Zone: Denn konnte je einer, so fragt F. Albrecht (1942) in seiner Dissertation, angesichts des gestei- gerten Brennholzbedarfs in „badisch Sibirien“ ein Interesse an der Ausrottung der Buche ge- habt haben? Zwar gab es im zwanzigsten Jahrhundert im- mer wieder einmal zaghafte Versuche zur Wie- dereinbringung dieser Baumart, doch erst mit dem Konzept der naturnahen Waldwirtschaft, der schmerzhaften Lehre aus den Orkanschä- den ausgangs des 20. Jahrhunderts, wurde der Buche aus ökologischen Gründen wieder ein höherer Stellenwert zuerkannt. Die Buche als Naturdenkmal Verwunderlich ist es also nicht, wenn es im Schwarzwald-Baar-Kreis nur wenige vorzeig- bare Buchengestalten zu entdecken gibt. Kaum eine hat das Zeug zum geschützten Naturdenk- mal. Eine rare Ausnahme im Buntsandstein- Schwarzwald stellt die „Neuhäusle-Buche“ dar; das geschützte Naturdenkmal steht an der alten Vöhrenbacher Straße unweit des Gasthauses „Auerhahn“ im größten Villinger Stadtwald- distrikt, dem tannenreichen Neuhäusle-Wald. Be merkenswerte Altbuchen finden wir an- sonsten allenfalls an der Peripherie des Land- kreises. Die prominenteste Buche verdankt ihren Bekanntheitsgrad freilich weder ihrem Wuchs noch ihrem Alter, sondern dem Balzer Herrgott. Der Baum mit dem eingewachsenen Kruzifix steht hart am Rande des steil eingeschnittenen Wildgutachtales auf Gemarkung Gütenbach, also bereits im „rhenanischen“ Schwarzwald mit seinem buchenfreundlicheren Klima. Die knorrige, wohl über zweihundertfünfzigjährige Buche mit ihrer tief angesetzten Krone stand einst zweifellos frei auf einem Weidberg, der irgendwann um die vorletzte Jahrhundertwende aufgeforstet worden ist. Was der Christuskör- per beweist: Buchen sind wahre Überwallungs- künstler; zumal Weidbuchen, die nicht selten aus mehreren miteinander verwachsenen Stämmchen, aus vom Weidevieh verbissenen „Kuhbüschen“ hervorgegangen sind. Der Balzer Herrgott – Herrgott in der Buche Die Geschichte des Herrgotts in der Buche bleibt indes rätselhaft, auch wenn ein Infostand nebenan mittlerweile Aufklärung leistet, wie und weshalb der Korpus ins Stamminnere ge- langen konnte. Die Version des Wildgutachers Pius Kern (1859 – 1940), auf die sich die Infor- mationstafel stützt, geht so: Das sandsteinerne Kruzifix habe ursprünglich beim Königenhof im Wagnerstal (Gemarkung Neukirch) gestanden, der im Winter 1844 durch eine Lawine zerstört worden ist. Das Unglück hatte damals nicht nur 16 Todesopfer gefordert, die Lawine soll auch dem Gekreuzigten Arme und Beine abgeschla- Links: Geschütztes Naturdenkmal „Neuhäusle- Buche“, im Buntsandstein-Schwarzwald eine Rarität. Rechts: Baumwunder Balzer Herrgott in Gütenbach.
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Rast beim Balzer Herrgott. gen haben. Lausbuben sollen hernach den Cor- pus verschleppt und hier oben, oberhalb des Mörderloch-Gütchens, an der Buche abgelegt haben. Gütenbacher Uhrmachergesellen sollen den Torso um 1900 am Baum befestigt haben, der ihn alsbald zu überwallen begonnen habe. Der Name Balzer Herrgott, so erklärt es uns der Wildgutacher Zeuge, sei darauf zurückzufüh- ren, dass an dem Standort einst die Auerhähne gebalzt hätten. Kann es sich so verhalten haben mit dem „Baumwunder“ – lassen sich Wunder überhaupt erklären? Schon die Aussage, junge Burschen hätten den zentnerschweren Steinkörper aus jugendlichem Übermut über Berg und Tal ge- schleppt, klingt wenig überzeugend. Auch wird von anderer Seite bezeugt, dass die guss- eisernen Querarme des Kreuzes noch in den 1920er Jahren aus der Buche herausgeragt und auf Veranlassung des Furtwanger Forstmeisters abgesägt worden seien. Und wenn die Buche, wie es ihre gedrungene Gestalt nahelegt, einst auf einem Weidberg gestanden hat, dürfte sich hier nie und nimmer ein Auerwild-Balzplatz be- 220 funden haben. Die großen schwarzen Waldhüh- ner balzen nun einmal im Waldesinneren. Also stand beim Namen wohl doch eher ein Baltha- sar Pate, wohnhaft im längst aufgegebenen Winkelgütchen, nicht anders als jener Baltha- sar, nach dem heute noch der Balzerhof in Si- monswald benannt ist. Das freigelegte Christushaupt Es ist hier nicht der Platz, all den Legenden um den Balzer Herrgott nachzuspüren. Fügen wir aber noch hinzu, dass sich in den 1980er Jahren, mitten in der öffentlichen Erregung um das Waldsterben, ein lebhafter Expertenstreit entsponnen hatte: War es gerechtfertigt, den Überwallungsprozess künstlich abzustoppen, das Christushaupt mit dem Schnitzmesser frei zulegen, wie es die Gemeinde Gütenbach beantragt hatte? Denn die Buche war soeben im Begriff, nach dem Torso nun auch noch das Haupt des Gekreuzigten vollends in sich aufzu- nehmen. Drängte es sich da – angesichts des Leids, das der Mensch der Natur zufügte – nicht geradezu auf, den Überwallungsvorgang sinn- bildlich zu deuten? War der Gott im Baum nicht
im Begriff, gramvoll sein Antlitz zu verbergen angesichts der menschengemachten Schwefel- immissionen? Gesiegt hat schließlich das touristische Interesse Gütenbachs, denn ihm lag am Fort- bestand des vielbesuchten Wanderziels. Die Spuren des Schnitzmessers, mit dem nicht nur das Haupt freigelegt, sondern auch eine Was- serdrainage angelegt wurde, hat die Buche schon fast wieder überwallt: Ein Vorgang, der sich widerspiegelt im Vers eines ungenannten Dichters, nachzulesen auf einem hölzernen Tä- felchen am Fuß des Baumes: Doch sieh, der Baum umfangen hält das viel verachtet Bild aus Stein und nimmt ihn ganz in sich hinein den Schmerzensmann, den Herrn der Welt. Buchenoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis Frei erwachsene Weidbuchen lassen sich im Schwarzwald-Baar-Kreis ansonsten nur noch sehr vereinzelt finden, denn die extensiv ge- nutzten Weidberge mit ihrem lockeren Baumbe- stand sind längst aufgeforstet oder in Intensiv- grünland umgewandelt worden. Am Aussichts- berg Brend gibt es sie immerhin noch; unlängst erst wurden einige Exemplare im Rahmen der Landschaftspflege wieder freigestellt. Es sähe schlecht aus um besonders schöne alte Buchen, gäbe es im Osten des Landkreises nicht den Unterhölzer Wald, den lebenden Be- weis dafür, dass die Baar keineswegs als von Haus aus buchenfreie Zone missverstanden werden darf. Zwar befinden sich die präch- tigsten Eichen- und Buchenoriginale des stan- desherrschaftlichen Tiergartens bereits auf dem Territorium des Nachbarkreises, doch auch auf Unterbaldinger Gemarkung stehen noch einige sehr starke Altbuchen. Die allerstärksten sind – mit einem Umfang in Brusthöhe von um die fünf Meter – nur noch als von Moos und Pilzkon- Zunderschwämme besiedeln die Baumruinen im Unterhölzer Wald. 221
Umwelt und Natur solen bewachsene, vom Specht durchlöcherte und vermorschende Spukgestalten zu bewun- dern, die von den Orkanen der Jahrhundertwen- de geköpft worden waren. Wegen des hohen Damwildbestandes im Unterhölzer, hatten sie kaum mehr Gelegenheit gehabt, beizeiten für Buchennachwuchs zu sorgen. Was uns die Strünke zudem veranschauli- chen: Buchen gehören zu den vergleichsweise kurzlebigen Laubbaumarten, deren Zerfall nach dem Absterben rasch voranschreitet. Dass man der Bavaria-Buche mit ihrem Stammumfang von neun (!) Metern ein geschätztes Alter von 500 bis 800 Jahren nachsagt, darf als extreme Ausnahme von der Regel gelten: Buchen wer- den üblicherweise nicht älter als 300 Jahre, im Wirtschaftswald sogar kaum halb so alt, fürch- tet man doch die fortschreitende Entwertung der Stämme durch die sog. „Rotkernigkeit“. Kein Wunder also, dass uns Buchenwälder, wie sie Baaralb und Länge zieren, zumeist recht uniform erscheinen. Keine günstigen Voraus- setzungen mithin für das Entstehen von spek- takulären Baumpersönlichkeiten! Naturerbe Buchenwald Wo die Buchen im Wald fehlen, die Bucheckern nicht von Vögeln und Mäusen wieder hineinge- tragen werden, müssen sie unter dem Schirm der Nadelbäume gepflanzt werden; naturna- he Waldwirtschaft orientiert sich nun einmal an den ursprünglichen Waldgesellschaften. Im Wissen um den ökologischen Nutzen einer Laubbaum-Beimischung hatte etwa die Stadt Vöhrenbach nach der Abholzung des Stadt- walds zur Finanzierung der Linachtalsperre in den 1920er Jahren große Anstrengungen unternommen, Buchengruppen auf die Kahl- flächen zu pflanzen. Kaum etwas davon ist übrig geblieben, obwohl die Pflanzungen ge- gen Wildverbiss eingezäunt worden waren; auf Kahlflächen will es der Buche nun einmal nicht behagen. Weshalb die Stadt auf den jüngsten Orkanflächen erst gar nicht mehr den Versuch einer Laubbaum-Beimischung unternommen und auf die hierfür in Aussicht gestellten Fördermit- tel verzichtet hat. 222 Buchenbepflanzung Aktuelle Beispiele umfangreicher künstlicher Wiedereinbürgerung der Buche lassen sich rund um den Königsfelder Teilort Buchenberg finden. Im Staatswalddistrikt Glashalde etwa, wo sie schon im Mittelalter von einer Glashütte verdrängt worden waren, wurden gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts im großen Stil wieder Buchen gepflanzt. Der Ort Buchenberg – nomen est omen – darf deshalb für sich in Anspruch nehmen, seinen Namen jetzt wieder zu Recht zu tragen. Buchen sind im Gebirge vergesellschaftet mit der Weißtanne. Buchen- Tannen-Mischwälder gehören zu den stabilsten und klimatolerantesten Waldökosystemen, die wir kennen. Sie empfehlen sich, nicht zuletzt im Zeichen des Klimawandels, nachdrücklichst für den Wald der Zukunft. Ein gelungenes Beispiel erfolgreicher Bu- chenpflanzung hinterließen in Königsfeld be- reits kurz nach der Ortsgründung die Herrnhu- ter Brüder: Den Weg vom Dorf zum Gottes acker gestalteten sie als Buchenallee – mag sein in Erinnerung an die Buchenwälder Böhmens und Mährens, der Herkunft der Brüdergemeine. Als Parkbaum findet die Buche selten Verwendung. Erstaunlich wüchsige Altbuchen und nicht etwa nur die stark verzweigte und deformierte gärt- nerische Zierform der Hängebuche, lassen sich dennoch in den fürstlichen Parks von Donau- eschingen und Neudingen bewundern. Vereinzelte Bucheninseln im Nadelholzmeer sind auch sonst da und dort noch erhalten ge- blieben, vorzugsweise in frostärmeren Hangla- gen im Bereich der Schichtstufe des Muschel- kalks, etwa im Niedereschacher Allmendwald (vergl. Almanach 1999 S. 266 ff), bezeichnen- derweise auch in den Donaueschinger Stadt- walddistrikten Buchhalde und Buchberg. Dass beidseits der Stadt Blumberg sowohl der Eichberg wie auch der Buchberg noch aus- gedehnte Buchenwälder tragen, versteht sich Buchenallee zum Gottesacker der Königsfelder Brüdergemeine. Unten: Hängebuche im fürstlichen Park, eine gärtnerische Zierform.
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Umwelt und Natur auf der Schichtstufe des Weißen Juras fast von selbst. Allerdings sind es hier weit überwie- gend gleichwüchsige, vergleichsweise junge Wirtschaftswaldbestände, in denen wir zumeist vergebens nach Baumoriginalen Ausschau hal- ten. Weil im Wirtschaftswald die Reife- und Zer- fallsphase zumeist fehlt, ist sein ökologischer Wert eher begrenzt. Eben dieser steht, spätes- tens seit der Bonner Artenschutzkonferenz der UN-Vertragspartnerstaaten (im Mai 2008), im Zentrum des Artenschutzinteresses und der in 224 Ein Rauhfußkauz in einer Buche im St. Georgener Röhlinwald; Ornitho logen brachten einen Regen- schutz an. Die Höhle hat ein Schwarzspecht gezim- mert. Bonn verabschiedeten Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Ein wichtiger Garant und Indikator für die Artenvielfalt in Buchenwäldern ist der Schwarz- specht; der zimmert für sich und seine Nach- mieter (für Käuze, Fledermäuse, Hummeln und viele andere auf Baumhöhlen angewiesene Tier arten) seine Bruthöhle bevorzugt in über 200-jährige Bäume, wie sie in Wirtschaftswäl- dern selten sind. Ökologischer Nutzen Deutschland trägt für sein Naturerbe Buchen- wälder auf nationaler, europäischer und glo- baler Ebene eine besondere Verantwortung. Bis zum Jahr 2020 soll deshalb der Anteil der aus der Bewirtschaftung entlassenen Wälder auf fünf Prozent der Waldfläche gesteigert werden. Vor allem vom Staat selbst wird erwartet, dass er mit gutem Beispiel vorangeht mit der Aus- weitung seiner Bannwälder (derzeit 0,7 % der Waldfläche Baden-Württembergs), aber auch mit seinem neu aufgelegten „Alt- und Totholz- konzept“, nach welchem auf begrenzter Fläche Refugien, Baumgruppen und einzelne Habitat- bäume auszuweisen sind. Hier soll der Wald sein natürliches Alter erreichen und hernach auch als Totholz vermodern dürfen. Die kom- munalen Waldbesitzer sind aufgerufen, es dem staatlichen „Bürgerwald“ gleich zu tun. Für die Waldökologie wie für die Freunde bizarrer alter Bäume eine durchaus erfreuliche Perspektive! Rechte Seite: Im Unterhölzer Wald (oben) und Frühblüher in Buchenwäldern der Unterbaldinger Weißjura-Berge, der Märzenbecher.
Umwelt und Natur 225
Umwelt und Natur Das LIFE-Projekt Rohrhardsberg von Petra Walheim Naturschutz in einer Welt mit sechs Monaten Winter Das 2011 abgeschlossene LIFE-Natur-Projekt „Rohrhardsberg, Obere Elz und Wilde Gutach“ hat wesentlich dazu beigetragen, einen einzigartigen Naturraum dauerhaft zu erhalten und zu schützen: den Rohrhardsberg bei Schonach. Die höchste Erhebung im Schwarzwald-Baar-Kreis ist ein Berg der Besonderheiten, vor allem auch ein fast schon subalpines Winter- land! Für Wanderer und Mountainbiker ist er fast noch ein Geheimtipp; für Wintersportler ein beliebtes Ziel, da relativ schneesicher. Ähnlich wie Ungestört wachsen: ein Birkenporling. Holunderknabenkraut bricht durch den Schnee. 226 226
Umwelt und Natur der viel bekanntere Feldberg steht er zu großen Teilen unter Natur- oder Landschaftsschutz. Viele Biotope ganz unterschiedlichen Typs sind auf dem und am Berg zu finden: Hochmoore, Wiesen und Weiden, Felsen und Bäche sowie verschiedene Waldtypen. Viele seltene und vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten haben in den steilen und schwer zu- gänglichen Regionen des Gebietes Lebensräume gefunden. Dazu gehören bei den Pflanzen zum Beispiel auf dem Borstgrasrasen die Arnika, Ge- wöhnliches Katzenpfötchen, Weißzüngel oder das Wiesen-Leinblatt. Diese Pflanzen sind landes- oder sogar bundesweit gefährdet. Eine Besonder- heit ist auch das Holunderknabenkraut, eine Orchideen-Art, die in Baden- Württemberg nur am Rohrhardsberg zu finden ist. Bei den Tieren ist vor allem das vom Aussterben bedrohte Auerwild zu nennen. Außerdem das Haselhuhn, der Raufuß- und Sperlingskauz. Der Auerhahn balzt. Winterimpression 227
Umwelt und Natur Das Schutzgebiet im Überblick Die gesamte Fläche des Gebiets beträgt rund 4.000 ha, große Teile hiervon sind gleich- zeitig im Vogelschutzgebiet „Simonswald- Rohrhardsberg“ enthalten. Die Naturschutz- gebiete umfassen fast 1.285 ha, die Land- schaftsschutzgebiete etwa 1.060 ha. Simonswald, Elzach und Gutach im Land- kreis Emmendingen haben den größten Flä- chenanteil. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist mit den Gemeinden Furtwangen, Schönwald, Schonach und Gütenbach beteiligt, der Land- kreis Breisgau-Hochschwarzwald mit St. Mär- gen und kleinflächig Titisee-Neustadt. Der Rohrhardsberg ist mit seinen 1.150 Metern Höhe die höchste Erhebung des Schwarzwald-Baar-Kreises und für viele Tiere ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Nord- und Südschwarzwald. Weil das Gebiet zwischen Wilder Gutach und Elz so steil und teilweise un- zugänglich ist, ist in ihm auch noch das vom Aussterben bedrohte Auerwild heimisch. Die letzte Zählung während der Balzzeit hat erge- ben, dass der Bestand seit etlichen Jahren re- lativ stabil ist. Gezählt werden können immer nur die Hähne, weil die ihren Balztanz mit viel Geschrei begleiten. Die Zählung läuft sozusa- gen nach Gehör. In manchen Fällen sind die Auerhähne in der Balzzeit derart außer Rand 228 Viele ehrenamtliche Helfer waren im Einsatz: Hoch- moore wurden von Fichten befreit oder von Fichten bewachsene Flächen freigeschlagen. Auch Schüler halfen mit, den Naturerlebnisraum zu schaffen, den sie heute mit Naturführern durchstreifen können. und Band, dass sie alles anbalzen, was sich be- wegt. Das können Autos, Wanderer, Radfahrer sein. Manchmal werden sie sogar aggressiv. Johannes von Stemm, Förster im Forstamt Be- triebsstelle Schwarzwald in Triberg, hatte erst im vergangenen Jahr eine Begegnung mit einem Auerhahn: Er fuhr auf einem der Waldwege und stieß auf einen Auerhahn, der dort seeleruhig saß. Der Vogel war derart verwirrt, dass er dem Auto die Weiterfahrt versperrte, statt sich in die Büsche zu schlagen. Das LIFE-Projekt Dass es auch jetzt noch solch erfreuliche Be- gebenheiten gibt, dazu hat das „Modellprojekt Rohrhardsberg“ beigetragen – das ist Anfang der 1990er-Jahre angelaufen, – vor allem aber das Nachfolgeprogramm, das LIFE-Natur-Projekt „Rohrhardsberg, Obere Elz und Wilde Gutach“. LIFE steht in diesem Fall nicht für das englische „Leben“, obwohl es bei dem Projekt vor allem um das Leben geht: Es ist die Abkürzung für den französischen Begriff „L’Instrument Financier
LIFE-Projekt Rohrhardsberg pour l’ Environment“, das ist ein Förder- und Um- weltprogramm der Europäischen Union. Mit ihm werden Projekte in Gebieten des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“ gefördert. Das Projekt startete am Rohrhardsberg im Jahr 2006 – und lief 2011 aus. Wobei richtigerweise gesagt werden muss, dass die Förderung aus- lief, nicht das Projekt an sich. Das Forstamt führt das Naturschutz-Projekt weiter, es wird dabei unterstützt von vielen freiwilligen Helfern. Das Gebiet des LIFE-Projektes geht weit über den Rohrhardsberg hinaus, auch wenn dieser einen Schwerpunkt bildet. Im Schwarzwald- Baar-Kreis gehören weiter die Martinskapel- le und der Katzensteig bei Furtwangen sowie u. a. das Furtwängle zwischen Furtwangen und Schönwald dazu. Argumente gab es genug, um in das Förder- programm aufgenommen zu werden: Neben den bereits genannten zählte auch, dass der Rohr- hardsberg zwischen Elztal, Oberprechtal und Si- monswäldertal einer der wenigen unzerschnitte- nen Lebensräume mit einer Größe von mehr als 10.000 Hektar ist, die es in Baden-Württemberg überhaupt noch gibt. Das Natura-2000-Gebiet, in dem das LIFE-Projekt umgesetzt wurde, um- fasst eine Fläche von rund 6.350 Hektar. 1,9 Millionen Euro wurden in den fünf Jah- ren am Rohrhardsberg in Schutzprojekte inves- tiert. Die Hälfte hat die EU bezahlt, den Rest 15 Projektpartner. Dazu gehörten unter ande- rem die unteren Forstbehörden der Landkreise Mit Feuer und Flamme für den Naturschutz – Ausbil- dung zum kontrollierten Feuereinsatz. Feuer spielte über Jahrhunderte eine wichtige Rolle in der Land- bewirtschaftung des Schwarzwaldes: Das Weide- brennen und die Reutbergwirtschaft waren hier weit verbreitet. Schwarzwald-Baar, Emmendingen und Ortenau, außerdem die Stiftung Naturschutzfonds, der Landschaftserhaltungsverband Emmendingen, die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg, die Universität Freiburg, der Schwarz- waldverein sowie die Gemeinden Elzach, Gut- ach, Schonach und Simonswald. Sie alle agier- ten unter der Regie des Regierungspräsidiums Freiburg. Eine Vielzahl von Projekten wurde umge- setzt: zum Erhalt von Natur und Landschaft, zum Schutz der seltenen und bedrohten Tier- und Pflanzenarten, aber auch um den Menschen die Natur nahe zu bringen und um Verständnis für die Schutzmaßnahmen zu werben: Es ist ein Naturerlebnisraum entstanden; Hochmoore wur- den von Fichten befreit; Baumarten, die früher ursprünglich in diesem Gebiet gewachsen sind, sind gepflanzt worden; von Fichten bestandene Flächen wurden freigeschlagen, um so Lebens- raum für spezielle Tier- und Pflanzenarten zu schaffen; entlang von Fließgewäs sern wurden natürliche Waldgesellschaften ent wickelt. Die Liste der Projekte ist lang. 229
Umwelt und Natur Borstgrasrasen mit Arnika-Beständen beim Schänz- lehof. Nur die extensive Landwirtschaft sichert die kostbaren Vorkommen. Die Geschichte der Schutzprojekte Ein Thema war und ist noch immer auch der Kon- flikt zwischen Mensch und Natur: Wenn Wande- rer und Mountainbiker in Gebieten unterwegs sind, in denen das Auerwild balzt, brütet oder seine Jungen aufzieht, dann fühlt sich das große schwarze Federvieh schnell bedrängt. Das ist vor allem während der Balzzeit im März und April ein Problem. Weil am Rohrhardsberg in der Zeit oft noch Schnee liegt, strömen die Winter- sportler zuhauf auf den Berg, um die Skipisten und Loipen zu nutzen. Der Wintersport hat in dem Gebiet auch eine lange Tradition. Furtwan- gen, Schönwald und Schonach sind als Winter- sportorte international bekannt. In den 1980er Jahren verschärfte sich der Konflikt, eine Lösung musste gefunden werden, um Naturschutz und Wintersport unter einen Hut zu bekommen. Deshalb wurde bereits Anfang der 1990er Jahre das „Modellprojekt Rohrhardsberg“ erstellt. Die Grundlagen dafür hatte eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Naturschutzes, des Skisports, des Schwarzwaldvereins und der Forstverwal- tung erarbeitet. Das Ziel war, den Lebensraum im Projektgebiet Rohrhardsberg zu verbessern und gleichzeitig dessen Nutzung durch Sportler und Wanderer zu lenken. Dafür wurden Loipen in Biotopen still gelegt und auf weniger bedenk- lichen Flächen gebündelt. Die zeitliche Nutzung 230 der Loipen wurde an den Lebensrhythmus des Auerwildes angepasst. Zur Balzzeit sollten sie ihre Ruhe haben. Ähnlich wurde mit dem Wan- derweg-Netz verfahren. Es wurde an das Loi- pennetz angelehnt, Fahrradwege wurden aus- gewiesen, ein Jugendzeltplatz, der in einem sen- siblen Gebiet angelegt war, wurde ausgelagert. Es wurden keine weiteren Parkplätze angelegt, asphaltierte Straßen wurden zu Schotterwegen zurückgebaut. 2006 konnte das LIFE-Projekt auf diesen Maßnahmen aufbauen, der Schutz der Natur wurde erweitert und weiter verbessert. Wichtig bei der Umsetzung des LIFE-Projekts war von Anfang an, die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften möglichst eng mit einzubeziehen. Außerdem sollten Kinder und Jugendliche ein- gebunden werden, damit sie schon in jungen Jahren erfahren und verstehen, warum es wich- tig ist, die Natur zu schützen. Dabei entstand der Naturerlebnisraum im Natura-2000-Gebiet. Er besteht aus sieben Stationen, an denen Fa- milien, Schülerinnen und Schüler, große und kleine Wanderer Natur erleben und ihren Spaß mit ihr haben können. Ein Naturerlebnisraum entsteht Entwickelt wurde der Naturerlebnisraum als Mo- dellprojekt der Stiftung Naturschutzfonds mit 40 Schülerinnen und Schülern aus sechs umlie- genden Schulen. Eine Zukunftswerkstatt wurde eingerichtet, in der Schüler und Lehrer mona- telang über Ideen und Vorschläge diskutierten und daran feilten. Aufgabe war, Stationen zu
entwerfen, an denen Kinder und Jugendliche Natur erleben können, an denen sie Zusam- menhänge begreifen und verstehen, dass Na- tur schutzbedürftig ist. Die Schüler ließen ihrer Kreativität freien Lauf, zunächst ohne Rücksicht darauf, ob die Vorschläge auch umsetzbar sind. Das Ergebnis war überwältigend. „Die Kinder und Jugendlichen waren derart kreativ, dass wir zum Schluss viel mehr Ideen und Vorschläge hatten, als wir realisieren konnten“, erinnert sich Förster Johannes von Stemm. Es musste viel ausgesiebt werden, Ideen mussten an die Gegebenheiten angepasst und modifiziert wer- den. Entstanden sind sieben Stationen, die ein- gebunden sind in einen fünf Kilometer langen Rundweg. Ein Schüler der Freien Schule Elztal ist heute noch begeistert von der Zukunftswerk- statt und vom Ideen-Wettbewerb, vor allem aber davon, wie die Vorschläge umgesetzt wurden. Er ist immer wieder im Naturerlebnisraum un- terwegs und freut sich jedes Mal aufs Neue, wenn er die Stationen sieht. Geblieben ist auch die Mitarbeit der Schulen. Immer wieder sind Schulklassen im Rahmen von Projektwochen am Rohrhardsberg aktiv. Besucher können den Naturerlebnisraum auf eigene Faust besuchen. Sie können sich aber auch von einem der mehr als 20 Naturfüh- rer alles erklären lassen. Start ist am Parkplatz Mühlebühl, an der Strecke zwischen Schonach und Oberprechtal. Ein breiter Weg führt in den Wald hinein, Besucher, die auf eigene Faust unterwegs sind, sollten auf den roten Kreis mit dem Fußabdruck eines Auerhuhns achten. Die erste Station ist eine Baumbrücke über die Elz. Dort ist eine Wassererkundungsstation Links: Am Beginn einer Tour durch den Naturerleb- nisraum, ein Naturführer zeigt einer Schulklasse die Schönheit des einzigartigen Schutzgebietes. Eine Pause wird bei der Baumschaukel eingelegt – ein begehrter Platz bei allen Kindern und Jugendlichen, denn auch Spaß muss sein. eingerichtet. Die Ausrüstung für die Erkundung kann in einem Forscher-Rucksack mitgebracht werden. Der wurde speziell für den Naturerleb- nisraum gepackt und kann an drei verschie- denen Standorten gegen eine Gebühr ausge- liehen werden: am Ochsenhof, im Tourismus- büro „Haus des Gastes“ in Schonach und über das Landratsamt Schwarzwald-Baar/Forstamt Betriebsstelle Schwarzwald in Triberg. Es gibt insgesamt drei dieser Rucksäcke. Sie enthalten alles, was der Besucher für die Stationen im Na- turerlebnisraum braucht, zum Beispiel Kescher, Karte, Kompass. Auch Bestimmungsbücher sind drin, die machen den Rucksack aber ziemlich schwer. Wer möchte, kann auch einen Wander- stab mitnehmen. Meist sind es Familien mit Kindern, die an Führungen teilnehmen. So war es auch im ver- gangenen Jahr Anfang Mai. Ein paar Erwachsene und viele Kinder bildeten eine Gruppe, die Na- turführer und Förster Peter Kleiser durchs Ge- biet führte. An der ersten Station an der Baum- brücke stürzten sich Kinder und Erwachsene mit Bechern, Keschern und viel Begeisterung in die Elz. Es war kein Problem, von den großen Stei- nen aus die Tierchen des Baches zu erwischen: Köcherfliegen- und Eintagsfliegenlarven, Kaul- quappen, Würmer oder Bachflohkrebse. 231
Umwelt und Natur Unterwegs in der Welt des Auerhahns – spiele- risch werden die Probleme verdeutlicht Von der Baumbrücke aus führt der Weg in den Wald hinein und steil bergauf. Nach wenigen Metern erreicht der Bergsteiger das „Nest“ der Auerhuhn-Kugelbahn. In ihm soll das „Ei“ des Auerhuhns landen, nachdem es 65 Meter Ku- gelbahn und etliche Kurven hinter sich gebracht hat. Die kleine Lisa geht zügig voran und steht bald startklar am Anfang der Bahn, wo eine überdimensionale Auerhenne aus Holz hockt. Zum Lebensraum für Auerwild gehören Flächen mit genügend Heidelbeeren, die es auf dem Rohrhards- berg reichlich gibt. Auf der aus Holzstämmen herausgehauenen, 65 Meter langen Bahn sind es die vielen Kurven, die der Ball zu überwinden hat. Im Leben des Auerhuhns sind es Füchse, Dachse und Mar- der, die den Nachwuchs bedrohen. Sie sind als Holztafeln auch entlang der Bahn präsent, ste- hen an den Kurven, an denen der Ball jedes Mal herauszuhüpfen droht. Naturführer Peter Kleiser erklärt an dieser Station die Gefahren, denen das Auerwild aus- gesetzt ist. Es sind nicht nur Fuchs, Dachs und Marder, die es auf die Eier des Huhns abge- sehen haben, auch Habicht und Wildschwein verschmähen die Gelege nicht. „Der Mensch muss der Henne helfen, damit die ihre Eier aus- brüten kann“, sagt Kleiser. Dazu gehört, dass sie sichere Verstecke findet. Auerwild, das zu 232
der Gruppe der Rauhfußhühner gehört, mag es kühl und licht. Es bevorzugt Lebensräume über 1.000 Meter Höhe und lebt nur dort, wo der Wald licht ist, Flugschneisen, aber auch genügend Deckung bietet. Außerdem müssen dort Heidel- beeren wachsen, damit das Federvieh etwas zu fressen hat. Ein Teil des LIFE-Projekts war deshalb, Le- bensraum für das Auerwild zu schaffen. Das geschah auf einer Fläche von über 20 Hektar. Dort wurden die Bäume ausgedünnt, das Gebiet wurde so gestaltet, dass Beeren, vor allem auch Heidelbeeren, gut wachsen können. Außer- dem wurden die Flächen so strukturiert, dass die Auerhähne hemmungslos und sicher darauf balzen können. Die Flächen dienen nun auch als Musterflächen und als Grundlage für ein Schulungsprogramm für Förster, Waldarbeiter und -besitzer sowie alle Interessierten aus dem Land, die erfahren wollen, was das Auerwild braucht, um überleben zu können. Begleitet wird das Schulungsprogramm von der Forstlichen Ver- suchs- und Forschungsanstalt Freiburg. Zurück zum Aktionstag: Lisa und die Gruppe um Naturführer Peter Kleiser ziehen weiter. Sie verlassen den Wald, überqueren eine Wiese, auf der Bärwurz in Massen wächst, und erreichen Auf Erkundungstour im Naturerlebnisraum: Span- nend ist es, das Leben in der Elz zu erkunden, in der die Kinder auch Kleinlebewesen fangen, die sie nach ihrer Bestimmung wieder unversehrt in die Freiheit entlassen. den Feuerplatz. Dort ist eine Feuerstelle einge- richtet, an der prima Würstchen gegrillt werden können. Die Tour führt weiter an einem Amphi- bienteich vorbei. Wer regelmäßig wiederkommt, kann dort beobachten, wie aus dem Froschlaich Kaulquappen und dann Frösche werden. Der Holztierpfad – am Beginn wartet die Haselmaus Nach einer kurzen Wanderung, die am Skihang und Lift vorbeiführt, erreichen Lisa und die Grup- pe den Holztierpfad. Die Vierjährige nimmt den steilen und gefährlich aussehenden Abstieg mit links und streichelt schon das erste Tier, das kunstvoll aus einem Baumstamm herausge- sägt ist. Sie soll raten, was es ist. Eine Maus, schlägt sie vor. Neben dem Holztier steht ein großes Schild, darauf steht „Haselmaus“. Peter 233
Umwelt und Natur Holzbalken versperren im Hochmoorgebiet Rohr- hardsberg künftig die Entwässerungsgräben und verhindern das Austrocknen der Moore. Rechts Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen – gemeinsam haben sie die Schilder zu den Holztieren im Natur- erlebnisraum geschaffen, hier die Quelljungfer. Kleiser erklärt, dass die Haselmaus akut vom Aussterben bedroht ist. Ihr Lebensraum sind Mischwälder mit vielen Büschen. Wie ihr Name schon verrät, bevorzugt sie Haselsträucher und die Nüsse als Nahrung. Nach dem steilen Abstieg wird der Weg an- genehmer, und schon bald taucht das nächste Tier auf: eine Zauneidechse. An einem kleinen Wasserfall sitzt eine Quelljungfer (das ist eine Libellenart), auf einem Felsen ein Bergmolch. „Der Weg ist ideal für Kinder“, meint Heike, die Mutter von Lisa. Weil immer wieder etwas Neues Eine Zauneidechse aus Holz. 234 kommt, „das motiviert sie, mit Spaß weiterzu- gehen“. Der Schwarzspecht, der kleine Fisch namens Groppe, der Schmetterling Hochmoor-Gelbling und die Fledermaus mit dem Namen Abendseg- ler zieren weiter den Holztierpfad, – alles Tiere, die selten oder bedroht sind. Bei jedem aus dem Holz gehauenen Tier steht ein großes Schild. Schüler haben sie gezimmert und mit großen bunten Druckbuchstaben darauf geschrieben, wie die Tiere heißen. Außerdem erklärt der Na- turführer, was es mit den Tieren auf sich hat. So lebt zum Beispiel der Hochmoor-Gelbling gerne in feuchten Gefilden, besonders gerne in Hochmooren, wie sein Name schon sagt. Doch davon gibt es nicht mehr viele, weil die meisten Flächen durch Gräben entwässert wurden. Ein tausende Jahre altes Hochmoor findet sich am Rohrhardsberg auf der Hochebene bei der Mar- tinskapelle. Die Grenze zwischen den Kreisen Schwarzwald-Baar und Emmendingen liegt auf dieser Fläche. Das Gebiet war von Gräben durch- zogen, die das Wasser ableiteten. Außerdem wuchsen dort viele Fichten. Das LIFE-Projekt machte es möglich, dass die Entwässerung ge- stoppt werden konnte. Dafür wurden Holzbal- ken in die Gräben gerammt. Sie verhindern, dass das Wasser abfließt. So vernässt das Ge- biet wieder und bietet Pflanzenarten, die darauf spezialisiert sind, neuen Lebensraum. Das Torf- moos hat so wieder eine Chance zu wachsen. Außerdem wurden dort hunderte von Fichten ge- fällt, sodass die Fläche nun hell und licht ist. Das
ist ideal auch für das Auerwild. Bis 2011 wurden insgesamt 20 Hektar Moorfläche von Fichten freigestellt und Moore offen gehalten. Der Weg durch den Naturerlebnisraum führt vom Holztierpfad weiter zum Ochsenhof. Der Bauernhof steht auf 960 Meter Höhe und beher- bergte früher auch ein Gasthaus. Heute können Gäste dort Urlaub auf dem Bauernhof machen und miterleben, wie biologische Landwirtschaft funktioniert. Nur ein paar Schritte weiter, links im Wald, ist die Baumhängematte. Die ist in der Regel erst mal unerreichbar, weil sie hochgezogen ist und weit oben in den Bäumen hängt. Aber wer den Forscher-Rucksack dabei hat, hat auch den Schlüssel für die Hängematte. Mit einer Kurbel kann sie heruntergelassen werden – und dann heißt es: entspannen. Der müde Wanderer kann sich kurzfristig hängen lassen und den Vögeln lauschen, die im Wald ihr Lied singen. Einige von ihnen sind auch als Holzattrappen in den Bäumen präsent. Die Kinder entern die Hänge- matte gleich im Trupp und lassen sich von den Erwachsenen schaukeln. Es geht zurück zum Ochsenhof und von dort aus erstmal bergab. Unterhalb der Elzfälle ist eine Walderlebnisstation mit einem Kletterwild- schwein. Dort dreht sich alles um Bäume. Ent- lang der Elz und der Elzfälle geht es zurück zum Parkplatz. „Die Elzfälle sind 80 Meter hoch“, bemerkt ein Mitglied der Gruppe. An den Elzfällen. Sie sind 80 Meter hoch und nun wieder besser einsehbar. Alle Naturführer stammen aus den Gemeinden rund um den Rohrhardsberg Peter Kleiser ist einer von insgesamt 23 Natur- führern am Rohrhardsberg, die Gruppen durch das Natura-2000-Gebiet führen. Alle „Nature Guides“ stammen aus den Gemeinden rund um den Rohrhardsberg und wurden in einem Modellprojekt der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg innerhalb des LIFE-Projekts geschult. Die Naturführer sind gut ausgebildet und zertifiziert, und sie verstehen sich als Bot- schafter ihrer Heimat. Ihre Aufgabe ist es, den Gästen und Bürgern der Region „mit Sinn und Verstand“ die Augen für die Besonderheiten und Schönheiten, für die Funktion, aber auch für die Schutzwürdigkeit der Natur zu öffnen. Sie erfüllen ihre Aufgabe mit einem ordentlichen Schuss Humor und viel Liebe zu ihrer Heimat. Dabei setzt jeder andere Schwerpunkte: Es gibt Führungen zu Hinkelsteinen, Findlingen und Fremdlingen, Fledermäusen, Schwarz-, Bunt- und Schluckspechten, zu Kräutern, Ya- cher Hirtenkindern und vielem mehr. Im Internet sind unter der Adresse www.rohrhardsberg-life. de die Liste der Naturführer und deren Termine zu finden. Ein Höhepunkt im Terminkalender ist der Naturführer-Tag: Das ist eine Sternwande- rung der Naturführer, die meist im Herbst an- geboten wird. Dabei bietet jeder eine Führung zu einem speziell ausgewählten und manchmal auch ausgefallenen Thema an. 235
Umwelt und Natur Die Fichten-Monokultur im Winterland Rohrhards- berg soll heimischem Mischwald weichen. Der Umbau des Waldes hat mit der Pflanzung von 8.000 jungen Bäumen bereits begonnen. Extensive Weidesysteme eingeführt Das waren einige Beispiele dafür, was das LIFE- Projekt am Rohrhardsberg möglich gemacht hat. Doch auch ein weiteres Konfliktfeld soll angesprochen werden: Die Flächen am Rohr- hardsberg sind teilweise in privater Hand. Des- halb war es für das Projekt existenziell, auch die Forst- und Landwirte dafür zu gewinnen. Werden Flächen unter Schutz gestellt, dürfen sie entweder gar nicht mehr oder nur noch ex- tensiv bewirtschaftet werden. Deshalb war es für die Land- und Forstwirte entscheidend, dass sie ihre Leistungen für den Naturschutz vergütet bekommen. Ebenso steht den Landwirten eine sachkundige Beratung von Beweidungsexper- ten zur Verfügung. Auch dafür gab es Geld aus dem LIFE-Projekt. Aber es bewirkte noch mehr: Für den Erhalt der vielfältigen und artenreichen 236 Kulturlandschaft im LIFE-Gebiet und damit auch für den Erhalt der Borstgrasrasen wurden exten- sive Weidesysteme eingeführt. Sie sind beson- ders gut dafür geeignet, in unwegsamem Ge- lände umgesetzt zu werden. Zusammen mit den Landwirten kamen im LIFE-Gebiet verschiedene Strategien zum Einsatz: Um das Gelände offen zu halten, wurden „Rauhfutterfresser“ – das ist der Sammelbegriff für Rinder, Pferde und Scha- fe – auf die Flächen gestellt. Mit ihrem schier unstillbaren Hunger sorgen sie dafür, dass das Gebiet nicht zuwächst. Im Naturschutzgebiet „Yacher Zinken“ zum Beispiel sind auf den Wei- den zusätzlich Ziegen im Landschaftspflegeein- satz. Sie fressen aufkommende Gehölze ab und erhalten so eine vielfältige Weidevegetation. Für diese Ziegen können Patenschaften übernommen werden: www.unterfischerhof.gmxhome.de Ein Wald mit heimischen Baumarten Den wenigsten ist bekannt, dass der Schwarz- wald im 19. Jahrhundert so gut wie abgeholzt war. Er wurde seit 1850 wieder aufgeforstet,
allerdings mit Baumarten, die nicht aus dem Schwarzwald stammten und auch nicht hinein- passten. Dazu gehört die Fichte. Es entstand ein relativ instabiler Wald mit hohem Fichtenanteil. Ein Projekt des LIFE-Programms war, die Grund- lage für einen stabilen Wald mit einheimischen Baumarten zu legen. Mit Samen aus der Region wurden Kiefern, Laubbäume und Hochlagen- fichten herangezogen und 8.000 Bäume auf verschiedenen Flächen gepflanzt. Auch an den zahlreichen Gewässern des Rohrhardsbergs hatte die Fichte überhand ge- nommen. Ein weiteres Projekt widmete sich der Entwicklung natürlicher Waldgesellschaften. So wurden entlang der Bachläufe auf sieben Kilo- metern Länge Fichten entfernt und Laubbäume wie Erlen, Weiden, Buchen und Bergahorn geför- dert. Das verbesserte auch den Biotopverbund entlang der Bäche und damit den Austausch unter den Amphibien und Insekten. Neben Land- und Forstwirten viele freiwillige Helfer im Einsatz Die Liste der Projekte könnte um einige weiter- geführt werden. Interessant ist aber auch, wer diese Projekte umgesetzt hat: Das waren nicht nur Förster, Land- und Forstwirte, sondern auch viele freiwillige Helfer. Die stammen nicht nur aus der Region, sie kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, um am Rohrhardsberg die Natur zu schützen. Ein Beispiel ist das Bergwaldpro- jekt. In ihm arbeiten seit über 20 Jahren Frei- willige an vielen Einsatzorten in Deutschland und Europa für den Schutz und Erhalt der Wald- ökosysteme. Teilnehmer sind meist Erwachse- ne aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen. Seit 1994 ist das Bergwaldprojekt auch am Rohr- hardsberg zu Gast. Jede Gruppe aus 15 bis 20 Leuten ist eine Woche lang aktiv, acht Stunden am Tag. Jedes Jahr kommen zwei bis drei Grup- pen. Die Arbeiten werden meist von Johannes von Stemm vom Forstamt in Triberg vorbereitet. Pro- jektleiter des Bergwaldprojektes betreuen die Arbeiten vor Ort. Sie haben meist eine forstliche Ausbildung, deshalb können den freiwilligen Helfern auch anspruchsvolle Arbeiten anver- LIFE-Projekt Rohrhardsberg traut werden. Die reichen von der Offenhaltung von Biotopflächen über den Einbau von Moor- sperren bis hin zur Auerhuhn-Biotoppflege. Passend zu den Naturschutz-Arbeiten sind die Helfer in einer einfachen Hütte ohne Strom und fließend Wasser oder in Zelten untergebracht. Zu essen gibt es Biologisches aus der Region. Von diesem Einsatz profitieren beide Seiten: die Forstämter, weil die Arbeiten von den Freiwilli- gen kostengünstig erledigt werden; die Helfer, weil sie Gelegenheit haben, eine Woche lang Natur pur zu erleben. Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen bauen Baumbrücke Besonders um die Teamarbeit und den sozialen Aspekt geht es bei den Einsätzen von Gruppen aus dem Raphaelshaus Dormagen und dem Kin- derheim Pauline von Malinkrodt. Beides sind große Jugendhilfe-Einrichtungen in Nordrhein- Westfalen. Die Jugendlichen kommen seit meh- reren Jahren an den Rohrhardsberg, sie arbeiten – und lernen dabei die Natur kennen. Betreut werden sie von Sozialarbeitern der Einrichtung und Mitarbeitern des Forstamtes. Die Jugendli- chen haben zum Beispiel die Baumbrücke an der Wassererkundungsstation im Naturerleb- nisraum gebaut. Auszubildende einer örtlichen Firma haben in einer 24-Stunden-Aktion die Auerhahn-Kugel- bahn errichtet. Bevor sich die Azubis ans Werk machten, hatten sie den Einsatz intensiv vor- bereitet. In Gruppenarbeiten beschäftigten sie sich mit örtlichen Naturschutzthemen wie dem Auerwild oder der Entwicklung der Landschaft in Schonach. Das bewirkte, dass sich auch Jugend- liche, die mit der Natur wenig am Hut hatten, sich doch mit den örtlichen Gegebenheiten aus- einandersetzten. Gleichzeitig erhielten sie aus- führliche Informationen über das LIFE-Projekt. Damit wurde erreicht, dass das Projekt in der Bevölkerung um den Rohrhardsberg herum wahrgenommen wurde. Damit war zugleich ein weiteres Ziel erreicht: Den Menschen die Natur näher zu bringen. Ganz nach dem Motto unter dem das LIFE-Projekt steht: „Gemeinsam für ei- ne vielfältige Natur“. 237
Umwelt und Natur Umwelt und Natur Ausblicke – Einblicke Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 1) Text: Wolf Hockenjos; Fotografie: Wilfried Dold, Wolf Hockenjos Dem geneigten Almanach-Leser sollen, so der Auftrag an den Verfasser, die schönsten Aussichtspunkte des Kreisgebiets vorgestellt werden. Keine ganz leichte Aufgabe, so will es zunächst erscheinen. Denn wo, bitteschön, sollen die zu finden sein in einem Landstrich, der sich dem Betrachter vorwiegend als flache Wanne (die Baar) präsentiert oder als eine mit schier endlosen Nadelwäl- dern bestockte schiefe Ebene (der Baarschwarzwald) mit zumeist flachmuldigen Donauzuflusstälern oder als Schichtstufenlandschaft, deren Treppenstufen beim Wechsel der Sedimentgesteinsschichten im Gelände mitunter kaum wahrnehm- bar sind? Geschweige denn, dass sie sich uns als Aussichtspunkte aufdrängen würden. 238
Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis Umwelt und Natur Kein Zweifel, Ausblicke sind rar im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Wo im Hochschwarzwald doch schon die Wirtshaussschilder oder die Weg- weiser des Schwarzwaldvereins „Zur schönen Aussicht“ einladen. Hinweisschilder dieses In- halts, amtlich zugelassen, finden sich da und dort sogar für den eiligen Pkw-Touristen aufge- stellt: Oben an der B 500 etwa, an der Schwarz- waldhochstraße, leider jedoch knapp hinter der Kreisgrenze (am Lachenhäusle, weniger als eine Fahrminute hinter der Fernhöhe). Neidlos müssen wir anerkennen: die Nach- barkreise warten mit sehr viel mehr und sehr viel spektakuläreren Ausblicken auf. Mit der „Schau ins Land“, wie sie der hohe Schwarzwald bie- tet, ob mit atemberaubenden Tiefblicken oder mit imposanten Ausblicken, mit Fernsicht bis zu den Vogesen hinüber und über die gleißende Alpenkette hinweg, vom Montblanc bis zur Zug- spitze, wird der Quellenlandkreis nun einmal kaum aufwarten können. Das zeigt schon der Blick in seine Freizeitkarte (1 : 75.000): Die klei- nen blauen Signaturen für Aussichtspunkt sind vergleichsweise dünn gesät. Baaremer bleib bei deinen Leisten! Es darf vielleicht ja auch eine Nummer bescheidener sein. Womöglich haben die hiesigen Aussichts- punkte ja eine ganz andere Erlebnisqualität zu bieten: Wenn sie uns schon weder in Höhen- noch in Tiefenrausch zu versetzen vermögen, so bieten sie doch immerhin desto intensivere Ein- blicke in die uralte Kulturlandschaft. Eine kleine Auswahl an solchermaßen lohnenden Ausbli- cken, vom Verfasser recht subjektiv ausgesucht und verabreicht jeweils mit persönlichen Eindrü- cken und Erläuterungen, soll also hier in Wort und Bild vorgestellt werden – als Anregung, den spezifischen Reizen dieser Landschaft nachzu- spüren, sowohl in ihrer räumlichen wie auch in ihrer historischen Tiefenwirkung. Auf dem Schellenberg – Rundblicke über die nahezu gesamte Baar bis zu den Alpen Ihn einen Berg, einen Aussichtsberg zu nen- nen, dürfte allenfalls lokalpatriotischen Do nau- eschin gern, Hüfingern oder Bräunlingern in den Sinn kommen. Nennen wir den Schellenberg doch schlicht eine Anhöhe. Es trifft sich gut, dass an deren sanftem Südabfall im März noch Blick vom Schellenberg auf Fürstenberg (links im Hintergrund) und Hüfingen.
Umwelt und Natur Südwestlich gelegen – die Remigiuskirche bei Bräunlingen. immer die Küchenschellen blühen, soweit ihnen der Maisanbau noch ein paar Nischen mit ur- sprünglichem Halbtrockenrasen übrig gelassen hat. Die Eselsbrücke von den Küchenschellen zum Schellenberg erweist sich freilich als frag- würdig: Den Namen haben im 14. Jahrhundert bereits die aus Bayern stammenden Herren von Schellenberg von dort mitgebracht, ein weitver- zweigtes, inzwischen ausgestorbenes Adelsge- schlecht, dessen eine Linie Schloss und Stadt Hüfingen besaß und dessen anderem Zweig halb Bräunlingen gehörte mitsamt dem dortigen (1917 abgebrannten) „Schloss Schellenberg“. Wer also den hiesigen Schellenberg bestei- gen möchte, muss nicht die Bergschuhe schnü- ren. Zumal, wenn er den Wagen auf dem Park- platz an der Kurklinik Sonnenhalde abstellt und von dort am sonnigen, mit Sitzbänken bestück- ten Waldrand entlang zur Amalienhütte spaziert. Ein dunstfreies Hochdruckgebiet oder, besser noch, eine Föhnwetterlage vorausgesetzt, ge- rät das Flanieren hier vollends zum Lustwandel, denn nirgendwo sonst im Landkreis bekommt der Baaremer einen breiteren Ausschnitt des Alpenpanoramas vorgesetzt. Hierzu muss er sich nicht einmal bis zur klei nen, von Rosskastanien umstandenen Aus- sichtsplattform und der dort angebrachten Pa- noramatafel bequemen. Es sei denn, er wollte die Gipfel der Berner Oberländer Eisriesen na- mentlich identifizieren. Wer ein Fernglas mit sich führt, sieht sogar über Zürich-Kloten die Jets in die Milchsuppe des Mittellands ein- und aus dieser wieder auf- tauchen. Überwältigt von der Schau in Pana- vision verdrängt er kurzzeitig sogar den hierorts Pfohren, Neudingen, Wartenberg und Riedsee (v. links) – prächtiges Baar-Panorama vom Schellenberg aus. 240 240
Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis Nirgendwo sonst im Schwarzwald-Baar-Kreis sind sie mächtiger präsent: Die Alpen von Donaueschingen aus. so ausdauernd geführten Fluglärmstreit. Erst recht überhört er das Hintergrundrauschen, das aus den drei geschäftigen Städten zu Füßen des Schellenbergs heraufdringt. Selbst die Mo- torengeräusche der Pendler auf der Schnellver- bindung über den „Blenklepass“ (was für eine hübsche Übertreibung!) stören ihn nicht sonder- lich. Wie er denn vor lauter Andacht auch die aus dem Dunst aufsteigende Blumenkohlwolke des Atomkraftwerks Leibstadt am Hochrhein geflis- sentlich übersieht. Die Fernsicht des Schellenbergs beschränkt sich auf die südwärtigen einhundertachtzig Grad; sie reicht von Öfingen im Osten, von der doppeltürmigen Donaueschinger Stadtkirche St. Johann darunter über Warten-, Fürsten-, Eich- und Buchberg bis zur Heckenlandschaft über Bräunlingen im Westen. Nach hinten ver- sperrt Wald den Ausblick. Wessen Auge endlich genug getrunken hat, wem die Flaniermeile vom Parkplatz zur Amalienhütte herauf zu kurz gera- ten ist und wer nun auch schattigere Waldwege nicht scheut, dem sei die kleine Rundwande- rung empfohlen, wie sie G. Reichelt im Büch- lein „Baarwanderungen. Streifzüge durch Land- schaft und Kultur mit Prominenten der Region“ beschrieben hat, gespickt mit Informationen zur Botanik und zur Geologie und herausgegeben vom Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar aus Anlass seines 200jährigen Beste- hens. Seit der Orkan „Lothar“ zur Jahrtausend- wende die bewaldete Westflanke des Schel- lenbergs, die Bruggener Halde, abgeräumt hat, eröffnet sich dem Wanderer nun auch noch ein rückwärtiger Ausblick über das weit geöffnete Bregtal hinweg auf das Nadelwaldmeer des Buntsandstein-Schwarzwalds – einstweilen noch, solange sich auf den Sturmflächen der Wald nicht wieder geschlossen hat. 241
Umwelt und Natur Ein Holzkreuz zum Dank für die unversehrte Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg markiert auf dem Warten- berg den beliebten Aussichtspunkt. Wartenberg – Blick auf die junge Donau Zwar liegt der Berg bereits auf Tuttlinger Hoheits- gebiet, doch – Kreisgrenzen hin oder her – der Baarbewohner pflegt diesen markantesten aller Baaremer Aussichtspunkte ungeniert für sich zu reklamieren. Nirgends hat man einen schöneren Blick auf die Schlingen der jungen Donau als von seinem Gipfel aus, wo unterm Dankeskreuz der Kriegsheimkehrer (aus dem Jahr 1953) Sitzbän- ke zum Rasten und Schwelgen einladen. Hier nämlich liegt uns die Riedbaar zu Füßen und mit ihr eine noch ziemlich unverfälschte Fluss- landschaft. Lediglich das ameisenhafte Hin und Her der Lastzüge auf der B 31 will nicht so recht in die Idylle passen. Besonders eindrucksvoll 242 präsentiert sich die Donau- Aue zweifellos bei Hochwasser, wenn sich in der Feldflur beidseits der Donauschlingen wieder längst verlassene Mäander abzeichnen. Aus der Vogelperspektive wünscht sich da der stille Landschaftsbetrach- ter, es möge sich der als Jahrhundertbauwerk gefeierte Hochwasserdamm bei Wolterdingen bitte nur schließen, wenn wirklich ein Jahrhun- derthochwasser droht. Der Blick schweift weiter über eine uralte Kulturlandschaft: Da grüßt das Dorf Neudingen herauf mit seiner Fürstengruft, einst auch Sitz des Fürstenberger Hausklosters, des Dominika- nerinnenklosters „Auf Hof“, von dem heute kaum ein Stein mehr existiert. Noch früher war Neudingen sogar stolzer Standort einer Königs- pfalz, wo die Herrschaften zu verweilen pflegten auf ihren noch überaus zeitraubenden und be- schwerlichen Reisen kreuz und quer durch ihr Reich zur Sicherung ihrer Machtansprüche. Hier soll anno 878 Kaiser Karl der Dicke im erzwun- genen vorzeitigen Ruhestand abgeblieben und bei einem Jagdausflug zu Tode gekommen sein. Unklar bleibt, ob es ein Unfall war oder ob er meuchlings in einen der Donausümpfe hinein- gestoßen worden ist. Über dem Dorf thront der Fürstenberg, des- sen Gipfel noch im 19. Jahrhundert von einer Stadtburg gekrönt war, in der einst die Fürsten- berger residierten, ehe sie das Regieren vom bequemeren Donaueschingen aus vorgezogen haben. Den Fürstenberg im Blickfeld, durfte sich auf dem Wartenberg im Jahr 1780 der Ge- heime Hofrat und FF-Kammerpräsident Leopold von Lassolaye ein Lustschloss samt Meiergut und Englischem Garten errichten. Zu dessen Lustgewinn sicher nicht beigetragen hat jenes schaurige Schauspiel, als im Jahr 1841 vis-à-vis auf dem Gipfel des Fürstenbergs Stadt und Burg abbrannten. Kein Wunder, dass kurz nach die- sem Ereignis das Lustschloss aufgegeben und in eine Ausflugsgaststätte umgewidmet wurde, heute Sitz eines wohlbetuchten Bürgers. Dem Lauf der Donau flussaufwärts folgend, grüßt Pfohren herüber, in dessen ehemaligem Jagd- und Wasserschloss, der Entenburg, sich jeweils zur Jagdsaison der illustere Hochadel einfand – bis hin zu Kaiser Maximilian I., dem er- lauchtesten Entenjäger des Jahres 1516, wie der
Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis Die junge Donau zwischen Neudingen und Gutmadingen, eindrucksvoll auch die Schneeschmelze im Frühjahr. 243
Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis Baaremer noch aus dem Geschichtsunterricht weiß. Ob hinter dem heutigen Dorf Pfohren, wie der Historiker Thomas Wieners vermutet, tat- sächlich die mythische Stadt Pyrene steckt, bei welcher der griechische Geschichtsschreiber Herodot im fünften vorchristlichen Jahrhundert den Ister, die Donau, entspringen lässt, muss einstweilen noch dahingestellt bleiben. Wenn dem aber so wäre, hätten wir es hier mit dem ältesten schriftlich erwähnten Ort Deutschlands zu tun. Die Baar als Altsiedelland: Von keinem andern Ort aus erschließt sich einem die Ber- toldisbara, wie die Baar in der ersten schrift- lichen Erwähnung um 760 n. Chr. genannt wird, das vormalige „Sumpf- und Quellenland“, ein- drucksvoller als beim Blick vom Wartenberg herunter. Der nördlichste der Hegauvulkane Den wenigsten Baarbewohnern, die vom Park- platz an der einstigen fürstenbergischen Holz- hauersiedlung „Drei Lärchen“ aus den War- tenberg in Angriff genommen haben, dürfte bewusst sein, dass sie im Begriff sind, einen veritablen Vulkankegel zu erstürmen, den nörd- lichsten der tertiärzeitlichen Hegauvulkane. Es sei denn, sie kletterten durch das überwucher- te Basaltstein-Gemäuer der ältesten Burgreste am Ort. Einst Sitz der Herren von Geisingen, der 244 späteren Herren von Wartenberg, die sich schon im 13. Jahrhundert eine neue Burg zuoberst auf dem Gipfel erbauten, gerieten Berg und Burg im Jahr 1307 an die Fürstenberger: durch Ver- ehelichung des Grafen Heinrich mit Verena, der letzten Wartenbergerin. In der Gestalt des Berges glaubt man eher, einen der Baaralb vorgelagerten Weißjura-Zeugenberg vor sich zu haben, einen Vorposten der badischen Alb. Denn die setzt sich südlich der Donau als Länge fort, leicht auszumachen mit ihrem Windrad und ihrem Fernsehumsetzer, die den Landschaftsbe- trachter in die Jetztzeit zurückholen. Mag der Ausblick vom Wartenberg aus noch so lohnend sein, auch der Berg selbst wartet noch mit Überraschungen auf, wenngleich der Zutritt zum Gipfel mit seinem vormaligen Lustschloss der Öffentlichkeit verwehrt wird. Zugänglich ist indessen, was vom Englischen Garten übrig geblieben ist, der einstmals, wie es Mode war, mit Pavillon, Kegelbahn und allerlei Statuen ausgestattet war. Aus dem Garten ist zwischenzeitlich ein geschütztes Naturdenkmal geworden mit mächtigen Laubbäumen und den Resten eines bizarren Hainbuchenhags, unter welchen im Frühjahr die Märzenbecher blühen. Ein Überbleibsel aus der Glanzzeit der Park- anlage ist die von ehrenamtlichen Helfern der Ortsgruppe des Geisinger Schwarzwaldvereins liebevoll unterhaltene hölzerne Eremitage, des- sen „Geheimnis“, der Kapuzinermönch, aller- dings nur nach terminlicher Absprache mit dem Vereinsvorsitzenden gelüftet wird. So fügt sich der Besuch des Wartenbergs zu einem Gesamtkunstwerk von Ausblicken und Einblicken in die Geschichte der Baar. Er bietet sich an als Familienspaziergang auf aus- geschildertem Rundweg. Dieser führt auf dem Teersträßchen talwärts durch die zu Teilen be- waldete Rückseite des Bergs, eröffnet Ausblicke auf das nahe Geisingen mit den noch immer das Stadtbild beherrschenden Überresten des still- gelegten Zementwerks samt seinem Kalkstein- bruch und bringt uns schließlich zurück zum Parkplatz bei den Drei Lärchen. Über den gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis hinweg reicht der Blick vom Wartenberg aus, eine Infotafel weist die Richtung.
14. Kapitel Kirche aktuell Begegnungen mit Papst Benedikt Rohrbacher Diakon Christoph Franke stand bei der Heiligen Messe neben dem Oberhaupt der katholischen Kirche – Große Begeisterung auch im Schwarzwald-Baar-Kreis „Es war ergreifend.“ So schlicht beschreibt Landrat Karl Heim die Begegnung mit Papst Benedikt XVI. am letzten Septemberwochenende in Freiburg. Da jubelten 120.000 Menschen dem weltlichen Ober- haupt der katholischen Kirche zu, unter ihnen rund 1.300 Gläubige aus dem Landkreis, die nicht alle mit Bus, Bahn oder Auto angereist waren: 45 Minis- tranten der Seelsorgeeinheit Villingen Münster gin- gen einen eigenen Weg – sie pilgerten zu Fuß zum Papst. Zudem waren Kreisbürger so vielschichtig in Vorbereitung, Organisation und selbst in die kirch- lichen Rituale involviert, dass scherzhaft die Frage erlaubt ist, wie die Erzdiözese Freiburg den Besuch des prominentesten Kirchenmannes der Welt ohne Hilfe aus dem Landkreis überhaupt hätte bewäl- tigen können: In Schonach wurden Papstbänke gefertigt, der Sicherheitschef stammt aus Vöhren- bach, die Polizeidirektion Villingen-Schwenningen entsandte Beamte zu Benedikts Schutz, Menschen aus dem Kreisgebiet hielten in den Rot-Kreuz-Zel- ten Wache und sammelten Müll von den Straßen. Wenige hatten das Privileg, dem Papst ganz nah zu sein: der Furtwanger Diakon Christoph Franke durfte bei der Sonntagsmesse sogar Dienst am Altar versehen und der Villinger Theologiestudent Holger Cerff wurde als Messdiener auserwählt. Papst Benedikt auf dem Weg zur Vigilfeier – hier ein Gruß auch für die Ministranten der Seelsorgeeinheit Villingen Münster. Unten die Jugendlichen auf dem Weg zur Feier. 45 Ministranten aus Villingen waren zu Fuß zum Papst-Gottesdienst nach Freiburg gepilgert. Fotos: Michael Storz 245
Kirche aktuell „Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Papst sozusagen bei uns um die Ecke Station macht“, konstatiert Katholik Karl Heim, dem es eine eh- renvolle Freude war, in seinem letzten Amtsjahr als Landrat einen Gottesdienst mit dem höchs- ten Vertreter der katholischen Kirche feiern zu dürfen. Benedikt habe eine sympathische, warmherzige Ausstrahlung gehabt, die Messe sei sehr bewegend gewesen. Später lauschte Heim der päpstlichen Ansprache im Konzert- haus. „Ich hätte mir gewünscht, dass er sich mehr zu den brennenden Fragen der Kirche äu- ßert“, bekennt der Katholik und nennt Ökumene und Wieder-Verheiratung als Beispiele. Immer- hin habe der Papst eine „gewisse Offenheit“ durch sein Treffen mit evangelischen Kirchen- vertretern signalisiert. 246 Auch Rupert Kubon, Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen, wohnte als guter Katholik dem historischen Ereignis bei. Er war am Samstag bei der Begrüßung vor dem Frei- burger Münster und am Sonntag bei der Messe auf dem Flugplatz. Es sei „phantastisch“, dass erstmals ein Papst ins junge, erst 1827 gegrün- dete Erzbis tum gekommen war. „Das wird auch so schnell nicht wieder passieren.“ Die Entfal- tung einer spirituellen Atmosphäre sei durch die ständige, gleichwohl notwendige Präsenz von Sicherheitskräften leider beeinträchtigt wor- den. Der Altar sei von Polizei umringt und von der ersten Reihe mindestens 50 Meter entfernt gewesen. „Da springt der Funke nicht so heiß über.“ Diese Distanz sei bei einer Massenveran- staltung freilich unvermeidbar und Emotionali- tät ohnehin nicht Benedikts Stärke: „Er hatte es doppelt schwer.“ Papst-Bänke stammen teilweise aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis Fünf Meter lang, 35 Zentimeter breit, 16 Zenti- meter stark und 40 Zentimeter hoch: Das wa- ren die Maße, nach denen in Sägebetrieben und Schreinereien der Umgebung 5.000 Bänke gefertigt wurden, an welcher Aktion auch das Sägewerk Rombach aus Schonach beteiligt war. „Wir haben von der beauftragten Firma Gutmann den Teilauftrag bekommen, 80 Kubik- meter Sitzflächen zu sägen. 16 Zentimeter dick und 35 Zentimeter breit auf fünf Meter abge- längt sind das ganz schöne Dinger“, sagt Säger Herbert Rombach. Obwohl nur „ein kleiner Teil“ des Ganzen, stellt das schon einen recht ordent- lichen Auftrag dar, immerhin zwei große Lkw- Ladungen mit ca. 1.600 laufenden Meter Sitzflä- che kamen heraus. Die Balken wurden roh, also Aus diesen Weißtannen-Balken entstanden die Bänke für die Besucher der Vigilfeier und der Papst-Messe in Freiburg. Der Schonacher Sägewerker Herbert Rombach hatte den Auftrag zur Herstellung von 1.600 laufenden Metern Sitzfläche erhalten (oben). Insgesamt wurden von der Erzdiözese Freiburg in ganz Südbaden von meh- reren Unternehmen 5.000 Bänke geordert.
Begegnungen mit Papst Benedikt feucht, zur Weiterbearbeitung ins Münstertal geliefert. „Und der Zufall wollte es offensichtlich so, dass ein Teil der Stämme, die ich verwendet habe, aus den Kirchenwäldern von Schonach und Schönwald stammt“, freut sich der Säger aus Schonach . Nach dem Papstbesuch wurden die wetterfesten Bänke an Pfarrämter verkauft, auch im Schwarzwald-Baar-Kreis werden etli- che davon zu finden sein, so beim Kinderhaus in Furt wangen. Bei der Eucharistiefeier in Freiburg unter freiem Himmel waren die soliden Sitzgelegen- heiten aus heimischer Weißtanne heiß begehrt, schließlich hatten die Pilger einen recht langen Fußmarsch über die für Autos gesperrte Stadt- autobahn hinter sich. In die bunte Völkerwan- derung reihten sich auch die Gläubigen aus dem Kreisgebiet ein, wurden mit Papiertaschen für Gebete und Lieder ausgestattet und mit Erfri- schungsgetränken versorgt. Die meisten Besu- cher nahmen die Altarinsel nur aus weiter Ferne wahr, sie verfolgten das Geschehen auf Groß- leinwänden. So erreichten die gütigen Worte des Papstes alle Ohren und Seelen und spätes- tens beim Gesang aus vielen tausend Kehlen verschmolz die unübersehbare Menschenmen- ge zu inniger, spiritueller Einheit. Riesige Son- nenschirme wiesen den Gläubigen den Weg zur Massen-Kommunion, bei der unzählige Minis- tranten (auch aus unserem Kreisgebiet) assis- tierten. Die Hochstimmung nach Empfang der heiligen Sakramente, Fürbitten und Abschluss- liturgie entlud sich in euphorischem Beifall. Der Furtwanger Stadtpfarrer Paul Demmelmair und Gemeindereferentin Dorothea Nopper (Foto links, Mitte und rechts) waren beim Papst-Gottesdienst wie etliche weitere Katholiken aus dem Landkreis als Kommuni- onhelfer eingesetzt. Rechts Gläubige aus Schonach vor dem Gottesdienst am Sonntag. „Der Gottesdienst war großartig und trotz des Aufwands nicht pompös“, freute sich Diakon Klaus-Dieter Sembach, der zur rund 70-köpfigen Delegation aus der Raumschaft Triberg gehörte und als Kommunionhelfer eingeteilt war. Für die Sicherheit des Papstes sorgte auch ein Vöhrenbacher Der amerikanische Präsident und der Papst sind die am besten beschützten Menschen der Welt – wo sie öffentlich auftauchen, herrscht Sicher- heitsstufe Eins. Dass dem Pontifex Maximus nichts passieren würde, war u.a. die Aufgabe von Thomas Eloo, gebürtiger Vöhrenbacher, der eine Firma für Veranstaltungsschutz mit Haupt- sitz in Freiburg betreibt. Der 32-Jährige musste ein Heer mit 2.000 professionellen und 3.000 ehrenamtlichen Helfern dirigieren, arbeitete dabei eng mit dem Bundeskriminalamt zusam- men. Die Sicherheitsleute, darunter viele Poli- zeibeamte aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis, sorgten dafür, dass das Papamobil überall un- gestört passieren konnte. Zum großen Aufga- benkatalog gehörte aber auch, dass die Besu- 247
Kirche aktuell Das Sicherheitskonzept zum Papst-Besuch entstand unter Mitwirkung des Sicherheitsdienstes von Thomas Eloo aus Vöhrenbach. Überall halfen Männer und Frauen in roten Jacken und T-Shirts freundlich aber bestimmt mit, die Sicherheit des Papstes zu gewährleisten. chermassen an den acht Veranstaltungsplätzen geordnet am Straßenrand standen oder vor dem Einlass ins Freiburger Flughafengelände effektiv kontrolliert wurden. Alles sei reibungslos ver- laufen, zieht der gebürtige Vöhrenbacher eine rundum erfreuliche Bilanz. Diakon Christoph Franke aus Rohrbach steht mit dem Papst am Altar Warum Diakon Christoph Franke aus Furtwan- gen-Rohrbach sogar Dienst am Altar versehen durfte, weiß er nicht – aber für ihn war es ein einmaliges Erlebnis. „Ich erhielt einen Anruf aus dem erzbischöflichen Ordinariat und habe sofort zugesagt,“ schildert er. In fünf Proben wurde die Messezeremonie einstudiert – die Si- cherheit wurde schon damals großgeschrieben: „Sobald wir den Altarraum verlassen hat ten, schwärmten BKA-Beamte herein und drehten buchstäblich jeden Stein um.“ Die letzte Probe am Samstag musste der Diakon vor den gestren- gen Augen des päpstlichen Zeremonienmeis- ters Guido Marini bestehen. Christoph Franke ist im Zivilberuf als Sicherheitsingenieur beim TÜV Süd beschäftigt. 248 Beim Einzug durfte der 46-jährige Familien- vater vor dem Papst laufen und dann gemein- sam mit ihm den Altar „inzensieren“ (mit Weih- rauch beräuchern), wie die Ehrung der eucha- ristischen Gaben mit Weihrauch in der Kirchen- sprache heißt. Leibwächter, Scheinwerfer und Kameras, die die Messe live für ein Millionen- publikum vor dem Fernsehen aufnahmen, habe er „ausgeblendet“, erinnert sich der Rohrba- cher. Nach stillem Gebet sei sein Lampenfieber verschwunden, er habe sich voll konzentrieren können und sei ausgefüllt von dem Bewusstsein gewesen: „Ich diene Gott.“ Krönender Moment sei der persönliche Frie- densgruß gewesen, den er vom Papst empfan- gen habe. „In dieser klerikalen Umarmung lag unbeschreiblich viel Wärme.“ Das Erlebnis ist für Franke ein elementares Geschenk: „Es bleibt für mein Leben.“ Priesteramtskandidat Holger Cerff aus Villingen fungiert als Ministrant Holger Cerff war aufgeregt wie noch nie zuvor in seinem langem Ministrantenleben. Er war ei- ner von fünf Theologiestudenten des Freiburger Pries terseminars, die bei diesem Großereignis als Messdiener ministrieren durften. Der 26-jäh- rige Priesteranwärter ist im Villinger Wohnge- biet Haslach aufgewachsen. Für Holger Cerff wird es ein denkwürdiger Tag werden auf sei- nem langen Weg ins Priesteramt, der seinen Ausgangspunkt in der Pfarrei St. Bruder Klaus in Villingen nahm. Hier war er 15 Jahre Ministrant und in der Jugendarbeit aktiv, bevor er sich für ein freiwilliges Jahr in der christlich-ökumeni- schen Gemeinschaft Taizé in Frankreich ent- schied. Seine Villinger Wurzeln pflegt er mit re- gelmäßigen Besuchen. Hier ging er zur Schule – St. Ursula und Wirtschaftsgymnasium – hier wohnen seine Eltern und Freunde. Rechte Seite: Oben der Rohrbacher Diakon Christoph Franke (links) beim Gottesdienst auf dem Freiburger Flughafengelände am Altar mit Papst Benedikt. Unten: Priesteramtskandidat Holger Cerff (Mitte links) beim Aus- zug nach dem Gottesdienst.
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Kirche aktuell Im Freiburger Priesterseminar bereitet sich der 26-Jährige gerade auf den Abschluss seines Theologiestudiums vor. Es war eine hohe Aus- zeichnung für die 60 jungen Priesteramtskandi- daten der Erzdiözese, dass der Papst bei ihnen in einer bescheidenen Zelle nächtigte und mit ihnen über ihre berufliche Zukunft sprach. 45 „Minis“ aus der Villinger Münsterpfarrei pilgern zu Fuß zum Papst Zu Fuß zum Papst – 45 „Minis“ machten sich in Begleitung von Dekan Josef Fischer zu Fuß von St. Peter im Hochschwarzwald auf den Weg nach Freiburg. Die Wanderung begann am Frei- tagabend in St. Peter mit Spiel und Spaß rund ums Thema Papst und Kirche. Am Samstag dann pilgerte die Gruppe über den Roßkopf nach Frei- burg. Die intensive Gemeinschaft mit den Jugend- lichen habe ihm „sehr gut getan“, versichert der Villinger Münsterpfarrer Josef Fischer. Das ge- meinsame Gehen zu einem gemeinsamen Ziel ist für ihn eine besondere Erfahrung. „Es gibt viel Zeit zum Reden und zum Schweigen, beides ist wertvoll.“ Auch die geistliche Verbundenheit mit Benedikt hat der Dekan dankbar genossen und empfand inspirierende Kraft: „Er fand die rechten Worte, um die katholische Kirche in Deutschland für die Zukunft zu ermutigen.“ Dass das Oberhaupt des Vatikans konkrete Vorschläge zu einer Liberalisierung der katholischen Kirche machen würde, sei eine falsche Erwartung gewesen, ist auch Pastoralreferent Tobias Weiler überzeugt. „Dafür ist ein sol- ches Event nicht das geeignete Forum.“ Der Theologe hatte das Sonderprogramm für die Villinger Ministranten im Alter zwi- schen 13 und 30 Jahren vorbereitet, die am Samstag nach sechsstündigem Marsch ihr Domizil in Littenweiler erreicht hat- Das in Holz geschnitzte Logo der Villinger Münsterpfarrei begleitete die 45 Minis als Wanderstab auf ihrem Weg zum Papst nach Freiburg. 250 ten und von dort noch einmal ein gutes Stück mit Straßenbahn und per Pedes bis zum Mes- segelände zurücklegen mussten. Dort war alle Erschöpftheit schnell verflogen, die anfangs noch schüchternen Ministranten stimmten bald ein in die jubelnden Benedetto-Rufe aus 30.000 jungen Kehlen. Die Begeisterung gefiel dem Papst, „doch er lässt sich nicht gern feiern“, weiß Tobias Weiler. Benedikt wolle nicht wie ein Pop-Star behan- delt werden und suche den Rummel nicht, dem er nolens volens immer wieder ausgesetzt sei. Seine wahre Größe und inneres Strahlen habe der 84-Jährige bei den Gottesdiensten entfaltet, bei innigen Gebeten in konzentrierter Stille und Gemeinschaft mit 30.000 Jugendlichen. Dass die von ihm durchaus mehr Reformbereitschaft fordern, hätten sie im übrigen deutlich artiku- liert. Bei der abendlichen Vigilfeier baten KJG- Mitglieder in den Fürbitten um mehr Demokratie in ihrer Kirche, „demokratisch.amen“ war auf ihren T-Shirts zu lesen. Der Papst nimmt solche Botschaften wahr und nimmt sie ernst, ist sich Tobias Weiler sicher. Insbesondere die großen Medien vermitteln seiner Ansicht nach ein ein- seitiges Bild vom Pontifex, der mit „differenzier- terem Blick“ gewürdigt werden müsse. Die Villinger Gruppe sei durch das Er- eignis enorm beflügelt, die Gemeinschaft sei spürbar gefestigt worden. Die Mi- nistranten hatten sich bereits daheim in mehreren Treffen systematisch auf die Begegnung vorbereitet, kamen am Vorabend zum ökumenischen Taizé-Gebet zusammen, fei- erten während der drei ge- meinsamen Pilgertage im- mer wieder Andachten im kleinen Kreis: „Das ist das eigentlich Tragende.“ Auch Münster-Ministrantin Linda Heg- gen war von der Partie und beispielsweise an der Gestaltung einer Papst-Rallye während der Wanderung beteiligt. So näherten sich die „Minis“ ihrem Oberhirten nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich und setzten sich bei diversen Fragestationen mit der spe- ziellen Begrifflichkeit im Vatikan ausei- nander. Sie lernten etwa, dass „Vigil“
Umwelt und Natur Am Ende einer Wanderung: Die 45 Ministranten aus der Villinger Münsterpfarrei erreichen Freiburg. Für die Jugendlichen war die Begegnung mit dem Papst ein einmaliges und prägendes Erlebnis, so ihr Fazit. Rechts: Entzünden der Lichter bei der Vigilfeier am Samstag. ein Abendgebet ist und dass das päpstliche Schultertuch „Pallium“ genannt wird. Als sie es dann aus nächster Nähe zu betrachten ver- suchten, sei nicht nur den jüngeren Minis mul- mig zumute gewesen, sagt die 17-jährige Linda. „Überall war Polizei und der Anblick von mas- kierten Scharfschützen auf dem Müns terdach war beängstigend.“ Begeisternd sei gewesen, wie der Papst über den Glauben sprach, er sei „ein aufrichtiger, sehr gebildeter Mensch“, dem große Achtung gebühre. Massimo Mottillo fand den Papst „nur toll“. Er sei „höchstens“ 20 Me- ter entfernt gewesen, als er im Papamobil auf’s Messegelände fuhr. „Da hat er mir direkt in die Augen geschaut“, schildert der 15-Jährige sei- nen persönlichen Papst-Höhepunkt. „Plötzlich klopfte mein Herz ganz laut.“ Bei all der Freude gab es auch eine kleine Enttäuschung: Sachte Hoffnungen, der Papst werde vielleicht Riedböhringen und das dortige Kardinal-Bea-Museum besuchen, erfüllten sich nicht. Im Februar 2011 hatte der frühere CDU- Landtagsabgeordnete Schuhmacher den Privat- sekretär des Papstes, Georg Gänswein, deshalb angeschrieben – auch im Namen von Ortspfar- rer Erwin Roser und Ortsvorsteher Lothar Degen. Franz Schuhmacher ging es bei seinem Vorstoß in erster Linie darum, das Wirken des einstigen Kurienkardinals Augustin Bea (1881 – 1968) für die Einheit der Christen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Christina Nack / Wilfried Dold (unter ergänzender Auswertung von Beiträgen der Lokalpresse im Schwarzwald-Baar-Kreis) 251
15. Kapitel Freizeit NaturSportPark und Badeparadies „solara“ in Königsfeld Freibad und familiäre Freizeitanlage verzeichnen einen Rekordbesuch Wenn im Frühjahr und in kalten Sommerwochen wie im zurückliegenden Juli die Freibäder und Badeseen der Umgebung annähernd menschenleer sind und sich nur hartgesottene Wasserratten ins kühle Nass wagen, herrscht im Königsfelder „solara“ heitere Betriebsamkeit. Anderswo muss sich das Wasser allmählich mit der Kraft der Sonne erwärmen, in Königsfeld hingegen wird es mit Solarenergie beheizt. Selbst wenn die Außentemperatur um kühle zehn Grad herum pendelt, ist das Wasser etwa doppelt so warm, so dass die Schwimmer im „solara“ ohne Gänsehaut gemächlich ihre Bahnen ziehen können. Modernste Techniken und vielfältige, alle Altersgruppen berücksichtigende Attraktionen wie Schaukelbucht, Wasserpilz, Bodensprudler und eine 50-Meter-Erlebnis-Rutsche zeichnen diese neue Freizeitanlage aus. Die Gemeinde hat in ihr Freibad inklusive be- nachbartem NaturSportPark die Rekordsumme von 3,35 Millionen Euro investiert. 2008 wurde das Badeparadies, ein Jahr später die famili- äre Freizeitanlage nebenan eröffnet. Die beiden neuen Attraktionen erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Schon in der zweiten Saison wur- den im „solara“ rund 60.000 Besucher gezählt; die Einnahmen übertrafen die Erwartungen um 20.000 Euro. Allein die schicke Halbschalenrutsche hat fast 150.000 Euro gekostet, das war fast dop- pelt so viel wie im Budget vorgesehen. Doch ge- nau so eine Rutsche war ein inniger Wunsch der Königsfelder Jugend, die sich dafür dann auch selbst engagierte: In einer gemeinsamen Spen- denaktion mit vielen Einzelinitiativen (darunter eine Beach-Party der Zinzendorfschulen; die Königsfelder Handwerker spendierten ihre Ein- nahmen vom Wirten beim Naturparkmarkt und vieles mehr) kamen fast 65.000 Euro zusam- men. Das Engagement ist beispielhaft für das gesamte Projekt, das mit intensiver Beteiligung der Bevölkerung geplant und verwirklicht wur- 252 252 de. Bei beiden Projekten wurden etliche Ideen berücksichtigt, die davor in Bürgerwerkstätten entwickelt worden waren. Zeitgemäße Erneuerung des alten Königsfelder Freibades Das „solara“ ist das Ergebnis einer grundle- genden Erneuerung des alten Königsfelder Frei- bads, das ebenfalls mit Solarenergie beheizt wurde und in den 70er Jahren ein innovatives Vorzeigeprojekt war. Doch es war längst nicht mehr zeitgemäß. Insbesondere die Technik zur Wasseraufbereitung genügte den Anforderun- gen nicht mehr und mit dem Abbruch des alten Betonbeckens zugunsten einer modernen Edel- Großer Beliebtheit erfreut sich das Freibad „solara“ in Königsfeld: 60.000 Besucher wurden gezählt! Neben der 50 Meter-Erlebnis-Rutsche tragen dazu das stets warme Wasser und viele Freizeitanlagen wie auch das Beach-Volleyball-Feld bei.
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Freizeit stahlvariante erreichte die Sanierung fast die Dimensionen eines Neubaus. Königsfeld als ei- ne der finanzschwächsten Kommunen im Land- kreis konnte sich das Mammutunternehmen nur Dank öffentlicher Zuschüsse leisten, die unter anderem aus dem Tourismusinfrastruk- turprogramm des Landes ausgezahlt wurden. „Wie in einer riesengroßen Badewanne“ „Du kommst dir vor wie in einer riesengroßen Badewanne“, beschreibt der 15jährige Paul das spezielle „solara“-Gefühl. Er schwärmt zudem von der Schaukelbucht, in der sich herrliche Wellen erzeugen lassen, von Sprungtürmen, Beach-Volleyball-Feld und weiteren Angeboten für Sport und Spaß. Die jüngeren Kinder werden von der 50 Meter langen Riesenrutsche magne- tisch angezogen, Groß und Klein lieben Spring- brunnen und die diversen Massagedüsen. Für sportliche Schwimmer stehen drei 50-Meter-Bahnen zur Verfügung, so dass die Bedürfnisse aller Badefans befriedigt werden. Sogar bei wasserscheuen Sonnenanbetern ge- nießt das „solara“ einen exzellenten Ruf. Die im Süden an den Rotwald grenzende Liegewiese ist ungewöhnlich groß und parkähnlich gestal- tet; schöne, alte Bäume prägen das Bild und bieten mit ihren ausladenden Kronen schattige Zuflucht vor zuviel Sonne. möglichkeiten sind multifunktional ausgerich- tet und sollen alle Altersgruppen bis hin zu Er- wachsenen und älteren Besuchern ansprechen. Der Eingangsbereich wurde zugunsten zu- sätzlichen Parkraums verlegt und gegenüber vom Kiosk platziert. Der lädt mit gemütlicher Terrasse zum kommunikativen Verweilen ein und ist das Bindeglied zwischen Freibad und NaturSportPark. In diese Richtung wurde der Kiosk mit einer zusätzlichen Fensteröffnung als Verkaufstheke ausgestattet, so dass sich die Besucher der ausgeklügelten Freizeitanlage un- kompliziert mit Getränken und kleinen Speisen versorgen können. Bad und Sportpark ergänzen und beleben einander, denn die Zielgruppen sind identisch – Familien und generell unternehmungsfreudi- ge Menschen aller Generationen. Manche Be- sucher nutzen denn auch die Gelegenheit zum Pendeln; Cliquen verabreden sich zu Lagerfeuer und Kletterwand nach dem Baden und umge- kehrt. Spielmöglichkeiten für alle Altersgruppen Der Sportpark erstreckt sich von der Landes- straße bis hinunter zum Hörnlebach; Zentrum ist eine große Spielwiese mit drei Grillstellen. Von der Straße wird die Anlage durch einen abwechslungsreich modellierten Erdwall ab- 12.000 Quadratmeter NaturSportPark Der NaturSportPark wurde auf einer Fläche von 12.000 m² angelegt und ist für die ganze Fami lie konzipiert. Die angebotenen Spiel- und Sport- Impressionen aus dem solara. Die Riesenrutsche ist ein Spaß für die gesamte Familie. Die großzügigen Liegewiesen, das Kinderbecken oder der Wasser- pilz (unten rechts) sorgen im Zusammenspiel mit dem großzügigen Freigelände für den perfekten Badespaß. 254
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Freizeit geschirmt, an dessen Rand Mountainbike- und BMX-Strecken gestaltet wurden. Die bestehen- den Tennisplätze sind dazu in multifunktionale Sport- und Spielflächen verwandelt worden, mit Inline-, Skate- und Streetballplätzen. Außerdem vergnügen sich die Kinder und Jugendlichen an Schaukeln, Wippen und Klettergerüsten, wäh- rend ihnen die Erwachsenen zuschauen und einen Plausch in einer der beiden Schutzhütten genießen, die nach zwei Seiten offen sind. Der östliche Platz erhielt einen Fallschutz- belag aus Holzhackschnitzeln und bietet Be- wegungsmöglichkeiten zum Klettern an einer Kletterwand, einer Seilkletterspinne und in sich verschachtelten Holzstämmen, die wie Mika- dostäbe übereinander angeordnet sind. Eine Spieloase am Rotwaldbach Am Rotwaldbach entstanden durch Einbe- ziehung des flachen Uferbereichs naturnahe Spielmöglichkeiten mit Steinen, Sand, Kies und Baumstämmen, die Teil eines Bewegungs- und Sinnespfades sind. Hier entstand eine eigene Spieloase, in der nicht nur die Dreikäsehochs vor Freude juchzen, wenn sie mit nackten Füßen durch Schlamm stapfen, auf Steinen und Baum- stämmen balancieren und durchs klare Wasser waten. Auch Eltern und Großeltern lassen sich beim Familienausflug gern zum Test dieses Be- wegungs- und Sinnespfads verführen, der bei der zweiten Schutzhütte startet. Beliebter Treffpunkt für „die Großen“ ist auch der Bouleplatz, der unter Schatten spen- denden Bäumen angelegt wurde. Eintritt kos- tet der Park nicht, auch offizielle Aufsicht ist nicht nötig. Bislang erfüllt sich die Hoffnung auf Sozialkontrolle und Selbstdisziplin offen- bar. Die meisten Jugendlichen hinterlassen die Plätze sauber; manche fühlen sich dafür auch so verantwortlich, dass sie sogar fremden Müll entsorgen. Und natürlich guckt der Bauhof der Gemeinde regelmäßig nach dem Rechten. Christina Nack Der NaturSportPark ist die ideale Ergänzung zum „solara“ und kann natürlich auch allein besucht wer- den. Perfekte Sprünge zeigen hier oft die BMX-Fahrer und Skateboarder, eine Kletterspinne und Kletter- wand sowie die Reifenschaukel sorgen gleichfalls für Abwechslung. 256
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Freizeit Kurze Reise ins Abenteuer vor der Haustüre Das Wildgehege Salvest bietet kostenlosen Freizeitspaß Freizeit für Familien muss kein teurer Spaß sein. Das zeigt ein Besuch im Wildgehege Salvest im Villinger Stadtwald. Es stehen Kinder am Zaun. Da gibt es was zu fressen. Das Damwild im Gehege am Salvest zeigt keine Scheu. Ganz dicht kommen die Tiere heran, stupsen mit der Nase durch den Zaun, wollen noch mehr haben aus der Hand von No- emi. Die Dreijährige schaut zu ihrer Mutter. Ob die noch ein paar Karotten in Reserve in der Tasche hat? Schade, sieht nicht so aus. Alles schon verfüttert. Der kleine Bruder Lennox geht in die Knie und ist damit fast auf Augenhöhe mit dem Hirsch, der das kurze Gras beschnup- pert und nach Krümeln absucht. Die zutraulichen Tiere sind das Größte für die kleinen Besucher. Dabei unterscheiden die Vierbeiner ganz genau. Nur ein Fotoapparat da- bei und ansonsten leere Hände? Sie drehen ab und lassen sich in der nächsten Stunde auch nicht mehr blicken. Man muss sich also etwas einfallen lassen, wenn man innerhalb des Zauns Interesse wecken will. Von der Eisenbahn zum Wikingerschiff Die Tiere im Wildgehege Salvest sind der Anzie- hungspunkt für Besucher und das bereits seit 1962. Doch das Areal rund um das Forsthaus bietet noch mehr: Eine Eisenbahn, ein Karussell, ein Wikingerschiff – alles aus Holz; dazu ein Baumstamm und zwischen Bäumen gespannte Bänder zum Balancieren, eine gemähte Wiese zum Ballspielen und rustikale Tisch-Bank-Kom- binationen für ein Picknick. Wer hier verweilt, hat bereits ein wenig Abstand vom Alltag ge- nommen, denn die paar hundert Schritte vom Besucherparkplatz an der Straße zwischen 258 Im Wildgehege Salvest im Villinger Stadtwald warten im Sommer bis zu 40 Tiere darauf, dass sie von Kin- dern gefüttert werden. Das Tiergehege schließt sich ans malerische Forsthaus Salvest an.
Villingen und Unterkirnach müssen alle zu Fuß gehen. Außerdem bietet sich noch ein Abstecher zur Ruine Kirneck an. Die eigentliche Ruine der Ende des zwölften Jahrhunderts erbauten Höhenburg wurde größtenteils 1810 abgeris- sen und für den Straßenbau Villingen – Unter- kirnach verwendet. Oberförster Ganter ließ die Ruine 1880 wieder als Ruine erbauen. 2010 wurde die Sanierung der einsturzgefährdeten Schildmauer und der Mauer zur Landstraße ab- geschlossen. 30.000 Euro aus dem städtischen Haushalt und eine private Spende machten es möglich, dass man sich auf dem einstigen Sitz der Herren von Kirneck wieder gefahrlos ins Mittelalter zurückversetzen kann, um Ritter zu spielen. Bis zu 40 Tiere im Wildgehege Doch zurück zum Wildgehege. Einen Bestand von 20 Tieren füttert Förster Hubert Fleig im Winter mit Heu, Rüben und Kastanien durch. Im Sommer dürfen es bis zu 40 Tiere sein, die im eingezäunten steilen Gelände neben dem Forsthaus ihre Nahrung finden. Die Tiere sind genügsam. Füttern ist nicht ausdrücklich verbo- ten. Doch artgerecht sollte es sein: Blattsalate, Äpfel, Karotten, empfiehlt Fleig. Er macht täg- lich seine Runde um das eingezäunte Gelände, beobachtet die Tiere wie ein Landwirt. Ein Förster als Landwirt? Das ist gar nicht so weit hergeholt. Förster waren früher Selbst- versorger. Auf den Wiesen beim Dienstgebäude wurden Kartoffeln und Getreide angebaut. Doch mit fortschreitender Konzentration und Moder- nisierung der Landwirtschaft stellte sich auch die Frage: Was tun mit dem Gelände? Verpach- ten wollte man es nicht, es war zudem auch sehr steil. So passte die Idee mit dem Wildge- hege prima in den Zeitgeist: Der Wald als Erho- lungsort. Bis heute verbinden Erwachsene, die längst Eltern geworden sind, schöne Kindheitserinne- rungen mit dem Ort. Deshalb kann man beim Forsthaus Salvest auch Besucher aller Genera- tionen antreffen. Es werden von Jahr zu Jahr mehr. Anita Sperle-Fleig weiß nach mehr als 20 Das Wildgehege Salvest Die Burgruine Kirneck in der durch Oberförster Ganter 1880 veranlassten Rekonstruktion. Vom Tiergehege Salvest aus bietet sich ein Abstecher zur Ruine geradezu an. Jahren im Forsthaus, dass sie sich hier nur bei ganz schlechtem Wetter richtig einsam fühlen muss. An einem der April-Sonntage mit viel Son- nenschein im Jahr 2011 genießen rund 60 Besu- cher die Nachmittagsstunden in Salvest. Ein bis auf den letzten Zentimeter genutzter Besucher- parkplatz deutet es schon an. Dort oben ist was los. Dabei sind zum Treffpunkt einer Villinger Krabbel gruppe einige Teilnehmer mit Fahrrad Revierförster Hubert Fleig erläutert in Salvest an Hand von Fellen und Geweihen die Arten heimischer Wildtiere. Der Rothirsch, dessen Geweih der Forst- mann gerade zeigt, gehört allerdings nicht dazu. 259
Freizeit Großzügig angelegt sind die Gehege. und An hänger vom Groppertal kommend über den Mooslochweg den Berg hinauf gestram- pelt, haben die autofreie Phase also schon an der eigenen Garage begonnen. Die Runde findet es hier „einfach nett“. Ganz locker bewältigen die jungen Familien den Test, wie viele Personen Platz an einem der Picknicktische finden, doch dann sind Leonie, Niklas und ihre Freunde nicht mehr zu halten. Das Karussell dreht sich. Auf der Lokomotive der Eisenbahn nehmen die Klettermaxe Platz, Neugierig auf Besucher, die neues Futter bringen – Damwild im Gehege von Salvest. 260 während sich die anderen sofort mit der Rolle als winkende Fahrgäste anfreunden. Begeistert berichtet Helmut Furtwängler aus dem Groppertal seinen Gästen, die zum Teil aus der Schweiz angereist sind, wie die von einer Zimmerei in Schonach gefertigte Holzeisenbahn mit einem Spezialkran wenige Wochen zuvor an ihren Platz gehievt wurde. Sie ist das Nachfol- gemodell der bisherigen Lokomotive und bie- tet zur Freude der Kinder viele Möglichkeiten zum Klettern und für phantasievolle Reisen ins Abenteuer. Dennoch: „Tiere sehen ist D-a-s Highlight“, weiß Manuela aus Brigachtal und freut sich, dass Lennox und Noemi beim Füttern die Angst vor dem Damwild verlieren. Ihr Mann sei selbst schon als Kind hierhergekommen. „An die Kin- dergartenzeit vor 39 Jahren“ erinnert sich auch Petra, die inzwischen in Schwenningen lebt und mit Mann Thomas und Chihuahua Hanny mehr- mals im Jahr hier einen Spaziergang mit Rast einplant. Doch es sind nicht nur Einheimische anzu- treffen, die den Besuch des Wildgeheges Sal- vest quasi mit den Genen mitgeliefert bekom- men haben. Michaela und Ralph kommen aus Rumänien. Sie schätzen es, dass ihr Sohn Eric, zweieinhalb, hier auch auf andere Kinder trifft.
Für Familienausflüge ideal geeignet: Eltern und Kinder bei einem Sonntagsausflug nach Salvest. Sie selbst entdecken einen Arbeitskollegen und schon vergrößert sich die Runde an einer der Tisch-Bank- Kombinationen. Mati, 13, und Chantal, 20, eine in der Schweiz lebende Viet- namesin, freuen sich wie kleine Kinder, dass ihnen die Tiere aus der Hand fressen. Melvin, fünf, und Daniel, drei, sind mit ihrer aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Großmutter und den Eltern zum Spielen hier. Von Jahr zu Jahr kommen mehr Besucher Und was läuft sonst so? Größere Gruppen mel- den sich an, berichtet Anita Sperle-Fleig, die Frau des Försters. Sie beobachtet, dass in den vergangenen zehn Jahren von Jahr zu Jahr mehr Besucher kommen und auch länger bleiben. Religiöse Gruppen, Familien aus der französi- schen Garnison, aber auch Aussiedler, die längst nicht mehr in Maria Tann leben, schät- zen das Angebot genauso sehr wie Nostalgiker. Was bei allen an kom mt: Es ist sauber hier. Es gibt zwar noch Abfallkörbe, da sich jedoch Füchse und Krähen gerne drüber hermachen, setzt man da rauf, dass je- der seinen Müll mitnimmt. Die Kinder freuen sich über die von einer Schonacher Zim- merei gefertigte Eisenbahn – sie lockt zu phantasievollen Reisen ins Abenteuer. Das Wildgehege Salvest „Die Besucher halten sich an die Regeln, und wenn sie diese übertreten, dann oft aus Un- wissenheit“, zeigt Fleig Nachsicht. „Alles kein Problem“, gibt er zu verstehen und achtet doch streng darauf, dass man sich an Verbote hält. „Wiese nicht betreten“, steht auf einem der kleinen Schilder. Warum eigentlich? Ganz ein- fach, hier wachsen seltene Pflanzen, darunter Orchideen. Unschönen Hinterlassenschaften wie bei der Romäusquelle oder etlichen Grillplätzen verderben hier nirgends den Spaß. Der Förs- ter und seine Frau sind eben nicht einfach nur Nachbarn, sondern die Sozialkontrolle und die Garantie dafür, dass die Idylle ihren Charme be- wahrt, damit auch die nächste und viele über- nächste Generationen ihre Freude daran haben. Verena Wider 261
Freizeit Heidenhofen – Pferdedorf auf der Baar Auf 250 Einwohner verteilen sich 50 Pferde – Auch ein Olympiapferd gezüchtet Wo Landwirte ihre Höfe aufgeben, lassen sich gerne Pferdeleute nieder. In Heidenhofen ist das sogar so extrem, dass rechnerisch auf fünf Ein- wohner ein Pferd kommt, während im gesam- ten Schwarzwald-Baar-Kreis durchschnittlich auf 1.000 Einwohner zwischen 5 und 7,5 Pferde kommen (Quelle: Infodienst Landwirtschaft, Er- nährung, Ländlicher Raum, Stand: 2003). Auf 250 Einwohner verteilen sich in Heidenhofen somit ca. 50 Pferde! Neben den Reitern, die hinterm Haus ihre zwei oder drei Pferde zum eigenen Vergnügen halten, gibt es in Heidenhofen vier Züchter, die sich teils sehr unterschiedlichen Pferderassen verschrieben haben. Während die einen ihre ersten Westernpferde aus Amerika importiert haben, exportiert die Nachbarin ihre Spring- pferde über den großen Teich. Gegenüber wird eine seltene, robuste italienische Pferderasse gezüchtet und ein paar Häuser weiter züchtet eine Ärztin Württemberger, von denen eines sogar bei den Olympischen Spielen in Athen startete. Ann Mayer und das Bayerische Warmblut Ann Mayer widmet sich dem Bayerischen Warm- blut und bietet auch schöne Plätze für Pen sions- pferde. Die Engländerin, die schon viel von der Pferdezüchterin Ann Mayer. Welt gesehen hat, lebt seit 20 Jahren auf der Baar. „Vier Jahre lang habe ich nach einem Hof mit Land gesucht, bevor ich etwas geeignetes gefunden habe“, sagt sie. Direkt neben der Kir- che vermutet man kaum, dass sich hinter der zur Straße gelegenen Stalltür ein Paradies für Pferde und Menschen verbirgt. Im ehemaligen Kuhstall sind zwar auch einige Boxen unterge- bracht, aber richtig idyllisch wird es im Hinter- hof, wo Pferde aus geräumigen Außenboxen schauen können – wenn sie nicht gerade auf der Koppel stehen. Noch ein Stück dahinter hat Ann Mayer eine Reithalle gebaut, die auch von Winter auf der Baar – Bayerisches Warmblut auf der Weide von Ann Mayer.
Rolf Harter ist mit seinen Bardigianos selbst in den Dolomiten unterwegs – Wanderreiten ist das Hobby der gesamten Familie. Rolf Harter und seine robust-edlen Bardigianos aus dem Apennin den Nachbarn gerne genutzt wird. „Bei diesen Witterungsverhältnissen braucht man eine Hal- le“, erklärt sie. Es sind weniger der Schnee und der Regen als vielmehr der oft gefrorene Boden, der eine Reithalle unentbehrlich macht, wenn man mit den Pferden ganzjährig arbeiten möch- te. Und das muss sie, da sie ihre Bayerischen Warmblüter auch nach Übersee verkauft. Früher hatte sie auch Araber gezüchtet. Das war zu einer Zeit, als sie selbst noch bei Dis- tanzritten gestartet ist. Dieser Sportart ist sie heute noch treu – jetzt aber als Richterin im Weltreiterverband FEI. Dabei kommt sie viel herum. „Ich war unter anderem schon drei Mal in Neuseeland und auch in Russland, um bei Wettkämpfen zu richten“, sagt sie. In Heidenhofen fühlt sie sich mit ihren Pfer- den wohl. „Wir sind im Dorf richtig integriert“, freut sich die Züchterin. Es habe sich noch nie jemand beschwert, aber eigentlich gibt es auch keinen Grund dafür. Die meisten Ställe liegen hinter den Häusern und haben von dort aus direkten Zugang ins Gelände. Wenn aber doch mal jemand von den Nachbarn durch den Ort reitet, beispielsweise um Ann Mayers Halle zu nutzen, gibt es auch nie Probleme. Falls mal ein Pferd auf die Straße äppelt, dann gehen sie spätestens nach dem Ausritt mit der Schubkar- re hin und kehren den Mist auf. Schräg gegenüber von den Bayerischen Warm- blütern wird es etwas exotischer: Rolf Harter züchtet Bardigianos. Von den wunderschönen robusten Gebirgspferden aus dem Norditalie- nischen Apennin gibt es in Deutschland nach Angaben des Züchters rund 120 Exemplare, ein Viertel davon, so schätzt er, stammt aus seinem Stall. Zu den gleichsam robusten wie edlen Po- nys ist er Ende der 1990er Jahre gekommen, als er für seine Tochter ein nervenstarkes Verlass- pferd suchte. „Wir züchteten damals Araber, aber damit wol lte ich ein achtjähriges Mäd- chen nicht alleine losreiten lassen. Ein Isländer sollte es auch nicht sein, weil die bei uns so oft Probleme mit dem Stoffwechsel haben.“ In Offenburg bei der Eurocheval sah er die genüg- samen italienischen Ponys das erste Mal. „Eine Woche später waren wir in Italien, um eines zu kaufen“, erinnert er sich, „denn in Deutschland gab es damals nur zwölf Bardigianos.“ Die Harters sind Wanderreiter, zur Pferde- messe Eurocheval in Offenburg reisen sie oft zu Pferd an, einmal waren sie mit ihren Ponys eine Woche in den Dolomiten unterwegs. „Am liebs- ten reite ich morgens los ohne zu wissen, wo ich abends übernachte,“ schwärmt Rolf Harter von dieser wohltuend langsamen Art des Rei- sens. Zu empfehlen ist diese Vorgehensweise zwar nicht überall, im Schwarzwald klappt es jedoch immer, von der Gastfreundschaft der 263
Freizeit Übermütige Fohlen beim Spiel, der Reitplatz der Fa- milie Harter und stolz präsentiert der Züchter seine Bardigianos bei einer Veranstaltung in Italien. Menschen dort ist Harter sehr angetan. „Es ist schon vorgekommen, dass die Landwirte ihren Kuhstall leergeräumt haben, um uns ein Quar- tier zu bieten.“ Wie seine drei Züchterkollegen bildet er sei- ne Pferde selbst aus. Alle sind longiert und ken- nen Bodenarbeit, bevor er sie verkauft. Dafür nutzt er seinen 17 x 35 Meter Reitplatz und das Round Pen gleich neben dem Haus. Mit dem Wetter auf der Baar kommen die kleinen Italie- ner gut klar: „Sie haben keine Probleme damit, durch eine 70 Zentimeter hohe Schneedecke zu laufen“, sagt Harter. Und das, obwohl sie meist nur um die 1,45 Meter groß sind. Besonders beeindruckt hat ihn, wie zutrau- lich und nervenstark sie sind. „Sie leben in sehr unwegsamen Gelände, das Gebirge ist teils um die 2.000 Meter hoch. Wenn es Spinner wären, würden sie nicht lange überleben, sondern bald in die nächste Schlucht stürzen.“ Michaela und Bernie Zimmermann haben sich dem Westernreiten verschrieben Dem Westernreiten verschrieben haben sich Michaela und Bernie Zimmermann, die Quar- 264 ter- und Paint-Horses züchten. Die gebürtige Villingerin hat eine typische Pferdekarriere hin- ter sich: Als Kind ging sie zum Voltigieren, dann kümmerte sie sich in der Nachbarschaft um alle Pferde und Ponys, deren Besitzer das zuließen. Reiten, putzen, schmusen – Hauptsache vier Hufe und eine Mähne. Mit 16 verdiente sie sich die ersten Reitstunden mit Ausmisten, dafür fuhr sie täglich mit dem Fahrrad von Villingen nach Mönchweiler und vier Jahre später war es endlich soweit: Mit dem Norweger „Lasse“ leistete sie sich ihr erstes eigenes Pferd. Dass dem noch viele weitere folgen würden, konnte damals noch niemand ahnen. Mit Lasse ritt sie vorwiegend ins Gelände, bevor sie ihn auf die Westernreitweise umstellte. Sie nahm Trainerstunden bei allem, was Rang und Namen hatte, darunter Ernst-Peter Frey, Jean-Claude Dysli und Bruce Tamlyn. Mi- chaela Zimmermann wurde in den süddeut- schen Vorstand der Ersten Westernreiter Union gewählt und baute den Verein aus. Rund 20 Jahre ist das her und zu dieser Zeit lernte sie ihren jetzigen Mann Bernie kennen. „So ein Pferd möchte ich haben“, sagte er, als er das erste Mal ein Westernpferd in Aktion sah. Er verkaufte sein Motorrad, lernte ein paar reite- rische Grundlagen auf Lasse und kaufte sich in Amerika die zweieinhalbjährige Paint-Stute CR Dancer. Ein Quarter-Horse soll muskulös und wendig sein, nervenstark, intelligent und leicht
… Micha und Bernie Zimmermann haben sich dem Westernreiten verschrieben. Ihre Spezialität sind Pferde der charakterstarken Reining- und Cowhorse- Linien. Viele Jahre beteiligten sie sich sehr erfolgreich am Turnierleben. trainierbar. Micha und Bernie Zimmermann ha- ben sich auf Pferde von charakterstarken Rei- ning- und Cowhorse-Linien spezialisiert. Das Ziel der Familie Zimmermann sind ab- solute Verlasspferde, die für alles zu haben sind und nicht gleich beim ersten flatternden Fastnachtswimpel erkennen lassen, dass sie ei- gentlich Fluchttiere sind. Die importierte Paint- Stute brachte vier eigene Fohlen zur Welt und kümmert sich bis heute rührend um den Nach- wuchs auch ihrer Stallgefährtinnen. Kurze Zeit danach kauften sich Zimmer- manns ihre erste Quarter-Horse-Stute, Bunny T. Lena, die ebenfalls mehrere Fohlen zur Welt brachte. 13 Jahre lang hatten Bernie und Micha Zimmermann teilweise fünf Pferde in Pension. Ein halbes Vermögen haben sie in dieser Zeit an Einstell- und Hallennutzungsgebühren ge- zahlt. 1999 hatten sie inzwischen vier Stuten, die sich alle haben decken lassen. Mittlerweile wurde es eng in dem Pensionsstall, doch dann hatte das pferdebegeisterte Ehepaar Glück: Nachdem sie fünf Jahre gesucht und 46 Häuser besichtigt hatten, fanden sie im Jahr 2000 end- lich, was sie suchten. In Heidenhofen wohnen sie jetzt mit ihren Pferden unter einem Dach und obwohl der ehemalige Bauernhof an der Straße liegt, geht es gleich hinter dem Haus in die freie Natur. Vor dem Umzug stand allerdings einiges an Aufwand: Das Haus war ein kompletter Sanie- rungsfall mit erheblichen Altlasten. Monatelang packten Freunde und Verwandte mit an, bevor sie endlich umziehen konnten. „Alles für die Pferde“, sagt Michaela Zimmermann lachend. Irgendwann fehlte noch ein passender Name für den Zuchtstall, aber nach kurzem Überlegen war auch der schnell gefunden: „Bluesand Hor- ses“ nach der – ebenfalls aus den USA impor- tierten – Australian-Shepherd-Hündin „Chan- ceys Blue Sand“. Mit elf Pferden sind sie damals umgezogen, haben noch Weiden gepachtet, die niedrigen, engen Ställe zur Sattelkammer umfunktioniert und den Pferden geräumige Boxen und hin- term Haus einen großen befestigten Auslauf gegönnt. Drei Mal am Tag versorgen sie die Pferde: füttern, misten, putzen und natürlich auch mit ihnen kommunizieren. „Das geht nur, wenn beide mitziehen“, sagt Michaela Zimmer- mann. Sie hat sich mittlerweile aus dem Turnier- leben etwas zurückgezogen. Wenn man Pferde am Haus hat, fehlt die Zeit, um auf Turniere zu gehen. Auch läuft im großen Sport mittlerwei- le einiges falsch, wie Michaela Zimmermann 265
Freizeit meint, was auch ihr Mann bestätigt. Der hatte als Späteinsteiger mit seinem eigenen Pferd gleich den Turbo eingelegt. Er besuchte ein Seminar nach dem nächsten, bis er selbst den Trainerschein hatte. Bis vor ein paar Jahren kor- rigierte er auch so genannte Problempferde, aber inzwischen sieht er es nicht mehr ein, ge- radezubiegen, was andere Menschen verbockt haben. Verlade- und Jungpferdetraining macht er noch und ab und zu gibt er Reitunterricht. Zu viel mehr reicht die Zeit nicht, denn einem anspruchsvollen Vollzeit-Beruf, der nichts mit Vierbeinern zu tun hat, gilt es auch noch nach- zugehen. Wäre Michaela Zimmermann mit Lasse nicht ins Lager der Westernreiter gewechselt, hät- te ihr Mann nicht mit dem Reiten angefangen. „Das ganze Äußere hat mir gefallen“, erinnert er sich. Aber nicht nur die Reitweise, auch die Pferde selbst haben es ihm angetan: „Western- pferderassen vereinen Athletik mit der Anhäng- lichkeit von Araberpferden.“ Ein Pferd für Olympia – Ursula Riester züchtet Württemberger Auch ziemlich anhänglich, wenn auch um ei- niges größer sind die Württemberger, die Ur- sula Riester sehr erfolgreich züchtet und dafür schon mit der Ehrenmedaille der Deutschen 266 Heidenhofen – Pferdedorf auf der Baar. Bei den Zim- mermanns hat sich Nachwuchs eingestellt. Reiterlichen Vereinigung ausgezeichnet wurde. Wer in den Paddock hinter dem Haus kommt, wird gleich von allen genauestens unter die Lupe genommen. Die Ärztin ist mit Pferden aufgewachsen, schon in der elterlichen Land- wirtschaft im Raum Offenburg wurden Pferde gezüchtet. Diese Erfahrung ist viel Wert, denn auf dem ehemaligen Bauernhof in Heidenhofen, den sie 2003 kaufte, kann die praktisch veranlag- te Pferdefrau das meiste selbst machen. Als erstes funktionierte sie den alten Kuhstall in einen Offenstall um, von dem aus ihre Pferde jederzeit Zugang zu dem großen Paddock ha- ben. „Das war mir sehr wichtig, denn ich bin im Beruf oft sehr eingespannt und komme nicht immer dazu, täglich zu reiten.“ So haben die Pferde Bewegung, geritten werden sie natürlich dennoch. „Dazu nutze ich die Reithalle von Ann.“ Tiere zu züchten bedeutet auch immer Ab- schied zu nehmen. Auch wenn sie aus langjäh- riger Erfahrung schon bei Fohlen sehen kann, ob Großes in ihnen steckt, war die Überra- schung dennoch ziemlich groß, als sie erfuhr, dass ein von ihr gezogenes Pferd bei den Olym- pischen Spielen in Athen startet. „Ich hatte es zunächst für einen Scherz gehalten“, sagt Ursula Riester. Als sie den „Gregory 75“ als
Vierjährigen im Landesgestüt Marbach verkauf- te, war ihr noch nicht ganz so bewusst, welch glänzende Karriere vor ihm lag. Zunächst star- tete er in Springprüfungen immerhin schon da- mals bis Klasse M. Mit einer deutschen Reiterin feierte er internationale Erfolge in der Dressur und brachte sie bis zum Goldenen Reiterabzei- chen. Auch das war schon eine reife Leistung, wenn man bedenkt, dass nur etwa ein Prozent aller in Deutsch- land gezüchteten Pferde im in ternationalen Sport mitmischt. Ein Olympia- Start ist dann natürlich noch das Sahnehäub- chen. Gre gory 75, in- Ursula Riester mit ihren Württembergern – die Ärztin ist mit Pferden aufgewachsen. zwischen nach Griechenland verkauft, startete mit einer griechischen Reiterin in der Dressur. „Ich hätte gerne zugesehen“, sagt sie, „es war jedoch leider aus beruflichen Gründen nicht möglich.“ Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal: Mit der Stute Delia, die im Mai 2011 gebo- ren wurde, steht eine neue Hoffnungsträgerin im Stall. Stephanie Wetzig Der Traum eines jeden Züchters ging für Ursula Riester 2004 in Erfüllung: Mit „Gregory 75“ startete ein von ihr gezogenes Pferd bei den Olympischen Spielen in Athen für Griechenland in der Dressur. 267
16. Kapitel Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Feine Küche und stilvolles Ambiente im Gasthof Engel Kulinarisches Aushängeschild im Schwarzwald-Baar-Kreis – Ausbildung hat einen hohen Stellenwert Weit über die Grenzen des Schwarzwald-Baar- Kreises hinaus ist der Gasthof Engel in Vöhren- bach bekannt – er ist deutschlandweit eine be- kannte und beliebte Adresse. Dafür sorgen nicht zuletzt die zahlreichen Restaurantführer, die die gute Küche sowie das geschmackvolle Ambien- te des Hauses hervorheben, die den Engel loben und auszeichnen. Zu verdanken ist dieses groß- artige Renommee Küchenchef Reinhold Ketterer und seiner Frau Ursula. 1544 erstmals urkundlich erwähnt Das genaue Alter des „Engel“ lässt sich heute nicht mehr feststellen. Erstmals urkundlich er- wähnt wurde er im Jahr 1544. Damals brannte der Gasthof bis auf die Grundmauern nieder. Er wurde aber am selben Standort, nur wenige Me- ter entfernt von einem der damaligen Stadttore, wieder aufgebaut. Im Jahr 1639 wurde der En- gel ein zweites Mal ein Raub der Flammen: Der 30-jährige Krieg tobte und schwedische Solda- ten drangen in Vöhrenbach ein. Sie plünderten die Stadt und legten Feuer. Nahezu alle Anwe- sen, darunter auch der Gasthof Engel, fielen den Flammen zum Opfer. Als Vöhrenbach im Jahr 1891 in der Nacht zum 31. Dezember zum dritten Mal in Flammen stand, war das Engelwirtshaus eines jener neun Häuser, die nicht beschädigt wurden. Aber nicht nur das Gebäude, son- dern auch die Familie ren Besitz sich der Gasthof bis heute in de- 268 268 Küchenmeister und Sterne-Koch Reinhold Ketterer in der Engel-Küche. befindet, kann auf eine lange Tradition verwei- sen. Der bekannte, im Jahr 1965 verstorbene Vöhrenbacher Gewerkschafter und Politiker Franz-Josef Furtwängler beschreibt das in der Vöhrenbacher Chronik wie folgt: „Ein und dieselbe Wirtsfamilie thront wie eine ägyptische Pharaonendynas- tie seit einem Vierteljahrtausend und ist bis heute dort“. Gemeint ist das Geschlecht Ganter-Ketterer, das aus der Familie Josef Ganter her-
Eine weit über die Region hinweg bekannte Adresse in Vöhrenbach ist der Gasthof Engel, welcher vom Wirteehepaar Reinhold und Ursula Ketterer liebevoll geführt wird. Vöhrenbacher Karnevalsgesellschaft. Sein Sohn Ernst Reinhold wurde der siebte Engelwirt. Des- sen ältester Sohn Reinhold Ketterer, der den Gasthof bis zum heutigen Tage führt, ist Engel- wirt Nummer acht. vorging. Dieser Engelwirt wurde im Jahr 1703 geboren. Bereits 20 Jahre vor seinem Tod über- gab er den Gasthof im Jahr 1762 an seinen Sohn Kaspar, der diesen bis ins Jahr 1836 führte. Auf ihn folgten Josef Ganter und dann sein Sohn Reinhold Ganter, der den Engel schließlich sei- ner Tochter Maria hinterließ. Im Jahr 1874 heira- tete diese den Spieluhrenmacher und Doppel- feldzugsveteran Reinhold Ketterer und so ging das Geschlecht der Ganter in das der Ketterer über, was sich bis zum heutigen Tag nicht mehr geändert hat. Der nächste Engelwirt war Ernst Ketterer, der im Jahr 1944 starb. Er arbeitete u.a. in Aachen und Düsseldorf als Veterinär, brachte die Rhei- nische Fasnet mit nach Vöhrenbach und hatte einen wesentlichen Anteil an der Gründung der Eine Reportage im „Spiegel“ – die Küche von Reinhold Ketterer Ernst Reinhold Ketterer, der den Gasthof bis zu sei- nem 82. Lebensjahr führte, widmete das Nachrich- tenmagazin „Der Spiegel“ zum 80. Geburtstag eine komplette Doppelseite. Schmunzelnd er- innert sich sein Sohn Reinhold Ketterer, dessen exzellente Küche der Anlass für diese Reportage war, an diesen Geburtstag, als sein Vater das Magazin aufschlug und sich selbst in seinem Gasthof an einem Tisch sitzend beim Lachs ent- gräten erblickte. Der gute Namen und die hervorragenden Einstufungen in den verschiedensten Restau- rantführern für eine hervorragende Küche ist 269
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis wie erwähnt auf die Leistungen des jetzigen Engelwirts Reinhold Ketterer zurückzuführen. „Mit acht Jahren be- kam ich meine erste Koch jacke und ich habe seither in der Küche mitge- holfen“, erinnert sich Reinhold Ket- terer. Seine Ausbildung absolvierte er ab 1967 im „Adler“ in Hinterzarten – seinerzeit mit das beste Hotel des Schwarzwaldes. Die Ausbildung schloss er als Klassenbester ab. Mit 24 Jahren war er bereits Küchenmeister. Auf Anfrage des damals besten Kochs in Deutschland, hatte Rein- hold Ketterer nach der Ausbildung die Möglichkeit, ins „Ritz“ nach Ber- lin zu gehen. Da jedoch sein Vater im Jahr 1966 erkrankte, musste er zurück nach Vöhrenbach in den En- gel und dem überaus interessanten und reizvollen Angebot des Spitzen- kochs eine Absage erteilen. Ein „gastronomisches Vorzeigeehepaar“ sind Reinhold und Ursula Ketterer, die den Gasthof Engel in Vöhrenbach mit sehr viel Freude, Hingabe und persönlichem Engagement führen. Durch zahllose Restaurantbesuche in Frank- reich und das Lesen etlicher Fachbücher bildete sich Reinhold Ketterer stets weiter. Restaurant- besuche in Frankreich ließen sich dabei sehr gut mit den beruflichen Pflichten verbinden. Schließlich musste der Vöhrenbacher Küchen- chef bis ins Jahr 1975/1976 jede Woche ins Elsass fahren um sich mit qualitativ hochwer- tigem Geflügel, Lamm oder Fisch einzudecken. „Dies war ein immens hoher Zeitaufwand und mit jeder Menge Schwierigkeiten verbunden“, erinnert sich Reinhold Ketterer. Besonders die Zollabwicklung hatte ihre Tücken. Einmal wurde er auf der Heimfahrt von zwei Zollbeamten bis nach Vöhrenbach verfolgt, da diese vermuteten, er wolle Ware illegal verschieben. Im Gasthof En- gel angekommen nahmen die Beamten schließ- lich den ganzen Weinkeller auseinander und lie- ßen sich erst beschwichtigen, als der damalige Bürgermeister die rechtschaffene Identität des Engelwirts bestätigte. Die Beschaffung frischer und qualitativ hochwertiger Ware verbesserte sich schließlich, als sich ab 1977 die ersten Fri- schemärkte in Deutschland bildeten. Seit jeher legt der Küchenchef höchsten Wert auf frische, qualitativ hochwertige Ware von aus- gesuchten Erzeugern. Fleisch aus dem Schwarz- 270 wald, Wild aus den heimischen Wäldern und Fisch vom Bodensee werden zubereitet mit den verschiedensten Kräutern aus dem eigenen, lie- bevoll gepflegten, nahezu 100 m² großen Gar- ten. Der befindet sich nur wenige Gehminuten vom Gasthof Engel entfernt direkt an einem sonnigen Platz an der Breg im sogennannten „Zigeunerländle“. In der Saison wird hier auch das Gemüse als Beilage frisch geerntet und selbst die Tischdekoration stammt von hier. Die Hege und Pflege des Gartens macht Reinhold Ketterer „sehr viel Spaß und ist gleichzeitig auch Hobby“, wie er erzählt. Auch lässt er sich hier inspirieren: So wird beispielsweise aus ei- ner mit Fisch oder Geflügel gefüllten Blüte des weiblichen Zucchini nach dem Überdampfen ein wahrer Augen- und Gaumenschmaus. Ein Michelin-Stern als Krönung für eine hervorragende Küche mit bestem Service Die hervorragende Küche, das schöne Ambiente und der vorbildliche Service sorgten und sorgen bis heute für zahlreiche Auszeichnungen in den verschiedensten Restaurantführern und ein- schlägigen Zeitschriften. Höhepunkt der Aus- zeichnungen war die Verleihung des begehrten
Gasthof Engel in Vöhrenbach kulär, aber die tollsten Sachen! Alles was ich so gerne esse, Kalbsbries et- wa. Ich habe das schwer gelobt und der Koch bekam einen Stern. Tja – den hat er wieder zurückgegeben“. Ein beachtliches Lob des renom- mierten Kritikers. Bis heute besucht Wolfram Siebeck regelmäßig den Gasthof Engel in Vöhrenbach. Ausbildung hat hohen Stellenwert Mit stilvollem Ambiente präsentiert sich die Gaststube des Vöhren- bacher Engel. Das Traditionshaus ist für gute Küche und perfekten Service – aber auch für die schöne Atmosphäre bekannt. Michelin-Sterns im Jahr 1991. 13 Jahre lang war der Gasthof des heute 63-jährigen Küchenmeis- ters mit diesem ausgezeichnet. Dann gab das Ehepaar Ketterer diese hohe Auszeichnung frei- willig wieder ab. Der Beweggrund: Im Schwarz- wald lebt die Gastronomie auch von Naturfreun- den, Wanderern und Einheimischen, denen der Sinn auch nach Hausmannskost, Brot und Schinken steht. Hat ein Gasthof jedoch einen Stern, signalisiert dieser, dass es hier „sehr fein und nobel“ zugeht. Dies traf auf den „Engel“ in Vöhrenbach zu keiner Zeit zu, wie auch der wohl bekannteste deutsche Restaurantkritiker Wolfram Siebeck in einem Artikel attestiert. Wir wollten einfach ein Landgasthof bleiben“, be- gründet das Wirteehepaar im Gespräch diesen nicht alltäglichen Entschluss. Der Journalist und Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck gilt zusammen mit Jürgen Dollase als bedeutendster deutscher Restau- rantkritiker. In einem Interview mit dem „Zeit- magazin“ antwortete er auf die Frage, „bereitet es Ihnen Vergnügen, Restaurants, die Sie entde- cken, bekannt zu machen?“: „Unbedingt, wobei das manchmal auch nach hinten losgeht. Ich habe auf einen Tipp von mehreren Köchen hin das Restaurant Engel in Vöhrenbach, mitten im Schwarzwald, besucht. Vollkommen unspekta- Einen sehr hohen Stellenwert hat im Engel seit jeher die Ausbildung. Wer bei Reinhold und Ursula Ket- terer seine Lehrjahre absolvieren kann, ist für die Zukunft bestens gerüstet. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Furtwanger Sebastian Zier. Er absolvierte von 1997 bis 2000 seine Lehre im Engel. Mittlerweile hat er sich im Gour- metrestaurant „La Mer“ auf Sylt neben etlichen anderen Auszeichnungen auch den ersten der so begehrten Michelin-Sterne erkocht. „Ich leite heute noch viele Dinge von dem ab, was ich im Engel gelernt habe“, berichtet der Sternekoch und ergänzt: „Eine Lehre im Engel ist eine Basis, auf die man ein Leben lang zurückgreifen kann. Im Engel gibt es keine Fertigprodukte. Alles wird dort selbst frisch zubereitet“, berichtet Sebas- tian Zier. Dabei werden die Auszubildenden im- mer voll mit eingebunden. Reinhold und Ursula Ketterer bezeichnet er als „gastronomisches Vorzeigeehepaar“. „Der Engel ist eine Philoso- phie und die Ketterers leben dafür. Eigentlich müsste man dafür bezahlen, eine Lehre im Engel machen zu dürfen“, ergänzt er respektvoll. So kann Reinhold Ketterer stolz auf seine Auszubildenden blicken. „Ich sehe, dass viele gezielt auf die Meisterprüfung hinarbeiten“ berichtet er. „Wir haben sehr viele junge Leute ausgebildet und es macht viel Spaß und Freu- de zu sehen, wie sie ihren Weg machen und in den Restaurants der Welt viel erreichen. Und gelegentlich besuchen die Ketterers ihre ehe- maligen „Schützlinge“ an ihren neuen Wir- kungsstätten – so auch vor kurzem Sterne-Koch Sebastian Zier auf Sylt. 271
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Die vielfach preisgekrönte Küche von Reinhold Kette- rer ist auch ein Augenschmaus. Auf der Speisekarte des Gasthofs Engel ist für jeden Geschmack ein treffendes Gericht zu finden: So ein Ligurischer Fischteller, Heilbutt, Steinbutt, Weiderind, Lamm, Wildgerichte und Kaninchenkeule – oder Engel-Klassiker wie Kalbsbäckle mit Züngle und Kalbskopf-Bren- nesselküchle, Leberle, Ochsenschwanzragout, Rumpsteak oder Maultaschen. Auch stehen für die Gäste variable Menüs – Engel-Menüs – kalte und warme Vorspeisen und vieles mehr zur Aus- wahl. Eine weitere Besonderheit ist das umfang- reiche Weinangebot, das über 350 Sorten der er- lesensten Weine der besten Jahrgänge umfasst. Äußerst fachkundig unterstützt Ursula Ketterer hier ihre Kundschaft und empfiehlt zu den jewei- ligen Speisen den passenden Wein. Neben den zahlreichen guten Kritiken und Auszeichnungen, mit denen das Vöhrenbacher Restaurant immer wieder ausgezeichnet wird, 272 erfuhren im Februar 2011 die Maultaschen des Engels eine besondere Würdigung: In der Zeit- schrift „Beef“ wurden Gerichte aufgeführt, die man „unbedingt einmal im Leben gegessen haben sollte“. Dazu zählten auch die Maulta- schen aus der Küche von Reinhold Ketterer. Die Zeitschrift beschreibt dies so: „Familie Ketterer kocht die Schwarzwaldklassiker mit saisonalen Einflüssen. Im Frühling gibt es die Maultaschen mit Bärlauchsauce und im Herbst mit Pilzen in Rahm“. Wie bekannt das Vöhrenbacher Restaurant ist, zeigt auch die Tatsache, dass eine „Stern“- Fernsehreportage im Jahr 2011, die sich mit ge- hobener Gastronomie befasste, etliche Minuten lang den Vöhrenbacher Traditionsgasthof vor- stellte und würdigte. Mit Blick auf die lange und eindrucksvolle Reihe gastronomischer Auszeichnungen und Erfolge stellte Reinhold Ketterer fest, dass dies alles nicht möglich gewesen wäre, wenn sei- ne Frau Ursula nicht so engagiert mitgezogen hätte. „Ich bin der Küchenmeister und sie der Restaurantmeister“, erklärt er. Und zweifellos können sich Vöhrenbach und der Schwarzwald- Baar-Kreis glücklich schätzen, einen „gastrono- mischen Leuchtturm“ wie den Gasthof Engel, der von Einheimischen sowie nationalen und in- ternationalen Gästen gleichermaßen geschätzt wird, vorweisen zu können. Markus Hummel Winteridylle – das Gasthaus ist auch äußerlich ein stolzes Traditionshaus und hat für die Stadt Vöhren- bach große Bedeutung.
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Das „Bistro“ ist zu, eine Ära zu Ende „Gisela“ alias Gisela Hofele war mehr als Wirtin – Villinger Kultkneipe bestand 40 Jahre „Bei Gisela brennt noch Licht!“ Dieser Satz war für Jahrzehnte ein geflügeltes Wort in der Villin- ger Kneipen- und Kulturszene. Er fiel nach dem oft späten Ende von Proben, Konzerten, Thea- tervorstellungen und läutete den kollektiven Abschluss einer langen Nacht im Bistro ein. Die legendäre Kultkneipe in der Villinger Altstadt wurde rund vier Jahrzehnte lang von Gisela Ho- fele geführt, die dem Bistro fast ihr gesamtes Berufsleben widmete und in dieser Zeit für die Gäste weit mehr war als die Wirtin im Stamm- lokal. Gisela, wie sie von allen genannt wurde (die wenigsten kannten ihren Nachnamen), war Beichtmutter, Seelentrösterin, Beraterin, die ihre Stammgäste treu durchs Leben begleitete und nicht selten Lieblingswirtin auch für deren Kinder und Enkel war. Das langsame Ende des Bistros zog sich über das Jahr 2010 hin und be- deutete für die Kneipenlandschaft eine nach- gerade historische Zäsur. Der kollektive Ab- schiedsschmerz spiegelt sich in einem Bildband Blick ins „Bistro“ – die Kultkneipe in der Villinger Altstadt hat ihre Pforten geschlossen. wider, den Stammgäste nach dem endgültig allerletzten Bier auch als Hommage an die all- seits geschätzte Wirtin herausgegeben haben. Bei aller Wehmut ist Gisela Hofele froh, dass die Zeit vorbei ist. „Es war genug,“ kommentiert sie knapp. Jetzt ist sie 62 Jahre jung und hat endlich Zeit für eigene Bedürfnisse. D-Mark-Preise einfach halbiert Alles ändert sich, nur das Bistro nicht: Die Be- ständigkeit des gemütlichen Lokals in der Villin- ger Altstadt war sein eigentliches Faszinosum. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein, seit rund 40 Jahren war zuverlässig alles gleich: Einrichtung, Musik, Getränke, Speisekarte und vor allem die Wirtin. Auch die Preise blieben in der „Ära Gisela“ annähernd gleich, nach der Währungsumstellung wurden die D-Mark-Preise in etwa halbiert und bestenfalls moderat nach oben aufgerundet. So kam es, dass sich die äl- ter werdende und nachfolgende Jugend einen Bistrobesuch selbst während persönlicher Fi- nanzkrisen leisten konnte und wenn die Zeche 273
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis einmal größer war als das abendliche Budget, durften Stammgäste ausnahmsweise anschrei- ben lassen. Gisela merkte sich die Schulden im Kopf, ihr Gedächtnis war ohnehin phänomenal. Sie vergaß nichts, wusste stets, wer was wo ge- trunken hatte – auch Sitzplatzwechsel wurden zuverlässig registriert und innerlich notiert. Es hatte darum überhaupt keinen Zweck, mit ihr über die Anzahl der getrunkenen Biere zu disku- tieren, was mancher Gast wider alle Erfahrung gelegentlich versuchte. Gisela wusste es stets besser als die Konsumenten. Gisela Hofele am Tresen im Bistro. 36 von 42 Bistro-Jahren stand sie hinter dem Tresen, ein treuer Fels in der Brandung unserer schnelllebigen Zeit, wachte als Wirtin über die Gäste und deren öffentliches Wohnzimmer, das Wärme und Geborgenheit verhieß. „Wer nichts wird, wird Wirt…“ beantwortet sie grin- send die Frage nach ihrem Werdegang. Der war von wirtschaftlichen Zwängen, nicht von den eigenen Wünschen bestimmt. Nach der Haupt- schule hätte Gisela Hepting gern den Beruf der Kinderkrankenschwester gelernt. Doch die Vil- linger Großfamilie konnte es sich nicht leisten, ein Lehr lingsmädel umsonst durchzufüttern. Die 15-Jährige wurde von Vater Helmut als Küchen- hilfe in den Villinger Antoniuskeller vermittelt. 274 Diese Entscheidung stellte sie nie in Frage, son- dern fügte sich im festen Entschluss, ihr Bestes zu geben. „Früher wurde gemacht, was der Vater sagte. Das war einfach so.“ Ihr Chef Klaus Faller erkannte bald, dass sein neues Küchenmädle zu mehr fähig war als nur zum Spülen und Karotten schnippeln. Ob- wohl die recht kurz gewachsene Gisela einen Schemel brauchte, um in die riesigen Töpfe gu- cken zu können, wurde sie bald als vollwertige Kraft ins Küchenteam integriert. Sie lernte viel von den Profi-Köchen, war bald selbständig am Herd zugange und auch für Einkauf und Organi- sation zuständig. Nachdem sie sich zehn Jahre lang im Anto- niuskeller bewährt hatte, vertraute ihr Klaus Faller 1971 die Leitung des Bistros an, das er drei Jahre zuvor eröffnet hatte. Gisela war in- zwischen alleinerziehende Mutter eines dreijäh- rigen Sohns. Dirk wuchs in der Kneipe auf, die in jenen Jahren auch als Spielplatz für den Fami- liennachwuchs fungierte, denn Giselas Brüder und Schwestern pflegten ihre Kinder nachmit- tags ebenfalls zu „Tante Lala“ zu bringen. Dann war im Bistro noch wenig los, die Wirtin war in der Küche beschäftigt und bediente die ersten Gäste, während die Kinder im Lokal spielten. Vor dem Abendbetrieb wurden sie heimgebracht, Dirk wurde von Onkeln und Tanten betreut oder von einem Kindermädchen. „Leicht war die Zeit nicht,“ rekapituliert Gisela die damalige Mehr- fachbelastung, die oft eine Überlastung war. Anfangs war das Bistro täglich von 14 bis 2 Uhr geöffnet, später von 15.30 Uhr bis 1 Uhr, einen Ruhetag gab es nicht. Oft hatte sie erst um drei Uhr morgens Feierabend, musste sich wenige Stunden später bereits um den Sohn kümmern. „Ich hatte chronischen Schlafmangel.“ Kultureller und politischer Szenetreff Gleichwohl liebte sie ihre Arbeit, liebte die Kneipe und die Gäste: „Das Bistro war mein Le- ben.“ Klaus Faller hatte ihr bald das Regiment überlassen und sich auf die Ausstattung der Kneipe mit Kunst und Kuriositäten konzentriert. Das Lokal war im Zeitgeist der Studentenbewe- gung verhaftet und entwickelte sich zum kul-
turellen und politischen Szenetreff jenseits der etablierten Kreise. Die Wirtin war anfangs tief beeindruckt und auch geblendet von intellek- tuellen Debatten und hitzigen Wortgefechten, die zum Feier abendbier ausgetragen wurden. „Ich lernte beim Zuhören.“ Bald lernte sie auch heiße Luft von echtem Gehalt der Gespräche zu unterscheiden und verstand vor allem, „dass Intelligenz und Bildung zwei Paar Stiefel sind.“ So reifte ihre Persönlichkeit in der Position hinter dem Tresen, die ihr auch die Macht ver- lieh, Bier zu verweigern und Betrunkene mit schlechten Manieren des Lokals zu verweisen. Allmählich wurde die junge Frau selbstbe- wusster, verschaffte sich Respekt, gewann das Vertrauen der Stammgäste und schloss mit et- lichen anhaltende Freundschaften. Gleichwohl wurde ihr irgendwann der Bistro-Kosmos zu klein, sie sehnte sich nach neuen Welten und neuen Aufgaben und zog mit dem kleinen Sohn nach Lörrach. Doch dort plagte sie Heimweh und als Klaus Faller sie nach neun Monaten um Rück- kehr bat, folgte sie dem Ruf ihres Herzens. Mit neuer Wertschätzung nahm sie ihre alten Auf- gaben wieder auf. „Mir wurde bewusst, dass ich für viele Menschen wichtig war und gebraucht wurde. Das war ein gutes Gefühl.“ Eine Lebensbegleiterin der Gäste Neidisch auf ihre Gäste, die geregelte Arbeits- zeiten hatten, Karriere machten, weite Reisen unternahmen, war Gisela nie. „Ich wehrte mich nicht gegen mein Leben, sondern versuchte, das Beste daraus zu machen.“ Im Laufe der Jahre hatten sich die Gäste der ersten Stunde im gesellschaftlichen Leben etabliert, aus den wilden 68er Rebellen waren mehr oder weniger brave Lehrer, Banker oder Verwaltungsange- stellte geworden, die Kulturszene freilich blieb die Kern klientel. Für die Gäste änderte sich das Leben, sie absolvierten ihre Stationen – Lehre, Studium, Beruf, Arbeitslosigkeit, Krisen, Höhen- flüge, Abstürze. Die Wirtin blieb an ihrem Platz, schenkte Bier aus, kochte, servierte, kassierte und hörte zu. Sie erlebte erste Verliebtheiten mit, Hochzeiten, Geburten, Scheidungen, Krank- heiten und Tode. Sie tröstete bei Pech und Trau- Das „Bistro“ ist zu er, bangte bei bevorstehenden Prüfungen mit, gratulierte zu Erfolgen. Nach 25, 30 Jahren geisterte dieser Gedanke immer häufiger durch ihren Kopf: „Ich war da unten in meinem Reich und draußen rauschte das Leben an mir vorbei.“ Der Sohn war längst erwachsen und ging seinen eigenen Weg, da träumte Gisela immer häufiger von mehr pri- vater Zeit. Die verbringt sie jetzt mit ihrem Ehe- mann Günther Hofele, auch er ein gebürtiger Villinger. 2003 haben die beiden geheiratet, nachdem sie einander 20 Jahre fast täglich im Bistro begegnet waren, ohne ein Paar zu sein. Gisela blieb dem Bistro treu, doch das hat- te seinen Zenit überschritten. Mehr und mehr Stammgäste blieben fort, ihre Kinder und Kin- deskinder verlustierten sich verstreuter, die Kneipenmeile in der benachbarten Färberstraße wurde lang und länger. Gisela hielt die Stellung, verzichtete auf Aushilfskräfte, ohne die der konstante Ansturm in den Jahren davor nicht zu schaffen gewesen wäre. Das langsame Sterben des Bistros begann 2009 mit dem vorübergehend strikten Rauch- verbot in Deutschlands Gastronomie. Die Luft im Bistro war plötzlich klar, den meisten Rauchern war’s draußen zu ungemütlich. Sie blieben weg, mit ihnen immer mehr Nicht-Raucher, zum Schluss war das Lokal nur noch zur Abendbrot- zeit überfüllt, wenn hungrige Singles mit ma- gerer Geldbörse sich mit Giselas Köstlichkeiten günstig den Magen füllten – und verschwanden. In einer Stunde verließen nicht selten 30 bis 40 gefüllte Teller die Küche, das bedeutete Stress pur. Nach dem Abwasch folgte gähnende Leere. „Es machte mir keinen Spaß mehr“, fasst Gisela ihre innere Befindlichkeit in der letzten Bistro- Phase zusammen. Irgendwann beschloss Klaus Faller, dass die Vorräte ausgetrunken und nicht mehr aufgefüllt werden sollten. Dann war Schluss. „Fermé“ verkündete der Eigentümer in charmant-fal- schem Akzent auf einem Zettel im Fenster neben dem Eingang, „Zu“, „Closed“, „Danke“, „Es war schön“ umrahmte er seinen handschriftlichen Abschied. Für Gisela begann ein neuer Lebens- abschnitt. Jetzt hat sie Zeit für alles, wovon sie vorher nur gehört und geträumt hat. Christina Nack 275
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Zu Gast im „Schänzle“ Das Kulturdenkmal auf dem 1.163 m hohen Rohrhardsberg erfreut Wanderer und Biker Ob dem arbeitslosen Schreinermeister Josef Burger jemals in den Sinn gekommen ist, was er für die Nachwelt schuf, als er in den 1930er-Jahren begann, eine Hütte oberhalb seiner Heimatstadt Elzach zu errichten? Eine Zuflucht und Übernachtungsmöglichkeit für Wanderer und Naturfreunde sollte es werden, die den Nordosthang des Rohrhardsbergs bis auf 1.152 der insgesamt 1.163 Höhenmeter erklommen hatten. Heute sitzen an einem schönen Wochenende über 150 Wanderer oder Mountain-Biker vor oder im „Schänzle“ und genießen den einmaligen Blick. Kein zweiter Aussichts- punkt im Landkreis hat eine ähnlich spektakuläre Kulisse zu bieten. „Aber alles hängt auf dem Rohrhardsberg am Wetter“, erzählt Wirt Anton Hettich, der das „Schänzle“ zusammen mit seiner Familie nebenberuflich betreibt, denn im Hauptberuf sind die Hettichs nach wie vor Landwirte. Josef Burger Ob die Hettichs vom Schänzlehof geahnt ha- ben, dass es Ihnen nie mehr gelingen würde, diesen Flecken am Rand ihres landwirtschaft- lichen Anwesens für Wald- oder Weidenutzung zurückzugewinnen? Josef Burger hatte das Grundstück damals für eine überaus beschei- dene Pacht von gerade drei Mark im Jahr erhal- ten – heute immerhin lohnt sich Burgers-Pio- niergeist auch für die Familie Hettich: Die Gast- stätte sichert ihr auf einem Landstrich mit gut und gerne sechs Monaten Winter ihre Exis tenz als Höhenlandwirte. Nicht von ungefähr hatten sich Josef und Anna Burger gerade den Rohrhardsberg als Standort ausgesucht, wo sich im 17. Jahrhun- dert die Kämpfer im Krieg gegen die Schweden verschanzt hatten. Weit und breit gab es keine Einkehrmöglichkeit für Wanderer und als Aus- sichtspunkt schien der Standort geradezu ideal zu sein. Josef Burger wagte am 28. Oktober 1932 den ersten Spatenstich und schon am 6. Dezember des Jahres konnte das damals noch sehr einfache Gasthaus aufgerichtet werden (siehe Foto auf der Seite rechts). 276
Die „Schwedenschanze“ Die 1932 eröffnete „Schwedenschanze“ und das Gasthaus heute. Die Familie Hettich hat dem weithin bekannten Wander- und Mountain-Biker-Treff sein heutiges Gesicht gegeben. Im Dritten Reich dann waren die Burgers plötzlich Verfolgte: Von den Machthabern wur- de ihnen die Hütte geschlossen, da sie als ein Ort der Verschwörung katholischer Jugend- gruppen galt. Nur der ausbrechende Zweite Weltkrieg verhinderte Maßnahmen, die einer Enteignung gleichgekommen wären. Nach dem Krieg hat mancher Heimkehrer vom „Burger- Sepp“ nicht nur ein Vesper bekommen, son- dern dort zuerst erfahren, wie es daheim aus- sieht. Das Gästebuch der Schwedenschanze enthält viele Einträge von Menschen, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit hier oben Hilfe be- kamen. Zurück zu den Anfängen: Es brauchte eine gehörige Besessenheit, Baumaterial, Werkzeug und Verpflegung im Rucksack die Strecke von Yach hinaufzuschleppen, um auf dem höchs- ten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises eine Berghütte zu bauen und die Gaststube dann nach allen Regeln der Schnitzkunst geradezu überreich auszugestalten. Diese Schnitzereien sind das Werk von Anton Herr aus Yach, der sie über Jahre hinweg vorzugsweise im Winter geschaffen hat. Blick aus der „Schwedenschanze“ über den Schwarz- wald-Baar-Kreis hinweg. Unten im Tal steht der Schänzle- hof der Familie Hettich, die auch das „Schänzle“ umtreibt. Wann immer sie es können, genießen die Gäste ihre Rast auf dem Rohrhardsberg in 1.152 m Höhe im Freien. 277
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Die Wirtsleute Anton und Margaretha Hettich hinter dem Tresen der „Schwedenschanze“. Unten: Blick in die reich verzierte, gemütliche Gaststube. Auch das Betreiben der Gaststätte war lan- ge Zeit ein „Abenteuer“: Josef Burger musste viele Jahre lang alle Lebensmittel und die vie- len Dinge des täglichen Bedarfs nicht selten im Rucksack vom Tal heraufschleppen. Erst 1948 wurde das „Schänzle“ an die Stromversorgung und wieder zehn Jahre später an das Telefon- netz angeschlossen. Welche Naturverbunden- heit Josef Burger besessen haben muss, das kann wohl nur derjenige ermessen, dem be- wusst ist, was es bedeutet, in dieser Höhenlage den Naturgewalten ausgesetzt zu sein. Im Win- ter war Burger von der Außenwelt monatelang geradezu abgeschnitten, da war für ihn der nur 100 Meter tiefer liegende Schänzlehof der Familie Hettich oft überlebenswichtig, wenn es um das Beschaffen frischer Nahrungsmittel oder anderer Hilfeleistungen ging. Josef Burger verstarb am 23. April 1987 in der „Schwedenschanze“ auf dem Rohrhards- berg und fand auf dem Elzacher Friedhof seine letzte Ruhestätte. Das kinderlose Ehepaar Anna und Josef Burger hinterließ ein beträchtliches Vermögen. Die Josef-Burger-Stiftung der Stadt Elzach erfüllt heute den im Testament des Stif- tungsgebers festgehaltenen Willen, dass „die Zinsen aus dem Bargeld und Sparguthaben zur Ausbildung und Förderung begabter Söhne und Töchter von Bürgern, die die dazu erfor- derlichen Kosten nicht aufbringen können, bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres der Geför- derten zu verwenden sind“. Umgeben von Schnitzwerk – geschätzte Schwarzwälder Gemütlichkeit „Hoch auf dem Berg und tief verschneit herrscht drinnen die Gemütlichkeit“. So steht’s zu lesen, ins hellbraun gebeizte Holz geschnit- ten. Und wirklich, auf eine ganz besondere Art von Gemütlichkeit kann sich jeder freuen, der es zu Fuß, auf Brettern oder mit dem Bike bis hierher geschafft hat. Der nächstgelegene 278
Die „Schwedenschanze“ Parkplatz für Autos ist gute zwei Kilometer weit weg. Rüstige Rentnertouristen aus Schonach etwa gehen dort aus und ein, Bike-Fanatiker aus dem Tal – oder Langlaufgenießer, die es über die Route Martinskapelle hinaus bringen. Wer vorm Eingang Ski oder Wanderstöcke abgestellt und die Stube betreten hat, sieht sich von goldbraunem Holz umfangen, nur das breite Band der Sprossenfenster lässt hinter den hellen lockeren Gardinen das Licht vom südlichen Himmel hereinscheinen. Die Tische dort vorn sind am beliebtesten zum Sitzen; aber auch von den seitlichen Bänken und Ti- schen hat man den Blick frei auf die prächtige Theke: Eine breite Schabracke aus Holz schirmt die Schank ecke von der Decke her ab: In tiefem Relief geschnitzt sind Wurzeln und Laubwerk zu sehen, auf dem sich allerlei Waldtiere ver- sammelt haben. Ein Auerhahn scheint jeden anpicken zu wollen, der vor dem mächtigen Schanktisch steht. Auch der bietet das Bild einer Waldidylle mit äsendem Wild samt Pil- Auerhahn und Skiläufer, Musikanten und Wanderbur- schen: Schnitzwerk im Stil der 1930er-/1940er-Jahre, geschaffen durch Anton Herr aus Yach. zen im Unterholz. Nicht genug damit, ranken sich an den Pfosten des Regals im Hintergrund nochmals Tannenzweige als niemals welkende Dekoration. Wer die Wärme sucht, kann gleich daneben auf der Bank vor dem Kachelofen Platz neh- men und wird von einer dreiflammigen Lampe über dem Tisch beleuchtet. Zwei der Glühbir- nen stecken in geschnitzten dicken Tannen- bäumen. Sie flankieren einen Skiläufer, der konzentriert in „Christiania“-Haltung und mit Stockeinsatz einen sanften Hang nimmt. Er ist in Winterkleidung unterwegs, die noch nichts von Windschnitt weiß, geschweige denn von Mikrofaser-Komfort. Und hinter dieser Szene lädt das Gestänge rings um den Ofen zum Klei- dertrocknen ein – heutzutage meist vergebens. 279
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Anna Hettich, Tochter der Wirtsleute, serviert die def- tigen Vesper aus meist eigener Produktion. Über einem anderen Seitentisch zeigt ei ne schwere Leuchte wie auf einer Drehbühne vier Musikanten in Aktion: Mit Cello, Bass geige, Fiedel und Klarinette hocken sie auf einem dicken Holzreif, der um eine hölzerne Laterne gelegt ist. Die Vier brauchen aber gar nicht zu spielen, denn ein Lautsprecher, in die gegen- überliegende Wand eingelassen, bezeugt, dass die Möglichkeiten der musikalischen Unter- haltung zur Entstehungszeit dieser Gaststätte durchaus nicht „von vorgestern waren“. Aber auch hier ist das technisch Notwendige mit Ge- schichten aus der Wälderwelt verkleidet: Die Lautsprecheröffnung, mit golddurchwirktem Stoff bespannt, stellt den Schalltrichter eines Horninstruments dar, das von einem Waldwich- tel geblasen wird. Wanderfreunden, die sich in die Bilderwelt der Volkskunst der 1930er- und 1940er-Jahre versetzen lassen wollen, sei empfohlen, sich Zeit zu nehmen für einen Besuch im Schänzle, denn dort erzählt selbst jede Stuhllehne ei- ne andere geschnitzte Geschichte! Zahlreich sind aber auch die Lehr- und Mahnsprüche, die als Relief-Täfelchen über die Wände ver- teilt angebracht sind. Zwei Raufbolde hat der Maskenschnitzer Burger beispielsweise in Re- lief gefasst – mit dem lapidaren Spruch dazu: „S’isch nur, wie me mit de Leut‘ schwätzt“. Und wie das Schnitzwerk zu interpretieren ist, auf dem ein gehörntes Tier auf einen zu Boden 280 stürzenden Mann herunter schaut, bleibt dem Betrachter überlassen: „Der Bock auf seine alte Tage, ka‘ der Ochse nit vertrage“, steht darun- ter. Vesper, hausgebackener Kuchen oder Butterbrot mit eigenem Honig Ach, nebenbei bemerkt, wollten Sie, lieber Gast, sich eigentlich auch noch stärken? Nicht nur der Kachelofen wärmt im Winter die Skiläu- fer auf, auch eine deftige Graupensuppe mit Speck bringt frische Kräfte. Kaltes wie Speck- vesper und gerauchte Bratwurst geht ganzjäh- rig über die Theke. Immer gibt es zum Kaffee oder Tee auch hausgebackenen Kuchen oder ein Butterbrot mit Honig. Außer Bier, Wein und Schnäpsen kann man einfach „Hahnenwasser“ haben, das im Glaskrügle serviert wird. Speis‘, Trank und Ofenwärme – und auch die originelle Ausstattung – was wären sie ohne die Wirtsfamilie Hettich! Während eine Tochter, so stilvoll wie adrett im Dirndl – aber entschieden flinker und freundlicher als jede Oktoberfest Kellnerin – die Gäste bedient, ist „der Anton“ immer für alle ansprechbar, stets in der prächtigen Lederhose mit kariertem Hemd, steht er am Tresen oder sitzt am Mittel- tisch. Ehefrau Margaretha Hettich im Küchen- hintergrund sorgt unermüdlich für nahrhaften Nachschub. Der „geborene Wirt“ ist im Hauptberuf ein leidenschaftlicher Landwirt Gern lassen sich Neulinge in die Gespräche zwischen Wirt und Stammgästen einbeziehen, erfahren so nebenbei allerhand Wissenswertes über das Wetter, die Wirtschaft oder die Wan- derroute. Der „geborene Wirt“, möchte man meinen, dabei ist Anton Hettich im Hauptberuf Landwirt, der den Sommer über nur am Wo- chenende und an Feiertagen sein Gehöft aus der Vogelperspektive sieht – wenn er dazu überhaupt Zeit findet, denn da können beim richtigen Wetter gut und gern 80 Leute den Gast – raum füllen und bald ebenso viele die Tische
Die „Schwedenschanze“ Der 1.030 Meter hoch gelegene Schänzlehof der Fa- milie Hettich auf dem Rohrhardsberg ist der höchst- gelegene Bauernhof in Baden-Württemberg. vor dem Haus besetzen. Im Winter wieder um ist die Schwedenschanze nahezu jeden Tag geöff- net, da gibt es auf dem Schänzlehof weniger zu tun als den Sommer über. Hettichs sind seit Generationen auf dem Schänzlehof daheim. 104 Hektar Grund gehö- ren dazu, steil fällt eine Mulde vom Gasthaus nach Norden ab, läuft aus in flacheres Weide- land, auf dem die Dächer zweier Gebäude mit einer Kapelle zu sehen sind. Nur ein schmaler Weg verbindet Hof und Gasthaus und auch der lässt keinen Autoverkehr zu. Ebenso wenig wie die Straße, die vom Hof zu den wenigen weite- ren Nachbarn und dann in Richtung Wald und Skiliftstation führt. Leicht einzusehen, dass in dieser Abgeschiedenheit und bei diesem Klima eine Vollerwerbslandwirtschaft kaum Bestand haben kann. Auch an die Direktvermarktung der Produkte, etwa in Schonach, ist nicht zu denken. Es war also dringend notwendig, einen Nebenerwerb zu finden, als Anton Hettich den elterlichen Hof übernahm. Naturschutzgebiet erföffnet Möglichkeit zum Erhalt der „Schwedenschanze“ als Gasthaus Nun war nach dem Tod des Hütten-Erbauers Josef Burger das „Schänzle“ verwaist. Bereits 1984 war das Gasthaus „Schwedenschanze“ zum Kulturdenkmal erklärt worden, an Abriss und damit Rückgewinnung für die landwirt- schaftliche Nutzung der Fläche war also nicht zu denken, da das öffentliche Interesse an dem heimat- und kunstgeschichtlich interessanten Gebäude enorm groß war. Die Gemeinde Schonach hatte das Gebäu- de geerbt und Bürgermeister Haas suchte dringend einen Interessenten als Betreiber der Wirtschaft. Hettich hatte zwar in seiner Schul- zeit als Helfer beim Skilift Rohrhardsberg den Umgang mit Touristen und Sportlern geübt und Freude daran gehabt, doch keineswegs hätte er sich als Grundstückseigner darauf einlassen wollen, eine Ausflugsgaststätte zu führen, bei der abends Coladosen oder Plastiktüten vom Parkplatz einzusammeln wären… Da kam ihm die aktuelle Entwicklung ent- gegen: Das Gebiet Rohrhardsberg /Obere Elz sollte im Rahmen des „LIFE-Projektes“ (sie- he auch Seite 226) zum Naturschutzgebiet 281
Stätten der Gastlichkeit Anton Hettich führt die Kälber auf die Weide – rund 30 Kälber stehen im Stall des Schänzlehofes. Auch in über 1.030 Meter Höhe, so hoch liegt der Schänzlehof, kann man einen Bauerngarten bewirtschaften, wie Margaretha Hettich mit Stolz vermerkt. Entscheidend ist das Wissen um die Möglichkeiten, betont sie. 282
werden, zu einer Zone also, die auf Gleich- rangigkeit von Naturschutz und Erholung aus- gerichtet ist. Zweck ist die Erhaltung der ty- pischen, durch Einzelhofsiedlungen geprägten Schwarzwaldlandschaft mit ihren großflächi- gen Waldgebieten, Wiesen, Mooren, Weiden oder Felsgruppen und dem tief ins Urgestein eingeschnittenen Oberlauf der Elz. Die Land- schaft gilt als zusammenhängender Raum von besonderer Eigenart, der zugleich eine bedeu- tende Erholungsfunktion mit überregionalem Einzugsbereich erfüllt. Naturschutz ist für die Hettichs das „dritte Standbein“ Dr. Bernd-Jürgen Seitz von der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Freiburg fasst die Bereitschaft der Hettichs, hier feder- führend mitzuwirken, wie folgt zusammen: „Als 1997 das Gebiet ‚Rohrhardsberg – Obere Elz‘ als 900. Naturschutzgebiet in Baden-Würt- temberg im Rahmen einer Festveranstaltung ausgewiesen wurde, saß der Landwirt Anton Hettich vom Schänzlehof in der ersten Reihe. 100 % der Fläche seines Hofguts – des höchst- gelegenen im Mittleren Schwarzwald – befan- den sich nun im Naturschutzgebiet. Anton Hettich war darüber nicht traurig, hatte er doch in der Vergangenheit gute Erfah- rungen mit dem Vertragsnaturschutz gemacht, wie es auf der Internetseite des „Schänzle“ geschrieben steht. Neben den landwirtschaft- lichen Fördermitteln und den Einkünften aus dem idyllisch gelegenen Gasthaus „Schweden- schanze“ war der Naturschutz sozusagen zu seinem „dritten Standbein“ geworden.“ Anton Hettich schildert, für 32 ha seiner insgesamt 50 ha Grünland – darauf befinden sich die reichsten Arnika-Vorkommen des ge- samten Mittleren Schwarzwaldes – bot ihm die Naturschutzverwaltung einen Pflege- oder Ex- tensivierungsvertrag an. Dieser beinhaltet eine extensive Beweidung oder Mahd der Flächen und damit eine naturschutzgerechte Bewirt- schaftung nach dem Motto „Schutz durch Nut- zung“. Auf der anderen Seite garantiert dies aber auch die Offenhaltung der Landschaft und Die „Schwedenschanze“ beschert den Besuchern herrliche Ausblicke. „Die Arnika wäre heute wohl nicht mehr da, wenn mein Vater immer auf die verschiedenen Berater gehört hätte“, so Anton Hettich über die früheren Empfehlungen, die Produktion zu intensivieren. Ursprünglich war der Schänzlehof wie die meisten Schwarzwaldhöfe ein Milchviehbe- trieb. Da er sehr abgelegen ist und im Winter manchmal kaum erreichbar, wurde die Abho- lung der Milch irgendwann eingestellt, es blieb nur noch die Produktion von Butter. Die bei der Butterproduktion übrigbleibende Mager- milch wird an die Kälber verfüttert. Ansonsten bekommen die Tiere nur das eigene Heu und zusätzlich etwas Getreideschrot, ebenfalls aus eigener Erzeugung. Auf der Weidefläche von rund 25 ha stehen etwa 15 Kühe und 30 Kälber (Quelle: www.schaenzle.com). Eine wichtige Rolle spielt zudem die Wald- wirtschaft. Hierbei und bei der Führung des Hofes setzt Anton Hettich besonders auch auf seinen Sohn Phillip, der als Nachfolger bereitsteht, den Hof samt „Schänzle“ weiter- zuführen. „Eigentlich betreiben wir hier Land- wirtschaft wie vor hundert Jahren“, resümiert der Bauer, „mit Muttertierhaltung, Handmahd und weitgehend eigener Verarbeitung der Pro- dukte.“ Bis jetzt ist auf dem Rohrhardsberg das Konzept der Landesregierung aufgegangen. Auf eindrucksvolle Weise wird hier Naturschutz mit aller Konsequenz „gelebt“. Und letzten Endes ist damit auch ein Ziel des einstigen Er- bauers erreicht. Der hat bereits vor nunmehr 70 Jahren auf den großen Wandreliefs zu bei- den Seiten des Fensterbands in der „Schwe- denschanze“ um Naturschutz geworben. Das Relief zeigt eine Familie, die alles aus dem Bo- den herausreißt, was ihr an Blumen so gefällt. „Muss das sein?“ steht in großen Lettern mah- nend darunter. Sicher war Josef Burger auch ei- ner der ersten Naturschützer im Landkreis! Mit der Familie von Anton Hettich hat Josef Burger würdige Nachfolger gefunden, die sein Lebenswerk lebendig halten und in eine gute Zukunft führen. Denn der Schänzlehof und die Schwedenschanze sind eine Einheit. Elke Schön / Wilfried Dold 283
17. Kapitel Sport Langenwaldschanze: Sprünge bis zu 110 Metern sind möglich Investitionen von 2,25 Mio. Euro sollen den Weltcup der Nordischen Kombinierer sichern Ministerpräsident, Abgeordnete aus Bundes- und Landtag, Olympiasieger, Präsidenten aus Sportverbänden und mehrere Bürgermeister kamen. Die Anwesenheit von so viel Prominenz unterstrich deutlich, welche Bedeutung dieses Projekt für den Schwarzwald-Baar-Kreis hat: Am 5. Januar 2011 wurde in Schonach die umgebaute und erneuerte Langenwaldschanze eingeweiht. Sprünge bis zu 110 Metern sind fortan möglich. Das 2,25 Millionen Euro teure Projekt soll sicherstellen, dass der Weltcup der Nordischen Kombinierer auch weiterhin in Schonach ausgetragen wird. Der 14-jährige Schonacher Nachwuchsspringer Dominik Wölfle sprang bei der Einweihungsfeier unter den Augen des damaligen Ministerpräsi- denten Stefan Mappus und vor rund 500 Zu- schauern beachtliche 98,5 Meter weit. Stolz wies Bürgermeister Jörg Frey darauf hin, dass der 2,25 Millionen Euro teure Umbau dank des vorbildlichen Einsatzes vieler Helfer und der beteiligten Firmen in nur knapp acht Monaten realisiert werden konnte. „Der heutige Tag ist ein guter für Schonach und den Skisport in Baden-Würt temberg“, be- tonte Mi nisterpräsident Stefan Map pus. Der Name des Skidorfs habe einen guten Klang in der Skisportwelt, viele deut sche Vorzeige- athleten kämen hierher, so Mappus weiter. DSV-Präsident Alfons Hörmann indes ver- sicher te: „Schonach war, ist und bleibt Stand- ort in der Nordischen Kombination“. Landrat Karl Heim gratulierte den Schon ach ern zu ihrer mu- tigen Entscheidung. Für den Schwarzwald-Baar- Kreis formulierte er: „Der Schwarzwaldpokal gehört zu Schonach wie das Kirschwasser in die Schwarzwälder Kirschtorte“. Bei der Eröffnungsfeier von links: Landrat Karl Heim, DSV-Präsident Alfons Hörmann, Bür- germeister Jörg Frey und der damalige Mi- nisterpräsident Stefan Mappus. 284
Erster Sprung von der neuen Schanze: Dominik Wölfle sprang vor 500 Zuschauern beacht- liche 98, 5 Meter weit. … 285
Sport Auf dem Sprunghügel von 1924 werden Weiten von 27 Metern gestanden Doch, wie kam es in Schonach überhaupt zum Schanzenbau? Eine entscheidende Weichen- stellung für die späteren Erfolge des Skidorfs Schonach erfolgte im Jahr 1924. In einer Vor- standssitzung am 30. Oktober stellte Vorsitzen- der Arthur Schyle den Antrag „auf Erstellung ei nes neuen Sprunghügels in der Kuttlematte im Langenwald und die dazu erforderlichen Geld- mittel, die sich nach einem vorgelegten Voran- schlag auf 200 Mark beliefen“. Dem Antrag wur- de stattgegeben, die Schanze wohl in Rekord- zeit gebaut und noch im darauf folgenden Win- ter folgte das Eröffnungsspringen. Stolz ver- merkten die Skiclub-Schreiber, dass hier Wei- ten von 27 Metern gestanden werden, während auf vergleichbaren Anlagen lediglich Spitzen- weiten von 25 Metern zu erreichen seien. Im März 1932 kam es zur Einweihung der in der Zwischenzeit umgebauten Langenwald- schanze. Artur Scherer erreichte mit 37 Metern die größte Weite. 1934 fand in Schonach ein Olympia-Trainingskurs mit 22 Springern und Läufern statt, dessen Leitung der Norweger Einstein Raabe hatte. Er demonstrierte seinen Schützlingen beim Abschluss-Springen eindrück- lich, dass er ein großer Skispringer war und stellte mit einer Weite von 43 Metern einen neu- en Schanzenrekord auf. Die Schonacher Organisatoren schafften es erstmalig, am 19./20. Januar 1935 die Schwarz- waldmeisterschaft in das Skidorf zu holen. Wet t bewerbe gab es sowohl im nordischen als auch im alpinen Bereich. Ein erneuter Umbau der Langenwaldschan- ze im Jahre 1937 zeigt, wie stets starke Anstren- gungen notwendig waren, um den ständig neu- en Anforderungen im Skisport Rechnung zu tragen. Am 6. März 1938 erzielte der Schona cher Artur Scherer bei einer Kreismeisterschaft mit 55,5 Metern einen neuen Schanzenrekord. Im Winter 1947/48 konnte erneut ein Schona cher Erfolg vermeldet werden, wurde doch Otto Pfaff Schwarzwaldmeister in der Nordischen Kombi- nation. In Schonach gelang es den Organisatoren bald, sich beim Skiverband Schwarzwald und beim Deutschen Skiverband mit den perfekt durch geführten Wettkämpfen Respekt zu ver schaffen. Nach mehreren erfolgreichen Wett- kämpfen um die Nordischen Schwarzwaldmeis- terschaften entschlossen sich 1967 die Skizunft Brend und der Skiclub Schonach zu einer gemein samen Kombinationsveranstaltung un- Skispringen in Schonach, 1920er-Jahre. 286
Die Langenwaldschanze Schonacher Schanzenrekorde Artur Scherer, GER Einstein Raabe, NOR Artur Scherer, GER 27,0 m 37,0 m 43,0 m 43,0 m 55,5 m 62,5 m 64,0 m 75,0 m 92,0 m Matti Nykänen, FIN Joachim Ernst, GER 93,0 m Heiko Hunger, GER 93,5 m Roland Braun, GER 95,5 m 96,0 m Kenji Ogiwara, JPN 97,0 m 97,5 m 98,0 m 99,0 m 101,0 m Mario Stecher, AUT 105,0 m Tobias Simon, GER Jaakko Tallus, FIN Janne Happonen, FIN, Daiki Ito, JPN Ronny Ackermann, GER ter der Bezeichnung „Internationale Skiwett- kämpfe Scho nach/Neukirch“. Der Schwarzwald- Pokal war geboren! Ab 1971 wurde die „Internationale Nordische Kombination um den Schwarzwaldpokal“ al- leine von den Schonachern ausgerichtet. In den 1970er-Jahren wurde zudem erstmals die 80- Meter-Marke geknackt. Ein größerer Umbau fand im Jahr 1972 statt. Danach entsprach die Schan- ze nach den damaligen Normen des Internatio- nalen Skiverbandes (FIS) einer Kombinations- schanze. Als wesentliche Neuerung wurde am Anlaufturm ein beweglicher Startschlitten auf- gebaut, der auf einer Länge von 12 Metern auf 0,5 Meter verstellbar war. Damit wurde das Problem einer Anlaufkorrektur fast optimal ge- löst: Die Schonacher Langenwaldschanze war die erste Sprunganlage in Deutschland, die mit dieser Anlaufvorrichtung versehen war. Trotz aller Umbauten genügte die Langen- waldschanze den immer wieder geänderten Normen des Internationalen Skiverbandes schon bald erneut nicht mehr. Im Hinblick auf die Ju- nioren-Weltmeisterschaften 1981 und auch den Schwarzwaldpokal wurde an der gleichen Stel- le, nur seitlich etwas verschoben, 1979 die neue Langenwaldschanze gebaut. Finanziell wäre ein Schanzenneubau von der Gemeinde auch mit den normalen Zuschüssen kaum zu verkraften ge wesen. Da es sich aber um eine Weltmeister- schaft handelte, schossen Bund und Land je 40 Prozent zu. So erschien der Kostenaufwand von 2,2 Millionen DM in einem ganz anderen Licht. Vom ersten Moment der Planung an stellte sich dem beauftragten Ingenieur-Büro Greiner die Frage, wie man in einem Waldgebiet anstelle der bisherigen Holzkonstruktion ein Beton-Bau- werk errichten konnte, das sich in das Land- schaftsbild einpasst. Von einigen Seiten waren vor und während der Bauarbeiten in dieser Hin- sicht Bedenken angemeldet, wenn nicht sogar Front gegen das Vorhaben gemacht worden. Sportlich bestand die neue Schanze ihre Feu- ertaufe Anfang 1981: Beim 14. Wettbewerb um den Schwarzwaldpokal waren die besten Kombi- nierer aus aller Welt begeistert von der Anlage, für die der ehemalige Skispringer und damalige Schanzenreferent des Deutschen Skiverbandes Wolfgang Happle die Normen für Anlauf und Auf- 1924 1932 1934 1935 1938 1962 1966 1977 1981 1982 1984 1992 1995 1997 2000 2002 2008 2009 2011 sprung nach den internationalen Richtlinien auf- gestellt hatte. Spurgerät für Juniorenweltmeisterschaften 2002 entwickelt Im Jahre 1992 wurde durch Verwitterung des An- laufs eine Renovierung notwendig. Der Schan- zentisch wurde verbreitert, ebenfalls die An- laufspur. Die Seitenverkleidungen wurden au- ßen mit Kupfer belegt. Für die Juniorenweltmeis- 287
Sport terschaften 2002 wurde die Schanzenanlage erneut modernisiert. Sie wurde mit einer Flut- lichtanlage ausgestattet, um Nachtspringen zu ermöglichen. Das Schanzenteam entwickelte und baute zusammen mit dem Schonacher Unternehmen Burger Industriewerk (BIW) ein modernes Spur- gerät für die Präparierung der Anlaufspur. Durch die Flutlichtanlage konnte die Schanze nun auch abends für Trainingssprünge genutzt werden. Auch Skisprung-Asse wie Martin Schmitt (Furt- wangen) oder Sven Hannawald (Hinterzarten) sowie der Schonacher Kombinations-Olympia- sieger Georg Hettich machten von dieser Mög- lichkeit Gebrauch. Der Schwarzwaldpokal wurde bald zu einer der begehrtesten Trophäe im internationalen Nordischen Skisport, auch wohl deshalb, weil sich der von Bildhauer Prof. Klaus Ringwald ge- schaffene und von Ernst Schmieder gestiftete Bronzepokal mit eingearbeiteten Bergkristallen von anderen vergleichbaren Pokalen abhob und bei den Athleten und den Offiziellen gleicher- maßen beliebt war. So konnte im Jahre 2007 das 40-jährige Jubiläum gefeiert werden. Der be- kannte Sportjournalist Peter Hettich vermerkte hierzu geradezu euphorisch: „40 Jahre ganz jung geblieben. Der Schonacher Schwarzwaldpokal hat allen Stürmen getrotzt“. Nur ein Umbau kann den Weltcup retten – Forderung des Skiverbandes ist eindeutig Ohne Umbau kein Weltcup – so lautete 2008 die Forderung des Internationalen Skiverban- des (FIS). Die Langenwaldschanze war in den Jahren zuvor immer mehr in die Kritik geraten. Der Druck wurde größer und größer: Sportler, TV-Anstalten, FIS, Deutscher Skiverband und Sponsoren – sie alle forderten eine Anlage, bei der künftig konstant Sprünge über die 100-Me- ter Marke möglich sind. Zudem lief auch das benötigte Zertifikat für die Sprungschanze ab. Für das Skidorf war klar: Wenn die Schanze nicht erneuert wird, dann wird es auch den Schwarz- waldpokal nicht mehr geben und die weltbesten Kombinierer bleiben fort. Das Problem aber: Wie stemmt man die immensen Kosten von 2,25 288 Rechte Seite: Die Schonacher Langenwaldschanze wird erweitert – Stationen eines insgesamt 2,25 Mio. Euro teuren Projektes. Mio. Euro? Die Gemeinde Schonach entschied sich im Jahre 2008 für die Sanierung der Lan- genwaldschanze. 650.000 Euro wurden dafür vom Gemeinderat genehmigt. Bürgermeister Jörg Frey & Co. gingen nun auf Werbetour um die restlichen 1,6 Millionen Euro zu beschaffen. Den Hauptanteil sollten Bund und das Land Baden- Württemberg tragen. Hilfreich war dabei vor allem die Solidarität in der Region. Der Skiver- band Schwarzwald legte sich fest, dass Scho- nach volle Unterstützung bekommt. Auch die Tatsache, dass die Nachbargemeinde Schön- wald auf eine Erneuerung ihrer veralteten Adler- schanze verzichtete, war sicherlich nicht von Nachteil. Hinzu kommt, dass sich Schonach durch seine perfekte Organisation und den vor- bildlichen Einsatz der zahlreichen Helfer beim Schwarzwaldpokal über Jahrzehnte hinweg bei Sportlern und Funktionären einen hervorragen- den Namen geschaffen hatte. Monatelang versuchte man Verbände und Politiker zu überzeugen, dass die Renovierung und damit der Erhalt des Weltcup-Standorts Sinn macht. Die Schonacher benötigten Hilfe von vielen Seiten. Private Investoren waren lei- der keine in Sicht. Doch die Überzeugungsar- beit hatte Erfolg: Zunächst bewilligte der Schwarzwald-Baar-Kreis 150.000 Euro. Zudem gewann man den Präsidenten des Deutschen Ski verbandes, Alfons Hörmann, als Fürspre- cher. Und als das Land Baden-Württemberg die Zusage für einen Zuschuss von 1,45 Millionen Euro gab, fiel der Startschuss für den Umbau. Am 30. März 2010 erfolgte der Spatenstich. Die sogenannte „Hillsize“ (Maß für die Größe einer Sprungschanze) lag fortan bei 106 Metern. Um die neue Anlage fertigzustellen, wurden nicht nur 40.000 Kubikmeter Erde bewegt. Es mussten weiter 420 lfm Entwässerungsleitung – en verlegt werden und 1.500 lfm Drainagen. Es wurde für die künstliche Schneeproduktion zu- dem ein Weiher mit rund 300.000 Litern Fassungs- vermögen geschaffen. Weiter wurde der Schan- zentisch um sieben Meter nach vorne versetzt.
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Die Langenwaldschanze Das Projekt gestaltete sich anfangs schwie- rig, vor allem durch die ständigen Regenfälle im Sommer 2010. Die Zeit drängte. Doch genauso wie Schonach die Jahre zuvor fast immer den Schwarzwaldpokal trotz widriger Witterungsbe- dingungen möglich gemacht hatte, wurde auch die Renovierung der Langenwaldschanze erfolg- reich und zeitlich passend gemeistert. Am 29. Dezember war die neue Anlage fertiggestellt – das Skidorf hat seine gesteckten Ziele einmal mehr erreicht. Schonach hat auch weiterhin einen festen Platz im Weltcup-Kalender Zwei Tage später sprangen erstmals die weltbes- ten Kombinierer und Skispringerinnen von der runderneuten Anlage. Beim Weltcup 2011 konn- ten zwar die erhofften Weiten aufgrund der schlechten Witterung nicht erreicht werden, es herrschte „Schonacher Sauwetter“. Doch bereits wenig später zeigte sich bei einem nationalen Wettkampf (Deutschlandpokal), dass Sprünge nahe die 110 m-Marke realistisch sind. Aktueller Schanzenrekordin haber ist der Breitnauer Tobi- as Simon mit 105 Metern (Stand: Januar 2011). Schonach ist glücklich, das gewaltige Pro- jekt gestemmt zu haben. Das Skidorf hat nun weiterhin einen festen Platz im Weltcup-Kalen- der. Es wäre ein herber Rückschlag für unsere Region gewesen, wenn es diesen sportlichen Höhepunkt bei uns nicht mehr geben würde. Und wie befand doch DSV-Präsident Alfons Hör- mann beim Schwarzwaldpokal 2011: „Dieser Wettkampf hat einen festen Platz im Weltcup- Kalender. Nicht nur weil die sportlichen Bedin- gungen oder das Rahmenprogramm stimmen, sondern weil auch der Weltcup-Tross immer gerne Halt in Schonach macht!“ Und die „neue Schonacher Schanze“ hat noch einen weiteren erfreulichen Gesichts- punkt: Im Januar 2012 springen auf der Langen- waldschanze auch die Frauen erstmals um Welt – cup-Punkte. Das bedeutet erneut drei Tage Weltklasse-Sport, denn auch das Damen-Ski- springen hat sich seinen Platz im Wettkampfka- lender längst erobert. Christof Kaltenbach / Wolfgang Schyle 290 :: Daten zur Langenwaldschanze Baukosten: Finanzierung: 2,25 Mio. € 1,45 Mio. € Land Baden-Württemberg 0,15 Mio. € Schwarzwald-Baar-Kreis 0,65 Mio. € Eigenanteil Gemeinde Schonach Erster Spatenstich: 30. März 2010 Fertigstellung: 29. Dezember 2010 Eröffnung/Einweihung: 05. Januar 2011 Schanzendaten: Hillsize K-Punkt Radius 1 Anlauf Radius 2 Auslauf Anlaufneigung Hangneigung Tischneigung Verhältnis h:n 106 m W 95 m 95,78 m 94,00 m 35° max. 35,29° 11° =0,540 Erdbewegungen: 40.000 m³ Entwässerungsleitungen: 420 lfm. Drainagen: 1.500 lfm. Weiher für Schneeproduktion: 300 m³ Fassungsvermögen AST Eisspur Anzahl Verpresspfähle: 200 Stück Schanzentisch wurde 7 m nach vorne versetzt Internationale Wettbewerbe Nordische FIS Junioren-Weltmeisterschaften 1981 Nordische FIS Junioren-Weltmeisterschaften 2002 FIS Weltcup Nordische Kombination – Schwarzwaldpokal (jährlich) FIS Continentalcup Skispringen Damen (ab 2011/2012 Weltcup)
Klaus Weiß – ein Ausnahmesportler Der Obereschacher ist mehrfacher Seniorenweltmeister im Skilanglauf Sport Im März 2011 bereitete ihm sein Heimatort Obereschach einen fulminanten Empfang, als er von den Seniorenweltmeisterschaf- ten im Skilanglauf in Sparkling Hill aus Kanada heimkehrte: Klaus Weiß vom Skiclub Villingen hatte zum wiederholten Male Skilanglauf-Gold geholt, hatte seinen mehrfachen Weltmeistertiteln in der Seni- orenklasse vier weitere hinzugefügt und dabei wieder einmal auch Jüngere deklas- siert. Klaus Weiß ist ein Ausnahmesportler, einer, der genau weiß was er will und der mit der Zielstrebigkeit und Ausdauer, die er in der Loipe zeigt, auch sein Sportgeschäft aufgebaut hat. 1944 erblickt Klaus Weiß das Licht der Welt. Sein Vater Alfred ist im Obereschacher Kapel- lenweg Schreiner und der kleine Klaus zimmert sich seine ersten Ski aus Holzlatten selbst. „Mit Lederriemen als Bindung – und die Skistöcke holten wir uns aus dem Wald“, erinnert sich der 67-Jährige. Mit seinen Freunden macht er schon im Vorschulalter die Skihänge rund um den Ort unsicher, in der Schule dominiert er die Bun- desjugendspiele. Sein sportliches Talent setzt er als 14-Jähriger zunächst in der Fußballjugend des benachbarten FC Kappel ein und ist bis zur A-Jugend dort auch Leistungsträger. Als der Villinger Paul Rösch 1959 in Ober- eschach einen Sportverein gründet, sich neben dem Fußball auch dem Skisport zuwendet und auf dem Laible in Villingen oder den Hängen St. Georgens die ersten Winter-Clubkämpfe aus- richtet, ist Klaus Weiß ganz vorne mit dabei. In normaler Tourenskiausrüstung – die hat sein Vater ihm beim damaligen Sport-Werner in der Bickenstraße spendiert, „in jener Zeit das Non- Klaus Weiß plusultra“ – nimmt er im Alter von 16 Jahren an seinen ersten Bezirksmeisterschaften der Ski- langläufer teil. Spätestens jetzt ist es um ihn geschehen. Klaus Weiß unterliegt der Konkur- renz nur, davon ist er überzeugt, weil die „mit schmalen Latten, Rattenfallenbindung und leichten Bambusstöcken“ ausgerüstet ist. Er lernt inzwischen – wie sein Vater – das Schrei- nerhandwerk bei der Firma Kornhaas in der Vil- linger Schulgasse und spart seine acht D-Mark Wochenlohn für die Investition in eine technisch moderne Ausrüstung. 291
Sport Verzicht auf das Profitum Obwohl er als Fußballer des Obereschacher SV weiterhin die Stütze der ersten Mannschaft ist, gehört seine Liebe dem Skisport. Mit dem Pflichtdienst in der Bundeswehr naht für Klaus Weiß eine Entscheidung, die sein ganzes wei- teres Leben beeinflussen wird: Soll er sich dem damals gerade eingerichteten Skizug in Fahl an- schließen, sich für sechs Jahre verpflichten und für Profitum und Nationalmannschaft vorberei- ten? Da es dafür auch im Bundesleistungszen- trum am Feldberg keine Garantie gibt, entschei- det sich der 20-Jährige dagegen. „Und das habe ich bis heute nicht bereut“, sagt Weiß. Er bildet sich beruflich lieber zum Holztechniker fort und übernimmt in der Möbelfabrik Pfundstein in Mönchweiler die Produktionsleitung. Seinen Sport betreibt er jetzt eher „neben- bei“, ist trotzdem erfolgreich. Mit 24 gelingt ihm etwas, was bis dato keinem Nicht-Schwarz- wälder vergönnt war: beim Internationalen Wer- tungsrennen rund um Neukirch steigt er in die Leistungsgruppe I auf, gleichbedeutend mit der Berufung in den Landeskader. Dort wird er blei- ben bis ins „Seniorenalter“ von 32 Jahren. Auch wird er später zweifacher Gewinner des legendären „Schwarzwälder Rucksack- laufs“. Das eigene Sportgeschäft eröffnet Nicht nur der Sport selbst, auch die Technik zu seinen Füßen fasziniert den jungen Klaus Weiß. In der Werkstatt seines Vaters widmet er sich nebenberuflich der Konstellation „Ski und Holz“, entwickelt Skiausrüstungen für Alpine und Langläufer, stellt Kontakte zu den großen Konstrukteuren Skandinaviens her. 1968 zeich- net sich ein eigenes Geschäft bereits ab, 1974 macht Klaus Weiß ernst: „Die Doppelbelastung mit Beruf und Leidenschaft wurde einfach zu groß“, sagt Weiß heute. Im landwirtschaftlichen Anwesen seiner Eltern im Kapellenweg eröffnet er auf zunächst 450 Quadratmetern sein eige- nes Sportgeschäft, spezialisiert auf Skier, spä- ter auch auf den sogenannten „Jahressport“. 1978 kommen noch Fahrräder dazu. 292 Heute betreibt Klaus Weiß sein Geschäft auf mehr als doppelt so großer Fläche zusammen mit Ehefrau Anneliese und den beiden Töchtern Bettina und Cordula, die das sportliche Talent, aber auch die Leidenschaft für das Geschäft mit dem Sport geerbt haben. Die sportlichen Er- folge, für die Klaus Weiß auch im Alter von jetzt 67 Jahren ganzjährig – im Sommer auf Skirol- lern oder Mountainbike – mindestens zweimal wöchentlich trainiert, gehören zum Erfolgskon- zept. „Sportler kaufen halt bei Sportlern“ denkt sich der Obereschacher. Und die Rechnung geht auf. Ungezählt sind seine Deutschen Meistertitel in den Altersklassen, mehrfach stand er bei Weltmeisterschaften auf dem Treppchen. Zuletzt wieder einmal ganz oben, in Auf dem Weg zur Goldmedaille – Klaus Weiß bei den Seniorenweltmeisterschaften 2011 in Kanada.
… Seniorenweltmeister Klaus Weiss Kanada und das in der Altersklasse 65 gleich vier Mal: über 10, 15 und 30 Kilometer klassisch sowie mit drei bayrischen Kollegen als Staffel. Klaus Weiß unterwegs auf der selbst gebauten Spur- maschine. Eine Spurmaschine entwickelt Seine Fitness verdankt er seiner konzentrierten Trainingsplanung, die er seit einiger Zeit einmal mehr auch in geschäftlichem Sinne einsetzt. Die Investition in eine eigene Spurmaschine, ein Quad mit Raupe und einer Spurwalze nach finnischem Prinzip, die schon aus zehn Zenti- metern Schnee eine Skiloipe zaubern kann, nutzt Weiß nicht nur für seine eigenen Trai- ningsrunden auf der „Enzianwiese“ bei Königs- feld. Er bietet damit seinen Trainingskollegen und den vielen Freizeitsportlern, die schließlich hin und wieder auch neue Skiausrüstungen brauchen, eine Arena. „Ein schlechter Winter ist Geschäftsrisiko“ stellt Weiß dabei nüchtern klar. Der zeitlich große Aufwand für das Präpa- rieren der Loipe rechne sich gemessen an den Stunden, die er früher für die Fahrt zu den Loi- pen rund um die Martinskapelle brauchte, sagt er. Und liegt auch für Königsfelder Verhältnisse und trotz finnischer Superwalze einmal zu we- nig Schnee, kann Weiß sein Training seit sieben Jahren im Biathlonzentrum mit Beschneiungs- anlage im Weißenbachtal absolvieren. „Ich habe Glück gehabt und meine Talente genutzt“, zieht Klaus Weiß ein Resümee, ob- wohl er noch weit von einem Ruhestand entfernt ist. Sein Sport macht ihm noch immer Spaß und auch das Zusammensein mit Sportlern, die sei- ne Ratschläge stets gerne annehmen. Beson- ders freut es ihn, wenn er merkt, wie seine Freunde und Kunden sich mit ihm über seine sportlichen Erfolge freuen – wie im März bei sei- ner Rückkehr aus Kanada, als ihm ganz Ober- eschach einen fulminanten Empfang bereitete. Klaus Weiß mit dem Maskottchen der Weltmeister- schaften 2011 und seinen vier Goldmedaillen. Birgit Heinig 293
18. Kapitel Literatur Veit Heinichen – Schrift steller aus Schwenningen Ein Grenzgänger und Literat mit „Sitz im Leben“ „Pronto.“ Höflich meldet sich der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. Von fließendem Italienisch schaltet er spielend um auf Deutsch, in das sich alemannische Brocken mischen. Vertraute Klänge. Unverkennbar ist ein Schwenninger am Apparat; Veit Heinichen – ein Schwenninger in Triest Der gefragte Europa experte klärt in gründlich recherchierten Kriminalromanen von hoher ge- sellschaftskritischer Brisanz unterhaltsam über Chancen und Risiken des „Alten Kontinents“ auf. In Geschichten erzählt er Geschichte, die grausam gespenstisch oder gütig gewogen in die Gegenwart greift, am Scheideweg stets Entscheidung verlangend. International stürmt der vielfach übersetzte Autor die Bestsellerlis- ten, füllt Kino-, Theater- und Hörsäle, ist ein be gehrter Gastdozent renommierter Universitä- ten, so er nicht selbst bereits zum Stoff für Doktor arbeiten wird, ein oft geladener Diskus- sionsredner und Interviewpartner, der zudem nicht nur die Leinwand, sondern auch den hei- mischen Bildschirm erobert – dank der Verfil- mung seiner Romane. Künstlerische Begabung liegt in der Familie Am 26. März 1957 ist Veit Karl Heinichen „zwi- schen Alb, Schwarzwald und Bodensee“ in ei- ner Stadt an der Grenze geboren, da sich die Was- ser scheiden, Länder, Konfessionen, Mund arten sich berühren: in Schwenningen am Neckarur- sprung. Der Bauunternehmer Karl Heinichen und „dar Soalar“ Christian Schlenker sind seine Großväter; der weltberühmte ethnologische Fil- mer Hermann Schlenker ein Onkel. Wie Durch- setzungsvermögen und Freiheitsdrang liegt künstlerische Begabung in der weltoffenen Familie. Der Vater, Architekt Karl Heinichen, Freund der Künste und Mitbegründer der „klei- 294 Veit Heinichen auf den Höhen seiner Heimat: Wichtig ist ihm die Weite des Landes, der Blick in hügelige Fernen. Und er denkt an den Geruch von frischem Heu und Lindenblüten. nen galerie“, hat phantastische Graphiken ge- schaffen. Geschrieben hat der Junior vor der Schulzeit schon. Nicht immer freiwillig. In Hochemmin- gen ging 1964 eine Scheuer in Flammen auf. Der Verdacht fiel auf Veit und seine Kameraden, geraucht zu haben, Strohfackeln gemacht …
Bis Veit Heinichen in Triest heimisch wurde, dauerte es. Eine wichtige Station im Ausland war für den stu- dierten Betriebswirt als Buchhändler Zürich – bei seinem Verlegerfreund Egon Ammann. Nicht zu Unrecht habe er eine Tracht Prügel bezogen, kommen- tiert er das Geschehen, aber ohne vorgängiges Er mittlungsverfahren. Kriminalistisches Interesse wird so früh geweckt beim Siebenjährigen. Ein langer Aufsatz über die Tat ist eine weitere Strafe – die zum Guten führt. Der Schriftstellerei treu bleibt der junge Mann nach dem Abitur in Villingen, wohin er sich nach unerquicklichen Schwenninger Schuljahren mit schlechten Deutschnoten flüchtete, nach dem unter einem guten Stern stehenden Studium der Betriebswirtschaft, nach einem kurzen „Ausflug in die Automobilbranche“. 1994 den Berlin Verlag gegründet „Die inhaltliche Seite des Lebens, wie Bücher sie bieten“, hat es Heinichen eher angetan als glanzlackierte Karosserien. Er handelt mit ih- nen, wird für den angesehenen Ammann-Verlag in Zürich tätig. 1988 wechselt er zum reno- mierten S. Fischer Verlag in Frankfurt. Rasch für das Gesamtmarketing zustän- dig, scheidet er 1993 aus, um gefolgt von vierzig Autoren ein Jahr darauf mit Arnulf Conradi in der Hauptstadt den Berlin Verlag zu gründen, der die wichtigsten Zusammen mit seiner Schwester Jane assistiert Veit Heinichen auch einmal der Mutter Helga (aus der Familie der Seiler Schlenker). Sie liest aus der eigenen Lebens- geschichte „Gedeutete Bilder“. Veit Heinichen Strömungen der deutschen wie der internatio- nalen Literatur mit aktuell verhandelten kultur- geschichtlichen, aber auch naturwissenschaft- lichen Themen verbindet. „Ein nicht unmoralisches, doch unwidersteh- liches Angebot“ von Bertelsmann führt 1998 zum Verkauf des Berlin Verlages. Der Preis: die Aufgabe der eben errungenen Unabhängigkeit. Ein Jahr noch ist Heinichen als kaufmännischer Geschäftsführer für den einst eigenen und den Siedler Verlag im Konzern tätig. Dann drängt die Spannung zwischen Privatleben und Beruf zur Lösung. Stets auf Achse, bleibt bei einem 16-Stunden-Arbeitstag nicht die nötige Muße und Kraft für eigenes kreatives Wirken, wonach es den Vater des „VS-Krimis“ verlangt, der zu- sammen mit Elke Schmitter als Viola Schatten eine Detektivin während einer Arbeitswoche 295
Literatur begleitete: Längst sind die Frauenpowerromane ins Italienische übertragen. Triest – die Geschichte einer großen Liebe Nach Triest kam Heinichen am 2. Januar 1980 zum ersten Mal. Die Geschichte einer großen Liebe begann; stärker wurde sie und mächtiger, er damit zum Pendler, an dem die Lufthansa verdiente, bis er 1999 seine Zelte in Deutsch- land abbricht, den Beruf wechselt, um auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz zu neh- men. Einer, der weiß, was er tut – und wo. Mit Erfolg. Seine Bücher reihen sich ein in die Fülle an Weltliteratur, die in Triest seit Jahrhunderten in vielen Sprachen geschaffen wurde. Der alte k.u.k-Freihafen an der Schnittstelle von West- und Ost-, Nord- und Südeuropa wird von seinen Figuren zum Leben erweckt, der al- te Mythos einer kosmopolitischen, toleranten, laizistischen, reichen Vielvölkermetropole in rettende Zukunft verwandelt. Es mag sein, dass Heinichen diesen Mythos nicht nur verarbeitet, sondern mit der internationalen Resonanz sei- ner Arbeit auch verändert. Die „Biographie ei- ner Stadt“ jedenfalls schreibt ein Grenzgänger mit dem vielversprechenden Blick von außen, der für die Selbstwahrnehmung der Triestiner nicht ohne Folgen bleiben kann: Es erschei- nen „Trieste fuori da Trieste“ 2002 und 2005 296 „Triest, die Stadt der Winde“. Triest spielt in seinen Romanen die Hauptrolle. Für ein öko- nomisch starkes und dabei menschenfreund- liches Europa und seine heimliche Hauptstadt Triest streitet Heinichen. Hier mischt er sich ein und arbeitet gegen revanchistischen Ungeist, der Vorurteile mit Urvorteilen verbindet. In der Tat: Als ständiger Berater der Stadtregierung und Mittler zwischen den Kulturen. Ohnehin sind seine Bücher als Beitrag zur politischen Diskussion zu begreifen. Und er befasst sich mit Vorbereitungen für das Europäische Institut Triest, geht mit Vor- trägen auf Weltreise, zerbricht sich auf Kon- gressen mit Jeremy Rifkin und Hans-Dietrich Gen scher den Kopf über „Europa am Scheide- weg“ – in der Hoffnung, dass „Geist und Gegen- wart“ nicht inkompatible Größen seien. Rezepte für ein besseres Leben Heinichen erschließt Triest mit der Neugier dessen, der seine Heimat in der Fremde ge- funden hat. Auf den Spuren von Rainer Maria Rilke, James Joyce, Umberto Saba, Italo Svevo, Fulvio Tomizza, in Begegnungen mit Claudio Magris, Boris Pahor, Livio Isaak-Sirovich lädt er zu einer Entdeckungsreise ein, bei der alle Sinne geschärft werden, auch der sechste und der siebte – sei‘s bei Weinbauern hoch auf dem Karst: in Weinzeilen, die Völ- ker zusammenführen (wie in „Buschenschank · Heuriger · Osmic[z]a“ 2009); sei‘s in den Salinen und Fischer- dörfern an der Adria; sei‘s auf Spaziergängen durch die Stadt. Geweckt wird die Sehnsucht nach sinnlicher Als Wahltriestiner lässt er sich die Weinlese nicht entgehen – und nicht die geselligen Runden nach getaner Arbeit: Veit Heini chen weiß darum, dass das Le ben ein Fest der Erfüllung sein soll.
Triest „als heimlicher Mittelpunkt Europas“ zog Veit Heinichen früh magisch an – wie viele Literaten. Mit seiner hiša hat Heinichen ein herrliches Domizil geschaffen, die Herzen der Denkmalschützer erobert: Die vegetarische Pension Santa Croce war es einmal und im Besitz der Trapp-Familie. 297
Literatur Erfahrung: ein Reisehunger, den Heinichen zu- sammen mit Ami Scabar, seiner Lebensgefähr- tin aus slowenisch-tries tinischer Familie stillen könnte: der besten Kü chenchefin der Stadt mit eigenem Spitzenrestaurant. Wo die Liebe durch den Magen geht, servieren sie manch köst- lichen (Lese-) Schmaus: Rezepte für ein besse- res Leben ohne übergroße Berührungsängste inbegriffen … im „Zusammenspiel“ der Men- schen Mitteleuropas an zu Zeiten trennenden, oft verbindenden Grenzen von Sprachen und Kulturen. Was Wunderts, wenn „Veit Heinichen, Mein Triest“, als dritter Film in der 3sat-Reihe „Inter-City spezial“ nach „Dalai Lama, Mein Ti- bet“ und „Benedikt XVI., Mein Vatikan“ die Zu- seher fasziniert? Fast schon wird er zum Glau- bensbekenntnis … Schriftsteller von seltenem Format Er ist ein gebildeter Aufklärer, der sich der Mit- tel des Kriminalromans bedient: ein Meister des Noir mediterraneo (Frei übersetzt: spielt im Süden und geht nicht gut aus). Der Mittelmeer- raum erscheint als internationale Drehscheibe des organisierten Verbrechens: Planmäßig wer- den aus Gewinn- und Machtstreben Straftaten begangen – in gewerblichen Strukturen, unter Anwendung von Gewalt und massiver Einfluss- nahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Wirt- schaft, Massenmedien auch. Denn Herrschaft hat mit der „Macht der Bilder“ zu tun, mit der Macht über sie, mit ihrer Manipulation. An die Stelle einer allen Dingen innewohnenden gött- lichen Ordnung im Sinne der prästabilierten Harmonie eines Leibniz setzt Heinichen die „stabilisierte Halbwahrheit“, hergestellt vermit- tels „Auswahl und redaktioneller Bearbeitung“: gefährlicher, da glaubhafter als jede Lüge. An seinem Beispiel erweist sich, dass Grenz- gänger gewinnen. An Einsicht. Auch die Fähig- keit, sich und ihre Welt mit dem Blick des Frem- den zu betrachten. So hat der Kultur betrieb zwar einen seiner besten Manager verloren, dafür aber einen Schriftsteller von seltenem Format gewonnen. In vielen Ländern feiert der Mann Erfolge, der seine Stimme erhebt gegen Nationalismen und Rassismen, gegen eine an sich schon widersinnige faschistische Interna- tionale, gegen (Wort-)Gewalt und Vergewalti- gung der Geschichte, gegen die Verquickung von Macht und Verbrechen, gegen den Sieges- zug der organisierten Kriminalität im Schlag- schatten der „Globalisierung“: ein für die Menschenwürde eintretender ehrlicher Makler historischer Wahrheit und tüchtiger Ermittler gegenwärtiger Probleme auf dem Weg vom Welt- bürger zum Weltschriftsteller. Auf Deutsch, Fran- zösisch, Griechisch, Holländisch, Italienisch, Norwegisch, Polnisch, Slowenisch, Spanisch und Tschechisch liegen seine Romane vor. Mit Ami Scabar ergänzt sich Veit Heinichen auf wun- derbare Weise: ein als Schriftsteller erfolgreicher „Gastarbeiter“ in Italien und die beste Küchenchefin der Stadt aus slowenisch-triestinischer Familie. 298
Der Held und sein Erfinder: Der aus Schwenningen stammende Wahltriestiner Veit Heinichen und „sein“ Comissario: Henry Hübchen in der Rolle des Proteo Laurenti. Wichtige Literaturpreise Der als Fremder nach Triest kam, ist längst einer seiner besten Kenner. Mitglied des Exil- P.E.N., gelingt dem „Gastarbeiter“, was kein anderer bisher erreichte. Dreimal heimst der Schwenninger in seiner neuen Heimat einen der renommiertesten Literaturpreise ein: 2003 und 2004 werden seine Bücher zum italienischen Kriminalroman des Jahres gewählt und mit dem Premio Franco Fedeli bedacht; 2010 wird „Die Ruhe des Stärkeren“ als bester fremdspra- chiger Roman mit dem Premio Azzercagarbugli ausgezeichnet. Das wiegt für Heinichen schwerer als der Krimipreis von Radio Bremen 2005 oder das ihm 2007 an Dortmunds Universität gewidmete Sym- posion, auf dem die französische Germanis tin Ute Lemke seine Romane als Prototyp einer neuen Gattung feiert: des Europa-Krimis, der thematisch und strukturell zentrale Probleme des sich integrierenden „EU-Europas“ sowie des postkommunistischen Bereichs anspricht, auf die neuen Realitäten des Kontinents rea- giert und damit auch zur europäischen Iden- titätsfindung beiträgt. Ätzend ist Heinichens Kritik an der EU, wo sie kein kulturelles Kapital kennt, sondern nur das €-Zeichen im Auge hat. „Seid umschlungen, Millionen“ entlarvt der Po- litiker falsches Pathos von „Alle Menschen wer- den Brüder“, was nicht zuletzt an Kain und Abel erinnert. Vertreter eines zynischen Realismus, stellt Heinichen den Auflösungsprozess der eu- ropäischen Gesellschaft nach dem Zerfall der Ideologien fest. Commissario Laurenti Sieben Fälle hat der Erzähler mit eigenem Stil und grimmigem Humor, den eine realistische Weltbetrachtung den Sinn für das komisch Ab- surde lehrt, seinen Commissario Proteo Lau- renti lösen lassen: einen sympathischen Pro- tagonisten des postmodernen Postmachismo, der in seiner Unvollkommenheit das Zeug zum unvergesslichen Anti-Helden hat. Welch eine Fi- gur ist dem Autoren da geglückt, an dem zu lo- ben ist, dass er alle Grausamkeit unaufgeregt, kühl, bitter kommentierend, sarkastisch, ohne Voyeure befriedigende Sensationslust zu schil- dern versteht und nicht ohne Hoffnung, es ließe 299
Literatur Drei von sieben – der Schwenninger Veit Heinichen liefert Bestseller-Kriminalromane in Serie. sich aus dem Missglückten für das Glückende lernen! Der greise Gerichtsmediziner Galvano begeistert, der vom Wert der Arbeit zeugt – und davon, dass sie krank macht, wird ihr Erfüllung versagt, der Mensch nicht artgerecht gehalten. Die Gegenspieler sind nicht zu verachten. Und dass Heinichen auch die Bösewichte zentrale Botschaften als Wahrheit verkünden lässt, er- innert an die moralische Geschichtsschreibung der Antike: Die Konfusion der Werte ist eine to- tale. Triest aber ist mehr als das Tableau raffi- nierter Romane sui generis: Spielt der Schmelz- tiegel die Hauptrolle, lässt sich erahnen, was es bedeutete, baute das alte Europa sich neu, bes- ser als zuvor. Wieder auf der Höhe ihrer selbst, bräuchte die Stadt sich nicht länger in provinzi- eller Manier auf die Jagd nach dem nur mit klei- ner Elle vermessenen Besten, Ersten, Größten zu machen – wie es Heinichen aus seiner Hei- mat bereits kennt. Selbstüberhebung hält er für gefährlich, Selbstbewusstsein für notwendig: In Schwenningens Museumsgesellschaft tritt er für eine literarische Gedenkstätte am Neck- arquell ein, als Stütze kultureller Identität. Langjährige Recherchen Tabuthemen geht der Autor vorurteilslos an; in rückhaltloser Aufklärung sieht er den ein- zigen Weg, eine Vergangenheit, die nicht verge- hen will (und von der Erpresser lange leben), 300 zu überwinden und den Blick nach vorn zu rich- ten. Spät ist die Zeit reif geworden für ein so wichtiges, schon frü- her richtiges Buch wie „Die Toten vom Karst“ (2002), die Opfer der Fa- schisten, Nationalsozi- alisten, Tito-Partisanen. Es bricht das Schweigen, setzt im geschichtlichen Kreuzgeflecht Irrtümern der Wahrnehmung eine Grenze. Heinichen versucht zur Wahrheit vorzu- stoßen – vermittels differenzierenden Denkens. „Der Tod wirft lange Schatten“ In ein Wespennest sticht Heinichen bei Lauren- tis viertem Fall: „Der Tod wirft lange Schatten“ (2005). Seine langjährigen Recherchen hierzu unterstützten Gerichts- wie Polizeipräsidenten. Zwei unaufgeklärte Morde aus den siebziger Jahren verknüpft er miteinander: Sie schlagen die Brücke zurück zu NS-Besatzungs- wie un- mittelbaren Nachkriegszeit und führen über das Italien der mächtigen Geheimgesellschaften hin zu Neofaschisten und Finanzspekulanten un- serer Tage: „Vergangenheit, die nicht vergehen will, ist europäische Gegenwartsgeschichte.“ Um Diego de Henriquez geht es und sein „Museum des Krieges für den Frieden zur Ab- schaffung des Todes“: 1974 ist er darin ver- brannt, ohne Obduktion und nur mit einer kurzen Pressenotiz beigesetzt. Erst 1989 zweifelt ein Capitano der Carabinieri an der These vom Un- fall. Das Mordmotiv? 323 Tagebücher hat der Mann akkurat geführt; nicht alle Passagen sind im Archiv einzusehen: Das Tagebuch Nr. 65 nennt die Namen der NS-Kollaborateure, die in der Risie- ra di San Sabba das einzige deutsche Vernich- tungslager auf italienischem Boden ‚betrieben‘: eine (verschüttete) Fundgrube (ver)störenden Wissens in Zeiten, da es so viel zu vertuschen gab, noch gibt … Ein unbequemer Zeuge wird aus dem Weg geräumt – kurz vor dem Prozess gegen den KZ-Kommandanten Josef Oberhau-
ser, der 1976 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt wird, in München als lebensfro- her Schankkellner aber unbehelligt bleibt. Und es geht um den 1977 ermordeten stein- reichen homosexuellen Volkskundler Gaetano Perusini, wieder ohne tiefschürfende Unter- suchungen beigesetzt und beinah ohne Auf- merksamkeit der Presse. Keiner interessiert sich für einen Mann der politischen Linken, der 34 Tage vor seinem Tod alles dem Malteserorden vermachte. Die Perusini-Akte verschwindet aus dem Gerichtsarchiv. Veit Heinichen aber findet wichtige Protokolle im Archiv des Polizeipräsi- diums. Es geht um einen erlauchten Kreis: Die High Society vereint Hoch-, Erb-, Geldadel: „An- dreotti, Agnelli, Abs, das Abc der ehrenwerten Ritter … Nur die Deutschen träumten noch mit naiver Überheblichkeit davon, mit allem nichts zu tun zu haben“, meint der Autor. Im Roman raten alle Wohlmeinenden dem Commissario, die Finger von der Sache zu las- sen. Im wirklichen Leben Heinichens sind diese Hinweise noch dringender. Wie der Dokumentar- film „Le lunghe ombre della morte“, 2005 von der RAI ausgestrahlt, erweist: Gefährlich knis- tert es, deckt Heinichen politische Hintergrün- de auf – wie die Perusini bekannten Versuche der Rechtsextremen, sich im Collio die großen Grundbesitzer durch Erpressungen gefügig zu machen. Wie meint sein Domänenverwalter, „nur ein kleiner Malteser-Ritter“, der im Notfall die wichtigen Dokumente seines Herrn sichern sollte und es nicht getan hat: „Sie fragen zu viel! Sie wissen viel … Sie sind mir sympathisch, nicht schön … Ihre Augen sind komisch. De Henriquez und Perusini hatten dieselbe Leidenschaft: Ihre Neugier war die Ursache von allem!“ Am Puls der Zeit Der hohe didaktische Anspruch des Enthül- lungsromans beißt sich, wo alles mit allem zu- sammenhängt, nicht mit den ästhetischen Er- wartungen an einen spannungsgeladenen Kri- minalroman. Die Realität unserer Tage hat auch ohne formale Experimente in ihn Einzug gehal- ten. Das Bedrückende ist: Heinichens Geschich- ten sind gut recherchiert, mitten aus dem Leben Veit Heinichen gegriffen. Mit seinen „Sprengsätzen“ macht sich der wortmächtige Analytiker voll dichterischer Phantasie nicht nur Freunde. „Die Ruhe des Stär- keren“ benötigt Heinichen selbst in einer üblen Rufmordkampagne, die er am Fastnachtssams- tag 2009 publik macht und damit „einen euro- päischen Medien-Tsunami“ auslöst – über einen Schriftsteller, den anonyme Verleumdungen und unmißverständliche Bedrohungen zum Schwei- gen gebracht werden soll: Eineinhalb Jahre ver- suchen Staatsanwaltschaft und Polizei vergeb- lich, die Drahtzieher zu ermitteln, und schützen den unlauter Angegriffenen. Stets am Puls der Zeit zu sein, birgt Gefahren für den Schriftsteller. Heinichens (kultur)histo- risch-politischer Kriminalroman hat seinen „Sitz im Leben“, ist er doch ein Spiegel der Gesell- schaft in Raum und Zeit, konzentriert auf deren Neurosen; eine gekonnte Verknüpfung von Dis- kursen der Geschichte und des Kriminalromans, die einander bedingen, hinterfragen, manchmal aufheben; eine Suche nach Wahrheit(en) im großen ethnischen Durcheinander jenseits ent- larvter Ideologien; ein Beweis der Schlüssel- funktion des kulturellen Gedächtnisses; eine Reise ins Reich der Sinne … Damit genug „von einem der auszog, das Gruseln zu lernen und zu lehren“. Michael J. H. Zimmermann 2001 2002 2003 2005 2005 2007 2009 2009 2011 Gib jedem seinen eigenen Tod. Roman Die Toten vom Karst. Roman Tod auf der Warteliste. Roman Der Tod wirft lange Schatten. Roman Triest, Stadt der Winde. Ein kulinarischer Reiseführer durch Triest in Zusammenarbeit mit Ami Scabar Totentanz. Roman Die Ruhe des Stärkeren. Roman zusammenspiel – buschenschank, heuriger osmic(z)a. Ein Kulturbilderbuch; als Co-Autor Keine Frage des Geschmacks. Roman 301
19. Kapitel Literatur der Heimat Kriegskinder im Schwarzwald Erinnerungen eines Bauernmädchens Mit einer Erzählung über ihre Kindheit auf dem Schonacher Ge- meindehof hat die in Triberg lebende Autorin Maria Kienzler beim Kulturpreis 2011 des Schwarzwald-Baar-Kreises von der Jury den Preis des Landrates zugesprochen bekommen. Dieser Sonderpreis wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Kulturpreises von Landrat Heim ausgelobt – und er besteht aus einer Veröffentlichung im Kreisalmanach, die nachstehend erfolgt. Maria Kienzler Meine Kindheit mit sechs Geschwistern in der Kriegszeit und Nachkriegszeit war geprägt von vielen Faktoren, die in der Regel negativ waren. Trotzdem bin ich dankbar für alles, was ich da- mals erlebt habe. Vor allem gilt meine Dankbar- keit der großen Familie, in der ich aufgewach- sen bin und in der ich mich trotz großer Armut und strenger Erziehung relativ wohl gefühlt habe. Meine Kindheitserlebnisse haben dazu beigetragen, dass ich später das Leben leichter meistern konnte. Schwierigkeiten und Hinder- nisse konnten mich nicht überraschen, denn schon als Kind wurde mir klar, dass das Leben kein Spaziergang über blühende Wiesen ist. Krieg und Gefahr Als typisches Vorkriegskind wurde ich 1938 auf einem Bauernhof in Schonach geboren. Ich war das zweite Kind meiner Eltern, denen der Gemeindehof im Obertal gehörte. Meinen Vater lernte ich eigentlich erst nach dem Krieg ken- nen, als er 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam. Einmal im Jahr bekam er zwar für ein paar Tage Heimaturlaub – doch für sei- ne Kinder war er trotzdem ein fremder Mann. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich auf dem Arm meiner Mutter saß und diesem Frem- den mit dem stacheligen Bart ein Küsschen ge- ben sollte. „Gibb em Vadder e Mutzili.“ Meiner Schwester ging es ähnlich, auch sie weiß noch, dass sie ihrem Vater kein Küsschen geben wollte. „Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, dei ne Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, Maikäfer flieg.“ Dies war so ziemlich das einzige Lied, das wir außer „Häns- chen klein“ als Kind singen konnten. Wer es uns gelehrt hat, weiß ich nicht mehr, aber ich fand es jedenfalls sehr passend, weil mein Va- ter wirklich im Krieg war und ich mir nicht viel darunter vorstellen konnte. Eigentlich war der Krieg weit weg für mich und auch meine Mutter war nicht in diesem verbrannten Pommerland, sondern bei uns zu Hause, was mich ungemein beruhigte. Im Rückblick kann ich feststellen, dass es uns Kindern auf dem Land – verglichen mit Stadt- kindern – relativ gut ging. Eine spätere Kollegin in Stuttgart erzählte mir von ihrer Kindheit schau- rige Geschichten. Sie saß tagelang im Keller, als mit Krach und Getöse die heutige Landes- hauptstadt ausgebombt wurde. „Ich habe seit meiner Kindheit große Ängste, weil wir immer damit rechnen mussten, dass wir den Bom- benhagel nicht überleben“, verriet mir meine Freundin Sieglinde. Sie musste ihr Kriegstrau- ma, das nie therapiert wurde, durch ihr ganzes Leben mitschleppen. Wenn ich an solche und ähnliche Schicksale denke, muss ich feststellen, dass wir vom Krieg fast ganz verschont wurden. 302
Wir mussten unsere Ohren spitzen, wenn die Er- wachsenen darüber redeten und erfuhren trotz- dem kaum etwas. Zwar wurden jeden Abend die Fenster verdunkelt, damit keine Bomben auf unser Haus geworfen werden, wie meine Mutter dies begründete. Aber in unseren Keller muss- ten wir kein einziges Mal flüchten. Später, als ich in der ersten Klasse war, gab es ein paar- mal Bombenalarm im Dorf und wir rannten alle in den Schulkeller hinunter, wo wir uns brav auf den Boden setzen und warten mussten. Ich glaube, dass niemand von den vielen Schülern wirklich Angst hatte. Wir nahmen diese Unter- brechungen des Unterrichts eher als willkom- menes Abenteuer in Kauf. Als dann nach Kriegsende die Franzosen un- ser Dorf besetzten, herrschte große Unruhe in jedem Haus. „Die Marokkaner kommen“, hieß es schon tagelang vorher. Meine Mutter hängte ein großes Betttuch an ein Fenster im zweiten Stock und erklärte uns, dass eine weiße Fahne Frieden signalisiere und dass uns dann nichts passieren könne. Wir Kinder drückten unsere Nasen an die Fensterschreiben, als eine lange Schar von Soldaten vom Rensberg her geritten kam. Als sie ins Dorf hinunter zogen, atmete meine Mutter auf. Doch dann blickten einige von ihnen unschlüssig zu dem großen Hof herü- ber, der am gegenüberliegenden Hang lag. Zum Glück entdeckten sie nicht den Weg, der weiter Kriegskinder im Schwarzwald oben auf einem kleinen Umweg zu unserem Haus führte. So entschlossen sie sich, durch die Wiese hinüber zu unserem Elternhaus zu reiten. Meine Mutter war total entsetzt, schließ- lich hatte sie doch die Friedensfahne hinaus- gehängt und zusätzlich den Himmel bestürmt, aber nun schien alles umsonst. Doch in der Mitte der Wiese, ungefähr 100 Meter von uns entfernt, brachen die Pferde ein. Weil es in den letzten Tagen soviel geregnet hatte, war genau an der Stelle, wo die Reiter das Feld überqueren wollten, der Boden weich geworden. Ein paar Meter weiter unten wäre der Ritt zu unserem Hof kein Problem mehr gewesen. Doch die Soldaten resignierten, sie kehrten einfach um und schlossen sich wieder ihren Kameraden an, die in den Ort hinunter ritten. „Si hen omkehrt, des isch e Wonder“, flüsterte meine Mutter dankbar. Auch wir Kin- der atmeten alle auf, obwohl wir keine Ahnung hatten, was passiert wäre, wenn die Soldaten wirklich zu uns gekommen wären. Die Sorge der Gemeindehofbäuerin mit ih- ren fünf kleinen Kindern war nur zu berechtigt, wie ich erst viel später als Erwachsene erfahren habe. Die schwer bewaffneten Soldaten aus Frankreich, von denen angeblich nur der Anfüh- rer eine weiße Hautfarbe hatte, plünderten und raubten nicht nur die Häuser aus, sondern be- drohten und vergewaltigten auch viele Frauen. Der Gemeindehof der Familie Kienzler in Schonach hatte bis in die 1950-er Jahre ein Schindeldach. 303
Literatur der Heimat Doch der Pfarrer von Schonach beschützte die Mädchen und Frauen und sperrte alle, die am Abend kamen, in die Kirche ein, wo sie sicher waren. Dies wurde Pfarrer Karl Friedrich Hu- gelmann von der Bevölkerung hoch angerech- net, obwohl er ansonsten ein strenger Herr und darum nicht allzu beliebt war. Die Erwachsenen wussten wohl alle diese Geschichten, doch uns Kindern erzählte nie- mand etwas davon. Da wir nicht im Ortskern wohnten, wurden wir in Zukunft eigentlich nicht mehr bedroht. Hinzu kam, dass bei uns auf dem Hof ein junger Mann aus Russland arbeitete. Ich weiß nicht mehr, wann er als Fremdarbeiter von den Nazis zwangsverpflichtet wurde. Auf jeden Fall war Wladimir einige Jahre bei uns und in der Nachkriegszeit konnte er uns beschützen, denn alle Arbeiter aus Polen und Russland hatten gute Kontakte zu den französischen Soldaten. Manche Bauernhöfe wurden von den Soldaten überfallen, sie raubten Speck und fingen die Hühner, um sie zu braten. Wladimir berichtete immer wieder, dass manche seiner russischen Freunde den Besatzern sogar den Weg zu ihrem früheren Arbeitgeber zeigten, weil sie sich für die schlechte Behandlung rächen wollten. Da sich Wladimir bei uns wohl fühlte und meine Mutter immer freundlich zu ihm war, dachte er nicht im Traum daran, uns zu verraten. Als er dann in seine Heimat zurückkehren durfte, ver- abschiedete er sich traurig von uns. Wir haben aber nie wieder etwas von ihm gehört. Nach dem Krieg war die Heimkehr unseres Vaters Dauerthema. Meine Mutter hoffte jeden 304 Tag, dass er endlich kommt und auch uns ließ diese Frage nicht mehr los. Damals musste ich immer meine kleine Schwester zu Bett bringen und ihr jedes Mal eine Geschichte erzählen. Da erfand ich die Erzählung vom Krieg, in dem es um mehrere Familien mit vielen Kindern ging, die auf ihren Vater warteten. Jeden Abend musste ich eine Fortsetzung erfinden, obwohl mir nach einigen Wochen die Phantasie aus- ging. Meine Schwester Veronika aber glaubte, dass sich alles so zugetragen hatte, wie ich es erzählte und war ganz enttäuscht, als sie nach Jahren die Wahrheit erfuhr. Als dann mein Vater im Oktober 1946 endlich kam, war die Freude in unserer Familie groß. Ich kann mich noch erin- nern, dass er uns viel von seinen Kriegskame- raden erzählte, die wir im Laufe der Zeit alle mit Namen kennen lernten. Armut und Verzicht Zum Essen gab es bei uns eigentlich genug. Während des Krieges, aber auch in der Nach- kriegszeit mussten wir nicht hungern, wenn die Nahrung auch bescheiden war. Kuchen und Pud- ding lernten wir erst zwei oder drei Jahre nach dem Krieg kennen, aber es gab stattdessen ein- mal in der Woche Grießbrei oder Pfannkuchen, was uns Kindern besonders gut schmeckte. Ich kann mich noch gut an die ersten Bananen erinnern, die ich vor einem Schaufenster be- staunte. Es war sicher nicht vor 1948. Aber bis ich dann die ersten Südfrüchte essen durfte, dauerte es noch einige Jahre. Wir hatten einen Garten und deshalb gehörte heimisches Gemüse zur Hauptnahrung. Zum Frühstück aßen wir alle Haferflocken mit Milch, die uns die Kühe lieferten. Jeden Abend gab es gebrannte Mehlsuppe und Pellkartoffeln und so wurden alle in unserer Familie satt. An Käse und Schwarzbrot fehlte es auch nicht. Die Gemeindehofbäuerin Maria Kienzler Anfang 1943 mit ihren Kindern Anton, Maria, Emilian (auf dem Arm der Mutter) und Gerson (von links).
Aber so gut ging es nur den Menschen, die auf einem Bauernhof lebten. Im Ort selber sah es ganz anders aus: Ich weiß heute noch die Stelle auf dem Schulweg, als mir schlagartig bewusst wurde, dass Mitschüler, die keine Landwirt- schaft zu Hause haben, buchstäblich hungern müssen. „Hast du dein Brot schon gegessen“? fragte mich meine Schulfreundin Helga eines Tages schüchtern. Ich hatte mich schon ge- wundert, weil sie nicht nach Hause abbog, son- dern mich noch weiter begleiten wollte. Nun wusste ich ja, warum sie nicht Heim ging. Auf meine Frage gab sie zu, dass sie Hunger hatte. Offensichtlich hatte sie mich beobachtet und wusste, dass ich jeden Tag ein Butterbrot dabei hatte. Ich gab es ihr natürlich sofort und in Zu- kunft brauchte sie auch nicht mehr zu fragen. Ich freute mich immer, wenn sie es dankbar in Empfang nahm, denn mir schmeckte das schwarze Brot sowieso nicht. Und wenn ich es wieder mit nach Haus nahm, wurde ich ausge- schimpft. Meinem Bruder Gerson ging es genau- so, auch er verschenkte sein Brot fast jeden Tag an einen Mitschüler, wie er mir eines Tages unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte. Doch die Dorfkinder waren ohne Zweifel viel besser gekleidet als wir. Ich wurde als Bauern- mädchen sowieso mehr oder weniger verach- tet, zumindest bildete ich es mir ein. Schließ- lich hatte ich nie etwas Schönes zum Anziehen und wenn ich einmal etwas bekam, dann durfte dies keineswegs in der Schule, sondern nur am Sonntag beim Kirchgang getragen werden. Ich hatte zwei Schürzen und zwei Pullover, die wochenweise abwechselnd angezogen wurden. Doch wirklich warm waren die Pullis nicht, ich habe in den Wintermonaten immer gefroren. Ohne Schürze durften wir Mädchen die Schule nicht betreten. Eine meiner Schürzen hatte rote Tupfen auf dunklem Grund, die an- dere war aus einem hellen Bettbezug geschnei- dert. Als meine Großmutter starb beschloss ich außer der Reihe als Zeichen der Trauer die Tup- fenschürze anzuziehen, denn etwas Schwarzes besaß ich natürlich nicht. Das Schlimmste war für mich die Kälte, die auch im Haus überall zu spüren war. Nur in der Wohnstube wurde der Kachelofen geheizt und wenn wir im Winter über den Flur gingen, Kriegskinder im Schwarzwald froren wir immer. Doch geklagt wurde nicht darüber, irgendwie war es selbstverständlich, dass wir so manches entbehrten. Ich kann mich erinnern, dass ich eine Puppe hatte, die mir einmal eine Tante geschenkt hatte. Ansonsten gab es nur noch für jedes Kind einen Holzbau- kasten. Das war unser einziges Spielzeug und damit konnten wir einen kleinen Turm oder ein Häuschen bauen. Erst nach dem Krieg gab es Gesellschaftsspiele wie Mühle und Dame, aber meistens spielten wir mit Hosenknöpfen, weil wir keine Spielfiguren hatten. Nie vergesse ich die Tränen, die ich weinte, weil meine Mutter mir zu Weihnachten 1943 ein kleines Schwesterchen versprochen hatte. Sie wollte mich gleichzeitig motivieren, dass ich mein Kopfkissen für das neue Baby hergab. „Fo des klei Meidili bruche mir e Deckbett“, hieß es von allen Seiten. Meine Tanten und meine Großmutter bearbeiten mich ebenfalls in die- sem Sinne, sodass ich völlig ratlos war. Wie sollte ich einschlafen ohne Kopfkissen? Das war mir ein großes Rätsel und darum weigerte ich mich standhaft, zuzustimmen. Ein paar Tage vor dem Heiligen Abend kam dann das Baby auf die Welt und es war wirk- lich – wie versprochen – ein kleines Mädchen. Meine Tante holte wortlos mein Kopfkissen und deckte das Kindchen damit zu. Ich sah zwar ein, dass meine kleine Schwester nicht frieren durf- te, aber trotzdem weinte ich mich in den ersten Nächten in den Schlaf. Man hatte mir ein neues Kopfkissen versprochen, aber ich rechnete ei- gentlich gar nicht damit, denn ich wusste ge- nau, dass wir arm waren und kein Geld hatten. Nach einigen Wochen hatte ich mich zum Glück daran gewöhnt, ohne Kissen zu schlafen und ich behielt diese Praxis jahrzehntelang bei. Rückblende: Bildung und Erziehung im Dritten Reich In Schonach gab es eine Kinderschule, die ich als Kind allerdings nie betreten durfte. Die Er- zieherin war eine Ordensschwester, die jeden Morgen ums Dorf herum ging und die Kinder, die mindesten vier Jahre alt waren, abholte. Wir wohnten in einem Außenbezirk und hatten 305
Literatur der Heimat daher keine Chance, in den Genuss des Kin- dergartens zu kommen. Um so mehr freute ich mich auf die Schule und als mein Bruder Ger- son eingeschult wurde, beneidete ich ihn sehr. Heimlich ohne Wissen meiner Mutter blickte ich meinem Bruder über die Schulter, wenn er Buchstaben und Worte schrieb. So lernte ich in kurzer Zeit lesen. Regelmäßig kam die Volks- schullehrerin Klara Eibel zu uns nach Hause. Meine Mutter beschenkte sie mit Speck und Brot und tauschte sich mit ihr über die Kinder aus. Fräulein Eibel, wie sie genannt wurde, warnte sehr davor, den Kleinen etwas beizu- bringen, bevor sie in die Schule kommen. Das sei das Schlimmste, was passieren könne, denn diese Schüler würden nicht mehr aufpassen. Als endlich mein erster Schultag kam, freute ich mich sehr. Meine Mutter brachte mich ins Klassenzimmer, wo wir aufgerufen wurden und streng geordnet nach dem Alphabet einen festen Platz bekamen. „Des isch s’Agnesli, des isch no mit ons vowandt“, sagte meine Mutter über meine neue Nachbarin und lächelte mir aufmunternd zu. Ich fühlte mich gar nicht wohl unter so vielen fremden Kindern, die ich alle nicht kannte. Die meisten der knapp 40 Erstklässler in unserer Klasse waren untereinander befreun- det, denn schließlich hatten sie schon seit zwei Jahren im Kindergarten miteinander gespielt, während ich nur unseren Hof und meine Fami- lie kannte. Die erste Frage von Fräulein Eibel ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Sie schrieb „Heil Hitler“ an die Tafel und fragte uns, wer dies wohl lesen könne. Verschüchtert und vorsichtig blickte ich mich nach den anderen Schülern um, doch niemand streckte seinen Finger in die Höhe. Ich musste damit rechnen dass ich Ärger bekam, weil doch das Lesen ler- nen vor der Einschulung streng verboten war. Trotzdem nahm ich all meinen Mut zusammen und beantwortete die Frage der Lehrerin. Sie schien keineswegs überrascht und lobte mich sogar. Ein Stein fiel mir vom Herzen und ich konnte mein Glück kaum fassen. Vielleicht hat- te meine Mutter sie schonend darauf vorberei- tet, dass die bildungsfeindlichen Erziehungs- versuche bei mir absolut nicht genutzt hatten. Ich hatte zwar immer versucht, meine illegal 306 erworbenen Kenntnisse geheim zu halten, aber vielleicht hatte meine Mutter trotzdem irgend- wann bemerkt, dass ich lesen konnte. Auf jeden Fall erklärte uns Klara Eibel anschließend den Hitlergruß, den wir ihr bis zum Kriegsende je- den Morgen zurufen mussten. Danach fiel die Schule kriegsbedingt erst einmal ein halbes Jahr aus und als endlich wie- der Unterricht war, gab es zu meinem großen Erstaunen statt Hitlergruß ein Morgengebet. „Das Kind müsste aufs Gymnasium…“ In die Schule ging ich immer sehr gerne, aber das konnte ich niemand sagen. In der Pause schimpften alle über die Lehrer, was ich gar nicht verstehen konnte. Ich bekam fast jeden Morgen von Fräulein Eibel Tatzen und in der ers- ten Stunde war ich nur damit beschäftigt, mei- ne Hände zu reiben bis der Schmerz nachließ. Mein Schulweg dauerte eine halbe Stunde und da ich in der Frühe einfach nicht aus dem Bett kam, war ich oft zu spät dran. Aber ich nahm die Tatzen hin als unabänderliches Übel und dach- te nicht im Traum daran, mich zu bessern. Ich wunderte mich nur, dass die anderen meistens pünktlich waren. Ansonsten war ich eine brave Grundschülerin, die ordentliche Noten schrieb und gut mitarbeitete. Fräulein Eibel, die immer noch regelmäßig zu uns nach Hause kam, lobte mich sehr bei meiner Mutter und verriet mich nie wegen meiner Unpünktlichkeit. Sie bemän- gelte nur meine schlechte Handschrift und gab mir jedes Mal im Zeugnis eine Drei dafür. Aber ich versicherte meiner Mutter, dass ich einfach nicht besser schreiben könne. Das änderte sich allerdings schlagartig, als wir eine neue Klassenlehrerin bekamen. Frau Fesenmayer war jung und trug ein hübsches Dirndl. Sie verteilte auch keine Tatzen und ihr Frontalunterricht war total spannend. Plötzlich konnte ich so schön schreiben, dass ich nur noch Einser für meine Schrift einsammelte. Zweimal machte die Neue einen Hausbesuch bei uns, um meine Eltern zu veranlassen, mich auf eine höhere Schule zu schicken. „Das Kind müsste aufs Gymnasium“, zeigt sie sich über- zeugt. Mein Vater war gar nicht begeistert, als
er hörte, dass Erika Fesenmayer mir einen Platz im Internat in Konstanz vermitteln wollte. Meine Mutter fragte mich zwar, ob ich später Lehrerin werden wolle, doch ich lehnte natürlich ab. Seit ich ein paar Mal für meine Aufsätze ge- lobt worden war, betrachteten mich die ande- ren misstrauisch und ich hatte Sorge, dass ich dann noch mehr als Streberin verachtet werde. Außer den Kindern der Lehrer ging in unserem Dorf niemand aufs Gymnasium, alle besuchten die Volksschule bis zur achten Klasse. Ich freute mich immer, wenn die langen Sommerferien endlich vorbei waren, denn dann musste ich zu Hause nicht mehr so viel arbeiten. Dann durfte ich morgens in die Schule und am Nachmittag hatte ich immer eine gute Ausrede, wenn ich im Garten Unkraut zupfen, die Kühe hüten oder sonst etwas helfen sollte. Schließ- lich musste ich ja Hausaufgaben machen, wie ich meiner Mutter glaubhaft versicherte. In Wirklichkeit las ich den ganzen Nachmittag in- teressante Bücher, die ich in der kleinen Schul- bibliothek ausgeliehen hatte. Einmal erwischte mich meine Mutter beim Lesen. Sie versteckte den spannenden Winnetou und es dauerte Wo- chen, bis ich das Buch in einer Schublade unter der Wäsche entdeckte. Jetzt war ich gerettet und konnte es wieder zurückgeben. Aber das Schlimmste für mich war die Klei- dung, die ich tragen musste. Kurz vor Kriegsen- de brachten einige Nationalsozialisten Kleider in Hülle und Fülle und lagerten sie im Hotel Schlossberg ein. Bevor die Franzosen ins Dorf einzogen, durfte die Bevölkerung von Schonach im Schlossberg Kleider für den Eigenbedarf ho- len. Meine Mutter brachte mir zwei Röcke und zwei paar Winterschuhe mit hohem Absatz mit. Die „Schlossberg-Röcke“, wie wir sie nannten, waren mir viel zu lang und in den Schuhen konnte ich kaum gehen. „Diese Absätze müs- sen weg“, beschloss ich mit dem Mute der Ver- zweiflung. Im Schulhof gab es einen Abhang mit Glatteis, auf dem auch die anderen Kinder herunter rutschten. In der Hoffnung, dass die Absätze jeden Tag einige Millimeter kürzer wer- den, reihte ich mich vergnügt in die Schar der Eisrutscher ein. Doch lange dauerte meine Freu- de nicht, denn einige Schülern, die zusahen, fielen meine ungewöhnlichen Schuhe auf und Kriegskinder im Schwarzwald schon hatte ich den passenden Spitznamen weg. „Absatzschuseri“, wurde begeistert geru- fen, was soviel wie Absatzrutscherin bedeute- te. Ich schämte mich unendlich und rutschte in Zukunft nur noch nach Schulschluss, wenn alle weg waren, auf dem Eis herum. Aber die Absätze schienen mir trotzdem immer gleich hoch, große Fortschritte konnte ich jedenfalls nie feststellen. So musste ich die „Schlossberg-Schuhe“ tragen, bis ich aus ihnen herausgewachsen war. Meinen dünnen verschlissenen Mantel, den mir irgendjemand geschenkt hatte, trug ich ab meinem elften Lebensjahr immer, obwohl ich darin im Winter entsetzlich fror. Weil der Mantel braun war, wünschte ich mir außerdem eine freundlichere Farbe. Aber ich musste dieses fürchterliche Kleidungsstück tragen, bis ich im „Hotel Hir- schen“ in Schönwald arbeiten durfte. Dort ver- diente ich jeden Monat 90 DM. Von meinem ersten Lohn kaufte ich mir einen grünen Ano- rak, eine schwarze Skihose und warme Winter- schuhe. Dann war ich glücklich und trug 20 Jahre lang nie wieder ein Kleidungsstück, das braun war, so groß war meine Abneigung. Endlich selbst entscheiden Rückblickend kann ich sagen, dass die Zeit meiner Kindheit und Jugend bis zu meinem 15. Lebensjahr die unerfreulichste Phase meines Lebens war. Erst als ich nicht mehr fremdbestimmt wurde, sondern selbst manches entscheiden konnte, fühlte ich mich besser. Und als ich in den Wintermonaten nicht mehr zu Hause arbeiten musste, sondern weg durfte und in der Gastronomie ein wenig Geld verdie- nen konnte, um die nötigen Kleidungsstücke zu kaufen, war ich glücklich und zufrieden. Ich konnte mein Leben selbst in die Hand nehmen, was ich früher immer vermisst hatte. Vor allem aber konnte mir jetzt niemand mehr das Lesen und das Lernen verbieten. Ich kaufte mir viele Bücher und hütete sie wie ei- nen Schatz. Durch Literatur gewann ich einen Zugang in die große weite Welt, was ich mir schon als kleines Kind gewünscht hätte. Maria Kienzler 307
20. Kapitel Theater und Kleinkunst Das Jugendtheater SOVA Auf erfolgreichemTheaterspaziergang im Donaueschinger Schlosspark Seit 2008 heißt es einmal im Jahr in Donaueschingen „Spot on – Vorhang auf“, kurz SOVA. Es hat sich inzwischen unter vielen Theaterfreunden herum- gesprochen, dass dann leben- diges, von jungen Menschen gemachtes Theater folgt. SOVA machte mit seiner Begründerin und Leiterin Sabine Milbradt schon so sehr auf sich aufmerk- sam, dass die Truppe nach der Gründung im Jahre 2007 bereits 2010 eine der vier ersten Preis- träger des Kulturpreises des Schwarzwald-Baar-Kreises war. Die Gründerin, Organisato- rin, Ideengeberin, Moti va torin und Regisseurin, einfach die Seele dieser jungen Theatergruppe, ist Sabine Milbradt. Als Schülerin begeisterte sie sich für das Musik machen, z.B. in einer Musikgruppe in der Evangelischen Kirchengemeinde, daneben faszinierte sie jedoch immer auch das Theater- spiel. Später hat sie in der Gemeinde den Kin- derchor geleitet und hat zusammen mit Kantor Steffen Balbach bis 2003 Kinderopern und -mu- sicals einstudiert und aufgeführt. In der Kirchen- band der Christuskirche „Sacro Services“ ist sie eine begeisterte und engagierte Sängerin. Sabine Milbradt Sie ist zudem eine begeisterte Schauspie- lerin, der es Freude macht, die verschiedensten Rollen mit Leben zu erfüllen. Ihr Können stell- te sie beim Hüfinger Stadttheater (Badischer Aufstand) oder auf der „Bühne 94“ in Thornton Wilders Stück „Unsere kleine Stadt“ in der Rol- le des Spielleiters heraus. Wenn das Gespräch mit Sabine Milbradt auf das Thema Jugendliche und Thea ter kommt, so spürt man sofort ihre Begeisterung. Ihr positi ves Sendungsbewusst- sein wird sichtbar, denn das Theaterspiel mit Jugendlichen ist für sie etwas ganz Besonderes und hat im Gegensatz zum Theaterspiel mit Er- 308 308 wachsenen einen total anderen Charakter. Jugendliche gehen mit ihren Rollen ganz anders um. Sie diskutieren sehr einge- hend die Rollenverteilung, den Text, stellen um, ergänzen die Handlungen, entwickeln eigene Ideen, so dass man am Ende einer Probenzeit den Eindruck bekommen kann, dass eine völ- lig anderes Stück entstanden ist. Sabine Milbradt hat erfah- ren dürfen, dass die Arbeit mit den Jugendlichen sehr wertvoll sein kann. Die meist 20 Jugend- lichen im Alter von 13-19 Jahren kommen aus dem Städtedrei- eck Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen, und die Fluk- tuation ist naturgemäß enorm, bedingt durch den Weggang nach dem Abitur zu Studium oder zur Berufsausbildung. Der Eifer, der Einsatz für Theater und die Begeisterung fürs Schauspie- lern sind aber immer da. Die Bühne – eine wichtige Entfaltungsmöglichkeit für Jugendliche Für die jungen Leute ist es an der Schwelle zum Erwachsenwerden eine wichtige Erfahrung, wenn man sich „selbst produzieren“, wenn man im Spielen sich selbst besser erfahren und kennen lernen kann. Im Laufe einer Probenar- beit bis hin zur Aufführung können sie erleben, wie sie zu ungeahnten Höchstleistungen fähig sind; was dem einen oder anderen zunächst als peinlich erscheint oder ihn hemmt, lernt er zu überwinden, was zu neuem Selbstbewusstsein führt. Die Jugendlichen entwickeln im Zusam- mensein und Zusammenspiel eine Art Respekt gegenüber Mitspielern, gegenüber der Regie oder gegenüber der Rolle.
Theatergruppe SOVA Donaueschingen Auf der Bühne erlebt man einen Raum außer- halb der Schule oder des jugendlichen Alltags, in dem man sich auf eine ganz andere Art als gewohnt und unbelastet entfalten kann. Aber Sabine Milbradt verfolgt noch ein anderes Ziel: sie empfindet es als Bildungsauftrag, den Ju- gendlichen klassi sche Literatur und auch phi- losophische, kulturgeschichtliche Problemstel- lungen durch das Theaterspiel nahe zu bringen. Denn man muss nicht nur die modernen, dem gerade aktuellen Trend entsprechenden Texte auswählen, um die großen Themen anzugehen, sondern gerade auch klassische Stücke und Texte können Antworten auf die Fragen unserer Zeit geben. Vorbildliche Sprechkultur Besonderen Wert legt Sabine Milbradt auf einen pfleglichen Umgang mit der Sprache, sie sorgt für eine gründliche Sprechausbildung, und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Sprech- kultur ist beim SOVA Team ganz vorbildlich. Sabine Milbradts Spaß beschränkt sich bei ih- rer Theaterarbeit nicht nur aufs bloße Regiefüh- ren; Regietheater allein ist nicht so ihr Fall. Sie schreibt Texte um, streicht die Vorlage zusam- men und wandelt die Stücke um in eine Form, die die Möglichkeiten ihrer Truppe adäquat be- Sehr lebendig, frisch und temporeich geriet die SOVA-Inszenierung das „Gespenst von Canterville“. Gestik und Mimik der jugendlichen Schauspieler be- geisterten, die sich hervorragend in Szene setzten. rücksichtigt. Dazu kommt, dass sie sich auch immer wieder an neue Spielstätten anpassen muss, denn die ideale Bühne für ein Jugendthe- ater, auf der man auch eine langwierige Proben- arbeit bewältigen kann, gibt es nicht. Auf der Suche nach Spielstätten Auf diesem Gebiet hat man in der letzten Zeit eine tolle Lösung gefunden: Der Leiter des Al- tenheims St. Michael, Dieter Münzer, stellte den Theaterleuten einen großen Raum zum Proben zur Verfügung, dafür gibt man den Heimbe- wohnern eine Extravorstellung vor der öffentli- chen Premiere, aber auch die Probenarbeiten werden von etlichen Senioren und Seniorinnen mit viel Freude und Begeisterung verfolgt, aber auch mit kritischen Bemerkungen und auf- munternden Worten begleitet. So konnte man schon einmal hören, wie den jungen Spielern augenzwinkernd zugerufen wurde: „Kannsch jetzt de Text?“. Auf der Suche nach Spielstätten entwickelt die Theaterleiterin einige Phantasie. 309
Theatergruppe SOVA Donaueschingen So wurde schon in den Kaufmännischen Schu- len gespielt („Sophies Welt“), im Gemäuer der ehemaligen Fürstlich Fürstenbergischen Hofbi- bliothek – ganz passend: das unsterbliche „Ge- spenst von Canterville“ von Oscar Wilde. Und im Frühjahr 2011 auf der Burgbühne Dilsberg. Theaterspaziergang im Fürstlichen Schlosspark Ein großartig gelungenes Experiment fand im Juni 2011 statt: der Raummangel brachte Sabi- ne Milbradt auf die ausgefallene Idee, Shake- speares Komödie „Der Widerspenstigen Zäh- mung“ als Theaterspaziergang zu vier Spielstät- ten im Fürstlichen Schlosspark zu inszenieren. Ein Spielleiter führte das Theaterpublikum vom Musiktagedenkmal, zur Gedenksäule, zum Kal- liwoda-Gedenkstein, zum Lessingdenkmal bis zum Finale vor dem Fischhaus. Das Ganze war eine besondere Herausforderung für die jungen Spieler, agierten sie doch fast auf Tuchfühlung mit den Zuschauern. Man hatte offenbar einen Pakt mit Petrus ge- schlossen, denn zusammen mit der prächtigen und idyllischen Naturkulisse machte das herr- liche Sommerwetter das Theatervergnügen per- Beim Theaterspaziergang im Schlosspark. fekt. Die Theatergruppe war zudem blendend auf die Atmosphäre dieses Stücks vorbereitet. Man war zu einem Probenwochenende auf die Burg Dilsberg eingeladen, wo man eine wun- derschöne Freilichtbühne kennenlernen und begehen konnte. Dort konnten die jungen Leute auch Schreittänze zu Barockmusik proben und Übungen zu Gang und Körperhaltung in den mit- telalterlichen Ro ben absolvieren. Bewährt hat sich bei dem jüngsten The- aterunternehmen im Schlosspark auch die hervorragende Zusammenarbeit mit dem Ba- rockflö tenensemble der Musikschule Donau- eschingen, was dem Erfolg der Inszenierung einen besonderen Glanz verleihen konnte. Die letzte Aufführung, die man vor großem Publikum spielte, widmete das Ensemble des Jugendtheaters einem wohltätigen Zweck. Die Idee, das Palliativzentrum in Schwenningen mit dem Reinerlös der letzten Vorstellung zu unter- stützen, kam von den Jugendlichen selber. Sie wollten damit demonstrieren, dass sie bei aller Freude und Begeisterung beim Theaterspielen nicht nur den eigenen Spaß im Sinn haben, son- dern dass sie mitten in der Gesellschaft stehen und sie einen Blick haben für die Probleme, die diese Gesellschaft beschäftigen und sie als Ju- gendliche auch schon einen Teil Verantwortung übernehmen wollen. Horst Fischer 310
Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Türkischer Botschafter ist aus Donaueschingen Der neue türkische Botschafter in Deutschland, er wird im Novem- ber seine Ernennungsurkunde er- halten, hat eine Donaueschinger Vergangenheit: Anfang der 1960er Jahre lebte die Familie von Hjüseyin Avni Karslioglu zwei Jahre lang in Donaueschingen. Eine deutsche Nachbarin kümmerte sich um den Schüler und las ihm regelmäßig vor – womit Karslioglu seine Affinität zur deutschen Literatur erklärt. Der Karrierepolitiker spricht Deutsch und Englisch, ist verheiratet, zwei- facher Vater und im Moment noch Kanzleichef von Staatspräsident Abdullah Gül. Bürgermeister Jörg Frey erhält 99,4 % der Stimmen Jörg Frey, 44, seit 1995 Bürgermeis- ter in Schonach, ist am 22. Mai 2011 mit 99,4 Prozent der Wähler- stimmen bereits zum zweiten Mal wiedergewählt worden. Die Wahl- beteiligung betrug 55,2 Prozent. Brigachtal: Michael Schmitt neuer Bürgermeister Michael Schmitt wurde am 19. De- zember 2010 im ersten Wahlgang mit 75 Prozent der Wählerstimmen neuer Bürgermeister der Gemeinde Brigachtal. Der 37-Jährige war zu- vor Kämmerer in Donaueschingen. Die Bürgermeisterstel le musste kurzfristig neu besetzt werden, da der langjährige Bürgermeister Georg Lettner am 26. September 2010 überraschend verstorben war. Trotz vier weiterer Bewerber setzte sich der 37-jährige Hüfinger mit 75,1 Prozent im ersten Wahl- gang durch. Die Wahlbeteiligung betrug 63,9 Prozent. Bürgermeister Walter Klumpp ist wiedergewählt Am 17. April 2011 wurde Walter Klumpp, seit 2003 Bürgermeister von Bad Dürrheim, mit 97,17 Pro- zent der Stimmen wiedergewählt. Die Wahlbeteiligung betrug 41,73 Prozent. Jürgen Roth weiter Bürger- meister von Tuningen Der 48-jährige Jürgen Roth erhielt 95,2 Prozent der Stimmen bei seiner Wiederwahl als Tuninger Bürgermeister am 3. Juli 2011. Die Wahlbeteiligung betrug 45 Prozent. Heimattage 2012: Donau – ein Fluss verbindet Seit über 30 Jahren finden die Hei- mattage Baden-Württemberg statt und jedes Jahr hat eine andere Stadt oder ein Städteverbund die Möglichkeit, dieses Großereignis auszurichten. Dabei sind die Hei- mattage Schaufenster für die ver- anstaltenden Städte als auch eine Plattform, um das vielfältige An- gebot aus dem Südwesten zu prä- sentieren. Die Veranstaltungsreihe ist eine wunderbare Möglichkeit, Baden-Württemberg erlebbar und seine Regionen und Städte erfahr- bar zu machen. Die Vorbereitungsarbeiten für die Heimattage Baden-Württem- berg 2012 in Donaueschingen, Hü- fingen und Bräunlingen laufen auf Hochtouren. Sie stehen unter dem Motto „Donau – Ein Fluss verbin- det“. Mehr zu dem Veranstaltungs- reigen erfahren Sie unter: www.heimattage2012.de „Donau – ein Fluss verbindet“ lautet das Motto der Heimattage 2012. Hier der Donaubeginn in Donaueschingen: „Brigach (rechts) und Breg bringen die Donau zuweg“, heißt ein bekannter Spruch. 311
Magazin Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Große Verdienste: Alt-Landrat Dr. Rainer Gutknecht 80 Jahre alt „Ich habe den Almanach gerne mit gestaltet“, sagt Rainer Gutknecht. Seinen 80. Geburtstag feierte der Alt-Landrat des Schwarzwald- Baar-Kreises und „Gründervater“ des Almanachs auf der Donau: Eine Kreuzfahrt auf dem Fluss, der den Quellenlandkreis mit Europa verbindet, bis zur Mündung ins Schwarze Meer, das hatte er sich selbst zum Geburtstag geschenkt. Die 80 Jahre sieht man ihm nicht an. „Manche schätzen mich auf 60“, erklärt der Wahl-Bad Dürr- heimer, der in der Kurstadt seit bald 40 Jahren lebt. Es geht ihm gut. Seine Wohnung über den Dächern der Stadt sah er, als das Haus ge- rade gebaut wurde. Und er wusste 312 sofort: „Hier will ich einziehen“. Noch heute pflegt und begrünt er seine Dachterasse mit viel Freude, schwimmt im Solemar, wandert und fährt Rad. „Ich fühle mich wohl, erfreue mich meines Daseins, lebe zufrieden und verfolge interessiert das Geschehen in der engen und weiten Welt“, berichtet der promo- vierte Jurist. Der Junggeselle schätzt geho- bene badische Gastronomie. Ei- nen Teil seiner Zeit verbringt er mit Reisen. Seit seiner Jugend pflegt Rainer Gutknecht Freundschaften in Paris. Die französische Sprache findet er elegant. Gutknecht ist ein optimistischer Mensch. Das ist viel- leicht einer der Gründe, weshalb er so entspannt und gesund das ach- te Lebensjahrzehnt erreicht hat. Er selber führt das auf gute Gene und eine maßvolle Lebenseinstellung zurück. Mit „maze“ (in Maßen) zi- tiert er ein höfisches Ideal aus dem Mittelhochdeutschen, dem er sein Leben verpflichtet fühlt. Obwohl Rainer Gutknecht mit drei Geschwistern in Rottweil auf- gewachsen ist, wo sein Vater Bür- germeister war, war der Wechsel von Nordrhein-Westfalen in den heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis für ihn nicht einfach. Als die beiden Altkreise Donaueschingen und Vil- lingen zueinander finden sollten, hatte Gutknecht manche Hürde im Kreistag zu bewältigen. Auf den jungen Landrat, der zuletzt in einer modernen Kreis-Verwaltung in Bergisch-Gladbach gearbeitet hatte, wirkte die ehemalige Resi- denz des Kreises Villingen, die er 1973 am Villinger Kaiserring bezog, einer modernen Verwaltung nicht angemessen. „Die bauliche Atmos- phäre war bedrückend“, schildert er seinen Eindruck. Die Verwaltung in Bergisch-Gladbach hatte schnell und effizient gearbeitet, in der hei- teren Atmosphäre der Domstadt Köln hatte er sich wohl gefühlt. Es habe Momente gegeben, an denen er sich gewünscht habe, dorthin zurückzukehren, erzählt der gläubige Katholik. So oft es mög lich war, wurden Sitzungen im neuen Landratsamt in Donau- eschingen (später das Finanz- amt) abgehalten. Und schon bald reifte in ihm der Gedanke, für den Schwarzwald-Baar-Kreis ein neues Landratsamt zu bauen. In den 1980-er Jahren kam eine günstige Zeit, in der der Neubau finanziert werden konnte. „Ich habe Glück gehabt, das habe ich manchmal selbst nicht geglaubt, dass das Landratsamt mal gebaut werden würde.“ 1977 erscheint der „Almanach“ Schon zuvor, nämlich 1977, er- schien der erste Almanach des Schwarzwald-Baar-Kreises. „Wenn Sie so wollen, war Öffentlichkeits- arbeit ein Hobby von mir“, erzählt Der erste Almanach aus dem Jahr 1977 ist im 36. Jahr des Er scheinens des Jahrbuches ein gesuchtes Sammlerstück.
der zweifache Träger des Bundes- verdienstkreuzes. Im Rheinisch- Bergischen Kreis in Nordrhein- Westfalen, seinem früheren Wir- kungsfeld, gab es eine ähnliche Publikation. Der dortige Landrat war damals noch ehrenamtlich tä- tig und hauptberuflich Chef einer Nachrichtenagentur. Er förderte das Hobby des jungen Kreisdirek- tors Rainer Gutknecht. Als dieser selbst Landrat im Schwarzwald- Baar-Kreis wurde, rief er dort den Almanach ins Leben. „Unser Heimatjahrbuch ent- hält ein breiteres Themenfeld und hat sich im Laufe der Jahre zu einem wirklichen Nachschlage- werk entwickelt“, sagt er. „Verein- zelt gab es in anderen Landkreisen ähnliche Veröffentlichungen, aber nicht in dieser Dichte von Themen. Ich erinnere mich, dass wir von mehreren Landkreisen (nicht nur in Baden-Württemberg) Anfragen erhielten, wie wir das machen. Nachahmungen blieben nicht aus.“ Das Jahrbuch habe das Zusam- menwachsen der beiden Altkreise Donaueschingen und Villingen gefördert, erinnert sich Rainer Gut- knecht. Ebenso wie die gemeinsame Anstrengung, die Schulen in bei- den ehemaligen Kreisen auszubau- en: „Für mich war der Schulbereich auch ein Mittel, die beiden ehema- ligen Kreise zu vereinigen“, sagt er. Dieser Bereich habe in seiner Amtszeit stets oberste Priorität ge- habt. „Wir mussten zum einen den gro ßen Nachholbedarf befriedigen und zum anderen zogen in dieser Frage alle politischen Kräfte im Kreistag an einem Strang.“ In ande- ren Bereichen gab es gelegentlich Auseinandersetzungen zwischen den Kreisräten. Beispielsweise, als das Land den Landkreisen einen Almanach-Ma ga zin Das unter der Regie von Alt-Landrat Dr. Rainer Gutknecht erbaute Land- ratsamt auf dem Villinger Hoptbühl. einzigen Computer für Kranken- häuser zubilligte, und dieser nach Villingen-Schwenningen kam. „Der Landkreis war mein Leben“ „Der Schwarzwald-Baar-Kreis – das war mein Leben“, erinnert sich der gebürtige Stuttgarter, der 1996 in den Ruhestand trat. Privat lebte Rainer Gutknecht stets zurückge- zogen. Lange habe er in den letzten Jahren vor dem Ruhestand auf den Fahrten von Bad Dürrheim nach Villingen ins Landratsamt darüber nachgedacht, was er im Ru hestand machen würde, erzählt er: „Ich habe mich auf den Ruhestand be- wusst mental vorbereitet und habe alle Tätigkeiten, die mit dem Beruf zusammenhingen, aufgegeben.“ Nach mehr als 15 Jahren Ruhestand zieht er die Bilanz eines ausgegli- chenen, entspannten Le bens. Und er ist offen für alles, „was das Le- ben jetzt noch für mich bereit hält.“ Felicitas Schück Weitere Beiträge zu Dr. Rainer Gut- knecht finden sich u.a. im Alma- nach 1997 und 2002. 313
Anhang Ver än de run gen in Zah len in Pro zent Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Ge mein de Stand der Wohn be völ ke rung Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St.Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach 31. 12. 2009 31. 12. 2010 12.912 12.960 10.138 10.216 5.969 6.076 5.095 5.181 3.573 3.671 21.128 21.128 9.249 9.289 1.193 1.217 7.722 7.667 5.989 5.995 3.081 3.116 5.888 5.962 13.014 13.208 2.389 2.396 3.974 3.889 4.790 4.889 2.863 2.865 2.722 2.750 81.022 80.941 3.862 3.805 -48 -78 -107 -86 98 0 -40 -24 55 6 -35 -74 -194 -7 -85 -99 -2 -28 81 -57 -0,37 -0,77 -1,79 -1,69 2,67 0,00 -0,43 -2,01 0,71 0,10 -1,14 -1,26 -1,49 -0,29 -2,19 -2,07 -0,07 -1,03 0,10 -1,50 -0,35 Kreisbevölkerung insgesamt 207.259 206.535 -724 Schonach 3.889 Triberg 4.790 Schönwald 2.389 Furtwangen 9.249 St. Georgen 13.014 Königsfeld 5.995 Unterkirnach 2.722 Mönchweiler 3.081 Villingen- Schwenningen 81.022 Gütenbach 1.193 Vöhrenbach 3.805 Brigachtal 5.095 Bräunlingen 5.969 Niedereschach 5.888 Dauchingen 3.671 Bad Dürrheim 12.912 Tuningen 2.863 Donaueschingen 21.128 Hüfingen 7.722 Blumberg 10.138 314
Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 27. März 2011 Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen Anhang Wahlberechtigte Wähler insgesamt Ungültige Stimmen Gültige Stimmen Wahlvorschläge CDU SPD GRÜNE FDP DIE LINKE REP NPD ödp PBC PIRATEN 121.863 75.656 1.135 74.521 31.757 16.535 16.698 3.780 1.692 400 1.263 571 595 1.230 62,1 % 1,5 % 98,5 % 42,6 % 22,2 % 22,4 % 5,1 % 2,3 % 0,5 % 1,7 % 0,8 % 0,8 % 1,7 % 124.454 77.629 1.115 76.514 35.461 16.089 13.371 5.322 2.006 657 1.163 984 – 1.461 62,4 % 1,4 % 98,6 % 46,3 % 21,0 % 17,5 % 7,0 % 2,6 % 0,9 % 1,5 % 1,3 % – 1,9 % Gewählt wurden: VS – Karl Rombach (CDU) – TUT/DS – Guido Wolf (CDU), Leopold Grimm (FDP) Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag 30.6.2009 30.6.2010 30.6.2011 Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 6,0 % 4,9 % 3,5 % 5,2 % 4,7 % 3,9 % 8,1 % 7,5 % 6,9 % Beschäftigte insgesamt: 75.362, davon 32.557 im Produzierenden Gewerbe (43,2 %), 14.258 in Handel, Gastgewerbe und Verkehr (18,9 %) sowie 28.391 im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ (37,7 %). (Stand: Juni 2010 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg) Orden und Ehrenzeichen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2010 ausgezeichnet: Gerold Reich, Bad Dürrheim, Heinz Seifried, Bad Dürrheim. Und im Jahr 2011: Konrad Hengstler, Bad Dürrheim, Kletus Weiß, Furtwangen, Walter Beer, Furtwan- gen, Dieter Fürst, Villingen-Schwenningen, Jürgen Kauth, Bad Dürrheim, Alexander Nock, Schonach, Achim Durler, Donaueschingen, Klaus Münzer, Donaueschingen, Armin Rudolf, Donaueschingen und Anni Schick, Donaueschingen Das Bundesverdienstkreuz haben 2011 erhalten: Jürgen Hess, Villingen-Schwenningen, Georg Papst, St. Georgen, Wolfgang Kaiser, Bad Dürrheim und Heinrich Glunz Bad Dürrheim. 315
Anhang Bildnachweis Almanach 2012 94-100 – ARTICO Sportklinik, VS-Villingen: 101- 105 – Altenheim St. Cyriak, Furtwangen: 108 ob. li., 110 ob., 110 mi. li., 110 u. li. – Matthias Winter, Furtwangen: 110 u. re. – Christy-Brown-Schule, VS-Villingen: 114 – Michael Kienzler, Brigachtal: 8, 13, 15 ob., 119, 168, 170-171, 173-177, 178-183, 193 u., 253 u., 254-257, 258 ob., 260 u., 261, 284/285, 289 mi. li., 289 u. – Martin Fetscher, Landratsamt SBK: 128/129, 135 ob. re., 158 – Tobias Kühn, Städt. Forstamt Villingen-Schwenningen: 148 u., 149 – Andreas Meyer, Niedereschach: 151 ob., 152 – Arbeitsgemeinschaft Historischer Bergbau, Nie- dereschach: 151 u. – Bernhard Prillwitz, Blumberg: 139, 155 – Wolfgang Neuß, Hornberg: 164 – Dieter Vaas, St. Georgen: 172, 191 ob. – Martina Homol- ka, Berlin: 190, 192, 193 ob. – Stefan Simon, Bri- gachtal: 191 u. – Bernward Janzing, Freiburg: 207, 208 ob. – Powerfarm, Tuningen: 209 u. – Bürger- Energie-Niedereschach: 211 – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 216-225, 241 ob., 243 – Erich Marek, VS-Schwenningen: 227 u. li. – LIFE-Projekt Rohrhardsberg: 226 u. re., 228-231, 232 ob. – Mi- chael Storz, VS-Villingen: 245, 250, 251 – Achim Käflein Fotodesign, Freiburg: 246 u., 247 ob. li., 248, 249 – Hans-Jürgen Kommert, St. Georgen: 246 ob. – Maria Kienzler, Triberg: 247 ob. re. – Klaus-Peter Friese, VS-Villingen: 259 u. – Rolf Har- ter, Heidenhofen: 263/264 – Bernie Zimmermann, Heidenhofen: 265 ob. li., 265 ob. re. – Gasthaus Engel, Vöhrenbach: 268-272 – Anja Meyer, VS-Vil- lingen: 273/274 – Anton Hettich, Rohrhardsberg: 276 ob., 277 mi. – Archiv Gemeinde Schonach: 287 – Skiclub Schonach, Harner: 289 ob., 289 mi. re., 290 – Klaus Weiss, Obereschach: 293 ob. – Mi- chael J. H. Zimmermann, Villingen-Schwenningen: 294-300 – Steffen Maier, Donaueschingen: 308- 310 – direvi, Dieter Reinhardt, Villingen-Schwen- ningen: 312 Motiv Titelseite: Am Blindensee bei Schonach/Schönwald. Die Aufnahme stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Motiv Rückseite: Badespaß an der jungen Donau – am Wehr in Neudingen. Fotografiert von Wilfried Dold, Vöh- renbach. Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 3, 5, 6, 9 mi. re., 21, 22/23, 26 ob. li., 27, 29 ob. re., 30-32, 33 ob., 34, 35 ob., 36/37, 41, 43, 48/49 gr. Foto, 51, 53, 57 ob. re., 106-107, 108 ob. re., 109, 112/113, 115, 117, 118, 120/121, 130-133, 133 u. li., 134, 136-139, 140, 143, 145, 146 ob. re., 148 ob., 150, 153, 154, 157, 160-163, 165, 166, 194/195, 196-205, 206 u., 210, 212-215, 226/227 gr. Foto, 226 u. re., 227 u. re., 232 u., 233, 238/239, 240 ob., 240-241 u., 242, 244, 258 u., 259 ob., 260 ob., 276-277 u., 277 ob., 278-282, 311, 313 – Jochen Hahne, VS-Villingen: 9 ob. – Manfred Beathalter, Bräunlingen: 10, 208 u. – Cornelia Hellweg, VS-Schwenningen: 12 ob. – Ro- land Sprich, St. Georgen: 15 u., 17-19 – doldverlag (Archiv), Vöhrenbach: 22, 23, 24, 28 mi. re., 29 ob., 133 ob., 135 u., 142, 144, 146 u., 156, 167, 206 ob. re., 276 ob., 286 u. – Stephanie Wetzig, Nieder- eschach: 26 ob. re., 28, 29 u. li., 262, 265 ob. mi., 266/267 – Horst Fischer, Landratsamt VS: 29 u. re. – Twirling-Tanz-Sport-Gruppe Niedereschach: 35 u. – Hess AG, Villingen-Schwenningen: 54, 55, 56 ob. li., 57-59 – Stadt Bräunlingen: 38/39, 42, 44-47 – Regierungspräsidium Freiburg: 48-49 u. – Südkurier Redaktion Villingen-Schwenningen: 68, 70 – IMS Gear, Donaueschingen: 72-79 – Ganter GmbH, Furtwangen: 80-87 – Löwenbrauerei Bräun- lingen: 88-93 – REINHARDT GmbH, VS-Villingen: 316
Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Anhang Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29, 78166 Donaueschingen-Pfohren Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Fischer, Horst, Endlins Breiten 1, 78166 Donaueschingen Hauser Jan, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hajek, Christa, Am Straßberg 8, 78120 Furtwangen Heim, Karl, Landrat, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Heinig, Birgit, Bozener Str. 19, 78052 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Huber, Eva-Maria, Im Oberdorf 5, 78661 Göttlingen Hummel, Markus, Langenbacher Str. 26/3, 78147 Vöhrenbach Janzing, Bernward, Wilhelmstraße 24a, 79098 Freiburg Kaltenbach, Christof, Hans-Thoma-Straße 7, 78136 Schonach Kienzler, Maria, Faulbergweg 11, 78098 Triberg Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal Klitzsch, Michael, Am Hegibrunnen 22, 78166 Donaueschingen Limberger-Andris, Stefan, Mühlenstr. 7, 79877 Friedenweiler-Rötenbach Mees, Allard, Am Wäldchen 11 A, 55270 Klein-Winternheim Molitor, Petra, Balzerstr. 3, 78199 Bräunlingen Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Peters, Marion, Dickenhardtstraße 40, 78054 Villingen-Schwenningen Preuß, Stefan, Kandelweg 4, 78083 Dauchingen Schyle, Wolfgang, Triberger Str. 39, 78136 Schonach Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schück, Felicitas, Kirnacher Höhe 16, 78089 Unterkirnach Sigwart, Roland, Hauptstraße 16, 78183 Hüfingen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 VS-Marbach Sprich, Roland, Weidenbächlestraße 6, 78112 St. Georgen Trippl, Norbert, Bickenstr. 19, 78050 Villingen-Schwenningen Volk, Karl, Untertal 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Wacker, Dieter, Max-Stromeyer-Straße 178, 78467 Konstanz Wagner, Dr. Silvia, An der Hammerhalde 34, 78050 Villingen-Schwenningen Walheim, Petra, Frauenstraße 77, 89073 Ulm Wetzig, Stephanie, Niedereschacherstraße 31, 78078 Niedereschach Wider, Verena, St. Nepomukstraße 1/4, 78048 Villingen-Schwenningen Winkler, Wolfgang Arno, Urbanweg 69, 78112 St. Georgen Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zimmermann, Michael J. H., Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen 317
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Energiewende ist nur mit mehr Windkraft zu schaffen Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Berufliches Schulwesen erneut ein Schwerpunkt bei den Investitionen – Die Arbeitslosigkeit sinkt im Juli 2011 auf 3,5% – Deutlich höhere Steuereinnahmen / Karl Heim Hilfe über die Grenze hinweg – Über 1.200 Teilnehmer haben den Schwarzwald-Baar-Kreis und den Kanton Schaffhausen einem „Stresstest“ in Sachen Katastrophenschutz unterzogen / Roland Sprich Vielfältige Hilfen für das Alter – Schwarzwald-Baar-Kreis eröffnet ersten Pflegestützpunkt in Baden-Württemberg / Jan Hauser 2. Kapitel / Städte und Gemeinden Hochemmingen – grünes Paradies auf der Baar / Stephanie Wetzig /wd Niedereschach – ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort in bester Lage / Christina Nack 3. Kapitel / Architektur und Denkmalpflege Zähringerstadt mit Flair – die neue Bräunlinger Mitte begeistert / Michael Klitzsch Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen ist fertiggestellt / Manfred Beathalter 4. Kapitel / Persönlichkeiten 2 4 6 8 16 20 22 30 38 48 Lichtgestalt mit Bodenhaftung – Jürgen Georges Hess mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet / Verena Wider Thomas Henkelmann, Connecticut – Ein amerikanischer Gourmetkoch der Spitzenklasse mit Bräunlinger Wurzeln / Petra Molitor Regisseurin Sigrid Klausmann – Die Furtwangerin ist mit ihren Dokumentarfilmen sehr erfolgreich / Christa Hajek In Erinnerung an Klaus Merkle – Erfolgreicher Geschäftsmann, sozialer Partner und Familien- mensch / Dieter Wacker Bernhard Hoch – Mann des Ausgleichs – Mit seinem Tod verlor die Region Schwarzwald-Baar einen ihrer Repräsentanten / Norbert Trippl 68 70 54 60 64 5. Kapitel / Aus dem Wirtschaftsleben IMS Gear: Antriebslösungen für die Welt des Automobils – Die Firmengruppe bietet allein an ihren deutschen Standorten über 1.400 Arbeitsplätze / Manfred Beathalter GANTER – weltweit führender Hersteller von Normelementen – Der Furtwanger Anbieter von Normteilen zum Bedienen und Spannen sowie Vorrichtungs- und Maschinenelementen wird in der vierten Familiengeneration geführt / Matthias Winter Die Löwenbrauerei Bräunlingen setzt auf regionale Kreisläufe – Das Bierbrauen liegt seit dem 18. Jahrhundert in der Tradition der Familie Kalb / Stefan Limberger-Andris / Wilfried Dold Vom „Allesbrüter“ zum Weltmarktführer für wärmetechnische Lösungen – Ernst REINHARDT GmbH feiert 75-jähriges Bestehen – Innovativ und konstruktionsstark / Marion Peters 72 80 88 94 318
Inhaltsverzeichnis Die Bewegung der Patienten als Antrieb – ARTICO-Sportklinik in Villingen-Schwenningen: Die Gelenkspezialisten / Stefan Preuß 6. Kapitel / Soziales Modernes und freundliches Zuhause – Das Furtwanger Altenheim St. Cyriak liegt mitten in der Stadt / Matthias Winter 7. Kapitel / Bildung Christy-Brown-Schule: Nichtbehinderte lernen von Behinderten – Liebevolles Miteinander prägt die Atmosphäre – Die Schule für Körperbehinderte feiert ihr 35-jähriges Bestehen / Eva-Maria Huber 8. Kapitel / Archäologie 101 106 112 Die Entdeckung des Sternenhimmels vom Magdalenenberg / Allard Mees / Dr. Silvia Wagner 120 9. Kapitel / Geschichte Schätze der Erde – Bergbau im Schwarzwald-Baar-Kreis – Von der Suche nach Eisenerz, Silber, Edelsteinen und anderen Bodenschätzen / Martin Fetscher 900 Jahre Triberg – Burg Althornberg die Wurzeln der Stadt – Adalbert von Ellerbach 1111 als Herr von Hornberg erstmals erwähnt – Zum Stadtjubiläum wurde der Schlossfelsen mit seinen Burgresten leichter begehbar gemacht / Karl Volk 10. Kapitel / Museen Das neue Deutsche Phonomuseum – Bürgermeister Michael Rieger: „Meilenstein der Stadtgeschichte St. Georgens“ / Wolfgang Arno Winkler / Wilfried Dold 11. Kapitel / Kunst und Künstler 128 160 170 Das Kunstwerk, das Ergebnis zählt – Kunstverein Villingen-Schwenningen ein Pool unterschiedlichster Strömungen / Eva-Maria Huber Harry Ludszuweit: Preisgekrönter Architekt und Bildhauer – Auch mit 86 Jahren stets auf der Höhe der Zeit – Unabhängigkeit wichtig / Stefan Simon Emil Jo Homolka – Einer der bedeutendsten Künstler, die Königsfeld hervorbrachte / Stefan Simon 178 184 190 12. Kapitel / Erneuerbare Energien Künftig mehr Windkraft – Bioenergie und Sonne an der Spitze – Im Schwarzwald-Baar-Kreis werden jährlich ca. 157 Millionen Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt – Gütenbach ist bereits Stromexporteur / Bernward Janzing 13. Kapitel / Umwelt und Natur Die Buchen – Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 6) / Wolf Hockenjos Das LIFE-Projekt Rohrhardsberg – Naturschutz in einer Welt mit sechs Monaten Winter / Petra Walheim Ausblicke – Einblicke – Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 1) / Wolf Hockenjos 196 216 226 238 319
Inhaltsverzeichnis 14. Kapitel / Kirche aktuell Begegnungen mit Papst Benedikt – Rohrbacher Diakon Christoph Franke stand bei der Heiligen Messe neben dem Oberhaupt der katholischen Kirche – Große Begeisterung auch im Schwarzwald-Baar-Kreis / Christina Nack / Wilfried Dold 15. Kapitel / Freizeit NaturSportPark und Badeparadies „solara“ in Königsfeld – Freibad und familiäre Freizeitanlage verzeichnen einen Rekordbesuch / Christina Nack Kurze Reise ins Abenteuer vor der Haustüre: Das Wildgehege Salvest bietet kostenlosen Freizeitspaß – Freizeit für Familien muss kein teurer Spaß sein. Das zeigt ein Besuch im Wildgehege Salvest im Villinger Stadtwald. / Verena Wider Heidenhofen – Pferdedorf auf der Baar – Auf 250 Einwohner verteilen sich 50 Pferde – Auch ein Olympiapferd gezüchtet / Stephanie Wetzig 16. Kapitel / Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Feine Küche und stilvolles Ambiente im Gasthof Engel – Kulinarisches Aushängeschild im Schwarzwald-Baar-Kreis – Ausbildung hat einen hohen Stellenwert / Markus Hummel Das „Bistro“ ist zu, eine Ära zu Ende – „Gisela“ alias Gisela Hofele war mehr als Wirtin – Villinger Kultkneipe bestand 40 Jahre / Christina Nack Zu Gast im „Schänzle“ – Das Kulturdenkmal auf dem 1.163 m hohen Rohrhardsberg erfreut Wanderer und Biker / Elke Schön / Wilfried Dold 17. Kapitel / Sport Langenwaldschanze: Sprünge bis zu 110 Metern sind möglich – Investitionen von 2,25 Mio. Euro sollen den Weltcup der Nordischen Kombinierer sichern / Christof Kaltenbach / Wolfgang Schyle Klaus Weiss – ein Ausnahmesportler – Der Obereschacher ist mehrfacher Seniorenweltmeister im Skilanglauf / Birgit Heinig 18. Kapitel / Literatur 245 252 258 262 268 273 276 284 291 Veit Heinichen – Schriftsteller aus Schwenningen – Ein Grenzgänger und Literat mit „Sitz im Leben“ / Michael J. H. Zimmermann 294 19. Kapitel / Literatur der Heimat Kriegskinder im Schwarzwald – Erinnerungen eines Bauernmädchens / Maria Kienzler 302 20. Kapitel / Theater und Kleinkunst Das Jugendtheater SOVA – Auf erfolgreichem Theaterspaziergang im Donaueschinger Schlosspark / Horst Fischer 21. Kapitel / Almanach-Magazin Große Verdienste: Alt-Landrat Dr. Rainer Gutknecht 80 Jahre alt / Felicitas Schück 308 312 Anhang Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis 314 Der Landkreis im Spiegel der Statistik 315 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen 315 Orden und Ehrenzeichen 315 Bildnachweis 316 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 317 Inhaltsverzeichnis 318 320
Badespaß an der jungen Donau – Am Wehr in Neudingen Fotografiert von Wilfried Dold