Almanach 1997

Almanach 1997 H e i m a t j a h r b u c h d e s S c h w a r z w a l d – B a a r – K r e i s e s 2 i . F o l g e

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar·Kreis Redaktion: Karl Heim, Landrat Dr. Joachim Sturm, Kreisarchivar Karl Volk, Realschuloberlehrer Wilfried Dold, Redakteur Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nad1drucke und Vervielfäl­ tigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Gestaltung, Satz und Lithografie: Dold-Verlag, Vöhrenbach Verlag und Druck: Todt-Druck GmbH, Villingen· Sdnvenningen ISBN: 3-927677-10-8

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 1997 ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Vöhrenbach Emil Frei GmbH & Co. Lackfabrik, Bräunlingen-Döggingen Auer + Weber + Partner, Freie Architekten, Stuttgart S. D. Joachim Fürst zu Fürstenberg, Donaueschingen Dr. Hanno Augstein, Hüfingen AZ-Armaturen GmbH u Co. KG, Geschäftsführer: Dipl. Ing. Gerhard Wisser und Dipl. Ing. Jörg Wisser, Waldstr. 7, Mönchweiler Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH + Co. Heilbrunnen, Bad Dürrheim Baden-Württembergische Bank AG, Filiale Villingen-Schwenningen Biedermann Firmengruppe, Bena-Suttner-Str. 23, Villingen-Schwenningen lng.-Büro für Haustechnik Budde & Oberle, Ostbahnhofstraße 19, Villingen-Schwenningen Burger Industriewerk GmbH & Co. KG, Schonach Erhard Bürk-Kauffmann GmbH, Vertretung der Esso AG, Neuffenstr. 27-29, Villingen-Schwenningen EGT Elektrotechnik GmbH, Schonacher Str. 2, Triberg EGT Gebäudemanagement GmbH, Schonacher Str. 2, Triberg Ewald Eble, Schonachbach 27, T riberg-Schonachbach Walter Glatz, Blumberg Dipl.-Ing. M. Greiner VBI, Ingenieurbüro für Statik/Wasser-, Straßenbau und Umweltschutz, Donaueschingen Siegfried Heim GmbH, Triberg Otto Heitzmann KG, Gabelstapler-Service, Donaueschingen Dr. med. Egon Hochmann, Triberg Hotel „Hänslehof“ GmbH, Sieglinde Schreijäg, Geschäftsführerin, Bad Dürrheim Institut Dr. Jäger, Friedrichstraße 9, Villingen-Schwenningen Herbert Jauch, Industrievertretungen, In der Lache 24, Villingen-Schwenningen Kartonagenfabrik Schwenningen GmbH, Villingen-Schwenningen Kraftwerk Laufenburg KUNDO System Technik GmbH, St. Georgen Kur- und Bäder GmbH, Bad Dürrheim Liapor-Werk, Tuningen Energieversorgung Südbaar GmbH, Blumberg Familie Limberger, Bad Dürrheim 3

Ernst Lorch KG, Bosch-Vertragsgroßhändler, Funkservice, Rottweiler-Str. 25, VS-Schwenningen Elementbau Spadinger GmbH, Bräunlingen Sparkasse Donaueschingen Lutz Fleischwaren AG, Blumberg Sparkasse Villingen-Schwenningen MAI CO Elektroapparate-Fabrik GmbH, Steinbeisstraße 20, Villingen-Schwenningen Vermessungsbüro Dipl.-Ing. Viktor Mandolla, Villingen-Schwenningen Günther Stegmann, Donaueschingen Stein Automation GmbH, Villingen-Schwennin­ gen Straub-Verpackungen GmbH, Bräunlingen Leopold Messmer, Freier Architekt, Furtwangen SWEG Südwestdeutsche Verkehrs-Aktiengesell­ schaft, Lahr MODUS Gesellschaft f. beruAiche Bildung GmbH & Co. KG, Vöhrenbach TRW Deutschland GmbH, Motorkomponenten, Werkstr. l, Blumberg Mohr+ Friedrich GmbH, Mutternfabrik, Vöhrenbach Dr. Peter Pfaff, Frauenarzt, Villingen-Schwenningen Guido Rebholz, Architekt, Zehntstraße 1, Bad Dürrheim Albin Vogt, Transporte, Peter-Maier-Str. 16, DS-Hubertshofen Volksbank Triberg eG, Triberg Volksbank eG Villingen Wagner Lasertechnik GmbH, Dauchingen Ricosta GmbH & Co. Schuhfabriken, Donaueschingen F. K. Wiebelt GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen Anne Rieple-Offensperger, Friedrichstraße 1, Bad Dürrheim Dr. Fritz Wilke, Orthopäde, Villingen-Schwenningen Dipl.-Ing. Eckart Rothweiler, Freier Architekt, Donaueschingen Johann Wintermantel Verwaltungs-GmbH & Co. KG, Kies- u. Betonwerke, Donaueschingen Matthias Schlenker Brennstoffe + Spedition, Villingen-Schwenningen Ursula Wollersen, Birkenweg 8, Triberg Alfons Schlenker, Schotterwerk GmbH + Co. KG, Dauchingen 11 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschen nicht namentlich genannt zu werden. SCHMIDT Feintechnik GmbH, St. Georgen S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke Stiftung & Co., Bregstraße 1 Furtwangen 4

Heimat und Landkreis Dem Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Saar-Kreises 1997 zum Geleit M it dem Begriff „Heimat“ verbindet man üblicherweise entweder den engeren Lebensbereich, die Ge­ meinde, in der man geboren oder zu Hause ist, oder die Landschaft, in der man lebt, die Baar oder den Schwanwald. Die nach der Kreisreform neu gebildeten Kreise sind zwar zwischenzeitlich als lei­ stungsfähige Verwaltungseinheiten etabliert, ein Kreisbewußtsein, ein W ir-Gefühl, kann aber nicht per Gesetz verordnet werden. Es muß wachsen! Dazu bedarf es mehr als ei­ nes einheitlichen Kennzeichens. Um eine emotionale Beziehung zu dem neuen Kreis entwickeln zu können, muß man ihn kennen: die Städte und Gemein­ den, die vielfältigen landschaftlichen Gege­ benheiten, die geschichtliche Entwicklung, die vielen liebenswürdigen Besonderheiten. Man muß nachempfinden können, wie die Menschen von Nordhalden bis Gremmels­ bach, von Öfingen bis Gütenbach leben, wie sie arbeiten und feiern, was sie bewegt. Die Einmaligkeit des Schwarzwald-Baar­ Kreises liegt in seiner Vielfältigkeit. Die Schwarzwaldhöhen und tief eingeschnitte­ nen Täler im Westen, die weite Hochebene der Baar im Osten. Ein Landkreis, dessen Geschichte ebenso bunt und vielfältig ist, wie seine geologische Struktur. Diese V ielfältigkeit zu vermitteln, den Schwarzwald-Baar-Kreis als Lebensraum be­ wußt zu machen, ist seit nunmehr 20 Jahren das erfolgreiche Bemühen des Heimatjahr­ buches Almanach. Er ist der jährliche Be­ gleiter durch Geschichte und Kultur, Wirt­ schaft, Gewerbe und Industrie sowie die Ge­ genwartsprobleme des Schwarzwald-Baar­ Kreises, seiner Städte und Gemeinden. Der Almanach hat damit ganz entschei­ dend dazu beigetragen, ein Kreisbewußtsein entstehen und wachsen zu lassen. Wenn wir heute unseren schönen Schwanwald-Baar­ Kreis als unsere nähere Heimat empfinden, ist dies vor allem das Verdienst meines Vor­ gängers, Herrn Landrat i. R. Rainer Gut­ knecht, dessen Kind der Kreisalmanach ist und der dieses Kind mit außerordentlicher Liebe gepflegt und gefördert hat. Es ist mir ein großes Anliegen, diese Tra­ dition fortzuführen und ich hoffe, daß auch der Almanach 1997 die gewohnt gute Reso­ nanz findet! Ich bedanke mich bei den treuen Freunden und Förderern, die auch in diesem Jahr zur preiswerten Gestaltung des neuen Bandes beigetragen haben, verbunden mit der herz­ lichen Bitte, auch künftig die Herausgabe unseres Jahrbuches zu begleiten und tat­ kräftig zu unterstützen. Kar/Heim Landral 5

Aus dem Kreisgeschehen Wechsel an der Spitze des Landratsamtes Dr. Rainer Gutknecht verabschiedet – Karl Heim als neuer Landrat vereidigt Wo die „zentrale kommunale Selbstver­ waltungsebene“ (Erwin Teufel) des Schwarz­ wald-Baar-Kreises angesiedelt ist, wo Politik im Sinne der Bevölkerung des Landkreises gemacht und umgesetzt wird, im Landrats­ amt auf dem Villinger Hoptbühl, war im Sitzungssaal des Kreistages versammelt, was Rang und Namen hat: Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben des Schwarzwald­ Baar-Kreises, aus Verwaltungen, Schulen und Fachhochschulen, Institutionen, der Politik mit Ministerpräsident Erwin Teufel an der Spitze, aus Kultur und Wirtschaft. Die Gäste erwiesen einem Mann ihre Refe­ renz, der am 31. Mai 1996, nach 23 Jahren an der Spitze des Schwarzwald-Saar-Krei­ ses, einen Tag vor seinem 65. Geburtstag in den Ruhestand wechselte: Landrat Dr. Rai­ ner Gutknecht. Und sie begrüßten mit herz­ lichem Beifall und guten Wünschen den neuen Mann an der Spitze des Landkreises: Karl Heim, der im Rahmen dieser Feier­ stunde als Landrat vereidigt wurde. Günter Lauffer, dem stellvertretende Vor­ sitzenden des Kreistages, oblag es, den Wer­ degang von Rainer Gutknecht zu umreißen, all das skizzenhaft in seinen wesentlichen Stationen nachzuzeichnen, was in den vergangenen Jahren unter der Regie von Dr. Gutknecht umgesetzt werden konnte. Wie Ministerpräsident Erwin Teufel und Regie­ rungspräsident Dr. Conrad Schroeder, wür­ digte er das außergewöhnliche Engagement von Rainer Gutknecht, der ein Landrat aus Leidenschaft war, sein Amt als Lebensauf­ gabe verstand. Dankbar für die sehr gute Arbeit, aber auch ein bißchen wehmütig beim Gedanken an die vertrauensvolle Arbeit der Vergangen- 6 heit, zeigte sich Ministerpräsident Erwin Teufel. Er attestierte Gutknecht, immer „bo­ denständig und von hohem Pflichtgefühl“ gewesen zu sein. All die Jahre habe er sich ,,mit Haut und Haaren“ seiner Aufgabe ver­ schrieben. Dabei sei es ihm gelungen, trotz der heterogenen Zusammensetzung des neuen Kreises, allen Regionen gerecht zu werden. Daß sich der Schwarzwald-Baar­ Kreis innerhalb einer knappen Generation etabliert habe, sei mit Gutknechts Verdienst. Der Ministerpräsident nannte stellvertre­ tend für etliche wichtige Bereiche die Schulpolitik. Das berufliche Schulwesen im Schwarzwald-Baar-Kreis gelte als vorbild­ lich. Erwin Teufel nutzte die Feierstunde zu­ gleich, um auf die Bedeutung der Landkrei­ se als zentrale kommunale Selbstverwal­ tungsebene zu verweisen: Das große Ver­ trauen, das er und der Landtag in die Landkreise setzten, zeige sich schon daran, daß ihnen im Laufe der Zeit zahlreiche öffentliche Aufgaben übertragen worden seien. Das Amt des Landrats stelle eine großarti­ ge Gestaltungsaufgabe und eine wichtige Schaltstelle dar, merkte Erwin Teufel auch mit Blick auf den Nachfolger im Amt an, Karl Heim. Dabei sei Bürgernähe erstes Ge­ bot. In einer Zeit, in der sich die Gesell­ schaft immer schneller verändere und aus­ einanderzubrechen drohe, müsse ein Land­ rat versuchen, den Menschen abstrakt er­ scheinende Entscheidungen begreiflich zu machen. Nur so könne Entfremdung zwi­ schen Politik und Bürgern vermieden wer­ den. ,,Wenn die Menschen die Welt nicht mehr verstehen, bedarf es der Interpreten“, sagte der Ministerpräsident.

Dem scheidenden Landrat überreichte Erwin Teufel die Stauffer-Medaille. Zudem kündigte er die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse in einer zweiten Feierstunde im Regierungs­ präsidium Freiburg an (siehe „Orden und Medaillen“ im Anhang zum Almanach). „Landräte kommen und gehen, der Landkreis bleibt bestehen,“ zitierte Rainer Gutknecht zu Beginn seiner Abschiedsrede einen Verwal­ tungsgrundsatz von Otto Mayer. Dr. Gutknecht: ,,So sehr bei einem Amtswechsel Personen betroffen sind, so steht doch aus meiner Sicht heute der Landkreis als In­ stitution in seiner konkreten Gestalt als Schwarzwald­ Baar-K.reis im Mittelpunkt.“ Und der scheidende Landrat zeigte sich überzeugt davon, daß wenn es die Landkreise nicht schon gäbe, diese heu­ te neu geschaffen werden müßten. ,,Die Landkreise haben sich ohne Einschränkung bewährt“, fuhr Gutknecht fort, und listete die Aufgaben der Daseinsvorsorge auf, die vom Schwarzwald-Baar-K.reis zu leisten wa- ren. Zum Thema Abfall bilanzierte Dr. Gut­ knecht: ,,Keine Sitzung des zuständigen Ausschußes ohne Abfall! Wem ist noch be­ wußt, wie schwer es in den 70er Jahren war, die Deponie in Tuningen einzurichten? Das Thema Abfall ist übrigens ein gutes Beispiel, wie sich Aufgaben inhaltlich fortentwickelt haben. Ging es am Anfang darum, den Müll einfach zu beseitigen und ihn zu deponie­ ren, stehen heute abfallwirtschaftliche Fra­ gen im Vordergrund, d. h. die Ablagerung des Restmülles spielt nur noch eine Neben­ rolle, wichtig ist heute die wirtschaftliche Landrat Dr. Rainer Gutknecht bei seiner Verabschiedung aus dem Amt am 31. Mai 1996: ,,Die Landkreise haben sich ohne Ein­ schränlumg bewährt.“ Verwertung von Abfällen, eine Betrach­ tungsweise die -zum Mißfallen vieler -zu immer höheren Gebühren fuhrt.“ Zum öffentlichen Personennahverkehr: „Ein anderes Beispiel, wie sich die Aufgaben des Landkreises in den letzten 20 Jahren ver­ ändert haben, ist der Öffentliche Personen­ nahverkehr, ÖPNV genannt. Er spielte bei uns in den 70er Jahren noch eine unterge­ ordnete Rolle, wenngleich seine Bedeutung schon damals nicht zu unterschätzen war. 1-kute ist der ÖPNV auch bei uns zu einer wichtigen Aufgabe der Daseinsvorsorge ge­ worden. Das Stadtbahnprojekt von Bräun­ lingen nach Trossingen möge diese Aussage verdeutlichen! Der Landkreis ist bereit, wenn es seine finanzielle Leistungskraft zu­ läßt, sich in diesem Bereich noch mehr als bisher einzubringen.“ 7

Zur Zukunft der Landkreise: ,,Unter dem undeutlichen Begriff der Regionalisierung wird auch bei uns versucht, weniger den Kreis als Institution aufzulösen, als vielmehr einzelne Aufgaben, wie z.B. den eben ge­ nannten ÖPNV und auch den Abfall, aus der Zuständigkeit der Landkreise herauszu­ brechen und sie ‚freiwillig‘ auf den Regio­ nalverband zu übertragen. Ich kann mich für solche Gedanken nicht erwärmen. Wir haben bewiesen, daß wir die uns vom Lan­ desgesetzgeber übertragenen Aufgaben sehr wohl aus eigener Kraft erbringen können. Selbstverständlich waren und sind wir auf­ gabenbezogen zu einer regionalen Koopera­ tion bereit, wie diese die drei Kreise in der Region schon immer praktizierten. Über ei­ nes muß man sich im klaren sein: Die soge­ nannte Regionalisierung einzelner Kreisauf­ gaben verlagert zwangsläufig immer weitere Aufgaben aus der Landkreis- in die Regio­ naJebene und es ist eine Frage der Zeit, bis die Auflösung der Kreise herkömmlicher Art in die Diskussion kommt.“ Mit einem Hinweis auf die schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Rahmen­ bedingungen im Schwarzwald-Baar-Kreis, wechselte Dr. Gutknecht zu einer persönli­ chen Betrachtung seines Amtes. Das Amt des Landrates bezeichnete er als eine der schönsten Aufgaben in Verwaltung und Po­ litik. AJs persönliche Richtschnur zitierte er Worte des ehemaligen preußischen Innen­ ministers Bill Drews in den Jahren 1917/18 über den politischen Einfluß des Landrates in seinem Kreis: ,,Sein politischer Einfluß soll ich darauf gründen, daß er seine Ver­ waltung so gut und vor allem gerecht, so sachlich, so unparteiisch führt, daß mög­ lichst viele sich sagen, eine Regierung, die für eine so treffliche Verwaltung sorgt, muß mit ihren politischen Aussagen und Zielen Recht haben.“ Dank hatte Dr. Rainer Gutknecht für die vielen Weggefährten parat. Über fünf Wahl­ perioden hinweg führte der scheidende Landrat mit Blick auf seinen Kreistag aus: 8 „Es war über alle Fraktionen hinweg zum Wohl des Landkreises ein faires Miteinan­ der, zwar gelegentlich, wie es anders nicht sein kann, kontrovers in der Sache, aber nie verletzend.“ Und einem Mann der „ersten Stunde“ gedachte Gutknecht besonders, Bürgermeister Otto Weissenberger: ,,Sie ha­ ben mir als damaliger Fraktionsvorsitzender der CDU im Jahr 1973 zielstrebig den Weg in den Schwarzwald-Baar-Kreis geebnet.“ Abschließend bat Dr. Gutknecht alle poli­ tischen Kräfte im Kreistag, seinen Nachfol­ ger Karl Heim tatkräftig zu unterstützen. Der neue Landrat Als Karl Heim exakt um 17. 45 Uhr vom stellvertretenden Vorsitzenden des Kreista­ ges Günter Lauffer die Ernennungsurkunde überreicht bekam, gab es herzlichen Beifall. Danach vereidigte Regierungspräsident Dr. Schroeder den neuen Mann an der Spitze des Schwarzwald-Baar-Kreises auf sein Amt. Karl Heim war am 15. April 1996 durch den Kreistag zum neuen Landrat gewählt worden. Er konnte im dritten Wahlgang 36 Stimmen auf sich vereinen, nach zwei span­ nenden Stunden, denn mit Tribergs Bürger­ meister Klaus Martin, zugleich Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, und dem Er­ sten Beigeordneten der Stadt Donaueschin­ gen, Bernhard Kaiser, hatte es namhafte Mitbewerber gegeben. Damit hatten sich im dritten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Kreistagsmitglieder für den Ersten Landes­ beamten des Zollern-Alb-Kreises entschie­ den. Karl Heim unmittelbar nach seiner Wahl: ,,Diese Stimmenzahl ist für einen Landrat eine gute Basis.“ Die Wahl war von einem „riesengroßen Interesse der Öffent­ lichkeit“ (Dr. Gutknecht) begleitet, denn auf der Empore des Sitzungssaales im Landrats­ amt gab es keinen freien Sitzplatz mehr. Anläßlich seiner Amtseinführung betonte Karl Heim: ,,Das Amt des Landrates ist das schönste kommunale Amt in diesem Land.“

Karl Heim wird als neuer Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises vereidigt. Die Eideiformel nahm Regierungspräsident Dr. Conrad SdJroeder (rechts) ab. Peter Disch / Wilfried Dold 9 Mit ihm seien ein großer Auftrag und eine hohe Verpflichtung verbunden. Bei­ dem könne er nur gerecht werden, wenn er die Unterstützung aller finde. Wie schon am Tag der Landrats-Wahl, de­ finierte Heim sein neues Amt als das eines Mittlers. Ausgleich, Toleranz und Respekt seien die Maxime, die er der zukünftigen Arbeit zugrunde legt, unterstrich Heim. Bür­ gernähe und Selbstverwaltung seien aber nur möglich, wenn dem Kreis der nötige Gestaltungsspielraum und eine „angemesse­ ne finanzielle Ausstattung“ zugestanden würden. Mahnende Worte richtete der neue Landrat an die Landesregierung, indem er verlangte, die Handlungsspielräume der Kommunen nicht noch weiter einzuengen. Die Verbundenheit mit Dr. Rainer Gut­ knecht und die herzliche Aufoahme seines Nachfolgers im Schwarzwald-Baar-Kreis ka- men mehrfach auch im Anschluß an den offiziellen Teil der Feierstunde zum Aus­ druck. Den Stehempfang nutzten die Gäste, um „Danke“ an Dr. Gutknecht zu sagen und Karl Heim einen guten Start zu wünschen. Den musikalischen Rahmen hatte im übri­ gen das Saxophon-Ensemble der Stadtka­ pelle Blumberg geschaffen. In bekannt vor­ züglicher Art und Weise war mit seinem Auftritt ein persönlicher Wunsch von Dr. Gutknecht erfüllt worden. Aud1 daß die ge­ samte Feier in schlichtem Rahmen stattfand, war der Wunsch der beiden Hauptpersonen, wie eingangs des Festaktes St. Georgens Alt­ Bürgermeister Günter Lauffer zum Aus­ druck gebracht hatte.

Das Saxophon-Ensemble der Stadtkapelle Blumberg umrahmte die Feierlichkeiten aus Anlaß der ver­ absc/1i1,dung von landmt Dr. Gutknecht und der Amtseirifiihrung von Karl Heim mit excellenter Musik. Unten: Ministerpräsident Erwin Teufel (Mille, hinten) im Gespräch, vorne rechts Donau­ eschingem Bürgermeister D,: Everke wünscht Landrat Karl Heim einen guten Start. 10

Im Dienst am Schwarzwald-Baar-Kreis Dr. Rainer Gutknecht ein Landrat aus Berufung Mit Ablauf des 31. Mai 1996 ist Landrat Dr. Rainer Gutknecht nach nahezu 23 Dienstjahren in den Ruhestand getreten. Was liegt näher, als diesen Mann in der 21. Folge seines Almanachs zu würdigen. Hat er doch selbst diese Schriftenreihe 1977 be­ gründet und seither mit Herzblut mitredi­ giert. Das Handeln Dr. Gutknechts, seine An­ schauungen und Interessen, damit auch sei­ ne Amtsführung sind, wie eigentlich bei je­ dem Menschen, Ergebnis vielfaltiger Ein­ flüsse. Sicher hat ihn aber, das verkennt er selbst nicht, das Elternhaus, insbesondere der Vater entscheidend geprägt. In der Fa­ milie des damaligen Bürgermeisters der ehe­ maligen freien Reichsstadt Rottweil be­ stimmte dieser, der von sich selbst, wohl eher spaßhaft aber nicht ohne Grund, als ei­ nem preußischen Schwaben sprach. Da herrschte Pflichtbewußtsein, Korrektheit auf allen Ebenen, Sparsamkeit und Distanz wo nötig. Dr. Gutknecht hat öfters ein bleiben­ des Jugenderlebnis erzählt: In der Zeit kurz nach dem Kriege, als die Lebensmittel äußerst knapp waren, erhielt der Vater von einem Forstbeamten ein Stück Wild ge­ schenkt. Dieses landete zum Leidwesen des damals 15 oder 16 Jahren alten, stets hung­ rigen Jungen nicht im mütterlichen Koch­ topf Auf Geheiß des Vaters mußte er das Stück schweren Herzens in der Küche des städtischen Spitals abliefern. Die Mutter hat jedoch, so berichtet Dr. Gutknecht, die Strenge des Vaters mit mütterlicher Güte im­ mer wieder korrigiert. Es war kein Wunder, daß im Elternhaus unter dem starken Einfluß des Vaters die kommunale Laufbahn des Sohnes vorbe­ stimmt wurde. Dem Abitur am humanisti­ schen Gymnasium zu Rottweil 1951 folgte das Studium der Rechts- und Staatswissen- schaften an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und München, 1955 die erste juristische Staatsprüfung, 1958 die Promoti­ on und anfangs 1960 die zweite juristische Staatsprüfung. Dr. Gutknecht wußte, daß der Blick hinter den Horizont noch keinem geschadet hat, und daß Theorie und Praxis­ erfahrung für eine künftige kommunalpoli­ tische Tätigkeit in der Heimat außerordent­ lich wichtig sind. Dies alles holte er sich fernab dem schwäbischen Milieu, nämlich dort, wo die sprichwörtlichen rheinischen Frohnaturen zu Hause sind. Ob diese auf ihn abgefärbt haben, mag jeder, der Dr. Gut­ knecht kennt, selbst beurteilen. Ein Kreisrat aus dem durch die Kreisreform „annek­ tierten“ südlichen Bereich des Schwarzwald­ Baar-Kreises, glaubt dies jedenfalls ausge­ macht zu haben, wenn er bei ihm eine ge­ wisse „Schlingeligkeit“ feststellt. Sicher ist, daß Dr. Gutknechts Ungeduld auch Mitar­ beitern gegenüber, bei der Umsetzung von Vorhaben und Verwaltungsvorgängen, seine Genauigkeit und Disziplin sich selbst und anderen gegenüber ihren schwäbischen Ur­ sprung nicht verdeckten. So war die mehr theorieorientierte Tätig­ keit beim Deutschen Städtetag in Köln als Referent für Organisation, Verfassung und Polizei während insgesamt 6 Jahren und die 6 ‚hjährige Aufgabe als Kreisdirektor des Rheinisch-Bergischen Kreises eine hervorra­ gende Schulung für das nun folgende Amt des Landrats. In dieses Amt wurde Dr. Gut­ knecht am 13. Juli 1973 vom ersten Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt. Er trat es am 1. Oktober 1973 an. Nach zwei­ maliger Wiederwahl, am 6.Juli 1981 und am 4. Juli 1989, wechselt er nun wegen Er­ reichung der Altergrenze mit Ablauf des 31. Mai 1996 in den Ruhestand. Dr. Gutknecht hat diesem Amt seinen per- 11

sönlichen Stil gegeben. Er hatte den Vorteil, am Anfang keine eingefahrene Geleise be­ nutzen zu müssen. Dies war schon deshalb nicht möglich, weil bis kurz vorher zwei Landräte ihre sicher nicht parallel verlau­ fenden Geleise gelegt hatten: Dr. Astfaller im ehemaligen Landkreis Villingen und Dr. Lienhart im früheren Landkreis Donau­ eschingen. Trotz dieses Zwanges zum nahe­ zu radikalen Neubeginn, den beide Vorgän­ ger sicher nicht immer in völliger Überein­ stimmung beobachtet haben, hat er mit beiden ein freundschaftliches Verhältnis auf­ gebaut, indem er sie, wo immer möglich, in das Kreisgeschehen einband. Es waren zwei große kreispolitische Pro­ blemfelder, die Dr. Gutknecht umtrieben. Zum einen die Bewahrung der Stärke und der Kompetenzen des durch die Kreisreform neugebildeten Landkreises. Zum anderen aus dem Kreis, dem unbekannten Wesen, wie er öfters zu sagen pflegte, eine Gebiets­ körperschaft zu formen, die bei den Bürge­ rinnen und Bürgern eine ähnliche Akzep­ tanz wie die der Städte und Gemeinden hat. So hat er den Landkreis gegen alle Versuche verteidigt, ihn von unten oder oben zu schwächen. Vielleicht war ihm hierbei seine strenge, ju­ ristisch geschulte Denkweise manchmal et­ was im Wege. Da konnte es deshalb hin und wieder zu Konflikten mit dem einen oder anderen Bürgermeister kommen, wenn ein Ermessensspielraum von ihm zwar juristisch einwandfrei, aber nicht unbedingt zu dessen Gunsten angewendet wurde. Diesen engen Rahmen setzte er sich bewußt, weil er stets mit gleicher Elle messen wollte. Sein großer Angstgegner war der Regionalverband. Ge­ gen dessen Bestrebungen auf Kompetenz­ ausweitung verteidigte er den Landkreis mit Zähnen und Klauen, nicht immer zur Freu­ de mancher seiner Kollegen und mancher Kreisräte. Seine Therapie, das Gebrechen der relati­ ven Unbekanntheit des Kreises zu heilen und ein gemeinsames Kreisbewußtsein zu 12 schaffen, war wirkungsvoll. Da sind die zwanzig Folgen des bereits erwähnten Kreisalmanachs, der in weiten Kreisen der Bevölkerung jährlich mit Freude und Span­ nung erwartet wird. Da ist das Kreiskran­ kenhaus in Donaueschingen, das sich unter seiner Fürsorge zu einer bei Bürgern des ganzen Kreisgebietes und darüber hinaus anerkannten Einrichtung entwickelt hat. Gewaltige Investitionen zur Verbesserung der Gesamtinfrastruktur des Landkreises wurden nicht nur in Villingen-Schwennin­ gen, dem Oberzentrum der Region getätigt, sondern mit dem Willen Dr. Gutknechts de­ zentral und mit Absicht gerade auch in Do­ naueschingen, dem einstigen Sitz des ehe­ maligen Landkreises. Es ist unmöglich, an dieser Stelle alle Maß­ nahmen aufzuzählen. Erwähnt werden sol­ len nur der vorbildliche Aus- und Neubau von Berufsschulen mit insgesamt 88 Millio­ nen Mark, die modernen und schülerge­ rechten Sonderschulen für körperlich und geistig Behinderte mit 37 Millionen Mark und die Kreisstraßen mit rund 122 Millio­ nen Mark Investitionssumme. In diesen Rahmen gehört auch die Über­ nahme der gesamten Abfallwirtschaft auf den Landkreis und damit die Schaffung ei­ ner wirkungsvollen und kreiseinheitlichen Umweltvorsorge. Ein Höhepunkt, vielleicht der Glanzpunkt im beruflichen Leben Dr. Gutknechts, war der Bau des neuen Landratsamtes, das er selbst stets als „Kreishaus“ anpries. Es ging ihm hier nicht nur vordergründig um ein Gebäude, in dem endlich alle Zweige der Verwaltung unter einem Dach vereinigt sind, in dem für die Mitarbeiter endlich gute Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen und in dem kurze Wege zu effektiverer Ar­ beit führen, sondern auch darum, den Land­ kreis nach außen in seiner Bedeutung für den Bürger sichtbar darzustellen. Die durch­ sichtige und filigrane Architektur des Hau­ ses, die Kunst im und am Bau, für die er sich besonders einsetzte, hat ihm in seiner Ab-

Kein persönliches Geschenk, sondern eine Spende fiir die philippinische Region Albay halle sich Dr. Gut­ knecht (Mille} aus Anlaß der Verabschiedung in den Ruhestand gewiinscht. Bei einer Sammlung im Landratsamt waren insgesamt 2 500 Mark zusammengekommen. Der Erste Landesbeamte Friede­ mann Kiih11er (rfchts} iiberreichte symbolisch einen Scheck. Links der neue Landrat Karl Heim. sieht recht gegeben. Dieses Vorhaben war im Kreistag heftig umstritten. Dr. Gutknecht war sich mit der Mehrheit des Kreistages darüber einig, daß der an sich notwendige Neubau erst nach er­ heblichem Abbau der durch die vorrangigen Berufs- und Sonderschulneubauten entstan­ denen Schulden begonnen werden sollte. Als dieser Zeitpunkt gekommen war, war er der unermüdlich treibende Motor für dieses Werk. Das Datum der Einweihung, der 8. November 1991, wird ihm immer in Erin­ nerung bleiben. Der neue und doch schon in die Jahre ge­ kommene Schwarzwald-Baar-Kreis steht nun nach dem Ende der Dienstzeit Dr. Gut­ knechts auf solidem Fundament. Er hat ihn, mit Ausnahme der ersten neun Monate sei­ nes Bestehens, entwickelt und ihm in vielen Bereichen seine persönliche Handschrift ge- geben. Sein Vorgänger, Dr. Astfäller, hat im­ mer wieder die Quintessenz allen Handelns, insbesondere auch im kommunalpolitisch­ en Raum, so auf den Punkt gebracht: ,,Man schiebt und wird geschoben.“ Bei Dr. Gut­ knecht überwog eindeutig das Schieben. Doch hat er nie das Erreichte mit seinem Namen verknüpft. Denkmäler für sich zu schaffen, entsprach nicht seinem im Grun­ de bescheidenen Wesen. Er hat deshalb nie verkannt, daß die Gremien des Kreises – Kreistag und Ausschüsse – letztendlich ent­ sprechend ihrer verfassungsgemäßen Sou­ veränität entscheiden. Daß diese Entschei­ dungen überwiegend partei- und fraktions­ übergreifend getroffen werden konnten, war Ausfluß seines Bemühens, keine einseitige Parteilichkeit aufkommen zu lassen. Günter La11.ffer 13

Die Zukunft aktiv mitgestalten Landrat Karl Heim erhofft sich weitere Intensivierung des Kreisbewußtseins Er will wissen, wo die Menschen hier „der Schuh drückt“, im Gespräch ihre Sorgen kennenlernen. Und er will die Zukunft des Landkreises mitgestalten, nicht „nur“ Ver­ walter einer Behörde sein. Karl Heim erlebt die ersten Monate seiner Amtszeit als span­ nendes Hineintasten in eine Aufgabe, wie sie aus seinem Blickwinkel vielfaltiger und interessanter nicht sein könnte. Er sagt es frei heraus: Landrat zu sein, bedeutet für ihn die Verwirklichung eines Lebenszieles. Das stellt Karl Heim beim Gespräch über den neuen ersten Mann im Landratsamt auf dem Villinger Hoptbühl vorne an. Seine persönliche Bilanz der ersten 100 Tage: Die Aufnahme im Schwarzwald-Baar-Kreis ist überaus freundlich. Gleich ob bei Antritts­ besuchen in Städten und Gemeinden, bei Behörden, Schulen, caritativen Organisa­ tionen oder der Wirtschaft, Karl Heim ver­ spürt Offenheit, und auch die Probleme werden frei heraus benannt. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist einer von 35 Landkreisen Baden-Württembergs, die im Zuge des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 aus ehemals 63 Landkreisen neu gebildet wurden. Der von Verwaltungsrefor­ mern verordnete Zusammenschluß von 20 Städten und Gemeinden unserer Region, in denen gegenwärtig rund 208 000 Menschen leben, 12 Prozent davon ausländischer Na­ tionalität, brachte den erhofften Zuwachs an Leistungs- und Verwaltungskraft, das ist heute unbestritten. Doch auch nach bald 25 Jahren präsentieren sich die beiden ehema­ ligen Landkreise Villingen und Donau­ eschingen als eine Heimatregion mit nicht nur tiefgreifenden geologischen Unterschie­ den: Zwischen dem niedrigsten Punkt, der Wutach südlich von Blumberg, und dem höchsten Punkt, dem 1155 Meter hohen 14 Rohrhardsberg, trifft man auf eine über Jahr­ hunderte gewachsene Vielfalt und Eigen­ ständigkeit, die die Kreisreform nicht „über Nacht“ beendet hat, nicht beenden wollte. Doch erhofft wurde ein neues Kreisbewußt­ sein, aber dieses hat sich noch nicht in voll­ em Umfang ausgebildet: Daß sich die Men­ schen noch stärker mit ihrem Schwarzwald­ Baar-Kreis identifizieren, dem gemeinsa­ men Dach, ihr Kreisbewußtsein weiter wächst, bezeichnet Karl Heim deshalb als ei­ nes seiner Hauptanliegen. Der Landrat: „Nur gemeinsam sind wir stark. Es ist mein Ziel, das Kreisbewußtsein zu intensivieren. Die Menschen sollen stolz sein auf ihre Heimatgemeinde, sprich Heimatstadt, aber eben auch auf ihren Schwarzwald-Baar­ Kreis.“ Ein Konzept für Arbeit In einer Zeit der beschränkten finanziellen Möglichkeiten ist Gemeinsamkeit auch in anderer Hinsicht dringend: Neben Sozial­ ausgaben, Müllentsorgung und Nahverkehr, ist die Arbeitsmarktsituation das zentrale Thema: Mit jedem Arbeitsplatz, mit jedem Unternehmen, stirbt auch ein Stück dieser Region. Die Konsequenz hieraus ist von er­ schreckender Banalität: Nur wo Menschen Arbeit finden, können sie leben. Karl Heim: ,,Was tun wir mit der steigenden Zahl von ar­ beitslosen Jugendlichen und Langzeitar­ beitslosen? Es gibt zwar Ansätze, diese in ei­ ne Beschäftigung zu vermitteln, doch letzt­ lich sind die gegenwärtigen Aktivitäten nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.“ Auch wenn die Möglichkeiten eines Land­ kreises hinsichtlich der Sicherung von Ar­ beitsplätzen und Neuansiedlung von Un-

ternehmen beschränkt sind, will der neue Landrat seine – begrenzten – Spielräume konsequent nutzen, z.B. durch zügige Ge­ nehmigungsverfahren, ergänzende Ausbil­ dungsmöglichkeiten an den Beruflichen Schulen oder Hilfestellungen für jugendli­ che Arbeitslose. Von einer Stärken-Schwäch­ en-Analyse des Landkreises erhofft er sich neue Ansätze zur Belebung der Wirtschaft. Sie soll die Basis für einen Schulterschluß sein: Der Landrat sucht die verstärkte Zu­ sammenarbeit mit Arbeitsamt, lndustrie­ und Handelskammer, Handwerkskammer und den Kommunen. Karl Heim: ,,Wir brauchen auf der Basis der Stärken­ Schwächen-Analyse ein konkretes Hand­ lungskonzept. Die geographische Lage des Schwarzwald-Baar-Kreises bietet gute Chan­ cen, vor allem für den Mittelstand und das Handwerk.“ Dabei ist der Landrat hinsicht­ lich der Organisationsform, in der die Maß­ nahmen umgesetzt werden sollen, offen. Denkbar wäre z.B. eine Gesellschaft für Wirtschaftsförderung mit dem Landkreis und den Städten und Gemeinden als Ge­ sellschafter, wie sie im Zollernalbkreis seit dem 1. Januar 1996 besteht. Eng verknüpft mit der Lage auf dem AI­ beitsmarkt sind die Problemstellungen im sozialen Bereich. Karl Heim: ,,Die Sozial­ ausgaben belasten unseren Etat enorm. 1996 mußten allein für diese Kreisaufgabe 90 Millionen Mark aufgewandt werden.“ Weil die Sozialausgaben das Angehen ande­ rer dringender Aufgaben immer mehr be­ hindern – Aufgaben, die der Landkreis im Dienst der Städte und Gemeinden zu leisten hat – sieht Karl Heim in der Explosion der Sozialkosten eine Entwicklung, die das Ver­ hältnis zwischen Landkreis und Kommunen belasten könnte. Zumal, da der Landkreis so gut wie keinen Einfluß auf die Höhe der So­ zialausgaben ausüben kann: er hat umzu­ setzen, was von der Bundesregierung be­ schlossen wird. Wie sehr die Sozialkosten zum Zünglein an der Waage werden könnten, wenn es um Die erslen 100 Tage sind nbsoh1ierl: Landrat Karl Heim beim Tagesgeschäft in seinem Biiro im Landratsamt auf dem Villinger Hoplbiih/. die Bewältigung dringender Zukunftsaufga­ ben im Landkreis geht, zeigt sich auch am Beispiel des Öffentlichen Personennahver­ kelm, kurz ÖPNV. Karl Heim i1ieht hier ei­ ne der großen neuen Gestaltungsaufgaben der Landkreise. Was die Planung anbelangt, sei der Schwarzwald-Baar-Kreis relativ weit. Das Stadtbahnkonzept für die Strecke von Bräunlingen bis Trossingen liegt auf dem Tisch und findet die volle Zustimmung des neuen Landrates. ,,Wenn überhaupt ver­ dichteter Schienenverkehr, dann dort. Das Stadtbahnkonzept ist für mich auch kein Widerspruch zur Ringbahn, sondern inte­ graler Bestandteil“, faßt Heim zusammen. Und was den Busverkehr anbelangt, so sei dieser schon relativ gut ausgebaut. Jetzt müs­ se der integrale Taktverkehr eingeführt wer­ den, der Busse und Bahnen aufeinander ab- 15

stimme. Wie rasch und in welchem Umfang sich diese Optimierung des Nahverkehrs je­ doch umsetzen läßt, hängt eng mit der Ent­ wicklung der Finanzlage zusammen. Über allem steht die Frage: ,,Was kann sid1 der Schwarzwald-Baar-Kreis denn schlußend­ lich noch leisten'“ Darauf, so Heim, komme es an. Wirtschaftsförderung, Sozialausgaben und ÖPNV, die Auflistung von Zukunftsaufga­ ben des Landkreises ließe sich auf viele Ge­ biete ausweiten, ein Thema aber steht in der Wertigkeit ebenfalls ganz oben: Was ge­ schieht mit dem Müll unserer Wohlstands­ gesellschaft? Für Karl Heim führt an der thermischen Behandlung des Restmülls kein Weg vorbei. Er will an der Planung einer ge­ meinsamen Müllverbrennungsanlage mit den Nachbarkreisen Rottweil und Tuttlin­ gen festhalten, wenn auch die Nachbarkrei­ se weiterhin zu dieser Kooperation stehen. Aber neun Jahre im „Müllgeschäft“ haben ihm auch aufgezeigt, daß man für neue tech­ nische Entwicklungen offen sein muß. Es gelte, den Rat von Fachleuten einzuholen, die die Techniken im Vergleich zu bewerten hätten und danach eine Entscheidung zu fallen. Die Aufgabenstellungen der Zukunft sind komplex, unbewältigbar erscheinen sie Karl Heim nicht. Er warnt davor, in Pessimismus zu verfallen, auch wenn von „oben“ sicher kein Geldsegen zu e1warten sei. Und: Eine Finanzierung der Vorhaben nur über eine weitere Erhöhung der Kreisumlage ist für Karl Heim gleid1falls keine Lösung, er will die Kommunen möglichst nicht erneut in die Pflicht nehmen müssen, denn auch de­ ren Kassen sind leer. Die ersten acht Jahre seiner Amtszeit im Schwarzwald-Baar-Kreis stehen somit im Zeichen einer finanzpoliti­ schen Gratwanderung, die Karl Heim je­ doch auch als Chance begreift. Es gelte, not­ wendige Veränderungen anzugehen, das Landratsamt sei davon nicht ausgenommen. Wirtschaftlich und transparent arbeiten, Ei­ genverantwortung und Budgetierung der 16 Kosten in den einzelnen Ausgabenberei­ d1en, sind einige Ansätze zu einer „Verwal­ tungsreform nach Innen“, bei der der neue Landrat auf seine Mitarbeiter baut, die er als seine besten Helfer bezeichnet. Für Karl Heim bringt das Amt des Landra­ tes eine Fülle von Aufgaben und Pflichten. Er hat den Vorsitz im Kreistag mne – aller­ dings ohne Stimmrecht – leitet das Land­ ratsamt und ist gesetzlicher Vertreter des Landkreises. Umfassende Kenntnisse des Verwaltungsrechts und vielfaltit;e Erfahrun­ gen im öffentlichen Dienst sind für ihn die Basis bei der Bewältigung der mit dieser Po­ sition verbundenen Arbeitsla:;t: 1950 in Bochingen, Kreis Rottweil, geboren, begann er als l 7jähriger seine Verwaltungslaufbahn mit dem Vorbereitungsdienst n r den geho­ benen Verwaltungsdienst, den er als Di­ plom-Verwaltungswirt (FH) abschloß. Es folgte das Studium der Verwaltungswissen­ schaften an der Universität Konstanz in den Jahren 1972 bis 1977. Abgeschlossen hat Karl Heim mit dem akademischen Grad „Diplomverwaltungswissenschaftler“. Der zweiten Staatsprüfung mit Befähigung für den höheren allgemeinen Verwaltungs­ dienst ging ein Referendariat beim Land­ ratsamt Böblingen, dem Regierungspräsidi­ um Stuttgart, im Innenministerium Baden­ Württemberg sowie an der Fachhochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer voraus. Am Beginn des beruflit:hen Werdegangs stand in den Jahren 1979 bis 1982 eine T ätigkeit als Regierungsassessor und im Anschluß als Regierungsrat beim Landrats­ amt Freudenstadt, wo Karl Heim als Dezer­ nent für die Bereiche Verkehrswesen sowie Rechts- und Ordnungsamt fungierte. Im Oktober 1982 wurde Karl Heim an die Hochschule für Verwaltungswissensdiaften in Speyer berufen, wirkte als Assistent von Prof. Dr. Frido Wagener am Lehrstuhl für allgemeine Verwaltungswissenschaften. In den Jahren 1984 bis 1987 ist er im Regie­ rungspräsidium Stuttgart zunächst als Refe-

Landrat Karl Heim mit Ehefrau Ingrid und den Töchtern Daniela {links) und lerena. rent für Immissionsschutz tätig und danach als Leiter der Koordinationsstelle des Regie­ rungspräsidenten. Mit Wirkung zum 1. Mai 1987 wechselt Karl Heim als Erster Landesbeamter und Stellvertreter des Landrates zum Landrats­ amt Zollernalbkreis in Balingen. In dieser Eigenschaft übernimmt er die Leitung der Landkreisbehörde in Vertretung des Land­ rates sowie die Vertretung und Repräsenta­ tion des Landkreises nach außen. Als De­ zernent war er dort unmittelbar zuständig für das Bau- und Umweltschutzamt, Rechts­ und Ordnungsamt, Abfallwirtschaftsamt, Schulverwaltungsamt und seit dem l. Juli 1995 zudem für das Wasser- und Boden­ schutzamt sowie das Veterinäramt. Angesichts der Fülle von Aufgaben ist die Freizeit für Karl Heim nach seiner Wahl zum Landrat knapp bemessen. Sie widmet er voll und ganz der Familie, Ehefrau Ingrid, mit der er seit 1976 verheiratet ist, und den beiden Töchtern Verena und Daniela. Karl Heim bezeichnet sich als Familienmensch, und die Freizeit wird aktiv verbracht: die Heims fahren gerne Rad oder gehen Wan­ dern, im Schwarzwald und der Baar, um den neuen Wirkungskreis noch besser kennen­ zulernen. Auch ansonsten sind die Interes­ sen breit gefächtert: Der 46jährige fotogra­ fiert und liest sehr gerne, am liebsten greift er zu Büchern, die regionale Zeitgeschichte zum Inhalt haben. Im Augenblick zu jenen mit den Schwerpunkten Schwarzwald und Baar, der neuen Heimat der Familie Heim. Wi!fried Dold 17

Der Landkreis und seine Aufgaben Fahrtenangebot verdichtet und vertaktet Der öffentliche Personennahverkehr leistet wichtigen Beitrag zum Umweltschutz Mit der Bahnreform wurde zum l. Januar 1996 die Aufgabenträgerschan und damit die Verantwortung für die Organisation des Nahverkehrs auf die Länder und Kommu­ nen verlagert. Der Schwarzwald-Saar-Kreis hat damit nun formell die Zuständigkeit für den „Straßen-ÖPNV“. Ziel ist eine bessere Vernetzung des Nahverkehrs auf Schiene und Straße. Die Verbesserung des Fahrtenangebotes strengte der Schwarzwald-Saar-Kreis jedoch bereits seit der Übertragung der Zuständig­ keiten für das Personenbeförderungsrecht und die Schülerbeförderung im Jahr 1983 von den Regierungspräsidien auf Stadt- und Landkreise an. Insbesondere die Schüler­ busse wurden soweit als möglich in den ÖPNV integriert. Durch diese Einbezie­ hung wurde das kreisweite Angebot an Fahr­ ten erheblich gesteigert und auch in schwächeren Zeiten das Angebot verdichtet. Die Schülerbeförderung ist wesentlicher Be­ standteil der öffentlichen Verkehrslinien und deshalb das Rückgrat des ÖPNV. Der Landkreis hat darüber hinaus seit dem Jahr 1983 fast im gesamten Kreisgebiet den ÖPNV neu geordnet, indem er das beste­ hende Fahrtenangebot überarbeitet, ver­ dichtet und vertaktet hat. Im Jahr 1996 war die Neukonzeption des Am B((/mhofin VS-Villingen, die Optimierung des Nahverkehrs isl ein vorrangiges Ziel im Kreis. 18

Ein kreisweiter Zonen- tarif wird die Tarif- strukturen vereinfa- chen und übersichtli- eher machen. Ein neu- es Informationssystem soll das Lesen der Fahrpläne erleichtern. sogenannten Hintervillinger Raumes (Be­ reich zwischen Königsfeld, Mönchweiler, Villingen-Schwenningen und der Kreisgren­ ze Rottweil) eines der Hauptthemen im Be­ reich des Nahverkehrs. Zum Schuljahresbe­ ginn 1996/1997 wurde durch eine Abstimmung von Fahr­ plan und Tarif vor allem die Anbindung an das Oberzen­ trum Villingen-Schwenningen verbessert, um denselben Ver­ dichtungsgrad wie im übrigen Kreisgebiet zu erhalten. Im Rahmen einer gegenseiti­ gen Kooperation der zahlrei­ chen Busunternehmen, die in diesem Bereich Linienverkehre betreiben, wurden durch den Abbau von Parallelverkehren und der Einrichtung von Mehrleistungen neue Zusatzangebote geschaffen. Im Berichtszeitraum war die bereits vorge­ stellte Stadtbahnkonzeption als Bestandteil des Ringzugsystemes um weitere Varianten ergänzt und aktualisiert worden. Gemein­ sam mit den Landkreisen Rottweil und Tutt­ lingen wurde 1996 der Rahmen-GVFG-An­ trag für eine Bezuschußung des Ringzugsy­ stemes beim Land Baden-Württemberg ge­ stellt. Eine Umsetzung der Konzeption ist nur möglich bei finanziellen Zuschüssen des Landes Baden-Württemberg, so daß derzeit diese Entscheidung abzuwar­ ten ist. Der Schwarzwald-Baar-Kreis sieht es als eine seiner Haupt­ aufgaben an, der Bevölkerung ein effizientes ÖPNV-Angebot zur Verfügung zu stellen. Denn nur dann, wenn der ÖPNV eine attraktive Alternative zum Individualverkehr darstellt, wird er von noch mehr Bür­ gern angenommen und Städte und Gemeinden vom Fahr­ zeugverkehr entlastet. Neben einem ausreichenden Fahr- planangebot sind möglichst günstige Tarife und die Fahrgastinformation wesentliche Faktoren für die Steigerung der Attraktivität des ÖPNV Mit der Einführung der elektronischen im Jahr Fahrscheindrucker 1994/1995 besteht nunmehr die Möglichkeit, Abrechnun­ gen zwischen den Unterneh­ men linien- und unterneh­ mensbezogen vorzunehmen. Dies ist zwingende Vorausset­ zung für eine Tarifkooperati­ on. Einzelne Busunternehmen haben nach der Erprobungs­ phase die tarifliche Zusam­ menarbeit verstärkt, so daß für bestimmte Strecken nur noch ein Fahrschein erforderlich ist. Darüber hinaus hat die Verwaltung einen Zonentarif geplant, der kreisweit eingeführt werden soll. Damit wird die Tarifstruktur vereinfacht und übersichtlicher. Bei der Um­ setzung sind den Unternehmen allerdings Durchtarifierungsverluste zu ersetzen, was erhebliche Mehrkosten mit sich bringen wird. Der Schwarzwald-Baar-Kreis wird beim Land Baden-Württemberg Zuschüsse zu diesen verbundbedingten Mehrkosten beantragen. Die Verwaltung ist sich gleichzeitig be­ wußt, daß eine aktuelle und umfassende Verkehrsinformation wesent­ licher Bestandteil eines effi­ zienten ÖPNV-Angebotes ist. In bewährter Zusammenarbeit mit der SüdbadenBus-GmbH, gibt der Landkreis seit 1993 ei­ nen Kreisfahrplan heraus. Alle Verkehre des Kreisgebietes und der näheren Umgebung sind zur Unterrichtung über das Fahrplanangebot enthalten. Um denjenigen Kunden, der sich im Fahrplansystem nicht auskennt, den Zugang zu er­ leichtern, fördert das Land Ba-19

den-Württemberg fur eine landesweite Fahr­ planauskunft über alle öffentlichen Ver­ kehrsmittel das System „EFA-WIN“. Dieses System enthält sämtliche ÖPNV-Daten von Haus zu Haus, einschließlich der Angaben der Haltestelle, alternativer Beförderungs­ mittel wie z. B. Anruf-Sammelbus, des Prei­ ses und evtl. erforderlicher Fußwege. Der ÖPNV-Kunde kann sich seinen persönli­ chen Fahrplan bei den Verkaufsstellen der Verkehrsunternehmen, an Informationssäu­ len oder über den PC im Büro oder zu Hau­ se „on line“ erstellen lassen. Der Schw,1rz- Mit der Einfiilmmg der eleklronischen Fahrscheindrucker besieht seil geraumer Zeil di1• Möglichkeit da Trtrijkooperation. Piir be­ stimmle Strecken ist Ji:lzt 1111, norh ein Fahrsrhein e,forderlich. 20 wald-Baar-Kreis beabsichtigt, sich bei der Einführung dieses Systems zu beteiligen und damit auch den Kreisbürgern in naher Zukunft jederzeit einen aktuellen Zugriff auf sämtliche Daten aller Verkehrsmittel zu ermöglichen, um auf diese Weise ebenfalls die Akzeptanz des ÖPNV zu erhöhen. Die Verwaltung ist sich bewußt, daß in un­ serem ländlichen Raum der ÖPNV nicht zu einer gleichwertigen Alternative zum moto­ risierten Individualverkehr ausgebaut wer­ den kann. Dennoch beschränkt sich diese Auf)!,tbc ,HIS Sicht des Landkreises nicht auf die Sicherung der Grundver­ sorgung. Eine Verbesserung des ÖPNV wird überall dort ,rngestrebt, wo sie betriebs­ wirtschaftlich vertretbar und finanzierbar ist. Dabei be­ schränkt sich der Landkreis nicht auf die Neuordnung vorhandener Verkehre, son­ dern strebt darüber hinaus ta­ riAiche Verbesserungen, die Einführung alternativer Be­ dienungsangebote und noch aktuellere Fahrgastinforma­ tion an. Denn nur bei einem insgesamt abgestimmten Nah­ verkehrs-Angebot kann die Motivation zu einer Verhal­ tensänderung erhöht werden. Schließlich ist jede Fahrt, die nicht mit dem eigenen Auto, sondern mit dem ÖPNV , zurückgelegt wird, ein Beitrag zum Schutz der Umwelt. Und gerade der Schwarzwald-Baar­ Kreis als Erholungsraum muß wirksam vor den Umweltein­ flüssen des Verkehrs geschützt werden. Gabriele Seefried

Erstmals sinken Sozialhilfekosten leicht Für die soziale Sicherung müssen 90 Millionen Mark aufgewendet werden Das vergangene Jahr läßt sich im Sozial­ wesen des Landkreises – jedenfalls in finan­ zieller Hinsicht – als Verschnaufpause auf ei­ nem langen steilen Weg nach oben bezeich­ nen, verbunden mit einem Blick in schwin· delerregende Höhen. Erstmals seit Jahren wird 1996 der vom Landkreis zu finanzie­ rende Aufwand für die soziale Sicherung ge· genüber dem Vorjahr von knapp 91 Millio­ nen Mark auf gut 90 Millionen zurückge· hen. Er liegt damit aber immer noch weit über der von den Gemeinden an den Land­ kreis zu leistenden Umlage von rund 80 Millionen Mark. Der Blick nach vorne verheißt jedoch für die Kommunen nichts Gutes: Beim Bund, aber auch beim Land, bestehen bekanntlich enorme Finanzierungsprobleme. Der Bund beabsichtigt daher massive Einschnitte bei der Arbeitslosenhilfe, was zwangsläufig Konsequenzen für die Sozialhilfeträger hat. Die Abschaffung der sogenannten ori· ginären Arbeitslosenhilfe (Arbeitlosenhilfe ohne vorangegangenes Beschäftigungsver­ hältnis aus dem Arbeitslosengeldansprüche erwachsen) sowie die jährliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für die verblei· bende Arbeitslosenhilfe und andere Lei· stungski.irzungen, werden in der Sozialhilfe weitere Millionenaufwendungen zu Lasten der Kommunen verursachen. Auch das Land hat seine Sozialhilfeerstattung an die Landkreise für untergebrachte Spätaussied­ ler deutlich reduziert. All diese Maßnahmen reihen sich nahtlos ein in den seit Jahren zu beobachtenden „Verschiebebahnhof“ zu La· sten des letzten Netzes in der sozialen Si· cherung, nämlich der Sozialhilfe. Dieser Entwicklung gilt es mit aller Macht entge· genzutreten. Hinzu kommen Leistungsversprechungen in Bundesgesetzen, die von den Kommu- nen einzulösen sind (z. B. Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz). Diese Ent· wicklungen nahmen die Fraktionen des Kreistages zum Anlaß, sich Anfang 1996 in einer Resolution an den Bundeskanzler zu wenden, mit der Aufforderung, die Lasten· verschiebung zu beenden und dem Grund­ satz Geltung zu verschaffen, ,,wer anschafft, der bezahlt.“ Die Resonanz war – wie zu er­ warten – dürftig. Stabilisiert auf hohem Niveau In der Sozialhilfe war das vergangene Jahr geprägt von einer Stabilisierung auf hohem Niveau (Nettoaufwand 1995 – ohne Asyl· berechtigte, Bürgerkriegsflüchtlinge und ausländerrechtlich Geduldete: DM 23,3 Mio; Vorjahr DM 23,1 Mio). Diese Ent­ wicklung ist zurückzuführen auf die Entla· stung durch die Pflegeversicherung im am· bulanten Bereich. Die Pflegeversicherung ist auch Ursache dafür, daß die vom Landkreis zusätzlich zu finanzierende Umlage an den Landeswohlfahrtsverband für den Aufwand in den Pflegeheimen um gut DM 4 Mio. auf DM 37 Mio. reduziert werden konnte. Gleichwohl bleiben Zweifel, ob diese Entla· stungen, insbesondere im Heimbereich, dauerhaft sein werden. Die Begutachtung der Heimbewohner durch den medizini· sehen Dienst der Krankenkassen belegt, daß voraussichtlich 1/4 aller Heimbewohner keinen Anspruch auf Leistungen der Pflege­ kassen haben werden, also weiterhin viel­ fach auf Sozialhilfe angewiesen sind. Hinzu kommt, daß die Leistungen der Pflegekassen „gedeckelt“ sind (im Regelfall max. DM 2 800 pro Monat für den pflegebedingten Aufwand). Bei Pflegesätzen von rund DM 5 000 pro Monat werden viele nicht die Dif­ ferenz von über DM 2 000 aus eigenem Ein· 21

kommen/Vermögen aufbringen können. Skepsis, was die Entlastung der Kommunen angeht, ist also angebracht. Gleichwohl wird den Kommunen bereits jetzt die Entlastung angerechnet. So hat der Landtag im Juli 1995 beschlossen, den Landkreisen eine För­ derverpflichtung hinsichtlich der Investitio­ nen der ambulanten Pflegedienste (Sozial­ stationen, privat- gewerbliche Träger) aufzu­ erlegen. Hieraus erwächst dem Kreis ein zu­ sätzlicher Aufwand von rund DM 600 000 jährlich. Hinzu kommt die Förderverpflich­ tung hinsichtlich baulicher Investitionen für teilstationäre und stationäre Pflegeeinrich­ tungen. Anstehende Baumaßnahmen bei den Heimen im Landkreis erfordern hier Zuwendungen in Millionenhöhe. Die drin­ gend notwendige finanzielle Entlastung der Landkreise schmilzt so dahin. Erfreulich hat sich das vom Landkreis ini­ tiierte Förderprogramm für arbeitslose So­ zialhilfeempfänger entwickelt. Mit Unter­ stützung einer Vermittlungskraft des Dia­ konischen Werkes, konnten in 10 Mo­ naten knapp 70 So­ zialhilfeempfänger in Arbeitsverhältnis­ se auf dem regulären Arbeitsmarkt vermit­ telt werden. Damit ergibt sich für diese Personen und ihre Familien wieder eine Chance, unabhängig von der Sozialhilfe zu leben und für den Landkreis die Mög­ lichkeit, Steuergelder einzusparen. Explosionsartig ge­ stiegen sind im ver­ gangenen Jahr dage­ gen die Aufwendun­ gen des Landkreises für sogenannte aus­ länderrechtlich Ge- 22 Defizit: 10 Millionen Mark duldete und die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Während 1994 hier noch ein Aufwand des Landkrei­ ses von DM 1,5 Mio. zu Buche schlug, be­ lief sich dieser 1995 auf rund DM 3,7 Mio. Zwar hat sich der Neuzugang von Asylbe­ werbern auch im vergangenen Jahr wieder reduziert (durchschnittlich lebten 1995 rd. 950 Asylbewerber im Landkreis), jedoch mußte nach Abschluß des Asylverfahrens eine Vielzahl der Personen geduldet werden, weil sie nicht abgeschoben werden können (insbesondere wiederum die Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien). Die Fallzah­ len in der Sozialverwaltung beim Landkreis haben sich bei diesem Personenkreis binnen Jahresfrist mehr als verdoppelt. Bei den Bürgerkriegsflüchtlingen (ca. 700 Personen im Kreisgebiet) beobachten wir, daß diese zunehmend auf das Sozialamt zu­ kommen. Die Hilfsbereitschaft der Lands­ leute, die sie aufgenommen haben, er­ schöpft sich bei zunehmender Verweildauer der Flüchtlinge im­ mer stärker. Bei den Spätaussied­ lern setzt sich die ab­ nehmende Zugangs­ entwicklung der Vor­ jahre ebenfalls fort. Waren Anfang 1994 noch knapp l 400 in den Personen im Wohnheimen Landkreis unterge­ bracht, belief sich diese Zahl im Früh­ jahr 1996 auf nur noch 600 Personen. In der Folge konnten Heime im Landkreis geschlossen werden, zuletzt die Einrich­ tung „Maria Tann“ in Unterkirnach, wo Anfang der 90er Jah­ re noch bis zu 600 pro Einwohner ca..432,-DM 90Milhone:n Madt Sozialausgaben im Vergleich zur Kreisumlage – Etat 1996

Vom 1. Januar des Jah· rcs 1999 an hat jedes dreijährige Kind im Landkreis einen Platz im Kindergarten – Dank des Engage· ments der Kreisge· meinden und kjrchlicher Träger Aussiedler untergebracht waren. So erfreu­ lich diese Entwicklung auch sein mag, die Integrationsprobleme dieser Menschen wer­ den immer größer. Insbesondere im Bereich der Jugendlichen stellen wir zunehmend ei­ ne fehlende Motivation zur Integration fest. Massive Sprachprobleme und fehlende be­ rufliche Perspektiven für diese jungen Men­ schen führen zur Abschottung in Gruppen, oft verbunden mit Sucht-, Ge- walt- und Kriminalitätsproble­ men. Hier war und bleibt die Unterstützung durch die Ju­ gendhilfe gefordert. Ein vom Landeswohlfahrtsverband ge­ fördertes Modellprojekt in der Arbeit mit jugendlichen Spät­ aussiedlern ist dazu im Land­ kreis angelaufen. In der Jugendhilfe hatten wir im vergangenen Jahr die er­ freuliche Entwicklung, daß der vom Kreis zu finanzierende Aufwand ungefähr auf dem – allerdings hohen – Stand des Vorjahres blieb (rund DM 14 Mio.). Nach bis zu zweistelli­ gen Zuwachsraten in früheren Jahren ist dies um so erstaunlicher, als die Fallzahlen in den Hilfen zur Erziehung keineswegs rück­ läufig waren, im Gegenteil, die Fallzahlen nahmen nochmals um 120/o zu. Wesentli­ cher Grund für diese – wenigstens finanziell – erfreuliche Tatsache dürfte sein, daß es dem Kreisjugendamt mit der Ausdifferen­ zierung seiner Angebote zunehmend ge­ lingt, teure Fremdunterbringungen zu ver­ meiden. Hierauf wird an anderer Stelle des diesjährigen Almanachs ausführlich einge­ gangen. Im Bereich der Jugendhilfe sind drei wei­ tere Eckpunkte der Kreispolitik im vergan­ genen Jahr zu nennen: Im Oktober 1995 verabschiedete der Kreis­ tag die Jugendhilfeplanung (Hilfen zur Er­ ziehung) für das Städtedreieck Donau­ eschingen, Hüfingen und Bräunlingen. Dar­ in wurde die Absicht der Kreisverwaltung, vermehrt präventive Hilfeansätze zu schaf­ fen, ausdrücklich bestätigt. Die oben er­ wähnte Entwicklung zeigt, daß der Land­ kreis hier auf dem richtigen Weg ist. Im Jahr 1996 steht nunmehr die Jugendhilfeplanung für die Stadt St. Georgen an. In der Jugendhilfe waren das ausgehende Jahr 1995 und das Frühjahr 1996 weiter ge­ prägt von der Diskussion um den Rechtsan- spruch auf einen Kindergar: tenplatz. Bundes- und Landes­ gesetzgeber haben den Kreisen nach langem Ringen nun die Möglichkeit eingeräumt, in ei­ ner Übergangszeit bis Ende 1998 Stichtage einzuführen. Dies bedeutet, daß der Rechts­ anspruch für alle 3jährigen Kinder erst zu diesen Stichta­ gen eingefordert werden kann. Ab 1.Januar 1999 ist jedoch für jedes dreijährige Kind bis zum Schuleintritt ein Kin- dergartenplatz bereitzustellen. Die Gewährleistungsverantwortung hier­ für liegt beim Landkreis als Jugendhilfeträ­ ger. Die im Frühjahr 1996 von der Kreisver­ waltung bei den 19 Kreisgemeinden (ohne Stadt Villingen-Schwenningen, die eigener Träger der Jugendhilfe ist) erhobenen Daten und Ausbauabsichten belegen, daß Dank des außerordentlichen Engagements der Kreisgemeinden und der kirchlichen Träger der Rechtsanspruch zu den Stichtagen und ab dem !.Januar 1999 erfüllt werden kann. 1999 stehen voraussichtlich rund 5 600 theoretisch anspruchsberechtigten Kindern im Kreisgebiet rund 5 700 Kindergartenplät­ ze zur Verfügung. Mit sinkendenJahrgangs­ stärken ab dem Jahr 1999 wird dieses Ver­ hältnis noch besser, mit der Folge, daß die Gemeinden und die kirchlichen Träger be­ reits jetzt gut daran tun, bei den Planungen andere Nutzungen der dann freien Kapa­ zitäten ins Auge zu fassen. Kreisintern wird derzeit heftig die evtl. ,,Abgabe“ des Jugendamtes der Stadt Villin- 23

gen-Schwenningen an den Landkreis disku­ tiert. Diese seit Jahrzehnten bestehende Rechtsstellung der Stadt bedeutet, daß sie im Stadtgebiet anstelle des sonst zuständi­ gen Landkreises die Aufgaben der öffentli­ chen Jugendhilfe wahrnimmt. Die dabei in den Einzelfällen entstehenden Hilfeauf­ wendungen werden jedoch der Stadt vom Landkreis vollständig erstattet. Mit der Auf­ gabe der Stellung als öffentlicher Träger der Jugendhilfe erhofft sich die Stadt eine deut­ liche Reduzierung ihrer Personalausgaben, da die Aufgaben dann vom Landkreis wahr­ zunehmen und von dort das Personal zu stellen wäre. Nachdem einzelne Rechtsfra- gen geklärt sind, liegt es jetzt am Gemein­ derat der Stadt, einen entsprechenden Be­ schluß zu fassen. Dabei ist auch zu berück­ sichtigen, daß der Landesgesetzgeber nun­ mehr der Stadt Villingen-Schwenningen, so sie ihre Rechtsstellung beibehält, einen An­ spruch gegenüber dem Landkreis auf Ersatz der Personalkosten in Höhe von zwei Drit­ teln einräumt. Es bleibt abzuwarten, ob sich im Gemeinderat vor diesem Hintergrund ei­ ne Mehrheit für die „Abgabe“ findet, oder ob sich die Stadt als Oberzentrum weiterhin dieser sicherlich nicht unbedeutenden Auf­ gabe für Ihre Bürger stellen will.“ joad,im Gwinner Neue Wege in der Jugendhilfe Gemeinsam mit den Betroffenen nach individuellen Lösungen suchen Die „Fürsorgerinnen mit grauem Kostüm und Dutt“, deren Aufgabe es war zu kon­ trollieren, ob die Kinder gut genährt und der Haushalt ordentlich versorgt ist, gehören längst der Vergangenheit an. Die Jugendhil­ fe hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend geändert: aus der früheren, ho­ heitlichen Eingriffsverwaltung, ist ein diffe­ renziertes Dienstleistungsangebot gewor­ den. Nicht mehr Kontrolle, sondern die ge­ meinsame Suche aller Betroffenen nach Lösungen bestimmen inzwischen die all­ tägliche Arbeit des Jugendamtes. Gemein­ sam mit den hilfesuchenden Familien, ju­ gendlichen und Kindern, werden Probleme besprochen und individuelle Lösungen ge­ sucht. Vor allem die Ende der 60er Jahre kritische Diskussion über die Lebensbedingungen in der Heimerziehung und neugewonnene fachliche Erkenntnisse in der Beratungsar­ beit, führten zu der Suche nach neuen Hil­ femöglichkeiten. Dabei gewann die Zusam­ menarbeit mit der Familie entscheidende Bedeutung. Oft müssen weitere Menschen oder Institutionen in den Beratungsprozeß eingebunden werden, Lehrer und Lehrerin­ nen z.B. bei Schulproblemen, aber auch Verwandte und Freunde oder Freundinnen. Ziel ist es, das soziale Umfeld des Kindes und der Familie so zu verändern, daß eine Lösung der Schwierigkeiten möglich wird. Zumeist ist dies für alle Beteiligten ein lan­ ger Prozeß des Suchens und Lernens, der Auseinandersetzung und schrittweisen Ver­ änderung. Nur im Ausnahmefall, dann, wenn Kinder in ihrer körperlichen, seelischen und geisti­ gen Entwicklung gefährdet sind und die El­ tern nicht zu einer Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit oder in der Lage sind, wird über das Vormundschaftsgericht ver­ sucht, Hilfe für die Kinder zu sichern. Dies kann ein Eingriff in das elterliche Aufent­ haltsbestimmungs- oder Sorgerecht sein, möglich ist auch eine gerichtliche Anord­ nung einer Hilfemaßnahme, z.B. der Be­ such einer Tagesgruppe oder die Unterbrin­ gung außerhalb der Familie . Eingriffe in das elterliche Sorgerecht sind 24

Auch nur Spaß haben gehört zur sozialen Gruppenarbeit, die Kindern dabei hilft, ihre Probleme zu be­ wältigen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. in den letzten Jahren seltener geworden, da es zunehmend gelungen ist, Eltern für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Auch Kin­ der und Jugendliche selbst können sich bei Problemen an die Mitarbeiter/innen des Ju­ gendamtes wenden, was meist erst dann ge­ schieht, wenn die Situation zuhause wirk­ lich nicht mehr auszuhalten ist. Viele dieser Kinder sind von Gewalt oder Vernachlässi­ gung betroffen. Kinder, die unmittelbar ge­ fährdet sind, können vom Jugendamt vor­ läufig „in Obhut“ genommen werden. Sind die Eltern dann nicht bereit oder in der La­ ge, mit der Hilfe des Jugendamtes die Situa­ tion so zu verbessern, daß die Kinder nach Hause zurückgehen können, muß für die Betroffenen eine andere Möglichkeit ge­ sucht werden. Sind die Eltern nicht mit ei­ ner Jugendhilfemaßnahme einverstanden, muß das Vormundschaftsgericht eingeschal­ ten werden. Starke Beteiligung der Betroffenen, Ent- scheidungen über Hilfeangebote durch kompetente Fachteams des Jugendamtes und die Bereitstellung eines differenzierten, aufeinander abgestimmten Hilfeangebotes, sind die grundlegenden Maßgaben des seit 1991 geltenden Kinder-und Jugendhilfege­ setzes, dem SGB VIII. Auch im Schwarz­ wald-Baar-Kreis hat sich -nicht erst seit In­ krafttreten des SGB VTII -ein umfassendes Hilfeangebot entwickelt, das derzeit weiter ausdifferenziert wird. Je nach Situation und Problemlage können im Landkreis, oder der näheren Umgebung, bei unterschiedlichen Jugendhilfeträgern verschiedene Hilfeformen gewählt werden. Manchmal ist schon die Beratung oder in­ tensive Betreuung durch den Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes im Land­ ratsamt oder auch der Stadt Villingen­ Schwenningen ausreichend. Bei Bedarf kann auch an die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Villingen, mit 25

Die soziale Gruppenarbeit soll das Selbstwertgefühl der Kinder stärken und ihnen vor allem den Kontakt zu anderen Menschen möglich machen Außenstellen in Donaueschingen und Furt­ wangen oder eine andere Beratungsstelle im Landkreis vermittelt werden. Auch eine ganze Reihe weiterer ambulanter Hilfefor­ men können genützt werden. Die wichtigsten, auch im SGB VIII aus­ drücklich genannten, sind dabei Erzie­ hungs- und Familienhilfe, die erzieherische Tagesgruppe, intensive Einzelbetreuung und soziale Gruppenarbeit. Je nach Pro­ blemlage und Familiensituati- on wird im Zusammenwirken der Eltern und Kinder mit dem Fachteam des Jugendamtes die jeweils angemessene Hilfeform gesucht. So können etwa Familien­ oder Erziehungshelfer/innen bei Überforderung der Familie oder in Krisensituationen über eine Zeit hinweg intensive Un­ terstützung bieten. Familien­ probleme, Beziehungsstörun­ gen oder Suchterkrankungen in der Familie können in der Familien- und Erziehungshilfe ebenso Thema sein wie zum „Kleinkrieg“ gewordene Hausaufga­ bensituationen oder der Umgang mit einem behinderten Kind. Die Palette der Probleme ist weit gefächert. Ist eine Betreuung des Kindes tagsüber notwendig, oder nur so die entsprechende Förderung möglich, kann die Unterbrin­ gung in einer erzieherischen Tagesgruppe in Betracht gezogen werden, die sehr eng mit den Eltern in Kontakt steht. Erzieherische Tagesgruppen gibt es in St.Georgen, Hüfin­ gen und in der Stadt Villingen-Schwennin­ gen. Die intensive Zusammenarbeit der Ta­ gesgruppe mit den Eltern ist notwendig, um einerseits Ursachen von Störungen heraus­ zufinden, und andererseits, um zu überle­ gen, wie diese beseitigt werden können. El­ tern sollen so auf Dauer wieder in die Lage versetzt werden, ihre Kinder ohne profes­ sionelle Hilfe zu versorgen und zu erziehen. Kinder und Jugendliche, die sich zeitweise 26 in einer schwierigen Situation befinden oder in ihrem sozialen Umfeld Schwierigkeiten bereiten, können in einer sozialen Grup­ penarbeit mit anderen neue Erfahrungen machen, Probleme besprechen oder auch nur Spaß haben. Die soziale Gruppenarbeit soll das Selbstwertgefühl der Kinder stärken, soziale Kompetenzen vermitteln und Kon­ takte zu anderen Kindern ermöglichen. Sie ist so z.B. eine Möglichkeit auf Straffällig- keit zu reagieren; viele Kinder nützen sie auch, um über die Scheidung der Eltern oder Schulprobleme zu reden. Es gibt jedoch Situationen, in denen Eltern die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder nicht mehr oder nur noch teil­ weise übernehmen können. Dann ist es notwendig, daß Kinder und Jugendliche eine enge und stabile Einbindung in einer Pflegefamilie oder ei- ner Heimgruppe finden, in der sie für begrenzte Zeit oder auf Dauer leben können. Jugendliche, die schon relativ selbständig sind, können im Rahmen von betreutem Wohnen oder einer intensiven Einzelbetreuung Unterstützung finden. Der/die Jugendliche kann beispielsweise in der gewohnten sozialen Umgebung eine Wohnung beziehen und wird von Fachkräf­ ten intensiv betreut. Auch bei einer Unter­ bringung auf Dauer wird in der Regel ver­ sucht, den Kontakt zur eigenen Familie für die Kinder zu erhalten. So viel und so wenig Hilfe wie nötig Nicht nur die Einbeziehung des sozialen Umfeldes und der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe bestimmen die moderne Jugend­ hilfe, sondern auch der Grundsatz: soviel Hilfe, wie nötig, aber so wenig, wie möglich. Die Familie soll unterstützt werden, das Pro­ blem darf ihr jedoch nicht abgenommen werden, da damit keine Lösung auf Dauer

Kindern und jugendlichen Sich-Finden helfen, ob durch sinnvolle Freizeitbetätigung wie die Musik, vor allem aber eingebettet in die Familie, gelingt nur, wenn alle Beteiligten bereit sind, neue Wege zu gehen. erreicht werden kann. Vielmehr müssen El­ tern und Kinder darin bestärkt werden, ihre Beziehungen zu klären und eigene Lösun­ gen zu entwickeln. Deshalb ist Elternarbeit in der Jugendhilfe so wichtig, wird so viel Wert darauf gelegt, daß Kinder so lange wie möglich in ihrer eigenen Familie leben kön­ nen oder zumindest enge Kontakte zu El­ tern und Geschwistern halten. Dies gelingt jedoch nur dann, wenn alle Beteiligten bereit sind, neue Wege zu gehen und adäquate Hilfe erhalten. Ein frühzeiti­ ges Erkennen und Bearbeiten der Schwie­ rigkeiten birgt die größten Chancen, auch auf Dauer zu helfen. Betroffene müssen des­ halb ermutigt werden, früh Beratung oder ambulante Hilfen in Anspruch zu nehmen. Noch immer suchen sie leider erst dann Hil­ fe, ,,wenn das Kind quasi schon in den Brun­ nen gefallen ist“. Dem Aufbau präventiver Hilfen wird des­ halb im Schwarzwald-Baar-Kreis Priorität eingeräumt. Außer den genannten Hilfen im Vorfeld der sehr einschneidenden Fremdunterbringung, wurden z.B. auch An­ gebote für alleinerziehende Eltern und jun­ ge Aussiedler/innen eingerichtet. In vielen Gemeinden gibt es Bestrebungen, mehr für Kinder und Jugendliche zu tun, etwa in Form von mobiler Jugendarbeit und der Be­ reitstellung von Räumen für Kinder und Ju­ gendarbeit. Information über die Arbeit der Beratungsstellen, der Jugendhilfeträger und des Jugendamtes ist in der vorbeugenden Arbeit genauso wichtig wie die enge Zusam­ menarbeit mit Bildungs- und Erziehungs­ einrichtungen. Weniger Kontrolle – aber mehr und diffe­ renziertere Hilfe, vor allem im präventiven und ambulanten Bereich, sind die Maximen für die Zukunft, um Eltern und Kinder in schwierigen Situationen zu unterstützen. Denn „Kinder wünschen sich keine andere Familie, sondern ihre Familie anders“. Ulrike Gfrörer 27

Hochwasserschutz im Bregtal An erster Stelle steht das Rückhaltebecken bei Wolterdingen seine Auswirkungen Der Almanach berichtete in der Vergangenheit mehrmals (1991/S. 11-14, 1996/S. 8) iiber Hochwasser und im Sclnuarzwald-ßt111r-Kreis. In dieser Ausgabe sol­ len die inzwischen veranlaßten und die in Zu­ kunft anstehenden M11ß11ahmen gegen die Hoch­ wassergef11hr vorgestellt 1uerden. Dabei 11rbeiten verschiedene Ainter da Lnndkreisverwaltungeng mit den sta11tlichen Behörden zusammm. Im Bregtal gab es, wie auch andernorts im Schwarzwald-Baar-Kreis, im 20. Jahrhun­ dert über viele Jahrzehnte kaum extreme Hochwässer. Mit dem Bau eines Registrier­ pegels bei Hammereisenbach im Jahre 1926 beginnt die amtliche Statistik, die bis zum Jahre 1990, also innerhalb eines Zeitraumes von über 60 Jahren, als stärkstes Hochwas­ ser das vom 17. 11. 1972 mit einer Abfluß­ spitze von 110 m3/s aufweist. Anhand die­ ser Messungen wurden letztlich auch die je­ weils aktuellen „Bemessungswassermengen“ für Flußquerschnitte, Brückendurchlässe etc. entwickelt. Diese zufällig günstigen me­ teorologischen Verhältnisse, gerade auch in den Zeiten des Wiederaufbaus und „Wirt­ schaftswunders“, sind jedoch auch Mitursa­ che für eine gewisse Sorglosigkeit in der Be­ bauung von Tatauen. Am I S. 02. 1990 je­ doch geschah mit einer Abflußspitze von 190 m3/s ein Hochwasserereignis, welches das oben genannte größte Hochwasser der vorhergehenden 70 Jahre um mehr als 70 Prozent ( ! ) übertraf. Hochwasserschutz erhielt nun plötzlich ei­ nen hohen Stellenwert in der Öffentlich­ keit. Innerhalb weniger Monate nach dem Katastrophenhochwasser hatte das damalige Wasserwirtschaftsamt die wesentlichen Vor­ schläge zur Verbesserung der Hochwassersi­ tuation in einer Planmappe zusammenge- 28 faßt: An erster Stelle steht dabei der Bau ei­ nes großen Hochwasserrückhaltebeckens im Bregtal. Daneben wurden örtliche Verbesse­ rungen beschlossen: der Bau einer bregpar­ allelen Flutmulde in Bräunlingen, Damm­ erhöhungen in Hüfingen, Entlastung des Breghochwassers unter der B 27 in Richtung Riedsee durch Bau eines entsprechenden Durchlasses und unter anderem auch Ob­ jektschutzmaßnahmen in Wolterdingen und Pfohren. Parallel hierzu wurde in Zu­ sammenarbeit mit dem Landratsamt und der Polizeiverwaltung ein Hochwasseralarm­ plan erstellt. Von dieser ersten planerischen Konzeption bis zur Baudurchführung ist es jedoch in der heutigen Zeit ein weiter Weg. Die vorge­ schlagenen Maßnahmen mußten aufeinan­ der abgestimmt und in das Gesamtkonzept der Flußgebietsuntersuchung Donau-Bri­ gach/Breg eingeführt werden. Die hydrolo­ gische Wirksamkeit mußte von der Univer­ sität Karlsruhe geprüft und die ökologischen Auswirkungen von der Universität Hohen­ heim abgeschätzt werden. Dabei konnte auf bereits laufende Untersuchungen an der Donau im Regierungsbezirk Tübingen auf­ gebaut werden, wo man aufgrund extremer Hochwässer in den l 970er und 80er Jahren im Raum Sigmaringen und Riedlingen be­ reits über entsprechende frühere Untersu­ chungen verfügte. Die Untersuchungen sind zwischenzeitlich auch in unserem Raum in allen wesentlichen Teilen abgeschlossen und bestätigen unsere Auffassung, daß neben dem Kernstück, dem großen Rückhalte­ becken oberhalb Wolterdingens, örtliche Ausbau- und Objektschutzmaßnahmen notwendig sind. In einer Voruntersuchung/Machbarkeits­ studie wurde aufgezeigt, daß oberhalb von

Es kann noch fünf bis zehn Jahren dauern, bis das Trockenbecken bei Wolterdingen den Menschen in der Baar einen effektiven Schutz vor Hoch· wasser bietet. Wolterdingen ein Rückhalteraum (RHB) für bis zu 3,5 Millionen Kubikmeter Wasser rea­ lisierbar wäre. Die Landstraße im Bregtal wä­ re dann bei Beckeneinstau kurzfristig nicht befahrbar, Umleitungen wären über Tann­ heim und Vöhrenbach möglich. Mit dieser Einschränkung müßte in Abständen von mehreren Jahren für die Dauer von 1 bis 2 Tagen gerechnet werden. Ein Klimagutach­ ·ten ist fast abgeschlossen, eine Umweltverträglichkeitsprüfung wird derzeit durchgeführt, so daß Anfang des nächsten Jahres das Raumordnungsverfahren eingeleitet werden kann. Die Vorplanung wurde sowohl im Ortschaftsrat als auch im Stadt­ rat von Donaueschingen sowie bei einer großen internen Be­ hördenbesprechung im Re­ gierungspräsidium in Freiburg grundsätzlich positiv aufge- nommen. Die Solidarität der Unterlieger, die dieses Becken mit 300/o Ei­ genmittel mitfinanzieren müßten (700/o Land), scheint grundsätzlich ebenfalls vor­ handen zu sein. Ein alternativer Vorschlag, der anstelle des einen großen Beckens auf mehrere kleine Becken abzielt, wird nun nochmals von der Universität Karlsruhe aus hydrologischer Sicht zusammen mit Rück­ haltemöglichkeiten im Donautal im Land­ kreis Tuttlingen abgeprüft. Je nach Ausgang des Planfeststellungsverfahrens, das sich an das Raumordnungsverfahren anschließt, und der Finanzierbarkeit, könnte das Pro­ jekt innerhalb von 5 bis 10 Jahren verwirk­ licht werden. Ein Trockenbecken entsteht Wie hat man sich nun ein solches Damm­ bauwerk in der Landschaft vorzustellen? Es wird keine Betonmauer wie beim Kirn­ bergsee oder ein Bauwerk wie die Linach­ Talsperre geben, es wird vielmehr ein Erd­ staudamm ausgebildet werden, wie es bei den vielen Becken im Gebiet von Jagst und Kocher-Lein im Regierungsbezirk Stuttgart geschehen ist. Zudem wird das Becken Wol­ terdingen im Gegensatz zu fast allen ge­ nannten Becken im Bezirk Stuttgart wahr­ scheinlich keinen „Dauerstausee“ erhalten, sondern als sogenanntes „Trockenbecken“ gebaut werden. Parallel zum RHB Wolterdingen wurden die Planungen der örtlichen Schutzmaßnahmen vorange­ trieben, die wegen ihres klei­ neren Planungs- und Finanz­ mittelbedarfs und ihres gerin­ geren Konfliktpotentials ra­ scher realisierbar sind: Einen Schwerpunkt bildet dabei die zur Breg parallele Flutmulde in Bräunlingen, die nicht zu­ letzt aus Finanzierbarkeits­ gründen gemeinsam mit der Umgehungsstraße L 181 ge­ baut werden soll. Dadurch be­ dingt war der Abstimmungsbedarf und die Umweltverträglichkeitsuntersuchung we­ sentlich zeitaufwendiger, so daß erst dieses Jahr das Planfeststellungsverfahren eingelei­ tet werden konnte. Es bleibt zu hoffen, daß der Bau noch 1996 begonnen wird. Zum Schutz von Allmendshofen und Hü­ fingen konnte im Spätherbst letzten Jahres nach Rücknahme der Einsprüche von Un­ terliegern die Erhöhung des linksseitigen Bregdammes ab dem Kofenweiher bregab­ wärts wasserrechtlich entschieden und seit März 1996 gebaut werden. (Abschluß der Arbeiten voraussichtlich April/Mai ). Ent­ sprechende Dammerhöhungen bregauf­ wärts (Kernstadt Hüfingen) sollen unver­ züglich weitergeführt werden. Eine Planungskonzeption zum Schutz des Donaueschinger Stadtteils Pfohren wurde ebenfalls erarbeitet. Eine erste Teilmaßnah­ me, Schutz einer Gebäudegruppe an der Hüfinger Straße, soll noch 1996 detailliert geplant, wasserrechtlich behandelt und 1996/97 verwirklicht werden. 29

Ein Erdstt111da111m wie im Gebiet von jagst und Kocher-Lein im Regierungsbezirk Stulfgart (Bild) soll in Wolterdi11gen zum Srlmlz 11or Hochwassern gebaut werden,jedorh ohne „D1111ersee „. Frühzeitig wurden auch intensive Unter­ suchungen zum Schutz des Donaueschinger Stadtteils Wolterdingen durchgeführt. Mit Ausnahme des großen Rückhaltebeckens scheint hier kein befriedigender kurzfristiger 1 Iochwasserschutz erreichbar. Einzelne Ob­ jektschutzmaßnahmen sind hier auch tech­ nisch schwieriger und letztlich an Ein­ sprüchen gescheitert. Bei größeren unter­ suchten Lösungen (Flutmulde Längental) steht der Aufwand zum „Erfolg“ in signifi­ kantem Mißverhältnis. Beim letzten „Ver­ such“, einer Flutmulde ab Ortsende wird derzeit geprüft, inwieweit mit ihr eine dem Aufwand angemessene Wasserspiegelabsen­ kung der Breg im Ortskern erreichbar ist. Die Planungen geschahen stets im engen Einvernehmen mit Stadt, Ortschafi:sverwal­ tung und Betroffenen (einschl. Grund­ stückseigentümern), um deren örtliche Er­ fahrungen und Kenntnisse mit einzubrin- 30 gen. Bei positivem Ausgang könnte mit dem Bau noch 1996/97 begonnen werden. Die Reaktivierung des Überschwem­ mungsgebietes der Riedseen, die neben ei­ ner Entlastung der Donauunterlieger auch dem örtlichen Schutz von Pfohren, Hüfin­ gen und Donaueschingen dient, wird eben­ falls weiterverfolgt. Die Voraussetzung hier­ zu, ein entsprechender Durchlaß unter der B 27, ist detailliert geplant, seine bauliche Verwirklichung ist mit dem 4-spurigen Aus­ bau der B 27 (voraussichtlich ab 1998) vor­ gesehen. Problematisch ist jedoch diese Ein­ leitung von Breghochwasser in die mit dem Grundwasser verbundenen Riedseen (Gut­ terquellen !) allemal, was entsprechend auf­ wendige, zur Zeit laufende Untersuchungen bedingt. Neben diesen vielen geplanten Baumaß­ nahmen ist Erhaltung und Schutz der bei Hochwasser überschwemmten Flächen, die

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Die Grundsatzüberlegungen zum Hoch­ wasserschutz und die Vorplanungen sind im wesentlichen abgeschlossen, jetzt stehen De­ tailplanungen bzw. Baudurchführung an. Deutlich geworden ist dabei auch, daß die­ se komplexen, miteinander vernetzten Maß­ nahmen nicht kurzfristig lösbar sind, son­ dern eine längerfristige Aufgabe darstellen, die mit umso größerer Zähigkeit und Kon­ tinuität weiter betrieben werden muß, je mehr die Erinnerung an das Katastrophen­ ereignis vom 15. 02. 1990 zu verblassen droht. So bleibt zu hoffen, daß dieses The­ ma in der öffentlichen Diskussion seine Pri­ orität behält. Auch dann, wenn wieder, wie zu Anfang geschildert, eine zeitliche Periode von 50 bis 70 Jahren ohne Extremhochwas­ ser vor uns läge. Ausweisung von Überschwemmungsgebie­ ten durch Rechtsverordnung, von entschei­ dener Bedeutung. Daher werden auch diese Aufgaben parallel und zügig weitergeführt. Vorplanung und hydraulische Untersu­ chungen liegen vor. Die Verwaltungsreform entsprechend dem Sonderbehi:,rdeneingliederungsgesetz vom 12.12. 1994. die zum 01. 07. 1995 vollzogen werden mugte, mit der Aufgabenaufgliede­ rung des ehemaligen Amtes für Wasserwirt­ schaft und Bodenschutz auf Landratsamt, Gewerbeaufsichtsamt und neugebildeter Gewässerdirektion mit den zugehörigen Umzügen, Personalwechsel, Einarbeitung in fremde Fachgebiete etc. , hat die kontinu­ ierliche Weiterarbeit auf dem Gebiet des Hochwasserschutzes sicher nicht beschleu­ nigt. Jedoch wird von der jetzt zuständigen Gewässerdirektion in Rottweil alles getan, um diesen Übergang möglichst ohne Zeit­ verluste zu überbrücken. Der Landkreis hat vielfältige Koordinierungsaufgaben festgeschrieben Nach dem „Jahrhundert-Hochwasser“ vom 15./16. Februar 1990 (siehe Almanach 1991, S.11-14) wurde der Einsatzverlauf der Hochwasserkatastrophe aufgearbeitet, mit dem Ziel, durch organisatorische Maßnah­ men und Planungen eine optimalere Alarmierung aller zuständigen Behörden und Organisationen zu gewährleisten. In Zusammenarbeit mit dem damaligen selb­ ständigen Wasserwirtschaftsamt Rottweil, Außenstelle Donaueschingen, wurde ein „Hochwasseralarmplan“ erstellt, obwohl die Gewässer im Schwarzwald-Baar-Kreis nicht der Hochwassermeldeordnung des Landes Baden-Württemberg unterliegen und es da­ her keine Pflicht hierzu gab. Aus Verant­ wortung den Bürgerinnen und Bürgern im Hochwasseralarmplan zum Schutz der Bürger Manfred Fichtner Landkreis gegenüber, wurde dennoch der Versuch unternommen, einen auf hiesige Verhältnisse ausgerichteten Alarmplan zu erarbeiten, der seit 1991 auch in Anwen­ dung ist. Der Hochwasseralarmplan regelt insbe­ sondere: O Verfahrensweise für Wetterwarnungen und Hochwasserinformationen, O Überprüfung der Wasserstände der Ge­ wässer (in der Regel über Abfragepegel), O Hochwasserwarnung mit Informations­ pflichten der betroffenen Feuerwehren, der 31

Bürgermeisterämter, des Landkreises sowie weiterer Behörden, 1) Hochwasseralarm mit Anweisungen an die beteiligten Feuerwehren und Behörden. In den vergangenen Jahren wurde der Schwarzwald-Baar-Kreis immer wieder von größeren Hochwasserereignissen heimge­ sucht, so am 22.12.1991, am 19./20.12. 1993 und am 25./26. 01. 1995. Damit be­ stätigte sich die Notwendigkeit, die kon­ kreten Hochwassergefahren durch straffe Alarm- und Einsatzplanungen zu regeln, Zuständigkeiten zu ordnen und ggf. zu bün­ deln. Dabei hat das Amt für Brand- und Ka­ tastrophenschutz innerhalb der Kreisver­ waltung u. a. folgende Aufgaben: Die halb­ jährliche Aktualisierung des Hochwasser­ alarmplanes und dessen Fortentwicklung mit den zuständigen Fachbehörden. Weiter die Herausgabe von Hochwasserinformati­ onsblättern für die Gemeinden und für die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis, aber auch Unterrichtungs- und Informations­ pflichten nach Auslösung der Hochwasser­ warnung und ggf. der Einrichtung einer Ko­ ordinierungsgruppe im Landratsamt. Aber auch: Einrichtung einer Stabsgruppe nach Auslösung des Hochwasseralarms (Teil des Katastrophenschutzstabes) für die Ge­ fahrenabwehr bei Hochwasser im Landrats­ amt mit folgenden Schwerpunkten: stündli­ che Abfrage der Pegelstände aller Gewässer im Landkreis, Informationspflichten über die Entwicklung der Wasserstände und der Hochwassersituation im Landkreis, Progno­ seerstellung mit Fachbehörden und Wetter­ dienst, Koordinierung von Hilfsmaßnah­ men zur Hochwasserbekämpfung, Einrich­ tung einer oder mehrerer technischen Einsatzleitungen, zur Leitung der vor Ort befindlichen Einsatzkräfte der Feuerwehren, aller sonstigen Organisationen und ggf. der Bundeswehr. Das aber ist nicht alles, hinzu­ kommen: Anforderung überörtlicher Ein­ satzkräfte und Einsatzmittel für die Hoch- 32 Im J-/ochwt1Sser-Katastrophenfal! hat der Land­ kreis auch fiir genügend Sandsäcke zu sorgen. wasserbekämpfung, regelmäßiger Informati­ onsaustausch mit der Feuerwehrleitstelle einschließlich der flußabwärts gelegenen Leitstellen und Landkreise, Straßensperrun­ gen und Verkehrsumleitungen durch die zu­ ständigen Behörden veranlassen, die betrof­ fenen Gemeinden laufend über die Lage, die Lageentwicklung und die Einsatzmaß­ nahmen zu unterrichten – verbunden mit dem Ziel rasch weitere Maßnahmen, wie z.B. Beobachtungen der Gewässerdämme und Wasserdurchläufe (einschließlich der Brücken) sicherzustellen – und bei Überflu­ tungsgefahr bebauter Gebiete rechtzeitige Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten. Und zu guter letzt: Rundfunkwarnungen durch­ führen, bzw. Lautsprecherwarnungen mit den Gemeinden organisieren. Die beim Hochwasser eingesetzte Stabs­ gruppe des Katastrophenschutzes wird er­ gänzt um Vertreter und Verbindungsbeam-

Hochwasser im Urachtal bei Vöhrenbach, aufgenommen im Januar 1995. te der Fachbehörden, der Polizeidirektion, der Feuerwehr und anderer Organisationen sowie ggf der Bundeswehr. Damit wird ge­ währleistet, daß alle Hilfs- und Einsatzmaß­ nahmen gebündelt und koordiniert werden. Die Vertreter der Stabsgruppe prüfen lau­ fend, ob die bisherigen Maßnahmen ausrei­ chend sind, Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit von Menschen und Tieren, so­ wie Gefahren für Sachwerte und die Umwelt abzuwehren oder so gering wie möglich zu halten. Erfordert die Gefahrenlage die ein­ heitliche Leitung der Bekämpfungsmaß­ nahmen durch den Kreis als untere Kata­ strophenschutzbehörde, und lassen sich die Schadensmaßnahmen dadurch wirkungs­ voller durchführen, ist eine Entscheidung über den Katastrophenfall herbeizuführen. Weitere Maßnahmen durch den Katastro­ phenschutzstab zur Gefahrenabwehr könn­ ten sein: Auf- und Abbau von Dämmen, Be­ füllung und Transport von Sandsäcken, Heranziehung von Privatpersonen/-firmen für z. B. Pump-, Bergungs- und Transportar­ beiten, die Evakuierung von Gebäuden bzw. bewohnter Gebiete, Beseitigung von Öl- schäden, vorläufige Unterbringung von Be­ dürftigen und Obdachlosen, Unterstützung bei der Betreuung der Bevölkerung und Heranführung von weiteren Einsatzmitteln wie Booten, Ölbekämpfungsmitteln oder Sandsäcken. Die Hauptlast bei einer Hochwasserlage hat zunächst der Bürger zu tragen. Hilfe­ stellung erhalten sie in erster Linie durch die zuständige Feuerwehr und durch die Ge­ meinde. Diese Arbeit gilt es zu unterstützen. Hierfür gibt es den bereits mehrfach er­ wähnten Hochwasseralarmplan. Der Land­ kreis hat den Feuerwehren in den vergange­ nen fünf Jahren 20 Tauchpumpensätze für Hochwassersituationen zur Verfügung ge­ stellt, sowie eine Sandsackreserve bei der Feuerwehr Villingen-Schwenningen ange­ legt. Damit ist gewährleistet, daß zukünfti­ gen Hochwassersituationen besser begegnet werden kann. Die Verbesserung der Ein­ satzmittel bleibt gleichrangiges Ziel der Kreisverwaltung, neben Verbesserungen in den organisatorischen Maßnahmen. Manfred Pfeffinger 33

Eingliederung staatlicher Einrichtungen Die Bürgernähe hat entscheidende Verbesserungen erfahren Im letzten Almanach 1tmrde bereits über die Eingliederung der bisherigen staatlichen Einrich­ tungen Gesundheitsamt, Veterinäramt und Teile des Amtes für Wasserwirtschaft und Bodenschutz berichtet. In dieser Ausgabe sollen kurz der Ver­ lauf der Eingliederung und die neuen Arifgaben dargestellt werden. Das Gesundheitsamt Seit Juli 1995 ist das Gesundheitsamt als Dezernat in die Landkreisverwaltung einge­ bunden und erhält schneller und umgehen­ der die Information vor Ort. Dies ermög­ licht das Handeln mit mehr Bürgernähe. Die Mitarbeiter des Amtes haben die Ein­ gliederung angenommen, die veränderten Verwaltungswege sind inzwischen gebahnt und zu den neuen Partnern besteht ein gut­ er Kontakt. Nach Neugestaltung der inneren Organi­ sation, wird die Personalsachbearbeitung, Mittelbewirtschaftung und Materialbeschaf­ fung nun durch eine zentrale Abteilung übernommen. Der soziale Dienst wird vom Jugendamt betreut. Dafür wird das Gesund­ heitsamt als untere Gesundheitsbehörde mit Vollzugsaufgaben betraut. Es muß bei­ spielsweise darauf achten, daß niemand un­ erlaubt die Heilkunde ausübt. Das zu Jahresbeginn 1995 in Kraft getrete­ ne Gesundheitsdienstgesetz legt die Aufga­ ben des Amtes fest. Hauptschwerpunkte sind die Förderung und der Schutz der Ge­ sundheit der Bevölkerung sowie die Beo­ bachtung und Bewertung der gesundheitli­ chen Verhältnisse. Hierzu gehören auch die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Gesundheit. Wie bisher ist auch darüber zu wachen, daß die Anforderungen an die Hygiene eingehalten werden und daß über- 34 tragbare Krankheiten beim Menschen ver­ hütet und bekämpft werden. Ebenso wer­ den auch weiterhin ärztliche Untersuchun­ gen vorgenommen und Gutachten erstellt. Beratungen über gesunde Lebensweise oder notwendige hygienische Maßnahmen wer­ den sowohl für Einzelne als auch für Grup­ pen, in Gemeinschaftseinrichtungen oder im Amt durchgeführt. Im besonderen sei dabei auf die AIDS-Fachberatung und auf die psychosoziale Betreuung nach Krebs­ erkrankungen hingewiesen. Im Umweltbe­ reich wird die Bevölkerung über Gesund­ heitsgefährdungen informiert, wie z.B. Be­ lastungen durch Ozon und Straßenlärm. So setzt sich das Gesundheitsamt auch weiter­ hin für die gesundheitlichen Belange ein und steht mit medizinischem Rat zu Verfü­ gung. Dr. Karin Flick Amt für Wasser- und Bodenschutz Gegen den Widerstand des Umweltmini­ steriums wurde am 12. 12. 1994 das Sonder­ behördeneingliederungsgesetz beschlossen und zum l. Juli 1995 vollzogen. Dieses Ge­ setz legte fest, daß die Bediensteten von 17 Ämtern für Wasserwirtschaft und Boden­ schutz mit sechs Außenstellen aufgeteilt werden sollten auf35 Landkreise und neun Stadtkreise, auf neun staatliche Gewerbe­ aufsichtsämter und auf drei Gewässerdi­ rektionen mit zehn Bereichsverwaltungen. In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg wurden die Bediensteten des ehemaligen Wasserwirtschaftsamtes Rottweil und der Außenstelle Donaueschingen aufgeteilt auf die Landratsämter Schwarzwald-Baar-Kreis, Rottweil und Tuttlingen, das Gewerbeauf-

Donaueschingen hat sich für den Wasser· und Boden· schutz sowie das Veterinäramt als Standort bereits vielfach bewährt. sichtsamt Villingen-Schwenningen und die Gewässerdirektion Donau-Bodensee, Be­ reich Rottweil. Dabei wurden zum Teil auch Bedienstete von angrenzenden Wasserwirt­ schaftsämtern eingestellt. Das neu geschaf­ fene Amt für Wasser- und Bo- denschutz innerhalb des Land­ ratsamtes hat weiterhin seinen Sitz in den Räumen der ehemaligen Außenstelle des Wasserwirtschaftsamtes Rott­ weil in Donaueschingen, lrma­ str. 11. Die Aufgaben sind im wesentlichen Wasserrecht, Bo­ denrecht, überirdische Gewäs­ ser, Grundwasserschutz, Bo­ denschutz, Industrie- und Ge- werbe sowie kommunale Abwässer, Abfall­ beseitigung und Altlasten. Die bisherigen Erfahrungen der Zusam­ menarbeit von Verwaltungsbeamten und technischen Beamten innerhalb des neuen Amtes sind durchweg positiv. Schwierig­ keiten zeichnen sich jedoch ab durch die vom Gesetzgeber getroffene Aufgabenver­ teilung, die eine Reihe von Doppelzustän­ digkeiten mit zahlreichen Schnittstellen mit sich brachte. Dies führte unter anderem zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten und Schwächung der fachtechnischen Kom­ petenzen. Durch das verstärkte Engagement erfahrener Mitarbeiter kann davon ausge­ gangen werden, daß bestehende Probleme in absehbarer Zeit abgebaut werden kön- nen. Bruno Mößner Das Veterinäramt Mit der Eingliederung der bisher 21 Staat­ lichen Veterinärämter Baden-Württembergs in die Landratsämter der Landkreise und die Bürgermeisterämter der Stadtkreise zum 1. Juli 1995 sind insgesamt 44 Veterinärämter entstanden. Aus dem ehemaligen Staatli­ chen Veterinäramt Rottweil, das für die ge- samte Region Schwarzwald-Baar-Heuberg zuständig war, sind nach der Aufteilung auf die Landkreise drei in die Landratsämter eingegliederte Veterinärämter gebildet wor­ den. Nachdem der Schwarzwald-Baar-Kreis nun sein „eigenes“ Veteri­ im näramt besitzt, wird Verwaltungshandeln gegen­ über den Betroffenen in jedem Fall mehr Bürgernähe und Ef­ fizienz erzielt. In bezug auf die Bürgernähe war zudem die Wahl des Standortes für das „neue Vete­ rinäramt“ auf der Außenstelle des Landratsamtes in Donau- eschingen vernünftig und rich­ tig. Die bereits in Donaueschingen ansässi­ gen Ämter für Landwirtschaft und Tierzucht sowie die unter der Trägerschaft des Land­ kreises ansässige Fachschule für Landwirt­ schaft werden durch das neu hinzugekom­ mene Veterinäramt gut ergänzt. Die hier­ durch entstandenen kurzen Behördenwege sind sehr positiv aufgenommen worden. Das Personal des Veterinäramtes des Schwarzwald-Saar-Kreises umfaßt zur Zeit fünf Amtstierärzte und Amtstierärztinnen, eine ganztags- und zwei halbtags tätige Ver­ waltungssangestellte. Durch den Übergang der Aufgaben des Fleischhygienegesetzes von den Gemeinden auf den Schwarzwald­ Baar-Kreis, wurden weiterhin 19 Fleischbe­ schauer und 14 Fleischbeschau-Tierärzte in Stück- oder Stundenvergütung mit neuen Arbeitsverträgen übernommen. Aufgrund der mit den Gemeinden beste­ henden unterschiedlichen Arbeitsverträge des Fleischbeschaupersonals, waren schwie­ rige Verhandlungen notwendig, um eine einheitliche Anpassung an die aktuellen Ver­ hältnisse vorzunehmen. Der Einsatz des Fleischbeschaupersonals im Schwarzwald­ Baar-Kreis kann künftig über die Gemein­ degrenzen hinweg nach wirtschaftlichen Ge­ sichtspunkten gesteuert werden. Mit der Verwaltungsreform wurde gleich- 35

Die niedrigen Ge· bühren stellen sicher, daß der hohe Anteil an Hausschlachtungen im Schwarzwald-Baar· Kreis auch künftig erhalten bleibt. zeitig eine neue Fleischbeschaugebühren­ Verordnung erlassen, die in Baden-Würt­ temberg einheitlich die zu erhebenden Ge­ bühren für Haus- und Metzgereischlach­ tung für die Landkreise fest- legt. Von der Landesregierung waren insbesondere die Ge­ bühren für Hausschlachtung übermäßig hoch veranschlagt. Auf Initiative von Landrat Dr. Gutknecht konnte eine Ände­ rung erreicht werden. Die nun niedrigen Gebühren für Haus­ schlachtungen stellen sicher, daß der hohe Anteil von Haus­ schlachtungen an den Gesamt­ schlachtungen im Schwarzwald-Baar-Kreis auch zukünftig erhalten bleibt. Für die Schlachthöfe in Villingen und Schwenningen mußte durch das Landrats­ amt eine kostendeckende Gebührenkalkula­ tion vorgenommen werden. Aufgrund der organisatorischen Veränderungen im Perso­ naleinsatz an den Schlachthöfen sind die im Vergleich zu anderen Landkreisen errechne­ ten Fleischbeschaugebühren im Schwarz­ wald-Baar-Kreis durchweg kostengünstiger. Dadurch soll auch in Zukunft der Standort Schwarzwald-Baar-Kreis für alle Bereiche, die mit Landwirtschaft verknüpft sind, at­ traktiv bleiben. Als typische Eingriffverwaltung ist das Ve­ terinäramt als eigenständiges Amt innerhalb des Landratsamtes im Dezernat II organisa­ torisch gut eingebunden. Mit der Zusam­ menführung sämtlicher Aufgaben des Vete­ rinärwesens, angefangen bei der Tierseu­ chenbekämpfung sowie der Überwachung von Lebensmitteln, Tierarzneimitteln, bis hin zum Tierschutz in einer Behörde, wur­ den Zuständigkeitsstrukturen konzentriert und bereinigt. Durch diese Aufgabenbün­ delung auf das Landratsamt als untere Ver­ waltungsbehörde sind die Verwaltungsstruk­ turen klarer und überschaubarer geworden. Die Tatsache, daß man sich in sämtlichen Veterinärbelangen nur noch an eine Institu- 36 tion des Landratsamtes zu wenden hat, hat zu einer Verwaltungsvereinfachung mit mehr Außentransparenz geführt. Um die sich nun bietenden Synergieeffek- te zwischen Sach- und Fach­ verstand innerhalb des Land­ ratsamtes voll nutzen zu kön­ nen, werden künftig noch weitere organisatorische und personelle Veränderungen not­ wendig sein. Die ersten Schrit­ te hierfür sind beispielsweise mit der Akten- und Dateienzu­ sammenführung von verschie­ denen Ämtern bereits in An- griff genommen. Diesen be­ schrittenen Weg der Verwaltungsreform gilt es nun konsequent fortzusetzen, um die be­ reits nach einem halben Jahr erzielte posi­ tive Bilanz weiterzuführen. Durch die Umsetzung des Sonderbehör­ deneingliederungsgesetzes wird künftig das Landratsamt eine Schlüsselrolle in der Wahrnehmung von lebensmittelrechtlichen Vorschriften einnehmen. Diese Organisati­ onsstruktur ist durch EG-Recht vorgegeben und gewährleistet in hervorragender Weise eine effiziente und lückenlose Überwa­ chung von der Urproduktion bis hin zur Abgabe des Lebensmittels an den Verbrau­ cher. Dr. Michael langer April vorjährig und spröde ist falbfarbenes Gras in der Senke, wo unlängst der Bach sein Bett verließ blüht es gelb Dotterblume Frühlingsgeschenk Christiana Steger

Partnerschaft mit Bacs-Kiskum Schwarzwald-Baar-Kreis knüpft Kontakte mit Ungarn Am 24. Mai 1996 unterzeichneten Landrat Dr. Gutknecht, Landrat Karl Heim und Ko­ mitatspräsident Dr. Liszl6 Balogh die Part­ nerschaftsurkunde zwischen dem Schwarz­ wald-Baar-Kreis und dem ungarischen Ko­ mitat Bacs-Kiskun. Der Gedanke einer kommunalen Partner­ schaft, der einzigen des Landkreises, mit dem ungarischen Komitat Bacs-Kiskun ent­ stand während eines Besuches der Komitats­ präsidenten im Schwarzwald-Baar-Kreis im Oktober 1995. Nach einem ersten Besuch einer ungari­ schen Delegation der Komitatsverwaltung aus Kecskemet Anfang März 1996, reiste ei­ nen Monat später eine Delegation von Kreisräten und eines Lehrers der in Träger­ schaft des Kreises befindlichen Landesbe­ rufsschule unter Führung von Landrat Dr. Gutknecht nach Ungarn. Zusam- men mit Dr. Laszl6 Balogh, dem Präsidenten der General­ versammlung des dortigen Krei­ ses, unterzeichnete der Landrat eine Vereinbarung über die Zu­ sammenarbeit zwischen beiden Kreisen. Erste Ergebnisse die­ ser Partnerschaft zeigen sich bereits, wobei die Landesberufsschule für das Hotel-und Gaststät­ tengewerbe eine Vorrei­ terrolle übernommen hat. Bereits 1995 kam es zu einem ersten Aus­ tausch mit einer ent­ sprechenden Einrich­ tung in Kecskemet. Eine Gruppe ungarischer Schü­ ler besuchte 1995 Villingen und nahm am Unterricht teil. Eine Zusammenarbeit soll es vor allem in den Bereichen Brauchtum, Sport, Fremden­ verkehr und Kultur, aber auch in den Berei­ chen Wirtschaft und Ausbildung geben. Bei alldem sind sprachliche Probleme wenig zu befürchten, da im Komitat Bacs-Kiskun ei­ nige tausend Donauschwaben leben und Deutsch in Ungarn erste Fremdsprache ist. Der Komitatspräsident wies anläßlich des Festaktes im Landratsamt daraufhin, daß in der Region mehrere Minderheiten mit den Ungarn zusammenleben. Die wichtigste sei die deutschstämmige Volksgruppe, der 12 000 Menschen angehören. In vier großen Gruppen bilden sie sogar die Mehrheit der Bevölkerung. Seit kurzem gibt es für die Minderheiten die Möglichkeit der Selbst­ verwaltung. Bisher wird diese Autonomie in 14 Fällen genutzt. Außerdem pflegen be- reits über 20 Orte eine Partner­ schaft zu deutschen Städten. Verbindend wirke außerdem, so Laszl6 Balogh, daß die Do­ nau durch beide Regionen fließe, die im Schwarzwald­ Baar-Kreis entspringe, gleich wo nun die Qielle tatsächlich zu finden sei. Das Wappen des 1mgari­ schen Komitates Brics­ Kiskun, mit dem der Landkreis eine Partner­ schafl einging. 37

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Städte und Gemeinden Von der Landwirtschaft geprägt Pfarrkirche Allerheiligen das weithin sichtbare Wahrzeichen von Urach Urach liegt in einem Seitental der Breg. Die Urach, die der Talgemeinde den Namen gab, hat ihre Q!iellen an der Wasserscheide Rhein-Donau bei der Kalten Herberge. Der Bach fließt durch eine 10 Kilometer lange Talaue, in der sich der Ort mit 25 Hofbezir­ ken ausbreitet. Die höchste Erhebung der Gemarkung ist die Widiwander Höhe mit 1130 m. ü. M.; die tiefste Stelle befindet sich bei der Einmündung der Urach in den Eisenbach unterhalb des Dilgerhofes mit 772 m. ü. M. Um das Jahr 850 n. Chr. war die Besied­ lung auf der Baar abgeschlossen, nicht je­ doch im Schwarzwald. Zwar werden die Siedlungen „vor dem Wald“ (Schwarzwald), z. B. Wolterdingen und Tannheim, urkund­ lich bereits 772 bzw. 817 erwähnt, aber erst nach der Gründung der Benediktinerklöster St. Georgen 1084 und Friedenweiler 1123 kam es durch Talrodungen zu einer allmäh­ lich fortschreitenden Erschließung der Täler im Wassereinzugsgebiet von Brigach und Breg, also auch dem Urachtal. Damals ver­ folgten die Zähringerherzöge Konrad, Ber­ thold IV. und Berthold V. nachhaltig die Absicht, den südlichen Schwarzwald unter ihre Herrschaft zu bringen. 1275 ist im „Liber decimationis“, einem Besteuerungsbuch des Bistums Konstanz, die Pfarrei Urach urkundlich nachgewiesen: ,,Ura, Dekanat Pförren (Pfohren)“. Insge­ samt 25 Hofbezirke lassen sich nachweisen. Vieles deutet darauf hin, daß sie von der Er­ schließung an die Größe erhalten haben, wie wir sie zum Teil heute noch vorfinden. Urach und seine Pfarrkirche Allerheiligen, Aquarell von Rudo!f Heck. 39

Der Uracher Do,jkern milder lfarrkirche Allerheiligm. Diese Straße hat wesentlich zum damali­ gen Aufschwung des Handels in den beiden Städten Freiburg und Villingen beigetragen. An ihr entstanden die beiden ältesten Gast­ häuser Urachs, der Unterwirtshof(Gasthaus „Zum Löwen“) um 1580 und die „Kalte I Ierberge“ seit 1480. In den Wirren des 30jährigen Krieges ge­ riet die Straße durch das Urachtal nach und nach in Zerfall. Sie schied nach dem West­ fälischen Frieden im Jahr 1648 als Haupt­ handelsweg aus. 1806 kam das Fürstentum Fürstenberg und somit auch das Urachtal zum Großherzog­ tum Baden. Urach gehörte danach von 1811 bis zur Kreisreform 1971 zum Amtsbezirk bzw. Landkreis Neustadt/Hochschwarz­ wald. Seit dem 1. Dezember desselben Jahres ist Urach ein Stadtteil von Vöhrenbach mit der­ zeit 420 Einwohnern. Die höchsten Ein­ wohnerzahlen hatte Urach in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts: 1861 wohnten 657 Menschen im Urachtal. In den 25 Jahren, die seit der Eingemein­ dung nach Vöhrenbach vergangen sind, wurden u. a. folgende Investitionen ver­ wirklicht: Das Schlacht- und Feuerwehrhaus Von der Mitte des 13. Jahrhunderts an gehörte Urach zum Herrschaftsbereich der Grafen von Fürstenberg (Landgrafschaft Baar). Durch das Urachtal führte zwischen dem 14. Jahrhundert und dem 30jährigen Krieg eine bedeutende Handelsstraße. Sie verlief von Villingen über Herzogenweiler zum Fischerhof im Bregtal, von da durch das Urachtal zum Thurner und durch die Wagensteige ins Dreisamtal nach Freiburg. Im Fürstenbergischen Urkundenbuch ist in diesem Zusammenhang folgende Urkun­ de aufgeführt: /310,}rm. 23 Vil/ingm „ Graf Egen vo11 Fiirslenberg, lt1ndgrr{f in der 8t1re, kämm/ mil dem Schullheiß, dem Burgn­ meisler und den Burgern gemein/ich von Vi/ingen überein, dass er ihnen zum Nulzen seiner Si(I{// Vilingen er/cwbl zufr,hren und zu wandeln den Weg durch die Vrr, (dt1111rt!ige Schreibweise von Urach) …von Vi/ingen gegen Vriburg.“ in der Urkunde folgen nun die Zollsälzefiir Tuche, Klei­ der, Pferde, Rinder und Sd,afe . … ,,und wer zm­ rechte Wege oder um1erzol/1 fährl oder fremder leu/1′ Cul mfder S1mße t1nnimml, so/160 Schil­ linge schulden.“ 40

den früher die Mitglieder der Kirchenchöre genannt – in den Jahren 1748-1750 14 Gul­ den und 3 Batzen. Gewöhnlich wurde die­ ses Geld für einen Trunk an den Festtagen ausgegeben. Der Musikverein Urach feierte 1996 sein 95jähriges Bestehen (Gründungsjahr 1901) und steht auf einem hohen musikalischen Niveau. Die Freiwillige Feuerwehr wurde 1953 gegründet und besitzt eine moderne Ausstattung. Vorläufer war eine örtliche Löschmannschaft. Der jüngste Verein ist der Skiclub. Seit seiner Gründung im Jahre 1959 wurden bei regionalen Wettkämpfen und auch bei Deutschen Meisterschaften viele hervorragende und beachtenswerte Erfolge erzielt und sportliche Veranstaltungen in vorbildlicher Organisation durchgeführt. Vor einigen Jahren wurde dem Verein zu­ dem eine Radsportabteilung angegliedert. Das Wahrzeichen des Urachtales ist die Pfarrkirche Allerheiligen, deren imposanter Zwiebelturm scheinbar schwerelos über wurde fertiggestellt. Die Teilortfeue1wehr er­ hielt zwei Tragkraftspritzenwagen und einen Mannschaftstransportwagen. Nachdem die Schwesternstation aufgehoben wurde, ver­ kaufte die Stadt das Schwesternhaus. Mit dem Erlös wurden die nicht mehr benötig­ ten Schulräume zu einem Gemeindesaal umgebaut. Außerdem erhielt der Stadtteil eine Straßenbeleuchtung. Die Erschließung eines Neubaugebietes soll verhindern, daß junge Familien von Urach wegziehen. Die geplante Realisierung ist deswegen proble­ matisch, weil Urach keine zentrale Wasser­ und Abwasserversorgung besitzt. Die Landwirtschaft prägt seit Jahrhunder­ ten das Leben in der Talgemeinde. Die Ge­ markung umfaßt 2 109 Hektar. Davon sind 1425 Hektar Wald (67,6%) und 687 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. 23 Voll- und 8 Nebenerwerbsbetriebe bewirtschaften 679 Hektar Grünland und nur noch 8 Hektar Ackerland. 1925 wurden noch 297 Hektar Getreide und Kartoffeln angebaut. Der Privatwald, die Milchwirt­ schaft und der Verkauf von Schlachtvieh sind die Exi­ stenzgrundlage. Seitdem die Technik auch in bäuerlichen Betrieben Einzug gehalten hat, ist die Zahl der in der Landwirt­ schaft Beschäftigten rückläu­ fig. Immer mehr Uracher finden ihren Lebensunter­ halt im heimischen Gewer­ be oder als Pendler im be­ nachbarten Umland. Für das kulturelle Leben und den Gemeinschaftsgeist unter den Einwohnern sind die örtlichen Vereine von großer Bedeutung. Der ka­ tholische Kirchenchor kann auf ein 250jähriges Bestehen zurückblicken. Nach den Pfarrakten erhielten die „Kirchensänger“ – so wur- Ländliche Idylle beim Adamenhof 41

dem Tal steht. Die ältesten Teile, der Turm in seinen unteren Geschossen und Teile des Chores, wurden vermutlich in der Zeit zwi­ schen 1150 und 1200 errichtet. Die baro­ cken Altäre und die Kanzel tragen unver­ kennbar die Handschrift des berühmten Künstlers Matthias Faller. Auch die monu­ mentale Friedhofsmauer mit den kantigen Ecktürmen und dem überdachten Treppen­ aufgang ist ein architektonisches Kunstwerk. Seit der Generalrenovation in den Jahren 1979 bis 1982 für fast 600 000 Mark kom­ men Schönheit und Pracht dieses Gottes­ hauses in besonderem Maße zur Geltung. Die Uracher Pfarrkirche ist ein Kleinod, nicht nur für das Urachtal, sondern darüber hinaus für den gesamten südlichen Schwarz­ wald. Klemens Laute Das Wappen von Urach _______ _ Wappen: Im gelben (goldenen) Schild ruif griinem Berg eine Burgmine in .,natiirlichen Farben“. Die Talgemeinde Urach hat lange kein eige­ nes Wappen geführt. ln den Siegelstempeln des vorigen Jahrhunderts prangte das badische Wap­ pen mit dem Schrägbal­ ken. Und weil die Siegel­ stecher dieses mit einer Krone zierten, die Ge­ meindesiegeln nicht zu­ kam, gab das schließlich Anlaß zur Annahme eines eigenen Wappens. Das Großherzoglich badische in Generallandesarchiv Karlsruhe schlug im Jahre 1909 die Burgruine als Wappen vor, die „an das alte Geschlecht der von Urach“ erinnern soll. Doch dürfte da ei­ ne Verwechslung mit der Ruine Alt-Urach bei Lenzkirch vorgelegen haben. Aber die Gemeinde war mit dem Vorschlag einver­ standen und erhielt noch im Herbst des sel­ ben Jahres einen schön gravierten Farb­ druckstempel mit dem Wappen. Die Wap­ penbeschreibung (,,Blasonierung“) lautete seinerzeit: ,,Im gelben (goldenen) Schild ruifgrii­ nem Berg eine Burgruine in „natürlichen Ft1r­ ben „. 42 Diese „natürlichen Farben“ sind auf Wap­ pen des 18. und 19. Jahrhunderts vielfach anzutreffen und werden bei guten Wap­ pendarstellungen durch die nächstgelege­ nen „heraldischen Tinkturen“ ersetzt. Auf der farbigen Zeichnung des GLA-Vorschlags war die Ruine bräunlich angelegt; auf den Stempeln wurde das Mauerwerk farblos gelassen und bei den späteren Be­ schreibungen als „silbern“ (= weiß) angesprochen – ei­ ne heraldisch unbefriedi­ gende Lösung. Besser hätte man wohl Rot oder Schwarz genommen. Bis zum l. De­ zember 1971, dem Datum der Eingemeindung nach Vöhrenbach, wodurch das Wappen als amt­ liches Symbol außer Kraft gesetzt wurde, ist jedoch nie eine Richtigstellung erfolgt. Da das Uracher Wappen jedoch zur Re­ präsentation des Ortsteils weiterhin vom Ortschaftsrat, den Vereinen und einzelnen Bürgern gezeigt werden kann, bringe ich hier die Ruine in der heraldisch besseren – und schöneren – roten Färbung. Qj1e/len und Literatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Amtsbezirk Donau-

eschingen, Landkreis Donauesd,ingen, Schwr1rz- 1oald-Baar-Kreis. GLA-Wappenkartei Sch1oarz­ wald-Baar-Kreis. G LA-Siegelkartei Schwarz­ wald-Baar-Kreis. K. Schnibbe, Gemeindewap­ pen im ehem. Landk. Donaueschingen, in: Schrif ten d. Vereins! Gesch. u. Naturgesd;. d. Baar in Donaueschingen, Band 33 (1980). (K. Schnib­ be) Urach, in: Volkshochschule „ Ob. Bregtal“ e. V Furtwangen, Trimesterplan 211983. Anmerkung: ,,Heraldische Tinkturen“ sind: die „Farben“ Blau, Rot, Schwarz und Grün und die „Metalle“ Gold und Silber, diese werden jedoch immer durch Gelb und Weiß dargestellt. Dazu kommen noch die selten verwendete Farbe Purpur und das her­ aldische Pelzwerk (wie z.B. das „Wolkenfeh“ im Fürstenberger Wappen); eine Ausnahme: menschliche Gesichter und unbekleidete Körperteile dürfen auch fleischfarben (rosa) wiedergegeben werden. Das ist jedoch kein Muß – meist sind sie farblos gelassen! In einem Wappen sollen dann jeweils auf Metall-Grund farbige Figuren stehen, auf farbigem Grund Metall-Figuren. Prof Klaus Schnibbe Wolterdingen 772 erstmals erwähnt Schwere Brandkatastrophen erfordern mehrfach den Neuaufbau der Heimat Freilich hat das Bauerndorf Wolterdingen nicht den Vorzug manch anderer Baarge­ meinden, Geburts- und Heimatort einer berühmten Persönlichkeit zu sein. Auch kein Baudenkmal vermag einen Besucher zum Verweilen zu bewegen. Dennoch hat Wolterdingen eine alte und bewegte Ge­ schichte. So hält es der Chronist Emil Hau­ ger fest, der in langjähriger Kleinarbeit die Geschichte von Wolterdingen erforschte und in der Ortschronik niederschrieb. Wolterdingen ist mit seinen 1532 Ein­ wohnern und seiner 1592 ha großen Ge­ markungsfläche seit 1971 der größte Stadt­ teil der Großen Kreisstadt Donaueschingen. In einer Urkunde, welche sich im Kloster­ archiv St. Gallen befindet, wird Wolterdin­ gen als eines der ältesten urkundlich ge­ nannten Dörfer der Baar benannt. Im Jahre 772 vermachte der Alemanne Sighihar dem Kloster St. Gallen Teile seiner Güter für die Erlangung seines Seelenheils. Die Schenkungsurkunde ist der erste schriftliche Beleg über das Dorf „Wultardin­ gen im Gau Bertoldsbaar“. Ähnliche Schen­ kungen fanden seinerzeit in vielen Orten der Baar statt. Auch das Kloster Reichenau hatte zu jener Zeit Güter in Wolterdingen. Die Herrschaft der Alaholfinger, zu der Wol­ terdingen damals gehörte, starb 973 aus und das Dorf mit der gesamten Baar fiel an die Herzöge von Zähringen. Im Jahre 1218 erfolgte ein erneuter Macht­ wechsel. Nach dem Tod des Zähringer Her­ zogs Bertold V., der kinderlos geblieben war, fielen die Besitzungen an den württember­ gischen Grafen Egino von Urach, der mit ei­ ner Schwester Bertolds verheiratet war. Ei­ ner seiner Enkel, Graf Heinrich, erhielt im Jahr 1245 die Besitzungen in der Baar. Hein­ rich verlegte seinen Wohnsitz auf den Für­ stenberg und nannte sich bald darauf „Graf von Fürstenberg“. Beim Hause Fürstenberg blieben die meisten Saar-Orte, so auch Wol­ terdingen bis zur Einverleibung in das Großherzogtum Baden im Jahr 1806. Fünf Jahrhunderte waren die Einwohner von Wolterdingen Untertanen der Fürstenberger und eng mit deren Geschichte verbunden. Wolterdingen hatte im Lauf der Zeit schwere Schicksalsschläge über sich ergehen lassen müssen. Der Bauernkrieg (1524/25) brachte dem Dorf ebensoviel Unheil wie der Dreißigjährige Krieg (1618-1648), deren Be­ gleiter Hungersnöte und Pest sowie Plünde­ rung, Mord und Totschlag waren. In solch 43

unruhigen Zeiten verlor Wolterdingen durch gewaltsamen Tod, Vertreibung oder Flucht bis zu dreiviertel seiner Einwohner. Im Laufe der Geschichte wurde Wolterdin­ gen wiederholt von Großbränden heimge­ sucht. Bei dem bis dato größten Brand am 26. April 1856, wurden innerhalb von zwei­ einhalb Stunden 22 Wohnhäuser einge­ äschert, 133 Bürger obdachlos und ihrer per­ sönlicher Habe beraubt. Am 20. September 1901 wurden die noch nicht einmal fünfzig Jahre alte Pfarrkirche, vier Wohnhäuser und die Gasthäuser „Zum Hirschen“ und „Zum Goldenen Kranz“ ein Opfer der Flammen. Kaum waren die Spuren der Brandkata­ strophe beseitigt, fegte erneut eine gewalti­ ge Feuersbrunst über Wolterdingen. Am 18. September 1923 brach im Sägewerk Strobel und Siering ein Feuer aus. 27 Wohnhäuser brannten in der Folge bis auf die Grund­ mauern nieder. 120 Bürger wurden obdach­ los. Für die Brandgeschädigten war dieses Unglück besonders tragisch, da es in die Zeit der Inflation fiel. Die Zahlungen aus den Gebäude- und Fahrnisversicherungen waren nahezu wertlos. Die Menschen haben je­ doch niemals aufgegeben. Es ist erstaunlich, mit welchem Willen zum Überleben die Ge­ meinde immer wieder aufs Neue aufgebaut wurde. Nicht viel besser erging es den leidgeprüf� ten Wolterdinger Bürgern in den beiden Weltkriegen. Zwischen 1914 und l 918 fielen auf den Schlachtfeldern 38 Bürgerssöhne, drei wurden als vermißt gemeldet. In den Jahren 1941-1945 waren es insge­ samt 65 junge Männer, die auf den Schlacht­ feldern ihr Leben verloren, davon gelten J 7 als vermißt. Ab 8. Februar 1945 war Wolter­ dingen mehrfach Angriffsziel feindlicher Bomber. Insgesamt waren 38 Bombenopfer zu beklagen, 22 Gebäude wurden zerstört, darunter auch die Pfarrkirche. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Wol­ terdingen eine große Aufbauleistung voll­ bracht. Mit nur noch wenig historischer Bausubstanz wurde der Ort zielstrebig wie- 44 Wolterdingm i 1/1 l11ji b i Ir/. Mehrere Brände habm das historisch gewachsene Bilrl der Ge­ meinde stark 11eriindert. der aufgebaut. Die Aufwärtsentwicklung be­ gann 1951 mit dem Neubau der Schule, J 953 erfolgte der Neubau des Kindergartens mit Schwesternhaus, noch im selben Jahr wurde die Wasserleitung durch die Wolf­ bachquelle erweitert und eine neue Pump­ station errichtet. Kontinuierlich wurde die kommunale Bautätigkeit weitergetrieben. Mit dem Neubau der Turn- und Festhalle im Jahre 1958. Bereits 1963 konnten das Feuer­ wehrgeräte- und Schlachthaus der Bestim­ mung übergeben werden. 1968 wurde die Kläranlage in Betrieb genommen. Im Jahr 1971 wurde das letzte Bauvorhaben der bis dahin selbständigen Gemeinde, die Fried-

hofskapelle, in Angriff genommen. Die Ge­ meindereform brachte auch für die Wolter­ dinger das Ende der Selbständigkeit. Am 1. 12. 1971 wurde Wolterdingen nach langen Verhandlungen ein Stadtteil von Donau­ eschingen. Der bis dahin amtierende Bür­ germeister Emil Winterhalter wurde Orts­ vorsteher. Das im Eingliederungsvertrag ver­ sprochene Freibad wurde im Jahre 1982 rea­ lisiert. Auch als Stadtteil von Donaueschingen wurde die Entwicklung des Ortes stetig wei­ terbetrieben, so zum Beispiel durch die Er­ schließung weiterer Bau- und Industriege­ biete. Als wichtigste Zukunftsbaumaßnah- me, zugleich aber auch die Schwierigste, wird seitens des Ortsvorstehers Anton Durler und des Ortschaftsrates der Bau des Hochwasserschutzdammes in Wolterdingen angesehen. Durch ein reges Vereinsleben ist in Wol­ terdingen ein Stück Eigenständigkeit erhal­ ten geblieben. 18 Vereine bereichern das Ge­ meindeleben. Der älteste heute noch exi­ stierende Verein ist die Musikkapelle, die am 15. Juli 1862 als Feuerwehrkapelle ins Le­ ben gerufen wurde. Bereits 1856 wurde von der Gründung einer freiwilligen Feuerwehr gesprochen, doch offizielles Gründungsda­ tum mit abgesicherten Dokumenten ist der 45

Wolterdingen, Blick 11uf die Breg und das Rathar1s. 14. Juli 1865, als der damalige Bürgermeister Josef Scherzinger zur Bildung einer Feuer­ wehr aufrief. Tags darauf meldeten sich 125 Söhne der Gemeinde, die damals gerade 800 Einwohner zählte, auf dem Rathaus. Heute noch bestehende Vereine sind: Der Gesangverein, gegründet im Jahr 1920 als Männergesangverein, der dann 1958 in ei­ nen gemischten Chor umgewandelt wurde. Ebenfalls ins Jahr 1920 fallt auch die Grün­ dung des Fußball Clubs Wolterdingen, 1922 wurde der Turnverein gegründet. Die Grün­ dung des Narrenvereins „Immerfroh“ fiel in das Jahr 1865. Der Name des Vereins geht auf die Gründerväter zurück, sie wollten die Bevölkerung von Wolterdingen durch ihr Wirken „immer froh“ stimmen. Der Kir­ chenchor kann auch schon auf eine über 130jährige Geschichte zurückblicken. Be­ reits 1865 wird in alten Dokumenten von ei­ nem Kirchenchor gesprochen. 1953 wurde die Kyffhäuser-Kameradschaft gegründet, deren Wurzeln im Jahre 1885 gegründeten Militärverein zu suchen sind, der 1938 auf­ gelöst wurde. Die Ziele der Kyffhäuser-Ka­ meradschaft waren, ehemaligen Soldaten Hilfe und Unterstützung zu gewähren und sich um deren Hinterbliebenen zu küm­ mern. Der Landfrauenverein, der im Jahre 1942 gegründet wurde, verfolgt die Ziele der Er­ wachsenenbildung, aber auch, und das war vor allem früher der Fall, die Interessenver­ tretung der Frau im ländlichen Wohnraum. Der Verein sollte ein soziales Sprachrohr und gleichzeitig Ventil für die Strapazen des 46

Das Wappen Wappen: In Gold ein vierspeichiges rotes Mühlrad. Bereits vor Anfall der fürstenbergi­ schen Landgrafschaft Baar an Baden führte die Gemeinde Wo!- terdingen ein eigenes Sie­ gel. Dieses zeigte frei im Sie­ gelfeld eine Kreuzscheibe (Radkreuz, siehe kleine Dar­ stellung unten), begleitet von zwei Palmzweigen und einem überhöht Röschen und einer heraldi­ schen Krone. Die Umschrift lautete: �:- SIGIL DES FLECKENS WOLDER­ DING:. Ein Abdruck dieses Siegels kommt zum Beispiel 1757 an einer Urkunde im fürstlich fürstenbergischen Hauptarchiv Donaueschin­ gen vor. von Auf einem ovalen Farb­ druckstempel des 19. Jahrhun­ derts erscheint dann ein primitives Rad mit Nabe in einen Schild gesetzt, der von einer Krone überhöht und von Lorbeerzweigen umgeben ist; die Um­ schrift lautete jetzt: BÜRGERMEI­ STERAMT WOLTERDINGEN. Das „Radkreuz“ als altes Ortszeichen war auch auf Grenzsteinen angebracht; z.B. auf dem alten Stein von 1683 an der Gemarkungsgrenze nach Tannheim. Im Jahre 1903, beim Wappenvor­ schlag des großherzoglich badischen Generallandesarchivs, wurde das rad­ ähnliche Zeichen als Mühlrad aufgefaßt und so wiedergegeben; damit war der Gemeinderat auch einver­ standen. Ein Grund für die Wahl der Farben ist nicht be­ kannt. Mit der Eingemein­ dung von Wolterdingen in die Stadt Donaueschingen zum l. Dezember 1971 ist das Wappen erloschen. Prof Klaus Schnibbe QJ1ellen und Literatur: FF Archiv Donaueschingen. General­ landesarchiv Karlsruhe, Wap­ penakten Amtsbezirk Donau­ eschingen, Landkreis Donau­ eschingen u. Schwarzwald-Baar­ Kreis. GLA-Wappenkartei Schwarzwald-Baar-Kreis. – GLA­ Siegelkartei Schwarzwald-Baar- Kreis. – E. Hauger u. A. .-tue,; Wolter­ dingen, Geschid1te eines Baardo,fes, Frei­ burg 1960 (Sd,r. d. lkr. Donaueschingen, Band 14), – K.Schnibbe, Gemeindewappen im ehem. Landkreis Donaueschingen, in: Schriften d. itreins f Gesch. u. Naturgesch. d. Baar in Donaueschingen, Band 33 (1980). harten bäuerlichen Lebens sein. Gleich zwei Vereine gründeten sich im Jahr 1957, das Ro­ te Kreuz und der Narrenverein „Bregtal­ glonki“. Weitere Vereine sind der Angel­ sportverein, die Sportfischer, Akkordeon­ verein, Sportkegelclub Freundschaft, Mo­ torsportverein, Kentucky Brothers und der Tennisclub. Während man in früheren Jahrhunderten in Wolterdingen ausschließlich von der Landwirtschaft und dem dazugehörenden Handwerk lebte, spielt sie heute kaum mehr eine Rolle mehr. Nur noch vier Voller­ werbslandwirte sind auf.zu finden. Sie sorgen mit ihrer Landbewirtschaftung dafür, daß der landschaftliche Reiz rund um Wolter­ dingen erhalten bleibt. Neben zwei Sägewerken gibt es in Wolter- 47

dingen drei metallverarbeitende Betriebe; in neuester Zeit haben sich Betriebe der Me­ tallveredelung, Elektro· und Steuerungs­ technik, Werkzeug-und Vorrichtungsbau so­ wie ein Betrieb für Verkehrsleiteinrichtun­ gen im neuen Gewerbegebiet Längenfeld angesiedelt. Zwei größere Transportunter­ nehmen, sowie Firmen des Hoch- und Tief­ baus, des Gerüstbaus und für Zimmerarbei­ ten oder ein Ing.-Büro für Tragwerkplanung gehören ebenso dazu. Zudem Handwerks­ betriebe von der Schlosserei bis zum Sa­ nitär- und Elektroinstallateur, vom Hei­ zungsbau über den Maler bis hin zum Schreiner/Möbelschreiner. Weiterhin findet man neben den Geschäften für den tägli­ chen Bedarf an Lebensmitteln, ein Friseur­ geschäft, einen Raumausstatter, einen Mö­ bel- sowie ein Autohaus, einen Fachhandel für biologische Produkte rund ums Wohn­ haus sowie eine weit über Wolterdingens Grenzen bekannte Demeter-Gärtnerei, zu­ sätzlich Filialen der Volksbank der Baar e.G. Hüfingen und der Sparkasse Donaueschin­ gen. Auch kulinarisch hat Wolterdingen einiges zu bieten. In den traditionsreichen Gasthäu­ sern „Sonne“, ,,Falken“, dem „Schwarzen Buben“ im Zindelstein und der Kegelstube mit ihren vier Bundeskegelbahnen, werden Einheimische und Fremde mit gehobener und gut bürgerlicher Küche kulinarisch ver­ wöhnt. Im Juli 1995 konnte der Jungunternehmer Ernst Zwick seinen Kindheitstraum verwirk­ licht sehen: Nach l 9monatiger intensiver Bauzeit konnte er sein eigenes Wasserkraft­ werk mit einer Jahresleistung von 2 Millio­ nen Kwh in Betrieb setzen. Die Pfarrkirche St. Kilian ist das weithin sichtbare Wahrzeichen der Gemeinde. Die im Jahre 1861 erbaute Kirche brannte 1901 bis auf die Grundmauern nieder. Im neugo­ tischen Stil wurde die Kirche mit drei Schif­ fen und einem Kreuzgewölbe erstellt. Bei den Luftangriffen 1945 wurde sie bis auf den Glockenturm fast völlig zerstört. 1948 48 konnte das wiedererstellte Gotteshaus neu eingeweiht werden. Erstmalig wurde die Pfarrei Wolterdingen im „Liber decimationis“, dem Zehntbuch der Diözese Konstanz, im Jahre 1275 ge­ nannt. Die ältesten Kirchenbücher sind bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Pfarrer Christian Wuhrer aus Schömberg be­ gann im Jahre 1594 mit den ersten Einträ­ gen in das Taufbuch. Im Jahre 1608 beginnt das älteste Trau- oder Ehebuch. Mit den Sterbeeinträgen wurde im Jahr 1616 begon­ nen. In den 25 Jahren nach der Eingemeindung hat sich Wolterdingen zu einer attraktiven Gemeinde entwickelt. Die Einwohnerzahl stieg von 1209 auf 1532. Für die kommenden Jahre stehen umfang­ reiche Aufgaben zur Verwirklichung an. Ne­ ben der Erschließung neuer Wohngebiete, sind der geplante Bau eines Hochwasser­ schutzdammes und einer Umgehungsstraße wichtige Projekte für die Zukunft. Bernhard Hessemannn • • • Freiheit melodisch klingt Wildvogelschrei aus der Luft unabhängig, frei es bleibt die verlorene Feder schwer wiegt sie in meiner Hand. Christiana Steger

Ein schönes und liebenswertes Dorf Rohrbach hat sich auch nach der Eingemeindung die Selbständigkeit bewahrt Das DorfRohrbach, das seit 1973 zur Stadt Furtwangen gehört, liegt in einem linken Seitental des Bregoberlaufes. Im oberen Teil läuft es nach Osten, um dann nach Süden abzuschwenken. Eingerahmt wird Rohrbach von Bodenwald und Fohrenbühl im We­ sten, von Rappeneck und Schlegelberg im Osten, schließlich vom Stöcklewaldkopf im Norden. Vom Haupttal stoßen die westli­ chen Seitentäler ins Gebirge: Der Unter­ grund, der Wolfsgrund, das Reibschental, der Plazidobel und der Reinersgrund. Die Zinken Fürsatz, Holzdobel, Schlempen und Fuchsfalle runden das Bild ab. Die wohl erste Kurzbeschreibung des Or­ tes ist in Aufzeichnungen des Frauenklosters Waldkirch zu finden, in denen es heißt: „Rohrbach uf em Schwartzwald hat huser 23 von gemeinen Lyt nach 1525.“ Eine weitere Kurzbeschreibung stammt aus dem Jahre 1813: ,,Es ist eine rauhes Tal mit zerstreuten Höfen, einer neu errichteten Lokalkaplanei, neuer Kirche und einem schönen Pfarrhof, im Bezirksamt Triberg, zwei Stunden vom Amtsort und eine Stunde von Furtwangen.“ Im Jahre 1843 wird der Ort geschildert als ein Dorf mit 71 Häusern und 92 Familien, welche zerstreut im Gebirge leben. Der Ort habe eine Mahl- und Sägemühle. Die Leute würden von Feld- und Wiesenbau leben, Viehzucht betreiben, außerdem gebe es drei Wirtschaften. Zur Entstehungsgeschichte des Ortes: Das Tal gehörte ursprünglich zur Bertholdsbaar. Nach Auflösung der alten Gaue kam Rohr­ bach in den Besitz des Frauenklosters Wald­ kirch. 1178 bestätigt Papst Alexander III. eben diesem Kloster den Besitz von Rohr- Das „Dörfte“ mit Neubaugebiet und Reibschental. 49

‚ ‚· .� { … .,,.,. . . … ‚f.i’� ·. 1:;, .::1 Der über 600 Jahre alte Ahorn bei der Grundhefkapelle !rieb bis 11or wenigm Jahren im Frühjahr stels seine BI älter aus (linkes Bild), jelzl s/ irbl er (Bild rechls). Um 1900 gall der Rohrbarher Baum als ge- 1oal1igsler Ahorn Deutschlands. bach. Waldkirch bleibt Grundherrin bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Um 1218, nach dem Aussterben der Zähringer Herzöge, kommt der Ort unter die Schirmherrschaft der Ritter von Triberg. Das Dorf wurde „tribergisch“, verblieb bei dieser Herrschaft, wurde mit Triberg vor­ derösterreichisch bis zum Jahre 1805. Zwar beanspruchten die Fürstenberger lange Zeit die östliche Talhälfte – wegen der ergiebigen Jagdgebiete – doch konnten sie ihre An­ sprüche nie rechtlich durchsetzen. Sie quäl­ ten damit nur die östlichen Talbauern, die zeitweise dadurch ihre Abgaben an zwei Herren leisten mußten. Ein Bauer war dar­ über so verärgert, daß er seinen Hof anno 1605 an der östlichen Talseite abriß und ihn westlich wieder aufbaute. Rohrbach wurde nicht nach und nach be­ siedelt, sondern von der Herrschaft in brei­ te Grundstückstreifen „zerlegt“, die den zu­ gewanderten Bauern zugewiesen wurden. Im Zentrum des jeweiligen Landstreifens lag das Hofgebäude. Wiesen, Felder und Wäl­ der erstreckten sich über beide Talseiten hin­ weg, so daß die Siedlungsform der Wald­ hufe entstand, oft auch Königshufe ge­ nannt: Der Hof bildete eine funktionieren­ de wirtschaftliche Kleineinheit. Über Jahrhunderte hinweg blieb die Ge­ meinde Rohrbach ein reines Bauerndorf mit seinen ursprünglich 23 Höfen: Gab bereits 50

die Beschreibung aus dem Jahr 1512 für Rohrbach 23 Höfe an, so war es 140 Jahre später immer noch die gleiche Anzahl. Eine Schrift des Waldkircher Klosters, der „Ding­ rodel“, legte fest, was Rechte und Pflichten der Bauern waren. Den Rohrbacher Bauern ging es nicht wie jenen unterdrückten Un­ tertanen, die man zu dieser Zeit andernorts findet. Ein Wandel der Verhältnisse trat nach dem 30jährigen Krieg ein: Nicht nur die Bauform der Höfe ändert sich, langsam erobern sich Handwerker und Gewerber eine Stellung im Dorfgefüge: Glasbläser, Kohlebrenner, Uh­ renmacher lassen die ersten „Hüsle“ bei den Höfen entstehen. Der Schmied, der Schnei­ der, der Krämer, die Uhrenhändler gesellen sich dazu, so daß um 1746 das Häuserver­ zeichnis schon ein echtes Streudorf vorstellt. Uhrenmacherei und Uhrenhandel brachten dem Dorf bis in die erste Hälfte des 19. Jahr­ hunderts eine Blüte. Die Rohrbacher Uh­ renhändler pflegten Verbindungen zu fer­ nen europäischen Handelszentren, trafen sich jährlich um Weihnachten beim Rotlö­ wenwirt, dem „Denzlinger“, um der Händ­ lergesellschaft Rechenschaft abzulegen. Rohrbach sei, so schreibt ein Chronist um 1850, ein Dorf in dem das Handwerk blühe, es sei auch das Tal, das die meisten „Englän­ der“ des ganzen Schwarzwaldes beherberge. Tiefgreifender Wandel Doch nach der Jahrhundertmitte stellte sich die Krise ein: Neue Zollschranken in die Handelsländer, neue Verkehrsadern, die an Rohrbach vorbei liefen, und Spekulations­ geschäfte um die größten örtlichen Bauern­ höfe warfen den Ort in den Wirtschafts- und Verkehrsschatten. Die Bevölkerungszahl wurde rasch rückläufig, Dutzende von Bür­ gern und Familien kehrten dem Dorf den Rücken und entschlossen sich zur Auswan­ derung. Stagnation und Bevölkerungsschwund hielten bis um 1970 an: Die Landwirtschaft – früher selbst in der kleinsten Hütte betrie­ ben – spielte nur noch eine mindere Rolle. Höfe änderten ihren Charakter, Klein­ landwirte gaben auf, wenige große Höfe be­ wirtschafteten ihre Güter intensiv, speziali­ siert, mit wenigen Personen auskommend. Der große Teil der arbeitenden Bevölkerung pendelte in die nahen Industrieorte St. Ge­ orgen, Vöhrenbach und Furtwangen. Viele ließen sich dort nieder, und Rohrbach war in Gefahr, ein sterbendes Dorf zu werden. Bür­ germeister Volk (bis 1967 im Amt) versuch­ te, durch Straßen- und Wegebaumaßnah­ men den Ort ans Verkehrsnetz anzubinden, die Außenbezirke ans Dorf heranzuholen. Ende der 60er Jahre wurde die Idee geboren, im Tal ein Neubaugebiet zu planen. Dieser Gedanke sollte für die künftige Dorfstruktur von entscheidender, positiver Bedeutung sein. Das Vorhaben wurde dann vom jun­ gen, energischen Bürgermeister Berthold Ketterer (gewählt 1967), der einen tatkräfti­ gen Gemeinderat zur Seite hatte, in die Tat umgesetzt. Der Ausbau der Rohrbad1er Landstraße, der Bau einer öffentlichen Wasserversor­ gung und der Bau eines Abwasserkanales, machten es möglich, daß ein Baugebiet „Am Reibschenberg“ entstehen konnte, wo junge Familien aus Rohrbach und der Umgebung bauen konnten. Als im Zuge der Verwaltungsreform dem Dorf die Selbständigkeit genommen wurde (1973), schmerzten diese Maßnahmen schwer, waren dem Ort doch wichtige Säu­ len uralten dörflichen Zusammenlebens weggenommen. Doch die Rohrbacher ließen sich nicht mehr entmutigen, man wollte keinesfalls nunmehr das fünfte Rad am Wagen der Stadt Furtwangen sein. (Rohrbach gehört jetzt zu Furtwangen.) Das Mühen der Rohrbacher wurde gelohnt, ein mittlerer Betrieb ließ sich am Ort nieder, schuf Arbeitsplätze, ein zweites Baugebiet, ,,Reibschenhofweg“, wurde nach langem, dornenreichen Kampf in die Tat umgesetzt. Der Erfolg der neuen Entwicklung spiegelt 51

52 Oben: Im Rohrb11d;er Untertal, links ist der Altenvogtshof z11 sehm. Unten: .reit zieht sich das Rohrbachtal hin, im Mi((e/punkt die 1843 neu erbaute Kirche.

sich in den Einwohnerzahlen: Seit 1961 hat die Zahl der Einwohner um mehr als 32 Pro· zent zugenommen. Mit Bürgermeister Richard Krieg steht nun ein Mann an der Spitze der Stadt, der die Probleme der „Dörfler“ ernst nimmt. Er re· spektiert die Stadtteilbürger, sie sollen mit· gestalten, aber auch mitverantworten. So ist Rohrbach wieder auf dem Weg, ein schönes liebenswertes Dorf zu sein, ein Erholungsort (dies Prädikat wurde Rohrbach verliehen), der ein blühendes kulturelles Leben bietet und Gastfreundschaft hoch hält. Eine wichtige Säule im dörflichen Leben sind gewiß nicht zuletzt die Vereine, die den Bürgern sowohl sozial wie auch kulturell wertvolle Säulen sind, die vieles zur Dorf­ gemeinschaft beitragen. Im Verhältnis zu seiner Größe hat der Ort recht viele Vereine und es gehört fast dazu, daß jeder in irgend einem derselben tätig oder aktiv ist: Der größte Verein ist die Musikkapelle „Froh­ sinn“ (gegr. 1923). Mehr als 40 aktive Mit­ glieder gehören diesem angesehenen, tra· ditionsreichen Orchester an. Neben ihm steht der Handharmonikaclub „Edelweiß“ Das Wappen Wappen: In Silber r111s blauem Wel/emchild­ J,ifs wachsend im Wl’chsel f,tnf großr und vier kll’im griine Schi!frohre mit schwr1rzen Kolben. Von diesem „redenden“ Bild leitete sich 1906 ein Wappenvorschlag des großherzoglich badischen Generallan­ desarchivs in Karlsruhe her, mit dem der Gemeinderat einverstanden war. Dieses Wappen war bis zur Eingemein- dung von Rohrbach in die Stadt Furtwangen zum !. Oktober 1973 in amtli­ chem Gebrauch. Pref. Kl((us Sdmibbe Q]lellen und Literatur: Gene· mllandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Amtsbezirk Triberg. ·GLA-Wt1ppenkr1r­ tei Sc!nvt1rzwald-Bt1t1r-Kreis. · GLA-Siegelkartei Schwarz- 1vrild-Baflr-Kreis. Furtwan· rm 54

(1933), der sehr großen Wert auf Jugendar­ beit legt. Schließlich hat Rohrbach noch den St.-Johann-Kirchenchor. Dieser Chor, ge­ gründet 1830, wurde 1994 für seine musika­ lische Leistung mit der „Palestrina-Medail­ le“ ausgezeichnet. Der Landfrauenverein hat sich kulturelle und soziale Arbeit zum Ziel gesetzt (gegr. 1966). Für sportliche Aktivitäten bietet sich der Schützenverein (1960) an, oder eine der Sportgruppen, die sich zum Freizeitsport im Vereinsraum der ehemaligen Schule treffen. Die Feuerwehr ist eine mannschaftsstarke, gut geführte Abteilung der Furtwanger Ge­ samtfeuerwehr. Schließlich hat sich 1993 noch ein Narrenverein mit dem traditions­ reichen Namen „Kohlebrenner“ gebildet, der sich zum Ziel gesetzt hat, alemannische Dorftradition zu wahren und zu pflegen. Bei so vielem, intensiven dörflichen Kul­ turleben ist jeder Rohrbacher stolz, daß es noch einen eigenen Pfarrer im Dorf gibt. Das ist der Pater Fleig, Salesianer, gebürtig aus Schonach, den alle im Dorf verehren und mit dem alle Rohrbacher hoffen, daß das Schwarzwalddorf, in dem jetzt über 500 Menschen leben, lebendige Gemeinschaft bleibt, in der es sich lohnt zu leben. Ein Dorf, das die Einheimischen lieben, das Gä­ ste gern besuchen. Manfred Kimmig Am Stockwald bei St. Georgen, Z,eiclmrmgvon Rudo(f Heck. 55

Behörden, Organisationen und Institutionen Das Märchen vom Park für alle Generationen Freizeitpark in Villingen-Schwenningen ein Paradies für Kinder Deutschlands einziger nicht kommerzieller Freizeitpark in Villingen-Schwenningen erfreut sich nicht nur großer Beliebtheit in der Doppelstadt selbst, son­ dern auch bei Tausenden von Urlaubern aus dem Schwarz­ wald- und Bodenseeraum sowie aus ganz Baden-Württemberg. Kann so etwas überhaupt wahr sein? Kletterburgen, Rutschen, Karussell, Sandburgen, Spring­ burgen und Tiere für Kinder zum Anfaßen, dazu weitläufige Erholungsmöglichkeiten für die Erwachsenen – und das alles zum Nulltarif. Ein Märchen? Keinesfalls. Die Stadtjugendpflege in Villingen­ Schwenningen im Schwarzwald hat möglich gemacht, wovon al­ le Kinder und Eltern träumen: Ein Ferien- und Freizeitpara­ dies, das für jeden Geldbeutel erschwinglich ist. Kein Wunder also, daß pro Saison mehr als 140 000 Besucher hierher strö­ men, um ihre Freizeit zu ge­ nießen. Der Familien-Freizeit­ park in Villingen-Schwennin­ gen läßt jedenfalls kaum Wün­ sche offen und ist zu einem Geheimtip im Südwesten ge­ worden. Von Ministerpräsident Ein Ort von dem Kinder träumen, der Freizeitpark bietet viel­ Erwin Teufel bis hin zu vielen fällige Spiel- und Unterbalt1111gsmöglichkeiten. Bundes- und Landespolitikern wird über den Park nur lobend gesprochen. Kein Wunder: die Einrichtung sucht ihres­ gleichen in ganz Deutschland. Dabei war es gar nicht so einfach, diese 56 nichtkommerzielle Freizeiteinrichtung zu etablieren. Die Idee dazu hatte Dieter Sir­ ringhaus, Stadtjugendpfleger in Villingen­ Schwenningen, der hier seit mehr als 20 Jah-

Der Freizeitpark hat seine „kulturellen Eigengewächse“: ,,Stupsis Freunde“ bereichern das Programm mit Liedern und Sketchen. ren nicht nur immer wieder neue Wege der Jugendarbeit geht, sondern vor allem ver­ sucht, das Freizeitverhalten aller Altersgrup­ pen aufeinander abzustimmen. Sein Motto: die Generationen müssen wieder miteinan­ der reden können. Im Familien-Freizeitpark klappt das problemlos. Kein Wunder, daß sich hier alle Schichten und Altersklassen wohl fühlen. Dabei gab es erhebliche bürokratische Wi­ derstände zu über­ winden, bis der Frei­ zeitpark schlußend­ lich anerkannt war. 1987 begann Dieter Sirringhaus, der im­ mer schon ein Faible für die Zirkuswelt hat· te, auf einer grünen Wiese am Rande von Villingen mit den er­ sten provisorischen Einrichtungen, einige Eine Spiellandschafl ohne Grenzen. Zirkuswagen und Zelte für Ziegen und Ponys waren der Anfang. Nachdem der Stadtjugendpfleger dem massiven Wider· ständen aus den Reihen seiner eigenen Ver­ waltungskollegen trotzte und sich über man­ che bürokratische Gängelung hinwegsetzte, wurde aus dem Provisorium ein richtiger Park mit 100 000 m2 Parkgelände und einem Wald. Die Spiellandschaften und Ruhezonen, die hier zum Nulltarif sind, zu genießen erfordern einen im­ Instandset­ mensen zungs- und Arbeits­ aufwand. Auch hier­ bei ist der gezeigte Einsatz für diese Ein­ richtung erstaunlich. Der Park wird von hauptamtlichen Mit­ arbeitern betreut, an­ sonsten tragen mehre- · . ..:… ‚-: 57

re ABM-Kräfte, Rentner, einige Asylbewer- ber und vor allem weitere freiwillige Helfer mit dazu bei, daß der Betrieb reibungslos laufen kann, obwohl an Spitzentagen meh­ rere tausend Besucher in den Park drängen. Eigentlich als Naherbolungseinrichtung für Villingen-Schwenningen gedacht, kom­ men die Besucher von Offenburg bis Kon­ stanz und von Freiburg bis Tübingen, um in der gewachsenen Ursprünglichkeit ihre Frei­ zeit zu verbringen. Doch längst sind es nicht mehr nur allein die Freizeitaktionen, die anlocken: während der Wochenenden wer- den unterschiedliche Programme angebo­ ten, von volkstümlicher Blasmusik über Kasperletheater, Kindertheater bis hin zu Akrobatik. Mit der Reihe „Kultur im Park“ sollen neue Publikumsschichten erschlossen werden. Kabarett, Blues und Bluesgrass sor­ gen für zusätzliche Attraktionen im Famili­ en-Freizeitpark. Aber auch Flohmärkte und weitere Sonderveranstaltungen ziehen neue Besucher an. Doch hat der Park auch seine kulturellen Eigengewächse. ,,Stupsis Freunde“ nennt sich nach dem Maskottchen der Einrichtung eine Gruppe von Kindern und Jugendli- Kostenlos ist aud, das Fahren mit dem Karussell. Klellern mrLChl Spaß. Eine vielfältige Erlebnislandschafl wartet auf die Besucher des Freizeitparks. 58

Die Rutschen und Kletterwände sind im Freizeitpark meisl dichl umlagert. chen, die sich im Park kennengelernt haben: Unter der Betreuung einiger Eltern führt die Gruppe regelmäßig Programme auf, mei­ stens werden Lieder und Sketche, der Jah· reszeit entsprechend, dargeboten. Die Grup· pe wird mittlerweile auch außerhalb des Freizeitparks für Veranstaltungen gebucht, und neben den Aktivitäten im Park stehen gemeinsame Freizeitabenteuer auf der Ta­ gesordnung. Rentner, Eltern mit Kleinkindern, Allein­ erziehende, Kinder, Schulklassen, Kinder· gärten, Behinderten- und Ausländergrup· pen und viele mehr kommen; der Freizeit· park ist ein Treffpunkt für alle Schichten und Altersklassen geworden. Vor allem während der Sommerferien ist er Anzie­ hungspunkt für viele, die sich eine Urlaubs­ reise nicht leisten können. Vollgepackt, mit Kind und Kegel, kommen die Familien am Vormittag und bleiben dann bis zum Abend – ein Ferienerlebnis der anderen Art wird hier geboten und viele Touristenfamilien aus dem Schwarzwald sind ständig zu Gast. Und natürlich lachen die Kinderherzen. Spielgeräte für kleine und größere Kinder, Klettertürme, Sandlandschaften, eine Was­ serrutsche, Autoskooter, Kinderkarussells, Springburgen, Rollenrutsche und die Pit­ Pat-Anlage können benutzt werden. Ziegen, Ponys, Känguruhs und die größte Spiel­ landschaft im süddeutschen Raum sowie ein weitläufiges Tiergehege sind unverzichtbarer Bestandteil des Parks. Nur eine handvoll angestellter Mitarbeiter sorgt dafür, daß der Apparat läuft und stän­ dig bauliche Verbesserungen vorgenommen werden. Ohne weitere freiwillige Helfer – und ohne die Unterstützung von Asylbe­ werbern aus einem nahegelegenen Wohn­ heim – wären indes die umfangreichen Ar· beiten kaum zu bewältigen. Erfreulich ist für den Stadtjugendpfleger, daß sich auch Besucher immer wieder tatkräftig engagie- 59

ren, wenn Arbeiten zu erledigen sind. Eh­ renamtlichkeit wird im Park großgeschrie­ ben! Denn der Familien-Freizeitpark in Vil­ lingen-Schwenningen ist wegen seiner be­ schränkten Mittel, trotz vieler freiwilliger Helfer und einer Fülle von Besuchern, kei­ ne „Insel der Glückseligkeit“, denn Geld­ und Personalmangel sind immer wieder schmerzlich spürbar. Ohne das Improvisati­ onsgeschick des Stadtjugendpflegers, der es geschickt versteht, örtliche Sponsoren zur Unterstützung für den Familien-Freizeit­ park zu gewinnen, hätte die Einrichtung nie­ mals die heutige Größe angenommen. Für Dieter Sirringhaus, der noch immer viele Ideen hat, wenn es um die qualitative Ausgestaltung der Freizeiteinrichtungen geht, ist vor allem wichtig, daß der Park an­ genommen wird. Für ihn ist das Märchen vom Park für alle Generationen Wirklichkeit geworden. Und zwischen April und Okto­ ber bescheinigen ihm Jahr für Jahr mehr als 140 000 Besucher, daß er richtig liegt, mit dem einzigen nichtkommerziellen Freizeit­ park Deutschlands. Sogar die Skeptiker aus Gemeinderat und Stadtverwaltung sind mittlerweile stolz auf die Einrichtung, die Villingen-Schwenningen für viele Familien aus Baden-Württemberg zum Ausflugsziel am Wochenende werden läßt. Dieter Sirringhaus Neues Informations- und Service-Center Industrie- und Handelskammer noch kundennäher Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Saar-Heuberg in Villingen­ Schwenningen präsentiert sich mit der Än­ derung ihrer Organisationsstruktur und der Eröffnung ihres Informations- und Service­ centers noch kundennäher. Mit dieser Neu­ organisation ist die IHK für die immer kom­ plexeren Aufgaben gerüstet und verstärkt die Synergieeffekte. Beispielsweise hat sich gezeigt, daß in Zei­ ten globalisierter Märkte die wettbewerbli­ che Position der Industrie unseres Wirt­ schaftsraumes eng mit außcnwirtschaftli­ chen Erfordernissen verzahnt ist. Im Um­ weltbereich sind die Ansprüche an die Unternehmen sehr viel komplexer gewor­ den und können aus Sicht der Kammer nicht mehr als rein eigenständiges Thema behandelt werden. Auch das Zusammen­ wirken von Ausbildung und Weiterbildung ist sehr viel intensiver geworden. Denn die notwendige Qialifikation der Arbeitneh­ mer im weltweiten Wettbewerb erfordert 60 von Beginn der Ausbildung an bis zum En­ de des Arbeitslebens eine permanente Wei­ terqualifikation. Aus all diesen, beispielhaft dargestellten Gründen hat die !HK ab Jah­ resbeginn 1996 ihre Geschäftsbereiche neu geordnet. Neben dem Geschäftsbereich Fi­ nanzen und Organisation gibt es statt ur­ sprünglich vier Abteilungen nur noch drei weitere Geschäftsbereiche, die von Ge­ schäftsführern geleitet werden. Diese Geschäftsbereiche sind: Industrie/Außen­ wirtschaft/Verkehr/Umwelt (Leitung: Franz Nienhaus), Handel/Recht/Dienstleistungen (Leitung: Stephen Gutberlet) und Berufsbil­ dung (Leitung: Albert Stelzte). Mit der zur Jahresmitte erfolgten Einwei­ hung des Informations- und Servicecenters erweitert die Industrie- und Handelskam­ mer auch ihr kundcnnahes Dienstleistungs­ angebot. Es hat sich gezeigt, daß die Bera­ tungsintensität in den letzten Jahren sehr viel stärker geworden ist. Neben der großen telefonischen Nachfrage nach Beratungen,

Uhr geöffnet. Damit kommt die IHK den Firmen und den berufstätigen Besuchern entgegen. Die Kundennähe ist durch dieses Dienstleistungsangebot beträchtlich ge­ wachsen. Zusammen mit der Neuorganisa­ tion der Kammerstruktur hat sich die Indu­ strie- und Handelskammer damit flexibel an die gewandelten Anforderungen angepaßt. I H K-Hauptgeschäfiifiihrer Dr. Rudolf Kubach kommen auch sehr viel mehr Besucher in die Kammer. Diese können im Informati­ ons- und Servicecenter Erstauskünfte ein­ holen, alle für den Außenwirtschaftsverkehr notwendigen Bescheinigungen erhalten oder sich auch über das umfassende Weiter­ bildungsprogramm der Kammer informie­ ren. Der Vorteil: eine schnelle Information auf kurzem Weg, denn das Center erreicht der Besucher gleich bei Betreten der Kam­ mer. Wenn eine intensive Beratung, etwa zur Existenzgründung erfolgen soll, wird der Kontakt über das Center zu dem Fachbera­ ter der IHK hergestellt. Auch die Öffnungszeiten des Informati­ ons- und Servicecenters orientieren sich an den Ansprüchen der Kunden. Das Center ist mittags durchgehend und abends bis 18.00 Die Industrie- und Handelskammer hat ein neues lnfonnalions- und Servicecenter eingerichtet. 61

Das Fenster zur Stadtgeschichte Im Stadtarchiv lagern über 5 000 Urkunden und 10 000 Siegel Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es mehre­ re größere Archive. Eines davon ist das der Stadt Villingen-Schwenningen. Das Stadt­ archiv ist die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zur Stadtgeschichte. Als „Gedächtnis der Stadt“ verwahrt es stadtgeschichtliche Zeugnisse, die der interessierte Bürger im Benutzerraum einsehen kann. Das Archiv besteht in der heutigen Form erst seit 1991. Mit dem Amtsantritt von Dr. Heinrich Maulhardt wurden die bisher selbständigen Archive der Städte Schwen­ ningen und Villingen sowie die Ortsarchive unter einer Leitung zusammengeftihrt. Die räumliche Vereinigung der Archive von Mühlhausen, Schwenningen und Villingen geschah 1993. Die Bestände kamen aus dem ehemaligen Fabrikgebäude der Firma Ki­ enzle in der Friedrich-Ebert-Straße, dem Heimatmuseum Schwenningen, dem Depot im Hinterhaus der Volkshochschule am Münsterplatz und dem Osianderhaus in der Rietstraße. Die anderen Ortsarchive befin­ den sich noch in den jeweiligen Rathäusern der Ortschaften. Die Urkunden lagern in dem extra dafür eingerichteten Urkunden­ magazin in der Rietstraße. Die offizielle Eröffnung des neubezoge­ nen Gebäudes in der Lantwattenstraße 4 ge­ schah am 19. Mai 1994 durch den damali­ gen Oberbürgermeister Dr. Gerhard Gebau­ er. Die Kernaufgaben der Mitarbeiter des Ar­ chivs bestehen in der Übernahme, Bewer­ tung, Erhaltung und Erschließung der Ar­ chivalien. Dies bedeutet im einzelnen: Die von den stiidtischen Verwaltungseinheiten nicht mehr benötigten Unterlagen werden, wenn sie nach der Entscheidung der Mitar­ beiter des Archivs archivwürdig sind, von diesem übernommen, sachgerecht gelagert und verzeichnet, um sie der Öffentlichkeit 62 bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zugänglich zu machen. Insgesamt lagern in der Lantwattenstraße 2 569 laufende Meter Archivgut (Stand Februar 1996). Das Stadtarchiv Villingen blieb im laufe der Jahrhunderte von Kriegen und Bränden verschont. Lange Zeit war es im nördlichen Münsterturm, in der oberen Turmkapelle, untergebracht. Sogar den großen Stadt­ brand von 1271 überstand es ohne Schaden. Im alten Archiv sind Urkunden seit dem 12. Jahrhundert zusammengefaßt. Mit dem Be­ stand des Spital- und des Pfründ- oder Pfarr­ miinsterarchivs sind 5 000 Urkunden und mehr als 10 000 Originalsiegel vorhanden. Kaiserliche und königliche Urkunden, Frei­ heits- und Schirmbriefe, Unterlagen für Be­ dürfnisse, Pfandschaften, Rechtstreitigkei­ ten, Satzungen, Ordnungen, Landstände, Kriege und viele andere Dokumente bis hin zur Stadtverfassung sind im gesicherten Raum untergebracht. Neben den Urkunden sind Bürgerbücher seit 1360, Gerichtsproto­ kolle, Ratsprotokolle ab 1540, Anniversari­ enbücher u. a. ein wesentlicher Bestandteil des Villinger Archivs. 1945 Akten vernichtet Das Stadtarchiv Schwenningen enthält Unterlagen seit dem 17. Jahrhundert. Wich­ tige Archivalien befinden sich im Haupt­ staatsarchiv in Stuttgart, da nur Städte ver­ pAichtet waren, ein Archiv zu unterhalten, und Schwenningen erst 1907 zur Stadt er­ hoben wurde. Einige Aufgaben, die ab 1907 die Stadt wahrnahm, hat vorher das Ober­ amt Rottweil erledigt. Das Archiv ist von ei­ nigen Verlusten betroffen gewesen, u. a. wurden 1945 beim Einmarsch der französi­ schen Besatzungsmacht Akten vernichtet. Von einem Stadtarchiv kann man erst seit

und Weilersbach, befinden sich in den dortigen Rathäu­ sern. Sie vermitteln den je­ weils eigenen Charakter der Ortschaften und haben ihren Schwerpunkt ab dem 19. Jahrhundert. Die Unterlagen der gemein­ samen Stadt Villingen­ Schwenningen bilden seit 1972 den jüngsten Korpus innerhalb des gesamtstädti­ schen Archivs. Diese Archi­ valien sind den Benutzern größtenteils noch nicht zu­ gänglich, da laut Landesar­ chivgesetz von Baden-Würt­ temberg die Akten für 30 Jahre nach Abschluß ge­ sperrt sind. Das Stadtarchiv übernimmt Unterlagen, die im Bereich der Stadtverwaltung entstan­ den sind. Es sind dies: Ur­ kunden, Akten, Amtsbü­ cher, Datenträger, Photos, Karten, Pläne, Postkarten, Druckschriften, Ton- und Bildträger. Auch Privat- und Firmennachlässe werden zur Ergänzung gesammelt. Die Bestände sind in fünf Abteilungen gegliedert: l. Villingen-Schwenningen (ab 1972), 2. Vil­ lingen (bis 1971), 3. Schwenningen (bis 1971), 4. Fremde Provienzen und 5. Samm­ lungen. In der „Abteilung Vier“ sind Materialien zusammengefaßt, die von Stellen außerhalb der Stadtverwaltung abgegeben wurden, so zum Beispiel vom Badischen Bezirksamt Villingen, Landratsamt Schwarzwald-Baar­ Kreis, Landkreis Rottweil oder von der Uh­ renfabrik Urgos. Die „Abteilung Fünf“ enthält Photos, Dias, Negative, Postkarten, Zeichnungen und Skizzen, Videobänder, Filme, Schall- 63 Im Stadtarchiv Villingen-Schwenningen werden Archivalien nicht nur verwahrt, sondern auch fachgerecht restauriert. Das Bild zeigt die Reinigung von Akten bei der Übernahme. den Fünfziger Jahren sprechen. Dr. Manfred Reinartz, Leiter des Heimatmuseums und des Stadtarchivs Schwenningen, hat schon früh begonnen, um die Bestände zu scho­ nen, sie zu verfilmen. Gemeinderatsproto­ kolle, Inventuren und Teilungen, Grund­ und Pfandbücher, Einwohnermeldekartei, Fremdenbücher und Akten der Hauptregi­ stratur veranschaulichen die Schwenninger Geschichte. Die Ortsarchive der ehemals selbständigen Gemeinden Herzogenweiler, Marbach, Obereschach und Pfaffenweiler, aber auch die von Rietheim, Tannheim, Weigheim

platten, Tonbänder, Cassetten, Siegel, Sie­ gelstempel, Wappen, Karten und Pläne, Kli­ schees, Reproduktionen aus fremden Archi­ ven, Ausstellungsmaterialien, Münzen, Eh­ renzeichen und Medaillen, Briefköpfe, Zei­ tungen, Amtsdrucksachen, Kalender und die Stadtchronik. Die Archivalien beziehen sich nicht nur auf Villingen-Schwenningen, sondern grei­ fen teilweise auch auf den Kreis aus. Beson­ ders in der „Stadtchronik“, die eine Doku­ mentation von Zeitungsausschnitten, Fir­ menprospekten, Veranstaltungskalendern, Photos, Broschüren usw. darstellt, findet sich eine Rubrik „Kreis“. Zeitungen stark gefragt Ferner gehört zum Archiv eine umfang­ reiche wissenschaftliche Dienstbibliothek, die auch dem Benutzer zur Verfügung steht. Die Bücher werden ebenso wie die Archiva­ lien nicht entliehen. Wertvolle beschädigte Stücke werden von Fachleuten restauriert. Die Mikroverfilmung besonders häufig fre­ quentierter Bestände dient der Sicherung der Informationen im Fall der Vernichtung der Originale sowie als Arbeitsverfilmung zur Schonung des Schriftguts bei der Be­ nutzung. Die Filme können am Reader­ printer des Stadtarchivs von jedermann ein­ gesehen und Papierkopien erstellt werden. Unter Beachtung der Benutzungs- und Ge­ bührenordnung des Stadtarchivs Villingen­ Schwenningen besteht für die Öffentlich­ keit ein Recht auf Benutzung. Archivalien und Bücher können nur im Benutzerraum für wissenschaftliche, heimatkundliche und familiengeschichtliche Belange ausgewertet werden. Am stärksten nachgefragt werden: Zeitungen, Stadtchronik, Adreßbücher und Kopien der Kirchenbücher aus der Mün­ sterpfarrei. Die Fachberatung für Benutzer ist nur ein Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit des Stadt­ archivs. Darüber hinaus gibt es verschiede­ ne Publikationen heraus, u. a. ,,Blätter zur 64 Auch alle Ansichtskttrlen sind im Stadtard1iv zu finden, hier eine Villingerin in Tracht. Geschichte der Stadt Villingen-Schwennin­ gen“. Auch Führungen sind auf Anfrage möglich. In Kooperation mit der Volks­ hochschule werden Kurse angeboten. In jüngster Zeit hat sich die Zusammenarbeit mit Lehrern intensiviert, die mit ihren Klas­ sen im Stadtarchiv arbeiten. Seit dem Bezug der Räume in der Lant­ wattenstraße hat die Benutzung des Archivs stark zugenommen, weil die meisten Unter­ lagen zur Stadtgeschichte nun an einem Ort zur Einsicht bereitliegen. Die Adresse zur Kontaktaufnahme: Stadt­ archiv Villingen-Schwenningen, Lant:vat­ tenstraße 4, 78050 Villingen-Schwenningen. (Postanschrift: Postfach 1260, 70002 Villin­ gen-Schwenningen). Oder telefonisch unter 07721/822383. Ingeborg Koll111t1nn!Ute Schulze

Bildungseinrichtungen Neuer Studiengang zielt auf Fernost Fachhochschule Furtwangen lehrt auch „Internationale Betriebswirtschaft“ Einen neuen, generalistisch und praxisnah angelegten Studiengang „Internationale Be­ triebswirtschaft“ startete zum Winterseme­ ster 1995/96 die Fachhochschule Furtwan­ gen am Standort VS-Schwenningen. Mit ei­ ner Festrede von Ministerpräsident Erwin Teufel wurde der neue Studiengang am 22. November 1995 bei einem Empfang feier­ lich eröffnet. Der Ministerpräsident, gleich­ zeitig Ehrensenator der FHF, machte in sei­ ner Festansprache gegenüber den rund 300 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft die Bedeutung des internationalen Studiengan­ ges für die Wirtschaft der Region deutlich und hob die Chancen Baden-Württembergs und seiner Wirtschaft in Fernost und in der südostasiatisch-pazifischen Wirtschaftsregi­ on hervor. Darüber hinaus sei der Studien­ gang bahnbrechend für die Bewältigung ei­ nes Nachfragewandels im Bereich der tech­ nischen Fächer seitens der Studierenden und der Wirtschaft. Insbesondere die starke Konzentration auf den asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum und die Betonung der kulturellen Kompo­ nente unterscheiden den Studiengang TB von ähnlichen Studiengängen innerhalb und außerhalb Baden-Württembergs. Das bereits 1993 fertiggestellte Konzept des Stu­ dienganges umfaßt drei Hauptsäulen: l. Be­ triebswirtschaft mit den Vertiefungslinien Fünf Studentinnen des neuen Studienganges „Internationale Betriebswirtschaft‘: der an der FHF­ Außenstelle in VS-Sdnoenningen eingerichtet wurde. 65

Ministerpräsident Erwin Teufel (Mille) bei der Erqffnrmg des neuen Studienganges „Internationale Betriebswirtschaft“, rechts FHF-Rektor Walter Zahradnik. Finanzen/Controlling, Marketing oder Ma­ nagement. 2. Fremdsprachen (Chinesisch oder Französisch plus Wirtschaftsenglisch als Pflichtfach, weitere Fremdsprachen wer­ den angeboten). 3. internationale Studien zu Land, Geschichte und Kultur. Dazu kommen die Fächer Volkswirt­ schaftslehre, Recht und Datenverarbeitung. Integriert sind unter anderem zwei Praxisse­ mester, davon eines sowie ein Studienseme­ ster im Ausland. Diesbezüglich sind – neben den bereits bestehenden Partnerschaften mit einer französischen und einer ungarischen Hochschule – noch vor Ende des ersten Se­ mesters vielversprechende Kontakte zu den Universitäten von Tianjin, Yangzhou, Nanjing und Suzhou (alle Volksrepublik China) geknüpft worden. Das Ausbildungsziel orientiert sich am künftigen qualitativen und quantitativen Bedarf der Wirtschaft und an der voraus­ sichtlichen globalen Wirtschaftsentwick- lung. Das Konzept wurde auf der Grundla­ ge von Analysen und in Gesprächen mit der Industrie- und Handelskammer und Unter­ nehmen ennvickelt, der Schwerpunkt „Fern­ ost“ mit Chinesisch als Fremdsprache wird durch Fachgutachten gestützt. Neben seinen innovativen und zukunfts­ orientierten Inhalten ist an dem neuen Stu­ diengang besonders bemerkenswert, daß er fast vollständig aus Eigenmitteln der FHF fi­ nanziert wurde, ebenso wie die drei neu zu besetzenden Professorenstellen für den Be­ reich Internationale Betriebswirtschaft aus anderen Fachbereichen umgewidmet wur­ den. Auch die – in Rekordzeit freigemach­ ten und umgestalteten – Räumlichkeiten wurden anderen Fachbereichen abgezogen. Die 19 Studentinnen und 18 Studenten des „Pioniersemesters“, von denen über 80 Prozent bereits eine Berufsausbildung abge­ schlossen haben, bekommen nach acht Se­ mestern den akademischen Grad „Diplom- 66

Betriebswirt/in (FH) verliehen. Unter dem Motto „kompetent – weltoffen – verantwor­ tungsbewußt“ will der Studiengang künftig auf regionaler Ebene eine rege Zusammen­ arbeit der Studierenden mit Unternehmen durch Projekte, Praktika, Übernahme von Auftragsarbeiten und Gastvorträge pflegen. Zum Nutzen der Unternehmen und ebenso der Studierenden soll ein Kompetenzzen­ trum für den Wirtschaftsraum aufgebaut werden, dessen internationale Ausrichtung dazu beiträgt, den Strukturwandel in der Re- gion zu bewältigen. In diesem Sinne schloß die Studiengangsleiterin Prof. Dr. Petra Her­ kert ihre Dankadresse bei der Eröffnungs­ feier mit den Worten: .,Strukturwandel und Internationalisierung beginnt in den Köp­ fen, und dazu werden wir unseren Beitrag leisten!“ Birgit Hoss Wärmebehandlung gegen Krebstumoren Hyperthermiegerät zur intraoperativen Tumortherapie entwickelt Bei der Tumortherapie durch Überwär­ mung (Hyperthermie), wird die zu behan­ delnde Region für eine bestimmte Dauer, z.B. eine Stunde, auf 42° bis 45° erwärmt. Die Erwärmung kommt durch Einkoppe­ lung von elektromagnetischer Strahlung mittels eines sog. Applikators (siehe Bild) zustande. Diese Erwärmung wirkt zellschä­ digend und damit dem Tumorwachstum entgegen. Im Sinne der „schonenden The­ rapie“ wird angestrebt, das umgebene ge­ sunde Gewebe auf Normaltemperatur zu halten. Eine Beschränkung auf das erkrank­ te Gewebe und somit eine weitgehende Schonung der gesunden Zellen ist möglich, da bei der hier angewendeten induktiven Einkopplung mit 13,56 MHz (Kurzwelle) die erkrankten Zellen mehr Energie absor­ bieren und da sich das tumorerkrankte Ge­ webe wegen schlechterer Durchblutung nicht mehr so gut kühlen kann. Hyperther­ mie wird in der Behandlung begleitend zur Radio- oder Chemotherapie eingesetzt, wo­ bei deren Zusammenwirkung eine Er­ höhung der Heilungsraten von diversen Tumoren bewirkt. Auf dem Gebiet der Hy­ perthermie mit elektromagnetischer Kurz­ wellenstrahlung arbeiten bereits die Univer- sitätskliniken Berlin, Erlangen, Essen, Frei­ burg, München und Tübingen. Die Abteilung Strahlentherapie am Uni­ versitätsklinikum Freiburg ist unter Leitung von Prof. Dr. H. Frommhold auf dem Ge­ biet der lntraoperativen Radiotherapie in Europa führend. Intraoperativ heißt, daß unmittelbar nach dem chirurgischen Ein­ griff das Tumorbett mittels Strahlentherapie nachbehandelt wird. Bei der intraoperativen Radiotherapie wird seit 1990 an der Frei­ burger Klinik nach erfolgter Tumorentfer­ nung eine Bestrahlung mit Elektronen durchgeführt. Diese Bestrahlung wird im Rahmen von kontrollierten Studien bei fol­ genden Indikatoren eingesetzt: Kopf-Hals­ Tumore, Magen-Carcinom, Rektum Carci­ nom, Pancreas-Carcinom und gynäkologi­ schen Tumoren. Bei der intraoperativen Technik wird in der Regel der Tumor chirurgisch entfernt; das Tumorbett, das noch makroskopische oder mikroskopische Tumorreste enthalten kann, wird dann mit Dosen zwischen 12 und 25 Gy bestrahlt. Nach unseren Erfahrungen sind die meisten Bestrahlungsvolumina zy­ lindrisch, mit Durchmessern zwischen 4 und 9 cm und einer Tiefe von 1,5 bis 6 cm 67

Ein nerwrl iges Hyper/ herm iegerä I ist an der Ft1chhoch­ JCh11/e Furtwangen in enger Zus am 111en­ t1 rbeil mil der Ab1ei­ /11ng Strahlenlhera­ pie an der Univer­ sitälsklinik Freiburg en1wickell 1iJorden. Es ermöglich/ eine palienlenfreundliche Wärmebehandlung von Krebslumoren, da es ohne opemli­ ven Eingriff einge­ setzt werden kann. entsprechend einer Elektronenenergie von 6 bis 21 MeV. Bei etwa 60 · 70 0/o der Patien­ ten beträgt die notwendige therapeutische Tiefe 1,5 – 2,5 cm. Wegen dieser einschlägi­ gen Erfahrung auf dem Gebiet der intra­ operativen Therapie wurde von Dr. Brugg­ moser der intraoperative Einsatz der Hyper­ thermie im Rahmen der intraoperativen Ra­ diotherapie, mit dem Ziel der Verbesserung der Heilungsraten, eingeplant. Das Gerät selbst basiert auf wissenschaftli­ chen Arbeiten zur „Krebs-Hyperthermie“ in den Jahren 1984 und 1985 des verstorbenen Bundesverdienstkreuzträgers Professor Dr. rer. nat. Hans-Richard Schulz. Die techni­ sche Ausführung des jetzt m. E. kliniktaug­ lichen Hyperthermiegcräts wurde an der FH Furtwangen seit 1992 von Prof. Dr.-lng. Franz Aßbeck und seinen Mitarbeitern so- 68 wie durch zahlreiche Studien- und Diplom­ arbeiten im Fachbereich Feinwerktechnik und neuerdings auch Medical Engineering realisiert. Die an der FH Furtwangen entwickelten induktiv wirkenden Applikatoren werden aus einem HF -Leistungsgenerator (13,56 MHz, 1,2 kW) der Firma Hi.ittinger, Frei­ burg, gespeist. Die elektromagnetische Ener­ gie kann dabei über einen starren oder einen rotierenden Applikator verabreicht werden. In letzterem Falle erhöht sich die Fläche, die bestrahlt werden kann, um mehr als das Doppelte. Die Geschwindigkeit während der Rotation kann dabei derart verändert werden, daß trotz unterschiedlicher Gewe­ bezusammensetzung eine gleichmäßige lo­ kale Temperaturverteilung erreicht wird. Bei der sogenannten „Lokalen Antenne“,

einem erst in Untersuchung befindlichen Typ, schließlich können noch tiefere Gewe­ beschichten erreicht werden. Die hier mög­ liche Überlagerung von Feldern verschiede­ ner Reichweite beeinflußt die Höhe der ein­ gebrachten Leistung. Alle geschilderten Applikatoren sind je­ doch patientenfreundlich, da sie zum Be­ reich der „unblutigen“ d. h. nicht-invasiven Behandlung gehören. Sie sind zudem kon­ taktlos, was bedeutet, daß die Energie über­ tragen werden kann, ohne daß der Applika­ tor die Hautoberfläche bzw. das Gewebe berühren muß. Für die Energieübertragung benötigen sie daher auch keinen Wasser­ beutel (Wasserbolus), der bei der herkömm- liehen Weise zwischen Applikator und Ge­ webe eine Art „Energiebrücke“ bildete. Nicht zuletzt ist diese an der Fachhoch­ schule neu entwickelte Gerätegeneration wirtschaftlich, da sie den apparativen Auf­ wand vertretbar macht. Das vielversprechende Verbundprojekt zwischen der Radiologischen Universitäts­ klinik Freiburg und der Fachhochschule wird von der Deutschen Forschungsgemein­ schaft (DFG) und seit 1994 auch vom Mi­ nisterium für Wissenschaft und Forschung in Stuttgart gefordert. Prof Dr. Franz Aßbeck Entwicklungen und Forschungen an der FHF Die Fachhochschule Furtwangen ist eine der her­ amragenden Bildungseinrichtungen im Land­ kreis. Der Alm11nc1ch berichtet deshalb auch die­ ses Jahr über die neuesten Entwicklungen und Forschungen in ihren Fachbereichen. Labor für Lasertechnik und Optoelektronik erweitert Insgesamt knapp 20 0000 Mark stellte das Land aus Sondermitteln des sogenannten MOBIK-Programms zum Ausbau des La­ bors für Lasertechnik und Optoelektronik des Fachbereichs Feinwerktechnik der FH Furtwangen in den Jahren 94/95 zur Verfü­ gung. Unter Leitung der Professoren Dr. D. Kühlke und Dr. U. Mescheder konnte mit diesen Mitteln das bereits vorhandene La­ serlabor des Studiengangs Feinwerktechnik verbessert und ein weiteres Labor für Opto­ elektronik mit mehreren Projektpraktikums­ plätzen eingerichtet werden. Neben verschiedenen HeNe-Lasern und zahlreichen Laserdioden steht nun ein lei- stungsstarker Argonlaser (5 W ) zur Verfü­ gung, mit dem neben Lithographie und Ho­ lographie auch Grundzüge der Materialbe­ arbeitung vorgenommen werden können. Für die Charakterisierung von Laserstrahl­ Profilen ist ein industrieller Meßplatz vor­ handen. Für die zunehmend wichtigere Glasfaser­ technik besitzt das Labor verschiedene Handhabungsgeräte. Neben Spleißgeräten zum festen Verbinden von Glasfaserend­ stücken gibt es verschiedene hochgenaue Verstelltische, die u.a. mit piezoelektrischen Verstelleinheiten ausgerüstet sind. Spezielle, schwingungsgedämpfte optische Tische er­ leichtern den schnellen Umbau von opti­ schen Aufbauten im Rahmen von Projekt­ praktika. Verschiedene Meßgeräte (Spektro­ meter, Fabry-Perot-Tnterferometer, Lei­ stungsmeßgeräte) vervollständigen die Labors. Der zunehmenden Bedeutung des com­ putergestützten Entwurfs auch in der Optik wird schließlich mit verschiedenen Soft­ ware-Paketen Rechnung getragen, mit de­ nen konventionelle optische Aufbauten wie 69

auch sogenannte integriert optische Schal­ tungen entworfen und simuliert werden können. Solche Software -Werkzeuge sind vor allem bei der Entwicklung leistungs­ fahiger optischer Geräte (z.B. Kameraob­ jektive oder Laserstrahlfokussierung) von großer Bedeutung. Prof Dr. Ulrich Mescheder Das Umweltzentrum Mitglieder des Fachbereichs Verfahrens­ technik der Fachhochschule haben in Villingen-Schwenningen ein Umweltzen­ trum als gemeinnützigen Verein gegründet. Zweck des Vereins ist die Förderung des Um­ weltschutzes insbesondere durch Informati­ onsveranstaltungen, Fachveröffentlichun­ gen, Weiterbildungsveranstaltungen und Forschungsvorhaben. Hervorgegangen ist der Verein aus einem von der LfU (Landes­ anstalt für Umweltschutz) Baden-Württem­ berg über zweieinhalb Jahre geförderten Projekt. Darin wurde zusammen mit der Fir­ ma Aesculap ein Umweltmanagementsy­ stem entwickelt. Konkret werden Betriebsangehörige zu Abfall-, Gewässerschutz- und Immissions­ schutzbeauftragten ausgebildet. Aktuelle Unternehmensfragen beschäftigen sich mit der Organisation des betrieblichen Um­ weltschutzes nach der EG-Öko-Audit-Ver­ ordnung. Für ihre wegweisenden Arbeiten auf diesem Gebiet wurden Mitglieder des Umweltzentrums mit dem „Oce-van der Grinten-Preis 1995″, einem der ältesten und bedeutendsten Umweltpreise Deutschlands, ausgezeichnet. Im Rahmen von Industriekooperationen werden Abfallwirtschafts- und Energiekon­ zepte realisiert und umwelt- und recycling­ gerechte Produkte entwickelt. Im Laufe des Jahres 1996 werden die beteiligten Un­ ternehmen im Rahmen eines Umwelttages über ihre Erfolge berichten. Praxisnah Aießen die Erkenntnisse aus betrieblichen Umweltschutzfragen in die studentische 70 Ausbildung des Fachbereiches Verfahrens­ technik ein. Prof Dr. Helmut Krinn Pref. Dr. Heinrich Meinholz Fachbereichstag Information an Fachhochschulen (FBT-1) Dipl.-Math. Prof. Dr. rer. pol. Rainer Bi­ schoff wurde auf der 15. Jahrestagung des Fachbereichstag Informatik an Fachhoch­ schulen (FBT-I) im September 1995 an der HTW Zwickau erneut zum Vorsitzenden ge­ wählt (1991 Erstwahl, 1993 Wiederwahl). Ebenso erfolgte seine erneute Wiederwahl an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz/ Abteilung Trier zum Sprecher des bundes­ weiten Arbeitskreises Wirtschaftsinformatik an Fachhochschulen (AK-WI). Er ist der Gründer dieses 1988 entstandenen Arbeits­ kreises und seither auch dessen Sprecher. Der FBT-I versteht sich als fachkompeten­ ter hochschulpolitischer Ansprechpartner in bezug auf alle Probleme, die Studiengänge der Informatik an Fachhochschulen und der Informatik als anwendungsbezogene Wis­ senschaft betreffen. Er ist der Gesprächs­ partner bzw. Ansprechpartner für Studien­ bewerber/Studenten, andere Vereinigungen im Hochschulbereich, Behörden/ Ministeri­ en, Wirtschaft und Öffentlichkeit, auch auf internationaler Ebene. Mitglied des FBT-1 kann jede Hochschule, Spezies Fachhochschule, der Bundesrepu­ blik Deutschland werden, die einen eigen­ ständigen Informatik-Studiengang mit überwiegendem Anteil Informatik anbietet. Zur Zeit sind dies 50 Hochschulen mit über 80 Studiengängen Informatik sowie zwei studentische Vertreter. Prof Dr. Rainer Bischeff

Ein Vierteljahrhundert Bildung Volkshochschule Oberes Bregtal feierte 25jähriges Bestehen Am 22. Juni 1970 fand im „Ochsen“ in Furtwangen die Gründungsversammlung der VHS „Oberes Bregtal“ statt, die das seit 1956 bestehende Volks- und Jugendbil­ dungswerk Furtwangen im Schwarzwald in die feste Form eines gemeinnützigen Vereins umbildete. Der junge Verein konnte damals Dr. Josef Janzing als Leiter der Volkshoch­ schule gewinnen. Ein kräftiger Aufschwung kennzeichnete die zweieinhalb Jahre seiner Tätigkeit. Als er jedoch Ende 1972 wegen Überlastung sein Amt niederlegte, fand sich kein Nachfolger für diese anspruchsvolle Tätigkeit. Das hätte das Ende des so hoff­ nungsvoll begonnenen Werks bedeuten können. In dieser Existenzkrise ergriff der Vereins­ vorstand die Initiative und teilte die Arbeit unter den fünf Vorstandsmitgliedern auf. Neben dem Vorsitzenden Prof. Klaus Schnibbe (1972-1985) wurde Karl Hettich zuständig für Seminare, Egon Bücheler für Studienreisen, Fritz Henninger für die Lehr­ gänge und Karl Wehrle für die Finanzen. Bis zum Jahr 1995 übernahm Wilhelm Schwa­ hofer den Vorsitz. Was als Provisorium ge­ dacht war, entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer hocheffektiven Tätigkeit, die zudem ehrenamtlich verrichtet wurde und wird. Der Umfang des Bildungsangebotes nahm stetig zu: Heute liegt die Zahl der jährlichen Veranstaltungen bei rund 140 (100 Lehrgänge, 25 Vorträge, 7 Seminare, 3 bis 4 Studienfahrten). 3 421 Unterrichts­ einheiten wurden 1994 geleistet, wobei sich das Haushaltsvolumen zwischen 250 000 und 300 000 Mark eingependelt hat. Ab 1976 übernahm nach Wegzug von Fritz Henninger bis heute Jochen Hollerbach die Organisation der Lehrgänge. Von 1976 bis 1990 gab es dabei fast eine Verdoppelung, wobei der jährliche Zuwachs 5 bis 6 Prozent betrug. Die Ausweitung des Angebots lag vor allem im musisch-gestalterischen Be­ reich, im Bereich Fitneß und Gesundheits­ wesen sowie im Bereich EDV. Neu im An­ gebot sind auch Kurse im Bereich Esoterik. Günstig erwies sich die Einrichtung von Vor­ mittags-Sprachkursen, die sehr gefragt sind. Mehrere Jahre folgte die Ausweitung des Kursangebotes auch auf Gütenbach, wäh­ rend vor allem Französischkurse mit Erfolg in Vöhrenbach angeboten werden. Verantwortlich für die Seminare ist seit Gründung der VHS Karl Hettich. Zwischen 1970 und 1995 wurden 175 Seminare abge­ halten, d. h. im Durchschnitt jährlich sie­ ben. Breit gefächert ist die Themenpalette, sie reicht von Gesellschaftswissenschaft und Politik, Sport, Religion, über Gesundheit und Ernährungswissenschaft, Kunstge­ schichte, Psychologie, Erziehung (Elternse­ minare) bis hin zur Wirtschaft. Ab 1975 wer­ den zudem in regelmäßigen Abständen Weinseminare angeboten und auch gut be­ sucht. Die Seminare finden ausschließlich in Furtwangen statt. Für die Organisation und Durchführung der Vorträge und Studienfahrten zeichnet Egon Bücheler verantwortlich. 750 Vorträge mit den unterschiedlichsten Themen wur­ den gehalten. Schwerpunkt waren länder­ kundliche Themen. Aber auch philoso­ phisch-literarische Themen wurden angebo­ ten (Marx, Sartre, Solschenizyn), Kunstthe­ men (Picasso, van Gogh, Goya, Zille) sowie Themen aus der Ernährungswissenschaft, Erziehung und Psychologie. Dazu konnten renommierte Referenten verpflichtet wer­ den wie z.B. Prof. Heinrich Harrer, Toni Hiebeler, Kurt Diemberger, Fritz Kortler, Helen Kaiser und Dr. Konrad Kunze. Die Auswahl der jeweiligen Referenten ist wich­ tig und oft schwierig, denn wie der Vortrag 71

Die Vorstrmdschaji der Volkshochschule Oberes Bregtal im 25. Jahr ihres Bestehem. Nur Dank des En­ gagements des Vorstandes konnte diese Einrirh11111g so lange Bestand haben, denn sieji11r111zierl sich zu großen Teilen selbst. gehalten wird, ist letztendlich maßgeblich entscheidend für seinen Erfolg beim Zuhö­ rer. Die Volkshochschule Oberes Bregtal ver­ sorgt weiterhin Gütenbach, wohingegen die Vortragstätigkeit in Neukirch und Vöhren­ bach an das dortige Katholische Bildungs­ werk (KBW) übergegangen ist. Großer Wert wird auf die Gemeinschaftsveranstaltungen mit anderen Vereinen wie dem Geschichts­ und Heimatverein, dem Schwarzwaldverein oder der Bergsteigergruppe gelegt, um so ei­ nen noch größeren Hörerkreis ansprechen zu können. Zum Bereich der Studienfahrten: In den 25 Jahren VHS fanden 91 Studienfahrten statt, d. h. im Durchschnitt 3 bis 4 jährlich. Dazu gehörten Tagestouren unter anderem nach Straßburg, Basel, Oberschwaben oder ms Uhrenmuseum nach La-Chaux-de Fonds sowie längere Studienreisen wie nach Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien, Grie­ chenland, Portugal, Marokko, Tunesien, Ir­ land, Schottland, Polen und Rußland. Zu den vielfältigen Aufgaben einer VHS gehört nicht zuletzt die Unterstützung von Ausländern. Bereits im 3. Trimester 1978 wurde deshalb begonnen, sich der ausländi­ schen Kinder anzunehmen. Diese Unter­ stützung reicht von der Sprachforderung für ausländische Kinder im Vorschulalter über die außerschulische Hausaufgabenbetreu­ ung (sprich Sprach- und Lernhilfe) für aus­ ländische Kinder bis hin zu Deutschkursen für ausländische Jugendliche und Erwachse­ ne und den alljährlich stattfindenden Som­ merfesten, zu denen die ausländischen Mitbürger zum fröhlichen Zusammensein eingeladen werden. Es war daher nur folge­ richtig, daß die Volkshochschule als Sofort- 72

programm einen Deutschkurs für die elf Asylbewerber aus Sri Lanka und dem Irak anbot, die der Stadt Furtwangen im Schwarzwald im Herbst 1985 zur Unter­ bringung zugeteilt wurden. An fünf Tagen werden Ausländerkinder aus 6 Nationalitäten bei den Hausaufgaben betreut. Die Kinder kommen gerne, wohl auch, weil sie nach getaner Arbeit noch spie­ len können. Möglich ist diese Betreuung nur dank eines persönlichen Engagements der in der Ausländerbetreuung tätigen Mit­ arbeiter, die weit über das normale Maß hin­ ausgeht. Zu bemerken ist noch, daß in den ersten vier Jahren, von 1978 bis 1982, das VHS-An­ gebot aus eigenen Mitteln finanziert wurde und zwar mit 18 000 bis 20 000 Mark; dann war das finanzielle Polster aufgebraucht. Es gab fortan Zuschüsse in Höhe von rund 20000 Mark von der Staatsschuldenverwal­ tung, so daß die VHS aus eigenen Mitteln „nur noch“ den ungedeckten Aufwand zu tragen hatte, der mittlerweile auf 10 000 Mark angewachsen ist. Dies ist eine Beson­ derheit des „Furtwanger Modells“, denn die Regel ist heute, daß eine derartige Einrich­ tung von der jeweiligen Kommune getragen wird, wobei eine bezahlte Leiterstelle selbst­ verständlich ist. So hatte vor über 20 Jahren Donaueschingen ein Angebot zur Übernah­ me der VHS gemacht. Danach hätte Furt­ wangen einen jährlichen Beitrag von SO 000 bis 60 000 Mark beisteuern müssen. So aber kommt die Stadt mit einem Zuschuß von 10 000 Mark im Jahr aus. Allerdings verteilt sich noch immer die ganze Last des Managements im wesentli­ chen auf fünf Schultern, wobei drei der auch heute noch aktiven Vorstände Männer der ersten Stunde sind: Egon Bücheler (Vorträ­ ge und Studienreisen), Karl Hettich (Semi­ nare), Karl Wehrle (Kasse). Vorstandsspre­ cher ist Karl Kretschmer, der 1995 Wilhelm Schwahofer ablöste. Für Lehrgänge zustän­ dig ist Jochen Hollerbach, der auch schon fast 20 Jahre mit dabei ist. Obwohl die Stadt die Geschäftsstelle im Kultur- und Verkehrsamt zur Verfügung stellt, ist der Zeitaufwand für die Vorstands­ mitglieder beträchtlich. Karl Wehrle hatte vor Jahren einmal mitgerechnet und unterm Strich kamen schließlich rund 400 Stunden zusammen, die er in diesem Jahr für die VHS aufgewandt hatte. Seinen Kollegen im Vorstand dürfte es ähnlich gehen. Die Stadt honoriert die Arbeit der VHS aber auch, indem sie auf Raummieten ver­ zichtet und auch die Fachhochschule kommt der VHS im Raumangebot entge­ gen. Einen finanziellen Zuschuß gibt es vom Kreis, ebenso unterstützt das Land die Arbeit der VHS. Die Zuschüsse fließen vor allem in Seminare, Vorträge und die Aus­ länderbetreuung in Form von Hausaufga­ benhilfe und Sprachförderung. Die Sprach­ kurse und Studienreisen arbeiten kosten­ deckend. Es wäre außerordentlich zu be­ dauern, wenn im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen wie auch anderwärts die Zuschüsse stark gekürzt würden. Derlei Ein­ sparungen am Kulturetat hätten in der Zu­ kunft fatale Folgen. Die Presse, und allen voran die Badische Zeitung, unterstützt ebenfalls die Arbeit der VHS durch die kostenlose Anbringung von Plakaten und die Veröffentlichung von An­ zeigen. All diese intensive und zeitaufwen­ dige Arbeit über viele Jahre hinweg konnten die fünf Vorstandsmitglieder nur leisten, weil ihnen als eingespieltes Team zahlreiche Kursleiter zur Seite standen, die mit Ein­ satzfreude und Engagement zum Gedeihen der VHS beitragen. Für deren Q.ialität und den Wissensdurst der Teilnehmer spricht, daß schon mehrere Kurse „Silbernes Ju­ biläum“ feiern konnten, d. h. 25 Mal in un­ unterbrochener Folge abgehalten wurden. (Leicht veränderte Fassung des Festvortrages vom 7. Oktober 1995.) Egon ßiicheler 73

Lücke in der Lehrlingsausbildung geschlossen 30 Jahre DVS-Kursstätte des Deutschen Verbandes für Schweißtechnik Seit Scptem ber 1965 ist der Gewerblichen Schule in VS-Schwenningen (Richard-Bürk­ Schule) eine Schweißkursstätte des Deut­ schen Verbandes für Schweißtechnik (DVS) angegliedert. Letztes Jahr konnte das 30-jäh­ rige Jubiläum begangen werden. Die Kurs­ stätte nimmt dies zum Anlaß, sich einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Im Jahr 1960 bezog die Gewerbeschule die vom damaligen Schulträger, der Stadt Schwenningen, neu erbauten Schulgebäude in der Erzbergerstraße. Damit konnte eine Lücke bei der Ausbildung der Lehrlinge für die aufstrebende hiesige Wirtschaft ge­ schlossen werden. Vorher mußten im 3. Lehrjahr die Lehrlinge des Kraftfahrzeug-, Karosserieflaschner- und Bauschlosserhand­ werks zu einer achttägigen Vollzeitausbil­ dung im Gas- bzw. Lichtbogenschweißen an die Schweißtechnische Kursstätte Tuttlingen gehen, die der dortigen Gewerbeschule an­ geschlossen ist. Zum damaligen Zeitpunkt hatte in unserer Gegend nur noch Singen ei­ ne derartige Einrichtung. Auf Initiative des damaligen Schwennin­ ger Gewerbeschuldirektors Palmtag, unter­ stützt durch einzelne Fachbetriebe aus Schwenningen und der Umgebung, konnte der damalige Schulträger für die Einrichtung einer vom DVS anerkannten Kursstätte an der Schwenninger Gewerbeschule gewon­ nen werden. Mit großem Einsatz wurde ei­ ne Werkstatt mit 10 Arbeitsplätzen für Gas­ schweißen und fünf Arbeitsplätzen für Lichtbogenschweißen einschließlich der notwendigen Einrichtungen für die Materi­ alvorbereitung nach DVS-Richtlinien einge­ richtet und ausgestattet. Gedacht war zunächst nur an die Ausbil­ dung von Lehrlingen. Später sollte dann die Erwachsenenschulung in Abendlehrgängen – wie schon in Tuttlingen und Singen prak- 74 tiziert – dazukommen. Ab März 1965 wur­ de die lehrgangsmäßige Schweißausbildung in der neuen Schweißwerkstatt durchge­ führt. Das „Schwenninger Tagblatt“ berich­ tete am 13. März 1965: ,,Modeme Schweißwerkstatt in Schwenninger Berufs­ schule eingerichtet. Der erste achttägige Kurs fand begeisterten Widerhall bei den Lehrlingen des Kfz-Handwerks.“ Erster Kursleiter war Schweißmeister Willi Bechler von der Beratungsstelle für Autogen­ schweißtechnik. Zur Anerkennung einer Schweißwerkstatt vom DVS als „DVS-Kursstätte“ mußte nachgewiesen werden, daß die Finanzierung der Ausbildung gesichert ist und ein DVS­ geprüfter Lehrschweißer ständig an der Ein­ richtung verfügbar ist. Die Finanzierung der Lehrlingskurse übernahm die Stadt Schwen­ ni ngen als Schulträger, für die Erwachse­ nenkurse waren kostendeckende Gebühren vorgesehen. Der seit 1963 als Technischer Lehrer an der Gewerbeschule in Schwen­ ningen unterrichtende Frank Weisshaar machte im Juli 1965 eine Ausbildung zum Lehrschweißer an der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in Stuttgart. So­ mit waren alle Vorgaben des DVS erfüllt, und die Schwenninger Schweißwerkstatt war nach einer Überprüfung des DVS-Lan­ desverbandes Baden-Württemberg ab 21. September 1965 offiziell als DVS-Kursstät­ te anerkannt. Kursstättenleiter war der Schulleiter, Oberstudiendirektor Palmtag, der Geschäftsführer Studiendirektor Löffler und Lehrschweißer Technischer Oberlehrer Weisshaar. Parallel zu den Aktivitäten in Schwennin­ gen, wurde am 22. Oktober 1965 der DVS­ Ortsverband Tuttlingen-Schwenningen mit Sitz in Spaichingen gegründet, der aus den Kursstätten Tuttlingen und den beiden

Der langjährige Lehrschweißer Frank Weisshaar beim Brennschneiden eines Stahlrohres zur Schweiß­ nahlvorbereitungfiir eine Rohrschweißerpriifung. 75

„Neuen“ Spaichingen und Schwenningen bestand. Die größere Verbreitung der Schweißtechnik in unserem Raum ließ die­ se Neugründung notwendig erscheinen, nachdem die Kursstätten vorher dem doch ziemlich weit entfernten Ortsverband Kon­ stanz angehört hatten. Die Loslösung von Konstanz gestaltete sich schwierig und war ein langwieriger Prozeß. Es gab schon früher einen eigenen Ortsverband. Die Aktivitäten ließen aber nach, so daß damals der An­ schluß an den Ortsverband Konstanz ge­ sucht wurde. 1968 wurde in Rottweil an der Gewerbe­ schule eine weitere Kursstätte gegründet. 1975 wurde konsequente1weise der Ortsver­ band in „Bezirksverband Schwarzwald-Baar­ Heuberg“ umbenannt. Diesen Namen fuhrt der Bezirksverband mit neuem Sitz in Rott­ weil auch heute noch. 1978 wurden noch weitere Kursstätten an der Gewerbeakademie in Donaueschingen Srhutzgasschweißen (MAC) einer Erk11ah1 i11 sleigender Posilion. 76 und an der Beruflichen Bildungsstätte Tutt­ lingen gegründet, so daß der Bezirksverband heute aus sechs DVS-Kursstätten besteht und über 100 Firmen-bzw. persönliche Mit­ glieder hat. Die Arbeit wird größtenteils von ehrenamtlichen DVS-Mitarbeitern erledigt. Hierzu gehören, neben der Schweißausbil­ dung, Fachvorträge über neue technische Entwicklungen in der Schweißtechnik, Be­ ratungen der Firmen und die Abnahme von Sehweißerprüfungen für Blech- und Rohr­ schweißer. Die Prüfungen werden feder­ führend seit Gründung des eigenen Orts­ verbandes bzw. Bezirksverbandes von Schweißfachingenieur Josef Keller von den Stadtwerken Tuttlingen abgenommen, der auch seit einigen Jahren gleichzeitig 1. Vor­ sitzender des Bezirkverbandes ist. Bereits im Jahr 1966 wurden an der Schwenninger DVS-Kursstätte über 130 Teilnehmer in zusammen fast 6 000 Stun­ den im Gas- bzw. Lichtbogenschweißen aus­ gebildet. Großen Anteil an diesen Aktivitä­ ten hatte der Lehrschweißer und Technische Oberlehrer Frank Weisshaar. Weiterentwickelte Schweißverfahren und moderne Schweißgeräte stellten neue An­ forderungen an die Schweißausbildung. Ne­ ben dem Gas- und Lichtbogenschweißen ge­ wann das Schutzgasschweißen immer mehr an Bedeutung. Ab 1977 wurde auch im Schutzgasschweißen ausgebildet. So berich­ tete z.B. am 3. Februar 1977 der „Schwarz­ wälder Bote“: ,,Vordergründig könnte es ei­ nem Autobesitzer gleichgültig sein, ob der Blechschaden, mit dem er seinen Wagen in die Werkstatt bringt, mit Sauerstoff und Schweißdraht oder per Lichtbogen und Schutzgas geschweißt wird. Spätestens, wenn es ans Bezahlen geht, bemerkt jedoch auch er den Unterschied. Die neuen Schweißverfahren, wie sie an der Lehrwerk­ stätte der Gewerbeschule im Stadtbezirk Schwenningen in Abendkursen erlernt wer­ den, können Reparaturarbeiten besser und preiswerter machen.“ Die Schweißwerkstatt im Keller der Ge-

Der lechnische Lehrer Reinhard Ffeig (Mille} bei der Besprechung einer Schweißiibung mil Schülern der einjährigen Bemßfachschule. werbeschule stieß räumlich an Grenzen, außerdem stellten erhöhte Anforderungen an den Schallschutz sowie an Absaugein­ richtungen die Kursstätte vor schwierige Pro­ bleme. Infolge einer baulichen Erweiterung und eines Umbaus der Gewerbeschule im Jahr 1980 konnte durch Initiative des da­ maligen Schulleiters, Oberstudiendirektor Kapp, eine größere Schweißwerkstatt mit dazugehörigem Vorbereitungsraum geschaf­ fen werden. Dem Kreistag des Schwarzwald­ Baar-Kreises und Landrat Dr. Gutknecht ge­ bühren besonderer Dank für die Unterstüt­ zung bei der Errichtung und dem Betrieb der Schweißkursstätte, denn die Gewerbe­ schule war inzwischen aus der Trägerschaft der Stadt Villingen-Schwenningen an den Schwarzwald-Saar-Kreis übergegangen. Heute verfügt die Kursstätte über 10 Gas­ schweißplätze und 10 Lichtbogen- bzw. Schutzgasschweißplätze, die mit modern­ sten Schweißgeräten und Einrichtungen ausgestattet sind. Die Schweißausbildung an der Kursstätte findet größtenteils in Abend­ kursen statt. Das Ausbildungsangebot um­ faßt Lehrgänge für Gasschweißen, Lichtbo­ genschweißen, Metall-Schutzgasschweißen (MAG) und Dünnblechschweißen sowie Prüfungsvorbereitungen und Abnahme von Sehweißerprüfungen nach der Euro­ Norm EN 297-1 für Blech- und Rohr­ schweißer. Die Prüfungstätigkeit hat in letz­ ter Zeit stark zugenommen, da die Firmen im Rahmen erhöhter Anforderungen ihrer Qialitätssicherung über geprüfte Schweißer verfügen müssen. Ebenfalls sind geprüfte Schweißer bei sogenannten abnahmepflich­ tigen Schweißungen, wie z. B. Druckleitun­ gen für Gas oder bei Stahlbauten, erforder­ lich. Die Sehweißerprüfung muß im Nor­ malfall im zweijährigen Turnus erneuert werden. Neben der Erwachsenenausbildung legt die Kursstätte großen Wert auf die Vermitt­ lung von schweißtechnischen Kenntnissen im Rahmen der Berufsausbildung. In der 77

ist hauptberuflich seres Bezirks aus. Sein Leben ist untrennbar mit der Schweißtechnik verbunden. Für be­ sondere Verdienste um die Schweißtechnik wurde er, sowie auch der langjährige Kurs­ stättenleiter Oberstudiendirektor Kapp, vom DVS mit der goldenen Ehrennadel aus­ gezeichnet. Der neue Lehrschweißer, Gottfried Rehm, konnte schon nach kurzer Zeit durch wei­ terhin regen Zulauf bei den Schweißkursen überzeugen. Er im Schweißfachhandel und mit der Vorführung sowie Reparatur von Schweißgeräten be­ schäftigt. Dies kommt auch der Kursstätte bei Wartung und Reparatur der eigenen Geräte zugute. Durch vielfältige Kontakte zu den Firmen, die Schweißtechnik einset­ zen, konnte er schon so manchen Kursteil­ nehmer an unsere Kursstätte bringen. Seit Bestehen der Kursstätte wurden über 4 600 Teilnehmer in insgesamt über 213 000 Teilnehmerstunden im Schweißen ausgebil­ det sowie über 860 Prüfstücke nach den je­ weils gültigen Normen geschweißt und vom DVS-Bczirksprüfungsausschuß bewertet. Bei einem Teil der Prüfstücke wurden neben den obligatorischen Sicht- und Bruchprü­ fungen auch noch eine Röntgenstrahlen­ Prüfung durchgeführt, um dem Schweißer eine noch höhere Schweißqualifikation zu bescheinigen, wie sie z. B. beim Sd1weißen von Druckrohren im Heizungsbau verlangt wird. Auf dem Röntgenfilm lassen sich auch Fehler im Inneren der Schweißnaht erken­ nen und dokumentieren. Das Röntgen der Schweißproben führt eine Firma in Reutlin­ gen durch. Für die Kursstätte wäre die dafür erforderliche Einrichtungen zu teuer. Die Kursstätte wird auch weiterhin große Anstrengungen unternehmen, um zum Wohle der einheimischen Wirtschaft, die Schweißer nach neuestem Stand der Technik durch bestens geschulte Lehrschweißer aus­ bzw. fortzubilden und nach den gültigen Normen zu prüfen. Werner Heim Ein Kursteilnehmer beim Gasschweißen eines Rohres. einjährigen Berufsfachschule Metalltech­ nik/Krafrfahrzeugtechnik, die seit 1971 an der Gewerbeschule besteht, absolvieren die Berufsfachschüler den DVS-Lehrgang Dünnblechschweißen. Für die Schüler des Technischen Gymnasiums der Feintechnik­ schule Schwenningen führt die Kursstätte schon seit mehreren Jahren spezielle Ein­ führungskurse in die Schweißtechnik durch. Seit 1994 leitet der jetzige Schulleiter der Gewerbeschule, Studiendirektor Brodbeck, die Kursstätte. Im letzten Jahr legte unser Lehrschweißer Frank Weisshaar die Durch­ führung der Abendkurse in jüngere Hände. Er begleitete die Schweißtechnik an unserer Kursstätte von Anfang an. Es ist zum großen Teil sein Verdienst, daß die Schwenninger Kursstätte bei den Firmen unserer Region ei­ nen sehr guten Ruf genießt. Bis heute führt er noch spezielle Schülerschweißkurse durch und hilft auch bei anderen Kursstätten un- 78

Hilfe für Unfall- und Katastrophenhelfer Fachhochschule der Polizei untersucht den „posttraumatischen Streß“ Das Busunglück bei Donaueschingen am 6. September 1992, bei dem es 21 Todesop­ fer und viele Schwer- und Leichtverletzte gab, hat heute noch seine Nachwirkungen. In Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, der Polizei, der Feuerwehr und den Ret­ tungsdiensten des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses wurde von den Autoren dieses Beitrags ein Forschungsprojekt zum Thema „Kör­ perliche und psychische Belastungsreaktio­ nen bei Einsatzkräften während und nach einer Unfallkatastrophe“ durchgeführt. Sechs Wochen nach dem Unglück wurden 71 Personen befragt, die in helfender oder leitender Funktion Verletzte und Verstorbe­ ne bargen bzw. den Unfallort sicherten. Die Personen wurden speziell hinsichtlich psy­ chischer und körperlicher Auffalligkeiten befragt, die sie während und nach den Ret­ tungsmaßnahmen erlebt hatten. Die Ergeb­ nisse wurden in der Bundesrepublik und eu­ ropaweit beachtet und sie bestätigten, daß bei Einsatzkräften geringere psychische und körperliche Belastungen nach Unfallkata­ strophen auftreten als bei Katastrophenop­ fern selbst. Aus den Daten wurden Vor­ schläge für die Vorsorge und Nachsorge und die Betreuung von Einsatzkräften abgeleitet. In Zusammenarbeit mit dem Amt für Brand- und Katastrophenschutz wurden an der Hochschule für Polizei mehrere Fortbil­ dungsveranstaltungen für Einsatzkräfte zum Thema „Posttraumatischer Streß“ abgehal­ ten. Es ist für die allermeisten Menschen nor­ mal, daß sie nach belastenden, vielleicht sehr schmerzlichen oder todesangstähnli­ chen Situationen „Störungen“ empfinden (akute Belastungsstörungen). Man denkt dann immer wieder an das Ereignis, es kann zu Einschlaf- oder Durchschlafstörungen kommen; Magenbeschwerden und alle For- men leichterer psychosomatischer Störun­ gen werden berichtet. Wenn dann auch nach über 4 bis 6 Wo­ chen diese Symptome nicht verschwinden, wenn man immer noch den Ort des Ge­ schehens (oder ähnliche Situationen) mei­ det, wenn man immer noch nur bei dem Ge­ danken an das Unglück Schweißausbrüche hat und Atembeschwerden (o. ä.) empfin­ det, spricht man von posttraumatischen Störungen. Auch für Helfer kann das trau­ matische Ereignis belastend sein. Besonders dann, wenn man sich den Unglücksopfern gegenüber in einer Situation erlebt, in der man nicht qualifiziert helfen kann. Eine Arbeitsgruppe hat inzwischen einen Beratungsdienst für Einsatzkräfte im Ret­ tungs- und Polizeidienst, in den Feuer­ wehren und im Katastrophenschutz des Schwarzwald-Baar-Kreises ins Leben geru­ fen. Sieben professionelle Beraterinnen und Berater stehen den Angehörigen der Polizei, der Feuerwehren und den Rettungsorgani­ sationen zur Verfügung, wenn der Einsatz­ streß Beschwerden im Sinne einer akuten oder posttraumatischen Belastungsreaktion verursacht. Stärkste seelische Belastungen Es gibt diese traumatischen Folgeerschei­ nungen auch bei Opfern von Vergewalti­ gungen und Folter, bei Verschüttungen oder Erdbeben. Und immer sind auch die Helfer, die als erste an die Stätte des Grauens kom­ men, stärksten seelischen Belastungen aus­ gesetzt. Durch die Thematisierung der posttrau­ matischen Belastungsreaktionen erwuchs in allen Institutionen die Erkenntnis und Ver­ pflichtung, sich in der Betreuung ihrer Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt um 79

deren Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit im Einsatz zu kümmern. Aus diesem Grund fond an der Hochschule für Polizei im Mai 1995 eine internationale Tagung mit dem Thema „Tr,1um,1 und K,11.1�trophe“ st,ltt. Die Ergebnisse dieser Tagung sind in der Schrif­ tenreihe der I Iochschulc für Polizei erschie­ nen. Mehrere Fachpublikationen sind in­ zwischen entst.inden. Erste Film-Szenen für Lernzwecke wurden in Zu�.11nmen,1rbeit mit dem Medienzentrum der LPD in Freiburg erstellt. Auslfücr dafür waren die traumati­ schen Ereignisse beim Busunglück in Do­ naueschingen. Dr. Hrr111111111tz / Dr. ßurh111m111 GcdenkJlelt dt•J l lr11111111•rt’iJt’l1br1dJ1•r ßilrlh,1utrs ‚(lo!Jg1111g Kll’i.w fiir di,· Opfi•r des B11s1111,�liidm in Do11r111rsdn11,�1·11. Dm 1111.1 Kiefrmholzg1•.1dutf .fi’11e K1mshl’l’rk 1112.70 A,ft’/a hoch 1111d11111rt!1· im ./t1hr 1993 m da Niihr da U11,Jiirksstelll‘ ,11,jg,·­ .11ellt. Aufim/:gd,a wnr dil‘ katholisrh,· l}itrrge- 11ll’i11de ßfld /)firrheim. Am 6. Septembtr 1993 ofolgte dil‘ E1ml’l’ih1111g ,111.1 /lnlr{ß d1·J 1•ntm./t1h­ rntngcs der U1{/it!lkrllnstroph1·. 80

Industrie, Handwerk und Gewerbe Meilensteine der Orthopädietechnik Die Biedermann Orthopädie-Technik GmbH und Biedermann Motech Medizin­ und Orthopädie-Technik GmbH „Der Mensch ist das Maß!“ Unter diesem Motto wirken die traditionsreiche Bieder­ mann Orthopädie-Technik GmbH und die Biedermann Motech Medizin- und Ortho· pädietechnik GmbH in Villingen-Schwen­ ningen und in internationalen Niederlas­ sungen. Orthopädische Forschungen und Entwicklungen zum Wohle der Patienten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Biedermann-Historie. Diese begann 1912, als der aus Wurmlin­ gen (Kreis Tuttlingen) stammende Max Bie­ dermann seine Meisterprüfung als Or­ thopädietech niker ablegte. Er übernahm die Leitung der orthopädischen Werkstätte an der Klinik Balgrist in Zürich, wo er Profes- sor Ferdinand Sauerbruch begegnete. Beide mußten die Schweiz mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verlassen. In Singen/Hohentwiel trafen sie wieder zusammen. Professor Sauerbruch baute dort ein Lazarett mit orthopädischer Versuchs­ werkstätte auf Max Biedermann holte man aus dem Militärdienst zurück, um ihm die Leitung der Deutschen Ersatz-Glieder-An­ stalt (DERSA) zu übertragen. Beide expe­ rimentierten hier erstmals mit einer durch die Oberarm-Muskulatur aktiv steuerbaren Armprothese, dem späteren „Sauerbruch­ Arm“. Biedermann folgte dem Chirurgen nach München und an die Berliner Universitäts- Die Motech Medizin- und Orthopädieteclmik GmbH in Villingen-Schwenningen. 81

klinik der Charite. Die dortige Eröffnung ei­ ner orthopädischen Werkstätte zog eine le­ gendäre Zusammenarbeit mit Sauerbruch und bahnbrechende Fortschritte in der Or­ thopädietechnik nach sich. Max Biedermanns Sohn Walter setzte die Arbeit zunächst an der Charite, nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufbau eines neuen Betriebes in Rottweil fort. In den sechziger Jahren trat mit Walter Bieder­ manns Söhnen Lutz und Veit die dritte Ge­ neration in den Familienbetrieb ein, 1973 folgte die Gründung einer Filiale in Schwen­ nmgen. Und wieder brachte die Begegnung mit ei­ nem Mediziner den entscheidenden Inno­ vationsschub. Mitte der achtziger Jahre be­ gann Lutz Biedermanns Zusammenarbeit mit dem Wirbelsäulenchirurgen Professor Dr. Ji.irgen Harms (Langensteinbach) auf dem Gebiet der Implantatsforschung. Statt Handarbeit mit Stahl und Holz gehörten nun der Umgang mit Computer, Kunststoff und Titan zum Alltag. Die Implantate aus körperverträglichem Titan dienen als Ersatz für tumorbefallene Wirbel. Fi.ir diese Entwicklung erhielt Bie­ dermann Motech 1990 den Adalbert-Seif­ riz-Preis für Technologietransfer im Hand­ werk. Die weltweit große Resonanz auf die High­ tech-Implantate „Made in Schwenningen“ Modemsle Technik im Dienste von Behinderten. 82 Bei11prolhesen der Marke „Bieder111a1111 „. führte 1988 zur Gründung einer neuen Fir­ ma, der Biedermann Motech Medizin· und Orthopädietechnik GmbH. Der Name Bie­ dermann Motech steht heute für die Syn· these von Innovation und Qualität sowie für solide Bodenständigkeit, gepaart mit dem weltoffenen Pragmatis­ mus schwäbischen Unterneh· mertums. Im US-Bundesstaat Michigan siedelte sich die Firma 1991 mit einer Niederlassung an. Eine Kooperation mit der im US-Bundesstaat Indiana an· sässigen De Puy Inc., dem größten Hersteller künstlicher Hüftteile, begann. Beide Un· ternehmen gründeten im Fe· bruar 1993 die De Puy Motech mit dem Ziel der gemeinsa­ men Herstellung von Wirbel-

säulenimplantaten und deren Verkauf. Mo­ dernste Entwicklungen zur Rehabilitation brachten Biedermann eine international führende Rolle in der Orthopädie-und Me­ dizintechnik ein. Das der Kompetenz und Leistungsfahigkeit verschriebene U nterneh­ men genießt heute weltweit einen guten Ruf als Avantgardist der Branche. Ständige Kontakte zu führenden Experten der Medizin und Technologie rund um den Globus sowie intensive internationale Ko­ operation sind Garanten für die erfolgreiche Präsentation innovativer Systemlösungen. So gelang es Biedermann Motech, medizi­ nisch-technische Schlüsseltechnologien für den Einsatz am behinderten Menschen ver­ fügbar zu machen. Ein Meilenstein bedeutete die Entwick­ lung des Prothesensystems Endolite zusam­ men mit britischen Experten. Es besteht aus Karbonfasern. Das System läßt nicht nur in Alltag und Beruf, sondern auch im Hoch­ leistungssport Amputierte „ihren Mann ste­ hen“. So zum Beispiel Gunter Belitz, Gold­ medaillengewinner bei der Leichtathletik­ Weltmeisterschaft der Behinderten und mehrfacher erfolgreicher Paralympics-Teil­ nehmer. Biedermann Motech ist ein Förde­ rer des Behindertensports, besonders der Paralympics, und ist bei den Wettkämpfen stets mit einem Reparaturservice vertreten. „Design am Bein“ gilt dabei als besondere Herausforderung für die Tüftler des Hauses Biedermann. Das Herz der High-tech­ Schmiede befindet sich in Schwenningen, dem einstigen Zentrum der deutschen Uhrenindustrie. In der Berta-Suttner-Straße 23 sitzt das Team aus Ingenieuren, Or­ thopädietechnikern und Feinmechanikern – unterstützt von Computern und einem mo­ dernen Maschinenpark -in einem traditi­ onsreichen historischen Gebäude, einer ehe­ maligen Schreinerei für edle Uhrengehäuse, die mit Bedacht saniert worden ist. Ein Zeugnis für die optimale Verschmel­ zung von Hochtechnologie und humaner Produktkultur ist das Qyalitätssicherungssy- ,,Design am Bein“. stem, das den Standard der international an­ erkannten DIN/ISO-Norm 9001 erfüllt. Im Januar 1992 erhielt die Biedermann Motech GmbH als erstes Unternehmen im Bereich der Implantat-und Orthopädietechnik die­ ses Gütesiegel, das von einer unabhängigen Stelle überwacht wird. Seit dem 1. Juli 1991 lenkt die Familie Bie­ dermann auch wieder die Geschicke der Or­ thopädie-Technik an der Berliner Charite. Veit Biedermann widmet sich der Heraus­ forderung, mit diesem Leistungszentrum der Prothesen-und Orthesenversorgung an die Tradition seines Großvaters Max und seines Vaters Walter Biedermann anzu­ knüpfen. 83

Spezial-Werkzeuge für Kfz-Reparaturen Die KLANN-Spezial-Werkzeugbau-GmbH in Donaueschingen Wer in Donaueschingen die Breslauer Straße 41 passiert, stellt sich als Einheimi­ scher oder Fremder die Frage: ,,Was wird wohl in diesem Gebäude – welches an der Außenwand den Schriftzug KLANN trägt – verwaltet, produziert oder dergleichen ?“ Auf den ersten Blick ist dies nicht zu erken­ nen. Auf einem Grundstück von 15 000 m2 und auf einer vorhandenen Nutzfläche von 5 600 m2 ist hier seit 1992 die Firma KLANN-Spezial-Werkzeugbau-GmbH mit Produktion und Verwaltung untergebracht. Geschäftsführender Gesellschafter ist der heute 52jährige Horst Klann. Am 1. 7. 78 wurde die Firma KLANN-Spe­ zial-Werkzeugbau-GmbH mit Sitz in Do­ naueschingen in der Breslauer Straße 31 ge­ gründet. Geschäftszweck war und ist die Entwicklung, Herstellung und der weltweite Vertrieb von Spezial-Werkzeugen für die Re­ paratur von Kraftfahrzeugen. Der gelernte Kfz-Meister Klann erkannte sehr früh die Notwendigkeit, dem reparierenden Kraft­ fahrzeug-Gewerbe bessere Werkzeuge an die Hand zu geben, welche es ermöglichen, Re­ paraturarbeiten an Kraftfahrzeugen schnel­ ler, sicherer und einfacher durchzuführen, wobei die persönliche Berufserfahrung von großer Wichtigkeit war. Bereits 1978 begann man mit der eigenen Entwicklung von Sicherheits-Federspann­ geräten für Pkws. Der große internationale Erfolg mit diesen patentierten Produkten bestätigte Klann in seiner Philosophie, daß letztlich nicht der Preis eines Produktes ent­ scheidend für den Verkauf ist, sondern das, was dieses Produkt zu leisten vermag bzw. welche Vorteile es für den Anwender bringt. Um den Anfangserfolg zu festigen und weiter auszubauen, war es notwendig, die Werkzeug-Palette zu erweitern. Zu diesem Zweck wurde 1980 die eigene Produktion aufgenommen; sie ermöglichte eine größe­ re Flexibilität und ein schnelleres Reagieren auf Sonderwünsche von Kunden. Um sich nicht zu verzetteln, verfolgte man die Stra­ tegie der Konzentration auf einzelne Sach­ gebiete der Fahrzeug-Instandsetzung. Die­ ser Weg wurde bis heu­ te mit Erfolg beibehal­ ten. 1988 wurde deshalb zum Ausbau der inter­ nationalen Position die KLANN-Tools Ltd. in England gegründet, die sieb mit dem Ver­ trieb von KLAN N­ Pro du k te n im eng­ lischsprachigen Raum beschäftigt. Durch die rasante Ge­ sch ä ftse n twickl u ng wurde 1991 der Bau der heutigen Industrie­ anlage in der Breslauer Die Fertigungstiefe lieg/ bei 90 Prozent, KLA NN-Prod11kle sind auf dem Markl nahezu ohne Konkurrenz. 84

Die KLANN-Spezial-Werkzeugbau-GmbH in Donaueschingen besteht seit 1978 und beschäftigt 50 Mitarbeiter. 1991 ist man in den Neubau in der Breslauer Straße umgezogen. Straße 41 erforderlich. Mit SO Mitarbeitern und Unterstützung modernster CNC-Ma­ schinen werden hier Produkte hergestellt, die nahezu konkurrenzlos auf dem Markt sind. Die Fertigungstiefe liegt bei ca. 90 Pro­ zent. KLANN zählt heute zu den größten Anbietern von Sicherheits- und Spezial­ Werkzeugen für die Reparatur von Pkw­ Fahrzeug-Achsen, Kupplungen, etc. Zum Kundenkreis zählen die gesamte Automo­ bil-Industrie, der Fachhandel und die Kfz­ Reparatur-Werkstätten. Der Marktanteil einzelner Produkte liegt in Deutschland zwischen 60 und 95%. Der Exportanteil beträgt zur Zeit 30%. Zur Festi­ gung und dem Ausbau der Marktposition beteiligt man sich auch an internationalen Messen, wie z.B. in Südafrika, Mexiko, To­ kio, Jakarta, Hong Kong, Paris, Barcelona etc. Um die hohen Kosten der Entwicklung langfristig abzusichern, werden alle wichti­ gen Produkte patentiert. KLANN verfügt über ca. 50 Schutzrechte. Dies wiederum führt zwangsläufig zu internationalen pa­ tentrechtlichen Auseinandersetzungen bis hin zum Bundesgerichtshof. In der Vergan­ genheit konnte man die Angriffe des Wett­ bewerbs erfolgreich abwehren. Innovation und Produktfindung stellen für KLANN kein Problem dar. Viel schwie­ riger ist es, all diese neuen Gedanken, Ideen und Produkte auch auf den Markt zu brin­ gen, was oft an finanzielle Grenzen stößt. Horst Klann blickt heute auf eine 30jähri­ ge Selbständigkeit zurück. Für die Zukunft ist man bei KLANN durch die Einführung eines Qialitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9001 und durch die Aufnah­ me neuer Produkte bestens gerüstet. 85

– Modernste Maschinen und hoch qunlijizierte Mitnrbeiter, dltS Donaueschi11ger Unternehmen KLAN N ist für die Zukunft bestens geriislet. 86

Mit Licht formen, schneiden und gestalten Wagner-Lasertechnik in Dauchingen – Mit dem Laserfeinschneiden eine eigene Existenz gegründet Unternehmer und Firmengründer mit Ideen prägten schon seit altersher unsere Re­ gion. Viele Gründer aus Schwenningen, Vil­ lingen und Umgebung mit bekannten Na­ men gelten heute wie damals als Männer der ersten Stunde – Menschen mit Ideen und dem starken Willen, diese auch zu realisie­ ren. Diese „Gründergenerationen“ sind natür­ lich nie ganz ausgestorben. Auch heute gibt es sie, wagemutige Firmengründer, mit den richtigen Ideen zur richtigen Zeit, besessene Tüftler, Ingenieure – Menschen, die mit viel Unternehmensgeist den Schritt in die Selbständigkeit tun. Einer davon, von dem hier die Rede sein soll, ist Kurt Wagner aus Dauchingen, Ab- solvent der Schwenninger Feintechnikschu­ le mit anschließendem Ingenieurstudium in Furtwangen. Jahrelang war er im elterlichen Betrieb, dem „Gong-Wagner“, den Schwen­ ningern sicherlich nicht unbekannt, für die technische Betriebsleitung verantwortlich. Vor etwas mehr als sechs Jahren, mit neu­ en Ideen im Kopf, machte er sich auf, noch einmal im Leben etwas Neues zu wagen, ei­ ne eigene Firma zu gründen. Seine Idee oder Vision bestand darin, in einen Markt vor­ zudringen, der nicht bis in alle Nischen be­ setzt war, nämlich der Lasertechnik. Mit sei­ ner Strategie, Betriebe ohne eigene Laser­ technik bei fehlender Kapazität oder bei Engpässen in der Produktion mit modern­ ster Lasertechnologie zu unterstützen, mar- Schneider mit der Präzision des Lasers, die Firma Wagner in Dauchingen. 87

Kein Auftrag ist zu klein für Kurt Wagner. Auch wenn die „Lückenbüßer“ -Funktion zum Alltag eines Laserlohnbetriebes gehört, gerade in diesem Ni­ schengeschäft sieht der Firmen­ chef auch seine Stärken – und die Ertragslage gibt ihm Recht. Hier werden Implantatteile für die Kieferorthopädie und die Chi­ rurgietechnik geschnitten, VA­ Stähle, T itan und Wolfram, Ke­ ramik, Silizium und Aluminium für die Mikromechanik und die Elektrofeinmechanik bearbeitet und selbst Schmuckdesigner Die Mitarbeiter des Dauchinger Jobshops, in der Bildmifle Fir- menchefKurt Wagner. schiert das noch junge Dauchinger Unter­ nehmen, das quasi als „verlängerte Werk­ bank“ für Firmen der Region kleine Stück­ zahlen, Prototypen oder Nullserien produ­ ziert, auf einem kontrollierten Wachstums­ kurs. Laser-Schneidkopf mit dem fokussierten Laser­ strahl (l.inks). Mit seiner „prmkiförmigen, ver­ schleißfreien Schneide“ e,folgen präzise Schnifle. 88 zählen zu Wagners Kunden. überhaupt ist die Branchenvielfalt und das große Spektrum der Anwendungen typisch für den Laserbetrieb. Kurt Wagner: ,,Oft­ mals weiß ich nichts oder nur sehr wenig über die Funktion oder den späteren Einsatz der Teile.“ Viele Kunden sind ebenfalls Zu­ lieferbetriebe, so daß die endgültige Be­ stimmung der von ihm gefertigten Laserzu­ schnitte unbekannt ist. Wenn allerdings hin­ ter einem Auftrag ein Waffenproduzent steckt oder Rüstungsindustrie zu vermuten ist, wird man bei Wagner Lasertechnik sehr nachdenklich, denn Umsatz „um jeden Preis“ steht nicht auf der Flagge des Unter­ nehmens. Überaus flexibel und unkompliziert, ohne zeitaufwendige Arbeitsvorbereitung, wer­ den die Aufträge bearbeitet, denn in der Pra­ xis ist es gang und gäbe, daß ein Auftrag morgens eintrifft und bereits am Nachmit­ tag zur Abholung bereitsteht. Dabei setzt der agile Unternehmer in erster Linie auf sei­ ne qualifizierten Mitarbeiter, die ein effekti­ ves und zuverlässiges Abwickeln der Aufträ­ ge erst ermöglichen. Denn Teamwork ist bei Wagner keine Phrase sondern Alltag, starre Hierarchien sind verpönt. Modernste Bürokommunikationsmittel unterstützen dabei das Unternehmen. Zeichnungsdaten gelangen immer häufiger

als DXF-Files über Diskette, Modem oder ISDN in das CAD-System und werden dort zum NC-Programm generiert. Herzstück dieses Systems ist eine ausgeklügelte CAD/CAM-Software, die aus den Daten der Zeichnungs- und Technologie-Daten­ bank sowie mit der CAD-Zeichnung über den Postprozessor direkt das von verschie­ denen CNC-Maschinensteuerungen lesbare NC-Programm generiert. Sie wurde von ei­ nem Software-Unternehmen speziell für Kurt Wagners Ansprüche angepaßt und ent­ hält alle für die Laserbearbeitung erforderli­ chen technologischen Daten. Daß eine sol­ che Datenbank ständig um Erfahrungswer­ te erweitert werden kann und muß, versteht sich von selbst. Nicht ohne Stolz sieht sich die Wagner La­ sertechnik mit als Pionier in diesem Bereich; hat sich doch die CAD/CAM-Software durch diese ständige Weiterentwicklung zu einem bemerkenswerten und leistungsfähi­ gen Instrument für alle Bereiche der Laser­ bearbeitung gemausert. Inzwischen hat Kurt Wagner weiter expan­ diert. Mit 300 Watt Laserleistung hat er sein Spektrum nach oben hin erweitert. Natür­ lich geht es dabei in erster Linie um das Be­ arbeiten dickerer Materialien. Die Nachfra­ ge seiner Kunden hat dem Unternehmer ge­ zeigt, daß die Palette in Sachen Präzisions­ bearbeitung ein großes Potential bietet. Der kleine aber feine Jobshop hat sich bei der heimischen Industrie als Problemlöser für Präzisionsschnitte herumgesprochen und die Zahl der Anfragen und Aufträge steigt. Aber auch die Grenzen seiner Anlagen wa­ ren bald erreicht. So mancher Auftrag muß­ te in der Vergangenheit abgelehnt werden, wenn es darum ging, Teile aus dickeren Ble­ chen zu schneiden. Hauptkriterium ist hier­ bei die Schneidleistung. Kurt Wagner dazu: ,,Auch mit dem guten alten 50-W-Laser ha­ ben wir schon 2-mm-Bleche geschnitten, al­ lerdings geht die Schnittgeschwindigkeit dann rapide in die Knie. Wirtschaftlich ist das meist nicht mehr.“ Trotzdem lassen sich manche präzisen Teile nur auf der 50-W-An­ lage so fein fertigen. Auf der leistungsstär­ keren 300-W-Laseranlage würden die feinen, filigranen Stege und Konturen abbrennen oder ausglühen. Doch in Stückzahlen sieht Kurt Wagner nicht den Weg, den er gehen will. Sein Me­ tier bleibt nach wie vor der Präzisionslaser­ schnitt. Diese Nische hat er sich vor sechs Jahren gesucht und seinen Platz fest eta­ bliert. Klein, aber fein – dieses Stichwort charak­ terisiert nicht nur sehr treffend Wagner La­ sertechnik, Dauchingen, die bisherige Ge­ schäftsentwicklung hat auch deutlich ge­ zeigt, daß der Einstieg in das Laser­ feinschneiden die richtige Entscheidung war und einzureihen ist in erfolgreiche Firmen­ gründungen unserer Region – einerlei, ob sie vor über einhundert Jahren oder erst in jüngster Zeit erfolgt ist. Ob Rotor-!Stator-Scheiben, lsolierwerksteffe, lm­ plantatteile oder Krawaltennadeln mit dem Schwenninger Bären – die Teilevielfalt bestimmt den Alltag eines Lohnbetriebes. 89

Technologie-Park Villingen-Schwenningen Wertvolle Stütze für Jungunternehmer bei der Existenzgründung Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde in Villingen-Schwenningen darüber dis­ kutiert, sogenannte Ge­ werbehöfe für Jung­ unternehmen einzu­ richten. Greifbare Ergebnisse wurden nicht erzielt. Erst als 1994 die „Wirtschaftsförderungs­ gesellschaft Villingen-Schwen- ningen GmbH“ gegründet und seit 1. 7. 1994 auch personell mit Leben erfüllt wurde, ist der Überlegung zu einem Technologie-Park wieder näher getre­ ten worden. Dr. Rolf Wagner und Ge­ schäftsführer Rainer Bergmann traten an die Wirtschaftsfördemngsgesellschaft Villingen­ Schwenningen GmbH mit einem Angebot heran, das die seitherige Überlegung einer zur Verfügungstellung von Immobilien bei weitem übertraf Die Überlegung ging da­ hin, daß technologisch orientierten Jungun­ ternehmen neben den Räumlichkeiten auch qualifizierte Dienstleistungen, die die Deut­ schen Thomson-Brandt GmbH durch ihre Labors und deren Einrichtungen anbieten kann, zur Verfügung gestellt werden sollte. Dies war ein Novum und ging über die An­ gebote sonstiger Unternehmen hinaus, alt­ gediente Fabrikhallen für solche Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot wurde im Aufsichtsrat und im Gesellschafterkreis der Wirtschaftsförde­ rungsgesellschaft Villingen-Schwenningen GmbH (Wifög) besprochen, und man kam dabei zu dem Ergebnis, daß eine solche Ein­ richtung nicht lediglich auf die Stadt Villin­ gen-Schwenningen begrenzt, sondern auch einem über die Stadt hinausreichenden Nut­ zerkreis zur Verfügung stehen solle. Dies war dann der Grund dafür, daß die Technologie­ Park-Villingen-Schwenningen GmbH recht­ lich verselbständigt wurde. Aus vorgenann- 90 tem Gedanken heraus konnte Landrat Dr. Gutknecht für diese Idee gewonnen werden, und nach einer Vorstellung des Projek­ tes im Kreistag, erklärte sich der Schwarzwald­ Baar-Kreis bereit, bei dieser GmbH Gesell­ schaftskapital zu zeichnen. Seit Januar 1996 wird die Tech- nologie-Park Villingen-Schwen­ ningen GmbH von folgenden Gesellschaf­ tern getragen: Wirtschaftsförderungsgesell­ schaft Villingen-Schwenningen GmbH (Wifög), Sparkasse Villingen-Schwennin­ gen, Schwarzwald-Baar-Kreis, Deutsche Thomson-Brandt GmbH, Volksbank eG in Villingen-Schwenningen, Schwenninger Volksbank in Villingen-Schwenningen. Bereits im ersten Geschäftsjahr 1995 konn­ ten 18 Unternehmen in diesen Technologie­ Park einziehen. Zum April 1996 haben die­ se Unternehmen 75 Mitarbeiter beschäftigt und belegen eine Fläche von ca. 4 000 1112. Das erste Jahr war gekennzeichnet von sehr intensiver Aufbauarbeit, wobei sich dann, wie stets bei solchen Projekten, sehr viel Kleinarbeit im Detail anhäufte, mit der so im vorhinein nicht zu rechnen war. Im März 1995 konnte im Kreistagssaal des Verwal­ tungsgebäudes des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses ein Existenzgründertag durchgeführt werden, der großen Anklang fand. Einige Teilnehmer dieser Veranstaltung sind bereits in den Technologie-Park eingezogen, mit weiteren bestehen intensive Kontakte für ei­ nen Tagungstermin. Das Leistungsangebot Die Technologie-Park Villingen-Schwen­ ningen GmbH wurde gegründet, um tech-

nologieorientierten Firmengründern bzw. technologieorientierten Jungunternehmen eine erste Bleibe zu schaffen und ihnen wei­ tere Hilfe beim Start in die wirtschaftliche Tätigkeit zu geben. Demzufolge wendet sich diese Einrichtung an einen Personenkreis, der die in Villingen-Schwenningen und der Region ansässigen Bildungs- und For­ schungseinrichtungen in Anspruch nimmt und mit diesen kooperieren kann. An erster Stelle sei das Institut für Mikro­ und Informationstechnik genannt, aber auch die Fachhochschule in Furtwangen bie­ tet hier wertvolle Ansatzpunkte. Eine enge Zusammenarbeit wird ebenfalls praktiziert mit der am Ort ansässigen Steinbeis-Stif­ tung, desweiteren mit solchen Transferzen­ tren der Stiftung, die in der Region behei­ matet sind. Ziel der Einrichtung ist, wie eingangs erwähnt, den Jungunternehmen neben den reinen Räumlichkeiten ein quali­ fiziertes Dienstleistungsangebot zu bieten. Neben der Möglichkeit, Büro-, Produktions­ und Lagerräume maßgeschneidert für den Unternehmenszweck zeitlich wie räumlich variabel anzumieten, bietet die Technolo­ gie-Park Villingen-Schwenningen GmbH u. a. folgenden Dienstleistungsservice: 1) Telefonservice 1) Beratung und Vermittlung in allen Unternehmensfragen 1) Organisation von Hausmessen 1) Sicherheitsdienst 1) Werkschutz-/ Umweltschutz-/ Sicherheitsbeauftragter 1) Vermittlung von Kontakten zu Mikroinstitut / FH Furtwangen / Steinbeis Transfer Zentrum Vom Konzept her ist daran gedacht, die Jungunternehmen für die Zeitdauer von 6 Jahren im Technologie-Park zu fördern. Über die Wirtschaftsförderungsgesellschaft sollen diese Unternehmen in der nachfol- genden Zeit begleitet werden. So kann über die Wifög ergänzende Hilfestellung geboten werden bei der Suche neuer Räume oder sonstiger unternehmerischer Beratung über diesen Anfangszeitraum hinaus. Ein Ausblick Nach der Startphase der Technologie-Park Villingen-Schwenningen GmbH, die einen sehr guten Zuspruch bei den technolo­ gis;h orientierten Jungunternehmen gefun­ den hat, ist daran gedacht, im Rahmen der Existenzgründungsoffensive des Landes Ba­ den-Württemberg auch eine zweite Schiene in den Technologie-Park einzuziehen. Exi­ stenzgründern im konventionellen Bereich wird ab sofort auch die Möglichkeit gebo­ ten, sich in diesem Park niederzulassen. Da­ mit werden weitere Dienstleister, aber auch Handwerker, angesprochen. Mit diesem erweiterten Personenkreis läßt sich die Grundidee weiter formen, sie sieht vor, daß die Unternehmen im Park eine Ge­ meinschaft bilden, die sie nach außen hin so präsentiert und die sich gegenseitig befruch­ tet. Nur wenn in diesem Technologie-Park eine Mischung von verschiedenen Sparten wie auch unterschiedlich strukturierten Un­ ternehmen vorhanden ist, wird sich aus dem Park heraus neues Leben entfalten können. Insgesamt gesehen, dürfte diese Einrich­ tung eine wertvolle Stütze sein in der Un­ terstützung des Technologietransfers und Nucleus für neue Ideen, die die Region in wirtschaftlicher Hinsicht befruchten kön­ nen. Weitere Einzelheiten zu dem Angebot an Räumen und Dienstleistungen im Techno­ logie-Park sind zu erfragen bei Herrn Bir­ baum Tel.: 07721 /85-3170 oder Herrn Kön­ geter Tel.: 07720/82-1051. Ulrich Köngeter 91

Für Anforderungen der Zukunft gerüstet Die Pumpenfabrik Scherzinger besteht seit 60 Jahren Im Mai 1997 kann die Pumpenfabrik Scherzinger in Furtwangen auf ihr 60jähri­ ges Bestehen zurückblicken. Schon einige Zeit vor dem Start in die Selbständigkeit hatte sich der Firmengründer Ernst Scher­ zinger intensiv mit Pumpen und Zahnrä­ dern befaßt: als Meister des bekannten Furt­ wanger Herstellers von Verzahnungsmaschi­ nen, der Fa. Köpfer, gehörten Pumpenaus­ fälle und Schmierprobleme zu seinem Berufsalltag. Nach Feierabend versuchte Ernst Scher­ zinger – oft bis spät in die Nacht hinein – in einem zur Werkstatt umfunktionierten klei­ nen Gartenhäuschen in der Nähe der Fuß­ gänger-Brücke zur Firma Köpfer, die Pro­ bleme zu lösen. Diese Arbeiten wurden dann im Keller des zwischenzeitlich erwor- benen Wohnhauses fortgesetzt, auch schon mit Hilfe erster Arbeitskräfte. Zusammen mit den erforderlichen Kenntnissen in der Fertigungstechnik präziser Teile bildeten diese Erfahrungen die wesentliche Grundla­ ge für eine Existenzgründung – für eine ei­ gene Firma. Nachdem die Kellerräume zu klein gewor­ den waren und 1936 ein Werkstattanbau an das Wohnhaus angegliedert wurde, folgte 1937 die Eintragung der eigenen Firma in das Handelsregister: ,,Pumpen-Scherzin­ ger“, wie die Firma auch heute noch gerne genannt wird, war gegründet. Es folgte ein rasches Wachstum: gestützt durch den Kauf neuer Maschinen, rege Ent­ wicklungstätigkeit der ersten Typenreihe so­ wie lebhafte Verkaufsaktivitäten – im we- Das Hauptgebiiude der Firmfl Scherzinger in Furtwangen. 92

sentlichen über einen Vertreter in den damaligen Kerngebieten des Maschinenbaus Berlin und Sachsen­ Thüringen. 1939 zählte die Firma Scherzinger bereits 23 Beschäftigte. Neben Elektro-Zahnradpumpen und Zentrifugalpumpen wurden ab 1938 auch Lagerringe und Kettenrä­ der gefertigt. Für Fahrräder, wie es hieß – in Wirklichkeit jedoch für die JU 88, wie sich erst später heraus­ stellte. Bereits 1941 wurde es zu eng in der Bregstraße. Im Gebäude der ehema­ ligen staatl. Schnitzereischule am Marktplatz 3 (heute: Fachhochschu­ le Furtwangen) bezog man deshalb Erdgeschoß und 1. Stock – lediglich Härterei und Werkzeuglager verblie­ ben in der Bregstraße. Mit 60 Mit­ arbeitern wurden 1941 über 10 000 Pumpen in 16 verschiedenen Aus- Auch die Ausbildung 1uird bei Scherzinger großgeschrieben, führungen gefertigt, dazu über hier an einer Drehmaschine. 30 000 andere Einzelteile; sehr bald wurde die Fertigung auch auf das 2. Ober­ geschoß der Schnitzereischule ausgedehnt. Die sehr unruhige Zeit des Zweiten Welt­ krieges erfaßte auch die Pumpenfabrik Scherzinger. Obwohl für einige Mitarbeiter die „UK-Stellung“ erwirkt werden konnte, wurden immer mehr Betriebsangehörige zum Kriegsdienst eingezogen. Freigeworde­ ne Plätze wurden mit Dienstverpflichteten aus Belgien und Holland besetzt, kriegsge­ fangene Franzosen und Italiener wurden zwangszugeordnet. Eine 1 O- l 2stündige täg­ liche Arbeitszeit wurde besonders in den Jahren 1944/45 immer wieder unterbrochen durch Fliegerangriffe auf die Gebiete Ulm/München/Stuttgart. Diese auch im Oberen Bregtal unruhige Nachkriegszeit mit Ausgehverboten, Plün­ derungen und Einquartierungen von Besat­ zern, wurde für den Firmengründer und sei­ ne Familie noch überschattet von der Nach­ richt über den Tod des einzigen Sohnes und Firmennachfolgers, Erich Scherzinger, der am 23.4.1945 – also kurz vor Kriegsende – bei Berlin gefallen war. triebseinrichtung: fast 30 Werkzeugmaschi­ nen wurden demontiert und mit noch la­ gerhaltigen Einzelteilen, Werkzeug und Zu­ behör nach Frankreich transportiert. Fünf Tage vor der kampflosen Übergabe der Stadt Furtwangen an die Franzosen wurde am 23. 4.1945 der Betrieb geschlos­ sen. Den ersten Beschlagnahmungen nahe­ zu aller wichtigen Güter des täglichen Le­ bens folgte in den Jahren 1946 und 1947 die nahezu vollständige Demontage der Be- Da nach dem Krieg die ehemaligen Ab­ satzgebiete verloren waren und 1947 mit ei­ ner kleinen Belegschaft noch 855 Pumpen gefertigt wurden, beschloß Ernst Scherzin­ ger die EntwickJung und Fertigung von klei­ nen Mechaniker-Tischdrehbänken. In den folgenden drei Jahren wurden knapp 300 Maschinen gebaut, bevor es gelang, im west­ deutschen Gebiet neue Märkte für Pumpen – dem angestammten Kerngeschäft – zu er- 93

Eine Auswnhl vo11 Sonderpumpen für die vielfältigsten Einsatzmöglichkeiten. obern. Die anfangs durch Rationierung äußerst problematische Materialbeschaf­ fung wurde wieder einfacher, aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrte Arbeitskräfte konnten eingestellt werden, eine allmähli­ che Stabilisierung der Lage ermöglichte An­ fang der 50er Jahre wieder ordentliches Pro­ duzieren und Wirtschaften. Die Serienferti­ gung der inzwischen verbesserten Baureihe außenverzahnter Zahnradpumpen in Fuß­ und Flanschausführung sowie mit Elektro­ motor ausgestattet, konnte wieder aufge­ nommen werden. Sie wurden in den 50er und 60er Jahren ergänzt um eine Baureihe innenverzahnter Heizölpumpen, von de­ nen in den Zeiten bester Absatzmöglichkei­ ten bis zu 2 000 Stück monatlich verkauft wurden. Nach dem plötzlichen Tod des Firmen­ gründers Ernst Scherzinger, der 1973 uner­ wartet aus einem arbeitsreichen Leben ge­ rissen wurde, übernahm sein langjähriger Mitstreiter und Betriebsleiter Herbert Gan­ ter die Geschäftsführung und führte die Un- ternehmenspolitik konsequent fort. Das 1955 auf dem jetzigen Werksgelände errich­ tete Gebäude wurde zwischenzeitlich vier­ mal erweitert. Der Einzug NC-gesteuerter Maschinen in die Fertigungstechnik, der Einsatz von EDV in Verwaltung und Engineering sowie eine strikte Orientierung des Pumpenprogramms an den Bedürfuissen des Marktes und den Anforderungen der Kunden, waren Eckpfei­ ler fortschrittlicher Unternehmensführung in den folgenden Jahren. Sie führten zu ei­ nem Ausbau des Produktprogramms und ei­ ner umfangreichen Gruppe maßgeschnei­ derter Sonderpumpen für namhafte Kun­ den. So konnte Herbert Ganter 1988 an den Enkel des Firmengründers, Erich Willimsky, die Leitung eines modernen und gesunden Unternehmens übergeben. Heute präsentiert sich die Pumpenfabrik Scherzinger mit über 90 Mitarbeitern und einem Produktionsprogramm von rund 100 000 Pumpen pro Jahr in über 500 ver- 94

schiedenen Ausführungen als einer der Marktführer auf dem Sektor Zahnradpum­ pen. Das angestammte Geschäft der Pum­ pen für Öle und schmierende Medien stellt noch immer den Hauptanteil: seien es Schmierpumpen im Motor des bekannte­ sten deutschen Sportwagens oder KJein­ Brennstoffpumpen in Standheizungen für Omnibusse. Noch immer ist die Werkzeug­ maschinenindustrie wichtiger Abnehmer; in der Heizungstechnik werden Spezialisten wie z.B. Hersteller ölgefeuerter Kachelofen­ einsätze beliefert. Längst wurden jedoch die früher nur in Grauguß oder Aluminium gefertigten Pum­ pen ergänzt um Edelstahlpumpen für Che­ mie und Labor. Säurebeständige Sonderle­ gierungen und verstärkte Spezialkunststoffe werden heute auf den modernen Ferti­ gungseinrichtungen bei Scherzinger verar­ beitet. Magnetgekuppelte Spezialpumpen fördern vollentsalztes Wasser in Kühlkreis­ läufen von Analysegeräten. Komponenten für Gasturbinen von Scherzinger sind heute weltweit im Einsatz. In der Solartechnik, in medizinischen Geräten sowie auf dem Um­ weltsektor finden Scherzinger-Pumpen zu­ kunftsträchtige Anwendungsfelder. Einern qualifizierten Mitarbeiterstamm stehen ein PPS-System der zweiten Genera­ tion, CAD in der Konstruktion, NC-Tech­ nik in der Fertigung und ein fortschrittlich­ es �alitätsmanagementsystem zur Verfü­ gung. Vertretungen in fast allen Ländern Europas sowie Partner in Nahost und Fernost arbei­ ten mit und für Scherzinger – zum Teil schon seit Jahrzehnten. Die Erschließung neuer Kunden und Märkte bildet einen Schwerpunkt zukunftsorientierter Unter­ nehmenspolitik. Mit einem ausgewogenen Fertigungspro­ gramm, Mut zu Neuem kombiniert mit 60 Jahren Erfahrung und einem offenen Ohr für Probleme und Wünsche der Kunden ist „Pumpen-Scherzinger“ gerüstet für die An­ forderungen der Zukunft. Standardpumpen in Fuß- und Flanschauifülmmg sowie mit Motor. 95

Wirtschaftsgeschichte Grundstein zu Weltunternehmen gelegt Christian Steidinger gründete die Firma Dual Tüftlergeist, unendliche Geduld, Spürsinn, Erfindungsgabe und Fleiß ließen im vorigen Jahrhundert in den Heimwerkstätten der Schwarzwälder Bauern wahre technische Meisterleistungen entstehen. Damals wurde der Grundstein für eine blühende Industrie gelegt, die unserer Heimat über Jahrzehnte hinweg Arbeit und Wohlstand bescherte. In jene industriellen Gründerjahre zurück­ reichen auch die Anfange zahlreicher Un­ ternehmen, die noch heute das Gesicht der heimischen Industrie mitprägen, auch wenn die wirtschaftlichen Probleme der vergange­ nen Jahre manchen dieser traditionsreichen Betriebe ausgelöscht haben. Ein typisches Beispiel für Aufstieg und Niedergang einer Firma ist die Ge­ schichte der St. Georgener Dual­ Werke. Sich aus bescheide­ nen Anfängen heraus zu ei­ nem Unternehmen mit Weltgeltung entwickelt und schließlich in Zei­ ten des strukturellen Umbruchs unterge­ gangen – so läßt sich mit wenigen Wor­ ten die Entwicklung von Dual skizzie­ ren. Der Grundstein zu solchen Betrie­ ben wurde fast im­ mervon fleißigen und findigen Tüftlern ge­ legt, die es schafften, mit ihrem Erfindungsreich­ tum den anderen stets ein Stück weit voraus zu sein. Eine 96 dieser bedeutenden Unternehmerpersön­ lichkeiten war der St. Georgener Christian Steidinger, der Gründer der später welt­ berühmten Firma Dual. Die Vorfahren von Christian Steidinger hatten ihre Heimat im Grumpenloch im Stockwald, jenem großen Waldgebiet zwi­ schen St. Georgen und Unterkirnach. So­ weit die Erinnerung zurückreicht, wurden dort Uhren und Uhrmacherwerkzeuge her­ gestellt, hinzu kamen Nadeln für Spindel­ bohrer. Die erste Spindelbohrmaschine mit Teilscheibe zum Bohren der Hohltrieb­ stöcke für Schwarzwalduhren wurde dort er­ funden. Die ganze Familie war in der Heim­ industrie tätig. Die Geheimnisse der von ihr erdachten Erfindungen wurden streng gehütet. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hei­ ratete dann einer der Steidinger-Söhne Ma­ ria Fleig aus St. Geor­ gen und bezog mit ihr ein Haus in der „unteren Türkei“ in St. Georgen. Aus ih­ rer Ehe g111gen sechs Kinder her­ vor, vier Töchter und zwei Söhne, Josef und eben Chri­ stian. Er kam 1873 zur Welt und sollte in späteren Jahren Erfin­ dungen machen, die sei- Firmengriinder Christinn Steidinger

Ansicht der Fabrikanlage in der Luisen-, Leopold- und Sommerau-Straße, wie sie lange Zeit das Brief­ papier des Unternehmens Dual und andere Werbeträger schmückte. nen Kleinbetrieb zur Weltfirma werden ließen. Beide Söhne erlernten bei ihrem Vater das Werkzeugmacherhandwerk und auch ihnen schien das Geschick und der Tüftlergeist der Steidinger-Familie im Blut gelegen zu ha­ ben. Doch zunächst machten sie darüber­ hinaus auch durch ihr gesellschaftliches Engagement auf sich aufmerksam. 1888 gründete Christian zusammen mit seinem Bruder den Arbeitermusikverein, dem die beiden abwechselnd als Dirigenten vorstan­ den. Auch in der Gemeinde- und Parteipo­ litik fanden Christian und Josef ein reiches Betätigungsfeld. Doch bereits 1892 machte Christian mit ei­ ner Erfindung Schlagzeilen: Den Spezial­ auftrag einer Schramberger Uhrenfirma er­ füllte er so schnell und akurat, wie dies bis­ lang unmöglich war. Es war ihm gelungen, ein neues Werkzeug zu entwickeln, mit dem Lagerzapfen in einem Sechstel der bisheri­ gen Arbeitszeit hergestellt werden konnten. Der berühmte „Fräskopf mit Buchs und Messerle“ war geboren. An besagtem Auf­ trag verdiente er damals 20 Goldmark pro Tag – eine stattliche Summe. Im Spätjahr 1897 heiratete Christian Ma­ ria, die Tochter des Schreiners Rosenfelder. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter und sie­ ben Söhne hervor. Christian zog damals mit seiner Frau in das Haus seiner Schwieger­ mutter und richtete sich dort eine eigene Werkstatt ein. Schon ein Jahr später gab es jedoch den ersten Rückschlag. Ein Kunde stellte sämtliche Aufträge ein. Die Behaup­ tung, die Lieferungen seien mangelhaft, wa­ ren nur vorgeschoben. Der wahre Grund war vielmehr Steidingers Zugehörigkeit zur liberalen Partei, während sein Auftraggeber zu den Konservativen gehörte. In dieser Lage machten sich wieder einmal Christian Steidingers Ehrgeiz und Findig­ keit bezahlt. Er nahm den Auftrag eines Tri­ berger Unternehmens für Wassermeßuhren an und verpflichtete sich, wöchentlich 12 000 Räder zu liefern, eine Stückzahl, die damals unerreichbar schien. Wenig später erhöhte Steidinger die Zahl der gelieferten Räder gar auf 25 000. Die Mithilfe seines Bruders, einiger Bekannter und vor allem seine Erfindung, das „Buchs und Messerle“, ermöglichten diesen Kraftakt. Mit den ei­ sern gesparten Gewinnen aus seinen Aufträ- 97

nötigen Kredite. So gaben Christians alte Freunde aus dem Stockwald das nötige Startkapital: der Kammermi­ chelsbauer, der Bäckermeister Stock­ burger und der Eckenbauer Gottlieb Heinzmann. Doch schon bald waren die ersten Hürden genommen. Als die Grammophonlaufwerke 1908 auf der Leipziger Frühjahrsmesse ausgestellt wurden, war der Erfolg durchschla­ gend. Eine wahre Auftragsflut brach herein und 1909 mußte das Fabrikge­ bäude erstmals erweitert werden. Durch Neuschöpfungen im Bereich der Laufwerkproduktion wuchs die Nachfrage nach den Produkten des St. Georgener Unternehmens weiter an. Allein fur das „Laufwerk Nr. 5″ ging Blick in die Produktionsanlage, 1903 wurden alle Ma- ein Auftrag über 25 000 Stück ein und das bei einer monatlichen Kapazität schilun auf elektrischen Betrieb umgestellt. von 5 000. Waggonweise wurden vom Bahnhof Bandeisen für die Laufwerkplati­ nen herangeschafft. Die steigende Zahl der Aufträge machte abermals eine Erweiterung der Fabrikgebäude notwendig, ein Seiten­ flügel mit Flachdach entstand. Damals stan­ den bereits rund 80 Mitarbeiter bei den Stei­ dingers in Lohn und Brot. Das Jahr 1911 brachte die Trennung der beiden Brüder. Nach einigen Reibereien schied Josef aus dem Betrieb aus und richte­ te in der Sägemühle am Bahnhof eine eige­ ne Laufwerksproduktion ein, die später un­ ter dem Namen Perpetuum-Ebner (PE) fir­ mierte und ebenfalls zu den bedeutendsten Unternehmen seiner Branche aufstieg. Doch zurück zu Christian Steidinger. Mit großen Anstrengungen überwand er die Schwierigkeiten der Trennung. Große Auf­ träge konnten an Land gezogen werden, da­ von viele aus Rußland. Doch bereits wenig später machte der Ausbruch des Ersten Welt­ krieges alle Erfolge zunichte: Rußland wur­ de Feindesland. Nach der Mobilmachung ist der Betrieb bis auf die Frauen und weni­ ge ältere Männer verwaist. Doch Christian Steidinger gab nicht auf. So gelang es ihm, gen baute Christian Steidinger im Jahre 1900 ein eigenes, dreigeschossiges Wohn­ haus in der Sommerauer Straße in St. Geor­ gen mit großer Werkstatt. Acht Mitarbeiter wurden eingestellt und die Fabrikation von Wassermeßrädern, Stahl- und Messingan­ kern, Balance-Wellen und anderen Teilen für die Uhrenfertigung wurde vorangetrieben. 1903 wurden alle Maschinen auf elektri­ schen Betrieb umgestellt. Die Aktivitäten und Aufträge wurden im Laufe der Zeit immer umfangreicher. Bruder Josef, der bislang eine eigene Werkstatt be­ trieben hatte, wagte den Zusammenschluß mit Christian zum 1. August 1906. Im glei­ chen Jahr wurde auch ein neues Fabrikge­ bäude in der Leopoldstraße fertiggestellt. Zum l. Februar 1907 entstand die gemein­ same Firma „Gebrüder Steidinger, Fabrik fur Feinmechanik“. Ab Ende 1907 nahm sich der Betrieb dann allmählich des Produkts an, das ihn später weltberühmt machen sollte: der Herstellung von Grammophonlaufwerken. Die Banken waren dem Unterfangen allerdings kritisch gegenübergestanden und verweigerten die 98

Stück angewachsen. Kurz darauf wurde wie­ der eine Premiere gefeiert: die Dual-Moto­ ren wurden mit magnetischen Tonabneh­ mern und vollautomatischen Ausschaltern zu einer Einheit zusammengebaut. Die Stunde des Dual-Plattenspielers war gekom­ men. In dieser Stunde des Erfolges zog sich Christian Steidinger 1933 aus dem Geschäft zurück. Er übergab den Betrieb an einen Stab von Mitarbeitern, bei denen er das Un­ ternehmen in besten Händen wußte. Zu­ dem übernahmen seine Söhne entsprechen­ de Positionen in der Firma: Christian in der Werkzeug- und Maschinenkonstruktion, Oskar im kaufmännischen Bereich, Richard in der Montage, Willi in der Schreinerei, Er­ win im Verkauf, Siegfried als Betriebsinge- Aufträge für kriegswichtige Hufstollen für Pferdehufeisen zu bekommen. Ein weiterer Auftrag über fünf Millionen Laderahmen für das „Infanteriegewehr 88″ sicherte dar­ überhinaus die Existenz des Unternehmens. Schon 1917 mußte der Betrieb erneut ver­ größert werden, ein Anbau für die Mechanik und für Heeresaufträge wurde erstellt. Mit dem Jahre 1919 begann schließlich wieder die Normalisierung. Die Produktion vom Grammophonlaufwerken wurde wie­ der aufgenommen. Damals erhielt die Firma die Rechtsform einer GmbH mit den Geschäftsführern Christian Steidinger und Moritz Diegel, der 1917 in das Unterneh­ men eingetreten war. In jener Zeit machte Christian Steidinger auch die Bekanntschaft vom Emil Knecht, dem Betriebsleiter einer großen Berli­ ner Laufwerkfabrik. Es gelang ihm, Knecht als Generalvertreter für Berlin zu gewinnen und ihn als Berater und Mitarbeiter bei Neuentwicklungen zu verpflichten. Das Unternehmen ent­ wickelte sich auch weiterhin rasant. Die Nachfrage nach Grammophonlaufwer­ ken nahm derart zu, daß 1923 ein er­ neuter Erweiterungsbau errichtet wer­ den mußte. Schon 1925/26 mußten die Kapazitäten erneut vergrößert wer­ den, ein Anbau in der Luisenstraße wurde hinzugefügt. Nach einer kurzen Talsohle ging es schon bald wieder rasant aufwärts, täg­ lich wurden 1500 Laufwerke gefertigt. 1927 präsentierte die Firma eine aufse­ henerregende Neuheit: einen Gram­ mophonantrieb aus der Kombination von Federlaufwerk und Elektromotor. Dieses zweifache, eben duale System war es, das dann ab 1935 das noch heute populäre Dual-Markenzeichen prägte. Mit Hochdruck wurde die Entwick­ lung vorangetrieben. 1928 kamen be­ reits fünf neue Modelle auf den Markt, die tägliche Produktion war auf 10 000 Die Nachfrage nach Grammophonlaufwerken war derart groß, daß sie Dual eine ständige Aufwiirtsentwicklung bescherte. Zumal als im Jahr 1927 erstmals ein Elektro­ motor zum Einsatz kam. 99

nieur und Schwiegersohn Kurt Anton im Einkauf. Emil Knecht übernahm die Ent­ wicklungsabteilung. 1937 starb Christian Steidinger in der Ge­ wißheit, daß die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft des Werkes erfüllt wa­ ren. Noch im gleichen Jahr wurde seinem Sohn Oskar die kaufmännische Leitung übertragen, den technischen Bereich über­ nahm sein Sohn Siegfried. Mit Begabung, Fleiß, Verantwortungsbe­ wußtsein und Menschenkenntnis hatte Christian Steidinger damit den Grundstein zu einem Unternehmen mit Weltgeltung ge­ legt, das noch über Jahrzehnte rasant wuchs und Mitte der l 970er Jahre rund 3 000 Men­ schen beschäftigte, ehe der Konkurs 1981 die Firma faktisch auslöschte. In den einsti­ gen riesigen Fabrikgebäuden haben sich mittlerweile zahlreiche kleine, innovative Betriebe angesiedelt. In der Keimzelle von Dual, dem ehemaligen Werk 1, wird mitt­ lerweile im Technologiezentrum getüftelt und geforscht. Dort lebt der Schwarzwälder Pioniergeist weiter, aus welchem heraus Ein friiher Plallenspieler der Marke Dual. auch das Markenzeichen Dual entstand und von St. Georgen aus die Welt eroberte. Jochen Schul/heiß 100

Persönlichkeiten der Heimat Ein Bürgermeister aus kommunalpolitischem Urgestein Ministerpräsident Eiwin Teufel nannte ihn einen „stets verläßlichen Partner und Freund“, Landrat Dr. Rainer Gutknecht be­ zeichnete ihn als „echten Vater seiner Stadt“, und sein Nachfolger im Amt als Bürger­ meister, Wolfgang Scherge!, beschreibt ihn gar als „kommunalpolitisches Urgestein“, also als Kommunalpolitiker von echtem Schrot und Korn. Die Rede ist vom früheren Bürgermeister der drittgrößten Stadt des Schwarzwald-Baar-Kreises, Günter Lauffer, der nach 24jähriger Dienstzeit im Sommer 1992 in den wohlverdienten Ruhestand ver­ abschiedet worden ist. Seine Abschiedsfeier in der vollbesetzten Stadthalle auf dem Roßberg geriet zu einer gut vierstündigen Laudatio auf einen Mann, der wie kaum ein anderer vor ihm in St. Ge­ orgen Akzente gesetzt und die Entwicklung der Bergstadt maßgeblich bestimmt hat. Sei­ ne Verdienste um die Menschen, vor allem auch im ehrenamtlichen Bereich, wurden bei seiner Verabschiedung mit dem Bundes­ verdienstkreuz 1. Klasse belohnt. Im Auf­ trag des Bundespräsidenten nahm der Mi­ nisterpräsident des Landes Baden-Württem­ berg die Ehrung vor und übergab das Bun­ desverdienstkreuz nebst Urkunde unter großem Beifall der Festversammlung. Die höchste Auszeichnung und Ehre, die eine politische Gemeinde vergeben kann, ist die Ehrenbürgeiwürde. Diese Würde verlieh die Stadt St. Georgen -nach einem einstimmi­ gen Beschluß des Gemeinderats -ihrem ehemaligen Bürgermeister. Wolfgang Scher­ ge! sah darin ein Zeichen der Verehrung und des Dankes der Bürgerinnen und Bürger. Daß Günter Lauffer einmal der am läng­ sten amtierende Bürgermeister in der Ge- Günter Lau.fffr Günter Lauffer – ein stets verläßlicher Partner schichte der Stadt St. Georgen werden könn­ te, war ihm am 5. Mai 1928 in Schwennin­ gen a. N. gewiß nicht in die Wiege gelegt worden. Er hatte zwar veiwandtschaftliche Beziehungen nach St. Georgen, aber seine berufliche Laufbahn wies nicht in Richtung Kommunalpolitik. Nach dem Studium der Rechts-und Staatswissenschaften an der Universität Freiburg war Günter Lauffer ei­ nige Jahre als Referendar am Landgericht Rottweil, danach Rechtsanwalt in Schwen­ ningen, später Assessor im baden-württem­ bergischen Justizdienst am Landgericht Ra­ vensburg und dann Staatsanwalt in Hechin­ gen, Rottweil, Donaueschingen und schließ­ lich Amtsrichter in Villingen. 101

In diesen Jahren schälte sich bei dem en­ gagierten Volljuristen die Erkenntnis heraus, daß das Leben nicht nur daraus bestehen sollte, sich bei Gericht vorwiegend nur mit negativen Seiten menschlicher Verhaltens­ weisen zu befassen. Deshalb nutzte er 1968 die Chance zum „Absprung“ und bewarb sich mit weiteren 16 Kandidaten um das Bürgermeisteramt in St. Georgen. Aus der Stichwahl ging er erfolgreich hervor und un­ termauerte das Vertrauen der St. Georgener Wahlbürger nach acht bzw. 16 Jahren mit eindrucksvollen Ergebnissen. Als der frischgebackene Bürgermeister am l. August 1968 sein Amt antrat, waren die Zukunftsperspektiven der Stadt St. Georgen verheißungsvoll. Die örtliche Wirtschaft – vor allem die Industrie – entwickelte sich dank des Einsatzes und des Fleißes der Ar­ beitnehmer und der Unternehmer und ge­ stützt durch eine gute Konjunktur sehr positiv. So konnte Günter Lauffer in Über­ einstimmung mit einem weitsichtigen Ge­ meinderat die von seinem Vorgänger einge­ leiteten Projekte zur Verbesserung der Infra­ struktur zügig weiterführen und eine ganze Reihe neuer Maßnahmen in die Wege leiten und realisieren. Seine Ideen und seine Tat­ kraft brachten St. Georgen gut voran, und manche Projekte seines Lebenswerks wur­ den zum Vorbild für andere Kommunen in der näheren und weiteren Umgebung. Der Bau des neuen Rathauses leitete die spätere Stadtkernsanierung ein. Der moder­ nistische Baustil des neuen Stadtzentrums mit Flachdächern und viel Beton war aller­ dings nicht Lauffers Idee. Hier mußte er sich einer knappen Mehrheit im Gemeinderat beugen. Schon 1970 begannen im Rahmen der Ge­ meindereform die Gespräche mit den Nach­ bargemeinden. In einem fairen Miteinander gelang es dem St. Georgener „Schultes“, das frühere Kirchspiel St. Georgen zusammen­ zubringen und die Verhandlungen mit den selbständigen Gemeinden Brigach, Langen­ schiltach, Oberkirnach, Peterzell und Stock- 102 burg zu gegenseitiger Zufriedenheit zu En­ de zu führen. Planung und Bau des Bildungszentrums mit Sport- und Schwimmhalle, der Stadt­ halle, der großen Zentralkläranlage in Peter­ zell, neuer Kindergärten im Zentral- und im Außenbereich, die Erschließung neuer Bau­ gebiete, die grundlegende Sanierung des Krankenhauses als Haus der Grundversor­ gung, alle diese Projekte tragen die Hand­ schrift Günter Lauffers. Das soziale Engagement des St. Georgener Bürgermeisters bewies sich beispielhaft in der Gründung der Sozialstation als Modell­ station. Als langjähriger Vorsitzender dieser Einrichtung verstand er es, ein tragfähiges Modell hauptamtlicher Dienste und ehren­ amtlicher Aufgaben zu schaffen. Als Anfang der achtziger Jahre der Nieder­ gang der Unterhaltungselektronik eingeläu­ tet wurde, die Weltfirma DUAL in Konkurs ging und viele St. Georgener und Einpend­ ler ihre Arbeitsplätze verloren, sorgte Gün­ ter Lauffer dafür, daß – im Zusammen­ wirken mit den politischen Stellen im Land und der örtlichen Industrie – ,,die Lichter in St. Georgen nicht ausgingen.“ Seiner Be­ harrlichkeit ist es zu verdanken, daß die Bergstadt heute eines der bekanntesten und leistungsfähigsten Technologiezentren von Deutschland in ihren Mauern beherbergt. Diese Tat ist in erster Linie als eine Antwort auf die Herausforderungen der neuen Indu­ strieentwicklung zu verstehen. Die Betreuung und Eingliederung der vie­ len ausländischen Gastarbeiter und ihrer Fa­ milien lag dem weitblickenden Kommunal­ politiker ebenfalls sehr am Herzen. Er sah die Ausländer stets als gleichberechtigte Partner an, half ihnen bei der Wohnungssu­ che und stellte den ausländischen Vereinen im ehemaligen Gasthaus „Zum Löwen“ ein geeignetes Begegnungszentrum zur Verfü­ gung. Wegen seines guten Verhältnisses be­ sonders zu den Italienern, kam es so 1989 zu einer offiziellen Partnerschaft der Stadt mit der kalabrischen Gemeinde Scandale, aus

der viele italienische Familien stammen. Schon 17 Jahre früher war es zu einer Part­ nerschaft mit der französischen Mittelmeer­ stadt St. Raphael gekommen. Seine Liebe zur klassischen Musik machte Günter Lauffer von Anfang seiner Tätigkeit an zu einem Förderer der Musik. So ver­ wirklichte er schon 1968 zusammen mit Pe­ ter Dönneweg die Idee einer ,Jugendmusik­ schule St. Georgen“ und ist seit ihrer Grün­ dung auch deren Vorsitzender. Die Jugend­ musikschule hat sich in dieser Zeit -auch dank der Leistungen und der Konzertreisen des Jugendsinfonieorchesters in alle Welt – einen hervorragenden Namen gemacht. In­ zwischen betreut sie auch die musikbegei­ sterte Jugend von Königsfeld, Schönwald, Schonach und Triberg und ist -weiterhin unter Günter Lauffers Leitung -1995 mit der Jugendmusikschule von Furtwangen ei­ ne Fusion eingegangen. Die Förderung der offenen Jugendarbeit und der Vereine, der Vorsitz beim örtlichen Roten Kreuz und die aktive Mitarbeit bei der Baugenossenschaft waren und sind wei­ tere Merkmale der kommunalpolitischen Tätigkeit Günter Lauffers. Dazu kam ein außerordentlich gutes Verhältnis zu den Kir­ chen und ihren Einrichtungen, zu den Schu­ len in der Bergstadt, zu Arbeitnehmern und Arbeitgebern und auch zur Landwirtschaft. Seit 1972 gehört Günter Lauffer für St. Ge­ orgen auch ununterbrochen dem Kreistag an. Als Mitglied der CDU-Fraktion war er 16 Jahre lang deren Vorsitzender und zu­ gleich Stellvertreter des Landrats. Dieser rühmt ihn als „konsensfähigen Politiker und echten Demokraten, der im Schwarzwald­ Baar-Kreis und für die Region vorbildhaft gewirkt“ habe. Als die Lauffers im Jahr 1977 ihr Domizil, das damalige Bürgermeister-Haus an der Sommerauer Straße, auch käuflich erwor­ ben hatten, wurden die ehemaligen Schwen­ ninger erst „richtige St. Georgener“. Günter Lauffer und seine Ehefrau Liselotte, aber auch die Kinder Martin und Regina, fühlten sich in der Bergstadt jedoch von Anfang an sehr wohl. Die Jungen sind inzwischen al­ lerdings verheiratet und wohnen nicht mehr in St. Georgen. So haben der Altbürgermei­ ster und seine Frau mehr Zeit füreinander und für das gemeinsame Leben in dem ge­ schmackvoll umgebauten Haus mit dem schönen Garten. Aber auch jetzt läßt das an­ geborene Pflichtbewußtsein den umtriebi­ gen und ungemein agilen Günter Lauffer nicht ruhen. Neben seiner Tätigkeit im Kreistag verwendet er für die noch reichlich verbliebenen Ehrenämter jede Woche viele Stunden. Besonders der Vorsitz bei der er­ heblich vergrößerten Jugendmusikschule und beim Deutsch Roten Kreuz verlangen weiterhin seinen vollen Einsatz. Wt:rner Ludwig -· ._ — -.- – Liebe, Ruhe, Gastfreundschaft wurden schnell hinweggerafft, als der Fortschritt Wellen schlug. Nichts, was schon ist, ist gut genug. EDV und CAD VIDEO, DISC und auch PC schlägt sich im Wechsel um die Ohren der Mensch, nachdem er g‘ rad geboren. Und dann gab‘ s jenen Superknacks mit dem Siegeszug des FAX. Kaum noch leserliche Fetzen uns alle unter Zeitdruck setzen. Der Vorsprung ist neutralisiert. Der Streß am Ende triumphiert. Das Steinbeil wünsch‘ ich mir zurück. Handgefertigt, Stück für Stück. Zurück zum Steinbeil Dietrich Schnerring 103

Michael Jerg – schon immer musikbegeistert Einer der jüngsten Orchesterleiter – Musikdirektor der Stadt Blumberg Sicherlich einer der jüngsten hauptamt­ lichen Orchesterleiter im Schwarzwald­ Baar-Kreis dürfte Michael Jerg sein. Mittler­ weile hat der Orchesterchef der Stadtkapel­ le auch die Leitung der Musikschule Blum­ berg übernommen. ,,Musikbegeistert war ich schon immer“, so Jerg, ,,aber über ein Studium einen Beruf daraus zu machen, daran habe ich damals nicht gedacht.“ Geboren 1961, machte Michael Jerg nach Schulabschluß eine Lehre als Werkzeugma­ cher und war bis 1990 in seinem Beruf tätig. Schon als Jugendlicher war er Mitglied im Musikverein Mundelfingen und spielte Kla­ rinette, dazu kam dann die Oboe und mit sechzehn Jahren das Saxophon. ,,Heute ist es mein Lieblingsinstrument“, wie Jerg la­ chend zugibt. 1984 begann er sich auch theoretisch mit Musik und ihren Gegebenheiten auseinan­ derzusetzen. Er besuchte Weiterbildungs­ Lehrgänge und Fachseminare in Dirigat, In­ strumentalspiel, Unterrichtsmethodik, Ju­ gend- und Orchesterarbeit, Komposition, Arrangement und Musikschulleitung. 1986 bis 1988 absolvierte er ein nebenberufliches Musikstudium an der Bundesakademie in Trossingen. Vieles erarbeitete er sich auch autodidaktisch, und dankbar erinnert er sich an viele Musiker und Musikpädagogen, die mit ihrem Können und Wissen ihm in die­ sen Jahren hilfreich waren. Lange vor Studienantritt war Michael Jerg schon aktiver Musiker in der Blumberger Stadtkapelle. ,,Ich wollte einfach in einem Orchester mitspielen, wo ich gefordert wur­ de“, erinnert er sich, ,,und das war in Blum­ berg unter der Leitung von Paul Merz gege­ ben.“ 1988 wollte der langjährige Leiter der Blumbcrger Stadtkapelle den Dirigenten- 104 Michael Jerg stab aus Altersgründen abgeben, und so trat Michael Jerg die Nachfolge von Paul Merz als Orchesterchef an. Im Jahr 1990 erfolgte die hauptamtliche Einstellung bei der Stadt Blumberg und gleichzeitig die Einrichtung der Bläserschule, die von Kindern und Ju­ gendlichen sehr gut angenommen wird. Vie­ le Bläserschüler spielen schon nach relativ kurzem Unterricht aktiv in der Jugendka­ pelle mit, um nach gegebener Zeit dann in die Stadtkapelle zu wechseln. Die Qualität der Stadtkapelle hat sich weit über Blumbergs Grenzen hinaus herumge­ sprochen, und so sind die Konzerte immer ausgebucht. Michael Jerg ist es gelungen, in Konsequent weitergeführter Arbeit, mit den

Hobby-Musikern einen homogenen Klang­ körper auf hohem Niveau zu schaffen. Al­ lem Neuen aufgeschlossen, bringt Michael Jerg in seinen Orchester-Arrangements mit nichtblasmusiktypischen Instrumenten eine klangliche Bereicherung ein. ,,Das können Schlaggitarre oder E-Baß, aber auch Banjo oder Synthesizer sein“, merkt er dazu an, und genau zu diesem Thema hielt er im Frühjahr 1994 beim Dirigenten-Kongreß in Radolfzell ein Grundsatzreferat. Die Blum- berger Stadtkapelle demonstrierte beim Ga­ lakonzert zum Abschluß der Tagung dann moderne, zeitgenössische Blasmusik mit dem Einsatz von Technik. 1993 wurde Michael Jerg zum Städtischen Musikdirektor ernannt, und noch im glei­ chen Jahr erfolgte seine Wahl zum Ver­ bandsjugendleiter des Blasmusikverbandes Schwarzwald-Baar. Chrisliana Steger 100. Geburtstag von Hermann Schleicher Erinnerungen an einen verdienten Blasmusiker Als am 11. September 1963 an seinem 68. Geburtstag für alle überraschend schnell Hermann Schleicher starb, verlor die Region einen wohl einmaligen Idealisten und Freund der Blasmusik. Am 11. September 1895 in Villingen geboren, aus einfachen Verhältnissen stammend und mit weiteren funfGeschwistern aufgewachsen, verschrieb sich Hermann Schleicher schon früh der Blasmusik und trat 1908 im Alter von 13 Jahren der Knabenkapelle der Stadtmusik Villingen bei. Unter den Stadtkapellmei­ stern Heinrich Häberle sen. und Wilhelm Tempel erlernte er Zugposaune. Schon nach wenigen Jahren, um 1912, sah man ihn als gefragten Posaunisten in kleinen Besetzun­ gen der Stadtmusik bei den verschiedensten Anlässen mitwirken. Seine Dienstzeit während des l. Weltkrie­ ges verbrachte er von 1915 bis 1917 als Mi­ litärmusiker beim 1. Badischen Leibgrena­ dier-Regiment 109 und Infanterie-Regiment 169. Laut einer „Aufnahms-Urkunde“ vom 4. Mai 1921 wurde Hermann Schleicher als Hornist in das Korps der Freiwilligen Feuer­ wehr Villingen aufgenommen, denn in die­ ser Zeit wurde die Feuerwehr im Brandfalle noch von radelnden Hornisten alarmiert. Bis 1923 hielt Hermann Schleicher der Stadtmusik die Treue, doch als im gleichen Jahr ein „Musikbund“ Villingen gegründet wurde, sah er einen Wechsel, aus welchen Gründen auch immer, als gegeben an. Dem „Musikbund“, der nur Streichmusik machte, war nur ein kurzes Leben beschie­ den, und so kam es am 30. April 1924 zur Gründung des Musikvereins „Harmonie“ Villingen. Bei der Gründungsversammlung im „Lindenhof“ schlossen sich gleich 18 Musiker zusammen und wählten, da zu­ nächst kein 1. Vorsitzender zur Verfugung stand, Hermann Schleicher zum 2. Vorsit­ zenden und Geschäftsfuhrer. Die Jahre, die nun folgten, waren gekenn­ zeichnet von wirtschaftlicher Not und Ar­ beitslosigkeit und stellten die Verantwortli­ chen des noch jungen Vereines vor eine fast kaum lösbare Bewährungsprobe. Die Mu­ sikkapellen der näheren und weiteren Um­ gebung waren in verschiedenen Verbänden zusammengeschlossen; es gab den „Süd­ deutschen Musikerverband“, den „Gau der Landkapellen des badischen und württem­ bergischen Schwarzwaldes“, den „Musikver­ band der Baar“ und den „Bund Südwest- 105

deutscher Musikvereine“. Diese Zersplitte­ rung führte dazu, daß am 13. März 1932 in Donaueschingen der „Musik-Verband Baar­ Schwarzwald“ gegründet wurde, um eine Neuorganisation der Blasmusikvereine her­ beizuführen. Wieder war es Hermann Schleicher, der sich diesem Verband als 2. Präsident zur Verfügung stellte. Das Dritte Reich mit seinen unzähligen Kundgebungen, Aufmärschen, Fackelzügen sowie der 2. Weltkrieg brachte dem Musik­ verein „Harmonie“, obwohl nie in einer braunen Uniform gesteckt, katastrophale Folgen. Und es war Hermann Schleicher, der das zuletzt kleine Häuflein zusammen­ hielt. Dieser bekam am 1. März 1944 vom Bürgermeister den Auftrag, den verbliebe­ nen Rest von Stadtmusik und „Harmonie“ zu dirigieren. Das 1 Ojährige Stiftungsfest des Musikver­ eins „Harmonie“ an Pfingsten 1934 war An­ laß, daß Hermann Schleicher mit der 1927 gegründeten Jugendkapelle wieder erstmals und neu formiert als Dirigent auftreten konnte. Daß daraus 30 Jahre Dirigenten­ und Ausbildungstätigkeit wurden, ist in be­ sonderem Maße seiner unermüdlichen Energie und Tatkraft zuzuschreiben. Der letzte große Auftritt mit seiner Jugendka­ pelle war für ihn das Bundesmusikfest an Pfingsten 1963 in Offenburg. Wie wichtig für Hermann Schleicher auch die Zusammenarbeit mit den Landvereinen war, beweist seine Dirigententätigkeit von 1938 bis 1954 beim Musikverein Ober­ eschach. Mit der Ernennung zum Ehrendirigenten statteten die Musiker von Obereschach, be­ sonders für den Wiederaufbau der Kapelle nach dem Krieg, bei der Taktstockübergabe an seinen Sohn ihren Dank ab. Die „Harmonie“, seit 1942 nur noch mit dem Rest der Stadtmusik spielfähig, konnte ab Mai 1945 wieder selbständig auftreten und wurde bis Anfang l 946 unter der Lei­ tung von Hermann Schleicher zur Truppen­ betreuung der französischen Besatzungs- 106 Hermann Schleicher macht herangezogen. Die Wiedergründung der „Harmonie“, veranlaßt durch die fran­ zösische Besatzungsmacht, erfolgte am 24. März 1946. Neben dem neuen Vorsitzenden Fritz Eisenmann war es wieder Hermann Schleicher, der das Amt des 2. Vorsitzenden und Geschäftsführers übernahm. Der Musikverein „Harmonie“, und feder­ führend Hermann Schleicher, luden die Musikkapellen der Kreise Villingen und Do­ naueschingen zwecks Gründung eines Ver­ bandes auf den 25. September 1949 nach Villingen ein. Die Delegierten von 33 Ka­ pellen wählten Hermann Schleicher zu ihrem 1. Präsidenten, und der Verband er­ hielt den Namen „Volksmusikverband Schwarzwald-Baar“. Kaum ein Jahr später wurde er noch als Verbandspräsident in das Präsidium des neugegründeten „Bund Deutscher Blasmu­ sikverbände“ berufen und vertrat dort die Interessen seines Verbandes.

Bei vielen Jubiläumsfesten der Musikkap­ pellen, und es schlossen sich immer mehr an, sprach Hermann Schleicher in seinen jo­ vialen, aber eindringlichen Reden besonders die Bürgermeister an und bat um Unter­ stützung der Gemeinden für die Belange der Blasmusikvereine. Fünf große Verbandsmusikfeste mit Wer­ tungsspielen, davon alleine drei in Villin­ gen, die organisiert sein wollten, fanden in Hermann Schleicher einen versierten Orga­ nisator und Helfer. Die Ernennung zum Ehrenmitglied des Musikvereins „Harmonie“ Villingen, den Titel „Ehrendirigent“ des Musikvereins Obereschach, die Ehrenmitgliedschaft des Blasmusikverbandes Schwarzwald-Baar, die Präsidenten-Ehrennadel des Bundes Deut­ scher Blasmusikverbände und die „Große Goldene Ehrennadel“ für über SOjähriges aktives Musizieren, zählten zu den Aus­ zeichnungen, die Hermann Schleicher für sein rastloses Wirken für die Blasmusik ent­ gegennehmen durfte. Seine Beerdigung am 14. September 1963 brachte die Beliebtheit eines Mannes zum Ausdruck, der sein Leben uneingeschränkt der Blasmusik widmete. Der Musikverein ,,Harmonie“ mit Jugendkapelle und der Mu­ sikverein Obereschach sowie das gesamte Präsidium des Bundes Deutscher Blasmu­ sikverbände, das seine Jahreshauptver­ sammlung in Radolfzell unterbrach, sowie die Vertreter der Verbandskapellen von Ach­ dorf bis Tennenbronn und von Dauchingen bis Gütenbach, gaben dem Toten die letzte Ehre. Hans Schleicher Albin Vogt – Ein Leben für die Allgemeinheit Transportunternehmer, Bürgermeister und Ortsvorsteher Albin Vogt aus Hubertshofen, erfolgrei­ cher Transportunternehmer, ehemaliger Bürgermeister und jetziger Ortsvorsteher des 376 zählenden Donaueschinger Stadt­ teiles ist weit über die Grenzen seines Hei­ matortes bekannt und geschätzt. Er ist der erste Hubertshofer Bürger, der für besonde­ re Verdienste mit dem Bundesverdienst­ kreuz ausgezeichnet wurde. Im Beisein S. D. Joachim Fürst zu Fürstenberg, ein persönli­ cher Freund von Albin Vogt, und zahlreich geladenen Gästen, verlieh ihm der Donau­ eschinger Oberbürgermeister Dr. Everke im Rathaus die hohe Auszeichnung und wür­ digte damit einen seit dreißig Jahren in der Kommunalpolitik tätigen Unternehmer. Hauptberuflich ist der 60jährige dreifache Familienvater Transportunternehmer. Ge­ meinsam mit seiner Ehefrau Liselore, die von Wolterdingen stammt, baute er imJah- re 1958 mit einem Lkw ein Holztransport­ unternehmen au( Heute sorgen 32 Mitar­ beiter und 22 Lastzüge für den Geschäftsab­ lauf im In- und Ausland. Sein Sohn Harald als Geschäftsführer nimmt dem Seniorchef inzwischen viel Arbeit ab in dem gut florie­ renden Geschäftsbetrieb, der 1988 durch ei­ ne groß dimensionierte Umschlaghalle er­ weitert wurde.Trotz zahlreicher Verpflich­ tungen findet er immer noch die Zeit sich beispielsweise beim Verband des Verkehrs­ gewerbes Südbaden im Vorstand zu betäti­ gen. Als rühriges Mitglied gehört er außer­ dem der !HK-Vollversammlung an. Albin Vogt ist einer der wenigen Kommu­ nalpolitiker, die schon vor der Eingemein­ dung Bürgermeister waren und heute noch als Ortsvorsteher im Amt sind. Sein 25jähri­ ges Dienstjubiläum konnte er im Dezember 1994 feiern, wo er mit dem großen Wap- 107

penteller der Stadt Donaueschingen ausge­ zeichnet wurde. Kommunalpolitik habe ihn schon immer interessiert, so Vogt, und im Jahre 1962 wurde er in den Gemeinderat der damals noch selbständigen Gemeinde Hu­ bertshofen gewählt. Als Bürgermeister trat er dann 1969 die Nachfolge von Wilhelm Scherzinger an, dessen Stellvertreter er schon drei Jahre war. Seit dem 1. Juli 1972 ist aus Albin Vogt im Zuge der Gemeinde­ reform ein Ortsvorsteher geworden. Auch die Auflösung der Grundschule war unab­ wendbar. Heute gehen die Kinder nach Wol­ terdingen und Donaueschingen zur Schule. In all den Jahren hat sich Hubertshofen unter seiner Führung zu einem aufstreben­ den Erholungsort entwickelt. Die Zusam­ menarbeit im Ortschaftsrat und mit der Stadt Donaueschingen ist sehr gut. Viel ist erreicht worden und es wurden zahlreiche Projekte verwirklicht. Im Gebiet Mühlwie­ sen wurde ein Neubaugebiet erschlossen, ei­ ne komplett neue Wasserversorgung, durch die der 820 Meter hoch gelegene Ort an ei­ ne Ringleitung angeschlossen ist, wurde ge­ baut, ebenso ist das ganze Dorf an das Ka­ nalnetz angeschlossen. Neu gestaltet wurde auch die Peter-Maier-Straße mit Gehweg und Straßenbeleuchtung. Ein schmucker Dorfplatz ziert die Ortsmitte. Ein kleines beheiztes Schwimmbad und eine Wasser­ tretstelle erfreuen die Bürger und Feriengä­ ste. Die öffentlichen Gebäude, Kindergar­ ten, Rathaus und das ehemalige Schulhaus, das heute von den Vereinen für ihre Pro­ bentätigkeit und Jugendarbeit genutzt wer­ den, sind renoviert und in gutem Zustand. Großen Anteil hat Al bin Vogt auch am in­ takten Vereinsleben. Auf seine Initiative wurde im Jahre 1986 der Hubertshofer Blasmusikverein gegründet. Dort ist er Eh­ renmitglied, wie auch bei der Freiwilligen Feuerwehr, der er mehr als 40 Jahre aktiv an­ gehörte. Mitgegründet hat er auch den Nar­ renverein Waldwinkel und ist dort Ehren­ vorsitzender. Vertrauensvoll und gut ist die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde 108 Albin Vogt und Pfarrer Werner Arnold. Von Ortsvor­ steher Albin Vogt werden auch die jährli­ chen Seniorenfahrten und der Altennach­ mittag organisiert. ,,Regieren“ in Huberts­ hofen, das sei nicht schwer, schmunzelt Vogt, da die Dorfgemeinschaft intakt sei. Die Jugend kehre gerne wieder hierher zurück, was die rege Bautätigkeit erkläre. Das Dorf ist seit 1969 um 150 Einwohner gewachsen. Albin Vogt ist Vertrauensperson und An­ sprechpartner für jedermann und hat sich stets für die Belange seiner Bürger und der Gemeinde Hubertshofen eingesetzt. Auch ist es für ihn eine besondere Freude, wenn er als Standesbeamter Brautpaare im Hu­ bertshofer Rathaus trauen kann. Wie recht hatte doch Oberbürgermeister Dr. Bernhard Everke in seiner Laudatio bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes: ,,Albin Vogt ist eine große Persönlichkeit, ein Mann mit Pioniergeist und ein Mensch, der sich dafür entschieden hat, für andere einzutreten“. Ingeborg Mayer

Bürgermeister und Politiker aus Passion Elmar Österreicher seit 1993 Ehrenbürger von Dauchingen Geboren am 5. Juli 1937, wächst Elmar Österreicher zusammen mit seiner Schwe­ ster bei seinen Eltern, der Vater ist Lehrer, die Mutter Organistin, in Ditzingen 12 km westlich von Stuttgart auf. Hier ist er in der katholischen Jugendarbeit und im Sportver­ ein aktiv und von hier aus besucht er das heutige Ferdinand-Porsche-Gymnasium in Stuttgart-Zuffenhausen, das er als l 7jähriger mit der Mittleren Reife verläßt. Angeregt durch seinen Freundeskreis ent­ schließt sich Österreicher, in die Laufbahn des gehobenen württembergischen Verwal­ tungsdienstes einzutreten. Mit Bestehen ei­ ner schriftlichen und mündlichen Prüfung beim Regierungspräsidium in Stuttgart wird Österreicher unter die 120 Verwaltungskan­ didaten von 600 Bewerbern aufgenommen. Die sechsjährige Ausbildung zum Ge­ meindeinspektor gliedert sich damals in ei­ ne dreijährige Lehrzeit in einem Bürgermei­ steramt unter 3 000 Einwohnern, eine sich darauf anschließende einjährige Praktikan­ tenzeit bei einem größeren Bürgermeister­ amt, einer einjährigen Praktikantenzeit bei einem Landratsamt und einem einjährigen Lehrgang an der Staatlichen Verwaltungs­ schule Stuttgart mit Staatsexamen als Abschluß. Österreicher wählte für seine Lehrzeit das Rathaus Hemmingen/Kreis Leonberg unter Bürgermeister Heinrich Rathfelder, das geradezu eine „Bürgermei­ sterschmiede“ ist: von den 1950 bis Anfang der 60er Jahre dort ausgebildeten ca. elf Lehrlingen werden acht Bürgermeister. Auch in Österreicher reift hier das Berufs­ ziel „Bürgermeister“ heran. Der 40jährige Rathfelder, aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Krieg eingezogen, ist für seine Zeit sehr fortschrittlich: ,,Während andere Bürgermeister noch Schutt wegschaufeln ließen, hat Rathfelder gleich nach der Elmar Österreicher Währungsreform alle damals vorhandenen Geldquellen angezapft und eine Gemein­ schaftshalle mit Schule und Vereinsräumen gebaut. Er war in vielem ein beispielhafter Bürgermeister“, erinnert sich Österreicher. Die hauptamtlich Tätigen im Rathaus Hemmingen sind der Bürgermeister, der Kassenverwalter und eine Schreibkraft; die ganze übrige Arbeit wird von drei Lehrlin­ gen in je drei verschiedenen Lehrjahren und einem Praktikanten erledigt. So gestaltet sich die Ausbildung vielseitig, praxisnah und war an die Übernahme von Verantwor­ tung gekoppelt. ,,Im ersten Lehrjahr, als Siebzehnjähriger, hatte ich bereits Unter­ schriftsbefugnis“, erzählt Österreicher. Seine 109

Praktikantenzeit bei einer Gemeinde absol­ vierte Österreicher in Ditzingen unter Bür­ germeister Döbele, einer markanten Persön­ lichkeit im Strohgäu, seine Praktikantenzeit bei einem Landratsamt in Bad Mergent­ heim. Hier, und anschließend auf der Staat­ lichen Verwaltungsschule in Stuttgart, wird Österreicher zusammen mit Lothar Späth, dem späteren Ministerpräsidenten, ausge­ bildet, mit welchem ihn bis heute eine freundschaftliche Beziehung verbindet. Nach seinem Staatsexamen tritt Österrei­ cher seine erste Dienststelle als Inspektor im Rathaus Ditzingen an. Hier ist der 22jähri­ ge zuerst verantwortlich für das Wohnungs­ amt, die Wohnbauförderung und das Bau­ recht. Österreicher: ,,Hauptaufgabe war da­ mals, die Wohnungsnot zu beheben. Ver­ triebene und Bombengeschädigte aus dem Stuttgarter Raum brauchten dringend Woh­ nungen. Es war eine harte Zeit, da hat man jedes Jahr 100 Wohnungen gebaut.“ Manch privater „Häuslebauer“ in Ditzin­ gen, den Österreicher damals zum Bauen angesichts der günstigen Finanzierungs­ möglichkeit schier zwang, ist ihm heute dankbar dafür. Auch Österreicher baut sich zusammen mit seinem Vater, seine Mutter starb zwischenzeitlich, ein Haus in Ditzin­ gen, in das er mit seiner 1960 geheirateten Ehefrau Doris geb. Katz im gleichen Jahr einzieht. Sein Berufsziel, Bürgermeister ei­ nes kleinen Ortes zu werden, verliert Öster­ reicher jedoch nie aus den Augen und über­ nimmt sozusagen als Vorbereitung auf ein solches Amt im Rathaus Ditzingen zu sei­ nen bisherigen Ressorts noch die Abteilun­ gen Gemeinderatsprotokoll, Pressearbeit, Standesamt und Sozialamt. Immer wieder sieht sich Österreicher in fairer Konkurrenz mit den Mitgliedern sei­ nes Ausbildungsjahrgangs nach Bürgermei­ sterstellen um, wobei er sich aus gesund­ heitlichen Gründen auf Gemeinden „Rich­ tung Schwarzwald“ konzentriert. Als ihn Anfang November 1964 Vertreter der Ge­ meinde Dauchingen in Ditzingen aufsu- 110 chen, um bei ihm anzufragen, ob er, nach­ dem er sich für Dunningen interessiert aber nicht kandidiert hatte, in Dauchingen kan­ didieren wolle, sagt er sofort zu. Sein Wahlkampf beschränkt sich auf einen improvisierten Auftritt in Dauchingen, denn die Wahl steht unmittelbar bevor. Da seine Bewerbung aufgrund der späten Dau­ chinger Anfrage erst nach Ende der Bewer­ bungsfrist erfolgt, kann er nicht auf dem amtlichen Stimmzettel aufgeführt werden. Diejenigen Dauchinger, die Österreicher ih­ re Stimme geben wollen, müssen also seinen Namen auf dem Wahlzettel nachtragen. Um dies zu erleichtern, läßt diejenige Gruppe Dauchinger Bürger, die bei ihm in Ditzin­ gen angefragt hatte, in Absprache mit Land­ rat Dr. Astfäller gummierte Aufkleber mit seinem Namen drucken, verteilt sie in allen Dauchinger Briefkästen. Der Erfolg war überwältigend: Mit 84,5% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 85 0/o entscheidet der 27jährige Österreicher diese Wahl klar für sich und zieht im Frühjahr 1965 mit sei­ ner Frau und seinem 2jährigen Sohn Ingo nach Dauchingen, wo ihm ein Jahr später der zweite Sohn Siegfried geboren wird. Die Dauchinger haben deshalb ein großes Interesse an einem auswärtigen und fähigen Bürgermeister, weil zu der Zeit gerade die Flurbereinigung durchgeführt wird, die erste Aufgabe, die der neugewählte Bürgermeister in Angriff nimmt und bei der er seinen Sachverstand, gepaart mit Durchsetzungs­ vermögen und steten Bemühen um Aus­ gleich, unter Beweis stellen kann. In seiner ersten Wahlperiode führt Österreicher u. a. den Bau der Grund- und Hauptschule mit Turnhalle zu Ende, erweitert den Friedhof und baut eine neue Friedhofhalle, ferner das Lehrerwohnhaus und das Feuerwehrhaus. Die Wasserversorgung und Kanalisation läßt er erneuern und sämtliche Straßen mit durchgebend beidseitigen Gehwegen und entsprechender Straßenbeleuchtung aus­ bauen. Ihm gelingt es, Dauchingen in den Landesentwicklungsplan als Gemeinde mit

verstärkter gewerblicher Entwicklung auszu­ weisen, wobei Österreicher dies zum Aolaß nimmt, ,,sich bei alleo möglicheo Stellen eiozusetzen, daß auch eine verstärkte Woh­ nflächenzuweisung erfolgt.“ Wer arbeitet, soll dort auch in der Nähe wohnen, ist sei­ ne Devise. Auf diese Weise erreicht Öster­ reicher, daß sich die Zahl der Arbeitsplätze prozentual identisch mit deo Wohouogs­ zahlen steigert. Die Fähigkeit Österreichers, immer in komplexen Zusammenhängeo zu denkeo uod zu haodelo, kommt auch bei der Grün­ dung des Zwed.-verbandes für die Kläraola­ ge Oberer Neckar zum Ausdruck, zu wel­ chem sich unter maßgeblicher Mitwirkung Österreichers 1974 die Städte und Gemein­ deo Schwenningeo, Mühlhausen, Weig­ heim, Trossingen, Deißliogeo und Dauchio­ geo zusammeoschließen. Uod später beim Aoschluß Dauchingens ao das Erdgasoetz (1991) uod ao den Hochbehälter Hagen (1983) der Stadtwerke Villiogen-Schwen­ oiogeo. Auch beim Öffeotlichen Nahverkehr uod im Bereich der Jugendmusikschule arbeitet Österreicher als Verfechter der Idee einer kommuoalen Zusammeoarbeit in einzeloeo Bereicheo mit Villingeo-Schwenningen zu­ sammeo, wobei er immer den Vorteil für Dauchiogen im Auge behält uod deshalb ei­ oeo gewisseo Abstaod zur Großeo Kreis­ stadt bewahrt. In diesem Zusammenhang ist auch der Beitritt Dauchiogens Aofaog der 70er Jahre zum „Sechser-Club“ zu seheo, ei­ nem Zusammenschluß voo sechs Umlaod­ gemeioden zur Wahruog ihrer Interesseo ge­ genüber Villiogen-Schwenoingeo. Die erste Wiederwahl Österreichers fällt io das Jahr 1972, der „heißen Phase der Ge­ meiodereform.“ Die Situatioo erscheiot für Dauchingen anfangs hoffnungslos. Stark uoterstützt von Dauchinger Bürgern voll­ bringt Österreicher in Treue zu seiner Ge­ meinde das politische Glanzstück, die Selbständigkeit Dauchingens zu erhalten. Ist der Satz von 1000/o der gültigen Stimmen bei seiner ersten Wiederwahl 1972 darauf zurückzuführeo, daß Österreicher die Dau­ chioger aufruft, ihm mit ihrer Stimmabgabe den Rücken bei den Verhandlungen zu stär­ ken, so siod die 99,30/o der gültigen Stim­ men bei seioer zweiten W iederwahl 1984 Ausdruck des tief empfuodenen Daokes der Dauchinger für seioeo erfolgreicheo Einsatz für die Erhaltuog der politischeo Selbstäo­ digkeit der Gemeinde. Dauchingeo war Österreicher zur bleiben­ deo Lebeosaufgabe geworden, so daß er zwei Aufforderuogen seiner Heimatstadt Ditzingen io den 70er Jahren, dort Ober­ bürgermeister zu werdeo, ablehot. Bis zu seioem Ausscheideo aus dem Amt oach Ab­ lauf der Wahlperiode 1992 hat Österreicher Dauchiogen von eioem stark landwirt­ schaftlich geprägteo Ort zu einer Wohoge­ meinde mit industrieller Ansiedlung gewan­ delt. Dieseo sozialen Strukturwandel, der mit mehr als eioer Verdopplung der Ein­ wohnerzahl gekoppelt war, führt Österrei­ cher bewußt sehr behutsam durch: Die Ge­ meiode wächst in den 28 Jahren seioer Dieostzeit von 1 387 Einwohnero (1964) auf 3 255 Eiowohoer (1992). Dabei setzt sich Österreicher mit aller Kraft dafür ein, daß die Neubürger io der Gemeinde sozial fest integriert werden. ,,Daß dies geluogeo ist, darauf bin ich schoo eio bißchen stolz“, meiot Österreicher. Mit der Struktur waodelt sich auch das äußere Erscheinungsbild der Gemeinde: im Ortskern wird 1978 aostelle zweier Bauern­ häuser eio modernes, dreistöckiges Woho­ haus als Dieostleistungszentrum gebaut. Und io den Jahren 1978 bis 1992 wichen oeun weitere Bauernhäuser Geschäfts- uod Wohohäusern. 1969 folgt der Bau eines neu­ eo Feuerwehrhauses, 1968 der einer Turn­ halle. Der Ortskern liegt eingebettet zwi­ scheo den neu erschlosseneo Baugebieteo Hinter Wiesen (1960), Kramerswies 1 ( 1966) und II (1972), Auf Gstanden (1971) und Nordwest I, II, III (1975 bis 1991). Bei seiner Verabschiedung aus dem Amt 111

wird Elmar Österreicher am 29. Januar 1993 das Ehrenbürgerrecht der Gemeinde Dau­ chingen verliehen. Als Zeichen der Aner­ kennung und des Dankes, wie dies eine Kommune, die politische, demokratische Gemeinschaft freier Menschen, nicht ein­ drucksvoller vergeben kann. Am 27. August 1993 erhält Elmar Österreicher in Würdi­ gung seiner Lebensleistung das Verdienst­ kreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die gesamte Bevölkerung von Dauchingen freut sich mit ihm über diese Auszeichnung. Seinen „Erlebnisstand“, wie Österreicher die jetzige Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Amt bezeichnet, verbringt er gerne in Dauchingen, wo er von der Sympathie al­ ler Dauchinger getragen wird: ,,Ich grüße je­ den Dauchinger und jeder Dauchinger grüßt mich“, erzählt er, ,,die Bürger schwät­ zen eher privat mit mir als früher, weil sie nicht mehr befürchten, es werde als Amts­ beeinflussung ausgelegt.“ Seine große Sach­ kenntnis ist beim Bildungswerk für Korn- munalpolitik Baden-Württemberg e. V. Stuttgart gefragt, wo er Seminare über Wahl­ recht hält, ferner ist er weiterhin (seit 1965) Mitglied im Kreistag. Aus der Hand von Landrat Dr. Gutknecht erhält er am 11. Dezember 1995 für beson­ dere Verdienste die Landkreismedaille in Sil­ ber des Landkreistages Baden-Württemberg. Und nun hat er endlich Zeit seinen Hob­ bys, dem Besuch von Opern in europäi­ schen Großstädten, dem Reisen und dem Wintersport, ausgiebig nachzugehen. Es ist aber auch bezeichnend für Österreicher, daß er seit sieben Jahren zusammen mit seiner Ehefrau bei sich zu Hause die Schwieger­ mutter persönlich pflegt. Ein ganz wesentli­ cher Zug im Charakter Österreichers ist sein Humor und so nimmt es nicht Wunder, daß er Wilhelm Busch besonders schätzt. Mit Wilhelm Busch kann man über Österreicher sagen: ,,Wirklich, er war unentbehrlich! überall wo was geschah, zu dem Wohle der Gemeinde, er war tätig, er war da!“ Anton Bruder • • • Zorn Geburtsdag Ich wünsch Dir zom Geburtsdag hüt alls Glück, wo‘ s uff der Welt nu git. En rechte schwere Hufe Geld, e Hüsli un e Stückli Feld, e nagelneu Paar Sundigschueh, e Gaiß im Stal un au e Kueh. Pro Dag zwanzg Häfe voller Milch, en Underrock us Delerzwilch, en rechte große Modihuet, zwei Rößli au, e Hengst, e Stuet. Bis später au en schöne Ma, er brucht nit grad en Schnauzbart ha. Un derno, was d’Hauptsach isch, daß e rechti Husfrau gisch. Vor allem sollsch no ha derzue, 112 e klei Maidli odr en Bua. Ich wünsch Dir sunscht no viel, abr i bin jez liaber still. Wia zwei ghirata hen Dr Karli kunnt zua dr Liberata un sait: ,,Du, ich han welle hirata!“ ,,Hä“, sait druff d’Liberata, ,,un ich au'“ Jez gohts e paar Dag, dno hen si enand gnau. Berlin Nitz

Sprache als Schrei in der Stille Zum Tode von Thomas Strittmatter Tiefschwarz sagt nichts mehr. Thomas Stritt· matter, in St. Georgen geborener Autor, ver­ starb 33jährig am 29. August 1995 in Berlin an Herzversagen. Er liebte die Farbe des To­ des in seinen Gemälden – er malte am lieb­ sten schwarz-weiß – und in den Wortbildern seiner Bücher. In dem letzten Film „bohai bohau“, einem modernen Märchen, tritt er in einer Nebenrolle als Reporter mit einem schwarzen Umhang auf. Schwarz sah der Fa­ den aus, der sich durch die Zeremonie seiner Beerdigung in seiner Heimatstadt St. Geor­ gen spann: Ein schwarzer Sarg mit silbernen Beschlägen, ein in schwarz gekleideter Ma­ drigal-Chor sang feierliche Lieder aus dem 16. Jahrhundert. TI10mas Strittmatter hörte die schweren, aber mit Melodien reichver­ zierten italienischen Kunstlieder in den letz­ ten Monaten seines Lebens mit Vorliebe. Schwarz trugen die meisten Trauergäste. Das phantasievolle Leben und Schaffen Thomas Strittmatters stand dazu im krassen Gegensatz. Er sah nämlich nicht schwarz. Unter schwarzer Ölfarbe mußten in seinen Bildern immer auch bunte Farben hin­ durchschimmern. Strittmatter wollte, daß sich die Menschen in die Details hineinver­ tiefen, ihre Umwelt feiner wahrnehmen. Seine Bücher wie auch seine Filme drücken dies aus. Er liebte das Leben und genoß es sichtlich. Seine Freunde kannten ihn als Gourmet, die Fachwelt schätzte seine Arbeit wegen der ausströmenden Herzenswärme und der ungeheuren Kraft, die den Stritt· matter-Sätzen entströmte. Es gibt Bücher und Filme, die schauen sich die Menschen mehrmals an. Thomas Strittmatters Arbei­ ten gehören zu diesem kostbaren Kunst- Thomas Strittmaller (zweiter v. links) bei der Premiere eines seiner Filme in St. Georgen. 113

letzter Ruhestätte auf dem Waldfriedhof. Ei· ne Erstaufführung ganz nach seinem Ge­ schmack: Mit Kulinarischem, Schwarzwäl­ der Gemütlichkeit und gegen Mitternacht mit einer Currywurst garniert, wie Stritt· matter es schätzte. Selbst nach einem hoch­ herrschaftlichem Feinschmeckermenü woll· te er auf diese fast ordinäre Speise nicht ver­ zichten. Auch in seinen Arbeiten spiegelt sich als Leitlinie die Sympathie zu den einfachen Menschen wieder. Er schreibt, wie es einem Bauern, Klavierstimmer, Steinmetz, Lastwa· genfahrer oder Asylbewerber gelingt, den kuriosen Alltag zu meistern. Vor allem die Filme fallen immer international aus und zeugen von Strittmatters grenzenlosen Herz für die Schwächsten in der Gesellschaft. Er schonte sich nicht, arbeitete trotz eines Herzfehlers oft über seine Kräfte. Sein Erbe besteht aus umfangreicher Literatur für Drehbücher, gespeichert in mehreren Com· putern, die er seiner Nachwelt hinterließ. Seine Familie ließ den Stoff für weitere Fil­ me von Fachleuten sichten. Zuletzt lebte Thomas Strittmatter in Berlin, wo es mitten in seinem Leben schwarz um ihn wurde und er früh morgens alleine in seiner Wohnung zusammenbrach und starb. Der einzige Red­ ner bei der Trauerfeier in St. Georgen sprach wohl allen aus der Seele, als er sagte: ,,Wir alle werden Thomas Strittmatter nicht ver· gessen.“ Sabine Przewolktl schaffen, das die Seele bewegt und das Den· ken verändert. Er wuchs in der Landschaft des Schwarz­ waldes auf, der schon im Namen seine Lieb­ lingsfarbe trägt. Magnetisch zog es ihn im­ mer wieder in die Bergstadt, nicht nur, um seine Familie und Freunde zu besuchen. Sei· ne kraftvollen Sätze, beispielsweise in sei· nem einzigen Roman „Raabe Baikal“, be· schrieb Thomas Strittmatter so: ,,Sprache als Schrei in der Stille.“ In einem Interview zu diesem preisgekrönten Werk meinte er: ,,Ich zweifle, ob ich, wäre ich nicht in dieser Stil­ le aufgewachsen, dann überhaupt zum Schreien gekommen wäre.“ Der Blick hin· unter in das tiefste Schwarz der Seele löste dieses außergewöhnliche Farbenspiel der Worte des talentierten Schriftstellers erst aus. Aber Thomas Strittmatter lebte nicht mit nach innen gekehrtem Blick. Vielmehr zoomte er minuziös auf seine Mitmen­ schen. Seine Theaterstücke „Viehjud Levi“, der in St. Georgen wirklich einmal lebte, zeugen davon. Mit diesen menschlichen Charakterstudien, auch mit dem „Kaiser· walzer“ und dem „Polenweiher“ machte sich Thomas Strittmatter in der Welt der Li­ teratur bekannt. Strittmatter verfilmte den ,,Polenweiher“ und drehte viele Szenen da· von in einem alten Bauernhof im Gewann Kaltenbronn in Langenschiltach. Die Pre· miere dieses Films ging denn auch in St. Ge­ orgen über die Bühne des alten Kinos. Tho­ mas Strittmatter verfaßte etliche Dreh· bücher, die für Aufaehen in der Filmwelt sorgten und Preise holten. Mit Jan Schütte als Regisseur drehte er „Das Königsstechen“, ,,Drachenfutter“, ,,Winckelmanns Reisen“ und „Auf Wiedersehen Amerika“. Seinen letzten Film „bohai bohau“ mit Di­ di Danquart als Regisseur, in dem er eine kleine Nebenrolle als Reporter übernahm, konnte er gerade noch fertigstellen. Die Pre· miere des modernen Filmmärchens fand in St. Georgen kurz vor Weihnachten 1995 statt, nur wenig entfernt von Strittmatters 114

Museum mit internationalem Rang geschaffen Prof. Dr. Richard Mühe wechselt in den Ruhestand ,,Das hätten wir nicht erwartet'“ oder „Mit­ ten im Schwarzwald ein solches Museum – damit hätten wir nie gerechnet'“ oder „Wie kommt eine so phantastische Sammlung in diese Gegend?!“ In diesen Fragen kommt das Erstaunen zum Ausdruck, das viele Be­ sucher empfinden, wenn sie das Deutsche Uhrenmuseum in Furtwangen zum ersten Mal besuchen. Sie betreten eine moderne, lichtdurchAutete Architektur und finden ei­ ne Ausstellung von Uhren, Werkzeugen und Maschinen, die im internationalen Konzert von Spezialsammlungen zum Thema Uh­ ren eine bedeutende Rolle spielt. Dazu kommt mit 140 000 Gästen im Jahr eine Be­ sucherzahl, die manch größeres Museum gerne haben würde. So eine Sammlung, und vor allem eine solche internationale Reputation, kommt natürlich nicht von ungefähr. Im Deutschen Uhrenmuseum hängt sie von der Persön­ lichkeit Prof. Dr. Richard Mühes ab. Es ist selten, daß eine jahrzehntelang erfolgreiche Institution an einer Person festgemacht wer­ den kann. Hier ist es möglich. Angefangen hat es 1961 mit der Weitsicht von Prof. Julius Lehmann. Er war Direktor der damaligen Staatlichen Ingenieurschule in Furtwangen, zu der eine Historische Uh­ rensammlung gehörte. Sie umfaßte etwa 800 Objekte im wesentlichen aus dem Schwarzwald und war der Öffentlichkeit auf Anfrage zugänglich. Mit der Einstellung von Richard Mühe als Dozent an der Inge­ nieurschule und seiner Beauftragung, auch die Uhrensammlung zu betreuen, begann der Aufstieg der Historischen Uhrensamm­ lung zum Deutschen Uhrenmuseum. 1929 im Lamspringe bei Hildesheim ge­ boren, absolvierte Richard Mühe in der vä­ terlichen Werkstatt eine traditionelle Uhr­ macher- und Optikerlehre. Nach dem Abi- Richard Miihe tur 1947 begann er dazu das Studium der Physik, mit Schwerpunkten in Astronomie, Mathematik und Chemie an der Techni­ schen Universität Braunschweig und der Universität Göttingen. Diese umfassende Ausbildung ist sicher ein Grund für seine später so erfolgreiche Tätigkeit. In der Di­ plomarbeit in elektronischer Uhrenmeß­ technik zeigt sich die Verbindung zur Uhr. Nach dem Diplom 1964 arbeitete Mühe als Assistent bei namhaften Forschern wie Prof. Dr. G. Cario und Prof. Dr.]. Fränz. Aus die­ ser Braunschweiger Zeit rühren auch die Ver­ bindungen zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die noch 1994 bestanden, als dem Uhrenmuseum eine der ersten kom­ merziellen Atomuhren geschenkt wurde. 115

1965 promovierte Richard Mühe an der Technischen Universität Braunschweig zum Dr. rer. nat. mit einem Thema aus der phy­ sikalischen Chemie. Diese Kenntnisse prä­ destinierten ihn um 1990 zur Mitwirkung an der Konzeption des neuen Studiengangs Verfahrenstechnik, der an der Außenstelle der Fachhochschule in Villingen-Schwen· ningen eingerichtet wurde. An der Ingenieurschule richtete Richard Mühe die auswärtigen Vorkurse in Villin­ gen, Donaueschingen und Schwenningen ein und leitete sie über zehn Jahre. Jn den l 970er Jahren bereiteten diese Kurse zahl­ reiche Jugendliche auf das Jngenieurstudi­ um vor und eröffoeten ihnen die Chance ei­ ner hochqualifizierten Ausbildung. Als Baudirektor und Professor wirkte Mühe als Abteilungsleiter an der Staatlichen Ingenieurschule und ihrer Nachfolgerin, der Fachhochschule, und richtete neben seinen Vorlesungen verschiedene Labors ein. Dort wurden die traditionellen Fächer Uhren­ technik und Physik, wie auch die zukunfts· orientierten Bereiche Kerntechnik, Strah· lungsmeßtechnik und Medizintechnik ge· lehrt. Die Labors bestehen, teilweise unter anderer Bezeichnung und Regie, noch heu­ te. Diesen modernen Ansätzen, der Korn· petenz, dem Ideenreichtum und der allseits bekannten, wenn auch nicht immer ge· schätzten Hartnäckigkeit Richard Mühes ist es zu verdanken, daß sich einer der wenigen Unterrichtsreaktoren der Bundesrepublik Deutschland in Furtwangen befindet und eine anspruchsvolle Ausbildung von Inge­ nieuren ermöglicht. Mühe war daneben nicht nur lange Jahre Fachbereichsleiter an der Fachhochschule, sondern auch Vorsit­ zender des Verbandes der Hochschullehrer in Furtwangen. Als Professor der Fachhoch­ schule trat Richard Mühe 1994 mit 65 Jah­ ren planmäßig in den Ruhestand. Das Deut· sehe Uhrenmuseum leitete er bis September 1996. Neben den hochschulspezifischen Tätig­ keiten als Dozent für Uhrentechnik und 116 Physik widmete sich Pro( Dr. Richard Mühe der Uhrensammlung und betrat damit ein Gebiet, das weniger von den Naturwissen­ schaften als vielmehr von Technik- und Kul­ turgeschichte geprägt ist. Daß er sich dessen bewußt war und diese Fragestellungen ne­ ben den technischen Aspekten verfolgte, zeigen schon die ersten Puplikationen aus den l 960er Jahren. Sie behandeln die vor­ handene Sammlung speziell von Schwarz· walduhren mit international hervorragen­ den Objekten wie den astronomischen Uh­ ren von Thaddäus Rinderte oder Philipp Matthäus Hahn. Jm Lauf seiner 35jährigen Tätigkeit in Furtwangen verfaßte Mühe über 20 Bücher, viele Zeitschriftenbeiträge und hielt zahlreiche Vorträge im In- und Aus­ land, wobei er immer wieder neue For· schungsansätze vorstellte. Als langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie und Mitglied ihrer ausländischen Schwestergesellschaften, sowie als Mitglied im Fachausschuß Tech­ nikgeschichte des VDE, aber auch in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und dem VDI pflegt er vielfältige Kontakte zu Naturwissenschaft, Technikgeschichte und Chronometrie. Neben dem kontinuierli­ chen Ausbau der Uhrensammlung von 800 auf heute 5 000 Objekte aus aller Welt, pro· fessionalisierte Mühe den Betrieb des Mu­ seums. Besucherbetreuung steht seitdem an oberster Stelle, denn nur ein zahlendes Pu­ blikum ermöglicht die Aktivitäten des Mu­ seums, seien es Führungen für Gruppen, Ankauf von Objekten und ganzen Samm· lungen, Publizierung von Forschungsergeb­ nissen, Sonderausstellungen oder Organisa­ tion des Betriebes. Hierbei gelang es Mühe auch, eine Anzahl von Personalstellen zu er· halten, die teilweise über Eintrittsgelder zu finanzieren sind. Erst die ausdauernde und kontinuierliche Arbeit an der Ausstellung und der Betreu· ung von Besuchern, die ständige Erweite· rung der Öffnungszeiten, die landesweite Präsentation des Museums in Sonderaus·

Stellungen, die Kooperation mit der Uhren­ industrie, die Tätigkeit auf Messen und die stete PR-Arbeit in Presse, Rundfunk und Fernsehen steigerten die Besucherzahlen von weniger als 20 000 auf 140000 im Jahr und machten das Museum weit über den Schwarzwald hinaus bekannt. Zu den wesentlichen Ergänzungen des Objektbestandes zählt der Erwerb der Hell­ mut-Kienzle-Sammlung 1975, der nicht oh­ ne Widrigkeiten über die Bühne ging. Hier verbuchte die Beharrlichkeit Mühes ver­ bunden mit politischem Gespür einen großen Erfolg, der das Museum auch auf den Gebieten der Renaissance- und Ta­ schenuhren in die internationale Szene be­ sonderer Sammlungen aufsteigen ließ. Im Aufbau des einzigartigen Objektbe­ standes an Armbanduhren und elektrischen Uhren, noch ehe sie die Sammler entdeck­ ten, zeigen sich Weitblick und Wissen um die Notwendigkeiten einer konstruktiven Museumsentwicklung. Mit dem Erwerb der einzigartigen astronomischen Weltuhr von Hans Lang 1996 erreicht die Reihe der nam­ haften astronomischen Uhren im Deut­ schen Uhrenmuseum einen Höhepunkt. Zum Kauf dieses besonderen Objektes wa­ ren außergewöhnliche Finanzierungsmodel­ le wie ein Gewinnspiel notwendig. Im Ausstellungskonzept zur Geschichte der Uhrenindustrie und -fertigung entwick­ elte Richard Mühe unkonventionelle Lö­ sungen aus räumlichen Schwierigkeiten und museumsdidaktischen Ansätzen. Dazu ge­ hört auch die Erkenntnis, daß im Schwarz­ wald, dem historischen und aktuellen Zen­ trum der deutschen Uhrenfertigung, die Dokumentation und Aufarbeitung von Ver­ gangenheit und Gegenwart dieser Schlüs­ selindustrie für Baden und Württemberg durch das Deutsche Uhrenmuseum eine lo­ gische Folge der Entwicklung ist. Diese Idee eines Forschungszentrums auf der Grundla­ ge des Museumsbestandes, der einzigartigen und umfangreichen Fachbibliothek, ver­ bunden mit Sachverstand und Verbindun- gen zur Uhrenindustrie, verfolgt Mühe seit mehreren Jahren. Daß die Durchsetzung visionärer Konzep­ te innerhalb eines Geflechts aus Hochschu­ len und Behörden mit zahlreichen divergie­ renden Interessen nid1t einfach ist, hat Rich­ ard Mühe auch bei dem Um- und Erweite­ rungsbau des Museums intensiv erfahren. Seit Mitte der 1970er Jahre waren die alten Räumlichkeiten den gestiegenen Anforde­ rungen des Betriebes und der Sammlung nicht mehr gewachsen. Doch erst 1992 konnte von Ministerpräsident Erwin Teufel das „neue Deutsche Uhrenmuseum“ unter Beteiligung der gesamten Fachwelt eröffnet werden. Mit dem modernen Bau hat das Museum, auch was die Ausstellungsräume angeht, seinen Platz in der internationalen Museumslandschaft konsolidiert. Geduld, Hartnäckigkeit, optimale Nutzung geringer Ressourcen, hoher persönlicher Einsatz, un­ konventionelle und kreative Lösungen, Of­ fenheit für kulturhistorische und technikge­ schichtliche Forschungsmethoden, die Fä­ higkeit, Prioritäten zu setzen und Mitarbei­ ter zu motivieren, machen den Erfolg Richard Mühes, des Uhrmachers, Physikers und Museumsleiters aus. Durch sein Fach­ wissen ist er für namhafte Sammler, Uh­ renspezialisten, Technikhistoriker, Muse­ umswissenschaftler und die Uhrenindustrie ein wichtiger Ansprechpartner. Das Engagement und die kontinuierliche Arbeit Mühes, die das Deutsche Uhren­ museum zur weltweit anerkannten Spezial­ sammlung gemacht haben, honorierte die Stadt FurtWangen unter Bürgermeister Hans Frank mit der Bürgermedaille. Seit 1989 gehört Prof. Dr. Richard Mühe zu den ersten Trägern der von Ministerprä­ sident Lothar Späth verliehenen Verdienst­ medaille des Landes Baden-Württemberg. Beatrice Techen 117

Ein Leben im Einklang mit der Natur Martin Schwer – Landwirt und Fabrikant von Rosenkränzen ,,Der Bauer ist der ewige Mensch, unab­ hängig von aller Kultur, die in den Städten nistet“. So konnte Oswald Spengler noch 1917 schreiben. Längst hat mit Macht die Geschichte aufs Land ausgegriffen und fun­ damentale Veränderungen hervorgerufen. Und die Generation, die sich heute aufs Al­ tenteil zurückziehen darf, kann sagen, sie hat dies alles erlebt, teils mit Erleichterung, teils mit Sorge. Martin Schwer, Bauer auf dem Mittelgefellhof in Gremmelsbach, er­ lebte den einzigen schweren Umbruch der Landwirtschaft – sehen wir es richtig – seit ihrem Bestehen und stellte sich ihm. Er er­ innert sich noch an die Mühseligkeit der na­ turnahen Arbeit, die das ganze Jahr mit Muskelkraft getan werden mußte und Mensch und Tier das Äußerste abverlangte. Als Angehöriger des Jahrgangs 1923 über­ blickt er die Entwicklung von der Sense über den Gespannmäher und den Bindemäher zum heutigen Kreiselmäher und zum Mäh- drescher – vom Pflug, den der Bauer mit der Hand fi.ihrte,bis zum heutigen Mehrscha· renpflug, den der Traktor zieht. Und so auf allen Gebieten. Eine ungeheuere Beschleu­ nigung in der Arbeit ist eingetreten; dauerte die Heuernte früher drei bis vier Wochen, mit Kindern, Verwandten, Knechten und Mägden, mit Mähern aus dem Elztal, so dauert sie heute noch ebenso viele Tage. Das bedeutet, der Bauer muß beute Tech­ niker sein, nur so kann er überleben. Er muß sich anpassen, muß wie jeder Unternehmer eines Betriebes den Markt beobachten, selbst auf neuentwickelte Früchte muß er sich einstellen z.B. aufTriticale, ein Futter· getreide, eine Kreuzung aus Roggen und Weizen, er muß seine eigenen Kunden be­ dienen, sich seinen Markt selbst schaffen und erhalten, um mit Preisverfall und Über­ produktion fertigzuwerden. So ist es Martin Schwer als einem der immer seltener werdenden selbständigen Landwirte gelungen, seinen Hof in die Gegenwart, heute heißt es „Post· moderne“, herüberzuretten, und was für ihn von hoher Bedeutung ist: Sohn Richard macht mit seiner Fa­ milie weiter. Leicht war es nicht immer, am we· nigsten in der Jugend, diese Jugend wurde in den Krieg getrieben. Martin Schwer erfuhr in St. Johann in Tirol, in Saalfelden und Innsbruck seine Ausbildung zum Sanitäter, seine Ge­ birgsjägerkompanie wurde nach ‚• Murmansk ans nördliche Eismeer verlegt, in die Tundra, wo meterho­ her Schnee lag, schwere Schneestür­ me wüteten, erbitterte Kämpfe tob­ ten und ein Marsch zurückzulegen war, in Worten: eintausend Kilome- ter weit. Grauenhaft zugerichtete Martin Schwer bei der Herstellung von Rosenkriinzen. 118

Menschen mußte der Sanitäter verbinden. Gegen Ende des Krieges Verlegung der Kompanie in die Pfalz und wieder nach St. Johann in Tirol! Entlassung in Ulm, vor­ übergehend Arbeit bei einem Bauern bei Neu-Ulm, Marsch nach Hause, und schon in Gremmelsbach, im Gewann Brunnen­ mättle, etwa zwei Kilometer vom heimatli­ chen Hof entfernt, schoß noch ein Marok­ kaner auf ihn. Jetzt galt es, die Zukunft zu gestalten, den elterlichen Hof zu übernehmen, die Gebäu­ deteile zu erhalten, eine Familie zu gründen. Er fand seine Frau Sofie in Schuttertal, die Familie wurde kinderreich, vier Söhne und drei Töchter hatten auf dem Mittelgefell ei­ ne schöne Heimat. Sohn Martin wurde Prie­ ster. Martin Schwer tat es in der guten Tra­ dition seiner Vorfahren -einer von ihnen, ebenfalls ein Martin, war im vergangenen Jahrhundert Gremmelbachs Bürgermeister -die diesen Hof in nicht mehr erforschba­ ren Zeiten gründeten. Sicher ist, daß er um 1550 schon erbaut war, seit 1783 der Name Schwer in ununterbrochener Folge dort zu Hause ist und daß der Hof 1852 abgebrannt und wieder aufgebaut worden ist. Dazu gehörte das ererbte Wissen um die Natur, Kenntnisse über klimatische Er­ scheinungen, biologische Gegebenheiten, Wachstum, Erhaltung und Verfall, alle Ar­ beitstechniken einschließlich des Mahlens, bei aller Freude über die Erleichterung durch die Technik das Maß zu wahren, um ihre negativen Folgen zu begrenzen. Über allem waltete aber auch das Wissen um die Abhängigkeit von einer höheren Macht, im Volksmund: An Gottes Segen ist alles gelegen. Traditionelle Feste wurden gern mitgefeiert, Agatha und Wendelin als helfende Heilige verehrt, an Bittprozessio­ nen nahm man teil, an Mariä Himmelfahrt ließ man den „Palmen“ (Kräuterbüschel) in der Kirche weihen, bei Trockenperioden oder Regenzeiten besuchte man die An­ dacht um gedeihliches Wetter. Und der re­ gelmäßige Sonntagsgottesdienst hebt nach wie vor die Woche. Zum Gottesdienst zählt Familie Schwer auch Wallfahrten nach Alt­ ötting, Einsiedeln und Lourdes. Martin Schwer hat ein seltenes Hobby. In freien Stunden stellt er Rosenkränze her. Und das seit über 60 Jahren. Wie das, wo man doch weiß, daß die Hand eines Land­ wirts mit der Größe seines Hofes besser die Axt und den Pflug fuhren als so knifflige Ar­ beiten verrichten kann? Es mag das Jahr 1930 gewesen sein, als sei­ ne Mutter Adelheid auf dem Schwarzwald­ hof in Linach, wo sie zu Hause war, wieder einmal einen Besuch machte. Dort hatte man eine Pflanze, die man nicht mehr woll­ te, und Adelheid erbot sich, sie auf ihrem Hofe weiterzupflegen. Und dann trug sie den Blumenstock über vier Stunden Wegs nach Gremmelsbach ins Mittelgefell. Sein Name: lkana, zur Familie der Storchschna­ belgewächse (Icaeinaceae) gehörend, die 400 Arten zählte und im tropischen Regenwald ihre Heimat hat -im Mittelgefell bisher ein­ fach „Rosenkranzstock“ genannt. In ihrer Wachstumsphase braucht sie täglich bis zu einem Viertelliter Wasser und in warmen Räumen gedeiht sie am liebsten am Fenster, allerdings schätzt sie es nicht, verstellt zu werden. Sie erreicht eine Höhe von über ei­ nem Meter und vermehrt sich wie die Dah­ lie durch ihr Wurzelwerk, das sie kräftig aus­ bildet und das dann geteilt werden kann. Es kann einen solchen Druck entwickeln, daß es den Topf sprengt. Die Pflanze hat eine kleine, helleuchtend rote Blüte, in deren Fruchtknoten sie in bis zu drei Reihen klei­ ne „Beeren“ entwickelt, manchmal an die 15 Stück. Diese „Beeren“ sind schwarz, stein­ hart und haben auf ihrer Oberfläche eine Struktur, wenn man genau hinsieht: ein größeres und ein kleineres Ringlein unter­ einander, so daß man meinen könnte, es sei ein winziges Madonnenbild. In diesen Sa­ men lebt offenbar keine Fortpflanzungs­ kraft, man hat sie schon in den Boden ge­ steckt, es ging aber nichts auf. Diese Früchte sind das „Rohmaterial“ für 119

die Rosenkränze, deren Herstellung also Martin Schwer sich zum Hobby gemacht hat. Er hat dafür ein kleines Bohrgerät, mit dem er sie bald nach der Ernte durchbohrt, denn später werden sie dafür zu hart. Ge­ wöhnlich macht er das am Sonntagvormit­ tag nach dem Gottesdienst. Als Werkzeuge benützt er sonst nur noch eine Rundzange, um den Draht zu biegen, und einen Seiten­ schneider, um den Draht abzuklemmen, das ist alles. Sonst aber braucht er nur einen hel­ len Platz im Zimmer und eine große Menge Sorgfalt, damit die fünfmal zehn Perlen des Rosenkranzes gleich groß sind, sie werden vorher ausgewählt, die für das „Ehre sei dem Vater … “ muß ums Merken größer sein. Die Arbeit für einen Rosenkranz dauert dann drei bis vier Stunden. Gelernt hat er das als Schüler bei Uhrmacher Bernhard Scherer in Triberg, mit dem Familie Schwer weitläufig verwandt war. Tn sechs Jahrzehnten hat Mar­ tin Schwer immerhin einige hundert Rosen­ kränze in Eigenarbeit hergestellt. Hat er auch Abnehmer dafür? Interessenten finden sich auch heute noch. Das können Kurgäste sein, die den Hof besuchen, denen die nie gesehene Pflanze auffällt und die sich nach ihr erkundigen. So kommt man ins Ge­ spräch, an dessen Ende sie gern einen Ro­ senkranz haben möchten. Auf diese Weise sind schon Rosenkränze nach Berlin, in die Schweiz und selbst bis Amerika gekommen. Autofahrer hängen sie auch statt eines Talis­ mans an den Rückspiegel. Kral Volk Von einem Hof in linach stammt die seltene FJ!a11ze, die im Mi11elgefellbof in Cremmelsbad1 die „Beeren „fiir die Rosenkriinze von Martin Sdnver liefert . Die Stille der Nacht, welch köstlich Geschenk. Der Morgen erwacht, was der Tag wohl bringt Die Stille 120 • • • Alleine zu sein ist die bitterste Not. Viel schlimmer vielleicht, als ein Tag ohne Brot. Margot Opp

Größte Kuckucksuhr der Welt gebaut Ewald Eble – erfolgreicher Uhrenhersteller mit großen Plänen Wir saßen in der Schule nebeneinander, und jeder wollte der Größere sein. Dann gingen unsere Interessen verschiedene We­ ge. Er wußte von Kindheit an seinen beruf­ lichen Weg, lernte schon mit zehn Jahren bei seinem Vater das Uhrenmachen, absol­ vierte bei ihm eine Lehre, lernte danach zu­ sätzlich das Mechanikerhandwerk, wurde darin Meister und eignete sich noch vier J ah­ re lang Kenntnisse im Werkzeugbau an: wenn das keine gründliche Ausbildung für seinen Beruf war! Das Uhrmacherhandwerk liegt ihm im Blut, er ist in der vierten Gene­ ration Uhrmacher, es ist also keine Über­ treibung zu behaupten: im Schwarzwald bleiben einzelne Familien ihrer großen Tra­ dition treu. Sein jetziger „Uhrenpark“ in Triberg- (ei­ gentlich Schonach-) Schonachbach fiel ihm freilich nicht in den Schoß. Zunächst kauf­ te er in der Hauptstraße in Triberg ein Ge­ schäft mit Werkstatt, dann ergab sich die Gelegenheit, von der Firma Willmann das Sägewerk (im Volksmund: den „Oberen Finkbeiner“) zu kaufen. Darauf konzen­ trierte sich von jetzt an alles. Für ein Ge­ schäft, wie es ihm vorschwebte, war dies das richtige Areal, nämlich 10 000 qm Fläche. Jedoch: ein Sägewerk zu einem Uhrenge­ schäft umzubauen, das erforderte alle un­ ternehmerischen Fähigkeiten: Ideen, Ener­ gie, Risikobereitschaft und Investitionen. Der Holzplatz wurde befestigter Parkplatz, die Sägehalle Verkaufs- und Ausstellungs­ raum. ,,Es ist alles neu“, sagt er heute. Ein Problem ergab sich, und dabei ging es um seine Existenz, als der Tunnel durch den Zuckerhut geführt wurde und der Verkehr nicht mehr direkt an seinem Parkplatz vor­ beifloß. Da sah er sich, um Käufer anzuzie­ hen, gezwungen, ein Wagnis einzugehen und mit großen Kosten ein zweites Gebäu- Ewald Eble de, eine neue, ins Auge fallende Hausfront zu erstellen – und als besondere Attraktion konstruierte und baute er fünf Jahre lang, 10 000 Arbeitsstunden, an Feierabenden, Samstagen, Sonntagen, während der Ar­ beitszeit, zuletzt unter Mithilfe seines Soh­ nes Ralf, die größte Kuckucksuhr der Welt, im Verhältnis 1 :60. Seine Idee, wie er mit Be­ tonung sagt: ein rein mechanisches Werk, ohne Elektroantrieb, von zwei Gewichten mit je zwei Doppelzentnern bewegt. Da wa­ ren Massen und Fliehkräfte zu berücksichti­ gen, an die keiner dachte. Um das Schlag­ werk zum Stillstand zu bringen, mußte man eine spezielle Bremse hierfür entwickeln. Die Werbewirkung blieb nicht aus, aber er 121

Das imposante /1111enleben der größteu Kurkucksuhr der Welt, erbaut von Ewald Eble. 122

hielt den Atem an am Tag, als die neue Ver­ kehrsführung eingeführt wurde: ,,Kommen jetzt noch Kunden oder … ?“ Die Rechnung ging auf. ,,Die weltgrößte Kuckucksuhr“ wollten sie alle sehen, ihren halbstündlichen Schlag zu hören, gehört zu den unvergeßlichen Ferienerinnerungen. Ein Einzel- oder Gruppenfoto vor ihr ist ein interessantes Souvenir, das sich sehen lassen kann. Die Fernsehgesellschaften aller Konti­ nente hatte Ewald Eble schon zu Gast. Der Einmaligkeit wegen (4,5 m x 4,5 m; Gesamt­ gewicht des Uhrwerks: 6 t; Länge des Pen­ dels: 8 m) durfte ein Hinweisschild an der Bundesstraße angebracht werden, und die Redaktion des „Guinnessbuch der Rekorde“ hat ihm die Aufnahme in die nächste Aus­ gabe verbindlich zugesagt. Ein solches Geschäft mit der größten Standuhrenschau im Schwarzwald, handge­ fertigten Kuckucksuhren und einer riesigen Souvenirabteilung und weltweitem Versand aufzubauen und in Gang zu halten, ist kei­ ne Kleinigkeit. Den Achtstundentag kennt Ewald Eble deshalb nicht, oft ist es die dop­ pelte Stundenzahl an einem Tag. Bei den Er­ neuerungsarbeiten griff er mit eigenen Hän­ den zu, er weiß auch mit Schaufel, Beton und Steinen umzugehen. Er hat zwei Uhrentypen anzubieten, die wie keine sonst sein Werk sind: eine „Fa­ denpendelruhr“, ursprünglich amerikani­ scher Herkunft, baut er in Eigenproduktion, und ein „Miniatur-Acht-Tage-Pendelwerk“, das aufgezogen werden muß. Für ihn bleibt es eine Selbstverständlichkeit, daß auch je­ der einheimische Kunde mit einer Uhr, die nicht mehr richtig geht, zu ihm kommen kann, er kann sie reparieren. überhaupt stellt er in letzter Zeit einen verstärkten Trend Einheimischer zum Uh­ renkauf fest. Er berät jeden persönlich und individuell, wenn jemand mit einem für ihn wertvollen Familienerbstück kommt. Und ganz wichtig: Er hat einen Kundendienst aufgebaut, der damit beginnt, daß Interes­ senten schon im Geschäft den Uhrentyp auswählen und zusammenstellen können, der ihnen am besten zusagt, also Farbe des Holzes, Art des Holzes, Uhrwerk, Dekor und was sonst. Für Ewald Eble ist der Kauf nicht abgeschlossen, wenn der Kunde die Türe schließt, eine Uhr muß an ihren neu­ en Standort gebracht werden, sie bedarf auch der Wartung, sie muß gereinigt und geölt werden, eine Fachkraft erledigt das al­ les. Der Kunde braucht sich nicht alleinge­ lassen zu fühlen. Doch er hatte im Büro und im Verkauf in seiner Ehefrau Gisela und seinem Sohn Ralf und dessen Ehefrau Bianca immer treue Helfer, Tochter Manuela, die Architektur studiert hat, hat den Neubau mitgeplant, es ist ein Familienunternehmen im besten Sinne des Wortes, und auf sein Stammper­ sonal von zehn Personen kann er sich ver­ lassen. In der Saison kommen noch Aus­ hilfskräfte hinzu, in der Hauptsache sind es Studentinnen, die verkaufen helfen. Wie sieht Ewald Eble die Zukunft seines eigenen Werks und die der ganzen Branche? Durch die Vereinigung der beiden deut­ schen Staaten ist der Käuferkreis buchstäb­ lich erweitert worden. Es ist das ganze Deutschland, es sind die benachbarten Staa­ ten Frankreich, die Schweiz, Benelux, die USA. Von „no future“ also keine Spur! Ganz im Gegenteil! Obwohl er in einem Al­ ter ist, in dem andere den Ruhestand pla­ nen, plant er noch einmal eine enorme Er­ weiterung seines Betriebes. Sein „Uhren­ park“ soll noch größer werden, eine zweite Uhr von der Größe der „weltgrößten Kuckucksuhr“ ist schon in Planung – und behördlich genehmigt, er kann sich vorstel­ len, daß er noch fünf weitere solcher Rie­ senuhren baut, Platz hat er für sie. Im Un­ tergeschoß seines Gebäudes möchte er eine vom ursprünglichen Sägewerk noch erhalte­ ne Dampfmaschine aufstellen (und natür­ lich in Bewegung setzen), der Raum ist groß genug, um auch einem Uhrenmuseum zur Verfügung zu stehen. Um die nötige Elek­ troenergie braucht er sich keine Sorgen zu 123

Der Uhrenpark der Familie Eble in Triberg ist weltweit bekannt. machen. Da die Gutach durch seinen Be­ trieb fließt, kann er wie wenige die Wasser­ kraft in idealem Maße ausnützen und sogar noch Strom verkaufen. Für wichtig sieht er es allerdings an, daß man die Tendenzen auf dem Uhrenmarkt rechtzeitig erkennt, ein gewisses Gespür gehört dazu. Artikel, die in einem Jahr von vielen Kunden bevorzugt werden, bleiben im nächsten schon unbeachtet. Die Markt­ beobachtung gehört unter allen Umständen dazu. Marktlücken gilt es zu entdecken und sich rechtzeitig darauf einzurichten, und Kreativität ist oberstes Gebot. Eine große Genugtuung für ihn ist, daß sein Geschäft eine Art Treffpunkt für Touri­ sten und Wanderer geworden ist. Beim Uh­ renpark Eble trifft man sich, verabredet man sich. Er ist nicht zu verfehlen. Ist eine Revolutionierung des Uhrenge­ schäftes im Rahmen der Globalisierung des Marktes zu erwarten? Ist es denkbar, daß Uhrenschilder nie gekannten Aussehens (grelle Farbgebung, irgendein Firlefanz, ab­ strakte Kunst usw.) die herkömmlichen ver­ drängen könnten? Das sieht Ewald Eble ge­ lassen. Solche Dinge sind höchstens Ein­ tagsfliegen. Selbstverständlich kann er Uh­ ren offerieren, bei denen statt dem Kuckuck der Hansel oder der Narro erscheint und statt dem Kuckucksruf für 16 Sekunden der Narrenmarsch ertönt, auch eine menschli- 124 ehe Stimme zur Überraschung des Hörers ir­ gendetwas Originelles spricht. Doch das sind Gags. Im großen und ganzen gibt es Veränderungen in der äußeren Gestaltung, aber diese bewegen sich in engen Grenzen, im Konventionellen. Einmal werden ältere, einmal jüngere traditionelle Motive bevor­ zugt. Die heimatlichen Motive werden Be­ stand haben, da ist sich Ewald Eble sicher. Doch Ewald Eble ist auch ein Mensch der Geselligkeit. Ein Kind von Traurigkeit war er nie, das weiß ich genau. Ist er in einer Ge­ sellschaft, ist der Abend gerettet. Er ist im­ mer fur jeden Spaß zu haben. Solange es in Gremmelsbach den Männergesangverein „Harmonie“ gab, war er Tenorsänger und anschließend im Triberger Männergesang­ verein „Sängerlust“. Er erlernte auch das Gi­ tarrenspielen, hatte ein großes Repertoire an Liedern. Er wanderte gern, und zum Aus­ spannen schienen ihm Skitouren in den Ber­ gen genau das Richtige. Und schließlich war er jahrzehntelang Mitglied – Oberfeuer­ wehrmann – der Freiwilligen Feuerwehr Gremmelsbach. Er hält es für seine Pflicht, etwas für seine Gemeinde zu tun. Als sein Glück sieht er es an, daß er nicht die Sinnfrage zu stellen braucht: ,,Wofür das alles?“ Sein Sohn wird das Erbe antreten und im Sinne des Vaters und der Familien­ tradition weiterführen. Karl Volk

Carpe diem oder: Uwe Conradt ist tot Begeistert von der Vielfalt zeitgenössischer Kunst Er hat immer geschafft. Geschafft, wie es ein schwäbischer Schaffer nicht besser könn­ te. Leerzeiten oder gar Langeweile gab es bei ihm (fast) nicht: kaum war ein Projekt abge­ schlossen, forderten zwei, drei andere Auf­ gaben ihn heraus. Neben seinen Vorträgen über kulturelle Fragen oder kunsthistorische Thesen, neben seinen literarischen Diskus­ sionsrunden zu klassischer, aber vor allem zur aktuellen Schriftstellerei, neben den un­ zähligen Ausstellungseröffnungen, bei de­ nen er die oftmals versteckten Inhalte der zeitgenössischen Kunst in verständlicher Sprache zu entdecken wußte, neben den kenntnisreichen Theater-, Kunst- und Film­ kritiken, die unter seinem Namen in den lo­ kalen Zeitungen erschienen und die Lust oder den Frust des Gesehenen in wohlfor­ m ulierte Sätze packten, neben seinen mit hi- storischem und kulturgeschichtlichem Wis­ sen geballten Studienfahrten in die Metro­ pole der abendländischen Kunst, neben dem nie ermüdenden Engagement für das rührige Kommunale Kino Guckloch, oder seinem Brotberuf als Pädagoge, in dem er mit überzeugender Leidenschaft das weiter­ gab, was ihn selbst faszinierte. Neben all die­ sem war Uwe Conradt Familienvater, Gatte, Kollege und Freund. Uwe Conradt wurde am 6. Oktober 1946 in Flensburg geboren. Nach Abitur und Stu­ dium der Germanistik und Geographie in Kiel, Köln-Bonn und Freiburg bestand er 1972 sein Staatsexamen und wurde Lehrer am Wirtschaftsgymnasium in Villingen. Hier wirkte er als Philologe im klassischen Sinne. Die Philologie, zeigt der Blick ins Lexikon, Uwe Conradt, ein Leben für die Kunst. 125

(griechisch aus philos und logos, ,,eifrige Bemühung um das Wort“) beschäftigt sich im engeren Sinne mit der „Kunst, Texte zu deuten, im weiteren (Sinne, um) die Erfor­ schung der geistigen Entwicklung und Ei­ genart eines Volkes oder einer Kultur auf­ grund seiner Sprache und Literatur.“ Und in diesen Sinne war Uwe Conradt ein Forscher. Ein Forscher, dem das barocke ,,memento mori“ (bedenke des Todes) zu­ sammen mit dem „carpe diem“ (nutze den Tag) Lust und Antrieb für das eigene Han­ deln, für die eigene Arbeit war. Mit Gespür und großer Sensibilität versuchte er sich dem Fremden, dem Unbekannten im zeit­ genössischen Kulturschaffen, in der Litera­ tur wie in der aktuellen Kunst, im Medium Film wie in der darstellenden Kunst auf der Theaterbühne, zu nähern. Mit offenem, ge­ schultem Auge sah er Dinge, die vielen ver­ borgen blieben. Seine „eifrige Bemühung“ ließ ihn seine Erfahrungen den anderen ver­ mitteln. Mit seinem wachen Geist war er den Künstlerinnen und Künstlern ein ad­ äquater Gesprächspartner. Er verstand ihre Sprache, auch wenn sie nicht in Worte ge­ faßt war, und nahm sie wie durch eine zarte Membran wahr. Mit ihm über Kunst und Philosophie zu streiten, war ein Erlebnis und ein Gewinn für beide, den Kunstschaf­ fenden und den Kunstinteressierten. Man mußte und konnte nicht immer seiner Mei­ nung sein, und oftmals sah er die Dinge ganz anders. Jedoch war sein Ansatz immer differenziert begründet und aus seiner Sicht logisch formuliert. Und er verstand es, Fra­ gen nicht isoliert zu sehen, und die Ant­ worten eingebunden in ein Netz von unter­ schiedlichsten Berührungspunkten zu ge­ ben, auf daß daraus sich neue Fragen stell­ ten. Dies alles und noch viel mehr zeichnete Uwe Conradt aus, manches müßte noch erwähnt werden, zum Beispiel seine nie en­ dende Neugierde auf Neues, auf Fremdes, seine menschliche Wärme, die sich in sei­ nem Zu-Hören-Können am direktesten vermittelte, und doch, es bleiben immer Lücken, will man den Mensch Uwe Conradt beschreiben. Uwe Conradt, Mitarbeiter von 1986 bis 1995 am „Almanach“ in Sachen Kunst, starb am 22. November 1995, aber er lebt in un­ serer Erinnerung, solange wir an ihn den­ ken. Wendelin Renn 126 Der große R1if, Mischtechnik von Peter Heinzefmann.

Echte Freunde in der Not Wie aus dem Wallfahrerkreis Triberg der „Helferkreis Slunj“ wurde Januar 1996: In der Cafeteria des Alten­ heimes in Triberg sitzt eine fröhliche Schar Frauen und Männer, man kennt sich und trinkt ein Viertele miteinander. ,,Weißt du noch … „, wird hier gefragt, ,, … also, das war schon ein Streß“, erinnert man sich dort. Still zwischen ihnen sitzt Else Hock. Die Tribergerin hat die rund zwanzig Personen eingeladen zur gemeinsamen Bilanz. End­ lich wird die Tür geschlossen und Else Hock tut das, was sie seit Jahren gewohnt ist: Sie begrüßt herzlich, gibt das Programm für den Abend bekannt und freut sich über jeden Besucher. Else Hock kennt jeden in der Run­ de, leitete sie doch über Jahre den Wallfah­ rerkreis Triberg, dem sich viele Menschen aus dem Schwarzwald-Baar- und Hoch­ schwarzwald-Kreis anschlossen. Doch an diesem Abend gilt das Interesse der Gruppe nicht gemeinsamen Wallfahrten, sondern den vergangenen vier Jahren, die man nun als „Helferkreis Slunj“ gemeinsam bewältigt hat. Aber das ist eine lange Geschichte und El­ se Hock muß die eine oder andere Pause ein­ legen: umfangreich ist die Bilanz. Am Beginn dieser beispielhaften Aktion standen Wallfahrten der Triberger nach Medjugorje in Jugoslawien, wobei es von 1988 an schöner Brauch wurde, in Slunj, in Kroatien, eine Pause einzulegen und mit Pfarrer Mile Pecic und der dortigen Pfarrge­ meinde eine heilige Messe zu feiern. Sie­ benmal war man dort und es entstand eine Freundschaft, die sich zwischen den Wall­ fahrern aus Triberg und der Kirchengemein­ de vertiefte und festigte. Groß war daher die Bestürzung des Wallfahrerkreises, als sie Ende 1991 erfuhren, daß Slunj beschossen wurde, die Pfarrkirche brenne und die Be­ wohner fliehen mußten. Spontan sammelte der Wallfahrerkreis, der sich im Pfarrheim in Else Hock Nußbach traf, 1400 Mark. Da man nicht wußte, wo Pfarrer Pecic abgeblieben war, wurde dieses Geld über Pater Juro aus Pforz­ heim an den Erzbischof von Zagreb zur Weiterleitung mitgegeben. Erst am 3. Februar 1992 meldete sich Pfar­ rer Pecic aus Rijeka. Er schrieb einen er­ schütternden Bericht über die Situation in Slunj. Else Hock überlegte nicht lange, eröffnete spontan ein Spendenkonto über das katholische Pfarramt Triberg, suchte ein Lager und organisierte eine Spendenaktion. Damit begann eine vierjährige Tätigkeit für die Wallfahrer, aber auch andere kamen von auswärts dazu. Es wurden insgesamt 13 Transporte mit Lebensmitteln und Hilfsgü­ tern auf den Weg geschickt und über 750 000 Mark in Sachwerten oder in bar gespendet. Der erste Hilfstransport wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Tri­ bergs im Juli 1992 mit einem Lastwagen des 127

Hilfefiir Slun;; ((Uch Fahrräder gehörten zu den Hilfsgütern. Triberger Roten Kreuzes zur Caritasstelle des Franziskanerklosters nach Karlovac ge­ fahren. Er umfaßte damals 2,5 Tonnen Le­ bensmittel und 5 Tonnen Hilfsgüter, ver­ packt in 500 Paketen. Das war der „Bana­ nenschachtel-Transport“, denn unzählige Hände waren nötig, um die Lebensmittel und Hilfsgüter zu verpacken. Mancher Mus­ kelkater mußte in Kauf genommen werden. Es bildete sich bald ein „harter Kern“ der Wohnungsauflösungen vornahm, die Hilfs­ güter sammelte, Hilfsgüter von Spendern abholte, angelieferte Sachen verpackte und auflistete. Jedes Paket und jedes Teil bekam eine Nummer und wurde in die Ladeliste übernommen, die für das Zollamt notwen­ dig war. Am wenigsten schonte sich Else Hock, die sobald es ging mit Pfarrer Mile Pecic telefo­ nisch Kontakt hielt. Zu ihren Ansprechpart­ nern in Karlovac, wohin die Gemeinde von Slunj geflohen war, gehörten auch die Patres und Orden schwestern vom Franziskaner­ kloster und Janko Jurcevic vom Roten Kreuz in Karlovac. Ihrem Mut und ihrer Energie konnte sich kaum einer entziehen, so wur­ de aus dem Wallfahrerkreis ein „Helferkreis Slunj“. Die Bilanz, die an diesem Januarabend in Triberg gezogen wird, kann sich sehen las­ sen: 1992 gingen zwei Transporte auf die Reise, 1993 waren es drei, 1994 ebenfalls drei und im Jahre 1995 vier Transporte. 50,7 Tonnen Medikamente, Lebensmittel und 245 Tonnen an Hilfsgütern wurden nicht nur gespendet, sondern auch in 7 790 Kar­ tons verpackt. Und Else Hock erinnert an kleine Begebenheiten wie an das Vesper nach getaner Arbeit, an die Überführung ei­ nes Kleinbusses, den Roland Wehrle, Feuer­ wehrmann aus Triberg, direkt ins Franziska­ nerkloster nach Karlovac fuhr und an den erschütternden Besuch des dortigen Kran­ kenhauses. Jeweils eine Delegation von sechs bis zehn Personen begleitete die Trans­ porte auf eigene Rechnung. ,,Un ist nie et­ was passiert“, sagt an diesem Winterabend Else Hock und meint, daß auf dieser Aktion wohl der besondere Segen Gottes ruhte. Ab August 1995 konnten die Flüchtlinge 128

aus Slunj nach der Eroberung der Krajina wieder zurück in ihre Heimat. Nun widmet sich der Helferkreis der Aufbauarbeit, damit die zurückkehrenden Flüchtlinge die ausge­ raubten, ausgebrannten und zerschossenen Häuser wieder aufbauen und einrichten können. ,,Geldspenden sind immer noch dringend notwendig“, schätzt Else Hock die Situation jetzt ein. Ein dreizehnter und letzter Transport wur­ de für das Frühjahr 1996 geplant. Dann würden auch die Lager aufgelöst. ,,Die Leu­ te haben den ersten und sicher auch den schwersten Winter überstanden. Sie sind weitgehend Selbstversorger. Werkzeug und Installationsmaterial haben wir ihnen ge­ bracht. Möbel für den Anfang haben sie auch. Der Staat gibt Kredite für den Wie­ deraufbau“, sagt Else Hock und die Helfer nicken. Für die Ärmsten, die sich an den Pfarrer wenden, will man weiter Geldspen­ den sammeln. Die Geschichte „Helferkreis Slunj“ neigt sich dem Ende zu. Pfarrer Mile Pecic hat in seinem Jahrbuch für 1994 geschrieben: ,,Un­ sere Freunde aus Triberg, Simonswald, Gü­ tenbach, Waldkirch, Schönwald haben uns geholfen, unseren Kummer und unsere Sor­ ge zu lindern, uns ein Zeichen gegeben, daß es auch Gutes auf dieser Welt gibt, daß wir nicht vergessen worden sind. Frau Else Hock möchten wir besonders danken. Sie hat die­ se Aktion ins Leben gerufen. Sie und ihre Helfer haben ihre Freizeit und ihre ganze Energie für uns geopfert und tun es noch weiter für uns. Wir sind sehr dankbar.“ ,,Schade, daß es nun vorbei ist“, ein Bedau­ ern zieht durch den Raum. Man hat vier Jahre gemeinsam geschafft, alle werden Slunj und die Hilfsaktion vermissen, sind aber sicher: ,,Auf jeden Fall wollen wir die Freundschaft weiter pflegen.“ Hildegard Kammerer, Chronistin der Transporte, nennt den Schlüssel zur erfolgreichen Akti­ on: ,,Die Not der Menschen und ihre lie­ benswerte Art, hat den Helferkreis ermun­ tert, in der Hilfe für den Nächsten nicht nachzulassen.“ Renate Bökenkamp ·�— Vorsicht mit dem Alter schätze Wo mer no in d’Schual isch gange, het mer oftmoals ka s’Verlange, daß mer einem älter schätzt. Jo, ganz ehrlich kann mer sage: des het mer mit Stolz ertrage, het sich gar nicht g’fühlt verletzt. Aber jetz, wo‘ s ernscht isch wore, wo sich hen summiert dea Johre, bildet mer sich nint me i. Jo, mer isch sogar verwundert, sieht die Eitelkeit verwundet seit mer eim: bisch siebzig gsi. Des kann einem richtig störe, muaß mer gli uf Anhieb höre s’richtig Alter wo mer het. E paar Jährli no weng drunter des eim z‘ sage – des hält munter. So eim z’schätze, des wär nett. Drum isch z’roate alle Schlaue: Vorsicht! Vorsicht! bi dea Fraue, nit zwit mit dea Jährli nuf. Des tuat einem jo vernichte. Do druf kenne mir verzichte. Jo, mir pfiffe sogar druf! Gerlrud Mager 129

Ein Vöhrenbacher von altem Schlag Zum Tode des Messerschmiedemeisters Ernst Zugschwerdt Er wollte nie „ein Gefangener des toten Buchstabens sein“, erzählte der „Messerle“ ein ums andere Mal. Er, der zum Vöhren­ bacher Städtle dazu gehörte wie wenig an­ dere. Er, dessen Liebe nicht nur der Heimat Vöhrenbach, sondern eben auch dem Um­ herstreifen und Umherwandern in der Welt des Nordens gehörte. Er, der mit Max Schmeling, dem „Max“, ein Bier lupfte, war ein Original im besten Sinne des Wortes. Ernst Zugschwerdt, der selbst im Alter von 80 Jahren gerne noch einmal zum Polarkreis aufgebrochen wäre, starb 83jährig im Juni 1995. Seine letzte Ruhest:itte fand er in der Ostsee. Erinnerung an den Sommer 1992: Geißen und Schafe drängen gemeinsam vom Stall am Marktplatz, mitten im Vöhrenbacher Städtle gelegen, ins warme Sonnenlicht hin­ aus. Endlich draußen angelangt, gibt es kein Halten mehr: Die Tiere stürmen an Messer­ ies Garten vorbei, jagen durchs Zigeuner­ ländle in Richtung Winterberg davon, den Weg dorthin kennen sie selbst. Ernst Zug­ schwerdt hat derweil gehörig Mühe damit, hinterher zu kommen. Als 80jähriger ist der Messerschmiedemeister und Grönlandfor­ scher aufs Fahrrad umgestiegen: Kräftig tritt er in die Pedale, fast schon bei der Weide an­ gelangt, sind die Tiere wieder zu sehen. Schließlich ist der Hirte bei seiner Herde und läßt sich dort, als wär es das Normalste auf der Welt, vom Fahrrad fallen. Jeden Tag bremse er nicht so, kommentiert er auf dem Boden liegend das Manöver, um danach mit seinen Tieren den Berg hinaufzuziehen. Ernst Zugschwerdt war ein Original, ge­ wiß, aber er hat nicht nur durch seine unge­ zwungene und freie Art zu leben auf sich aufmerksam gemacht. Der „Messerle“, die­ ser Spitzname rührt vom Beruf des Messer­ schmiedes her, hat auch Bemerkenswertes 130 Ems! Zugsdnoerdt geleistet. Er hat sich als Autodidakt ein Wis­ sen über Pflanzen und Mineralien angeeig­ net, das teils dem eines Fachmannes eben­ bürtig war. In der Nachkriegszeit hatte er da­ mit begonnen, mit wachsender Begeisterung in die Abgeschiedenheit nordischer Länder zu reisen. Er hat zehnmal den Polarkreis überschritten und war Mitglied einer Expe­ dition, in deren Verlauf er eine bis dahin un­ bekannte Flechtenart entdeckte. Stolz prä­ sentierte er einem die Einladung zu einem wissenschaftlichen Fachvortrag nach Ham­ burg, wo er seine Entdeckung und die Foto­ grafien der Polarexpedition vorführte.

Der Fotografie galt neben seinen Tieren und dem Reisen die große Liebe. Er hielt Vorträge über Grönland, erzählte dabei ,,schaurig schöne“ Geschichten, etwa die, wie der „Messerle“ einen Eisbären in die Flucht schlug oder wie er mitten in Grön­ land als vermißt galt, weil er sich auf eigene Faust auf und davon gemacht hatte. Die Vöhrenbacher haben Ernst Zugschwerdts Vorträge über die Welt des Nordens und die Urgewalten der Natur, unnachahmlich in ihrer Art, in bester Erinnerung. Schwere Schicksalsschläge waren es, die das Leben von Ernst Zugschwerdt maßgeb­ lich bestimmten. Vater Josef Zugschwerdt betrieb mit Frau Maria eine angesehene Messerschmiede-Werkstatt, zusammen mit einer kleinen Landwirtschaft. Doch der Va­ ter fiel am l. November 1918 als letzter Vöhrenbacher im Ersten Weltkrieg, und die Inflation brachte die Zugschwerdts um ihre gesamte Barschaft. Zum Überleben blieb Maria Zugschwerdt eine kleine Landwirt­ schaft. Später heiratete sie den Gärtner Kä­ fer, zog mit ihren Kühen, Geißen und Scha­ fen durchs Städtle, war fortan das „Käfer­ Wibli“, ein Original wie bald darauf ihr Sohn Ernst eines wurde. Ernst Zugschwerdt, am 5. Dezember 1911 geboren, erlernte nach dem Schulabschluß den Beruf des Vaters, das Messerschmieden. Damit lebte dieses einst hoch angesehene Handwerk im Geschlecht der Zugschwerdts bereits in 5. Generation fort. Auf die Lehr­ jahre in Freiburg folgte die „Walz“, die ihn bis nach Mecklenburg führte. Dort stand ihm in einem angesehenen Unternehmen der Weg in eine glänzende berufliche Zu­ kunft offen, doch ein weiteres Mal war es ein Krieg, der seinem Leben eine schicksalhafte Wendung gab: Als er vom Kriegsdienst zurückkehrte, Ernst Zugschwerdt war vom Militär als Spezial-Schleifer zwangsver­ pflichtet worden, lag das einst blühende U n­ ternehmen in Schutt und Asche, die Inha­ berfamilie war gleichfalls Opfer des Zweiten Weltkrieges geworden. Darunter auch Ernst Zugschwerdts Braut. So machte sich Ernst Zugschwerdt auf den Weg zurück in die Heimat, wo er in Vöhrenbacher Firmen Ar­ beit fand. Von welch hoher Qialität diese war, ver­ deutlicht, daß der „Messerle“ über Jahre hinweg auch den Operationsbestecken der Universitätsklinik Freiburg den rechten Schliff gab. Seine Befähigung hatte ihm 1950 zum Meisterbrief verholfen, seine Prü­ fung absolvierte er mit Auszeichnung. 15 Jahre lang arbeitete Ernst Zugschwerdt in fester Anstellung für die Firma Voehre und als freier Handwerksmeister mal da und mal dort. Er verhalf oft auch Messern zu neuer Schärfe, die noch seine Vorfahren hergestellt hatten, die in ihrer Klinge das Zeichen der Messerschmiede-Familie Zugschwerdt tra­ gen, das Schwert. Hauptsächlich in die Nachkriegszeit fallt all das, was Ernst Zugschwerdt wie die Mut­ ter zum Original werden ließ. Er zog mit sei­ ner Herde umher, war mit den Tieren selbst mitten im Wald zu finden. Ernst Zug­ schwerdt klopfte seine Sprüche und fand Gefallen daran, einer zu sein, für den die Normalität des Alltages keine Gültigkeit be­ sitzt. Mit dem Stumpen im Mund, sein stän­ diger Begleiter, der Wollmütze auf dem Kopf und mit einem Arbeitskittel bekleidet, war er nicht nur beim Heuen, beim Hüten oder der Gartenarbeit anzutreffen, sondern auch mitten im Städtle. Und als die Gebre­ chen des Alters die Traktorfahrerei nicht mehr zuließen, da zog er sein Heukärrele von der Wiese vor den Toren Vöhrenbachs aus eben von Hand zum Wohnhaus am Marktplatz. Ernst Zugschwerd t war stolz darauf, Vöhrenbacher zu sein. So verwundert es nicht, daß er, der mit Liebe am „Städtle“ hing, regen Anteil am öffentlichen Leben nahm: Mit zwei Ziegen vor dem Leiterwa­ gen kämpfte er 1946 zusammen mit Bern­ hard Heizmann für eine Fastnachtsgeneh­ migung. Der unangemeldete Umzug hatte Wirkung, die französische Besatzungsmacht 131

Mit dem Heuklirrele im Stiidtle untenuegs, Ernst Zugsclnuerdt vor seinem Haus am Marktplatz. erteilte eine Fastnachtserlaubnis. Zur Besat­ zungsmacht hatten der „Messerle“ und sei­ ne Mutter Maria im übrigen ein gutes Ver­ hältnis, mehrfach setzten sie sich bei ihr mu­ tig für die Belange der Vöhrenbacher Bevöl­ kerung ein. Die Liebe zur Fastnacht hielt bei Ernst Zugschwerdt im übrigen ein Leben lang. Er war viele Jahre Fahnenträger der Heimatgilde „Frohsinn“, stieg als 76jähriger beim Kappenabend in die Bütt, erhielt höchste Ehrungen und war fast immer beim großen Umzug am Fasnetmendig auf der Straße zu finden. Aber Ernst Zugschwerdt wirkte auch 50 Jahre lang als Sanitäter beim Roten Kreuz und er war Gründungsmitglied des Schwarz­ waldvereins, wo er als Ehrenmitglied geführt wurde. Auch im Fernsehen war Ernst Zugschwerdt mehrfach zu sehen. Für die Südwestfunk-Se­ rie „Ebbes“ über Vöhrenbach wurde er beim Messerschmieden gefilmt, und in der be­ kannten „Schwarzwaldklinik“ lag er auf dem Operationstisch von Professor Brinkmann und wirkte mehrfach als Statist mit. Als der Südwestfunk mit den Dreharbeiten zu der Serie „Die Fallers“ begann, gehörte er er­ neut zu den Statisten. Etliche Hörfunk­ beiträge halten die Erinnerung an den Vöhrenbacher alten Schlages ebenfalls wach. Ernst Zugschwerdt war bis ins hohe Alter hinein vergönnt, was wenigen zugestanden ist: sich hoch oben vom Winterberg aus, auf der eigenen Matte stehend, mit dem Stum­ pen im Mund und umgeben von seinen Geißen und Schafen beschaulich die Hei­ mat Vöhrenbach zu besehen. Im Einklang mit der Natur und seinen Tieren lebend, ohne die er nicht sein konnte. Mit „Messer­ ies“ Tod gehört ein Stück Alt-Vöhrenbach der Vergangenheit an, das unwiderruflich verloren ist. Einen wie ihn kann es in Zu­ kunft nicht mehr geben, weil unsere moder­ ne Welt einem Menschen seines Schlages kein Auskommen mehr bieten könnte. Wiffried Dold 132

Archäologie Als Hüfingen noch Brigobannis hieß Aus dem Leben der römischen Zivilsiedlung Anlaß des Artikels über das römische Hüfingen ist die nach musenlem Ausbau und umfassender Sanierung durch die Stadl Hiifingen und das Landesdenkmalamt 1995 der Bevölkerung wie­ der zugänglich gemachte römische Badruine. (Über Hüfingen, Römerzfil und -fimde, berid,te­ /e bereits der Almanach 80, S. 90-100 und Al­ manach 88, S. 105-109.) Obwohl der helvetische Siedlungsname Brigobannis, d. h. ,,Ort an der Breg“, der rö­ mischen Zivilsiedlung den Namen gab, Kopfende eines Zierstabes (vergrößert). Fundort: römische Siedlung in Hüfingfn. kann nicht davon ausgegangen werden, daß die latenezeitliche Siedlung, welche auf dem späteren Kastellplatz auf dem Galgenberg bestand, zum Ausgangspunkt des römi­ schen Ortes wurde. Funde deuten darauf hin, daß der keltische Ort bereits um 50 v. Chr. verlassen wurde, während erst 15 v. Chr. die Adoptivsöhne des Augustus, Tibe­ rius und Drusus, im Zuge des Vorstoßes in das Alpenvorland erstmals auch Hüfinger Gebiet erreicht haben. Dem Geographen der Antike, Strabo, nach soll Drusus dabei sogar die Qiellen der Donau erreicht ha­ ben. Auch waren die römischen Gräben und der römische Holzbau im Gewann Krumme Äcker wohl eine provisorische Befestigung im Zuge der Ersteroberung und führten da­ her auch nicht zum Aufbau des zivilen Or­ tes. Dieser fällt aller Wahrscheinlichkeit nach in die Regierungszeit des Kaisers Clau­ dius (41-54 n. Chr.), als auf dem Galgen­ berg das große Kastell errichtet wurde, das in seiner Hochzeit rund eintausend berittene Soldaten beherbergte. Das Lager mit seiner Hilfstruppe, die dem Legionskommandan­ ten in Vindonissa unterstand, diente der Überwachung des wichtigen Verkehrskno­ tenpunktes. Hier traf sich die vom Legions­ lager Vindonissa (Windisch/ Aargau) herauf­ führende Straße mit der Donautalstraße. Bregübergang und Schwarzwaldrand konn­ ten gleichfalls überwacht werden. Die Zivilsiedlung selbst lag im Gewann Mühlöschle entlang der römischen Über­ landstraße. Es ist anzunehmen, daß hier zu­ erst der Troß, der die auf dem Galgenberg stationierte Truppe begleitete, sein Lager aufschlug. Später entwickelte sich daraus ein 133

Dorf, das die Soldaten im Kastell mit allem Nötigen versorgte. In der Siedlung (vicus) lebten Hand­ werker, Wirtsleute und Händler und die Frauen und Kinder der Soldaten. Als die Truppe um ca. 100 n. Chr. abgezogen wurde, blieb die Siedlung Brigobannis dennoch bewohnt. Man kann sie sich jetzt als eine Art Dienstlei­ stungszentrum für durchziehen­ de Reisende vorstellen: Wagne­ reien, Schmieden und Pferdeum­ spannstationen kamen zu den schon vorhandenen Handwerks­ betrieben, Wirtshäusern und Ge­ schäften dazu. Obwohl die Zivil­ siedlung wegen der Veränderung der römischen Straßenverbin­ dungen und dem geringer wer­ denden Durchgangsverkehr bald an Bedeutung verlor, blieb sie bis ins frühe 4. Jahrhundert be­ wohnt. Brigobannis ist als west­ lichster Befestigungsort des Do­ naulimes auch auf der berühmten römi­ schen Straßenkarte Tabula Peutingeriana aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. verzeichnet. Als typischer vicus bestand Brigobannis aus langen rechteckigen Fachwerkhäusern, die sich beidseitig der Straße aneinander­ reihten. Diese sogenannten Streifenhäuser waren mit einer durchgehenden Arkaden­ reihe zur Straße hin ausgerichtet. Die Ge­ samtfläche des Dorfes hatte eine Länge von rund 500 Meter und eine Breite von etwa 150-200 Meter. Die Ausstattung der Häuser scheint auch hier in der Provinz recht komfortabel gewe­ sen zu sein. Die Wände waren weiß verputzt und teilweise mit farbigen Wandmalereien geschmückt. Auch Mosaikfußböden konn­ ten nachgewiesen werden. Die gefundenen Dachziegel trugen zum Teil den Stempel der 11. Legion. Zahlreiche Glasstücke von Fensterscheiben wurden gefunden. Demnach gehörten ver- 134 Spielsteine und Wii,fel aus Glas l(nd Bein, ge­ funden in Hüfingen. glaste Fenster in der Art unserer heute noch verwendeten Butzen­ scheiben zum Ausstattungsstan­ dard in Brigobannis. Römisches Fensterglas war relativ dick und von grünlicher Färbung, es ließ Licht in die Häuser und hielt die kalte Luft ab, war aber nicht durchsichtig. Auch Türriegel, Eisen- und Bron­ zeschlüssel und Schloßbeschläge wurden in großer Zahl in dem Grabungsgebiet Mühlöschle ge­ funden. Der Fund von Fragmenten einer handwerklich sehr sorgfältig aus­ geführten Kalksteinin chrift, die leider nicht mehr zusammenge­ setzt werden konnte, gibt uns den Hinweis auf ein sicherlich reprä­ sentatives Gebäude, das in der Siedlung gestanden hat. Leider wissen wir nichts über seine Funk­ tion. Auf der Ostseite de Dorfes, die dem Wind abgewandt war, fanden sich in konzentrierter Form Reste feuergefährlicher Handwerksbetriebe wie Töpfereien und Schmiedewerkstätten. Auch mehrere Mühl­ steine wurden hier entdeckt. Das Industrie­ gebiet Mühlöschle bestand also bereits in der Antike! Nördlich und südlich des Dorfes lagen die Gräberfelder, in denen sowohl die Dorfbe­ wohner als auch die Kastellsoldaten ihre To­ ten bestattet haben. Während der römi­ schen Kaiserzeit waren Feuerbestattungen üblich, und die Asche des Verstorbenen wur­ de, oft in einer Urne, mit Grabbeigaben für das Weiterleben im Jenseits in einer Erdgru­ be bestattet. Besonders schöne und gut er­ haltene Grabfunde aus Hüfingen sind ein bronzener Handspiegel, ein Spiegel in Form einer Dose und ein Glasfläschchen mit Par­ fümöl aus einem Grab im Gewann „Krum­ me Äcker“. Sogar der Obulus für den Fähr­ mann ins Totenreich, hier in Form einer

Bronzemünze des Vespasian, war in diesem Frauengrab noch vorhanden (Abb. 10 bei Mayer- Reppert und Abb. 27). Auch ein römischer Gutshof (villa rustica) wurde auf Hüfinger Gemarkung, im Deg­ genreuschen Wald, gefunden. Allerdings ist nur das Herrenhaus der Anlage durch Gra­ bung erfaßt worden, die Nebengebäude sind nicht bekannt. Der Bau entsprach mit seinen turmartigen Eckrisaliten dem typi­ schen Aussehen römischer Gutshöfe. Die Wohnräume der Hüfinger villa rustica wa­ ren teilweise beheizbar und mit Wandmale­ reien ausgestattet. Die spärlichen Funde an diesem Platz weisen auf eine Erbauungszeit um ca. 70. n. Chr. hin. In den Gutshöfen lebte damals die Land­ wirtschaft betreibende Bevölkerung, wäh­ rend die Händler und Handwerker vici be­ wohnten. Der Gutshof versorgte die Dorf­ bewohner und das Militär auf dem Galgen­ berg mit Nahrungsmitteln aus Ackerbau und Viehzucht. Sowohl die Einwohner des vicus Brigobannis, als auch die Landleute in der villa rustica, waren wohl zum größten Teil Kelten, die sich der römischen Le­ bensform aber stark angepaßt hatten. Die römischen Hilfstruppen, wie sie beispielsweise im Kastell in Hüfin­ gen anzutreffen waren, setzten sich meist aus der Bevölkerung unterwor­ fener Provinzen zusammen. Die Badeanlage westlich des Galgenberges trug vermutlich sehr zur Romanisierung der einheimischen keltischen Bevölke­ rung bei. Sie wurde ursprünglich in den siebziger Jahren des ersten nach­ christlichen Jahrhunderts für die Ka­ stellbesatzung erbaut, später aber noch mindestens bis zum späten 3. Jahrhundert von der Zivilbevöl­ kerung weiter benutzt. Das Bad ist eines der ältesten römischen Militärbäder nördlich der Al­ pen und baustilistisch dem so­ genannten Blocktypus zuzu­ ordnen, der als ältester Bautyp römischer Bäder gilt. Als typisches Merkmal ist die kompakte und fast quadratische Bau­ form zu nennen. Das Hüfinger Militärbad setzt sich aus zwei Bauteilen zusammen. Der erstgebaute südliche Gebäudeteil in Blockform bestand aus einem Heizraum, einem Warmbade­ raum, einem lauwarmen Raum und einem Kaltbaderaum mit Kaltwasserbecken. Somit stellt er ein komplettes römisches Bad dar. Der nördliche Bauteil wurde später ange­ fügt, besteht aus einem einzigen großen Raum, der als Auskleide- und Ruheraum in­ terpretiert wird und hat annähernd die glei­ che Größe wie der komplette Südteil. Zur zweiten Bauphase, die um die Jahrhundert­ wende erfolgt sein muß, gehört auch das runde Schwitzbad im Südwesten der Ba­ deanlage. Hier sollten sich die körperlich schwer arbeitenden Soldaten erholen und abhärten. Ähnlich wie in den Wohnhäusern im vicus konnten auch für die Badeanlage Mosaikböden und Wandmalereien nachge­ wiesen werden. Die einzelnen Baderäume waren wahrscheinlich überkuppelt. Die römische Badekultur war sehr ausge- prägt und setzte sich sogar in den entlegendsten Provinzen des Im­ perium Romanum durch. Ein rö­ misches Bad hat mit unseren mo- dernen Schwimmbädern recht we­ nig zu tun. Es ist viel eher mit einer Sauna oder einem türkischen Schwitzbad zu vergleichen. Die Zu- sammenhänge zwischen Hygiene und Gesundheit, die Vorteile der Abhärtung und der Entspannung, waren den Römern bereits wohl be­ kannt. Für ein ganzheitliches Men­ schenbild spricht auch die berühmte Erkenntnis der Römer, daß ein gesun­ der Geist nur in einem gesunden Kör­ per wohnen könne. Auch Massagen und gymnastische Übungen fanden in ihren Badeanlagen statt, aber nicht nur das: Außer der Sauberkeit und körperli­ chen Ertüchtigung dienten die römi- Großer eiserner Schlüssel 135

sehen Bäder vor allem der Geselligkeit. Hier traf man sich zum Reden, Politisieren und Spielen. Zu Trinken gab es in den Bars der Bäder sicher auch – in heutiger Zeit käme ein Stammtisch im Erlebnisbad dieser Art von Kommunikation ziemlich nahe. Die Stadtrömer sollen übrigens täglich an die drei Stunden in den prächtigen Badean­ lagen, die sogar eigene Konzertsäle und Bi­ bliotheken besaßen, verbracht haben! In Brigobannis wurde das Badehaus ur­ sprünglich als Militärbad gebaut, schon bald aber von der Zivilbevölkerung mitbenutzt. Männer badeten nachmittags, Frauen vor­ mittags. Für die Soldaten war der Eintritt frei, die Dorfbewohner zahlten wahrschein­ lich einen kleinen Betrag – so eine Badean­ lage mußte schließlich auch unterhalten werden. Die Besucher brachten Handtücher aus Leinen, Badesandalen aus Holz und ihr Badegeschirr mit. Die Badesandalen wurden gebraucht, weil der Boden in den mit Hy­ pokaustanlagen beheizten Räumen über 50 Grad heiß war. Das Badegeschirr bestand aus SalbölAäschchen und Metallschabern (strigiles) zum Abkratzen des Öls, das an Stelle von Seife benutzt wurde, vom Körper. Auch eine Art Schöpfkelle zur Verabrei­ chung kalter Güsse gehörte zur Ausstattung. Als Amulell gefaßter Zahn, römische Siedlung in Hiifingen. 136 Der Badeablauf sah nach der Beschreibung des Arztes Galen so aus: Zuerst betraten die Besucher den lauwarmen Raum (tepidari­ um), in dem sie sich aufwärmten, einölten und massieren lassen konnten. Darauf folg­ te ein heißes Bad im feucht-heißen Warm­ baderaum (caldarium). Anschließend kühl­ te man sich im Kaltwasserbecken des Kalt­ baderaums (frigidarium) ab. Jetzt konnte sich noch ein Aufenthalt im trockenen Schwitzraum (sudatorium) anschließen, der wiederum mit einem Kaltbad abgeschlossen wurde. Funde aus dem Alltagsleben in Brigobannis Die Bewohner des vicus Brigobannis leb­ ten vom Handel und Handwerk, wobei sie sowohl die Kastellbesatzung, als auch die durchziehenden Reisenden als Kundschaft hatten. Einen besonderen Schwerpunkt bil­ dete im Dienstleistungszentrum Brigoban­ nis der Verkehr auf der Donautalstraße, die bis zum Schwarzen Meer führte und auf der Nordsüdverbindung von Vindonissa über Brigobannis nach Arae Flaviae (Rottweil). Dementsprechend viele Funde, die im Zu­ sammenhang mit verschiedenen Verkehrs­ mitteln stehen, wie z.B. Wagenbeschläge und Beschläge von Pferdegeschirr, wurden hier gemacht. Aber auch die Breg wurde als Verkehrsweg zur Donau benutzt, und in die­ sen Zusammenhang gehört der Fund eines eisernen Flößerhakens. Schmelzöfen und -tiegcl, die auf der Ost­ seite der Siedlung entdeckt wurden, weisen auf Eisenverarbeitung hin. Eine Schmiede oder Wagnerei ist denkbar. Bronze- und Glassehlacken sind wohl eher mit dem Begriff Recycling zu erklären. Alt­ reste und Scherben wurden eingeschmolzen und den jeweiligen Werkstätten wieder zu­ geführt. Töpferöfen und Fehlbrände bewei­ sen, daß auch die Töpferei in Brigobannis betrieben wurde. Die Holzverarbeitung ist

Funde durch von Bohrern, Meißeln und ähnlichen Werkzeu­ gen ebenso belegt wie die Steinbe­ arbeitung und das Bauhandwerk. Auch Metall- und Lederverarbei­ tung kann fur Hüfingen nachge­ wiesen werden. Im Gebiet Mühlöschle fanden sich auch zahlreiche Geweih-, Kno­ chen- und Hörnerteile, die Spuren von Bearbeitung aufwiesen. Beson­ ders ein halbfertiger Messergriff gilt als Nachweis für Beinschnitzerei. Nähnadeln und Spinnwirtel sind eher der Textilverarbeitung im häuslichen Bereich zuzuordnen. Waagen und Gewichte aus Bron­ ze und Blei dagegen belegen den Melonenförmige Glasperlen aus dem vicus Brigobannis. Stellenwert des Handels im vicus Brigobannis. Auch die vielen Funde von Terra Sigillata-Gefäßen und Amphoren, in denen in der Antike Olivenöl aus Spanien, Wein aus Italien oder Fischsaucen aus Frankreich transportiert wurden, sprechen für regen Handel. und spricht, vor allem, wenn es reich ver­ ziert war, für einen gehobenen Lebensstan­ dard. Die bekanntesten Manufakturen zur Zeit der Siedlung Brigobannis lagen in Süd­ frankreich, dem Elsaß und im Moselgebiet, die Waren wurden von dort bezogen. Die Gebrauchskeramik wurde im Gegensatz zur Terra Sigillata im Dorf selbst hergestellt. Töpfe, Schüsseln, Krüge und die typischen Reibschalen, ein Kombinationsgerät aus Mörser und Soßenschüssel, konnten für Hüfingen nachgewiesen werden. Terra Sigillata (,,gestempelte Erde“) wird das rotglänzende Keramikgeschirr aus römi­ scher Zeit genannt, weil sich auf dem Boden der Gefäße der Herstellerstempel befand. Dieses Geschirr ist im Gebrauchswert mit unserem heutigen Porzellan vergleichbar Luxusgeschirr aus Silber wurde nicht entdeckt, wohl aber Bruch­ stücke von Bronzegefäßen und ei­ nem kostbaren Millefioriglas. Man kann also von einem relativen Wohlstand der Bewohner von Bri­ gobannis ausgehen. Von der Kleidung der Bevölkerung sind uns nur Fibeln zum Ver­ schließen der Gewänder und Gür­ telschnallen bekannt. Auch einige Schuhnägel von den genagelten Schuhsohlen der Soldaten sind ge­ funden worden. Die keltisch-ger­ Fibe/ in Fischfarm, römisch, Auge emailliert, 2. Jahrhundert manische Tracht der Einheimi­ nach Christus. Original-Größe: 4,8 cm. sehen war besonders bei den Frau- 137

en mit mehreren Fibeln ausgestattet. Sie hielten die Stoffbahnen und -röhren zu­ sammen. Auch die römischen Soldaten tru­ gen Fibeln zum Befestigen ihrer Mäntel. Die Fibeln hatten über ihre Funktion hinaus auch Schmuckcharakter. Besonders schön ist eine Fischfibel aus dem Mühlöschle. Auch zahlreiche Haarnadeln aus Bein und Knochen, die zum Aufstecken der kompli­ zierten modischen Frisuren a la römisches Kaiserhaus benötigt wurden, konnten in Hüfingen nachgewiesen werden. Fingerrin­ ge und Perlen von Halsketten wurden eben­ falls gefunden. Schreibgriffel zum Einritzen der Schrift in die Wachstäfelchen, die die Römer anstelle von (Konto·) Büchern be­ nutzten, kommen im Mühlöschle so häufig vor, daß wir von einer hohen Anzahl von Schriftkundigen im ,rntiken Brigobannis ausgehen können. Spielsteine und beinerne Würfel weisen auf den Gebrauch von römischen Brettspie­ len hin, deren Nachfolger Mühle, Dame und Backgammon heute noch gespielt wer­ den. Von der Wohnungseinrichtung sind nur die von den Römern zur Beleuchtung ver­ wendeten Öllämpchen in großer Zahl er­ halten geblieben. Diese Lampen wurden mit Olivenöl gespeist und waren ein typisch rö­ mischer Einrichtungsgegenstand. Die An­ zahl der gefundenen Öllämpchen spricht für den hohen Grad der Anpassung der Bri­ gobannisbewohner .in den römischen Le· bensstil. Auch einige Fragmente von Haus.iltären sind vorhanden und beweisen Kulthand­ lungen im häuslichen Bereich. So bestand Brigobannis als eine blühende Siedlung, deren Bewohner sich an römische Lebensweise und Lebensart angepaßt hat­ ten. War im ersten Jahrhundert nach Chri­ stus noch eine einheimisch-keltische Tradi­ tion vorherrschend, so kann im zweiten Jahrhundert aber deutlich eine schrittweise Anpassung der Bewohner an die Eßge­ wohnheiten und die Mode der römischen 138 Welt festgestellt werden. Die gefundenen Keramik- und Fibelformen belegen diese Entwicklung gut. Am Ende verschmolzen im KastelldorfHüfingen, das zu einem Zen­ trum römischen Lebensstils in der Region geworden war, die keltische und die römi­ sche Kultur. Mit dem Fall des Limes im drit­ ten Jahrhundert war bereits d,1s Ende dieser keltisch-römischen Kultur und des ,,Vicus“ Brigobannis in Sicht. Bis heute aber ist das Hüfinger Römerbad, inzwischen saniert und museumsdidaktisch aufgewertet, ein eindrucksvolles Zeugnis römischer Lebens­ art – und sichtbarstes Zeichen von Hüfin­ gens römischer Vergangenheit. Benlria Scherzer M. A. Li1er.11urJusw.1hl: A. Eckerle, Die römische 8,1dmine in Hüfingen. Frei­ burg 1970; Ph. Filizinger/D. PIJnck/B. Cämmcrer, Die Römer in Baden-Würuemberg. Siuttgart 1986; G. Fingerlin/H.G.Jansen, GeomJgneiische Prospek- 1ion Jl1 einem ungewöhnlichen I lolzbau römischer Zeil in l lüfingen, Schw.m:wald-ßaJr-Kreis. Archäo­ logische AusgrJbungen in 8,tden-Würuembcrg 1990; P. M.1yer-Repper1. Brigobannis – D,1s römische Hü­ fingen. S1uug.1rt 1995; P. Revellio, D.1� K.1s1ell I Iüfingcn. In: Der oberger­ manisch-r.1etische Limes des Römerreiches, Hrg. E. Fabricius/F. Heuner/0. v. Sarwey. Abt. B Band V 2 Nr. 62.i. Berlin 1 937; P. Revellio, Die C.mabae von K:1s1ell Hüfingen. Ba­ dische Fundberichie 20, 1956; S. Rieckholf, Münzen und Fibeln .1us dem Vicus des Kastelb Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). Sa.11- burg-J.thrbuch 32, I 975; A. Veuer, Hüfingen. Hüfingen 1984.

Einst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor Römische Gutshofanlage in Überauchen ist ausgezeichnet erhalten Der römische Gutshof nordwestlich von Überauchen ist seit 1921 bekannt. Er wurde von P. Revellio an einem Nord-Südhang über dem Tal des Bondelgraben mit mehre­ ren Gebäuden lokalisiert (Abb. !). Das zu­ gehörige separate Bad (Abb. 1, Nr. 4) und ein Wirtschaftsgebäude (Abb. 1, Nr. 2) wur­ den zu Beginn der 80er Jahre im Neubauge­ biet „Im Brühl“ ausgegraben. Im Frühjahr 1994 kamen wiederum bei Erschließungsar­ beiten im nördlich anschließenden Neu­ baugebiet „Belli“ römische Mauern zutage (Abb. 2). Sie wurden in den Sommermona- ten 1994 und 1995 vom Landesdenkmal­ amt Baden-Württemberg, Archäologische Denkmalpflege, Außenstelle Freiburg, weit­ gehend freigelegt und gehören zu dem Wohngebäude (Abb. 1, Nr. 3) des römischen Gutshofes. Der Lage am Hang verdankt die­ ses Gebäude seine ausgezeichnete Er­ haltung. Im Laufe der Zeit hatten sich Schwemmschichten über die römische Rui­ ne gelegt und sie vor weiteren Zerstörungen geschützt. Auch die Größe des Gebäudes überraschte. Der Grundriß zeigt ein Gebäu­ de mit mindestens 10 Räumen (Abb. 1, ——- — ——>–._ -·-‚()… ____ _ 0 &Om Abbildung 1: Plan der römischen C111shofanlage in Überaue/Jen. 139

Abbildung 2: Eine Luftbildaufnahme von „ Gebäude 3 „des römischen Gutshofes. Nr. 3). Die Mauern waren stellenweise bis zu 1,4 m hoch mit mehreren Steinlagen er­ halten und in der typischen römischen Zwei-Schalen-Technik erbaut. Der Zwi­ schenraum zwischen den beiden Außen­ schalen aus Kalksteinquadern wurde mit Mörtel und Bruchsteinen verfüllt. Die Mauerecke im Nordwesten des Gebäudes vermittelt einen Eindruck vom guten Erhal­ tungszustand der Mauern und von der soli­ den römischen Bautechnik (Abb. 3). In zwei Räumen wurden Reste der Fußbodenhei­ zung (hypokaustum) angetroffen. Vom Hof­ areal führte durch einen Heizkanal die heiße Luft in den Hohlraum unter dem Fußboden und verteilte sich zwischen den senkrecht stehenden, grob zugehauenen Sandstein­ pfeilern und den aus quadratischen Ziegel­ platten gemauerten Säulchen (Abb. 4). Dar­ auf lagen Sandsteinplatten und der Estrich­ boden. In einem dieser beiden Räume wa- ren noch Reste der Wandheizung in Form von Hohlziegeln erhalten. Durch die sog. tubuli zog die heiße Luft an den Wänden hoch ins Freie. Die Räume waren mit Fußböden aus Kalkestrich ausgestattet und über Treppenstufen zugänglich (Abb. 1, Nr. 3). Auf der Innenseite der flächig verputzten Wände hatten sich stellenweise noch Reste der dekorativen Wandbemalung erhalten, wie größere Fragmente zeigen. Darauf sind nicht nur die Farben Rot, Grün, Blau und Gelb erhalten, sondern auch Kompo­ sitionen mit pflanzlichen Motiven (Abb. 5). Etwa in der Mitte von Gebäude 3 liegt ein etwa 175 qm großes Hofareal mit Feuerstel­ le und Backofen. In diesem Gebäudetrakt spielte sich weitgehend das römische All­ tagsleben ab. Hier wurden gekocht und ge­ backen sowie handwerkliche Tätigkeiten ausgeübt. Dafür sprechen neben den Be­ funden auch die zahlreichen eisernen Werk- 140

mit Fußboden- und Wandheizungen in mindestens zwei Räumen kennzeichnen dieses Gebäude 3. Die einzelnen Baudetails liefern Anhaltspunkte zur ursprünglichen Nutzung der Räume. Lage, Grundriß und Ausdehnung lassen darin das Wohnhaus der römischen Gutshofanlage erkennen. Die Funde in Gebäude 3 geben einerseits Hinweise zur Datierung, andererseits sind zeuge, darunter auch Messer mit Holzgrif­ fen und Schafscheren sowie Eisengeräte zur Behandlung von Tierhäuten und Fellen. Ei­ ne Kalkgrube in der Südostecke des Hofes diente zur Aufbereitung von Kalk, der für den Mörtel und den Wandverputz ge­ braucht wurde. In einem Gebäude dieser Größenordnung fielen immer wieder Repa­ raturen an; auch wurde nach Bedarf und Ge­ schmack des Besitzers um- und an­ gebaut, vergrößert und moderni­ siert. Baubefunde im Hofareal deuten darauf hin, daß dieser Wirt­ schaftstrakt auf jeden Fall in den Randbereichen überdacht war. Ob eine Gesamtüberdachung ange­ nommen werden kann, wird noch diskutiert. Die Witterungs- und Temperaturverhältnisse in dieser geographischen Lage erfordern eher einen Schutz in Form einer Gesamtüberdachung; doch fehlen für diese Annahme die überzeu­ genden archäologischen Befunde. Im südlichen Bereich bildet eine an den Hang gebaute Steinmauer die nördliche Begrenzung der über Abbildung 3 {oben) und 4: Die nordwestliche Mauerecke von einen mit Holzstufen versehenen Gebäude 3, ein Mauerwerk in Zwei-Schalen-Technik. Unten: Abganges in einen Keller. Im öst- Blick in einen Raum mit Fußbodenheizung. liehen Gebäudeteil liegen weitere Räume (Abb. 1, Nr. 3). Ein vorge­ zogener Eckbau (Eckrisalit) befin­ det sich im Nordosten; daran schließt sich hangabwärts eine überdachte Halle (portikus) an, die nach Osten ausgerichtet ist und oberhalb der Wegböschung endet. Dieser südliche Trakt wird noch in einer abschließenden Grabungs­ kampagne im Sommer 1996 un­ tersucht. Die außergewöhnlich gut erhal­ tene Bausubstanz, die qualitätvol­ le Innenausstattung mit flächigem Wandverputz und Malereien so­ wie mit Kalkestrichfußboden und 141

bilden den Hauptteil der Eisenfunde inner­ halb Gebäude 3. Zu erwähnen sind in die­ sem Zusammenhang auch Fragmente von Fensterglas. Daß Gebäude 3 mit Ziegel ge­ deckt war, belegen die zahlreichen Leisten­ ziegel. Von der hölzernen Wasserleitung ha­ ben sich eiserne Verbindungsringe mit Holz­ resten, sog. Deuchelringe, erhalten. Spiel­ steine aus Glas und Knochen (Abb. 8) zeigen, daß auch die Freizeit nicht zu kurz kam. Aus Knochen geschnitzte Haarnadeln und bronzene Fingerringe sind persönliche Gegenstände der Bewohner, von denen ei­ nige lesen und schreiben konnten, wie Schreibgriffel beweisen. Kunstvoll gearbei­ tete Bronzebeschläge von Etuis, in denen das Eßbesteck aufbewahrt wurden, liegen ebenfalls vor. Einige Silbermünzen belegen, daß der Gutshof von Überauchen seit der zweiten Hälfte des 2.Jhs. bis zu Beginn des 3.Jhs. n. Chr. bewohnt war. Der Gutshof von Überauchen liegt in der römischen Provinz Obergermanien, die im Zuge der römischen Eroberungspolitik in Südwestdeutschland im 1. Jh. nach Chr. ins Abbildung 6: Kemmikscherbe mit plastischer Gesirhtsdarstel/1111g. Abbildung 5: Fmgment eines bemalten Wand­ putzes. sie auch Hinterlassenschaften der Men­ schen, die in diesem Gebäude gelebt haben. Zu nennen sind Haushaltsgeräte wie der bronzene Griff eines Siebes, Reibschalen, das Koch- und Eßgeschirr aus gebranntem Ton sowie das qualitätsvolle römische ,,Meissner“, die Terra sigillata. Unter den Ke­ ramikscherben befindet sich auch ein Ge­ faßfragment mit einem plastisch modellier­ ten Gesicht, auf dem ein Bart und ein Grübchen am Kinn an­ gedeutet werden (Abb. 6). Scherben von Trinkgläsern und Glasschalen mit Fa­ cettenschliff deuten einen gehobenen Wohlstand an. Vom beweglichen Mobili­ ar haben sich Schlüssel, Beschläge und Scharniere von Truhen und Holzkäst­ chen erhalten. Die zahlrei­ chen eisernen Schlüssel von Schiebeschlössern (Abb. 7) und die Schloßbleche an Türen lassen gewisse Sicher­ heitsvorkehrungen erken­ nen. Eiserne Beschläge der Holztüren und handge­ schmiedete Nägel aus Eisen 142

Abbildung 7: Eiserne Schlüssel römische Reich eingegliedert wurde. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der Infrastruktur im Hinterland des Limes war der Ausbau des Straßennetzes, auf dem nicht nur römische Truppen sondern auch römische Siedler in die neue Provinz ge­ langten. Auch der Nachschub für Militär und die militärischen Anlagen (Kastelle) vollzog sich auf diesem Weg. Parallel dazu entwickelten sich im Umfeld von strategisch wichtigen Verkehrspunkten dorfahnliche (vici) und ländliche Ansiedlungen (villae ru­ sticae oder Gutshöfe). In der weiteren Um­ gebung von Überauchen liegen die römi­ sche Stadt „Municipium Arae Flaviae“ (das heutige Rottweil), die Zivilsiedlung (vicus) „Brigobannis“ mit Kastell und Kastellbad (das heutige Hüfingen) und die inzwischen restaurierte römische Gutshofanlage von Fischbach, Gern. Niedereschach. Die heute weitgehend durch Lesefunde und Luftbilder lokalisierten und durch Not- grabungen untersuchten römischen Guts­ höfe prägten einst das römische Siedlungs­ bild in der Provinz Obergermanien. Nur wenige dieser unterschiedlich strukturierten Anlagen sind vollständig archäologisch un­ tersucht, nur wenige Steingebäude so gut er­ halten wie das Gebäude 3 von Überauchen. Das Spektrum erstreckt sich von einfachen Bauernhöfen bis hin zu größeren Landgü­ tern. Sie versorgten die Bevölkerung in den Städten mit Produkten aus der Landwirt· schaft und bildeten innerhalb der rom1- schen Provinzen einen wichtigen Wirt­ schaftsfaktor. Innerhalb einer römischen Gutshofanlage waren neben dem Wohngebäude auch Stal­ lungen und Scheunen sowie Handwerksbe­ triebe wie Töpferei und Ziegelei und das me­ tallverarbeitende Handwerk (Bronze und Eisen) untergebracht. Eine Hofmauer, an die sich die Acker-, Weide- und Waldflächen anschlossen, umgab das Gebäudeensemble. 143

te im Laufe der Zeit das Schicksal von vie­ len römischen Gebäuden, die allmählich zerfielen, als Steinbruch oder als Recy­ clingsstätte (Kalkbrennofen) benutzt wur­ den und in Vergessenheit gerceten, bis sie durch Bodeneingrcffe bec aktuellen Bau­ maßnahmen wieder ans Tageslicht geholt wurden. Beigaben lose Gräber mit West-Ost gerich­ teten Körperbestattungen, die außerhalb und innerhalb des römischen Gebäudes an­ getroffen wurden, waren eine Überra­ schung. Erst die anthropologische Untersu­ chung wird nähere Erkenntnisse über das in­ dividuelle Alter und die kulturelle Zuge­ hörigkeit bringen. Dr. Julia Klug-Treppe Literaturauswahl: G. Fingesling, Brigachtal-Überauchen. In: Die Rö· mer in Baden-Württemberg 1986, 26 l· 263 Abb. 103 Gebäude 1- 4. A. Harwath, Neue Ausgrabungen im Beseich des sö· mischen Gutshofes bei Überauchen. Mitt. d. Ges. f. Altertums- und Brauchtumspflege 3, 1981, 22 • 24. K. Hietkamp, Ein weiteres Gebäude des römischen Gutshofes von Überauchen. Mitt. d. Ges. f. Alter· tums- und Bsauchtumspflege 2, 1980, 17-18. J. Klug-Treppe, Der römische Gutshof in Überau­ chen, Gem. Bsigachtal, Schwarzwald-Saar-Kreis. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württem· berg 1994 ( 1995) 176-182. ). Klug Treppe, Weitere Ausgrabungen im römischen Gutshof von Übe rauchen, Gern. Bsigachtal, Schwarz· wald-Baar-Kreis. Archäologische Ausgrabungen in B.1den-Würt1emberg 1995 (1996) im Druck P. Revel­ lio, Römisches Gehöft bei Über,1Uchen. Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 15, 1924, 29-34. Abbildung 8: Spielsteine aus Knochen und Glas. Nach einer Phase des wcrtschaftlichen Wohlstandes beeinträchtcgten die um 233 n. Chr. einsetzenden Alamanneneinfalle das ruhige Leben der Bewohner im Hinterland des obergermanischen Limes. Vcele römi­ sche Gutshöfe wurden in dieser Zeit aufge­ geben. Eine Brandschicht in Gebäude 3 von Überauchen deutet auf eine Zerstörung durch Feuer hin. Ob die Bewohner durch die Alamannen endgültig zum Verlassen des römischen Gutshofes cn Überauchen ge­ zwungen wurden, wird wohl erst nach Ab­ schluß der Grabungen beantwortet werden können. Durch seine außergewöhnlcchen archctek­ tonischen Baubefunde und die qualitätsvol­ len Raumausstattungen hebt sich das Ge­ bäude 3 von vielen römischen Gebäuden ab, von denen sich nur noch die Funda­ mente erhalten haben. Die origcnale Sub­ stanz der unterschiedlich hoch erhaltenen Mauern und die baulichen Details wie Trep­ penstufen und Raumeingänge geben ein Raumgefühl, wie es weit und breit kecne an­ dere Ausgrabungsstelle vermittelt. Das Wohngebäude des römcschen Gutshofes von Überauchen ist ein archäologisches Kul­ turdenkmal von besonderer Bedeutung für die Ortsgeschichte und zugleich ein Zeugncs der römischen Besiedlung der Baar. Es teil- 144

Geschichte und Denkmalpflege Versuchsstation Schule Religionsunterricht im Landkapitel Donaueschingen zur Zeit des Dritten Reiches Durch eine Fülle von Erlassen griff das ba­ dische Ministerium für Kultus und Unter­ richt 1933/34 in das schulische Leben ein. Das Hissen der Hakenkreuzfahne, das Ab­ singen des Horst-Wessel-Liedes, das Tragen von Abzeichen oder das Erweisen des Hit­ lergrußes wurden in ihrem Ablauf minutiös geregelt. Dekan Meister berichtet 1935: ,,In Beach­ tung des Erlasses des Herrn Ministers des Kultus und Unterricht Nr. Bov. 4. 1. 1934, Hitlergruß und Flaggenordnung in den Schulen betreffend, habe ich voriges Jahr den in der Kirche versammelten Schulkin­ dern im Beisein von Vikar Burger erklärt und gezeigt, wie Geistliche vor und nach ihrem Religionsunterricht einander zu be­ grüßen haben. Ähnlich, sagte ich ihnen, sollt ihr den Geistlichen auch auf der Straße grüßen durch Erheben des rechten Armes und mit den Worten ‚Heil Hitler‘ und ‚Gelobt sei Jesus Christus!‘ Da in der Folgezeit auffallend viele Kinder den katholischen Gruß ‚Gelobt sei Jesus Christus‘ weg­ ließen und nur mit ‚Heil Hitler‘ grüßten, habe ich wiederholt in den fünf oberen Schulklassen, auch in Gegenwart von Vikar Bur­ ger, die Erklärung abgegeben: ‚Ihr Kinder! Ich habe euch noch nie verboten, ‚Heil Hitler‘ zu sagen, wenn ihr mir auf der Straße begeg­ net, und ich verbiete es auch jetzt nicht. Ich verlange nur, daß ihr außerdem auch noch hinzufügt ‚Gelobt sei Jesus Christus‘. Ähn­ lich wie es vom Ministerium für die Schule vorgeschrieben ist. Ich möchte nicht haben, daß dieser uralte Gruß abgeht.“ Für Dekan Meister waren die Aus­ einandersetzungen um den „Hit­ lergruß“ einer der Gründe für sei­ ne Vertreibung aus Bräunlingen. Bei anderen Priestern blieb es bei der Verwarnung durch die Schul­ behörde. Für alle aber mußte der Hitlergruß ein Ärgernis sein, denn 145 Ein Meer von Liigen und Gewalt. Unter der Propagandama­ schinerie von Goebbels halle auch die Kirche zu leiden. Ein Öl­ gemälde von Franz Mayrhofer.

er verdrängte die überlieferte Tradition, nach der Kinder bei der Begrüßung auf der Straße dem Geistlichen die Hand gaben, einen Knicks oder Diener machten und freundlich ‚Gelobt sei Jesus Christus‘ sagten. Wo der Gruß verdrängt wurde, entfiel auch eine Ehrfurchtsbezeigung gegenüber dem Geistlichen. In vielen Orten des Landkapitels arbeite­ ten Geistliche und Lehrer vertrauensvoll zu­ sammen, waren Lehrer auch Organisten in der Kirche. Und dort lief das Schulleben trotz aller Erlasse friedvoll weiter. Man ar­ rangierte sich. Im Jahresbericht der Erz­ bischöflichen Schulinspektion Hammerei­ senbach (1936), der die Hüfinger Volks­ schule, die Hüfinger Anstaltsschule Maria Hof und die Schulen von Bräunlingen, Waldhausen, Hubertshofen, Unterbränd, Wolterdingen und Tannheim umfaßt, stell­ te Pfarrer Huber fest: ,,In sämtlichen Schu­ len des Bezirkes wurde im vergangenen Schuljahr recht gute Arbeit geleistet. Sämt­ liche Lehrer haben in gut katholischer Ge­ sinnung ihre Lehraufgaben erfüllt und ge­ wissenhaft die religiöse Unterweisung be­ sorgt. Von einem Vorhandensein irgendwel­ cher antichristlicher, deutschgläubiger Ideen wurde nirgends etwas bemerkt. Im Gegen­ teil zeigten alle Lehrer eine gläubige, positi­ ve Gesinnung … Wir sprachen im Namen der Hohen Kirchenbehörde den Lehrperso­ nen Anerkennung und Dank aus und wie­ sen auf die von der Fuldacr Bischofskonfe­ renz erlassenen Katholischen Grundsätze für die Erteilung des Religionsunterrichts hin, ebenso auf den Offenbarungscharakter und die religiös sittliche Bedeutung des Al­ ten Testaments. Erfreulich war auch die rege Teilnahme der Stiftungs- und Gemeinderä­ te an den Prüfungen in allen Gemeinden.“ Wo aber andernorts Lehrer sich den For­ derungen der nationalen Revolution beug­ ten und die ihnen anvertraute Jugend im na­ tionalsozialistischen Sinn erziehen wollten, da wurden Geistliche gerügt, weil sie – wie gewohnt – am Montagmorgen Schüler und 146 Schülerinnen nach dem Besuch des Sonn­ tagsgottesdienstes fragten, weil sie Kirchen­ lieder im Religionsunterricht einübten oder Werbung für katholische Vereine betrieben. Wie sehr bei NS-Lehrern nationalsoziali­ stisches Gedankengut den Unterricht be­ stimmen konnte, zeigen Aufzeichnungen von katholischen Schülern der Staat!. Uhr­ macherschule zu Furtwangen aus dem Un­ terricht von Dipl. Ing. F.: ,,Eure Führer sind keine Führer, sondern Verführer. Der Natio­ nalsozialismus hat die Kirche geschützt. Ihm habt ihr es zu verdanken, daß über­ haupt noch eine Kirche da ist. Und jetzt wirft man ihm Neuheidentum vor. Zwei Ju­ den haben auf dem Papststuhle gesessen. Zwei ausgerechnet aus dem Volk, das den Erlöser ans Kreuz geschlagen hat. Ihr meint immer noch, euch aus irgendwelchen kon­ fessionellen Gründen von der Volksgemein­ schaft ausschließen zu können.“ Viele Geistliche neigen eher zum Ungehorsam Bis ins Innere des Gewissens der Geistli­ chen traf der Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Er­ ziehung und Volksbildung vom März 1937, in dem von allen Geistlichen, die in der Schule Religionsunterricht gaben, ein Treue­ gelöbnis verlangt wurde: ,,Ich gelobe, ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehor­ sam sein und meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen.“ Viele Geistliche neigten eher zum Ungehor­ sam gegenüber der Gelöbnisformel. Aus den Tageszeitungen wußten sie, was den Lehrern bei ihren Vereidigungen verkündet worden war: ,,Wer einmal auf diese Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört.“ Doch Erzbischof Gröber gab aus pastoralen Gründen Anweisung an die Pfarrämter in Baden, das Treuegelöbnis ab­ zulegen. Er wollte nicht, daß die Schul-

behörden die Geistlichen aus formalen Gründen – Gelöbnisveiweigerung – aus den Schulen vertrieben. Die Geistlichen fügten sich. Aber noch nach Jahren brach aus dem Herzen von Stadtpfarrer Dr. Feurstein der Groll, wenn er im privaten Gespräch mit sei­ nem Freund Pfarrer Rimmele ausrief: ,,0 Jammer, o Jammer, warum erheben sich un­ sere Bischöfe nicht wie ein Mann und stel­ len sich vor ihr Volk und für ihre Kirche hin, um die bedrohten heiligsten Güter zu be- schützen! Unsere Jugend ist verloren, unse­ re Rechte auf Erziehung und Schule ge­ nommen, und die Bischöfe schweigen.“ Sein Freund Rimmele meint dazu: ,,Er schaute eben nur von seiner Warte aus die Dinge an, und seine Warte ist nicht die Hochwarte eines Bischofs, eines Nuntius, ei­ nes Papstes.“ Ganz anders – entschieden, unnachgiebig – reagierte Erzbischof Gröber, als die Natio­ nalsozialisten das Alte Testament als Unter- Die Einweihung des Kriegerdenkmales in Aasen am 28. Mai 1933. Trotz der Präsenz von 100 SA­ und SS-Leuten (7 aus dem Ort), sprach der lfarrer im Sinne jeder Vermeidung von Konfrontation. 147

richtsstoff verbieten wollten. Er klagte schon in seinem Neujahrsschreiben 1937: ,,Soll die deutsche Schule … zur weltanschaulichen Werbeanstalt für das Unchristentum und Neuheidentum werden?“ Gröber war sich längst darüber im klaren, daß sich „Das Christentum und die Kirche in einem entscheidenden Abwehrkampf befinden.“ Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennung und Gegenreformation gaben das Material, aus dem in der Schule die provokativen Fra­ gen gestellt wurden. Das Alte Testament wurde verächtlich gemacht. Vorträge der NS-Schulungsredner und be­ wußt plazierte Meldungen der Gauleitung in den Tageszeitungen weckten die Fragelust der jungen Menschen: Kann der Christ, oh­ ne in Widerspruch mit der Bibel zu kom­ men, Antisemit sein? Billigen Sie die Ehe zwischen einem katholischen deutschen Mädchen oder Mann und einem katholi­ schen Juden oder Jüdin? Gefährliche Fragen für den Religionslehrer, denn Spitzel lauer­ ten überall, und ideologisch fixierte Schul­ behörden waren bereit zum Eingreifen. Für die geistige Auseinandersetzung mit der NS­ ldeologie ließ Erzbischof Gröber die Geist­ lichen auf pädagogischen Konferenzen schulen. 1935 lautete das Thema: Wie ist der Unterricht in der biblischen Geschichte des Alten Testamentes zeitgemäß und religiös fruchtbar zu erteilen? Im November 1936 wurden die „Katechis­ muswahrheiten“ den Pfarrämtern durch Bo­ ten zugestellt. Nur ein vierseitiges Faltblatt! Aber scharf geschliffen im Wort und deut­ lich in seinem Inhalt. Ab dem 5. Schuljahr sollte es in allen Schulklassen aller Schul­ formen behandelt werden, sofort, ohne Rücksicht auf den Lehrplan. Und der Kate­ chet mußte nicht nur das Verständnis bei den Schülern sichern, sondern es ihnen auch unverlierbar einprägen. Auswendig! Ein Generalangriff auf das aufgebaute ideo­ logische Gedankengebäude der NSDAP. Parteitreue Eltern protestierten dagegen mit dem Kommentar: ,,Verherrlichung des Ju- 148 dentums, Mißachtung des Nationalsozialis­ mus!“ Der Minister des Kultus und Unter­ richts verbot am 27. 1. 1937 die „Katechis­ muswahrheiten“ als eine Flugschrift, die „staatsabträglich“ ist. Ohne Genehmigung der Behörden in den Schulen eingeführt! Vor allem die Frage 17 hatte Ärgernis erregt: Welches war die größte Ehre des jüdischen Volkes) Die größte Ehre des jüdischen Volkes war, daß aus ihm der Erlöser hervor­ ging. In diesem Sinne sagt Jesus: ,,Das Heil kommt aus den Juden“ Ooh. 4, 22b). „Nein“, befahl der Erzbischof gegen die Anordnung des Kultusministers, ,,die Kate­ chismuswahrheiten werden nicht vernich­ tet.“ Die Pfarrer im Landkapitel verstanden, denn in vielen Pfarrarchiven des Landkapi­ tels findet sich dieser kleine Zettel, auf den die bischöfliche Anweisung zum Ungehor­ sam gegen den Kultusminister vervielfältigt wurde. In welchem „Gewissenkonflikt“ sich die Religionslehrer befanden, zeigt der folgende Brief aus Aasen, verfaßt am 20. November 1938: ,,Geehrter Herr Pfarrer! Als deutscher Lehrer und Mitglied der NSDAP ist es mir nicht mehr möglich, den Religionsunter­ richt weiter zu erteilen. Man kann es doch nicht mit seinem Gewissen vereinbaren z.B. in der Geschichtsstunde die Juden als Gau­ ner zu kennzeichnen, während dann wieder in der Bibelstunde die Könige David, Sa­ lomon u. a. als tugendreiche, vorbildliche Männer auftreten. Wenn ich nun die Ertei­ lung des Religionsunterrichtes niederlege, so ist damit keineswegs gesagt, daß ich aus der Kirche austrete … Den Organistendienst würde ich, so lange sie keinen Ersatzmann finden, weiterführen. Sollten Sie anders ge­ sonnen se111, so bitte ich umgehend um Nachricht.“ Schwere Gewissenskonflike Nach dem Attentat des Juden Hersehe! Grynspan in Paris (7. 11. 1938) hatte der ,,Nationalsozialistische Lehrerbund“ in ei-

ner internen Anweisung alle Lehrer aufge­ fordert, ,,den Religionsunterricht mit sofor­ tiger Wirkung niederzulegen, da wir eine Vorherrschaft des jüdischen Verbrecher­ volkes nicht länger dulden können.“ Viele Lehrer und Lehrerinnen gerieten in schwere Gewissenskonflikte, weil sie sich dagegen sträubten, den Religionsunterricht nieder­ zulegen, andererseits aber schwere Nachtei­ le aus ihrer katholischen Haltung befürch­ teten. Manche versuchten auszuweichen, indem sie nur den Unterricht über das Alte Testament verweigerten. Generalvikar Rösch stellte unerbittlich fest: ,,Eine Scheidung zwischen Altern und Neuem Testament wi­ derspricht den Grundsätzen der Katholi­ schen Kirche, welche Altes und Neues Te­ stament als Offenbarung Gottes anerkennt.“ Und – wer den Religionsunterricht abgab, durfte „den kirchlichen Ehrendienst eines Organisten und Kirchenchorleiters nicht weiterhin verrichten.“ Über den Auszug der Religionslehrer im Landkapitel Donaueschingen meldete am 10. Januar 1939 Dekan Dr. A. Müller aus Neudingen an das Erzbischöfliche Ordina­ riat, daß etwa 80 Prozent der Lehrer den Re­ ligionsunterricht niedergelegt hätten: Aasen: Beide Lehrkräfte haben RU nieder­ gelegt. 5 Stunden RU vom Pfarrer über­ nommen. Bräunlingen: Von 5 Lehrern haben drei RU niedergelegt. 10 Stunden frei, nicht über­ nommen. Döggingen: 1 Lehrer RU niedergelegt, l. Leh­ rer nicht. 1 Stunde RU vom Pfarrer, 1 vom Lehrer übernommen. Donaueschingen: Bis jetzt kein Bericht er­ hältlich. Fürstenberg: Lehrer hat RU niedergelegt. Vom Pfarrer übernommen. Furtwangen: 3 Lehrer in Furtwangen und der Lehrer in Katzensteig haben RU niederge­ legt. 12 Stunden von Geistlichen übernom­ men. Griiningen: Lehrer hat RU niedergelegt. Ent- scheidung nicht endgültig. Gütenbach: 1 Lehrer hat RU niedergelegt. Pfarrer hat übernommen. Hammereisenbach: Lehrer hat sich noch nicht erklärt. Hausen vor Wald: In Hausen vor Wald keine Änderung. ln Behla hat Lehrer RU nieder­ gelegt. 3 Stunden RU frei, Pfarrer über­ nimmt 2. Heidenhofen: Lehrer erteilt vorläufig noch RU. Hondingen: Lehrer hat RU niedergelegt. 3 Stunden übernimmt Pfarrer. Hubertshofen: Lehrer in Hubertshofen RU niedergelegt. Lehrer in Unterbränd RU nie­ dergelegt. Stunden anderweitig belegt. Hüfingen: 3 Lehrer haben RU niedergelegt. 9 Stunden RU frei, 3 Stunden vom Pfarrer, 6 von Lehrerin übernommen. Munde!fingen: Lehrer hat RU niedergelegt. 3 Stunden vom Pfarrer übernommen. Neudingen: Beide Lehrer haben RU nieder­ gelegt. 6 Stunden frei, 4 1/z Stunden vom Pfarrer übernommen. Neukirch: Beide Lehrkräfte haben RU nie­ dergelegt. 6 Stunden vom Pfarrer übernom­ men. ffohren: Keine Änderung Riedböhringen: Keine Änderung Rohrbach: Keine Änderung Schönenbach: 1 Lehrer RU niedergelegt. Lehrer nicht katholisch. Unter- und Ober­ klasse kombiniert. Unterklasse RU um 1 Stunde gekürzt. Sumpfohren: Der Lehrer hat nach anfängli­ cher Niederlegung den RU wieder aufge­ nommen. Sunthausen: 1 Lehrer hat RU niedergelegt. 1 Lehrer nicht katholisch. 3 Stunden RU frei. Noch nicht geregelt. Tannheim: 6 Stunden RU frei. Auf 5 redu­ ziert und vom Pfarrer übernommen. Urach: Keine Änderung Vöhrenbach: 5 Lehrer haben RU niederge­ legt. Davon einer aus Langenbach. 13 Stun­ den RU frei geworden. Von den beiden Geistlichen übernommen. 149

Wolterdingen: Beide Lehrer haben RU nie­ dergelegt. 5 Stunden RU frei. Vom Pfarrer übernommen. So hielten die Geistlichen zu ihrer sonsti­ gen Seelsorgearbeit immer mehr den Religi­ onsunterricht. Auf den biblischen Unter­ richt, den zuvor die Lehrer erteilt hatten, mußten sie sich methodisch erst einstellen. Dann aber brachte es ihnen persönlichen Gewinn, neue Erfahrungen, denn sie konn­ ten jetzt Bibel und Katechismus inhaltlich stärker verbinden. Bei den Gesprächen auf den pädagogischen Konferenzen im Land- kapitel wurde ihnen klar, daß Bibel und Ka­ techismus Formen der Glaubensvermittlung waren, die gemeinsam über zwei Jahrtau­ sende die Kontinuität der Glaubensvermitt­ lung gesichert hatten. Es war nicht nur des Bischofs Befehl, daß kaum Religionsstunden ausfielen. Es war der Wille der Geistlichen, mit ungeheuren Anstrengungen die Weitergabe des Glau­ bens mit neuem Leben zu erfüllen und die Widerstandskraft gegenüber der Ideologie des Nationalsozialismus zu stärken. Richard Zahlten Eine Wurfweite von 37 Metern Dauchinger Feuerwehrspritze stammt aus dem 18. Jahrhundert Als die Freiwillige Feuerwehr Dauchingen bei den Vorbereitungen für ihr 125jähriges Jubiläum im Jahre 1994 ein Jahr zuvor ihre „alte Feuerspritze“ neu anstreichen wollte und deshalb den alten Anstrich ablaugte, entdeckte man mehrere Inschriften. Die In­ schrift am hinteren Druckbaumbasisbrett lautet: ,,DaMalige Vegt Ignatzi Hirt-Fidely Hirt“ und bezeichnet damit die Entste­ hungszeit der Feuerspritze fur das Jahr 1779 oder die Jahre zwischen 1783 und 1789. Zieht man in Erwägung, daß bei einem großen Brand in Dauchingen 1784 eine eigene Feuerspritze nicht erwähnt wird und in den Gemeinde­ rechnungen fur die Jahre 1787 /88 größe­ re und kleinere Arbei­ ten an der Feuersprit­ ze festgehalten sind, engt sich der Zeit­ raum für die Herstel­ lung der Feuerspritze auf die Jahre zwi­ schen 1784 und 1786 ein. Eine zweite, zeit- Die Dai1chinger Feuerwehrspritze gleiche Inschrift auf dem mittleren Teil der rechten Seite des Wasserkastens gibt den Herstellernamen an, von dem jedoch ledig­ lich einzelne Buchstaben erhalten sind. Aufgrund vergleichbarer Stücke in anderen Orten sind Fachleute der Ansicht, die Dau­ chinger Feuerspritze könnte von einem Mit­ glied der Familie Kurtz/Reutlingen herge­ stellt worden sein, was aber mit der erhalte­ nen Buchstabenfolge der Inschrift bis jetzt nicht in Einklang zu bringen ist, so daß die Frage nach dem Hersteller noch offen steht, auch wenn die Ähnlichkeiten zu Feuersprit­ zen, die von der Familie Kurtz in gleicher Zeit hergestellt wur­ den, sehr stark sind. Zwei weitere Inschrif­ ten in den beiden Fel­ dern auf der rechten Seite des Wasserka­ stens besagen, daß die Feuerspritze im Jahre 1826 vom Hü­ finger Spritzenma­ cher Josef Schelble „repariert“ Franz 150

Die Wurfweite der Dauchinger Feuerwehrspritze beträgt 130 württembergische Schuh, das entspricht etwa 37 Metern. wurde. Auf diese „Reparatur“ geht sicherlich die Farbgebung der Feuerspritze in ihrer Hauptsache zurück, so, wie sie sich heute präsentiert. Technisch hat Schelble an der Feuerspritze offensichtlich nichts verändert, sondern sich vermutlich auf das Ausbessern oder Erset­ zen verschlissener Teile beschränkt. Die Dauchinger Feuerspritze mit ihrer Länge von 3,70 m, einer Höhe von 2,24 m und ei­ ner Breite von 1,34 m ist eine fahrbare Stoß­ spritze. Bei gleichzeitigem Anheben und Senken des doppelten Druckbaums wird ein durch jeden Saughub unterbrochener Was­ serstrahl aus dem Wenderohr geworfen. Zeitgleich wurden technisch weitaus moder­ nere Geräte mit zwei Zylindern, einem Windkessel (für gleichmäßigen Strahl) und Schlauchanschluß gebaut, doch waren diese für den ländlichen Raum wenig geeignet, da der Schlauch, aus Hanf gefertigt, ein sehr empfindliches Verschleißstück war. Zudem war der Unterschied im Anschaffungspreis ein beträchtlicher: gemäß eines Werbepro­ spektes von Franz Kurtz und Sohn Chri­ stian Adam aus dem Jahre 1781 kostete eine Feuerspritze mit einfachem Werk, vergleich­ bar mit der Dauchinger Spritze, 380 FI. (bei 15 Jahre Garantie), während der Preis für ei­ ne „Schlauch-und Schlangenspritze“ 600 fl. betrug. Die Wurfweite der Feuerspritze wird im Prospekt mit 130 württembergischen Schuh angegeben, das entspricht ca. 37 Meter. Die in Burladingen-Stetten befindliche, laut In­ schrift von 1781 von Urban Kurtz und Sohn hergestellte Feuerspritze, die große Ähn­ lichkeiten mit der Dauchinger Feuerspritze aufweist, verfügt über eine Wurfweite bis zu 33 m, wie sie diese bei Wettkämpfen histori­ scher Handdruck-Feuerspritzen unter Be­ weis stellt. Acht bis zehn Personen, verteilt 151

an den Enden der beiden Druckstangen, sind zur Erzielung dieser Wurfweite not­ wendig, wobei die Pumpmannschaft wegen Erschöpfung nach 4 Minuten abgelöst wer­ den muß. Während heute der Wasserkasten mittels eines Schlauchs gefüllt wird, wurde in der Vergangenheit das Wasser mittels Le­ dereimer und einer Menschenkette von zum Teil weiter Entfernung herangeschafft. Einen echten Einsatz hatte die Stettener Feuerspritze noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, als Benzinmangel und Stromausfall den Einsatz moderner Feuer- wehrgeräte unmöglich machten und des­ halb mit ihrer Hilfe beim Brand eines Hau­ ses das benachbarte Haus vor dem Abbren­ nen bewahrt wurde. Der letzte Einsatz der Dauchinger Feuerspritze liegt länger zurück, doch wird diese feuerwehr-historische Ra­ rität ersten Ranges künftig öfter bei Ausstel­ lungen historischer Handdruck-Feuersprit­ zen und ähnlichen Anlässen anzutreffen sem. Anton Bruder Der Kaiserturm in Villingen Vom mittelalterlichen Wehrturm zum Museum für Stadtbefestigung Wohl die meisten Einwohner des Schwarz­ wald-Baar-Kreises haben sie schon besucht: Die historische Altstadt der ehemals so wehrhaften, stolzen Zähringerstadt Villin­ gen. Nicht nur „Geschichtsfans“ und ro­ mantische Naturen fühlen sich beim An­ blick der Stadtmauern und Wehrtürme um Jahrhunderte zurückversetzt. Auch die Ju­ gend unserer sich rasch verändernden „Tech­ no-Welt“ bekennt sich zunehmend zum tra­ ditionellen, historisch Gewachsenen. Viel­ leicht wurde durch sie der Wunsch in die Öf­ fentlichkeit getragen, doch einen Wehrturm zur Begehung und Besichtigung freizuge­ ben. Schließlich wurde der Kaiserturm aus­ gewählt, der 1372 auf der bereits bestehen­ den Stadtmauer errichtet wurde, um die Ostseite hinter dem Brigachbogen noch wir­ kungsvoller gegen feindliche Angriffe abzu­ sichern. Das beeindruckende Bauwerk erhebt sich 31 Meter hoch über einem Grundriß von 7×7 m und umfaßt fünf Stockwerke. Sein er­ ster schriftlich belegter Name lautet „Ger­ berthurm“. Durch Uberlieferung und Aus­ grabungen in jüngster Zeit ist bekannt, daß nahe bei dem Wehrturm die Handwerker der Gerberzunft ihre T ätigkeit ausübten. Aus späterer Zeit sind noch die Bezeich­ nungen „Wachtelturm“ und „Schnabel­ turm“ überliefert. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts anläßlich der Entstehung des zweiten deutschen Kaiserreichs erhielt er seinen jetzigen Namen, wohl auch im Zu­ sammenhang mit dem neu erbauten „Kai­ serring“, welcher die neuen Grünanlagen nach Osten abschließt. Übrigens wurde der spitzbogige, gerne genutzte Durchgang erst 1898 geschaffen. Nachdem der Turm seine militärische Funktion verloren hatte, diente er zunächst als Wohnraum. Im 20. Jahrhundert war er der beliebte Versammlungsort verschiede­ ner Jugendgruppen, so der Pfadfinder, bis der Turm in den siebziger Jahren ganz ge­ schlossen wurde. Um ihn jetzt der Öffent­ lichkeit zugänglich zu machen, waren um­ fangreiche Sanierungsmaßnahmen erfor­ derlich, im Inneren des Turmes sowie im Eingangsbereich. Ein größeres finanzielles Problem für die Stadt, das jedoch auf vor­ bildliche und beispielgebende Art gelöst wurde und im Turm selbst besondere Er­ wähnung findet. Nach rund zweijähriger 152

Der Kaiserltmn in Vi/lingen überragt mit seinen 39 Metern Höhe die umstehende Bebauung deutlich und biete/ einen Ausblick iiber die gesamte Stadt hinweg. Tätigkeit von zahlreichen, hier ansässigen Handwerksbetrieben, konnte der Kaiser­ turm 1994 eingeweiht werden. Es soll dem Besucher zunächst das Erlebnis der Turm­ besteigung an sich vermittelt werden, mit reizvollen Ausblicken auf das historische und das neuzeitliche Villingen aus den zahl­ reichen Turmfenstern. Gleichzeitig, ,,wäh­ rend dieser (leicht pulserhöhenden) Turmer­ oberung, werden dem Gast auf spannende Art die mittelalterlichen Wehranlagen er­ läutert. Nachdem man den Eingangsbereich mit der stilvollen Laterne und die schwere Türe mit den alten Schlössern durchschritten hat, gelangt man in das l. Obergeschoß. Hier wird dem Betrachter die Planung und Er­ richtung der starken Befestigungsanlangen Villingens mit Stadtmauern, Tortürmen und Wehrgängen verdeutlicht, wofür die Bürger große finanzielle und persönliche Opfer auf sich nahmen, um sich einen bevorzugten Siedlungsraum zu schaffen. Auf den Kaiser­ turm, der diese geschichtliche Darstellung in seinen Mauern birgt, wird noch besonders hingewiesen. Eine neuzeitliche Wendeltrep­ pe, eingebaut in den fünfziger Jahren, führt in das 2. Obergeschoß, in welchem die Be­ festigungs- und Belagerungstechnik des 17. und 18. Jahrhunderts dargestellt wird. Be­ dingt durch die Erfindung von immer stär­ keren und weiter reichenden Feuerwaffen, wurden in vielen Städten die Befestigungs­ anlagen erhöht und verstärkt. Für Villingen gab es 1692 auch einen solchen Plan, der aber nur in bescheidenem Maße realisiert wurde: Gegenübergestellt werden zwei Städ­ te aus der Region: Freiburg mit dem Plan der Wehranlagen um 1713 und Neu-Breisach mit einem Schulbeispiel der Festungsbau­ kunst nach Plänen des Festungsbaumeisters Vauban. Folgt man weiter den Windungen der Wendeltreppe aufwärts, betritt man das 3. 153

Eingebunden in die Stadtmauer, ist der Kaiserlunn ein kostbares üugnis der Befestigungsanlagen im millelalterlichen Villingen. Obergeschoß, das im Gegensatz zu den an­ deren Räumen nicht verputzt ist. Absicht­ lich wurden die Innenwände mit den be­ hauenen Natursteinen so saniert, daß hier der ursprüngliche Charakter des Wehrturm­ es noch sichtbar ist. Ein wirkungsvoller Hin­ tergrund für Darstellungen aus Villingens schwerster Zeit. Nachdem im 1. und 2. Obergeschoß die Entstehung und Entwick­ lung von Befestigungsanlagen erläutert wur­ de, geben die Bildtafeln im 3. Obergeschoß Auskunft über einige Situationen, in denen die Stadtbefestigung ihre Schutzfunktion zu erfüllen hatte. Die erste starke Bedrohung erlebte Villingen im Bauernkrieg (1525), wo­ bei es allerdings nicht zur Belagerung kam. Im Dreißigjährigen Krieg überstand die Stadt (in den Jahren 1633/34) drei starke Be­ lagerungen und Sturmangriffe über mehre­ re Monate. Die Belagerung im spanischen Erbfolgekrieg (1704) stellte noch einmal höchste Anforderungen an Verteidiger und Wehranlagen, die nicht mehr dem damali­ gen technischen Stand entsprachen. Vierzig Jahre später war dann die militärische Be­ deutung der ehemals so wehrhaften Zährin­ gerstadt vorbei. Folgt man der Wendeltreppe nach oben, kommt man in das 4. Obergeschoß, die frühere Türmerstube, die als einzige Fenster nach allen vier Seiten aufweist, nach Osten ein gotisches Gruppenfenster. Hier soll früher ein Kachelofen für Wärme gesorgt haben. Interessant auch die eigenwillige Bal­ kenkonstruktion. Hier ist über das vorläufig letzte Kapitel der Villinger Wehranlagen ge­ schrieben: die Entfestigung. Nachdem im 19. Jahrhundert die Stadtmauern ihre Funk­ tion eingebüßt hatten, erschienen sie nutz­ los und kosteten der Stadt nur Unterhalt. Zudem gab die Enge in der übervölkerten Stadt den Ausschlag, die Wehranlagen „zu schleifen“. Die äußere Stadtmauer wurde abgebrochen, der Wall abgetragen, die Grä- 154

Der Eingangsbereich des Kaiserturms und ein Blick auf den Turm von der nahen Innenstadt aus. 155

ben zugeschüttet, die Vortore abgerissen, auch das Niedere Tor mußte weichen. Dies alles vollzog sich in wenigen Jahren und wurde von vielen Bürgern beifällig begrüßt. Doch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann eine romantische Verklärung des Mittelalters immer mehr Anhänger und der Spitzhacke wurde Einhalt geboten. Die noch bestehende Stadtmauer und die Wehr­ türme sollten erhalten bleiben, sie boten reizvolle Ausblicke in den neu angelegten Grüngürtel. Immer noch reich an Zeugen aus historischer Vergangenheit, steuerte die aufstrebende Zähringerstadt in eine sichere Zukunft als Höhenluftkurort in bevorzugter Lage. Romantisierte Plakate, die „Sommer­ frischler“ anlocken sollten, bilden den Ab­ schluß der gelungenen Ausstellung. Beson­ ders wieder herausgestellt: Der Kaiserturm, ist im Sommer wie im Winter ein lohnendes Ziel für Einheimische und Gäste, zumal der Turm noch eine Überraschung bereithält: Nachdem man die vier Obergeschosse be­ wältigt hat (und so an körperlicher und gei- stiger Fitneß dazugewonnen hat), wird man im 5. Obergeschoß mit einer wunderbaren Diaschau in Überblendtechnik belohnt. Die historischen Baudenkmäler, romantische Winkel, aber auch Alltägliches wurde foto­ grafisch und akustisch ins beste Licht ge­ rückt. So mancher Betrachter, der oft in „Alt-Vil­ lingen“ unterwegs ist, kann hier ganz neue Perspektiven entdecken. Das gilt auch für die interessanten Ausblicke aus den Turm­ fenstern, die man aus so luftiger Höhe eben nur vom Kaiserturm hinunter genießen kann. Leichtfüßiger gelingt der Abstieg, während man noch kurze Blicke in die un­ teren Stockwerke wirft. Am Ausgang steht man wieder auf historischem Boden mit dem bekannten Kopfsteinpflaster. Man ver­ läßt den Torbogen und wirft rückwärts­ blickend noch einen Blick auf den alten, ehrwürdigen Wehrturm. Gut, daß es ihn noch gibt, den Kaiserturm. Ingrid Forster Der Brand auf dem Rohrhardsberg Ein Beitrag zur Soziologie auf den Schwarzwaldhöfen Verwaltungs- und Gerichtsakten über ei­ nen Flächenbrand auf dem Rohrhardsberg aus dem Jahre 1753 geben Aufschluß über das Miteinander von bäuerlichen Menschen in Bereichen, die primär gar nichts mit dem Brand zu tun haben. Die Dichte der Besied­ lung am Rande der Herrschaft Triberg, sie bietet eine Momentaufnahme über die Wirtschaft im Schwarzwald, die Arbeit der Bauern im Frühjahr, bei der sie vom Brand überrascht wurden, über ihren Umgang mit Nachbarn und Knechten, ihre selbstver­ ständliche Hilfsbereitschaft und sogar über ihre Vergnügungen – alles in allem: über ei­ ne erstaunlich große Freiheit. Am 5. und am 11. Mai wütete ein Feuer auf dem Rohrhardsberg im Riediswald, im Blaseswald und im Ramselbauernhof auf drei Holzschlägen, also Kahlhieben, und vernichtete, wie man zunächst meinte, auch sämtliche 2 200 Klafter Seheiterholz (in Wahrheit, nachdem es neu aufgesetzt war, nur 1110 Klafter), die für das „Landesfürst­ liche Eisenschmelzwerk“ in Kollnau be­ stimmt waren und die Elz hinabgeflößt wer­ den sollten. Schäden durch Waldbrände wurden indes­ sen von der Obrigkeit und den betroffenen Waldbesitzern offensichtlich durchaus un­ terschiedlich gesehen. Die Bauern rodeten, wo immer sie konnten, um Weid- und Ackerfeld zu gewinnen, selbst an Steilhai- 156

Der Ramselbauemhof heute den eine Reute anzulegen, war vielen nicht zu mühsam. Es wurde gezündelt und ge­ brannt, daß es eine Art hatte; die Regierung hingegen befürchtete, daß „die … schönen jungen Holzaufwächs … zugrundegerichtet und die Wälder nach und nach gar abgetrie­ ben würden.“ Auffällig ist, daß der finanzi­ elle Verlust mit keinem Wort erwähnt wird. Ausgebrochen war der „entsezliche Brand“ auf dem „Holzschlag“ des Lorenz Ketterer, wo noch Reisig und Äste herumlagen. Be­ günstigt durch starken Wind und große Trockenheit, ,,ob wäre alles mit schwebet und pech bestreut“, zog es sich zum Ram­ selwald hinüber und ergriff die Holzbeige. Nur durch die „göttliche Gnad und ohner­ müdeten Fleiß der auf die Brand-statt häu­ fig abgeschickhten Trybergischen Bürgern“, eigens genannt wird der Kreuzwirt Qoh. Ge­ org Hummel? Vgl. Geschichte der Stadt Tri­ berg von W. Maier und K. Lienhard, Frei­ burg 1964, S. 425), konnte gegen Morgen die Hälfte des Kohlholzes gerettet werden. Obervogt Pflummern war am 6. Mai schon vor Sonnenaufgang an der Brandstelle. Trotz „wachen und patrouliren“ brach das Feuer am 11. Mai erneut aus. Wieder halfen Gottes Gnade und die Tryberger Bürger. Forstknecht Johann Weiß und Holzmei­ ster Hansjörg Scherer kamen von Triberg und dem Rendsberg zu spät an, um den Ur­ sprung des Brandes noch feststellen zu kön­ nen – letzterer lief erst los, als er „Rauch und Dampf “ gesehen hatte. Joseph Fehrenbach, der andere Holzmeister (von Kollnau) war beim ersten Brand nicht anwesend, beim zweiten standen die Holzschläge des Lorenz Ketterer, des Mathäus Rainer und des Jo­ seph Küenzlers in Flammen. Die Brandur­ sache (am 11. Mai) vermutete er in der schwelenden, unentdeckten Glut unter der Asche, einen anderen plausiblen Grund konnte niemand finden. Die alles entscheidende Frage war nun, wie 157

der erste Brand entstanden war und durch wen, durch Fahrlässigkeit oder gar „Malefi­ zischen Frevel“? Von den möglichen Zeu· gen, Umwohnenden wie Besitzer der ver­ brannten Flächen, hatte mit einer Ausnah­ me jeder ein Alibi und konnte folglich kei­ ne Angabe über den Ursprung des Feuers machen. Andreas Kuener, im „Loch“ unter dem Ramselbauer, war mit seinem Gartenzaun beschäftigt, er wurde von Nachbarn auf der ,,Haid“ auf den Brand aufmerksam gemacht, lief mit einer Hacke und in Begleitung zwei­ er anderer hin, fürchtete dann aber um sein strohgedecktes Häuslein, kehrte um und trug die Möbel „in die Matte hinaus“, während Leute der umliegenden Höfe, Tri­ berger Bürger und der Jäger, den Brand bekämpft hatten. Seine beiden Gehausen konnte er leicht entlasten. Thebus Schwab hatte acht Tage vorher Wasen gebrannt, Michael Küenzler einen Tag nach der Feu­ ersbrunst. Die Häuflein seien „mit umge· schürften Wäsen und Grund also wie die Kohlhäufen müssen bedeckhet werden“, ab· gedeckt worden. Der Rauch am Freitag vor dem ersten Brand sei von der bei ihm in Herberge befindlichen Strickerin durch Wa­ senbrennen verursacht worden. Er selbst sei wegen seines geschwollenen Gesichts nicht aus der Stube gegangen. Mit einer Hacke gegen das Feuer Lorenz Ketterer vom Rohrhardsberg war zur fraglichen Zeit in Hornberg. Durch den „gegen ihn gefahrenen Rauch“, sei er auf dem Rückweg in den „größten Schrecken“ gefallen, weil er meinte, sein Hof brenne. Mit einer Hacke habe er dann dem Feuer zu wehren geholfen. Er mußte allerdings auch gestehen, daß er am Mittwoch zuvor, ,,Reis und Stumpen“ … auf einen Haufen getragen und verbrannt habe, um „Erdäpfel dahin zu steckhen.“ Ramselbauer Jacob Kuener brachte am 5. Mai „seinen Völkhern“ das Abendessen auf 158 das Feld. Als er „über die Eckhen hinumb ei· nen starken Rauch gesehen“, habe er seine Leute aufgefordert, schnell zu essen und ihm zum Löschen zu folgen. Der Wind trieb das Feuer den Grat hinauf in seinen Holz­ schlag, das dürre Reisig und das aufgebeigte Holz brannte, da drehte aber der Wind, mit den „zugeloffenen Leuthen“ konnten „noch viele Holz beygen errettet werden.“ Zwar seien am Tag vor dem ersten Brand „ober· halb seines Bruders Andreas Häuslein auch Wäsen gebrennet“, aber es sei keine Flamme ,,verspi.ihret“ worden. Den schwersten Stand hattte freilich der „blutarme“ Taglöhner Andreas Gri.ishaber unten am Elzbach wohnhaft, 31 Jahre alt. Ihm hatte Lorenz Ketterer auf dessen „be­ ständiges bitten und anhalten, zu pflanzung etwas wenigs Frucht· und Erdäpfeln“ ein ,,Reuthele“ überlassen, der aber sei bei ei­ nem Klafter zu weith in den alten Holz­ schlag hineingefahren (wovon Ketterer nichts wußte) und (habe) ,,alda gehaket und gebrennet.“ Tags zuvor hatte er Wasen ge­ brannt, am 5. Mai aber den ganzen Tag ,,Erdäpfel“ gesetzt und dabei ein „Feurle“ zum „Tabakh anzünden“ unterhalten. Da hätten im neuen Holzschlag zwei Männer ,,Feyrio“ gerufen, ihnen habe er helfen wol­ len, da habe ihn der Schrecken gepackt, man könne ihn als „Ursächern … argwöhnen“. Ohne „Schopen und Kittel“ sei er dann durch das Prechtal in den Breisgau geflohen. Daß ein Funke von seinem Feuer auf den Holzschlag geweht wurde, habe er nicht ge· sehen. Joseph Kienzler vom Rendsberg säte gera­ de Gerste, erreichte den Brandplatz erst ge· gen Sonnenuntergang und half dem And­ reas Kuener das „Hausgeräth flüchten … We­ gen dem sehr starkh hin- und wider, son­ derbahr aber aldorten zwischen denen Bergen gewähtem würbe! wind“ habe man fliehen müssen. Bei der Einvernahme des Mathäus Rainer aus Schonach kam ans Licht, daß sein Ob­ knecht Lucas Hettich aus Schönwald, sein

Das Z,entrum der ehemals selbständigen Gemeinde Rohrhardsberg. Am linken Bildrand das ehemalige Schulhaus, das Gebäude beherbergte auch das Ratszimmer (Gemeindevenoaltung). In der Bildmitte ist der Elzhef zu sehen. Zuknecht Joseph Pfaff aus Gremmelsbach und der Hirtenbub, der offenbar noch nicht strafmündig war, weshalb auch Angaben über Name und Herkunft fehlen, am Oster­ montagnachmittag, also lange vorher, ,,aus einem bübischem Gespaß“ ein Spiel mit dem Feuer trieben. Obwohl es ohne Folgen blieb, nahm es die Obrigkeit sehr ernst. Während ihr Herr auf dem Markt in Villin­ gen war, gingen sie dessen Holzschlag hinab zum Weidgesellen Mathäus Schörzinger, um ihm eine Flinte abzukaufen. Beim ersten Verhör wiegelte Rainer ab. Sie hätten „nur mit dem am Zündel geschlagenen Tabak­ feur“ einige alte Reishaufen in Brand setzen wollen, was ihnen aber wegen „Schnee- und Winterfeuchte“ nicht gelungen sei. Zu Hau­ se habe sie der Altbauer zurechtgewiesen und sie darauf aufmerksam gemacht, daß sie „umb dises bubenstückhs willen gestraft werden könnten.“ Als Entschuldigung brachten sie vor, sie hätten „am stillen Frei­ tag … in des Lorenz Ketterers altem Holz­ schlag … brennen gesehen, so von denen va­ girenden Strolchen und Bettlern beschehen zu seyn, sie geglaubet“. Etwas anders sah die Sache nach dem Ver­ hör des Obknechts Hettich aus. Danach hat­ ten sie geraucht, seine beiden Begleiter zün­ deten fünf oder sechs alte Reisighäuflein an, sie ließen auch „einige Steine per gspaß die Halden abrennen.“ Hettich verhinderte aber weiteres Abbrennen von Reisig, um einer Strafe zu entgehen. Auf dem Rückweg konn­ ten sie feststellen, daß das Feuer „gänzlich erloschen gewesen.“ Vom Hof aus aber hat­ te der Bauer den Rauch gesehen und sie ,,ausgebalget“ (ausgeschimpft). Dies alles be­ stätigte Zuknecht Joseph Pfaff. Die Obrigkeit ließ jedoch nicht locker. War 159

nicht von Mathäus Rainer doch eine Wei­ sung ergangen oder aus einer Bemerkung zu schließen, daß das Reisig verbrannt werden solle? Umständliche Fragen mußten sich der ,,maister“ und seine Knechte gefallen lassen. Rainer betonte gleich zu Anfang, es habe die Knechte niemand geheißen, die Reisighau­ fen anzuzünden, was Hettich und Pfaff übereinstimmend bestätigten. Es sei „aus unbedacht und lauther gespaß vor sich selbsten“ geschehen. Wohl habe er, Rainer, „lang vorhero eins mahls gesagt: es wäre guth, wenn das alte Reys oben im Holz­ schlag weggeräumet wäre, damit das Vieh füglich hin und wider waiden könnte. Er ha­ be auch vorgehabt, die Obrigkeit umb Er­ laubnus“ für eine Reute zu bitten, er, Het­ tich, aber habe es ihm „ausgeredet und von darumben mißrathen, weillen es ihnen nur viel Arbcith gemacht hätte“. Zuknecht Pfaff ergänzte, um seinen Bauern zu entlasten, er habe von sich aus wegen des Viehes das Rei­ sig verbrennen wollen, ,,der Baur aber, der es zwar gehört, hätte weder Ja noch Nein dazu gesagt, keineswegs aber ihne solches zuthun gehaissen.“ Pfaff entschuldigte sich „als jun­ ger Bub“ für diese Dummheit. Er war 18, Hettich 24 Jahre alt. Ohne daß ihnen Gele­ genheit sich abzusprechen gegeben worden wäre, wurde Mathäus Rainer noch einmal verhört, ob er den Knechten nicht doch we­ nigstens „befingerzaiget“ habe, es zu tun. Dazu der Befragte: Sein Vater wie er habe sie ja am gleichen Abend „ausgebalget“ und be­ drohet, daß sie hierwegen gestraft werden können.“ Im übrigen konnte er nur wieder­ holen, was er bei der ersten Vernehmung schon angegeben hatte. Etwas anderes wür­ den auch die Knechte nicht sagen können. Knechte lebten relativ frei Diese Verhöre über den Brand am Rohr­ hardsberg geben einen höchst informativen, dazu noch ergötzlichen Einblick in die So­ ziologie des Lebens auf einem Schwarz- 160 waldhof zur damaligen Zeit, in das Rackern an unwirtlichen Hängen und – besonders kostbar – in die Freizeitbeschäftigungen von Bauersknechten. Diese sagten nicht gerade unter Eid, aber „nach ernsthafter Ermah­ nung die gründliche Wahrheit“ darüber, was sie am Ostermontag, zu einem Zeitpunkt al­ so, der mit dem Waldbrand nichts zu tun hatte, getan hatten. Der Zweck war ganz zweifelsfrei, sie von unnötigem Feuer im Freien abzuhalten. Wofür der Knecht eine Flinte brauchte, wurde nicht gefragt. Auch nur zum „Gespaß“? Gar zur Jagd? Gar zum Wildern? Unterwegs trieben sie Unsinn, wie es junge Leute zu allen Zeiten tun. Mehr Reisig zu verbrennen, verhinderte der Ob­ knccht. Ob der Handel zustande kam? Im­ merhin hatte ein Knecht so viel Geld, daß er sich etwas nicht unbedingt lebensnotwen­ diges leisten konnte. Von größerer Bedeutung ist die folgende Aussage des Obknechts. Sein Bauer habe einstmals gemeint, es wäre gut, das Reisig wäre weggeräumt, um Weide für das Vieh zu schaffen. Er habe sogar vorgehabt, diesen Holzschlag zu reuten und etwas anzubauen. „Er (der Obknecht) habe aber ihme solches ausgeredet und von darumben mißrathen, weil es ihnen nur viel Arbeit gemacht hätte.“ Der Knecht – der Berater seines Herrn! Was folgt daraus? Dies ist ein überzeugendes, glänzendes Beispiel zur Bestätigung für die relativ freie Existenz von Knechten, wie es der Soziologe Ferdinand Tönnies (Gemein­ schaft und Gesellschaft, Darmstadt, 1991, 3. Aufl., S. 23) zum Ausdruck bringt: ,, … der Knecht, der Freud und Leid der Familie teilt, der … das Vertrauen eines Gehilfen oder gar eines Ratgebers genießt, (ist) seiner mora­ lischen Beschaffenheit nach ein freier Mensch, wenn er es auch nicht in seinem rechtlichen Stande ist.“ Ob alle Bauern mit ihren Knechten ein solch partnerschaftliches Verhältnis pflegten? Mathäus Rainer jeden­ falls redete zu Hause unbefangen vor sei­ nem Gesinde und dieses seinerseits dem Bauern gegenüber auch. Nahezu uneinge-

schränkt war ohnehin ihren Möglichkeiten entsprechend die Freiheit der Knechte an den Feiertagen. Die korrekte Aussage des peinlich auf die Wahrheit bedachten Mannes, ,,es könne sein, daß Er … gesagt habe … es wäre guth … “ sollte auch ihm eine Strafe eintragen. Er, Grüshaber, Kuener, Ketterer, Hettich und Pfaff wurden vor Gericht gestellt. Obervogt PAummern sollte seine Meinung über das Strafmaß äußern. Er schlug vor, daß An­ dreas Grüshaber wegen seines „Tabak- Feur­ lein“ und die beiden Knechte des Mathäus Rainer für ihren „Gespaß“ einige Tage in den Turm gesperrt würden (eine Geldstrafe sei von ihnen wegen ihrer Unbemitteltheit nicht abzuverlangen), Andreas Kuener und Lorenz Ketterer hätten die Reuten zu nahe an ihren Holzschlägen geduldet, und Rainer habe durch seine „Conivenz“ die Anleitung zu ihrem Mutwillen selbst gegeben. Sie soll­ ten 5 Taler bezahlen. Die Strafe sollte auch auf andere abschreckend wirken. Das war am 16. Juni 1753. In einem späteren Vor­ schlag, zu dem er „wegen anderen vielen Amtsverrichtungen“ erst am 19. November 1754 kam, plädierte er für eine mildere Stra­ fe. Andreas Grüshaber, er war „allem An­ schein nach“, wenn auch „ohnvorsezlich“, der Täter, sollte mit 8 Tagen, beide Knechte mit zwei Tagen „Einthürmung“ bestraft wer­ den, die anderen drei sollten zwei, höch­ stens drei.Kronen bezahlen.Was wollte man der „obschwebenden Armuth“ wegen von „armen Gehausen“ und Tagelöhnern mehr verlangen? Ob die Strafen auch wirklich ver­ hängt wurden, verrät die Akte nicht. Karl Volk Quellen: Bad. Generallandesarchiv Karlsruhe 122/65. Geschichte der Stadt Triberg im Schwarzwald. Von Wilhelm Maier und Karl Lienhard, Freiburg 1964, S. 425 Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt. 3. Auflage 1991, S. 23. Erweiterte, verbesserte Fassung im Südkurier vom 5. und 11. Mai und Schwarzwälder Boten vom 5. und 8. Mai 1995. Das „Mauerhäusle“ am Elzbach in Rohrhardsberg. 161

Fünf Jahre „IG Baaremer Baukultur“ Zwischenbilanz einer engagierten Privatinitiative Erhaltenswerte Bauten geraten oft in Ver­ gessenheit. Dem Verfall preisgegeben, ver­ kommen sie zum „Schandfleck“. Zugunsten freier Grundflächen werden sie abgerissen. Kulturhistorisch wertvolle Bauten und de­ ren traditionelle, landschaftsprägende Ar­ chitektur gehen so immer mehr und unwie­ derbringlich verloren. Aus Betroffenheit über diese Situation gründete sich vor fünf Jahren die „Interes­ sengemeinschaft Baaremer Baukultur“. „Mitstreiter“ für gemeinsame Aktivitäten zur Rettung noch vorhandener alter Bau­ kultur suchten (und fanden) 1991 die Grün­ dungsinitiatoren Hermann Sumser, Archi­ tekt aus Hausen vor Wald – Besitzer des Das ehemalige Haus des Malers Hans Schroedter (! 872-1957) in Hausen vor Wald ist heute im Besitz des Hiifinger Architekten Hermann Sum­ ser, der dieses idyllische Kleinod ,movierte. 162 schmucken, einstigen Wohnsitzes des „Baar­ malers“ Hans Schroedter – und die Donau­ eschinger Kunsthistorikerin Antonia Reich­ mann. Holger Schmitt (Bräunlingen), Eber­ hard Kern (Donaueschingen), Hans Venohr (Hondingen) sowie aus Geisingen der Ar­ chitekt Markus Uhrig und die Theaterwis­ senschaftlerin Sabine Uhrig schlossen sich dieser Initiative an. Auf privater Ebene und durch gezielte Öf­ fentlichkeitsarbeit engagieren sich die sie­ ben Mitglieder für das Ziel, die Baarbewoh­ ner im Umgang mit historischer Bausub­ stanz zu sensibilisieren und sie auf die Charakteristik erhaltenswerter Häuser auf­ merksam zu machen. Der Erhalt land­ schaftsprägender Dorfstrukturen ist ein wei­ teres Anliegen. Die Absicht, in „falsch ver­ standener Nostalgie dem Vergangenen nach­ zutrauern“, bleibt bei diesem Engagement außen vor. insbesondere Ihren „Handlungsbedarf“ sieht die Inter­ essengemeinschaft in der Schutzwürdigkeit alter Gebäude, die mitun­ ter auch der Denkmalschutz bereits aus den Augen verlor. Aufgrund eigener Sanierungs­ erfahrungen werden finanzierbare Wege auf­ gezeigt, wie wertvolle Bauwerke ohne we­ sentlichen Verlust originaler Baudetails an heutige Wohnbedürfnisse angepaßt werden können. Zur Rettung vor Zerfall oder Abriß kauften bereits einige IG-Mitglieder vom Volks­ mund als „alte Hütten“ bezeichnete Häuser auf und richteten sie in Eigenleistung zum bewohnbaren „Schmuckstück“ her. Holger Schmitt beispielsweise: Er kaufte und re­ novierte 1988 den heruntergekommenen ,,Hölzlehof“ in Bräunlingen. Ein altes Hon­ dinger „Leibgeding“ rettete Hans Venohr vor dem Abbruch. 1989 ersteigerte er dieses Kleinbauernhaus für 5 000 Mark. Wie Hol-

Modeme und Historie: 77,omas und Sabine Uhrig integrierten einen Teil der Geisinger Stadtmauer als wirkungsvolles Architekturdetail ins Haus. ger Schmitt, renovierte auch Venohr in jah­ relanger „Feierabendarbeit“ sein Haus über­ wiegend unter Verwendung von Altbauma­ terial: Balken, Holzdecken, Fußböden stam­ men aus Abrißhäusern. Nachdem er als Mieter viele Jahre auf alten Baaremer Bau­ ernhöfen lebte und sie durch fachgerechte Eigenleistungen „bewohnbar“ machte, ver­ fügt auch Eberhard Kern (Donaueschingen) über reichliche Erfahrung im Umgang mit alter Bausubstanz. Die vorrangigste Aufgabe sah die »Interes­ sengemeinschaft Baaremer Baukultur“ kurz nach ihrer Gründung in der Erarbeitung ei­ ner „Bestandsaufnahme“. Bei systematisch durchgeführten Exkursionen in die Baar­ dörfer hielten sie deshalb Ausschau nach Re­ likten alter Handwerkskünste, nach erhal- tenswerten Bauten und auch nach (bisher noch) vorhandenen Teilen intakter Dorf­ charakteristik. 1992 wurde Sumpfohren, kleinster Teilort der Bregstadt Hüfingen, als erstes Dorf fo­ tografisch und schriftlich im „Ist-Zustand“ dokumentiert. Das Ergebnis präsentierte die IG Baukultur 1993 in einer Ausstellung mit dem Titel „Alt und Neu im Dorf – Ansicht ohne Aussicht?“ im Sumpfohrener Farren­ stall. Aus einem äußerst sensiblen und kriti­ schen Blickwinkel wurde den Bewohnern die Schönheit ihres Dorfes vor Augen ge­ führt – und auch die Gefahr der Vergäng­ lichkeit dieser Idylle. Im Zuge der Gebietsreform und mit dem Verlust der Gemeindeselbständigkeit ände­ rte sich das Leben auf den Dörfern. Land- 163

‚� – ……. bedroht ist: Vom Zerfall ge­ zeichnete Anwesen, verwitterte Schuppen und Scheunen, aus­ getretene Steintreppen, zer­ bröckelnde Mauern, Jahrhun­ derte altes Kunsthandwerk – meist durch Geringschätzung der Vergessenheit anheimgefal­ len. Daß zunehmend auch alte Baaremer Wirtshäuser mit ge­ täferten Stuben und abge­ schliffenen Holzböden, stei­ nerne Brunnen oder ungeteer­ te Plätze aus kleinen Dörfern verschwinden, gehört ebenso zur Negativ-Bilanz der IG Bau­ kultur. Intakte, ländliche Idylle und mancherorts auch ganze Altstadtensembles weichen zu­ nehmend dem modernen Ar­ chitektur-Zeitgeist. Stellvertretend für viele ande­ re von Dorfentwicklungsmaß­ nahmen gezeichnete Ortschaf­ ten, folgte 1995 am Beispiel der Blumberger Teilgemeinde Riedöschingen eine weitere Dokumentationsausstellung: „Ansicht ohne Aussicht? – 100 Riedöschingen“. Der 860-Ein- wohner-Ort kann als typisches „Dorf im Wandel der Zeit“ gelten, geprägt von gravierendem Landwirtschaftsrückgang (1925: 165; 1995: 5 Haupt- und 25 Neben­ erwerbsbetriebe) und dem damit einherge­ henden Verlust dörflicher Strukturen. eine wertvolle Fotosammlung alter Dorfansich­ ten, die der Riedöschinger Ortsvorsteher Hermann Barth sorgsam aufbewahrt, beleg­ te diese Dorfentwicklungsgeschichte beson­ ders eindrucksvoll. Davon überzeugt, daß „Reden und Schrei­ ben zu wenig bewirken“, legten die IG-Mit­ glieder 1994 an der sanierungsbedürftigen Geisinger Stadtmauer selbst Hand an. Sie sa- Der „Hölzlehof‘ in Bräzmlingen nach seiner Renovierung durch Jahre bauliche Entwicklung in Holger Schmitt. wirtschaftliche Betriebe wurden aufgegeben, Altes nach modernen Gesichtspunkten und städtisch orientierten Wohnvorstellungen umgebaut oder Neubauten erstellt. Auch Bauerngärten, heute vielerorts schon fast ei­ ne „Rarität“, wichen im Zuge der Dorfent­ wicklungsmaßnahmen breiten Gehsteigen und pflegeleichten Rasen-Vorgärten. Insgesamt stellte die Gruppe bei ihren Dorfbesichtigungen „gewaltige Verluste der alten Bausubstanz“ fest. Immer deutlicher wurde für auch die Diskrepanz zwischen dem, was sie als schön und erhaltenswert empfindet und gleichzeitig akut vom Abriß 164

nierten sieben Meter (von insgesamt 300) des vom Zahn der Zeit angegriffenen, histo· rischen Mauerwerks. Stück für Stück ent· fernten sie wildwuchernden Efeubewuchs, Mauerritzen wurden von den Architekten Sumser und Uhrig fachmännisch ausgebla­ sen und neu verfugt, ausgebrochene Basalt­ und Kalksandsteine eingesetzt. Als „Basisarbeit“ versteht die Gruppe die Weitergabe eigener Erfahrungen. An sanie­ rungsinteressierte Altbaubesitzer werden beispielsweise bodenständige, im Umgang mit alter Bausubstanz geübte und sensible Handwerker vermittelt. Auch für die Zwi­ schenlagerung und Beschaffung wertvollen Altbaumaterials hat die IG Baukultur Tips parat (Kontakt: 0771/7735). Immer wieder bringt die einerseits traurige Tatsache eines bevorstehenden Hausabrisses auch die Möglichkeit mit sich, wertvolle Stubentäfe­ rungen, Kachelöfen, Bodenplatten, Decken­ und Balkenholz zu retten. Als kulturhisto­ risch wertvolle „Fundstücke“ in eine Alt­ bausanierung integriert, bleiben auf diese Weise Teile abgerissener Bauten erhalten. Zur Rettung eines abrißgefährdeten Hau­ ses wurde mitunter auch die Möglichkeit des IG-Gemeinschaftskaufes in Erwägung gezo­ gen „Wer sich denkmalschützerisch enga­ giert, darf nicht nach dem Nutzen fragen“, so lautet das Fazit der „Interessengemein­ schaft Baaremer Baukultur“. Und obwohl sie trotz Protest und Einspruch immer wie­ der Rückschläge durch nicht zu verhindern­ de Hausabbrüche hinzunehmen hat, wird diese Privatinitiative ihre Arbeit fortsetzen – die „Notwendigkeit des Handelns“ ist dazu die beste Motivation. Ingrid Rockrohr Hondinger Bauernhaus vor und nach der Reno· vierung. Beinahe wäre dieses „Libgeding“ abge· rissen worden. 165

Ein berühmter Orgelbauer aus Gütenbach Philipp Furtwängler und seine Orgelfabrik in Elze/Hannover Das zu Ende des 17. Jahrhunderts von Neukirch nach Gütenbach eingewanderte Geschlecht der Furtwängler hat zahlreiche Talente hervorgebracht. Bekannt ist heute vor allem der Dirigent Wilhelm Furtwäng­ ler. Den Kennern der Wissenschaftsge­ schichte ist auch der Archäologe und Gym­ nasiumsdirektor gleichen Namens geläufig. Von dessen Bruder, dem Orgelbauer Philipp Furtwängler (6.4.1800 – 5. 7.1867) handelt der vorliegende Beitrag. Philipp, genannt „Schmiedefilp“, der dritt­ älteste Sohn des Handels- und Frachtfuhr­ mannes Bartholomäus Furtwängler (1772 – 1845) war zu aufgeweckt, um in Gütenbach sein Leben zu verbringen. Schon lange be­ schäftigte ihn der Gedanke, mit seinen Fähigkeiten den Schritt in die Fremde zu wa­ gen. Das sonntägliche Gequietsche der Hei­ matorgel brachte ihn auf die Idee, daß man im Orgelbau ein gesichertes Fortkommen haben und sich einen Namen machen kön­ ne. Er verließ daher vermutlich um 1820/22, möglicherweise auch früher, seine Heimat­ gemeinde Gütenbach und I‘ gelangte nach Elze bei Hannover. Dort erwarb er schon 1822 das Bürger­ recht, nachdem er Arbeit und Unterkunft bei einem Orgelbaumeister gefunden hatte, der des Lobes voll war über so einen ge­ schickten und zuverlässi· gen Arbeiter. In Elze begann also die ruhmreiche Laufbahn des Philipp Furtwängler. Man berichtet, daß der Güten­ bacher auch sogenannte Schwarzwälder Uhren ver­ . !,. -:;:::::zl!’m!ll,,l� habe. Anläßlich seiner Eheschließung mit Christine Heuer im Mai 1828 vor dem Elzer Magistrat heißt es in dem Vertragswerk, Furtwängler verfüge über ein nicht unbe­ deutendes Warenlager von Uhren, Materia· lien zu deren Verfertigung, Werkzeuge sowie auch zwei zum Verkauf bereite „musikali· sehe Instrumente“. Um was es sich dabei handelte, läßt sich nicht mehr endgültig feststellen. In einem Brief von 1855 erwähnt Furtwängler jedoch, er habe 1826 ein Pan­ phoneterion gebaut, wohl eine Flötenuhr oder eine Drehorgel. Das Wissen hierzu hat· te er aus Gütenbach mitgebracht, wo er ver­ mutlich bei Mattias Siedle bereits Flötenuh­ ren gefertigt hatte. Nachdem die hergestellten Schwarzwald­ uhren, in der Hauptsache Lackschilduhren, aufgrund des Standortes der Werkstatt im hohen Norden wohl nicht den rechten Ab­ satz fanden, kam Furtwängler die Idee zum Turmuhrenbau. Aufgrund seiner Fachkennt­ nisse war es nicht allzuschwer, das System der Schwarzwalduhren auf größere Werke ‚ zu übertragen. So fertigte �….. er schließlich Großuhren für Kirchen und hannover­ sche Bahnhöfe. Bereits 1823 wurde ihm die War­ tung der Turmuhr der Elzer St.-Peter-und-Pauls­ Kirche übertragen. Aus allen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, daß der Orgel· und Turmuhrenbau bei ihm zusammenge­ hörten. So verwundert es nicht, daß er 1865 für die Gütenbacher Kirche eine Turmuhr fertigte. Damals, wie auch bei der neuen Orgel 1858, wurde Philipp fertigt und damit hausiert Philipp Furlwiingler und Frau 166

,,Mechanicus und Uhrma­ cher“, und 1836 trägt der Vertrag mit der Stadt Gro­ nau bereits die Bezeich­ nung „Ph. Furtwängler, Groß-Uhrmacher, Klein-u. Groß-Orgelbauer, u. me­ chanisch-musikalisd1er In­ strumentenmacher“. 1842 konnte er seine Geschäftsverbindungen in den Norden des König­ reichs Hannover ausdeh­ nen, nachdem der Elzer Superintendant Dr. Bauer Lobeshymnen über ihn ge­ schrieben hatte: ,,Er ist ein ausgezeichneter Mensch, sowohl an Geist als an Herz. Es sind vorzüglich zwei Gegenstände, in de­ nen er eine wahre Meister­ schaft durch sein eigenes Genie wie durch wahrhaft wissenschaftliches Studium und unermüdetes Forschen und einen eisernen Fleiß errungen hat: nämlich Or­ gelbau und Turmuhren­ Anfertigung. Bei beiden ist Mathematik die Grundlage und Furtwängler ist ein ge­ borener Mathematiker. betrifft, so ist er der red­ lichste und gewissenhafteste Mensch. Fast möchte ich sagen, er ist leider zu unei­ gennützig, daß heißt, er leistet mehr, als er den Kontrakten nach schuldig ist. So ist der Fall nicht selten, daß er, wenn nicht Scha­ den, doch keinen entsprechenden Vorteil an seinen Arbeiten hat.“ Der Hildesheimer Orgelbauer und Orgel­ forscher Ernst Palandt sagte von dem Grün­ der der Elzer Orgelbauanstalt treffend: ,,Phi­ lipp Furtwängler war begeisterter Autodi­ dakt, Idealist und baute aus innerer Beru- 167 Die alte Gütenbacher Kirchenorgel, erbaut von Philipp Furlzoiingler. Was sein Charakter an­ als Wohltäter der Kirchengemeinde be­ zeichnet. Wie Nachforschungen ergaben, hatte er beide Einrichtungen zum Selbstko­ stenpreis, für die Hälfte des normalen Prei­ ses an seine Gütenbacher Mitbürger gelie­ fert. Die außergewöhnlich große Uhr läßt sich heute im Dorfmuseum des Heimat­ und Geschichtsvereins bewundern, nach­ dem sie 1963 beim Abriß der alten Kirche abgebaut und nicht wieder verwendet wur­ de. Schon bald nach seiner Selbständigma­ chung im Jahr 1830 nennt Furtwängler sich

fung. Deshalb auch die ewigen Zugaben über seine Kontrakte. Seine Söhne gingen von Geschäftsprinzipien aus, gezwungen durch die gegebenen Verhältnisse.“ Furt­ wängler entwarf klassizistische wie auch früh romantische Orgeln. Während er zu Be­ ginn seines Orgelbaues nur dörfliche Kir­ chengemeinden beliefert hatte, baute er schließlich mehr und mehr Orgeln für Städ­ te wie Münder, Eldagsen, Buxtehude, Gro­ nau, Verden, Lüneburg, Soltau, Münster und Hannover. Davon war die größte und bedeutendste Leistung der „Elzer Orgelbau­ anstalt“ die Orgel für die St-Matthäi-Kirche zu Gronau 1860. Zwei Jahre zuvor hatte Furtwängler außer­ dem seiner Heimatgemeinde ein Angebot gemacht, für ihr Kirchlein eine „Furtwäng­ lerorgel“ zu bauen. Die Finanzierung sollte dabei in Erinnerung an die erste Orgelakti­ on des Pfarrers Jäck um 1700 erfolgen, wo­ nach die Bürger ihr Scherflein in Form von einer oder mehreren Uhren beitragen konn­ ten. Doch auch Bares floß in die Orgelkas­ se. Georg Scherzinger, bekannt unter dem Namen „Hinterwälder Glasträger“, machte mit 172 Gulden den verheißungsvollen An­ fang, gefolgt von dem Geistlichen Rat Grießhaber in Rastatt. Dieser spendete im Namen seines in Gütenbach geborenen Va­ ters 100 Gulden. Wilhelm Weber, Lehrer in Gütenbach und von Furtwängler begeistert, berichtet: ,,Bald rollten Kisten und Kasten die neue Straße herauf. Mit vereinten Kräften wurde das neue Werk erstellt. Sechsundzwanzig schö­ ne Register zauberten edle KJänge hervor. Während des Aufbaus traf man sich abends mit den Jugendfreunden im Gasthaus Zum Kreuz, das dem Bruder Pius gehörte und tauschte Erinnerungen aus“. Demzufolge hat Furtwängler seine Orgel selbst aufge­ stellt, wie er auch in seinen Aufzeichnungen schrieb, die „Klänge seiner Orgel mögen über die Gräber seiner Eltern schwingen.“ Die Gütenbacher Orgel hatte eine Beson­ derheit aufzuweisen: Der Spieltisch war se- 168 parat angelegt, d. h. der Organist saß entge­ gen der üblichen Art mit dem Gesicht zum Altar und konnte so den Ablauf der Hand­ lungen des Gottesdienstes beobachten. Furt­ wängler stattete die Orgel für seine Heimat­ gemeinde großzügiger aus als dies 1857 durch den Orgelinspektor L. Lump vorge­ schlagen worden war. Er richtete „diejenigen Arbeiten der Mechanik, die stets von mir und meinen Söhnen gemacht wird“ selbst ein; die Gesellen liefern „ortenaire Arbeit, selbige darf und kann ich nicht für Güten­ bach liefern.“ Bei dem Kirchenabriß 1962 wurde auch die Orgel zerlegt und ausgela­ gert. Heute kann man die Orgel mit ihren 26 Originalregistern in der Lutherkirche in Ba­ den-Lichtental besichtigen. Neben seinen beiden Söhnen Wilhelm und Pius, die auch das Geschäft übernah­ men, hatte Philipp noch weitere 14 Gesellen im Orgel- und Uhrenbau besdiäftigt. Seit 1862 hieß der Betrieb „Philipp Furtwängler und Söhne“. Die Firma expandierte nach seinem Tod 1867 noch weiter, bevor sie mit dem Ableben des Sohnes Wilhelm 1883 er­ losch. Pius Furtwängler, der verbliebene Bru­ der, mußte seine Zahlungsunfähigkeit an­ melden. Er verband sich bald darauf mit Adolf Hammer aus Herzberg zu der neuen Firma „P. Furtwängler & Hammer“ mit Sitz in Hannover, die diesen Firmennamen auch nach dem Ausscheiden Pius Furtwänglers am 10. August 1892 beibehielt und seit 1937 unter „Emil Hammer Orgelbau“ firmierte. Die Orgelbauanstalt Furtwängler hat während ihrer Elzer Zeit rund 220 Orgeln geschaffen, ganz zu schweigen von den zahl­ reichen größeren oder kleineren Uhren. Oswald Scherzinger Qiellen und Literatur: Handschriftliche Aufzeichnungen von Lehrer Wil­ helm Weber, Giitenbach. Ettlingen 1932. Festschrift zur Wiedereinweihung der Philipp-Furtwängler-Or­ gel in Buxtehude. Hg. vom Orgelbauverein St. Petri e.V. Buxtehude 1985. Jürgen Hude Von Orgelbau­ ern, Sängern und Musikantcn, ln:Jahrbuch 1992 des Landkreises Hildesheim, S.186-189.

Museen im Schwarzwald-Baar-Kreis Wo Stadtgeschichte lebendig wird Das Franziskanermuseum in Villingen-Schwenningen Unter „Franziskaner“ versteht man in Vil­ lingen-Schwenningen nicht in erster Linie den Angehörigen eines Bettelordens, son­ dern den markanten Gebäudekomplex des in einem ehemaligen Kloster eingerichteten Kulturzentrums im Stadtbezirk Villingen. Als Veranstaltungsort vielfältiger Kulturer­ eignisse, vom klassischen Konzert mit inter­ nationaler Starbesetzung bis zu Ausstellun­ gen der Städtischen Galerie, des Kunstver­ eins und der Museen, haben Kirche und Klostergebäude längst ihre hervorragende Eignung bewiesen. Mit dem Ausbau und der kompletten Neukonzeption des Mu­ seums wird der „Franziskaner“ in den näch­ sten Jahren weiter stark an Attraktivität ge- winnen und seinen Ruf als eine Institution mit überregionaler Ausstrahlungskraft festi­ gen. Ein erstes Etappenziel auf dem Weg zum neuen Franziskanermuseum wurde im Ok­ tober 1995 erreicht. In das erste Stockwerk der ehemaligen Klausur des Klosters zog die Dauerausstellung zur „Kulturgeschichte Vil­ lingens vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ ein. Die seit 1876 beste­ hende Altertümersammlung der Stadt – be­ reichert durch zahlreiche Leihgaben des Landesdenkmalamtes aus Grabungen im Stadtgebiet – wird damit zum ersten Mal überhaupt in einer professionell geplanten und dem überdurchschnittlichen Rang der Antependium mit Verklärung Christi, Basel, um 1490. 169

Organisation dieser zen­ tralen Institutionen städti­ schen Wirtschaftens ver­ mitteln lassen. Darüber hinaus werden zwei Hand­ werkszweige gründlicher betrachtet: Die Vorstel­ lung eines lederverarbei­ tenden Betriebs aus der Zeit um 1200 bietet in­ teressante wirtschaftsge­ schichtliche Aufschlüsse. Die Geschichte einer Ger­ berfamilie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert be­ leuchtet das Thema sozial­ geschichtlich. Der Blick auf die Technik der Gerbe- Modeme Museumspiidagogik: d11s Fmnziskanermuseum ist 1111ch fiir rei zeigt, daß „mittelalter­ liehe“ Produktionsweisen Kinder ein Ort aktiver Geschichtsarbeit. noch bis ins frühe 20. Jahr­ hundert hinein beibehalten werden konn­ Objekte angemessenen Präsentation gezeigt. ten. Keramikscherben in einer Zeitleiste Die Ausstellungsstücke erscheinen nun in vom 12. bis zum 20. Jahrhundert belegen völlig neuem Licht. Das gilt sowohl für die hingegen die kontinuierliche technische künstlerisch herausragenden mittelalter­ Weiterentwicklung des Hafnergewerbes. Sie lichen Bildteppiche, die umfangreiche Sam­ sind deshalb eine wichtige Datierungshilfe mlung an sakraler Kunst aus den Kirchen für die archäologische Forschung. An ihrem und Klöstern Villingens und die wertvollen Beispiel läßt sich folglich auch vermitteln, Zunftaltertümer, aber auch für bescheidene­ wie die Geschichtswissenschaften zu ihren re „alltägliche“ Objekte wie Ellen und Hohl­ Erkenntnissen gelangen, auf denen unser maße, Kochtöpfe und Trinkgläser, Ofen­ Geschichtsbild fußt. keramik und Bodenfliesen, Brettspielsteine und Bocciakugeln. In der modern gestalte­ Museum und Kloster als Einheit ten Ausstellungsarchitektur erhalten die Objekte genügend Platz, um entsprechend Die Gliederung dieser vielfältigen Einzel­ wahrgenommen werden zu können. Sie ver­ themen erfolgte unter Berücksichtigung der mitteln ein möglichst vielschichtiges Bild historischen Architektur der ehemaligen der Kulturgeschichte der traditionsreichen Klosteranlage. Die Grundstruktur der auf­ Stadt. In Themenblöcken wie „Ernährung wendig restaurierten Räume ist so charakte­ und Küche“, ,,Leben in der belagerten ristisch, ja dominant und von der eines klas­ Stadt“ oder „Bilder und Zeichen der Fröm­ sischen Museumsbaus verschieden, daß sie migkeit“ wird Stadtgeschichte als soziale nicht überspielt, sondern möglichst pro­ Strukturgeschichte nahegebracht. duktiv mit in die Konzeption einbezogen Die Zünfte werden zum Beispiel nicht nur wird. Der Grundriß des ersten Stockwerks durch Truhen, Siegel und Wirtshausschilde über dem Kreuzgang zeigt eine Dreiflügel­ vorgestellt, prächtige Repräsentationsmittel, anlage, die sich an die Kirche anlehnt. Es lag anhand derer sich Geschichte, Aufbau und 170

Belagerungen oder die verschiedenen Stadt­ herren, die Villingen im Verlauf der Jahr­ hunderte erlebt hat, von innerstädtischen Aspekten wie den Herrschafts- und Verwal­ tungsstrukturen des Stadtrats und der städ­ tischen Ämter oder der Organisation der Zünfte unterschieden. Die Neukonzeption des gesamten Franzis­ kanerkomplexes macht indes weitere Fort­ schritte. Dies gilt nicht nur für die weiteren Ausstellungseinheiten zur Vor- und Frühge­ schichte, zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Schwarzwaldsamm­ lung. Mit dem Anbau eines Foyers werden einige infrastrukturelle Probleme gelöst und das reibungslose und anregende Nebenein­ ander von Konzert- und Ausstellungsbetrieb gewährleistet werden. Ein lebendiges Museum bietet mehr als in­ teressante Exponate in schönen Räumen. Das Franziskanermuseum sieht sich als ei­ nen Ort aktiver Geschichtsarbeit. Das gilt für das Sammeln und Erforschen von Zeug­ nissen der Sachkultur durch die Fachwissen­ schaftlerinnen im Haus ebenso wie für die Vorbereitung und Durchführung von Son­ derausstellungen. Dabei findet Forschung nahe, die räumliche Dreigliederung auch thematisch aufzugreifen und jedem Flügel ein Grundthema zuzuweisen. Zugleich be­ sitzt die hufeisenförmige Anlage im verbin­ denden Qiertrakt eine räumliche Mitte. Hier fand der Bereich der Alltagskultur sei­ nen Platz, das alltägliche Leben zwischen Küche und Werkstatt, Wohnhaus und Wirtshaus. In den Seitenflügeln, von zwei Seiten auf den Alltag einwirkend, werden einmal die Institutionen der weltlichen Ver­ fassung und Verwaltung, der Herrschaft in und über die Stadt, zum anderen die geistli­ chen Institutionen und die Formen der Re­ ligiosität ausgestellt. Der Raumeindruck in der ehemaligen Klausur ist in hohem Maß bestimmt von der Aufteilung in lange und relativ breite Flure und die von ihnen erschlossenen, nebeneinander aufgereihten ehemaligen Mönchszellen. Auch dieses Charakteristi­ kum des Baus wurde Ausgangspunkt für ein Charakteristikum der Konzeption: Es wurde durchgehend zwischen Themen unterschie­ den, die nach „draußen“, also in den Flur gehören, und solchen, die nach „innen“, al­ so in die ehemaligen Zellen gehören. Dabei wird „außen“ und ,,innen“ mal wörtlich­ räumlich verstanden im Sinne von Hand­ lungen und Ereignis­ sen, die unter freiem Himmel stattfinden wie Marktgeschehen Prozessionen und gegenüber solchen, die sich in Innenräu­ men abspielen wie Kochen oder die Feier des Meßopfers. Auf einer anderen Ebene werden von außen auf das städtische Le­ ben einwirkende Er­ eignisse und Struktu­ ren wie Kriege und Blick in den Kreuzgang des Franziskaner-Museums. 171

1 III — D— a— Der lnnenhef des Franziskaner-Museums in Vil/i11gen-Sclnoenni11gen. nicht im luftleeren Raum statt, sondern er­ arbeitet ihre Fragestellungen in bezug auf die Probleme und Bedürfnisse der Gegen­ wart. Aktive Geschichtsarbeit bedeutet auch den Kontakt zur und die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. So entstehen kleinere Forschungsarbeiten zusammen mit ver­ schiedenen Interessengemeinschaften, z.B. Berufsgruppen. Schülerarbeiten können im Museum der Öffentlichkeit zugänglich ge­ macht werden. Das Franziskanermuseum begreift sich auch als Lernort, als Ort der Bildung ohne Zwang und mit anderen Mitteln als die Schule. Führungen werden auf das im Lehr­ plan Geforderte abgestimmt, das Gesehene und Gelernte im gestaltenden Tun vertieft. Das Franziskanermuseum möchte ein Ort der Begegnung sein und zwar nicht nur der Begegnung des einzelnen mit Kunst und Geschichte. Mit themenspezifischen Füh­ rungen und Sonderveranstaltungen werden bestimmte Zielgruppen angesprochen, so 172 daß Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen und Interessen hier zusammentreffen. Die Vielfalt der angebotenen Aktivitäten ermög­ licht eine abwechslungsreiche Bildungsar­ beit. Bildung bedeutet hier weniger Wis­ sensvermittlung als Vermittlung von Kultur, also einer inneren Haltung. Das Nachden­ ken über das eigene Woher und Wohin wird ebenso gefördert wie neue, ungewöhnliche Sichtweisen und Projekte. In diesem be­ wußten Wagnis, der Lust, etwas Neues aus­ zuprobieren und in der Anregung eigener künstlerischer Aktivitäten bestehen auch die Berührungspunkte mit den anderen Kultur­ trägern in der Stadt. (Anschrift und Öffnungszeiten: Rietgasse 2, 78050 VS-Villingen, Tel. 07721/82-2352. Geöffnet: Dienstag-Freitag 10-12 Uhr, Dienstag, Donnerstag-Samstag 14-17 Uhr, Mittwoch 14-20 Uhr. An Sonn-und Feier­ tagen 13 -17 Uhr.) Dr. Michael Hütt

Des Peregrinus Beck Groteskgemälde Ein Zeugnis der Villinger Spottlust im Franziskaner-Museum Der Villinger Fasnetsnarren Spottlust ist bekannt, und von den Bürgern aus der Bri­ gachstadt ganzjährig gefürchtet. Opfer sind vor allem seltsame Sonderlinge, für gefähr­ lich gehaltene Gegner inner- und außerhalb der Mauern, als bäurisch, plump und blöde bezeichneten Bewohnern der Nachbar­ schaft. Das nimmt einen nicht wunder, die Erkenntnis ist nicht neu. Weniger bekannt dagegen dürfte sein, daß die berühmt-be­ rüchtigte Schmähsucht der Altvorderen in der Zähringerstadt ihre sichtbaren Spuren hinterlassen hat. Im Franziskanermuseum findet sich ein Ölgemälde des Peregrinus Beck, das lange Jahre in der Fas(t)nachtsab­ teilung an versteckter Stelle zu sehen war, nun aber zu Recht einen herausragenden Platz in den Räumen einnimmt, die der Ge­ schichte von Herrschaft und Verwaltung ge­ widmet sind. Schönheiten sind es nicht gerade, die den neugierigen Betrachter in ihren Bann schla­ gen: Ein illustrer Sängerkreis gibt ein „lie­ dlin“ zum besten. Daß es sich dabei um ein Spottlied handelt, ist sehr wahrscheinlich. Denn nur drei Männer singen aus voller Brust, der vierte aber (links im Bilde) schweigt; sein verkniffener Gesichtsaus­ druck wie seine hohn- und spottabweisende Gebärde, die volkskundlich das „Hörnchen“ genannt wird, lassen darauf schließen. Was aber bringen die scharfzüngigen Tonkünstler zu Gehör? Man kann den Inhalt des Liedes dem aufgeschlagenen Buch, das sie in Händen halten, nur ansatz­ weise entnehmen. Nach einer unleserlichen Halbzeile lassen die aufgeschlagenen Seiten des Liederbuchs einen lateinisch-deutschen Mischtext nebst Noten erkennen. Rätselhaft aber bleiben die Worte. Wem nämlich ver­ möchte etwas zu sagen, was da schwarz auf weiß zu lesen steht? ,, … liedlin. / Omnia (= alles)/ Schnabeliner in harzis / Weberigel in fischis / harzerli in silva (= die Harzer im Wald)/ jogeli in Schwenningen I caazetli in Weipfeifen / haschen (= paschen, Würfel spielen?) ich werd dich(= werde dich)/ wa­ schen Me (= mich) lac (= Milch) et(= und, und zwar?)/ Kropferis (= am Kropf ?).“ Was verrät dieses Wortgemisch aus zwei Sprachen, wie es bei Abraham a Sancta Cla­ ra stehen könnte, wie es für die gesamte Barockzeit typisch ist? Mehr als nur einen ersten Hinweis auf die Entstehungszeit des Bildes, das – worauf Maistil und -technik deuten – der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­ derts zuzuordnen ist? Gewiß doch. Die ,,Schnabeliner“ in der dritten Zeile ge­ währen entscheidenden Aufschluß, sind sie doch mit einer jener Parteiungen zu identi­ fizieren, die sich im Streit um die Stadtver­ fassung Villingens im vorvergangenen Jahr­ hundert „einen Namen machten“ – und zwar als jene, die um finanzieller Vorteile willen „das gute alte Recht“ kampflos preis­ gaben. Als am Dreikönigstag 1757 der Bürger­ schaft in der Franziskanerkirche die im Zuge der vorderösterreichischen Verwaltungsre­ form verordnete neue Stadtverfassung ver­ lesen wurde, war die über Jahrhunderte hinweg unveränderte Struktur der Stadt­ verwaltung ein für allemal dahin. Bis 1418 hatte sich der Rat aus einem Amts- und Altbürgermeister, einem Amts- und Alt­ schultheißen, 22 Richtern, einem Amts- und Altoberzunftmeister, 17 Amts- und Alt­ zunftmeistern sowie 27 Beisitzern zusam­ mengesetzt. Jetzt wurde die Zahl der Rats­ mitglieder um 32 drastisch gesenkt; Richter und Beisitzer betraf es zuvörderst. Dem Bür­ germeister oblag im wesentlichen die Füh­ rung der Verwaltungstätigkeiten und die Wahrnehmung von Repräsentationspflich- 175

Ein Z.e11gnis der Vi/linger Spotflust, das Groteskgemälde von Peregrinus Beck. ten, der Schultheiß war vorab Vorsitzender des Gerichts. Besoldungen empfingen die alljährlich zu wählenden Amtsinhaber bei­ de; in der Regel übten sie im Nebenamt noch verschiedene Verwaltungsaufgaben aus, so als KornpAeger, SeelenjahrspAeger u. a. m. Daran änderte sich, abgesehen von weiteren Ratsverkleinerungen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Wesentliches nicht. Einen grundstürzenden Wandel brachte erst die Ratsverfassung, die 1756 bereits be­ schlossene Sache war: Der EinAuß der Zünf­ te in der Stadtverwaltung wurde geschwächt; bei der Bestellung der Amtsleute wurde das Prinzip des jährlichen Wechsels geopfert, die lebenslange Amtszeit von Bürgermeister und Schultheiß eingeführt, deren Besol­ dung angehoben. Aufgehoben hingegen wurde das Grundrecht der Stadt, die Anzahl der Magistratsmitglieder aus eigener Macht­ vollkommenheit festzulegen. Was Wunder, wenn der Magistrat, den 176 Mammon vor Augen, zustimmte? Was Wunder, wenn der Widerstand erheblicher Teile der Bürgerschaft heftig war? Die Lun­ te, die da entzündet ward, Aammte auf von Zeit zu Zeit, wenn auch kein Pulverfaß je ex­ plodierte. Immer wieder kam es zu Ausein­ andersetzungen und Unruhen in der Stadt, so 1758/1759, 1763, 1773. Anfangs der acht­ ziger Jahre spaltete sich die Bürgerschaft in drei Gruppen: den Magistrat und seine An­ hänger, die deren Gegner stets an reich ge­ deckter Tafel den Schnabel wetzen, ’schna­ bulieren‘ sahen, was stets in behaglich pro­ fitlichem Sinn gesagt ist; jene, die beim Blick auf diese „Schnabeliner“ nur noch Zet­ ter und Mordio zu schreien wußten, in lau­ te Weh- und Hilferufe ausbrachen; schließ­ lich alle, die sich auf die Seite von „Schna­ bulinern“ oder „mordinern“ schlugen, je nachdem, woher der größere Vorteil winkte: die „Finkenreiter“, will heißen Lügner, Schwindler, Schmeichler, die den Fuchs­ schwanz wohl zu streichen wußten. Mit

Worten, mit Beleidigungen wurde dann manch harter Strauß gefochten. Sollte der vom Gesang so ganz und gar nicht Angeta­ ne ein „Schnabeliner“ sein, ,,Mordiner“ die Sänger, ein „Finkenreiter“ womöglich dar­ unter? Zielscheibe von Hohn und Spott ist die Partei des Magistrats allemal. Auch der ,,Weberigel“, dessen Namen noch heute ei­ ne Villinger Schemme trägt, die an den alten Turmwächter Weber erinnert. Lokalkolorit verrät nicht zuletzt, daß die Schwenninger nicht ungeschoren davonkommen: ,,jogeli in Schwenningen“. Jockei also sollen die Nachbarn der Villinger sein, plumpe, unbe­ holfener, grobe, dumme, ungeschickte Men­ schen? Hanswurste, die ihnen „dar Jockl machat“? Grundüberzeugung mancher Vil­ linger, die sich in einem Fas(t)nachtsspott· lied vor mehr als zwei Jahrhunderten nie­ derschlägt? Möglich ist es. Möglicherweise ist eine fas(t)nachtliche Szene im Bilde festgehalten: Gestandene Männer schütten die Schale ih­ res Zorns höhnisch über die politischen Widersacher in der eigenen Stadt aus, schmähen Sonderlinge ihrer Gemeinde, ver­ gessen ihre Nachbarn nicht. Möglich ist eine solche Deutung des rätselhaften Textes. Gesicherte Erkenntnis ist es keinesfalls. Orts­ neckereien kamen und kommen bekanntlich ja ganzjährig vor; eine Einbettung des latei­ nischdeutschen Misch­ gesanges in einen Zu- Als Vorlage zum Gro­ teskgemälde von Peregri­ nus Beck diente die ne­ benstehende ‚Zeichnung eines unbekannten italie­ nischen Meisters aus dem 16. Jahrhundert. sammenhang mit Fas(t)nacht ist gewagt. Aufschluß über den Kontext könnte die Melodie geben. Vielleicht war sie anderwärts bekannt und wurde zu bestimmtem Anlaß gesungen? Sie aber läßt sich leider nicht be­ stimmen. Selbst im Deutschen Volkslieder­ archiv in Freiburg i. Br. läßt sich Näheres zur Melodie nicht herausfinden: Da sowohl No­ tenschlüssel als auch Taktzeichen fehlen, stehen die Musikwissenschaftler vor einem kaum lösbaren Problem, zumal da selbst der für eine nähere Bestimmung notwendige Liedanfang durch die Hand eines Sängers verdeckt ist. Gewiß ist eines: die Vorlage, die der Vil­ linger Maler des 18. Jahrhunderts vor sich sah. Es handelt sich um das Blatt eines unbekannten italienischen Meisters des 16. Jahrhunderts, das sehr einfache Leute zeigt, die sich an einem mehrstimmigen Gesang aus einem wohl handschriftlichen Lieder­ buch erfreuen. Erstaunlich aber ist, wie sehr sich Peregrinus Beck an die Vorlage gehalten hat. Michael}. H. Zimmermann 177

Eine „Sozialstation“ als Heimatstube In Tannheim wird an die einst schlechte soziale Lage der Bürger erinnert Museen in historischen Gebäuden, die Dokumentation und Vermittlung von Orts­ geschichte unter einem ebenso geschichts­ trächtigen Dach: diese beliebte Form der Neunutzung von Gebäuden, die ihre ur­ sprüngliche Funktion verloren haben, aber heimat- oder kunstgeschichtlich zu wertvoll sind, um abgerissen zu werden, hat in Tann­ heim eine neue Variante erhalten. Kein Klostergebäude, kein stattliches Bürgerhaus, keine leerstehende Scheuer, überhaupt kein altehrwürdiges, von einer jahrhundertelan­ gen Tradition gesättigtes Bauwerk, sondern eine sozialgeschichtlich wegweisende Ein­ richtung aus den Zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts bildet die räumliche Hülle der im Dezember 1995 eröffneten Tannheimer Heimatstube: die ehemalige „Sozialstation“ des Ortes mit Kinderschule, Volksbad, Näh­ schule und Krankenpflege. Diese Besonderheit prägt die Programma­ tik und die Themen der Ausstellung: Das Gebäude und seine ehemalige Nutzung stellt eine der beiden Hauptabteilungen des Ortsmuseums dar. In ihr wird ein wichtiger Bereich des Alltags im Dorf zum Thema ge­ macht. Die schlechte soziale Lage der Tann­ heimer Bürger veranlaßte die Gemeinde 1919 unter Bürgermeister Hässler und auf Anregung des Pfarrers Keller zur Gründung der Sozialstation. Die Kosten für Gebäude und Unterhalt trug die Gemeinde. Personell wurde die karitative Einrichtung jedoch von drei Niederbronner Schwestern aus dem Kloster Maria Hilf in Bühl (Baden) getragen, die in dem 1922 fertiggestellten Gebäude auch wohnten. Jede und jeder im Ort profitierten von der Einrichtung: sei es als Kind in der Kinder­ schule, als Patient in der ambulanten Kran­ kenpflege, als samstäglicher Benutzer des Volksbades oder – im Winter – beim Nähen 178 an hauseigenen Maschinen unter fachkun­ diger Anleitung einer Schwester. So machte auch jeder seine persönlichen Erfahrungen mit der 1975 aufgelösten Institution und mit den Schwestern selbst. Erinnerungen an ein Stück eigener Vergangenheit werden beim Besuch der Heimatstube wach: Viele ken­ nen das alte karge Spielzeug aus dem Kin­ dergarten, die als Fleißkärtchen verteilten Heiligenbildchen, die frommen, oft als Rol­ lenspiel vorgetragenen Gedichte zu den kirchlichen Festen. In den zahlreich noch vorhandenen Kostümen für die von der Kinderschwester mit großer Leidenschaft eingeübten Märchen und biblischen Ge­ schichten hat man selbst einmal gesteckt. Auf den ebenfalls ausgestellten Gruppenfo­ tos der verschiedenen Kindergartenjahrgän­ ge von 1919 bis 19 50 entdeckt man sich selbst oder die alten Freundinnen und Freunde wieder. Zugleich zeigt der Rück­ blick in die (eigene) Geschichte die damali­ gen Erziehungskonzepte auf, die, ganz von religiösen Normen und Werten geprägt, die Kinder in die kirchliche Gemeinde hinein erzogen und als wesentliche Inhalte sittliche Moral, Anpassung, Sauberkeit und Ord­ nung vermittelten. Den Eindruck naher, aber dennoch defi­ nitiv abgeschlossener Vergangenheit prägen auch die ehemaligen Wohnräume der Schwestern, die weitgehend im Originalzu­ stand erhalten geblieben sind und die von einem kargen und aufopferungsvollen All­ tag erzählen, einem Leben in selbstgewähl­ ter Armut und frommer Opferbereitschaft, das – obwohl erst zwanzig Jahre vergangen – fremd und irritierend in unsere säkulare, konsumorientierte Dienstleistungsgesell­ schaft hineinragt. So läßt sich der spezifische Charakter der gemeindeeigenen „Sozialsta· tion“ unter kirchlicher Leitung nachvollzie-

• ‚ • 0 Oben Spielmaterialien aus der Kinderschule und unten Ausstallungsstücke aus dem Tannheimer Pau!inerkloster. 179

hen: ein engagiertes so­ zial reformerisches Pro­ jekt, das ganz auf die sozialen Bedürfnisse und Nöte der Bevölke­ rung zugeschnitten war und das über fünfzig Jahre hinweg das Leben im Dorf mitprägte. Die weiteren Abteilungen der Heimatstu· be mit Beiträgen und Ausstellungsstücken zur allgemeinen und politischen Geschich­ te des Ortes, zur Alltags- und Wirtschaftsge­ schichte sowie zu den Vereinen runden den Blick in die Vergangenheit Tannheims ab. Hier liegen fur die Zukunft noch zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten des Museums, 180 Den zweiten Schwer­ punkt der Ausstellung bildet die Geschichte des 1898 abgebroche­ nen ehemaligen Paulin­ erklosters in Tannheim, eine Gründung der Für­ stenberger aus der Mit­ te des 14.Jahrhunderts, die dem Andenken an Ehemrrliges Wohn- und Empfangszimmer des Schwesternhtwses. den „Hausheiligen“ der Fürstenberger, den seligen Cuno, gewidmet war, der an dieser Stelle gelebt und gewirkt haben soll. Nach dem Abbruch des Klosters 1898 verschwand auch die Innenausstattung der erst 1792 nach einem Brand neu ge­ weihten Kirche auf Speichern und Turmver· liesen. Zwei Seitenaltäre, die Triumphbo­ gengruppe mit Christus am Kreuz, Maria und Johannes, zwei Engelskulpturen, die die Beichtstühle bekrönten, sowie weitere jün· gere Heiligenskulpturen haben nun in der Heimatstube eine würdige und vor allem fur die Öffentlichkeit zugängliche Aufstellung gefunden. Diese Abteilung des Museums mit sakraler Kunst vornehmlich des späten 18. Jahrhunderts ist ein Stück Ortsgeschich­ te und zugleich ein wichtiger Aspekt der Ge­ schichte des fürstenbergischen Herrscher· hauses und der lokalen Kunstgeschichte. sowohl in der Aquisition weiterer, bisher noch in Privatbesitz befindlicher Ausstel­ lungsstücke als auch in bezug auf die Aufar­ beitung und Vertiefung von lohnenswerten Einzelthemen. Wenn es gelingt, auf diese Weise populären, im allgemeinen Bewußt­ sein verankerten Aspekten der Ortsge­ schichte – wie z.B. der großen Zeit der Frei­ lichtbühne in den 20er Jahren dieses Jahr­ hunderts – nachzuspüren oder auch weniger bekannte Hintergründe aufzudecken, dann wird die Einrichtung ihre eigentliche und vornehmste Aufgabe erfüllen: Sie kann so etwas wie das kollektive Gedächtnis des Dorfes darstellen, den Ort, an dem die Ge­ schichte aufbewahrt und verlebendigt wird, den Ort auch, wo die Zeugnisse der Vergan· genheit, die jetzt noch in privaten Wohn­ zimmern und auf so mancher Bühne der Öffentlichkeit entzogen sind, am besten aufgehoben sind. Mit jedem weiteren neu­ erworbenen Objekt, mit jeder kleinen „For· schungsarbeit“ – und bestehe sie auch nur aus der Mühe, die Namen derjenigen Perso­ nen zu ermitteln, die auf einem historischen Gruppenfoto festgehalten sind, erst recht mit jeder neuen Ausstellungseinheit wird

Das Schwarzwaldmuseum in Triberg ein Stück Vergangenheit vor dem Vergessen ter den wenigen Überresten aus der „Schwe­ bewahrt. sternzeit“ des Kindergartens verborgenen Die wichtigste Voraussetzung für eine in Erziehungskonzepte anschaulich zu ma· diesem Sinne lebendige Heimatstube ist das chen. Bei der Einrichtung waren die Kennt· Engagement von Bürgerinnen und Bürgern nisse und die Tatkraft von Horst und Bene· dikt Scherzinger sowie Hermann Schlenker vor Ort. Über Jahre hinweg hat die Orts· vorsteherin Helga Eilts das Projekt nie aus unverzichtbar. Der Seniorinnen-Kreis um den Augen verloren und immer wieder für Emma Kaiser half mit Rat und Tat. Die Ar· sein Fortkommen gesorgt. Mit großem En· beitsgruppe wird weiterbestehen, neue Pro· gagement hat Helmut Neininger die Ge· jekte in Angriff nehmen und so dem kleinen schichte des Paulinerklosters aufgearbeitet Ortsmuseum eine hoffentlich lange und er· und vor allem die noch vorhandenen Reste folgreiche Zukunft sichern. Die Heimat· der Innenausstattung aufgespürt und vor stube im Tannheimer Ring 25 ist jeden er· dem Verfall gerettet. Unter seiner Obhut sten Sonntag im Monat von 14.00 bis 16.00 entstanden auch die weiteren ortsgeschicht· Uhr und nach Vereinbarung unter Tel. liehen Abteilungen. Die Leiterin des Kin· 07705/204 geöffnet. dergartens, Lilo Wuttke, verstand es, die hin· Jährlich kommen über 100 000 Besucher in eines der schönsten Heimatmuseen Mit dem Namen „Hei­ die Eingangshalle wird matmuseum“ verbindet man mit schwungvoller man oft die Vorstellung Musik aus einem der vie­ einer mehr oder weniger len Orchestrien empfan· geglückten Sammlung gen und somit spielerisch von Gebrauchsgegen· auf einen Schwerpunkt ständen und alten Remi· Schwarzwälder Gewer· niszenzen unserer Vor· bes, die Uhrenherstel· fahren, die allenfalls für Jung, hingeführt. Schritt Sammler und Liebhaber für Schritt bekommt man von Interesse sind. Doch einen Einblick in die Le· das Schwarzwaldmuse· bensgrundlagen unserer um Triberg bietet weit Vorfahren und erlebt, was mehr. Wenn man den sie aus bescheidenen An· Schwarzwald und seine fangen und in harter Ar· Menschen verstehen will, beit kulturell und wirt· sollte man es gesehen ha· schaftlich entwickelt ha· ben. Mit über 100 000 ben. Besuchern pro Jahr zählt In der Eingangshalle des die Einrichtung zu den Museums führt uns ein meist besuchten Heimat· von Schroeder-Schönen· museen Deutschlands. berg und Wilhelm Wink· Schon beim Eintritt in Sc/noarzwälder Schnitzkunst ist nicht nur ler gemalter Wandfries 181 Dr. Michael Hütt im Museum zu finden, sie weist dem Be· sucher auch den ,l:‘,eg.

durch die Kultur-und Wirtschaftsgeschich­ te des Schwarzwaldes, von der ersten Besie­ delung durch die Kelten und Römer zum Wirken der Benediktinermönche in ihren Klöstern. Die Köhlerei und Flößerei werden dargestellt, die Arbeit der Holzfäller und Fuhrleute und das Wirken der ersten Hand­ werker. Die Entwicklung des Verkehrs spiegelt sich im Bild einer alten Postkutsche und dem er­ sten Personenzug im Triberger Bahnhof wi­ der. Der wichtigste Rohstoff des Waldes, das Holz, war das geeignete Material für das er­ ste Gewerbe. Ein „Schnefler“, wie der Schin­ delmacher hieß, zeigt uns die Arbeit bei der Herstellung von Dachschindeln, Trögen, Tellern, Butterfässern, Löffeln und Gabeln in seiner Werkstatt. Die Arbeit mit dem Holz wurde immer mehr verfeinert und Kostbare Sclnoarzwiilder Trachten sind in Triberg in ihrer ganzen Vielfalt zu sehen. 182 führte zur Ausbildung einer Schnitzkunst, die vielfältige Anwendung fand und sich bis heute im Schnitzen von Uhrenschildern er­ halten hat. Werkstücke und Holzplastiken der damaligen Schnitzerschule Furtwangen zeigen die hohe Kunstfertigkeit Schwarz­ wälder Holzschnitzer. Werke des Schnitzersepps Zeugnisse einer besonderen Schnitzkunst finden wir aber in den Werken des Triberger Holzschnitzers Karl Josef Fortwänglers, des sogenannten „Schnitzersepps“, die den Charakter des Schwarzwaldmuseums unver­ wechselbar prägen. Im ganzen Haus stoßen wir auf die Zeugen seiner unermüdlichen Schaffenskraft. Der „Schnitzersepp“ war ein Original, ein eigenwilliger Schwarzwälder, der in keine Schablone paßte. Schon mit 16 Jahren lehnte er es ab, die Modelle der Furt­ wanger Schnitzereischule zu kopieren. Nach 24 „Lehrjahren“ in München, Paris und Rom kehrte er nach Triberg zurück und be­ gann seine Kraft im Holz auszutoben. Qiel­ le seiner Kreativität waren die Natur, die Menschen seiner Heimat und ihr Brauch­ tum. Seine Freundschaft mit dem Vorstand des Gewerbevereins Triberg, Ignaz Schöller, und dem Neugestalter des Schwarzwaldmu­ seums, dem Gründer der SABA-Werke Vil­ lingen, Hermann Schwer, führte zur Reali­ sierung seiner Idee, im damaligen Heimat­ museum ein Dokument „Schwarzwälder Urkraft“ zur schaffen. Es sollte ein Zeugnis für den Geist der Menschen sein, der sich ge­ gen den überhand nehmenden Einfluß der Technik und „dekadenten Subkultur“ zur Wehr setzte. Ihm schwebte die Erneuerung einer Volkskunst weit über die Grenzen des Schwarzwaldes hinaus vor. Im Museum betritt man den „Schnitzer­ sepp-Raum“ durch ein Tor knorriger Baum­ stämme aus Kiefernholz. Nicht die weiche Linde war das bevorzugte Material des Künstlers, sondern die astige Kiefer, welche

Das Schwarzwal.dmuseum Triberg ist eines der ältesten und schönsten Heimatmuseen in Deutschland. Unter anderem mit einem neuen Eingangsbereid,, wurde erst kürzlich dem großen Publikumsandrang Rechnung getragen. mit groben Werkzeugen kraftvoll behauen werden muß. Der Raum wurde nicht nach einer einheit­ lichen Idee gestaltet, sondern sollte Beispiele für die vielseitige Anwendung der Schnitz­ kunst zeigen, wie z.B. in einem Trauzimmer eines Standesamtes, der Wand einer Sakri­ stei, dem Wandschrank einer Bibliothek, dem Gehäuse einer Standuhr oder einer Treppe in einem Bürgerhaus. Daß Fort­ wängler aber auch ein Meister des Details war, zeigte er an Truhen, Kleinplastiken und der Theke der Schwarzwälder Bauern­ wirtschaft im Museum. 1926 schuf der Künstler auch den einmaligen Rathaussaal der Stadt Triberg. Pläne für die Erstellung ei­ nes „Schnitzersepp-Hauses“ als bleibendes Denkmal Triberger Handwerkskunst und als Lehrwerkstätte für eine neue Generation von Schnitzern, konnten jedoch aus vieler- lei Gründen nicht verwirklicht werden. Der Qiarzsand des Urgesteins und der Holzreichtum der Wälder waren die Vor­ aussetzung der Glasherstellung im Schwarz­ wald. Überall entstanden Glashütten wie z.B. in Herzogenweiler, Neukirch, Wolter­ dingen, St. Blasien und Aeule am Schluch­ see. Schöne Beispiele damaliger Glasbläser­ kunst kann man in den Vitrinen des Mu­ seums bewundern. Auch das Töpferhandwerk ist mit originell bemalten Schüsseln, Tellern, Vasen und Krügen vertreten. Steingutgeschirr wurde u. a. in Hornberg, Tennenbronn und Zell a. H. hergestellt. Einern Feilenhauer kann man in einer eigenen Werkstatt zuschauen. Fei­ lenhauer und Löffelschmiede waren in Tri­ berg die Vorläufer späterer Mechaniker und Uhrmacher. In ihrem Stübchen sitzt eine alte Frau am 183

man sogar den ersten motorisier­ ten Ski- und Schlittenlift im Hof­ lehen. Was die Uhrmacher über viele Generationen geschaffen haben, können wir im Uhrensaal be­ trachten. Als älteste Uhr der Sammlung gilt eine Holzräder­ uhr von 1651, mit bemaltem Schild, einem Stundenzeiger und einer Glocke aus Glas. Spätere Modelle weisen eine „Waag“ auf, einen mit Gewichten beschwerten, drehbaren Holzbal­ ken, mit dem der Gang der Uhr reguliert wurde. Bei der „Kuh­ schwanzpendeluhr“ schwingt ein Pendel vor dem Zifferblatt hin und her. 1860 wurde es durch lange Pendel unter dem Uhren­ kasten ersetzt. Das Bemalen der Uhrenschilder entwickelte sich mit der Zeit zu einem selbständigen Gewerbe. In Erinnerung an den letzten Uh­ renschildermaler, Karl Straub aus Linach, der 1979 starb, hat man ihn in Lebensgröße in seiner Werkstatt modelliert. Die älteste Kuckucksuhr der Sammlung stammt etwa aus dem Jahr 1780. Versuche, den Kuckuck durch andere Vögel zu erset­ zen, fanden keinen Gefallen. Zunächst hat­ ten die Kuckucksuhren bemalte Schilder. Ab 1860 ging man daran, die Schilder zu schnit- Kachelofen und flicht ein kunst­ volles Band aus Stroh. Sie erin­ nert an ein altes Hausgewerbe, die Strohflechterei, das den Schwarzwälder Bauern half, sich in Notzeiten ein paar Gulden hinzuzuverdienen. Das Strohge­ flecht wurde zu Hüten, Stroh­ schuhen, Taschen und Kaffee­ wärmern verarbeitet. Der Triberger Obervogt Dr. Karl Theodor Huber(] 785-1816) setzte sich besonders für die Aus­ bildung der Strohflechterinnen ein und ließ die Frauen in Stroh­ flechterschulen mit der Verarbei­ tung feinerer Geflechte vertraut machen. Das für den Schwarz­ wald entscheidende Gewerbe war Josef Fortwii11gler hat jedoch die Uhrmacherei. Be­ ein in jeder Hi11sicht scheiden hat alles angefangen, als großartiges Lebenswerk die ersten Uhrmacher, die Brüder hinterlassen. Zu dm Kreuz auf dem Glaswaldhof in Waldau, versuchten, aus dem schönsten Stücken im „Ausland“ mitgebrachte Uhren Schwarzwaldmuseum gehören a11ch seine lm­ in Holz nachzubauen. Die erste moristischen Darstel­ Kuckucksuhr soll Anton Ketterer lungen. aus Schönwald nach einem Be­ richt des Triberger Pfarrers Mar­ kus Fidelis Jäck um 1730 angefertigt haben. Wie es in einer Uhrmacherwerkstatt im Dorf ausgesehen hat, wird uns in einem ei­ genen Raum demonstriert. Es ist ein Teil ei­ ner Wohnstube, wo vor allem im Winter al­ le Hausarbeiten wie das Strohflechten, Spin­ nen, Stricken, Schnitzen und Besenbinden ihren Platz hatten. Gegenüber den ersten Uhrmachern ist die technische Ausstattung der gezeigten Werk­ statt allerdings erheblich verbessert worden und entspricht etwa dem Stand um 1890. An sonstigen Raritiiten sehen wir hier noch alte Wintersportgeräte, wie Schneereifen, Schneeschuhe und einen Schulranzen mit Kufen, auf dem die Kinder im Winter zur Schule rodeln konnten. Wintersport wurde in Triberg schon früh betrieben. 1910 baute 184 Schw(lrzwiilder C/askumt aus der Samm/1111g dl’s Sdno(lrzwald11111set1111s.

die ersten 400-Tage-Uhren hergestellt, die mit einem langsam schwingenden Drehpendel den Gang des Werks so verlangsamten, daß es mit einem Fe­ deraufzug über ein Jahr lang laufen konnten. Bis 1987 war die Jahres­ uhrenfabrik ein bedeutender Wirt­ schaftsfaktor für die Raumschaft Tri­ berg. Leider fiel sie dem Strukturwandel durch Einführung der Elektronik zum Opfer. In einem besonderen Raum wird die Produktion dieser Firma vor­ gestellt. Unser Gebiet war führend im Bau von Orchestrien, deren Melodien das ganze Museum erfüllen. Das Prachtstück des Hauses ist eine Konstruktion der Firma Tobias Heizmann, Villingen, aus c.lein Jahre 1885, die damals speziell für die Triberger Gewerbehalle gebaut wurde. Das Orchestrion ersetzt nach zeit­ genössischem Bericht ein Orchester von 50 Musikern. Gesteuert wird der Wtmn das Orchestrion spielt: Im Schwarzwaldmuseum pneumatische Antrieb der Pfeifen von sind zahlreiche Musikwerke aus heimischer Produktion einer großen Walze, auf der für jeden zu sehen. zen. Daß man sich schon früh auch mit dem Bau astronomischer Uhren in Holzbauweise befaßte, beweist ein seltenes Stück der Aus­ stellung. Die Glocken für den Stunden- und Halbstundenschlag waren die Vorstufe für spätere Spieluhren. Blasbalg und die Stimm­ pfeifen bei der Kuckucksuhr bildeten auch die Bauelemente späterer Flötenuhren. Aus diesen entwickelte man später die Orche- strien. Ihre größten Ausmaße haben die Uhren in den Turmuhren gefunden. Als Beispiel da­ für zeigt man ein laufendes Turmuhrwerk der alten Stadtkirche von Triberg aus dem Jahr 1855. Es wurde von dem berühmten Konstrukteur der Straßburger Münsteruhr, H. Schwilgue, gebaut. Einmalig in ihrer Art waren auch die Uhren der Jahresuhrenfabrik, August Schatz und Söhne, Triberg. Ende 1881 wurden hier Ton ein Steuerstift eingeschlagen ist. Die Firmen Imhof & Muckle, Vöhren­ bach, Ketterer, Furtwangen, und Gebr. We­ ber, Waldkirch, sind mit eigenen Modellen vertreten. Große Aufmerksamkeit verdient auch die Bauernkapelle der Firma Blessing, Unterkirnach. Sie wird von einem automa­ tischen Klavier der Firma Weite, Vöhren­ bach, dem Weite-Mignon gesteuert. Micha­ el Weite, der Erfinder dieses Klaviers, war schon auf der Pariser Weltausstellung 1867 mit seinen großen Orchestrien aufgefallen. Mit dem Weite-Mignon Reproduktionspi­ ano war es ihm 1904 gelungen, das Spiel be­ deutender Pianisten dieser Zeit mit allen Feinheiten in der Dynamik unter Wahrung der persönlichen Note auf das Genaueste aufzuzeichnen. Die dabei gestanzten Pa­ pierrollen ermöglichten dann die Repro­ duktion der Klavierkonzerte auf dem „Wei­ te-Mignon“. Das „Weite-Mignon“ aus dem Jahre 1904 ist ein Geschenk von Kommcr- 185

zienrat Vögele, der den ehemaligen Aus­ sichtstunn auf dem Kroneckberg erbaute. Findige Schwarzwälder Handwerker be­ schränkten sich jedoch nicht nur auf die Herstellung von Uhren, sondern nutzten ih­ re Kenntnisse auch zum Bau anderer Appa­ rate. Der Sohn des Triberger Uhrmachers August Schwer, Hermann Schwer, gründete in Villingen die weltweit bekannte Firma SABA, die Schwarzwälder-Apparate-Bau­ Anstalt, welche später führend im Bau von Rundfunkgeräten wurde. Ein Enkel des Fir­ mengründers, Hans Georg Brunner-Schwer, schuf 1979 in einem eigenen Ausstellungs­ raum eine Dokumentation zur Entwicklung der Rundfunktechnik vom einfachen De­ tektor, über den „Volksempfänger“ bis zum ,,Superhet“ der 30er Jahre. Bis in das 19. Jahrhundert war der Erz­ bergbau ein gewinnbringendes Gewerbe. Ein kostbarer Singvogel-Automat fl/lS Triberger Fabrikation. 186 Rund um Triberg grub man nach den Schät­ zen der Erde, so in Gremmelsbach, Nuß­ bach und im Kesselberggebiet. Die bedeu­ tendste Fundstelle war jedoch die Grube ,,Clara“ in Oberwolfach. Neben Schwerme­ tallen brachte der Bergbau auch eine Fülle kostbarer Mineralien zutage. In einem 1970 eröffneten Mineralien­ Bergwerksstollen kann man sich nun im Museum ein Bild machen von der Arbeit unter Tage und eine einmalige Sammlung von Mineralien aus dem ganzen Schwarz­ wald bewundern. Im Schwarzwaldbahn-Saal fallt uns ein großes Diorama der Schwarzwaldbahn ins Auge. Es zeigt die Doppelkehrschleife der Bahn zwischen Triberg und Sommerau und begeistert die Modelleisenbahner mit seinen laufenden Zügen. Der Bau der Schwarz­ waldbahn in den Jahren 1865-1873 war für die wirtschaftliche Erschließung unseres Ge­ bietes von entscheidender Bedeutung. Die Dokumentation im Saal stellt die Planung, den Bau und die in den Jahren 1972-1975 durchgeführte Elektrifizierung der Bahn vor. Dem genialen Erbauer der Bahn, Ro­ bert Gerwig, wurde 1889 in Triberg ein Denkmal errichtet. Beiträge zur Geschichte der Stadt Triberg sind im angrenzenden Raum zu sehen. Lei­ der hat der Stadtbrand von 1826 den Groß­ teil gesicherter Zeugnisse aus früherer Zeit vernichtet. Damals wie heute besteht das Leben aber nicht nur aus Arbeiten, Geldverdienen und Wirtschaften. In Brauchtum, Volkskunst und Wallfahrten kommt die geistige und seelische Seite der Menschen zur Geltung. Die Triberger Wallfahrtskirche „Maria in der Tanne“ war über lange Zeit A11Ziehungs­ punkt und Ziel vieler Pilger aus nah und fern. Prof. Hasemann zeigt uns in einem stimmungsvollen Gemälde (Kopie Weisser), wie es vor Zeiten bei einem Wallfahrtstag in Triberg ausgesehen haben mag. Reichhaltig ist die Schwarzwälder Trach­ tenschau mit Volkstrachten aus Triberg und

Umgebung. Der Bollenhut aus Gutach und die Strohzylinder der Frauen aus Triberg und Schönwald dürfen dabei nicht fehlen. Ein Brautpaar mit Schäppel aus St. Georgen in Lebensgröße, Trachten aus dem Prechtal, Glotter- und Kinzigtal und ein ganzer Hochzeitszug geben einen lebendigen Ein­ druck alter Volksbräuche. Einen besonderen Stellenwert im Brauch­ tum der Schwarzwälder hat die Fastnachts­ zeit. Die Triberger Narrenzünfte blicken auf eine lange Tradition zurück. Die für Triberg charakteristischen Fastnachtsmasken, der „Federeschnabel“, der „Rote Fuchs“ und der ,,Triberger Teufel“ beeindrucken die Besu­ cher mit ihren Originalkostümen. Was die Malkunst anbetrifft, so begegnen wir im ganzen Museum den Gemälden namhafter Maler aus der Region wie Carl Sandhaas, Johann Baptist Rimprecht, Carl Ludwig Frommet, Robert Weisser, Paul Wehrle, Lukas Pfaff u. a. Auch Beispiele Schwarzwälder Hinterglasmalerei sind zu se­ hen. Träger des Schwarzwaldmuseums Triberg ist der Heimat- und Gewerbeverein Triberg e.V., der aus dem 1853 gegründeten Gewer­ beverein Triberger Bürger hervorging. Die­ ser setzte sich für die Interessen von Hand­ werk, Handel und Gewerbe ein und erbau­ te 1873 eine Gewerbehalle, in der heimische Erzeugnisse ausgestellt wurden. Die Ausstellung wurde laufend erweitert; man richtete eine Uhren- und Trachten­ schau ein und der „Schnitzersepp“ gab dem Haus mit seiner Schnitzkunst ein unver­ wechselbares Gepräge. Da der Platz für die Exponate bald jedoch nicht mehr ausreich­ te, kam man 1933 auf den Gedanken, ein neues Heimatmuseum zu bauen und wollte dieses mit dem Bau eines „Hauses der Hei­ mat“ verbinden. Da die Bereitschaf zur fi­ nanziellen Unterstützung des Projektes vor allem bei der Industrie jedoch nicht groß ge­ nug war, gab man den Plan auf und der Tri­ berger Bürgersohn, Hermann Schwer, Grün­ der der SABA-Werke Villingen, entschloß sich, seine Mittel für die Neugestaltung der Gewerbehalle in Zusammenarbeit mit dem Vorstand des Gewerbevereins einzusetzen. 1935/36 wurde die Gewerbehalle umgebaut und dazu noch ein Neubau errichtet. Die Ausstellung bekam eine neues Gesicht und wurde wesentlich erweitert. So entstand das ,,Heimatmuseum“, das 1980 in „Schwarz­ waldmuseum Triberg“ umbenannt wurde. Die Entwicklung des Museums ist auch heute noch nicht abgeschlossen. 1994/95 wurde das Haus gründlich saniert und der Eingangsbereich erweitert. Die Schaffung weiterer Austellungsflächen, welche auch die Durchführung von Sonderausstellungen ermöglichen, soll baldmöglichst angegan­ gen werden. Im nächsten Jahrtausend ist dann noch ein Neubau auf einem angren­ zenden Grundstück geplant. Anschrift: Schwarzwaldmuseum, Wahl­ fahrtstraße 4, 78098 Triberg. Öffnungszei­ ten: Vom l. Mai bis 31. Oktober, 9-18 Uhr, von l. November bis 30. April 10-17 Uhr und vom 15.11 bis 15.12 nur am Woch­ enende offen, 10 Uhr bis 17 Uhr. Mehr­ sprachige Führungen. Ernst Bausch Schuld I stand im Feld. De Winter molt mer Farb vor ‚ s Gsicht bi jedem Schnuuf. D’Vergangenheit, wo noh mer bolt, riißt mi wie pfliegti Erden uf Und rechnet mit de Fehler ab, loßt mer kei Rueih und Unrueih nit. Gang, mach die letschte Blueme drabun mach mit mir, was numme wit. Johannes Kaiser 187

Alte Uhren künden von besseren Zeiten Der Uhrenfabrik Mauthe vergangene Größe – In Werner Pfänders Privatmuseum Für drei Dinge war das Städtchen am Rande Württembergs einst bekannt: den Neckarursprung; seine Uhrenindustrie, ob der es sich als Mittelpunkt der Welt wähnen durfte; selbstdenkende, selbständige, zuwei­ len skurrile Persönlichkeiten, die das Räder­ werk in Schwung hielten. Vereint ist solches selten nur mehr anzutreffen, angelegentlich aber noch. Wir werden sehen: Mittwoch­ abend, kurz vor 19 Uhr. In Schwenningen eine ungewöhnliche Zeit für einen Muse­ umsbesuch. Keine unmögliche. Zumindest nicht in der privaten Mauthe-Sammlung Werner Pfanders in der Neckarstraße, wo Uhren einen anderen Takt vorgeben. Ein freundlicher Fünfziger empfangt den späten Gast bereits unter der Haustür – und er ver­ spricht, was bereits 1944 die Jubiläums­ schrift aus Anlaß des lOOjährigen Bestehens ,,der Uhrenfabrik mit Weltruf“ verhieß: ,,ei­ nen kurzen, interessanten Beitrag aus der Geschichte der Friedrich Mauthe G.m.b.H. Schwenningen.“ Über ein halbes Jahrhundert danach leistet Werner Pfänder mit seinem gut be­ stückten Mautbe-Museum in der Neckarstraße 3 manch interessan­ ten Beitrag aus der bewegten Ge­ schichte des Unternehmens, dem er sich, ein alter „Mautheaner“ innerlich verbunden weiß. Nur: Kurz ist solch ein Beitrag nie; Zeit muß mitbringen, wem der gelernte Remonteur auseinandersetzt, was er an historischem Wissen bereit­ hält; wen er durch seine Uhren­ sammlung führt, die einen Über­ blick über die Mauthscbe Produkt­ palette quer durch die Jahrzehnte bietet; wem er Einblick gewährt in die (über)reich mit Urkunden- und Aktenmaterial belegte Firmenge­ schichte; wem er Bild-, Film- und Tondokumente als weitere Glanz­ punkte seines mit Liebe, das heißt aber auch unter mühevollen An­ strengungen, zusammengetrage­ nen Archivs nicht vorenthält. Doch der gebürtige Schwenninger ist nicht der Mann, der Mühen scheut; nicht, wenn es um die Uh­ renfabrik geht, die ihm ans Herz gewachsen ist. Sein Handwerk hat Pfänder bei Mauthe gelernt, viele Der letzte Träger eines klt111gvollen N({mens: Dr. Fritz Mauthe (1875-1951). 188

Jahre dem Traditionsun­ ternehmen die Treue ge­ halten, den ihn prägen­ den Lebensabschnitt in ihm und mit ihm zuge­ bracht – fast bis zum bit­ teren Ende der einst welt­ bekannten Firma. Da­ mals, als der Rettungsan­ ker, mit letzter Kraft geworfen, keinen Grund mehr fand: ,,Kiss-Kiss“, der sanfte Wecker unter dem Kopfkissen, wurde für das Unternehmen zur schrecklichen Ge­ fahr, der nicht mehr zu begegnen war, als man zu spät erwachte; ,,ein Doppelkuß mit Todes­ folge“, wie Journalisten formulierten. Zuviel für einen Greis, der sich nur mühsam noch auf den Beinen halten konnte. Sowie der Tod seine Bo­ ten sandte, sowie das Ende unmittelbar sich abzuzeichnen begann, sowie Mauthe (nicht) die unversehens Schlagzeilen geriet, be­ gann Werner Pfänder, Zeitungsartikel zu sam­ meln. Einen Leitz-Ordner füllen heu- te die Veröffentlichun- gen über den aufhaltbaren (?) Niedergang der Weltfirma, dem das Unternehmen ,,Kiss-Kiss“ wohl nur den letzten Stoß ver­ setzte: Schon in den Nachkriegsjahren und der Wirtschaftswunderzeit lagen die getätig­ ten Investitionen nur knapp über den Ab­ schreibungen, die Fabrikationsstätten veral­ teten; über längere Zeit wurden kaum Ge­ winne erwirtschaftet, negative Bilanzen mußten durch Grundstücksverkäufe ausge- 1920er Jahren. in ganzen Ein prachtvoller Regulateur aus den glichen werden. Weltwei­ te Rezession und die ,,Revolution der Qiarz­ uhr“ bestimmten in den siebziger Jahren den schrittweisen Nieder­ gang. Der bescheidene Grundstock für e111e Mauthe-Sammlung war mit der Dokumentation des Endes gelegt. Zum bedeutenden Pri­ vatarchiv wurde sie in den achtziger Jahren ge­ staltet. Es begann mit baulichen Unterlagen, die hart erarbeitet sein wollten. Als sich am er­ haltenswerten Mauthe­ Rundbau Ausblühungen am Bundsandstein zeig­ ten, ein Giftskandal ge­ argwöhnt wurde, die Be­ wachung der Gebäude rund um die Uhr erfor­ derlich schien, stellte sich der überzeugte „Mauthe­ aner“ zur Verfügung. Al­ ler Mühen Lohn bestand letztlich in Akten und Urkunden, die in alten Büros noch aufzustö­ bern waren. Es begann ein Leben als „Archivar aus Leidenschaft“. Seine Bereitschaft, die Zeugnisse der Firmenge­ schichte zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, erschloß dem Man­ ne neue Qiellen: Archivgut in Mengen fand den Weg zu ihm. Baupläne und Grund­ stücksverzeichnisse; Geschäftsunterlagen; Patentrechte im In- und Ausland; techni­ sche Zeichnungen, die auch ganze Arbeits­ abläufe dokumentieren; Belegschaftsstatisti­ ken; Schriftstücke, die von Gewerkschafts­ arbeit Kunde geben, Lehrverträge, Personal- 189

Eine Kostbarkeit: Schutz des Warenzeichens der Firma Mauthe i11 Mtmd- Produktionsquer­ schukuo (Mandschurei 1932-1945). Dokumente vieles erzählen von der Ge­ schichte einer Firma, welche in den knapp 130 Jahren ihres Be­ stehens manch wich­ tiges Kapitel Stadtge· schichte schrieb; von der Geschichte auch einer Familie und ih­ rer bedeutendsten Vertreter in lichten und düsteren Stun­ des deutschen Da­ seins. Nicht zu kurz kom­ men darf darob die Uhrensammlung, die wahrlich „einen schnitt aus dem Mauthe-Programm“ bietet: Armbanduhren, Wecker aller Arten, von einem Kriegserzeugnis aus dem Jahre 1914 bis zum „Kiss-Kiss“, Küchenuhren, Wohnzimmeruhren, Regulatoren aus allen Epochen. Ergänzt wird sie um Uhrmacher­ werkzeuge und Maschinen. Ausweich- und Nebenprodukte des Hauses Mauthe aus gut­ en wie aus bösen Tagen fehlen nicht: Zün­ der für den Krieg; Nähkästchen aus der Nachkriegszeit. Sammeln zur eigenen Freude Kurz: Was immer mit Mauthe zu tun hat, findet sich bei dem Manne, dem die Ge­ schichte dieser Firma zur Passion geworden; was immer mit Mauthe zu tun hat, hat in ihm einen dankbaren Abnehmer. Er sam­ melt zur eigenen Freude, gewiß; doch sind seine Beweggründe ebenso gewiß nicht ei­ gennützig. Sein Lebenswerk soll dereinst dem Schwenninger Uhrenindustriemuseum zugute kommen. Es profitiert übrigens be­ reits zu Lebzeiten des Mauthe-Fachmannes, wie zahlreiche Schenkungen belegen. •“ .. akten, Dokumente zur Geschichte der Be­ triebskrankenkasse, des Arbeiterunterstüt­ zungsvereins, der Betriebsfeuerwehr, aber auch der betriebseigenen Badeanstalt; ins­ gesamt mehr als 45 000 Dokumente in mehr als 22 000 Klarsichthüllen sind in über 150 Leitz-Ordnern nach Sachgebieten geordnet und katalogisiert, was einen verhältnismäßig raschen Zugriff ermöglicht. Wissenschaftli­ cher Nutzung dieses Mauthe-Archivs steht nichts im Wege: Historiker und Ingenieure – wie z.B. Annemarie Conradt-Mach, Inge­ borg Kottmann, Helmut Kahlert – machen mit Gewinn Gebrauch von dieser mittler­ weile zur festen Größe gewordenen Institu­ tion der Neckarstadt. Das persönliche Engagement Werner Pfän­ der ist aller Ehre wert; ,,große Hochachtung vor der enormen Arbeit und den Bemü­ hungen um die Historie Schwenningens“ spricht Dr. Jürgen Jung, einst Mitglied des Mauthe-Direktoriums, ihm aus, wie im Gä­ stebuch vermerkt; zu Recht. Doch solches Lob spornt nur an, noch ist nicht alle Arbeit getan – wenngleich die bereits erschlossenen 190

….. � . .. ‚1 i :.‘!‘!:· • , w• l, ,…:,,,; ‚ „‚, ‚ „‚/!. �{ . . •• P, Mit der „2:.eitmaschine“ zurückversetzt in die J 930er Jahre. Rechts der Museumsherr in rastloser Tätig· keit, �rner lfänder an der Pendelpresse. Tempus fugit; die Zeit aber flieht: In Wer· ner Pfänders Mauthe-Museum mit ange­ schlossenem Firmenarchiv vergeht sie wie im Fluge, unbemerkt. Nicht nur, weil sie stillzustehen scheint: Die Zeiger von 800 Uhren deuten starr auf zwei Minuten nach halb elf. Mauthe-Zeit, wie man sie aus den Katalogen der in Konkurs gegangenen Uh­ renfabrik kennt. Alles geht mit der Zeit. Manchmal unwillig. Wie gut dennoch, daß eine Uhr sich dem Willen des Meisters noch nicht gebeugt hat – und mutwillig ihren Gang geht. Sie schlägt zu mitternächtlicher Stunde, mahnt den Besucher, sich auf den Heimweg zu machen. Das Interesse freilich ist geweckt. Wen Werner Pfänders Lebens­ werk in seinen Bann geschlagen, kehrt wie­ der. Willkommen ist hier jeder Uhren­ freund. Die Anschrift und Öffnungszeiten lauten: Mauthe-Museum Werner Pfänder, Neckarstraße 3, 78054 VS-Schwenningen, Tel. 07720/66974 geöffnet jeden Mittwoch von 18.30 Uhr bis 21.00 Uhr und nach Vor­ absprache. Michael]. H. Zimmennann 191

Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild 1. Blick autMundelfingen ( Gem11111 Hmenfratz, l liifi11gen) 2. Schon.ich im Spätherbst ( Gem11111 Hrmnfmtz, l liifi11gen) 3. Blick vom Fürstenberg ( Gem11111 Hmrnfratz, Hiifi11gen) 4. Morbili und Narro, Villingen ( Cem11111 H11smfmtz, Hi{fi11gen) 5. Winter-Impression auf der Baar ( Gem11111 H11smfmt/, Hiifi11gen) 6. Wintermorgen beim Reinertonishol in Schönwald (E1w111 Kie,ufer, Schom1ch) 7. Winterlandschaft ,1111 Farnberg in Schönwald (Erwi11 Kimzler, Srho11arh) 8. Winterabend in Donaueschingen ( Gem11m l lflsmfmt/, Hüfingen) Zeitgenössische Vision Die Erde verkommen zum Keller des I limmcls – Vor dem f.enstcr in Asche die zweite pompejische Stille – und dennoch von menschlicher 11.md in die Staubschicht der Scheibe geschrieben d.1s Rätsclwort nebcl – Wäre da noch Jemand eingekellert an�prechbar, er buchstabierte wohl vertatur korrigierend nebel – Scheinbar törichte Bestätigung der Undurchsichtigkeit, bis spiegclschrililich er es hoffnungwoll ,tls leben läe. Sicher ließe er die Scheibe splittern, um den Konjunktiv in ,,Wirklichkeit“ zu übersetzen. Jiirgen Hmcke/1 192

Uhren und Uhrengeschichte Es war die Lackschilduhr – nicht der Kuckuck Im 19. Jahrhundert lieferten die Schwarzwälder Uhrmacher bis nach Übersee ein besonderes Vertriebssystem einfallen las­ sen: Der Uhrmacher übergab das fertige Pro­ dukt dem Packer. Dieser belieferte als Spe­ diteur oder Großhändler die ausländischen Märkte. Dort waren in den großen Städten Es war die Lackschilduhr – und nicht der Kuckuck, die dem Schwarzwald als Uhrma­ chergebiet zu erstem Ruhm verhalf. Gewiß war mit den ersten in größeren Stückzahlen hergestellten Schwarzwälder Holzuhren An­ fang des 18. Jahrhunderts zunächst nur die eigene Region versorgt worden. Doch seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurden bei zunehmender Produktion Schwarz­ wälder Uhren – mittlerweile vornehmlich Lackschilduhren – nach ganz Europa, im 19. Jahrhundert dann sogar bis nach .. Ubersee geliefert. . Die Lackschilduhr ist eine Schwarz­ wälder Wanduhr mit bemaltem, lackiertem Holzschild. Die äußere Form besteht aus einem Viereck mit aufgesetztem Halbbogen. Während im Quadrat der Ziffernkreis an­ geordnet ist, bietet der Halbkreis Raum für Bemalungen, wobei sein eigentlicher Zweck ursprünglich im Verdecken der Glocken lag. Ein be­ liebtes Motiv, das hauptsächlich im eigenen Land großen Absatz fand und bald als „typisches“ Kennzei- chen der Lackschilduhr galt, war das ,,Apfelrosendekor“. Mit diesen bau­ chigen, meist rot dargestellten Ro­ sen ließen sich auch die Schildecken wirkungsvoll ausfüllen. Um aber im Ausland erfolgreich zu sein, orientierten sich die Her­ steller in der Bemalung der Uh­ renschilder am Geschmack ihrer fer­ nen Kundschaft. Ein vor Ort agie­ render Händler erkundete, welche Wünsche jeweils vorherrschten. Die Schwarzwälder hatten sich nämlich – . -==:· • l.:., ,{, H l :-�1-91 .:; …, _____ _ . � f� … , –�·;.· I Lackschilduhr, die eine landschaji mit Hirsch zeigt. Me­ tallräder im Holzgestell, Ankerhemmung, Dfltumsanzeige, Stunden- und Viertelstundenschlag auf 3 Glocken, Seilzug. Für den englischen Markt. Schwarzwflld um 1860. Deutsd,es Uhrenmuseum Furtwangen. 193

Händler stationiert, die die Ware ent­ gegennahmen. Von den zentralen Orten aus, die auch als Lager dienten, zogen die Uhrenverkäufer durch das Land und priesen ihre Ware an. Gleichzeitig waren diese Händler auch für die Kundenbetreuung zuständig, das heißt sie kamen auf Wunsch ins Haus, um angefallene Re­ paraturen an den Zeitmessern zu erledi­ gen. Auf ihren Reisen lernten die Uh­ renhändler die Marktlage kennen und konnten Nachricht geben über die Vor­ stellungen der Verbraucher. Der Packer leitete diese wichtigen Informationen an seine Handelspartner weiter, die dann auch eine entsprechende Gestaltung der Lackschilder anregen konnten. Das Au­ genfalligste dieser Wanduhren war eben das Schild, dessen Dekoration auf den er­ sten Blick ansprechend sein sollte. Was aber gefiel variierte stark zwischen den verschiedenen Absatzländern. In Eng­ land ließen sich am besten nur sparsam verzierte Schilderuhren verkaufen. Jagd­ motive, häufig auch nur einzelne Tiere vor schlicht gehaltenem Hintergrund machten meist die ganze Bemalung aus. So kann angenommen werden, daß auch die Uhr mit aufgemaltem Hirsch ihren Abnehmer in England gefunden hat. Die französische Kundschaft hingegen verlangte nach üppig ausgestalteten Zeit­ messern. Hier ließ sich nur mit aufwendig verzierten Schildern ein Geschäft machen. Zum Sortiment eines Uhrenhändlers in Frankreich zählten Lackschilduhren mit Stuckdekoration, einem Stilelement, das an die französische Comtoise-Uhr erinnert. In Rot· und Goldtönen gehalten, stellt die oben rechts abgebildete Schwarzwälder Lackschilduhr etwas besonderes vor. Den prunkvollen Eindruck macht neben den Far­ ben nicht zuletzt die reliefartige Darstellung der beiden Löwen aus. Die herrschaftlichen Tiere, (königliche) Machtsymbole, umrankt von lilienartigen Ornamenten, wie sie sich Herrscherhäuser gerne auf die Fahnen 194 lncksd,ilduhr mil rwfgeselzler S111ckdekoralion: zwei Lö1oen flankieren ein Denkmal. 8-Tage-Uhr, holzge­ spindelle Messingriider, Ankerhemmung, Tonfeder, Seilzug mil Trommel. Für den französischen Markl, Schwarzwald um 1850. Deulsrhes Uhrenmuseum Furlwangen. schrieben, verleihen der Uhr ihre exquisite Wirkung und den eigenen vier Wänden ein wenig Glanz. Im Ziffernring hat sich der Händler ver­ ewigt: ,,Charles Zehringer de Merz a Blois“, der vermutlich seinen ursprünglichen Na­ men Karl Zähringer aus marktstrategischen Gründen etwas abgeändert hat. Ein franzö­ sisch anmutender Händlername mag ver­ trauenswürdiger geklungen haben. Der wirtschaftliche Erfolg der fremden Ge­ schäftsleute basierte aber immer noch auf ih­ rer umsichtigen Absatzforschung. Sie unter­ richteten ihre Zulieferer zuhause auch über

aktuelle Modeströmungen, die dann auf die Gestaltung der Uhrenschilde Einfluß nah­ men. Ein hübsches Beispiel dafür liefert ei­ ne Lackschilduhr mit auffallender Bema­ lung: Zwei dunkelhäutige Männer in Plu­ derhosen und Turban führen eine Giraffe an der Leine durch eine Phantasielandschaft (siehe Bild auf dieser Seite). Denkbar wäre, daß dieser Zeitmesser für ein Land bestimmt gewesen war, in dem sich dieser Giraffenauftritt hätte abspielen kön­ nen. Tatsächlich bezieht sich die Darstel­ lung aber auf ein bestimmtes Ereignis, wel­ ches im Jahre 1827 Paris und wohl auch den Schwarzwald stark beeindruckt haben muß. Lackschilduhr mit auffälligem Motiv, Giraffe und zwei Führer. Holzgespindeltes 8-Tage-Werk, Messingräder, Ankerhemmung, Seilzug mit Trom­ mel. Halbslundenschlagwerk, Schlag auf Glocke. Für den französischen Markt, Schwarzwald um 1828. Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen. Unsere Geschichte beginnt im Sudan 1826: Der Vizekönig von Ägypten wollte aus di­ plomatischen Gründen Frankreich beschen­ ken. Er ließ eine Giraffe fangen und nach Europa schicken. Um sie vor bösen Mäch­ ten zu schützen, hatte man ihr ein rotes Amulett um den Hals gebunden. Im Juni 1827 kam die Attraktion in Paris an. Ganz Frankreich schwärmte für das Tier. Bald wur­ den vielfältige Gebrauchsgegenstände im Giraffenlook angeboten. Auf Geschirr, Ta­ bakdosen, Geldbörsen und sogar Bügeleisen tauchte das Giraffenmotiv auf. Die Begei­ sterung war so groß, daß rückblickend das Jahr 1827 als das Jahr der Giraffe bezeichnet wurde. Auch am angeblich dod1 so „mondnahen“ Schwarzwald ging der Trend nicht vorüber. Vermutlich war ein Uhrenhändler so klug gewesen, auf das Pariser Modethema hinzu­ weisen, und über den Spediteur mag die Kunde im heimatlichen Uhrmachergebiet verbreitet worden sein. Die Schildmaler wit- terten ihre Chance und stiegen voll in das Giraffengeschäft ein. In vorliegendem Fall erhöht eine Schwarzwaldtanne im Hinter­ grund die Exotik der Darstellung. Sogar an das Amulett wurde gedacht. Diese Detailt­ reue dient uns heute als Corpus delicti. Erst dank des roten Halsbandes kann der geschichtliche Hintergrund unserer Lack­ schilduhr eindeutig bestimmt werden. Und noch etwas beweist dieses Objekt: Die ge­ schäftstüchtigen Schwarzwälder hatten die Nase schon immer ziemlich weit vorn. Selbstverständlich richtete man sich auch auf die Kundschaft fremder Kulturkreise entsprechend ein. So legten die orientali­ schen Länder großen Wert auf türkische Zahlenzeichen im Ziffernring. Solche Son­ derwünsche konnten mit Hilfe vorgefertig­ ter Schablonen schnell und vor allem preis­ günstig erledigt werden. Dank des um das Jahr 1850 aufgekommenen Umdruckver­ fahrens nahm auch die Vielfalt an Motiven erheblich zu. Statt langwieriger Malerei von Hand war es nun möglich, die Bilder 195

produzierte Schwarzwalduhr. Der Triumph· zug der Kuckucksuhr, die gemeinhin mit ,,dem Schwarzwald“ gleichgesetzt wird, soll­ te erst später beginnen, aber das ist eine an· dere Geschichte, die sich am besten bei ei­ nem Besuch im Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen nachvollziehen läßt. Iris Kiilmberger M. A. durch Umdruck vorzuzeichnen, so daß der Schildmaler nur noch die Umrisse auszu· malen hatte. Auch weniger geübte Maler er· zielten damit gute Ergebnisse. Noch billiger konnte das Massenprodukt Lackschilduhr mit Hilfe des etwa zehn Jahre später einge­ führten farbigen Abziehbildes produziert werden. Die Aufgabe des Schildmalers be· stand nur noch aus Grundieren, Aufziehen des Bildes und Lackieren. Mit dieser Methode ließen sich auch die seinerzeit häufig gewünschten figürlichen Darstellungen problemlos auf die Schilder übertragen. Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts war die überall bekannte Lackschilduhr die meist· Lackschilduhr mit Ernteszene als Abziehbild, türkische Zif fern. 8-Tage-Uhr, Metallräder im Holzgestell, Ankerhem· mung, Seilzug mit Trommel. Für den türkischen Markt, Furtwangen 1908. Deutsches Uhrenmuseum Furl1t)(tngen. 196

Kirchen, Kapellen und Glocken Meisterwerke in Form und Klang Schilling-Glocken im Schwarzwald-Baar-Kreis Das Schicksal der Glocken unserer Kirchen ist meist ebenso wechselvoll wie die Ge­ schichte der Gotteshäuser selbst. Immer wie­ der wurden die Rufer hoch oben auf den Türmen ausgetauscht. Geschah dies freiwil­ lig, war dies meist ein Zeichen wirtschaftli­ chen Wohlstandes, der sich auch in der An­ schaffung von neuen und meist größeren Geläuten äußerte. Mußten die Glocken hin­ gegen auf Befehl der Regierenden hin ver­ stummen, verhieß dies meist nichts Gutes. Erst in diesem Jahrhundert hofften die Meister Friedrich Wilhelm Schilling beim Über­ prüfen eines neuen Geläutes. Mächtigen, daß das Umschmelzen von Glocken zu Kanonen helfen könnte, zwei Weltkriege zu gewinnen. Zuletzt mußten im Zweiten Weltkrieg unzählige Glocken in die Schmelzöfen der Rüstungsindustrie wan­ dern. Dabei wurden viele sehr alte Glocken vernichtet, aber auch viele, die damals erst wenige Jahre alt waren. Diese wechselnden Zeitläufe sind selbst­ verständlich auch über den Schwarzwald­ Baar-Kreis nicht spurlos hinweggegangen. Bei der näheren Betrachtung der heimischen Glockenstuben ist festzustellen, daß der ganz überwiegende Teil der heutigen Geläu­ te aus den Jahren nach dem Zweiten Welt­ krieg datiert. Einerseits traten die Glocken an die Stelle der im Krieg verlorenen, zum anderen handelt es sich um die Rufer neuer Kirchen, die vorwiegend in der Zeit der wirt­ schaftlichen Blüte der 1960er Jahre gebaut wurden. Doch so bitter und bedauerlich der Verlust vieler wertvoller, unersetzlicher Glocken während des Krieges auch war: Nach 1945 erlebte die Kunst des Glockengießerhand­ werks eine ganz besondere Blüte. Es kamen neue Geläute auf die Türme, oft größere und schönere als In Deutschland gab es nach Kriegsende über 20 Glockengießereien, von denen die mei­ sten Glocken in ganz ausgezeichneter Qia­ lität lieferten. Unbestritten zu den besten Gießern gehörte Friedrich Wilhelm Schil­ ling. Seine Gießerei in Heidelberg zählte zu den bedeutendsten Europas. Zahlreiche Ex­ perten bezeichnen Schilling gar als einen der besten Gießer aller Zeiten. Die Glocken aus seiner Werkstätte hängen heute auftür­ men in ganz Deutschland, in Domen und Münstern ebenso wie in Stadt- und Dorf- 197 ihre Vorgänger.

kirchen und darüber hinaus in allen Teilen der Welt. Um so bemerkenswerter ist die hohe Zahl von Schilling-Glocken, die auf den Kirch­ türmen im Schwarzwald-Baar-Kreis hängen. Über 140 Werke des Meisters prägen heute die Klangsilhouette unserer Heimat ent­ scheidend mit. Damit zählt unser Landkreis mit Sicherheit zu denen, in welchem die Glocken des berühmten Meisters in beson­ ders großer Zahl vertreten sind. Bevor je­ doch das Werk Schillings im Kreis darge­ stellt wird, soll zunächst einmal ein Blick auf den Werdegang des Meisters geworfen wer­ den. Der Glockengießer Friedrich Wilhelm Schilling Die Kunst des Glockengießens scheint Friedrich Wilhelm Schilling bereits in die Wiege gelegt worden zu sein. Er kam am 2. September 1914 im thüringischen Apolda zur Welt und stammt aus der berühmten Schilling-Dynastie, die bereits seit Jahrhun­ derten von Apolda aus Glocken fur alle Tei­ le der Welt goß. Sein Vater war der Hof­ glockengießer Otto Schilling. Nach dem Be­ such von Grundschule und dem damaligen Großherzoglichen Realgymnasium mit Re­ alschule in Apolda widmete sich Friedrich Wilhelm Schilling ganz der Sache, die er Glockenweihe in Weilersbach (1961) 198 später oft als seinen Lebensinhalt bezeich­ nete: der Glocke. In der väterlichen Gieße­ rei hatte er bereits Einblick in das Glocken­ gießerhandwerk gewonnen und schon im Alter von 12 Jahren hatte er selbständig sei­ ne erste eigene Glocke geformt und gegos­ sen. Im Alter von 18 Jahren ergänzte der junge Schilling seine Kenntnisse durch die Mitarbeit in Glockengießereien in der Schweiz. Danach kehrte er in den elterli­ chen Gießereibetrieb zurück, ehe er von 1941 bis 1945 Kriegsdienst leisten mußte. Nach Kriegsende wurde Schilling als Treu­ händer und Verwalter des Glockenlagers Hamburg eingesetzt. Unzählige Glocken waren dort während des Krieges zwischen­ gelagert worden, um zu Kanonen umgegos­ sen zu werden. Als der Krieg 1945 zu Ende war, lagerten dort noch immer über 12 000 Glocken, die durch das Kriegsende vor der Einschmelzung bewahrt worden waren. Die­ se galt es, wieder in ihre Heimatgemeinden zurückzuführen, was sich angesichts der großen Menge als nicht leicht erwies. Bis 1949 lebte Schilling in Hamburg, doch schon seit Jahren war es sein Wunsch gewe­ sen, als Glockengießer zu arbeiten. Eine Rückkehr in den Betrieb in Apolda, so war Schilling überzeugt, hätte unter den damals dort herrschenden politischen Verhältnissen für ihn wenig Chancen geboten. Auf der Su­ che nach einem geeigneten Standort fur sei­ ne eigene Gießerei kam Schilling schließlich nach Heidelberg. Dort entstand an der Römer- und der Bergheimer Straße eine neue Gießära. Kleinere Glocken für Gemeinden im Gebiet der lutherischen Landeskirche Han­ nover und für Bayern waren seine ersten Aufträge. Noch 1949, im er- i sten Jahr des Bestehens der Gieße­ rei, wurde als erstes Geläute das für die Kirche in Nußloch gegossen. Nachdem einige kleinere Anfangs­ schwierigkeiten überwunden wa- ren, machte sich die Gießerei von Friedrich Wilhelm Schilling rasch ‚—-

Die vier neuen Sd,illing-G/,ocken der katholischen Pfarrkird,e in St. Georgen, vorbereitet zur Glocken­ weihe am 28. Oktober 1962. einen guten Namen. Die ausgezeichnete Qialität ihrer Werke und die außergewöhn­ liche Klangfülle und Harmonie der Glocken brachten Schilling schon bald höchste An­ erkennung. Einer seiner schärfsten Kon­ kurrenten räumte neidlos ein: ,,Schillings Gießerei ist die berühmteste der Welt.“ Der Sachverständige Professor Friedrich Högner aus München schrieb: ,, … der Heidelberger Schilling ist unter allen Glockengießern, die ich kenne, der größte Meister; er übertrifft auch bei weitem seinen Onkel in Apolda.“ Neben seiner Begabung war dieser Erfolg sicherlich letztlich in seiner Liebe zum Be­ ruf begründet. Die Glocke war sein Lebens­ inhalt und ihre laufende Vervollkommnung sein Ziel. Diese Einstellung spiegelte sich vielleicht am besten in einem Ausspruch wi­ der, den Schilling immer wieder tat: ,,Mir geht es nicht um das Geschäft, mir geht es um die Kirche, die eine Stimme haben soll­ te, die ihrer Schönheit entspricht. Wissen Sie, ich bin unverheiratet und habe weder für eine Frau noch für Kinder zu sorgen, meine Glocken sind meine Kinder. Ich habe auch keine Vertreter, die ich bezahlen müß­ te, meine Glocken sind meine Vertreter, ich habe auch keine Aktionäre, die mir Ge­ winnspannen vorschreiben würden. Wenn ich schenken will, geht das nur den Herrgott und die betreffende Gemeinde an.“ Friedrich Wilhelm Schilling verstarb am 6. Juni 1971 und wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt. Damit war eine große Gießära zu Ende gegangen. Schillings Werkstätte wurde von der Karlsruher Glocken- und Kunstgießerei als Zweigbe­ trieb übernommen, ehe der Betrieb in Hei­ delberg 1982 endgültig geschlossen wurde und mit der Firma in Karlsruhe zusammen­ gelegt wurde, wo noch heute Glocken nach den Vorbildern von Schilling gegossen wer­ den. Das Werk Äußerst umfangreich ist die Werkliste Friedrich Wilhelm Schillings. Insgesamt schuf er zwischen 1949 und 1971 rund 7 600 Glocken. Die Aufträge dafür kamen von 199

berühmtesten Münster und Dome: Würz­ burg, Freiburg, Konstanz, Hildesheim, St. Blasien ebenso wie in zahllosen Städten und Dörfern. Seine größten Glocken goß er für die Marktkirche in Hannover (10 360 kg), den Würzburger Dom (9 080 kg), den Dom in Hildesheim (8 686 kg), St. Stephan in Karlsruhe (8 510 kg), das Münster in Kon­ stanz (8 349 kg), St.Nikolai in Hamburg (7 354 kg) und das Münster in Freiburg (6 856 kg). Bei der Addition des Gesamtge­ wichts aller Glocken eines Geläutes ergeben sich Würzburg, Freiburg und Konstanz mit Gesamtgewichten von knapp 24, 21 und 20 Tonnen als größte Aufträge. Unter den 75 größten Aufträgen befinden sich in der Um­ gebung unserer Heimat unter anderem: St. Blasien, Villingen (Münster), mehrere Kir­ chen in Freiburg, Biberach im Kinzigtal, Tiengen/Hochrhein, Villingen (St. Fidelis), Haslach/ Kinzigtal. Wie eingangs erwähnt, läuten von den Türmen der Kirchen im Schwarzwald-Baar­ Kreis rund 140 Glocken dieses berühmten Meisters. Dies ist ein Vielfaches des Werkes der Villinger Gießerei Grüninger, deren Glocken im Kreis kaum vertreten sind. An­ scheinend hat sich dort wieder einmal das Wort vom Propheten bewahrheitet, der im eigenen Land nicht viel gilt. Das größte und bedeutendste Schilling-Geläute im Land­ kreis ist das des Villinger Münsters, dessen acht Schilling-Glocken zusammen 11 703 Kilogramm wiegen und damit an 14. Stelle aller seiner Aufträge rangieren. Seit der Er­ gänzung um eine neunte Glocke im Jahre 1985 ist das Geläute noch um 3 400 Kilo- gramm schwerer geworden. Jochen Schultheiß Die 5 400 Kilogramm schwere große Glocke des Villinger Münsters 1oird hochgezogen (J 9 54). 1 395 katholischen Pfarrämtern, 701 evan- gelischen Pfarrämtern und 92 Kommunal- verwaltungen. Mit Gewichten unter 100 Ki- logramm goß er 1 233 Glocken, von 101 bis 500 Kilogramm 3 708 Glocken, von 50 l bis 1 000 Kilogramm 1 722 Glocken, von l 001 bis 3 000 Kilogramm 874 Glocken, von 3 001 bis 5 000 Kilogramm 45 Glocken und über 5 000 Kilogramm waren es 20 Glocken. Seine Werke läuten auf den Türmen der 200

Aufstellung aller Schilling-Glocken im Schwarzwald-Baar-Kreis ( ,,K“ bedeutet katholische Kirche, »E“ evangelische Kirche) Ort/Kirche Gußjahr Schlagtonlinie Gewichte in kg Aasen/K Allmendshofen/K Bad Dürrheim/K Behla/K Blumberg/K Bräunlingen/E Donaueschingen (St. Marien)/K Epfenhofen/K Eschach/K Furtwangen/K Grüningen/K Gütenbach/K Hammereisenbach/K Heidenhofen/K Hochemmingen/K Hüfingen/K Hüfingen (Mariahof) Klengen/K Kommingen/K Marbach/K Mundelfingen/K Neudingen/K Neukirch/K Riedböhringen/K Riedöschingen/K St. Georgen/K Schönenbach/K Sumpfohren/K Sunthausen/K Triberg/K Triberg (Kricgerehrenmal) Überauchen/K Villingen -Münster/K · Benediktiner/K -Bruder Klaus/K -Pauluskirche/E 1952 1953 1954 1950 1957 1968 1953 1959 1964 1953 1955 1951 1952 1965 1952 1952 1955 1954 1968 1952 1958 1953 1950 1952 1957 1952 1953 1954 1962 1952 1957 1954 1958 1953 1953 1954 1958 1963 1959 f1 -as 1 -b 1 -des 2 d 2 -f 2 es1 des 2 -f2 c1 -es1 -f1 -g1 -b1 b 1 -des 2 · es 2 · f2 g1-b1·es 2 es1 – f1 c1 cis2 -e2 -fis2 fis 2 b O -d1 . f1 _ g1. b 1 ges 1 -as 1 -b 1 -des 2 es1 .f1 -g 1 -b1 ·c 2 gis 1 • h 1 -cis 2 . e2 ges1 -h 1 -cis 2 f1. b1 des 1 -es 1 f2 -as 2 -b 2 dis 2 · fis2 f2 b1 -c 2 ·es 2 a1. 1,1 d1 e1-g1-a1-h1 d1 • f1 _ g 1 • b 1 e 1 . fis 1 . gis 1 . h 1 e 1 -fis 1 -gis 1 -h 1 -cis 2 cis 1 -e 1 -fis 1 • gis 1 cis 1 -e 1 • fis 1 • gis 1 fis1. gis 1 -h 1 d1 -fis 1 • a 1 _ h 1 h0-d1 -e1 .fis1 .31 d1 h 1 -cis 2 -e 2 as O • des 1 • es 1 -f1 • as 1 -b 1 -c2 – des2 ges 1 -b 1 -des 2 -es 2 -f2 des 1 – fes 1 -ges 1 -as 1 -ces 2 f 1 -as 1 -b 1 -des 2 1038-565-383-224 250-145 1491 zusammen 271 2353-1255-869-703-500 425-242-220-154 713-408-163 1595-1099 2428 218-148-103 122 3453-1549-858-601-345 833-578-392-220 1593·1079-705-514-351 501-285-226-128 539-28 l -l 95 1127-454 1960-1309 220-130-90 208-117 104 410-284-163 402-270 1552 1253-713-484-401 1349-793-537-305 1130-785-536-357 1126-776-625-448-308 l 980-1245-850-733 2143-1 J 97-853-558 780-606-333 1483-902-498-413 2890-l 600-1064-876-490 1678 338-230-133 5400-2065-1389-1089-617- 508-336-290 905-536-307-303-210 2366-1324-918-638-447 945-635-559-310 201

·St.Fidelis/K Vöhrenbach/K Vöhrenbach (Friedhof) Weilersbach/K Wolterdingen/K 1958 1952 1965 1961 1954 bO -des 1 • es 1 • ges 1 • as 1 des 1 • es 1 – f1 • as 1 -b 1 • des 2 c2 d1 .f1 f1 -as1 -b1 -des2 3040-l 737-1212-908-608 2280-1470-1016-579-406-294 356 1402-783 935-588-428-281 Hinweis: Diese Aufstellung umfaßt lediglich Glocken tles Meisters Friedrich Wilhelm Schilling. Glocken anderer Gießer, die mancherorts ebenfalls noch zuziiglich auf den Tiirmen hängen und dort zum Geläute gehören, sind nicht berücksichtigt. Schilling· Glocken ersetzten auch in Furtwangen das im Krieg verlorengegangene Geläut der katholischen Stadlkirche. Das Bild zeigt die große Furtwflnger Glocke, 3453 Kilogramm sdnuer, kurz nach dem Guß im Hof der Glockengießerei in Heidelberg. 202

Von der Diasporagemeinde zur Stadtpfarrei Die katholische St.-Georgs-Pfarrei in St. George n wird 90 Jahre alt 61t. �rot i t n. ·-�� …….. � …….. „“‚.-..� …….. _..�…—� erne fatijolif c{Je @otte�� · [801](1) am ranftl4r,1 t!onafag, bea 11. b. In. ‚ · bienfi fnt>rl 6iu brr but� kn �“‚“ !il,’4n lOn �1U.ot9 R•tr, 1041 brn �· ‚mrinbrauttbOrisn, ,:Cfflit aur Strna1n1i Qrbra.cflt a,,hb. Clllrid>1ri1i« br.rrn a,it unJ, bl, 1Jin1″o&n11if/,lt et. :;!:�:,,�·:mb�,IU�;u;:!�!!t“‚urabm. 1!.nfana bc:I GlotJ 5)fr ftll•llf“t ffir�t19tatl1-tratt. Anzeige aus dem „Schwarzwälder“ vom 8. April des Jahres 1880, dem damaligen amt­ lichen Verkündigungsbuitt für den Amtsbe­ zirk Villingen. Nachdem die Schutzherrschaft über das Kloster St. Georgen 1534 an den der Refor­ mation zugeneigten Herzog Ulrich von Württemberg gefallen war, kam 1535 der er­ ste evangelische Pfarrer in den Ort. Ein Jahr­ hundert der Religionswirren begann, in dem die Benediktinermönche mehrfach aus ihrem Zufluchtsort Villingen in das Kloster zurückkehrten. Dann fiel das Kloster nach dem Dreißigjährigen Krieg im Westfälischen Frieden 1648 endlich auf Dauer an Würt­ temberg. Rund zwei Jahrhunderte lebte im ganzen Kirchspiel kein Katholik mehr. So war im Markt­ flecken St. Georgen jede Spur des Katho­ lizismus verwischt, als er am 5. Oktober 1810 zu Baden kam. Die Zählung des Jah­ res 1812 belegt, daß in jenem Jahr in St. Georgen 914 Perso­ nen gelebt hatten, alle durchweg evan­ gelisch. Als die Industrie jedoch an Bedeutung ge­ wann, vermehrte sich der Zuzug von Aus­ wärtigen und so kamen erstmals seit Jahr­ hunderten wieder Katholiken nach St. Ge­ orgen. Im Jahre 1843 lag ihre Zahl bei 43. Sie mußten zunächst den beschwerlichen Weg zum Gottesdienst und zur Christen­ lehre nach Nußbach auf sich nehmen. All­ mählich wuchs ihre Zahl an. Die Eröffnung der Schwarzwaldbahn im Jahre 1873 tat ein übriges und bei der 1880er-Zählung waren es in St. Georgen bereits 191, in Brigach 27, in Peterzell 36 und in Stockburg 9, zusam­ men also 263 katholische Mitbürger. Interessanterweise war es ein angesehener evangelischer St. Georgener, der „ewige Stu­ dent“ Johann Georg Schultheiß, der den er­ sten Anstoß gab, für die kleine katholische Gemeinde eine eigene Kirche zu bauen. Die Kirchenbehörde lehnte aber das Ansinnen ab, da die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung standen. Sie hatte schon im Jah­ re 1842 und erneut 1847 angeordnet, daß der Pfarrer von Nußbach für die Betreuung der St. Georgener Katholiken zuständig sei. Endlich, im Jahre 1880, wurde ein Saal im Gasthaus „Bären“ gemietet. Am Sonn­ tag, den 11. April 1880, hielt Dekan Beck aus Triberg mor­ gens um 8 Uhr den ersten Gottesdienst darin ab. Ab Mai 1887 feierten Pfarrer Eduard Fahrländer aus Gremmelsbach und von Allerheili­ gen 1890 an Pfarrver- weser Adolf Schwei­ zer aus Nußbach im Saal der Wirtschaft regelmäßig die heilige Messe. Mit zunehmender Zahl der Katholiken wurde auch der Plan für eine eigene Kirche wieder aufgegriffen. Durch Vertrag vom 11. November 1881 erwarb der katholische Stif­ tungsrat auf dem Gebiet des ehemaligen Klosters einen Bauplatz für eine Kirche. Ein eigener Kirchenbaufonds wurde ins Leben gerufen. Durch zahlreiche Spenden, Schen­ kungen, Vermächtnisse und die Unterstüt­ zung des Bonifatiusvereins war dieser 1889 bereits auf stattliche 47 000 Mark ange­ wachsen. So konnte im Frühjahr des glei- 203

chen Jahres der Bau in An- griff genommen werden. Am 29. Mai 1889 begannen die Fundamentierungsarbeiten, am 14. Juli erfolgte die Grundsteinlegung und be­ reits am 10. August 1890 fei­ erte Pfarrer Fahrländer den ersten Gottesdienst in der neuen Kirche. Entstanden war nach den Plänen des Erzbischöflichen Bauinspektors Franz Baer (1850-1891) und des Archi­ tekten Friedrich Kempt ein einschiffiger, schmucker Bau im neuromanischen Stil mit einem Dachreiterturm. Die Kirche hatte eine Grund­ fläche von 272 Qiadratme­ tern und bot rund 300 Sitz­ plätze. Wahrlich genug bei einer Zahl von 346 Katholi­ ken im Jahre der Fertigstel­ lung der Kirche. Feierlich eingeweiht wurde die Kirche erst am 21. Juni 1896 durch Weihbischof Dr. Friedrich Justus Knecht zu Ehren des Heiligen Georg. Das Pfarr­ haus war bereits 1893 -94 er­ baut worden. Ein großer Tag für die noch junge Gemeinde war dann der 30. Septem­ ber 1907. Mit Urkunde von diesem Datum errichtete der damalige Erzbischof von Frei­ burg, Thomas Nörber (1846/1920), die Stadtpfarrei St. Georgen. Damit hatte die katholische Gemeinde in St. Georgen ihre Selbständigkeit erlangt und der damalige Pfarrkurat Emil Hogg wurde somit zum er­ sten Pfarrherrn der neu gegri.indeten Stadt­ pfarrei. In den folgenden Jahren entwickelte sich in der jungen Pfarrei ein reges Gemeindele­ ben. Zahlreiche Gruppierungen und Verei­ nigungen entstanden und zahlreiche Mit- 204 Die a!Le katholi­ sche Kirche wurde !889!90erbaut und 1960 abge­ brochen. glieder der Gemeinde übernahmen Aufga­ ben in der Pfarrei. 1924 wurde Chrysosto­ mus Fauth neuer Pfarrer. 1926 war die Zahl der Katholiken bereits auf 1 100 angewach­ sen. In den 1930er-Jahren wurde das Schwe­ sternhaus neben der Kirche gebaut. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zählte die Pfarrei rund 1500 Katholiken. 1947 i.ibernahm Pfarrer Albert Haßler die Ge­ meinde, die weiter anwuchs. Die bestehen­ de Kirche wurde nun zu klein. Trotz mehre­ rer Gottesdienste pro Sonntag herrschte bei gezählten rund 1 000 Gottesdienstbesuch­ ern qualvolle Enge, ganz abgesehen von ho-

Fall des Turmes der alten katholischen Kirche am 16.Mai 1960. hen Festtagen, an denen das Kirchlein völ­ lig überfüllt war. Am 1. Januar 1960 lebten in der Pfarrei bereits 3 741 Katholiken. 1966 bereits 4 500 Katholiken Pfarrer Willi Wellinger, von 1957 bis 1969 Seelsorger der St-Georgs-Pfarrei, nahm sich schließlich des drängenden Problems eines Kirchenneubaus an. 1966 lebten dann schon über 4 500 Katholiken in der Pfarrei. 1967 baute die Gemeinde einen Kindergar­ ten auf der Halde. Am 26. Januar 1969 wur­ de der erste Pfarrgemeinderat gewählt. Zum 1. Mai des gleichen Jahres gab es einen Pfarrerwechsel. Felix Dietrich trat die Nach­ folge von Willi Wellinger an. Am 23. April 1978 wurde das ökumenische Gemeindezen­ trum auf der Seebauernhöhe eingeweiht, das zusammen mit den evangelischen Kir­ chengemeinden gebaut wor­ den war. Im August 1981 war nach mehr als 50 Jahren das Ende der Schwesternstation gekommen. Nun verließen die letzten Gemeindeschwe­ stern St. Georgen. Im Okto­ ber 1985 nahm Pfarrer Felix Dietrich Abschied von der Gemeinde. Im Januar des Jahres 1986 übernahm Gun­ ter Storz die Pfarrstelle. Derzeit gehören zur St-Ge­ orgs-Pfarrei über 5 000 Ge­ meindemitglieder. Damit ist die einstige kleine Diaspora­ gemeinde zur Stadtpfarrei geworden, die sich inzwi­ schen ihres kleinen Begin­ nens kaum mehr erinnern kann. Nachdem das 1889/90 er­ baute Kirchlein den An­ sprüchen der stark gewachse­ nen Gemeinde nicht mehr genügte, wurde es im Frühjahr 1960 abgebrochen. Spekta­ kulärer Höhepunkt war der Fall des Turmes am Montag, 16. Mai 1960. Trotz eines Ge­ witters mit heftigem Regen, das damals über St. Georgen niederging, hatten sich mehre­ re hundert Zuschauer eingefunden, um bei diesem historischen Ereignis dabeizusein. Um genau 17. 23 Uhr, wie der Chronist da­ mals vermerkte, neigte sich der Turm lang­ sam zur Seite und stürzte dann mit lautem Getöse in das Innere des ausgeräumten Kir­ chenschiffs. Im feierlichen Fronleichnamsgottesdienst 205

Adventssonntag, 11. Dezember 1960, war Grundsteinlegung. In den folgenden Mona­ ten nahm das Bauwerk rasch Gestalt an. Am 20. September 1961 wurde Richtfest gefeiert und am 15. Oktober 1961, dem Kirchweih­ fest der Erzdiözese Freiburg, war schließlich der Tag der Einweihung gekommen. An je­ nem Tag konsekrierte Weihbischof Karl Gnädinger die neue Kirche. Der neue Turm 38,5 Meter hoch Noch nicht fertiggestellt war damals der Turm. Mit seinem Bau war im August 1961 begonnen worden. Im Spätsommer 1962 war der 38,50 Meter hohe »Zeigefinger Gott· es“ schließlich vollendet. Tag der Turm- und Glockenweihe war am Christkönigsfest, 28. Oktober 1962. Ihrer Bestimmung überge­ ben wurden damals die Christkönigsglocke (1980kg), die Marienglocke (1245 kg), die St. Georgs-Glocke (850 kg) und die Schutzen­ gelsglocke (733 kg). Gegossen wurde das har· monische vierstimmige Moll-Geläute in der Heidelberger Werkstatt von Friedrich Wil­ helm Schilling. Es erklingt in der Tonfolge cisl · e l • fisl – gisl. Die neue Kirche verfügt über rund 750 Sitzplätze. Ihr Grundriß insgesamt ist recht· eckig, der des Hauptschiffs jedoch trapez· förmig, er verjüngt sich nach dem Chor zu. Umgekehrt steigt aber auch nach dem Chor zu die Schiffshöhe an. Die niedrigen Sei­ tenschiffe sind wiederum wie das Haupt· schiff unregelmäßig im Grundriß, jedoch verbreitern sie sich im Gegensatz dazu nach vorne. Ihre Außenwände lösen sich durch ein schmales Lichtband von der Decke und lassen den Raum damit höher erscheinen, als er tatsächlich ist. Das nach dem Pfarrhaus zu abfallende Gelände führte zur Anord­ nung eines Untergeschosses, in welchem ein großer Saal mit über 300 Sitzplätzen samt Nebenräumen, Küche und drei Gruppen­ zimmern untergebracht wurde. Errichtet wurde der Bau nach Plänen von Oberbaurat Max Schätzle, dem damaligen Leiter des Aufziehen der neuen Glocken im No11ember 1960. Die fast zwei Tonnen sdnuae Christkö­ nigsglocke kurz vor ihrem Ziel. am 16. Juni 1960 wurde der erste Spaten­ stich zum Kirchenneubau getan, am dritten 206

wurden ausgebaut und erhiel­ ten in einer neu geschaffenen Seitenkapelle einen würdigen Platz. Seit der Fertigstellung der Kir­ che 1961 war die Gestaltung der hohen Chorwand mit den Fen­ stern der alten Kirche nur als Provisorium gedacht, das dann allerdings runde 30 Jahre über­ dauerte. Im Zuge der jüngsten Innenrenovierung wurde nun auch dieser Bereich neu gestal­ tet. Es entstand ein gut 136 Qyadratmeter großes Monu­ mentalgemälde, das den Kir­ chenbesucher in seinen Bann zieht. Es besteht aus 72 ein­ zelnen, jeweils 1, 10 auf 1,70 Meter großen Holzplatten. Ge­ schaffen wurde das Riesen­ Kunstwerk von dem Neckar­ steinacher Künstler Peter Valen­ tin Feuerstein und seinem Sohn Christoph. Thema des Monu­ mentalgemäldes sind grundle­ Die katholische Stadtpfarrkirche „St. Georg“ in St. Georgen. Erzbischöflichen Bauamtes Konstanz, die örtliche Bauleitung hatte Regierungsbau­ meister Berthold Haas. Ein Monumentalgemälde Bis vor wenigen Jahren zeigte sich das In­ nere des Gotteshauses in nüchternen und schlichten Formen. Lediglich das hoch über dem Altar in die Wand eingelassene Chor­ fenster der alten Kirche war einziger Schmuck. Bei der jüngsten Instandsetzung hat sich das Gesicht des Innenraumes gründ­ lich gewandelt. Im Sommer 1989 begann man mit einer umfassenden Renovierung. Das Innere erhielt einen hellen Anstrich, die Beleuchtung wurde gewechselt und der Al­ tarbezirk völlig umgestaltet. In der Oster­ nacht 1990 erklang erstmals die neue Orgel mit 27 Registern, ein Werk der Bonner Fir­ ma KJais. Die Chorfenster der alten Kirche gende Aussagen der Bibel. Das Bild ist so aufgebaut, daß auf der rechten Seite stets die Kainswelt und sie be­ treffende biblische Aussagen dargestellt sind, wohingegen die Motive der linken Sei­ te Grundentscheidungen im Sinne Abels in den Mittelpunkt rücken. Entsprechend sind rechts der Turmbau zu Babel, der feuerrote (= der Krieg), der schwarze (= der Hunger) und der fahle (= der Tod) apokalyptische Reiter dargestellt und darüber das Gericht über Babylon. Links sind Abraham vor dem Sternenhimmel, der brennende Dornbusch, das Paschamahl, der Durchzug durch das Meer und der apokalyptische Reiter auf dem weißen Roß(= der Sieger) zu sehen, darüber die Darstellung des Buches mit den 7 Sie­ geln. In der Mitte unten die Schöpfung, dar­ über die Arche Noah. In der blauen Zone im Zentrum sind die zentralen Aussagen des christlichen Glaubens dargestellt: Das Le- 207

Blick in den neugestalteten Kirchenraum mit dem neuen Gemälde an der Chorwand (siehe auch Bild rechts unten) und die Klais-Orgel von 1990 (links unten). – – – – 208

ben Jesu von der Verkündigung über das letzte Abendmahl und – im Zentrum – den Kreuzestod bis hin zum leeren Grab. Dar­ über oben in der Mitte in leuchtenden Far­ ben die Erlösung: Die Vision vom himmli­ schen Jerusalem, in der Mitte das geschlach­ tete Lamm vor dem Thron Gottes. Damit haben die St. Georgener Katholi­ ken nun zum 90. Geburtstag ihrer Pfarrei in diesem Jahr ein würdiges Gotteshaus be- kommen, das alleine schon durch seine geo­ graphische Lage der Antiphon der Kirchwei­ he alle Ehre macht: ,,Gegründet ist das Haus des Herrn auf der Höhe der Berge, erhaben über alle Hügel. Alle Völker kommen zu ihm und sprechen: Ehre sei Dir, o Herr. Sie kommen voll Jubel … “ Jochen Schulthe!ß Die Hubertus-Kapelle in Neuhausen Das Schmuckstück des Dorfes wurde gründlich renoviert Viele Jahre stand, unter hohen Ahornbäu­ men fast verborgen, das kleine „Fleige-Käp­ pili“ unbeachtet neben der Straße im Neu­ hauser Oberdorf. Nachdem in den 1960er Jahren einige der Kapellenfiguren geraubt worden waren, blieb es stets verschlossen. Im Herbst 1995 jedoch wurde nun die Ka­ pelle nach einer gründlichen Renovierung wieder geweiht und dem heiligen Hubertus gewidmet. Es fand ein dreitägiges „Kapel­ lenfest“ statt. Bläser der Villingen-Schwen­ ninger Parforcehorngruppe verschönerten die Hubertusmesse, die am 10. September unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Hofplatz vor der Kapelle gefeiert wurde. Im Festzelt konnten sich dann Ein­ heimische wie Fremde – oder besser gesagt Freunde der Jagd und des Dorfes – an mu­ sikalischen Darbietungen erfreuen und mit zünftigen Speisen stärken; dies schon am Vorabend und noch am folgenden Tag. Das neue Schmuckstück des Dorfes weckte auch Fragen nach dessen Vergangenheit. Und vorneweg ist zu sagen: manche Fragen blei­ ben. Das Anwesen, zu dem die Kapelle gehört, hatte wechselvolle Schicksale. Zu Ende des 18. Jahrhunderts (1780) war es in Besitz von Anton Flaig. Von dieser Familie Flaig (Fleig) behielt das Haus wie auch die Kapelle den Hofnamen ,; s Fleige“ bis in die zweite Hälf­ te des 20. Jahrhunderts, obwohl schon 1811 ein anderer Besitzer genannt wird, nämlich Anton Neininger, der vielleicht ein Schwie­ gersohn Flaigs war. Nach Anton Neininger übernahm der Sohn Thomas Neininger den Hof, danach dessen Sohn Friedrich. Die Tochter Berta des Friedrich Neininger, wel­ cher 1879 noch nicht fünfzigjährig starb, heiratete später einen Eduard Seckinger. 1937 verkaufte der Sohn und Nachfolger Friedrich Seckinger den Besitz an Emil Stern, den „Pandure-Emil“. Von diesem ging der Hof auf den Sohn Konrad über. Nach dem Tod Konrad Sterns 1994 erwarb der jetzige Besitzer Artur Büttner das An­ wesen von Konrads Geschwistern. Die zum Gehöft gehörende kleine Kapel­ le steht, früher durch einen Feldweg vom Hofplatz getrennt, westlich des Hauses na­ he an der heutigen Forststraße. Sie soll zu Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet wor­ den sein; in den Grundbuchbeschreibungen Neuhausens wird sie jedoch erst 1868 zum erstenmal genannt, auch erscheint sie nicht in früheren Übergabe-Verträgen. So dürfte sie wohl erst von Friedrich Neininger erbaut sein; bei der Erbteilung 1880, nach dem Tod 209

die Statuen des heiligen Joseph und der hei­ ligen Barbara. Alle diese Bildwerke wurden alljährlich als Schmuck des Fronleichnams-Altars aufge­ stellt; traditionell hatte der vierte „Herr­ gottstagsaltar“ seinen Standort bei ,,‘ s Flei­ ge“. (Die erste Station war beim „Bapischt“, Obereschacher-Str. 5, die nächste bei „Leh­ rertonis“ Forststr. 1, die dritte bei „Märtilis“ in der Forststr. 4.) Nach dem Diebstahl der beiden Putten und der Pieta brachte Familie Stern die rest­ lichen Statuen und das Kruzifix in ihrer Wohnung in Sicherheit. Das Kapellchen blieb versperrt und geriet fast in Vergessen­ heit. Aus diesem „Dornröschendasein“ holt nun der neue Besitzer Artur Büttner das „Käppili“ wieder heraus. Hierbei half der Vater Josef Büttner begeistert mit. Das Dach wurde renoviert, das Mauerwerk saniert und ein neuer Altartisch gefertigt. Die Türe und die Fenster wurden mit Gittern versehen. Fußboden und Tür bedurften keiner Erneu­ erung. Ebenso sind die Betstühle noch gut erhalten. Da Artur Büttner ein passionierter Jäger ist, wählte er, unterstützt von seinem Jagd­ freund Willi Stern, einem Bruder des Vor­ besitzers, den heiligen Hubertus zum Pa­ tron der renovierten Kapelle. Die südliche Innenwand wurde mit einer Darstellung des Jägerheiligen geschmückt. Vor allem aber: die bislang sichergestellten, nichtgestohle­ nen Statuen bekamen wieder einen würdi­ gen Platz. Das ausdrucksvolle Kruzifix hängt über Eck in alter Herrgottswinkel-Tradition. Auf dem Altartisch stehen vor Schein-Ni­ schen die Statuen des heiligen Joseph und der heiligen Barbara. Die Herkunft der Kapellenstatuen kann nur vermutet werden. Sie dürften aus der Hand des Neuhauser Pfarrers Ackermann stammen. Bernhard Ackermann war über 30 Jahre (1791-1822) in Neuhausen tätig; seine Heimat war die Ölmühle in Villingen – ein Ölmüller machte sich auch als Masken- Der Altar der Hubertus-Kapelle vor und nach der Renovierung im Jahr 1995. ,,,.. Friedrichs, wird die „Kappelle“ mit 400 Mark an Wert in der Erbmasse erwähnt. Dem Neuhauser Großbrand im Mai 1896 fiel auch die Kapelle zum Opfer; wie ein Fo­ to aus jenen Tagen zeigt, blieb das Mauer­ werk stehen, Dachstuhl und Holzwerk je­ doch verbrannten. Das „Käppili“ wurde da­ nach wieder hergestellt. Es ist ein schlichter, fast quadratischer Bau mit je einem Fenster in den Seitenwänden und einer breiten Tür nach Osten zu. Der offene Dachstuhl trägt weder Türmchen noch Dachreiter. Früher bestand die Ausstattung aus einem einfa­ chen Altar und je zwei Betstühlen rechts und links. Auf dem Altar stand eine Pieta, darüber hing ein Kruzifix, beiderseits davon je ein kelchtragendes Putten-Engelchen. Zu Seiten der Schmerzensmutter befanden sich 210

Die Hubertus-Kapelle in Neuhausen wurde nach gründlidm Renovierung am 10. September 1995 mit einem.feierlichen Golfesdienst geweiht, an dem auch eine Hombliisergruppe mitwirkte. schnitzer einen Namen. Über Pfarrer Acker­ mann berichtet einer seiner Nachfolger, Franz Xaver Hosp, 1866 in der Neuhauser Pfarrchronik: ,,Er war ein sehr geschickter Schreiner und Bildhauer, und die meisten Heiligenbilder sind von seiner Hand ge­ macht.“ In der Pfarrkirche St. Martin zu Neuhausen sind noch mehrere Ackermann­ Statuen zu sehen. Ob die Kapellen-Figuren beim Großbrand 1896 gerettet werden konnten oder erst nach dem Wiederaufbau gestiftet oder erworben wurden, läßt sich auch nicht feststellen. Wahrscheinlicher ist, daß die alte Ausstat­ tung verbrannte, denn „außer dem Vieh konnte nur sehr wenig an Fahrnissen geret­ tet werden“ (Zeitungsnotiz vom 11.5.1896). St. Joseph trägt auf dem linken Arm das Je­ suskind. Bekleidet ist er mit einem dunkel­ grünen Rock, schwarzen Stiefeln und einem lose über den Rücken hängenden dunkel­ blauen Mantel. Die leere rechte Hand dürf- te einen Lilienstab gehalten haben. St. Bar­ bara trägt ein dunkelrotes gegürtetes Ge­ wand und einen dunkelblauen Mantel. In der linken Hand hält sie einen (heraus­ nehmbaren) Kelch, in der rechten war ver­ mutlich eine verlorengegangene Märtyrer­ palme. Die Krone ist aus Metall aufgesetzt. Beider Figuren Gewänder sind mit einem Goldstreifen gesäumt. Anscheinend ist noch die ursprüngliche Fassung erhalten. Das Kruzifrx mit auffallend breitem Kreuz­ holz und einem Christuskorpus mit kap­ penartiger Netz-Dornenkrone stand zu­ nächst nicht in Zusammenhang mit den Heiligenfiguren, dagegen gehörten die ver­ schwundenen kelchtragenden Engel dazu, wahrscheinlich auch die gestohlene Pieta. Die Neuhauser Ackermann-Statuen zei­ gen, obwohl am Ende der Barockzeit ent­ standen, keinen barocken Überschwang, sondern schlichte, naiv-bäuerliche Formen. Sie sprechen mit ihrem frommen Ausdruck 211

Tuningen als Wallfahrtsort Auf den Spuren der Kirche des heiligen Gallus und in ihrer einfachen Art die Bevölkerung an. Ebenso wirken auch die Kapellen-Figu­ ren. Das Kreuz Christi und das Bild der Schmerzensmutter halfen den schwer arbei­ tenden, geplagten Landleuten, ihre Nöte und Sorgen -,,Kreuz und Leid“ -eher zu er­ tragen. Der heilige Joseph ist Schutzpatron der Familien und der Arbeiter, vor allem der Zimmerleute. Er wurde auch angerufen um eine gute Todesstunde, ebenso die heilige Barbara. Diese gehört zu den vierzehn Not­ helfern und gilt als Schutzheilige verschie­ dener Berufsgruppen. Wenn im Jahre 1997 Tuningen auf l 200 Jahre seiner Geschichte zurückblickt, sollte dies nicht ohne Gedenken an seine Verbin­ dungen und Traditionen mit dem KJoster St. Gallen geschehen. Die erstmalige Er­ wähnung des Ortsnamens „Dainingas“ kommt in einer Schenkungsurkunde an das KJoster St. Gallen vor, wo Thrutbert in Dai­ ningas (Tuningen) seine Besitzungen in Weigheim und Trossingen an das KJoster St. Gallen gab. So ist Tuningen mit eine der alamannischen Siedlungen, die durch eine Schenkung an das KJoster St. Gallen 797 n.Chr. eine besonders frühe urkundliche Erwähnung erfahrt. Im Mittelpunkt unserer jetzigen Betrachtung steht die ehemalige Wallfahrtskirche St. Gallus in Tuningen. Nachdem im Jahre 750 die Alamannen endgültig unter die unmittelbare Herrschaft der Franken gekommen waren, gewann das Christentum immer mehr Einfluß. Zuerst waren es die oberen Schichten, die sich dem neuen Glauben zuwandten; erst allmählich erfaßte er dann auch die breiteren Schichten der Bevölkerung. Die Bekehrung der Ala­ mannen zum Christentum wurde durch iri­ sche Missionare eingeleitet. Einer der zwölf 212 In nichtmotorisierten früheren Tagen be­ suchten die Fußgänger auf dem Weg zur Feldarbeit das „Fleige-Käppili“ gern für ein kurzes Gebet. Und wenn an der nun wieder geöffneten Kapelle die Besucher nicht nur sich an einem ländlichen Schmuckstück er­ freuen, sondern auch nachdenklich werden oder vielleicht ein Gebet sprechen, so dürf­ te dies sowohl im Sinn des Erbauers und des Bildschnitzers als auch der Erneuerer sein! lrene Link Gefährten des Wandermönchs Kolumban war Gallus. Er kam 610 in unsere Gegend und trieb aufgrund seiner vortrefflichen Sprachkenntnisse die Christianisierung der Gegend rings um den Bodensee, also auch in der Baar, stetig voran. Obwohl der Grundsatz Papst Gregors des Großen laute­ te: ,,Nichts zerstören, alles verwandeln und auf den heidnischen Kultstätten die christli- Von der Wal!fahrtskirche sind heute keine Spuren mehr zu finden, auf der hier abgebildeten Parzelle soll sie der Überlieferung nach gestanden haben.

Klöster, Kirchen und Kapellen des hl. Gallus chen Kirchen bauen“, brachte ihm die eige­ ne ungestüme Art der Zerstörung heidni­ scher Götzenbilder den Haß vieler Alaman­ nen em. Zunächst mußte St. Gallus fliehen. Er gründete im Hochtal der Steinach, dem heu­ tigen St. Gallen, eine Einsiedelei und ein kleines steinernes Gotteshaus. Es wurde zu einem Kristallisationspunkt der Religion. Am Orte der Gallus-Siedlung errichtete dann 719 Otmar, der ein Alamanne war, ein Kloster. Er gab ihm die Regeln des hl. Be­ nedikt und war bis 759 sein erster Abt. Es war das erste Kloster der im 6. Jahrhun- dert n. Chr. gegründeten Diözese Konstanz. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich das Kloster St. Gallen zu einem legendären Zentrum christlicher Kultur, Kunst und Wis­ senschaft. St. Gallus selbst starb 645 n. Chr. an seinem Wirkungsort. Seine überragen­ den, charismatischen Fähigkeiten übten ei­ nen außerordentlichen Einfluß auf viele Menschen aus. Vom 8. Jahrhundert an setz­ te eine ausgesprochene Gallusverehrung ein. Mit reichen Schenkungen bedacht, er­ blühte das Kloster St. Gallen zu hohem An­ sehen im alamannischen Raum. Viele Pilger aus der Baar, aus Deutschland, Frankreich 213

Der Timinger Ablaßbrief vom April des Jahres 1338. und Italien kamen nach St. Gallen, um die Hilfe in besonderen Nöten zu erflehen. Die Großen des Reiches wetteiferten bald mit den begüterten Kreisen des alamannischen Volkes, die Klöster mit Grund und Boden auszustatten. Neben Gütern und einzelnen Orten werden in Urkunden mehrfach auch Kirchen erwähnt, die dem Kloster St. Gallen als Eigenkirchen oder Fiskalkirchen ge­ schenkt wurden. Die vielen Galluspatrozi­ nien resultierten aus den mächtigen Grund­ herrschaften des Klosters, dessen Grenzen von ihm ausgehend die schweizerischen Gaue Allamanniens umfaßten, über den Rhein, dem oberen Elsaß und dem Breisgau zustrebten, in weitem Bogen den Oberlauf der Donau und des Neckars einbezogen, um über den Linz-Argen und Allgau am Bo- densee den Kreis zu schließen. Später dehn­ te das Kloster St. Gallen seine Grundherr­ schaft bis nach Italien aus. 1206 wurde St. Gallen Reichskloster und seine Äbte wa­ ren fortan reichsunmittelbare Fürsten. Die älteste St.-Gallus-Kirche in unserer Re­ gion wurde um 874 n. Chr. im Wurmlingen (Kreis Tuttlingen) als bestehend bekannt. Auch in Tuningen gab es eine St.-Gallus-Kir­ che, sie stand außerhalb des Dorfes im Ge­ wann Vogelösch, etwa 1 km südwestlich in Richtung Sunthausen. Die Gegend hieß da­ mals „Die kugelichte Wolfsgruben“, später ,,Auf der Lehr“. Der Abhang gegen die obe­ re und untere Mühle zu heißt heute noch, wegen der Nähe zur damaligen Kirche, ,,Auf heiligen Wegen“. In der Zeit von etwa 800 bis 865 n. Chr. 214

wurden im Missionsterritorium des Bene­ diktinerklosters St. Gallen viele neuen Kir­ chen und Kapellen dem hl. Gallus geweiht. Als aber 864 n. Chr. die sterbliche Hülle des hl. Otmar ebenfalls im Kloster beigesetzt wurde, erhielten die nachfolgenden Sakral­ bauten nicht mehr St. Gallus, sondern St. Otmar zum Kirchenpatron. Deshalb müßte die Tuninger Kirche St. Gallus entweder im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts oder in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts erbaut worden sein. Das genaue Baujahr der Kirche ist leider nicht bekannt. Diese Tuninger Pfarr-und Wallfahrtskirche St. Gallus war höchstwahrscheinlich die Mutterkirche von Sunthausen, Hochem­ mingen, Mühlhausen und Weigheim. Da der Pfarrort Tuningen an der Schelmengas­ se lag, die von Geisingen herkommend als Heerstraße nach Rottweil führte und nach­ weislich als ablaßbegabter Wallfahrtsort aus­ gewiesen war, nahm er doch eine gewisse Sonderstellung unter den Ortschaften der Ostbaar ein. Zur Erhaltung der Kirche such­ te man zu Geldmitteln zu kommen und ver­ lieh der Kirche in Tuningen eine besondere Ablaßurkunde. Daß diese oft gebraucht, d. h. vorgezeigt wurde, ist daran zu sehen, daß an der heute im Stadtarchiv, in Villin­ gen liegenden Urkunde die Siegel abgefallen sind und fehlen. Am 25. April des Jahres 1338 wurde der Tuninger Pfarr- und Wallfahrtskirche zu St. Gallus die Ablaßurkunde verliehen. Sie ist heute der einzige sichtbare Beweis der einstigen Existenz der St. Galluskirche in Tuningen. Die 71 x59 cm große Urkunde wurde von Bischof Nikolaus 1. von Kon­ stanz (1334-1344) am päpstlichen Hof in Avignon beantragt und im Auftrag von Papst Benedikt XII. (1334-1342) von 14 Erzbischöfen und Bischöfen unterzeichnet und gesiegelt. Allen Besuchern der „Pfarrkirche in Tai­ ningen, gestiftet zu Ehren des hl. Gallus, und aller Altäre, die in dieser Kirche errich­ tet sind“, sollte ein Ablaß von 40 Tagen zu- gute kommen. Im Stile der Zeit, mit ihrer Sorge um größtmögliche Rechtssicherheit, enthält die Urkunde dabei eine genaue Auf­ zählung der Festtage und der vorstellbaren Gründe des Kirchenbesuches. Somit muß die Wallfahrt zur Tuninger Gallus-Kirche zu Beginn des 14. Jahrhun­ derts doch ein beträchtliches Ausmaß er­ reicht haben. Doch weder urkundlich noch durch andere Überlieferung ist bis heute et­ was über die Zerstörung und das Verschwin­ den der Wallfahrtskirche, die bis zur Refor­ mation von der ganzen Umgebung besucht wurde, bekannt geworden. Günther A. Ulmer Die evangelische Pfarrkirche 215

Tuninger Bilderbogen, von links oben: Der „Hiindebrunnen „von Goi/lieb Glöckler (J 985), Idylle am Sieblegraben, der Eingang vor dem Rathaus und schöne Faclnverkhiiuser in der Hauptstraße. 216

Heiteres aus dem Klosterleben Maria Canisia und ihr Damenorchester Diesmal, verehrter AJmanachleser, ist die Kapitelüberschrift in besonders hohem Maße zutreffend, denn einmal ist die im Ti­ tel ausgewählte Persönlichkeit, über die be­ richtet wird, im wahrsten Sinne des Wortes ein sonnig heiteres Wesen, und zum ande­ ren fehlt es der über sie ausgewählten Epi­ sode nicht minder an entzückend amüsan­ tem Gehalt. Sie, unsere Frau M. Canisia (1902 – 1987), bleibt unvergessen bei allen Mitbürgern, die sie kannten, sie ist bei ihnen hod1angesehen und beliebt. Eigentlich müßte sie ja wegen ihrer sprichwörtlichen Frohnatur und ihres nie versiegenden Optimismus noch einen schmückenden und verdienten Beinamen führen, z.B. Laetitia (zu deutsch „die Freu­ de“). Würde sid1 doch gut anhören: ,,Maria Canisia Laetitia !“ In über 60 Jahren Klosterleben war sie das nimmermüde, belebende, aber auch trost­ und ratgebende Element des Hauses. Dabei kamen ihr zu Hilfe die hohe musikalische Begabung und eine ausgeprägte Frömmig­ keit. Was hat diese bewundernswerte Frau doch alles gearbeitet und geleistet, und weil darüber schon ausführlich im Almanach 1989 unter dem Thema „Persönlichkeiten der Heimat“ berichtet wurde, beleuchten wir hier ergänzend noch einige heitere Sei­ ten ihres Lebens: Ein wichtiges Motto war für sie: ,,Ich bin zu jedem Späßchen bereit.“ Noch heute er­ zählen ihre ehemaligen Schüler, die der Klosterschule St. Ursula und die des Kna­ ben- und Pestalozzichors, mit Entzücken, wie freudvoll und erfolgreich bei ihr Musik­ und Gesangsunterricht waren. Auch Er­ wachsene, die bei ihr Klavierstunden nah­ men, berichten nur Gutes über ihre Lehre­ nn. Bei der „Villinger Fasnet“ blieb Frau Cani­ sia selbstverständlich keine Unbekannte, und heute noch bieten ihre Bänkelgesänge und komponierten Lieder mit selbstgedich­ teten Texten immer wieder Gesprächsstoff 217

bei „Schänzelefesten“ und gemütlichen ,,Hecks“. Eine besonders von ihr ins Leben gerufe­ ne Kostbarkeit war das einstige klösterliche Damenorchester. Dieses „1 musici Santa Ur­ sula“ spielte bei vielen kirchlichen Festen auf, aber auch bei anderen Gelegenheiten, und erntete jedesmal begeisterten Beifall. Ei­ nige seiner damaligen Mitglieder sind uns noch bekannt. Frau Canisia (Leitung, Klavier, Orgel, Brat­ sche), Frau Mechthildis (Dirigentin, Violi­ ne), Frau Konrada (Orgel, Violine), Frau Ri­ ta (Cello), Frau Benedikta und Frau Paula (Flöte) und als Gesangskoryphäe glänzte Canisias „Orgel-Hochseilakt“ Schon früh beim ersten Sonnenstrahl kräh’n Hähne übers Pustertal, und eilig lenken ihre Schritte die Klosterfrau’n nach frommer Sitte zum Viumser Kirchlein – o wie löblich – ein Bild, so herzig und so fröhlich. Hochwürden Wecker geht voran, bekannt als wack’rer Gottesmann. Hintendrein stelzt Anton Link, ,,Buspilot“, meist gutgesinnt. Ihm folgt als Schlußlicht „Mutius Groß“; die Heil’ge Messe geht gleich los. Frau Bonifatia (Sopran). Welches Instru­ ment unsere gegenwärtige Frau Superiorin spielte (Pauke, Waldhorn oder Posaune) konnte nicht ermittelt werden! So – und jetzt klopft der Autor direkt an der Himmelspforte an, um mit der Haupt­ person dieser „Reportage“ zu sprechen: ,,Liebe, gute Frau M. Canisia Laetitia, über dies, was nun in Reimen folgt, sollst Du Dich nochmal so recht freuen. Du erinnerst Dich noch als Du enthusiastisch und glück­ lich gemeinsam mit Deinen Mitschwestern zu Pfingsten mit dabei in Südtirol warst – hör zu! Helmut Groß Zuvor jedoch fürs Orgelspiel kostet’s der Mühen noch recht viel: Die Treppe hoch zu der Empore verursacht wahrlich Mordsfurore; denn sie ist steil, die Tritte schmal, kurz gesagt: einfach brutal! – Und uns’re Frau Canisia, zuständig für die „Musica“, ist zwar beschwingt und auch behend, doch vollschlank – etwas korpulent! Wie soll sie so bloß überwinden das Stiegenhindernis – und finden zum guten Pfeifeninstrument? – Da heißt’s: Schnell handeln – justament! Drum bindet man ums Bäuchlein, rund, ihr einen Strick, stabil und bunt. D’ran zieht man sie – hau ruck – nach oben, von hinten hat der „Link“ geschoben! – Der Orgelbock wird so erreicht, und bald dem Instrument entweicht zur Gottesehr‘ das erste Lied. Der Damenflor laut jubiliert. Das „Mannsvolk“ brummt nur zaghaft mit, weil dies, wie’s scheint, an Stimmbruch litt. 218

Bevor die Messe schließlich aus im Südtiroler Gotteshaus, erteilt »PW“ dann noch den Segen, damit auf allen Urlaubs­ wegen, besonders den alpinen Pfaden, das Wandervolk kommt nicht zu Schaden! Wichtig bleibt, hier noch zu sagen: Frau Canisias Herz und Waden haben Kondition erfahren; dies können laut wir offenbaren: Durch den „ Orgel – Hochseilakt“ blieb sie beim Klettern voll intakt. Mit Bravour durchstieg sie Rinnen, erstürmte Gipfel und auch Zinnen mit Rucksack, Seil und Eisenhaken, ohne ein „bisse!“ nur zu klagen. -Ja, wer geübt mit Eifer, Fleiß, dem gebührt der Siegespreis! – Helmut Groß 219

Wegkreuze und Kleindenkmäler Gedenkstein erinnert an die Gründung 1806 zum Bau von Königsfeld den ersten Baum gefällt Auf der vergleichsweise kleinen Gemar­ kung der Herrnhuter Siedlung Königsfeld findet man kein Wegekreuz, dagegen aber eine relativ große Zahl von 11 Gedenkstei­ nen. Der vermutlich älteste Gedenkstein ist ein Obelisk. Vom Vater des ersten Internats­ schülers, August Beringer, 1819 aus Dank­ barkeit errichtet, steht er vor der ehemaligen ,,Knabenanstalt“, dem heutigen „Zinzen­ dorf-Gymnasium“. Wenige Meter daneben befindet sich ein weiterer Gedenkstein. Auf ihm sind die Ini­ tialen von 16 während ihrer Schul- oder Dienstzeit in Königsfeld verstorbenen Schü­ lern und Lehrern verzeichnet. Der jüngste, 1991 errichtete Gedenkstein, steht mitten im Ort auf dem Zinzendorf­ platz. Er ist ein Buntsandstein-Obelisk und dem Gründer der Herrnhuter Brüderge­ meinde gewidmet, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Auf einer ovalen Bronze­ plakette ist als Halbrelief das Profilbild des Grafen zu sehen. Der historisch interessan­ teste Stein aber steht nicht im Ort, sondern an der Verbindungsstraße von Königsfeld nach Erdmannsweiler. Einer Herrnhuter Tradition entsprechend – in Herrnhut steht ein ähnlicher Stein – kennzeichnet er die Stelle, an der der erste Baum zum Bau von Königsfeld geschlagen wurde. Am 12. August 1806 hatte Friedrich I., Kö­ nig von Württemberg, die lange erwartete Unterschrift unter die Gründungsurkunde gesetzt. Der Bereich des zukünftigen Ortes war das Gelände eines Bauernhofes, des Hörnlehofes, mit rund 150 Hektar. Er war im Auftrag der Brüdergemeine schon 1804 gekauft worden. Die Vorbereitungen zum Anbau der Siedlungen konnten beginnen, 220 Mit dem Fällen des ersten Baumes begann im fahr 1806 die Griindungsgeschichte von Königifeld. aber darüber wurde es Winter. Der beauf­ tragte Verwalter des Hörnlehofes, Bruder Adam Mayer, wollte aber wenigstens sym­ bolisch noch im Jahr der Gründung, 1806, mit dem Bau beginnen. Er beauftragte die beiden Knechte des Hofes, Konrad Rinder­ knecht und Leonhard Wacker, in dem zum Hof gehörenden Stellwald einen ersten Baum für den Baubeginn zu fallen. Das ge­ schah dann am letzten Tag des Jahres neben dem hofeigenen Verbindungsweg vom

Hörnlehof nach Erdmannsweiler, um auch einen einfacheren Abtransport zum Bau­ platz zu ermöglichen. Der Deckenbalken, der aus diesem Baum entstand, wurde im er­ sten Haus der Siedlung, dem Gasthof, dem heutigen „Herrnhuter Haus“, im Hausgang eingebaut. Aus den Briefen eines frühen Königsfeld­ Besuchers wissen wir, daß der Baumstumpf des ersten gefällten Baumes im Jahre 1829 noch zu erkennen war, man aber bereits plante, dort einen Gedenkstein zu setzen. Derselbe Briefschreiber berichtet in einem späteren Brief von 1832, daß nunmehr ein Gedenkstein an dem historischen Platz er­ richtet sei. Der erwähnte Obelisk steht noch immer am Rande der Straße, etwas erhöht in der in den Wald aufsteigenden Straßenbö­ schung. Er ist aus grauem Sandstein, 1,60 m hoch und von einer im Halbkreis aus Bruch­ steinen errichteten Stützmauer für die Bö­ schung umgeben. Eine in Versalien geschrie- bene Erklärung erläutert deutlich den Sinn des Steines: ,,Der erste Baum zum Bau von Königsfeld, den 3lten Dec. 1806 gefällt.“ Über dieser Notierung ist eingehauen: „Psalm 127,1 „. Kaum jemand, der heute mit dem Auto oder dem Fahrrad an diesem Platz vor­ beifährt, wird den Gedenkstein beachten. Noch weniger Menschen aber werden wis­ sen, auf welches Bibelwort die Psalmenan­ gabe hinweist, das den Brüdern als Segen Gottes für ihre Gemeinde wichtig war: ,,127.1 Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.“ Der Gedenkstein schreibt also nicht nur ein kleines Stück Geschichte, sondern er­ mahnt wie ein Wegekreuz den Betrachter, sich des Herrn der Schöpfung zu erinnern. Dr. Peter Munk Brücke bei Allmendshofen, Ölgemälde von Helmut Sabrowski 221

Sagen der Heimat Wunderbare Rettung der Kirche zu Hondingen Kirche und in die Kapelle ist kein plün­ dernder Franzose gekommen, obwohl meh­ rere Franzosen gegen die alten J(jrchentüren mit aller Gewalt stießen, schlugen und ge­ rannt sind. Mit den schwächsten Werkzeu­ gen hätte man jedoch die alten J(jrch­ entüren öffnen oder einschlagen können. Ein kranker Mann, Anton Happle, der an zwei Krücken ging, wollte sich ebenfalls in den Wald retten. Aber er kam nur noch bis Im Jahre 1796 tobte in unserem Gebiet der 1. Koalitionskrieg. Die Franzosen drangen bis nach Bayern vor, wurden aber von Erz­ herzog Karl, einem Bruder des Kaisers, ge­ schlagen. Nun flutete das ganze Heer wieder zurück, dem Rheine zu. Morceau, der fran­ zösische Heerführer, versuchte einer Um­ klammerung zu entgehen und nahm den Weg über Stühlingen. Dabei bekamen auch Blumberg und Hondingen die Last der feindlichen Einquartierungen zu spüren. Die Blumberger hatten sich mit Pfarrer Honold rechtzei­ tig nach Achdorf in Sicherheit ge­ bracht. Dies war auch notwendig, denn der Pfarrhof in Blumberg, welcher heute noch steht, wurde wie üblich völlig ausgeplündert und zudem der gesamte J(jrchen­ schatz geraubt. Der Schaden be­ trug an die 1 000 Gulden. Drei Tage und Nächte über­ schwemmten die französischen Truppen auch Hondingen. Die Einwohner hatten sich fast alle in die Wälder und in versteckte Or­ te von Hondingen geflüchtet, und kaum ein Mensch war noch zu se­ hen. Die Franzosen P.li.inderten den Ort fürchterlich. Uberall, wo sie aufgetaucht waren, hatten sie auch die Gotteshäuser ausgeraubt, die Heiligtümer vernichtet, die Tabernakel eingeschlagen und natürlich Kelche und J(jrchen­ gerätschaften mitgenommen. Am Hondinger Pfarrhaus schlugen sie die Türen und Fenster ein, nah­ men alle Habseligkeiten mit oder zerschlugen sie. Aber in die da nebenstehende Die Kirche vo11 l-/011dingen 222

zur Kirche. Er ging also auf den Kirchhof und verbarg sich schnell in dem bei der Kapelle stehenden Beinhaus. Auch ihm ge­ schah kein Leid, obwohl die Feindestruppen hin- und herliefen und alles versuchten, in die Kirche einzubrechen. Er konnte alles mitansehen: weder der Kirche noch der Ka­ pelle geschah irgendein Unheil. Und auch er blieb von allen Gefahren verschont. War dies nun ein Zufall oder die Fürbitte des Gnadenbildes der Himmelskönigin Ma- ria? Noch 1821 erzählten viele aufgehängte Votivtafeln von den wundersamen Erhörun­ gen, die das Hondinger Gnadenbild verur­ sacht haben soll. Bernhard Prillwitz Qyclle: J. Wintermantel (Pfarrer in Hondingen von 1813 bis 1836). Kurze Geschichte der uralten Wall­ fahrt in Hondingen 1821. Der Lunzistein In der Nähe des Steges, der zwischen Füt­ zen und Blumegg die Wutach überquert, ragt an der südlichen Wand der Schlucht ein hoher, nackter Felsturm empor, auf dessen Platte ein paar Tannen stehen. Unweit von diesem Steinriesen, der unbezwingbar auf­ steigt, stand einst der Thalerhof, auf dem ein stolzer Freibauer hauste, der „Lunzi“, wie ihn das Volk lmrzerhand nannte. Selber ein freier Herr und ein geschickter Jäger, dünk­ te es dem jungen Bauern gar nicht so abwe­ gig, wenn er sich das schöne Edelfräulein Mechtild von Blumberg als Frau heimholte. Bald schon sollte Hochzeit sein. Da geschah es, daß Lunzi eines Tages gerade dazukam, wie der Burgvogt von Blumberg, der sich ebenfalls um das Edelfräulein bemühte und ihr heimlich nachstellte, Mechtild mit Ge­ walt in die Arme schloß und ihr einen Kuß rauben wollte. Jäh flammte der Zorn des Jungbauern empor. Mit einem Faustschlag streckte er den Rivalen nieder, dann floh er mit seiner Braut zu seinem Hof, versah sich dort mit Mundvorrat, entkettete seinen Hund und suchte schließlich auf dem Fels­ turm im Wutachtal Zuflucht. Als der Vogt aus seiner Betäubung erwacht war, ließ er seine Knechte die ganze Gegend nach dem Flüchtling absuchen und Tag und Nacht dessen Gehöft umstellen. Der Gefahr nicht achtend, schlich sich Lunzi eines Abends zu seinem Hofe zurück, und beina­ he wäre er seinen Verfolgern in die Hände gefallen. Aber noch ehe ihn der Schweins­ spieß eines Knechtes erreichte, streckte er diesen mit einem Schuß aus seiner Arm­ brust nieder. Immer wieder wußte sich Lun­ zi seinen Feinden zu entziehen, bis man endlich sein Versteck entdeckt hatte und ei­ ne regelrechte Belagerung des Felsturmes be­ gann. Noch hatte keiner der Verfolger die umgestürzte Tanne betreten können, die als schwanke Brücke die Felsnadel mit dem Rande der Schlucht verband. Denn kaum ließ sich dort ein Gegner blicken, streckte ihn ein Schuß aus Lunzis Armbrust nieder. Einmal aber war auch der letzte Bolzen verschossen. Doch immer noch ergab sich der trotzige Bauer nicht. Mit geschwungener Axt verteidigte er seine Felsburg, unterstützt von seinem Hunde Beißwolf und von Mechtild, die mit Feuerbränden die Feinde schreckte. Schließlich brach Lunzi, vom Spieß des Vogtes getroffen, zusammen. Schon wollte dieser Mechtild an sich reißen, da entwand sie sich ihm und sprang über den Felsrand in die Tiefe. Während ihr der Vogt entsetzt nachstarrte, raffte sich der ver­ wundete Lunzi noch einmal auf und spalte­ te dem verhaßten Gegner mit einem Axt- 223

Der Kampf von „Lunzi“ um das Edelfräulein Mechtild mit dem Vogt, illustriert von Helmut Groß. hiebe den Schädel. Dann floh er über den schwankenden Steg, und keiner hat ihn je wieder gesehen. Seitdem wurde der einsame Felsturm von den Anwohnern ängstlich gemieden und in Erinnerung an das grausige Geschehen 224 ,,Lunzistein“ oder „Brautfluh“ genannt. Max Rieple Aus: Die vergessene Rose. Die schönsten Sagen aus Baden und Württemberg. Neugestaltet von Max Rieple. Stähle & Friedel-Verlag, Stuttgart 1957.

Brauchtum 111 Jahre organisierte Schwenninger Fasnet ,,Ein Schwab läßt sich die Fastnacht nicht stören“ „Ein Schwab läßt sich die Fastnacht nicht stören“ – oder zumindest nur ungern. Die­ se Überschrift dürfte man der noch unge· schriebenen Geschichte der Fas(t)nacht in Altwürttemberg, von Hermann Bausinger bereits vor Dezennien als dringendes De­ siderat volkskundlicher Forschung ange· mahnt, wohl voranstellen. Die Wissenslücke zu schließen, mag das Beispiel der Stadt Schwenningen a. N. helfen, eines Ortes, in dem dies Fest des Volkes trotz einstmals star­ ker pietistischer und gar separatistischer Re­ gungen niemals ganz ausgerottet werden konnte. Wer in unserer Zeit über die „Hohen Tage“ in die Stadt kommt, mag an einem bunten Potpourri der Bräuche Gefallen finden. Der Umzug am Fasnetsuntig bietet bisweilen ei­ ne großartige Schau. Mehr noch ans Herz dessen, der es fühlen kann, rührt das Nar­ rensprüngle am Morgen des Schmalzigen Samstags, nach dem man hie und da auf ei­ nen Schande oder Hanse! trifft, der aus ei­ nem illustrierten Narrenbuch aufsagt, man· ehern Opfer seines „Rügerechts“ in wohlge­ setzten Worten „schaat’le tuat“, ihn strählt und zusammen mit anderen Narren „var· hächlat“. Schon vom Schmotzigen Dunsch­ tig an ziehen die maskierten Kinder durch Läden und Geschäftshäuser, um bescheide- Niirrisd,es Riigerechl: Schantle mit ihrem Narren- oder Striihlbuch, aus dem sie a1ifsagen. 225

ne Gaben zu heischen. Sie begleiten oftmals einen Hanse! durch die Stadt, bis sein Krätt­ le geleert, die letzten Orangen, Nüsse, Bre­ zeln, Würst und Wecken oder Zuckerle auch ausgeworfen sind. Wer dies erlebt hat, der wird schwerlich zu der Auffassung gelangen, daß die Fasnet „in protestantischen Städten und Ländern bis auf den heutigen Tag nicht ihren künstlichen Treibhauscharakter ver­ leugnen“ könne. Fasnet kein Privileg der katholischen Minderheit Jedoch, so wird der Zweifler einwenden, sei Schwenningen ja keine rein evangelische Stadt mehr. Sie sei es nicht mehr, seit im Zu­ ge der Industrialisierung katholische Arbei­ ter den Weg hierher fanden. Und man wird einen solchen Einwand grundsätzlich ernst nehmen. Daß jedoch Fasnet in Schwennin­ gen das Privileg einer zugezogenen katholi­ schen Minderheit gewesen sei, wäre ein vor­ eiliger Schluß, da er die (gar nicht immer so) lllarrcngcf rllf dJnf t �dJmcnningtn. ·�b,� ,· ,;�’\ un•, iu bct oat 12. b9.1Jll!. im 6ootc c6 Qloir�uf c• ium !>t i s I c ßott, �nbcnbtll �rnttalutt, rammlung �f�i�jt ci113u. loben. (1211 �d c1ct,1111�tG:8omltt. �-. ‚.� �- Die erste Annonce der Narrengesellschaft erscheint am f 2. 2. f 887 in der „Neckarque/le“. 226 latente Bereitschaft der alten Schwenninger zu mancherlei Fas(t)nachtslustbarkeiten ver­ kennt. Neben dem Schwenninger Diakon, der seinen siebenjährigen Sohn prügelte, da er sich von einem Friseur ein Schnauzbärt­ chen und rote Backen hatte anmalen lassen, standen die „bekannten lustigen Brüder Benzing aus Schwenningen“, die sogar als Schwenninger „Exportschlager“ im nahen Villingen mit humoristischen Gesangsvor­ trägen „den Wunsch (nach) einer Zwerch­ fellversicherung erregen mochten.“ Ferner seien erwähnt: die tanzlustige Ju­ gend; die Burschen mit ihrer bisweilen her­ ben Art, Fasnet zu feiern; die Kinder, die sich mit einem „Vorhängle“ oder einer Pa­ piermaske – in die Öffnungen für Nase, Mund und Augen geschnitten waren und die mit einer Schnur am Hinterkopf festge­ zurrt wurde – das Angesicht verhüllten. Als sich in den 1880er Jahren Erwachsene in Masken auf sJen Straßen zeigten, mag es Aufsehen erregt haben . einen kurzen Be­ richt ist es der Lokalpresse in dem Augen­ blick wert, als sie am 27. 2. 1884 auf in der Redaktion eingegangene Beschwerden hin dazu aufruft, ,,daß in Zukunft die Masken­ freiheit nicht dazu gebraucht wird, um das Publikum im allgemeinen damit zu mole­ stiren.“ Die abschätzig als „Fastnachtsradau“ verurteilte „wilde Fasnet“ schuf das Verlan­ gen nach Organisation. Und zwar . hier spielt das gesteigerte Selbstbewußtsein der Schwenninger und der Leistungsvergleich mit den Nachbarstädten eine nicht zu un­ terschätzende Rolle, da das Konkurrenz­ denken bis in die Sphäre der Fasnet reicht – nach einer „großartigen“ Organisation. Kein Geringerer als Johann Georg Bürk „Zum Storchen“ nahm sich dieser Aufgabe an und begründete mit mehreren „Gesinnungs­ genossen“ an der Jahreswende 1886/87 die Narrengesellschaft Schwenningen, aus wel­ cher die heute bestehende Narrenzunft her­ vorging. Der organisierten bürgerlichen Fas(t)nacht in Schwcnningen stand mithin als „Narren-Vatter“ bis zum Jahre 1904 einer

Mil einem Vierspänner hielt „Prinz Carneval“ 1904 Einzug; Tausende standen Spalier. der (evangelischen) ,,Honoratioren des da­ maligen Marktfleckens“ vor. Die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg sieht groß angelegte „historische Festzüge“, aber auch, wie sich im Gefolge von Prinz Karne­ val der Baaremer Hanse! in Schwenningen endgültig sein Lebensrecht erficht, wenn man ihn auch – wie anderwärts – als un­ schöne Maske von Bällen ausgeschlossen wissen will. Und zuletzt, wie sich unter dem schützenden Dach des „Vereins für Fast­ nachts-Aufführungen“ eine „Narrenzunft“ bildet mit eigener Fahne, Hanseln und Narrensamen (d. h. verkleideten Kindern), dem ein Storch voranschreitet, ein kleines Wickelkind im Schnabel, ein anderes auf dem Rücken tragend. Von 1886 an kennt der Neckarquellort Fas(t}nachtsspiele und Umzüge, in denen sich „Fasnet“, ,,Fas(t)nacht“, ,,Fasching“ und ,,Karneval“ fröhlich die Hand reichen. Wohlgemerkt von 1886 an, was insofern Interesse verdient, als „öffentliche Aufzüge“ noch bis 1896 in Stuttgart polizeilich unter­ sagt waren. Von 1886 an finden wir in der aufstrebenden „Metropole des schwäbi­ schen Uhrwaldes“ eine städtische Form der Fas(t)nacht vor, die auf Anregungen der be­ nachbarten Städte zurückgriff. Allein, es stellt sich die Frage, ob zuvor jeder Gedan­ ke an dieses Fest im Jahreslauf bei den Schwenningern erstorben war, die Rede­ wendung, ,,ar khuu’t hinna-drii‘ wia die aalt Fasnat“, die einzige Reminiszenz an frühere Bräuche darstellte. Kaum! Fas(t)nacht war nach wie vor ein beliebter Hochzeitstermin, da die geschlossene Zeit (von Aschermitt­ woch, zu Zeiten sogar von Fas(t}nachts- 227

die Zeit für die (ärmeren) Kinder, ,,um ein Würstle zu singen“ und dergestalt bei den zahlreichen Metzelsuppen nicht zu kurz zu kommen. Das nach den Hausschlachtungen reichlich zur Verfügung stehende Schweine­ schmalz diente zum Backen der beliebten Küchle, ohne die eine Fasnet bis heute nicht recht gefeiert wäre. Diese kamen selbst im Hause des oben genannten Diakons auf den Tisch, und dies gleich zweimal: am Schmot­ zigen Dunschtig und am Fasnetsziischtig. Daß aber eines seiner Kinder, womöglich wie die eines Nachbarn, verkleidet umher­ ziehen hätte dürfen, um das gesuchte Ge­ bäck sich zu ergattern, war undenkbar, und mochten noch so viele Heischeverse und Kinderlieder um das Küchlein kreisen. Älte­ re Verwandte und Freunde freilich, wurden mit selbstgebackenen „Kostbarkeiten“ be­ dacht, die der Konkurrenz des Berliner Pfannkuchens bis heute standhaft trutzen. Als Ehrengabe wurden sie an Lehrer und Pfarrer verschenkt, wobei sich im letzten Fal­ le die Rollen von Gebenden und Nehmen­ den geradezu ins Gegenteil verkehrt hatten. Zehentküchlein für die Bauern Einstens mußten nämlich die Pfarrherren der gewohnheitsrechtlichen VerpAichtung genügen, das Fas(t)nachts- oder Zehent­ küchlein an die Bauern auszugeben – eine Zuwendung, die im Laufe der Zeiten auf die Kinder eingeschränkt wurde (woher das Hei­ scherecht der Bauernsöhne rühren könnte, die um ein Küchle bettelten). Ferner die Frauen auf Aschermittwoch zum Weintrunk zu laden, zuweilen gar darüber hinausge­ hende Regalierungen zu bestreiten: gleich­ sam Gegenleistungen für die dem Pfarrherrn zustehenden Abgaben, vor allem den ihm abzuliefernden kleinen Zehnten. Insofern ist die Weiberzeche als Rechtsbrauch zu ver­ stehen, der dem „Weinkauf“ nach der er­ folgten Versteigerung des großen Zehnten entsprechen mag, d. h. dem Umtrunk, der auf Kosten der Herrschaft wie derer, die den Das 1932 neu gestaltl’le Hansile,Jestgeha/ten von Kunstmaler Pmd Goetze. sonntag an) noch um die Jahrhundertwende beachtet wurde, während stille Hochzeiten (ohne Musik und Tanz) selten blieben. Ne­ ben den Hochzeitslustbarkeiten war Raum für „Gesellschaftsleben“ und Tanz. Der Schmotzige Dunschtig war einer der Hauptschlachttage des Jahres geblieben – 228

Zehnten kauften, ,,die gemeine Mayer­ schafft“ erfreuen sollte und oftmals mit ei­ ner Zehrung fur die Bauern (ebenfalls als Reichnis der Herrschaft) verbunden war. Der Termin der Frauenlabung weist aber deutlich auf den Fastentrunk hin, der in den Klöstern nebst einigen (fleischlosen) Zula­ gen am äschrigen Mittwoch den Konven­ tualen vergönnt wurde, galt es doch, sich am „caput jejunii“ vom irdischen Leben und seinen (sündhaften) Genüssen loszusagen, den „alten Adam abzustreifen“ und sich zu­ gleich ein letztes Mal kräftig, aber bereits fleischlos fur die Passionszeit, die vierzigtä­ gige vorösterliche Fastenzeit, ,,körperlich und moralisch zu stärken“. Kirchliches Ge­ dankengut und Rechtsbrauch sind mithin nicht leicht voneinander zu trennen, was fur das hohe und späte Mittelalter, in dem die­ se Gepflogenheiten wurzeln, auch einiger­ maßen erstaunlich wäre. Daß sich darüber­ hinaus an die Weiberzechen, zu deren voll­ ständiger Interpretation auch das „Weiber­ recht“ und dessen Rolle innerhalb der Fas(t)nachtsbräuche berücksichtigt werden müßte, wie an die häufig belegten Ascher­ mittwochsmähler allerlei weltliches Vergnü­ gen anlagerte, darf bei dem Drang der Menschen, den zwischen neuer und alter Fas(t)nacht fast deplaziert scheinenden Tag der Umkehr und der Reue zu einem Haupt­ festtag der Fas(t)nachtslustbarkeiten um­ zugestalten, um sozusagen ungehindert ,,durchfeiern“ zu können, nicht verwun­ dern. Wie aber hätt‘ es anders können sein beim ,,haustus vini“ fur die Frauen des Schwen­ ninger Sprengels, der in dürren Worten fur das Jahr 1601 erst- und letztmals belegt ist. Kein geringes Mißfallen erregte die Weiber­ zeche beim Tuttlinger Special, der am 13. April jenen Jahres den Flecken visitierte. Mußte er doch feststellen, daß, fast 90 Jah­ re nach Erlaß der Zweiten Landesordnung, noch immer derlei Fas(t)nachtsbräuche im Sehwange waren. Und dies, obwohl erst am 21. Januar 1600 (im Anschluß an ein gutes Der Sclnoenninger Schantle nach einer Zeichnung des Kunstmalers Paul Goetze. Weinjahr) Herzog Friedrich I. ein „Verbot der Fastnacht-Mummerey und Maskeraden, auch überflüssigen Zu- und Volltrinkens“ er­ lassen hatte. Auftrag und Mahnung fur den Herrn Special, sich pflichtgemäß über den alten Brauch zu entrüsten: ,,Billich abzu­ stellen“ sei, daß von dem Heiligen (d. h. 229

Mehrere Generationen miteinander im I-läs: Sclnoenninger I-lansile vor dem Heimatmuseum. vom Kirchengut) den Weibern seit Jahren auf Aschermittwoch mehrere Maß Wein „zu vertrincken“ gegeben worden seien. Ein aus­ drückliches Verbot wird verfügt. Ob man sich daran gehalten, ist nicht zu erweisen. Je­ denfalls hat sich in anderen altwürttember­ gischen Gemeinden die Weiberzeche bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Bauernstuben als Tanzlokal Nicht allein die Weiberzeche erregte den Mißmut des Tuttlinger Specials; auch von Tänzen ist zu hören, die in jüngstvergange­ ner Zeit bis tief in die Nacht hinein gehal­ ten worden seien. Von Fas(t)nachtstänzen? Es geht dies aus dem Wortlaut des Visita­ tionsprotokolls nicht eindeutig hervor, doch läßt der (auch von der textlichen Anord­ nung her nahegelegte) enge Zusammenhang zwischen den Tänzen und dem beanstande­ ten Aschermittwochumtrunk solches ver­ muten. Auffällig ist der geordnete äußere Rahmen, in dem diese Tanzvergnügen ab­ laufen: ,,Mannbare“ und ,Junge“ sind fein säuberlich getrennt, nicht ohne Grund. In Ermangelung einer Tanzlaube, wie sie sich nur in größeren Städten findet, dienen Bau­ ernstuben als Tanzlokal. Es wird Eintritts­ geld (Stubenzinß) erhoben; der Vergleich zu modernen Tanzveranstaltungen drängt sich beinahe auf. ,,Faßnachtzechen“ und „Faßnachtdäntz“ beschäftigten weltliche und kirchliche Ob­ rigkeit noch lange, wobei jedoch die Gren­ zen nicht immer gleich eng gezogen wur­ den. Herzog Friedrich 1. (1593-1608), der die Ansicht vertrat, ,,eine gebührliche Fast­ nacht (könne) man niemand wehren“, scheint sie – anders als sein Nachfolger Jo­ hann Friedrich 1. (1608-1628), der in der Siebenten Landesordnung von 1621 das Holen des Fas(t)nachtsküchle verbot – wei­ ter gesteckt zu haben, als heute gemeinhin· angenommen wird. Für unseren Raum ist in diesem Zusammenhang ein Rottweiler Rats- 230

Ein Reskript vom 19. Januar 1664 ver· bietet die Fastnacht als „heydnisches Fest mit gottlosem Ur· sprung“ im gesamten württembergischen Bereich. protokoll des Jahres 1614 aufschlußreich, das den Gang ins Württembergische zur Fastnacht untersagte. Da gab es in Rottweil und seinen Untertanendörfern doch tat­ sächlich einige Stadtbürger wie Acker­ bauern, die dem Fasnetstrubel nicht entsa­ gen wollten und sich zweimal jährlich ins Vergnügen stürz­ ten, einmal in der katholisch gebliebenen Reichsstadt selbst, ein zweites Mal aber im württem bergisch-evangelisch­ en Ausland. Wie aber war solches mög­ lich? Dadurch, daß im evange­ lischen Altwürttemberg die Uhren anders gingen als im ka­ tholischen Rottweil; sie gingen nach – und zwar im wahren Sinne des Wortes. 1583 wurde in Rottweil wie im übrigen katholischen Deutschland der Gregorianische Kalender eingeführt, während die evangelischen Stände des Deut­ schen Reiches vom Julianischen Kalender noch nicht lassen wollten. Eigentlich betrug die Differenz zehn Tage nur bis zur Kalen­ derangleichung im Jahre 1700; doch der Reichstadt Rottweil Rechenkünstler waren der (katholischen Normal-) Zeit weit vor­ aus; so betrug der Unterschied anno 1614 mehrere Wochen, da „die Faßnacht nach al­ tem Calender gar in die heylige Zeit vnnd in die Palmwochen einfalt“, Grund genug, den Grenzübertritt aus Tanz- und Freßlust be­ sonders nachdrücklich zu untersagen und den etwaigen Grenzübertretern eine emp­ findliche Geldstrafe anzudrohen. Das Wis­ sen um die Fasnet „in evangelisch territorio“ vor dem Dreißigjährigen Kriege wird durch das Rottweiler Ratsprotokoll zumindest er­ weitert: Es wurde trotz der Reformation munter gefeiert. Und nach dem Dreißigjährigen Krieg, der für Schwenningen den Totalruin und das Herzogtum Württemberg an die Grenzen des noch zu Ertragenden brachte? Ein fast unverändertes Bild fas(t)nachtlicher Eß- und Tanzsitten! Wenn im Jahre 1664 das Gene­ ral-Reskript, die Feier der Sonn- und Feier­ tage betreffend, verfügt, daß die „Kirchwei­ hen und die Fasnacht an Sonntagen abzu­ stellen seyen“, mag das den Schluß nahele­ gen, daß – um in der Sprache der Zeit zu bleiben – ,,Volksergötzlichkei­ ten“ anderntags erlaubt waren, doch spricht hiergegen nicht nur eine 1669 erlassene Vi­ sitationsanordnung, sondern ebenso die 1664 erfolgte Neu­ auflage der herzoglich-würt­ tembergischen Verordnungen und Reskripte, unter denen sich auch die früher erlassene Fas(t)nachtsordnung findet (Reskript vom 19. 1. 1664): „Und weil die Faßnacht als ein Heydnisches Fest, so einen gottlosen Ur­ sprung hat, zugleich damit, daß dabey ver­ lauffende üppige Wesen in Unserer Landes­ ordnung ausdrücklich verbotten, solches Verbott aber in schlechter observanz gehal­ ten worden, Also daß Wir verursacht wor­ den, solches in Unserer Residenzstadt Stutt­ gart bereits vor etlichen Jahren de novo ab­ zustellen, so auch nützlich und mit guten ef­ fekt geschehen und Wir nicht sehen können, warumb andere Orth im Lande vor der Haubtstadt mehrere Licenz haben sol­ len. Als wollen Wir solches Heydnische Fastnachts-Fest und alles dabey vorgehende Unwesen mit Mummereyen, Zechen und anderer Ueppigkeit in unserem gantzen Hertzogthum durchaus verbotten und ab­ gestellt haben.“ Das Reskript läßt die Schere, die sich zwi­ schen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit auftut, sehr gut erkennen – und es wird sich mancher Bauer fern von Stuttgart gefragt haben, warum denn sein Ort nicht wenig­ stens zur Fas(t)nachtszeit „vor der Haubt­ stadt mehrere Licenz“ haben sollte. Ob dies die Überlegungen waren, die man im Ort an Neckars Qielle anstellte, bleibt ungewiß. Die tanzbegierige Jugend jeden- 231

falls kam noch 1743 nicht um eine behörd­ liche Erlaubnis für ihre Fas(t)nachtsvergnü­ gungen ein – wohl wissend darum, daß sie sie in jener Zeit kaum erhalten hätte. ,,Es ist verwichenen Dienstag“, so lautet der Eintrag in den Kirchenkonventsprotokollen, ,,ein Faßnachttanz hier in der Cronen gehalten worden, worbey nachfolgende personen von Jungen leutten gewesen, welche auch die Sonntag-Schuhlen versaumt, theils auch keine Schriften gebracht.“ Es bleibt nicht bei der Vorladung von zehn Jungmännern im Alter von 17 bis 23 Jahren; der sträfliche Vorfall bedurfte weiterer Un­ tersuchung, die in einer Verhandlung vor dem weltlich-geistlichen Censurgericht am 12. April 1743 mit der Bestrafung von 39 Tänzern und Tänzerinnen endete, die das Sündenregister namentlich aufführt: Die Namen fast aller alteingesessenen Schwen­ ninger Geschlechter finden sich hier vereint. Auf Antrag des energischen Pfarrers Ha­ belzhofer wird dem Spielmann die dreifache Strafe auferlegt (12 statt 4 Kreuzer, die die Tänzer zu erlegen haben), ,,wiewohl, der meiste theil der Richter der meinung ist, weil der Spielmann se(e berufen worden, habe Er mehr nicht straf als andere auch verdie­ net“, eine durchaus vernünfti­ ge Ansicht, auf die in unserem Falle aber keinerlei Rücksicht genommen wird. Am härte­ sten trifft es den Cronen-Wirt Erhard Schlencker (5. 8. 1685 – 16. 5. 1772), der, vielleicht auch aus Geschäftsinteressen – betrieb er doch eine Biersie­ derei – den Tanz veranstaltet hatte, obwohl er selbst zu den Censur-Richtern gehörte: Für ihn mußte die Strafe mit 20 Kreuzern deshalb am höchsten ausfallen, ,,daß Er nicht als KirchenCon­ ventRichter vor andern Richtern beschimpft werde.“ Dieser Fall lehrt beispielhaft, wie lang der Weg über zahlreiche Instanzen vom her- 232 zoglichen Consistorium über die Speciales und die Pfarrer bis zu den Kirchenkon­ ventsrichtern ist, er zeigt auch, daß die un­ teren Instanzen, zumal die „besonders from­ men Glieder der Gemeinde“, die dem Kir­ chenkonvent angehörten, dazu neigten, milder vorzugehen als gefordert, kurz: er er­ klärt, daß manche fas(t)nachtlichen Regun­ gen der Altwürttemberger bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht unterdrückt wer­ den konnten, da sich immer wieder Nischen fanden, ihnen nachzugehen. Obrigkeit gegen Maskerade Es war bisher die Rede von bescheidenen Gelagen, Heischebräuchen, die sich als be­ sonders zählebig erweisen, ja selbst von Spiel und Tanz im reformierten Württem­ berg. Von der alten Dreiheit spätmittelalter­ lichen Fas(t)nachtsbrauches, der „Festele­ mente Gelage, Tanz und Maskierung“ fehlt das Letztgenannte. Wie war es um dieses dritte Element bestellt, galt doch die Kampfansage der Obrigkeiten vorab der Maske(rade), unter deren Schutz und Ano- nymität mancher Unfug, man­ che Unziemlichkeit und man­ cher Frevel begangen werden konnte? Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnte man in Tübingen maskierte Bürger­ söhne im Kindesalter beim Maskenlauf beobachten und dabei den alten Ruf der „Faß­ nachtsnarren“ hören: ,,Narri­ Narro!“ Im Jahre 1709 wurde in Ebhausen ein Mann zur Verantwortung gezogen, wel­ cher am Aschermittwoch „in Narrenkleidern geloffen.“ Und am Fas(t)­ nachtsdienstag des Jahres 1712 erlebte Scbwenningen am Neckar seine große Stun­ de, ,,als an der sogenannten Faßnacht, 2. Kerls ohngefahr umb 1. Uhr Nachmittag in perfecten Narren Kleidern, mit hölzernen Säbeln in den Händen, Schemen vor den Wegen eines Fast· nachtstanzes im Jahr 1743 in der .Cronen“, hatte der Wirt Erhard Schlencker als Veran· stalter eine Strafe von 20 Kreuzern zu entrichten.

Für das Jahr 1743 fin- det sich die wahr- scheinlich ältestes Be- scbreibung eines Baar- emer Hansels – wlter- wegs war er mit hölzernem Säbel in Scbwenningen. Gesichtern, vnd mit FuchsSchwanz außstaf­ firten hauben auff den Köpfen habende, oben zum Fleckhen herein kommen und Jhre Faßnachts und Narrenpoßen durch denselben hin und her getrieben … „. Die re­ gionale Bedeutung dieses Archivfundes für die Geschichte des Narrenwesens sei kurz er­ wähnt: Es scheint sich um die älteste bislang aufgefundene Beschreibung eines Baaremer Hansels zu handeln, die, dürf­ tig genug, immerhin Holzsäbel und Fuchsschwanz für das frühe 18. Jahrhundert als Attri­ bute des Narren zu erkennen gibt; daß es sich bereits um Holzschemen handelt, ist zu­ mindest wahrscheinlich. Die Narrengewänder wußten die W ürttemberger sich damals aus Vorderösterreichs Vorposten Villingen zu beschaffen – ein bemerkens­ wert früher Import städtischen Kulturguts über Konfessions- und Landesgrenzen hin­ weg. Heimisch fühlte das Hansele sich im ,,Zweistromland“ von Brigach und Neckar, an beider Flüsse Ufer … “ Jedoch: 1743 ist nicht nur für die Annalen der Schwenninger Fasnetsgeschichte ein be­ merkenswertes Datum – weit wichtiger ist dieses Jahr aufgrund des W ürttembergi­ schen Pietistenreskripts, durch welches die pietistischen Stunden in der Landeskirche ihre Heimstatt erhielten. Bald übten daher Stundenleute im Verbunde oft mit gewit­ zigten Aufklärern rigorose Seelenherrschaft: Harmlose „Faßnachts- und Narrenpoßen“ (1712) wurden eine „greuliche Sünde wider gott dem almechtigen“ (1765). Noch 1812 jedenfalls stand Schwenningen im Rufe, eine fasnetsfreudige Jugend zu be­ heimaten, behaupteten doch die Villinger Bürger in ihrem berühmt gewordenen Kampf für die Erhaltung ihrer Fasnetsbräu­ che, ,,daß auch zu Konstanz, Uiberlingen u. s. w., folglich in den besseren Städten des Großherzogtums, öffentlid1e Maskeraden stattfinden, daß sie selbst in den benachbar­ ten Orten Rotweil und Schwenningen ge­ duldet werden.“ Zwar konnte bereits der Wunsch eines Kindes, nach Villingen zu ge­ hen, eine kurze Reise in eine gleichsam an­ dere Welt zu unternehmen, ,,um einmal ei­ nen (richtigen) ,,Fasnatnarr“ zu sehen, um 1840 auf entsdüedene Ableh­ nung stoßen, doch besitzen wir glaubhafte Berichte für die zweite Hälfte des 19. Jahrhun­ derts als eine Zeit der „alten Burschenherrlichkeit“ im stol­ zen Marktflecken, als Ka­ meradschaften lediger Jung­ männer sich zu Bünden wie „Die Schwarzen Brüder“ oder ,,s’wilde Heer“ zusammen­ schlossen, um über die Sitten der Bevölkerung zu wachen, Mißstände anzuprangern, ge­ gen Zugezogene vorzugehen, die mit einem Schwenninger Mädchen anbändeln wollten. Dazu bot die Fasnet sich geradezu an; sie mochte aber auch zu „heiterem Treiben“ dienen, (fast) allen zum Wohl, (fast) nie­ mandem Weh. ,,In früheren Jahren hätten die jungen Bur­ schen an der Fastnacht auch gern in Schwen­ ningen etwas Umtrieb gemacht. Und so zo­ gen sie ihre Mäntel und Kittel verkehrt an, d. h. die Futterseite nach außen, und mach­ ten in diesem Aufzug etwas Fastnachtsstim­ mung. Dabei spielten sie die das Jahr hin­ durch geschehene Schildbürgerstreiche auf. Beispielsweise zogen sie mit einem großen Butterfaß vor ein Haus. Während der Eine butterte, suchten die Anderen angeblich nach des Mannes Sonntagshosen. Mit großem Tamtam wurde die Vermißte am Schluß aus dem Butterfaß gezogen.“ Pein­ lich konnte es mand1em werden, der so öf­ fentlich „in die Fasnet kam“. Noch schlim­ mer aber erging es jenen, die von den Bären­ treibern gefaßt und wie der Fasnetsbär an Seilen durch Straßen und Gassen des Ortes geführt wurden, um vor manch bekanntem 233

Der Fasnetsochs wird von Metzgern und Metzgersknechten seit altersher im Ort herumgeführt. kaum unheildräuenden Hex.Je, die gelegent- Haus mit lautem Getöse deren Schandtaten lieh ihren Hexenvater – eine Hosenrolle (?) zu verkünden – stets aufs neue. Narrenspott verdankte auch die „Aegg“ (Agathe) das bei- – bei sich hatten. Nicht zuletzt im Brauch- nahe zu unsterblichem Ruhm ihr verhelfen- leben der Kinder, welches nach vielen Be- de Fortleben in der Fasnet: Als Hippe ver- obachtungen und Erfahrungen als konser- kleidete Männer zogen seit den ———- vativer gelten darf, denn jenes 1880ern regenschirmbewaffnet der Erwachsenen und der durch den Flecken, jahrzehnte- (reiferen) Jugend, lebte die lang. Schwenninger Fasnet nahezu Zur Burschenfasnet gesellten ungehindert fort, ja überlebte selbst manch schwere Zeit. sich im vorigen Jahrhundert (schon oder eher: noch?) die Daß die Fas(t)nacht stets die Fas(t)nachtsaktivitäten der Kin- ,,Zeit des Fleisches“ war, sollte der. Mancher Bub machte ein über all dem nicht vergessen Affagsiat, verhüllte sein Ge- werden, zumal des Verbum sieht mit einem selbstbemalten ,,fasnen“ zunächst nichts an- deres bezeichnete als „reich- Lärvle aus Papier oder stabile- lieh essen und trinken“ und rem Pappendeckel, das mit ei- ner Schnur am Hinterkopf festgezurrt wur­ erst späterhin für „verkleidet Narrenpossen de – und auch die Mädchen durften in be­ treiben“ stand. Der Schmotzige Dunschtig scheidener Verkleidung „ge fasna'“: Ein war in Schwenningen einer der Haupt­ Stück Vorhang verschleierte das Antlitz der schlachttage des Jahres geblieben. Noch 234 So mancher Bub ver· hüllte sein Gesicht mit einem selbstbemalten Lärvle aus Papier oder stabilerem Pappen· decke!, das eine Schnurr am Kopf festhielt.

Das Schlachtfest an der Fastnacht war in früheren (ärmeren) Zeiten für die Schwen- Dinger ein wirkliches Erlebnis, denn jetzt zogen die .Säckle- strecker“ umher. während der Metzger seines Amtes waltete, eilten die Nachbarn herbei, ,,zum dar Schpäck gschouba“; die Qialität der ge­ schlachteten Sau wollte genau geprüft sein – und wer sie recht lobte, erhielt vom Bauern ein Wässerle zum Lohn. Wer darauf weniger Wert legte, er­ laubte sich einen ersten Fas­ netsspaß und brachte Laterne und Ellenmaß mit, um den (winzigen) Schinken zu suchen und, kaum gefunden, zu ver­ messen. War der Besitzer der Sau hier nicht auf der Hut, konnte er nicht selten den Ver­ lust eines Schulterblattes be­ klagen; er klagte lauthals aber nur, war er weiterem Spott der Gesellschaft gewachsen – und der hätte ihm womöglich doch die bald verführerisch duf­ tende, allerlei junges Volk herbeilockende Megsersupp „versalzen“. Während die Er­ wachsenen sich bei einem Faß starken Fas(t)nachtsbieres gütlich taten, fanden sich (zumeist ärmere) Kinder vor dem Hause ein und sangen um ein Würstle. Leer gingen die Sänger in den seltensten Fällen aus; sie schnitten jedenfalls meist bes­ ser ab als die „Säcklestrecker“, die nach Ein­ bruch der Dunkelheit den Ort durchzogen. Zu ihnen gehörten, wie die nahezu einhun­ dertjährige Marie Schlenker (geb. 6. Nov. 1889) sich erinnerte, nicht nur die jungen Leute, die beim Schmalzschneiden nicht benötigt wurden, sondern gelegentlich auch Ortsarme, die an dem allgemeinen Wohlle­ ben teilhaben wollten. Von letzteren abge­ sehen, war das nächtliche Umziehen der Ju­ gendlichen eine „Mordsgaude“. Die Bur­ schen banden einen Milchhafen oder einen gar nicht so kleinen Sack an einen langen Stecken, klopften damit an das Fenster und baten mit verstellter Stimme um eine Megs­ ersupp – Pech für sie, erhielten sie das Ge­ wünschte nicht, sondern wurden statt des­ sen mit Wasser übergossen: Dann hatte der Hausvater die Lacher gewiß auf seiner Seite. Gewitztere Naturen indes gingen schlauer vor: Sie suchten unmittelbar nach dem Anklopfen das Weite, nachdem sie ihren Stecken an das Fenster gelehnt. Auch ka­ men sie nicht mit leeren Händen: In dem Sack fanden sich kleine Auf- merksamkeiten, ja „Liebesga­ ben“ gar; ein Säcklebrief lag bei, oftmals in unbeholfenen Versen liebenswürdige „Anek­ doten“ festhaltend, Mittel der Diplomatie, Zeichen einer unerhörten Liebe bisweilen. Hatte die Familie jeden Vers, der ihr gegolten, gründlich stu­ diert, wurde das Säckle – je nach Gefallen – gefüllt, der Stecken wieder ans Haus ge­ lehnt. Wehe aber den Burschen, die sich beim Abholen erwischen ließen! In den nächsten Brunnen wurden sie getaucht und sie gingen ihrer „Beute“ verlustig. Mit solcher Freude wurde das Schlachtfest begangen in einer Zeit, als nicht allzuoft Fleisch auf den Tisch kam. Auch die Metz­ gergesellen feierten „die Hohen Tage“ mit einem kleinen Umzug: Sie führten die At­ trappe eines Fas(t)nachtsochsen durch die Gassen der Gemeinde, um ihn am Ende – welch schauerliche Prozedur! – so umständ­ lich und ungeschickt wie irgend möglich zu schlachten: Sie sorgten auf diese Weise dafür, daß mancher Zuschauer Tränen lach­ te; sie sorgten damit auch für sich – wurden sie doch mit mancherlei Gaben bedacht, die auch ihnen einen abendlichen Fas(t)nachts­ schmaus ermöglichten. Buntes Bild der Fas(t)nacht Ein buntes Bild der Fas(t)nachtsbräuche in einem evangelischen Marktflecken läßt sich erschließen: Umzüge maskierter Burschen, die ihre Mitbürger „i d’Fasnat toand“; jun­ ge Burschen, die sich als Bäuerin verkleiden und ins andere Geschlecht verwandelt ihr (Un-)Wesen treiben; sogenannte „Bärentrei- 235

ber-Gesellschaften“; maskierte Kinder, die um Gaben heischen, seien es nun die er­ wähnten Würstle oder Fasnetsküchle; Säck­ lestrecker; Metzger, die sich zünftig selbst darstellen – eine nicht zu leugnende Vielfalt an Bräuchen ist zu vermerken, ganz abgese­ hen davon, daß die Fas(t)nacht nach wie vor ein beliebter Hochzeitstermin vor Beginn der „stillen Zeit“ ist, was Obrigkeiten oft ein Ärgernis bleibt. Daß es bei all den Gasterei­ en manch einer übertrieb, daß wieder ein­ mal galt: ,,Es sind recht viele in den Fas­ nachtstagen, die sich verderben ihren Ma­ gen'“ -wer wollte es leugnen? Manch einem bekam zu viel „Schmotz“ und ein (Un-)Maß Bier nicht wohl. Was er dann tat, den andern nicht. Den „Stempel der Woblanständig­ keit“ trug derlei sicher nicht – es spielte in der Zeit vor der Verbürgerlichung des Fas­ netsbrauches, vor der genauen Normierung des „Narren“. 1886 war die Wendemarke; Markstein auf dem Wege dahin war die Fas­ net 1877, als Donaueschinger Hanse! mit den Schwenningern Fasnet feierten; der Siegeszug des Prinzen Karneval, der vor Schwenningen um 1880 nicht haltmachte, die ersten öffentlichen Aufzüge 1886, „d’Suuwoog“ und „Rinaldo Rinaldini“, die ,,historischen Umzüge“ sodann: ,Yolkskul­ tur in der technischen Welt.“ Schwenningen hat das Glück, eine Nar­ renzunft mit inzwischen 11 ljähriger (Ver­ eins-) Tradition zu besitzen, die mit ihren schönen 1932 möglicherweise unter Ver­ wendung alter Motive neu gestalteten Hä­ sern jung und alt zu erfreuen vermag; die das schwäbische Uhrenstädtchen in Würt­ temberg zu einem „kleinen Basel“ hat wer­ den lassen, bekannt ob der würdig ein­ herschreitenden Einzelfigur des Hölzlekö­ nigs, der herrlichen Hanse!, der schlagferti­ gen Schande, in denen der Geist des Grächmändles fortlebt, ob der mehr oder minder moligen Moosmulle auch und der herrischen (Moos-)Hexen. ,,Wir sind gute Christen, aber auch gute Schwaben“ Ooseph Victor v. Scheffel) -und diese lassen sich die Fastnacht, wie wir wissen, nicht stören. Mich(lef}. 1-l. Zimmermann • • • Du stehst zwischen Sonne und Mond als der verdunkelnden Erde ungezählter Schattenteil in vertrauter Wort Finsternis – Zeit für die Suche nach neuen Metaphern. Jiirgen Hencke/1 Mondfinsternis Rauchfahnen eines verlöschenden Feuers am Himmel oder Segelfetzen keines Kurses in lautloser Abschrift – Andersnacht. Der abnehmende Mond zeigt dir die Sichel für alle verblühenden Träume. 236

Musik Ein Mann für jede Tonart Portrait des St. Georgener Schulmusikers Peter Dönneweg „Die Stelle als Schulmusiker in St. Geor­ gen wurde frei. Alle halbe Jahre. Mit aben­ teuerlichen Begründungen verlangten mei­ ne Vorgänger hier ihre Versetzung nach Frei­ burg.“ Er war der erste, den es von den Schulmusikern in St. Georgen fur lange Zeit hielt und hält. Was der am 11. August 1937 im ostfriesischen Leer geborene Peter Dön­ neweg als Lehrer und Leiter der Jugend­ musikschule CTMS) St. Georgen in knapp dreißigJahren an schulpraktischer Arbeit ge­ leistet hat, verdient in hohem Maße An­ erkennung. Selbstkritisch bekennt der heu­ tige Studiendirektor, zunächst ein „leichtes Schaffen“ gehabt zu haben, weil er es als er­ ster dauerhaft im Schwarzwald aushielt. „Dönne“, wie ihn seine zahllosen Schüler liebevoll nennen, trat am 1. September 1967 seine Stelle in der Bergstadt an. Günter Lauf­ fer, frischgewählter Bürgermeister, gründete gleich in seinem ersten Amtsjahr 1968 die Jugendmusikschule CTMS). Die Erfolgsge­ schichte konnte beginnen. Dönneweg rück­ blickend: „Meine Not als Schulmusiker war zunächst groß, denn ich konnte mich vor Klavierschülern kaum noch retten. So kam mir die Idee, die JMS zu gründen. Denn Musik ohne instrumentale Ergänzung, das ist doch wie das Reden von Farben, die man nicht sehen kann.“ Das glückliche Zusammentreffen eines „friesischen und eines schwarzwälder Dick­ schädels, die mitunter kräftig zusammen­ knallten“ ( so Altbürgermeister Günter Lauf­ fer einst über seine Beziehung zu Peter Dön­ neweg), ermöglichte vieles auf dem kurzen Dienstweg, was sonst kaum zustandegekom­ men wäre. Dazu Dönneweg: ,,Herr Lauffer stand stets voll und ganz hinter der Sache. Er hat im Gemeinderat immer klare Priori­ täten gesetzt, obwohl ich nicht immer sorg­ sam mit ihm umgegangen bin.“ Auch nach seiner Pensionierung blieb Günter Lauffer Vorsitzender der Jugendmusikschule St. Ge­ orgen -Furtwangen mit heute 70 Lehrkräften und 1400 Schülern. Den Kontakt zur Hochschule hat der Pä­ dagoge nie ganz verloren. So übernahm er vertretungsweise einen Lehrauftrag fur Or­ chesterleitung angehender Schul- und Kir­ chenmusiker an der Trossinger Musikhoch­ schule. Sein großer Vorteil ist erneut der Pra­ xisbezug: Die Hochschüler können das Di­ rigieren an seinem Jugendsinfonieorchester erproben – so lange wie die Schüler gedul­ dig und ergeben mitspielen! 1969 bereits begann der heute sehr rege Schulaustausch mit der südfranzösischen Stadt St. Raphael und dem dortigen Gym­ nasium St. Exupery. Der Kontakt mit dem ebenso engagierten französischen Musik­ kollegen Daniel Artus hat dabei vieles er­ leichtert. Als die Partnerschaft mit St. Ra­ phael in festen Bahnen verlief, kam es über Artus zu Besuchen und Konzerten der St. Georgener Nachwuchsmusiker in Barce­ lona, Santander und Madrid. Später folgten Konzerttourneen unter Dönnewegs Leitung nach Athen und – vorläufiger Höhepunkt – im Sommer 1993 an die amerikanische Ost­ küste. Im musikalischen Reisegepäck: Dvo­ raks neunte Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Bestens betreut von einer Konzertagentur, tourte das Jugendsinfonieorchester St. Ge­ orgen im vergangenen Sommer durch Süd­ italien. An Pfingsten 1996 stand Istanbul auf dem Tourneeplan mit Carl Orffs „Carmina burana“. 237

Angefangen hat alles mit Georg Philipp Telemanns beziehungsreichem „Schulmei­ ster“ im Jahre 1967. Es war das erste öffent­ liche Konzert mit einem Jugendsinfonie­ orchester unter Peter Dönneweg. 1970 folg­ te Orffs „Carmina burana“, 1972 dann Gers­ whins „Porgy and Bess“. Als einen seiner Lieblingskomponisten bezeichnet Dönne­ weg Franz Schubert. So ist es denn nicht ver­ wunderlich, daß es durch den persönlichen Kontakt mit dem Schubert-Forscher Pater Reinhard van Hooricloc in Sartene auf Kor­ sika zu den vielgcrühmten Aufführungen der beiden Schubert- Opern „Spiegelritter“ und „Die Freunde von Salamanka“ kam. Letztere, ein Singspiel um die drei Studen­ ten Alonso, Fidelio und Diego, wurde zum 25jährigenJMS-Jubiläum im Oktober 1993 aufgeführt. Gefragt nach seinem Erfolgsrezept, ver­ weist der Ostfriese auf mehrere Umstände. Zunächst: die enge räumliche und personel­ le Verklammerung von Jugendmusikschule und Gymnasium. (Wo andernorts diese In­ stitutionen rivalisierend um die musikali­ schen Frühtalente kämpfen, kann er beides harmonisch zu einem tragfähigen Gesamt­ körper vereinen.) Seinen persönlichen An­ teil umschreibt Dönneweg mit der Formel: ,,Alles was ich tue, mache ich mit Begeiste­ rung.“ Klingt bescheiden und läßt nur in Umrissen erahnen, mit welcher Leiden­ schaft „Dönne“ am Werke ist. Nicht zu ver­ gessen ist sicherlich der Anreiz, den die er­ wähnten Auslandstourneen für die Schüler einer Kleinstadt darstellen. Der Anteil seiner Familie an dem großarti­ gen Erfolg soll nicht verschwiegen werden. Seine Gattin Elisabeth unterrichtet seit Jah­ ren selbst an der JMS und wirkt als Geigerin im Sinfonieorchester Villingen-Schwennin­ gen mit. Bei ungezählten Auftritten der Ju­ gendmusiker hat Tochter Gesa Oahrgang 1968) im wahrsten Sinne des Wortes die er­ ste Geige gespielt. Sie ist heute im Sinfonie­ orchester des Saarländischen Rundfunks en­ gagiert. Der älteste Sohn Karsten Oahrgang 238 Peter Dönneweg 1972) war ebenfalls bei vielen Gastspielen als Cellist mit dabei. Er studiert heute an der Musikhochschule in Düsseldorf. Wen wun­ dert es da, daß Hanno, der Benjamin der Musikerfamilie, nach dem Abitur Fagott stu­ dieren möchte? Wer musikalisch ein solches Spektrum ab­ deckt, wie es Peter Dönneweg mit seinen St. Georgener Schülern tut, wirkt weit über seine eigene Schule hinaus. So sind heute jährliche Auftritte im Yillinger Franziskaner­ Konzerthaus ebenso fest eingeplant wie die musikalischen Umrahmungen von großen Firmen- und gelegentlich auch Parteiju­ biläen. Dönneweg dazu: ,,Nicht allzuviel ba­ siert dabei auf freier Entscheidung. Viele Zwänge entstehen durch Zusagen.“ Para­ dox: Zu den Hauptbeschäftigungen der jun­ gen Geiger, Bratscher und Bläser aus St. Ge­ orgen zählt die musikalische Gestaltung von Begräbnissen. Wie er freimütig erwähnt, er­ reichen ihn in dieser Hinsicht regelmäßig Anfragen aus dem ganzen Kreisgebiet. Sein Rat an Kollegen: die Bedeutung der praktischen Schulmusik kann gegenüber der theoretischen Ausbildung nicht hoch genug veranschlagt werden. Bleibt zu hoffen, daß Peter Dönneweg in diesem Sinne Schule macht. Joachim Siegel

Dem Volk nach dem Mund gesungen Spittelsänger – der musikalische Inbegriff der Villinger Fasnet Sie gehören zu V illingen wie die Bläck Fööss zu Köln. Und wie es sich für richtige Volksmusiker ziemt, haben beide in der Fas­ net ihre Ursprünge. Lokalkolorit, bekannt­ lich das Salz in der Suppe der populären Musik, fordert seinen Tribut und Dialekt macht den Reiz der Texte aus. Ferner sind die markanten Gebäude aus ihren Liedern nicht wegzudenken: Der Romäusturm, der Käferberg oder der Hennyboge sind unver­ kennbare Bestandteile in den Liedern der Spittelsänger. Da dürfen dann die mensch­ lichen Originale nicht fehlen. Egal, ob der „Eierma“ Richard Säger (,,Hät denn kon kon Kamm“) oder der Spital-Mathis in dem gleichnamigen Lied: Ihnen wurde in den Hits der Spittelsänger ein musikalisches Denkmal gesetzt. „Woasch näemet, wo äweng Gitarr‘ spiele ka, ich wet bim Zunftball en Ufftritt ma­ che?“, fragte Karl-Heinz Ummenhofer, der unvergessene „Schanko“, im Jahre 1965 im Antoniuskeller den „Benne“ Sauter. Mit dessen Ja nahm vor mehr als 30 Jahren eine Erfolgsgeschichte ihren Anfang, die nicht nur in der Fasnet unüberhörbare Spuren hinterlassen hat. 1966 war die Idealbe­ setzung gefunden, nachdem Hans Messmer den Part von Wilhelm Wildi übernommen hatte. Das Trio in seiner ursprünglichen Zusam­ mensetzung hatte bis zum tragischen Tod von „Schanko“ Ummenhofer im Jahre 1988 Bestand. Dessen Rolle übernahm dann Wer­ ner „Tschäbet“ Hirt. Der Name des Trios, ge­ wählt nach den Auftritten im Spittel, blieb; die Musik machten auf vielfachen Wunsch Tschäbet, Benne und Hans weiter. ,,Schan- Die „Spille!“ in Ur-Besetzung: v. links: Hans Messmer, ,,Schanko“ Ummenhofer und Benne Saut er. 239

außer auf zwei längst vergriffenen Sd1all­ platten aus den Jahren 1976 und 1978 und einer Kassette mit Beiheft von 1991 nur auf der Fasnets-CD ,,‘ s goht degege“ zu hören ist. Hierauf finden sich die fünf T itel „Mir gon jetzt uf Gaß, Die schöne alte Jungfere, Hätt denn kon kon Kamm,Jo a isere Fasnet und Laufsch du im Städtle rum.“ Die Wurzeln ihrer Musik reichen weit zurück. Alle Spittelsänger haben irgend­ wann einmal beim Streit Rudi mitgemacht und ferner nach den Alt-Herren-Fußball­ spielen der DJK gemeinsam gesungen. Das tut das Trio gelegentlich immer noch. Das verbindet und macht Lust auf mehr. Aus al­ len Texten der Spittelsänger spricht das stol­ ze Selbstbewußtsein jener „räechte Liit“, die, „i iserm schöne Villinge machet do grad wa .. “ mer wan. So ist es kein Wunder, daß die Spittelsän­ ger bei bestimmten Anlässen in Villingen zu sehen und zu erleben sind, bei Buchvorstel­ lungen, Familienfeiern, Geburtstagen oder großen Jubiläen. Wie lange noch? Da schmunzelt Tschäbet Hirt nach weit mehr als 1 000 Auftritten ebenso wie die beiden anderen. ,,Mindestens bis zur 1000-Jahr-Fei­ er im Jahre 1999.“ Versprochen. Joachim Siegel ko“ freilich bleibt – nicht nur wegen seiner Texte – unvergessen und lebt in den Herzen der echten Villinger weiter. landeten die Spittelsänger 1968 mit dem erwähnten „Spital-Mathis“ ihren ersten rich­ tigen Hit, so geriet Schankos „Hät denn kon kon Kamm“ zur eigentlichen Nationalhym­ ne Villingens. Etliche Nachbarstädte benei­ den die Stadt um diesen Hit, der fester Be­ standteil des Selbstbewußtseins der Zährin­ gerstadt geworden ist. Ein echtes Villinger T(jnd darf nur das genannt werden, das Me­ lodie sowie Text noch im Halbschlaf aufsa­ gen kann und weiß, wie „Soapfe“ geschrie­ ben wird. Zur Routine freilich geraten Werner Hirt, Hans Messmer und „Benne“ Sauter die Auf­ tritte auch nach all den Jahren nicht. ,,Wir gehen vor jedem Auftritt die Texte durch und singen uns immer ein“, berichtet Tschä­ bet Hirt. Der härteste Tag für das Trio ist da­ bei der Fasnets-Samstag, wo sich mindestens sechs Auftritte von reichlicher Dauer anein­ anderreihen. Im Diegner, dem Torstüble­ Keller, der Weinstube Riegger und natürlich in der Zunftstube verlangen die Zuhörer nach ihren Lieblingsliedern. Die drei Barden im Alter zwischen 56 und 65 Jahren sind am Ende zwar heiser, aber glücklich. Und die Puste reicht immer noch f’tir den „Kriminal-Tango“ aus der Feder von Lothar Wöhrle. Mit diesem Lied wandten sich die Spittel­ sänger vehement dagegen, daß der Krimi von Felix Huby „Bienzle und das Narrenspiel“ in den Mau­ ern ihrer Heimatstadt ver­ filmt werden sollte. Mit Er­ folg. Und wie jede echte Volks­ musik, so lebt auch die der drei waschechten Villinger von den Live-Auftritten. Es ist daher nur konsequent, Die ,,Spillel-Siinger“ in heutiger Besetzung: v. links: ,,Tschiibet“ Hirt, daß die Musik des Trios Hans Messmer und Benne Sau/er mit der Gitarre. 240

Kunst und Künstler Von Rössern und Gaskugeln Kunst im öffentlichen Raum des Landkreises bietet ein breites Spektrum Der Begriff „Kunst im öffentlichen Raum“ bezeichnet Kunstwerke, die so präsentiert werden, daß sie der Öffentlichkeit zugäng­ lich sind. Auch im gesamten Schwarzwald­ Baar-Kreis trifft man auf Kunstwerke, die dieser Definition entsprechen. Um es gleich vorweg zu nehmen: der Schwarzwald-Baar­ Kreis ist nicht Frankfurt, aber dennoch fin­ det sich auch hier Kunst im öffentlichen Raum, die beachtenswert ist. Wird in den Metropolen nach der Devise „Klotzen, nicht Kleckern“ verfahren – am Beispiel Frankfurt, wo sich momentan ein Skulptu­ renboulevard quasi als Selbstläufer etabliert – stellt sich in der Provinz die Kunst viel un- spektakulärer zur Schau. Hat man aber ein­ mal den Zugang zur Kunst gefunden, so be­ gegnet man ihr fast an jeder Straßenecke. Wer ist aber nun für die künstlerische Auf­ wertung des öffentlichen Raumes verant­ wortlich? Wie kommt die Kunst in den öf­ fentlichen Raum? Da gibt es auf der einen Seite Initiativen von Privatpersonen und Firmen, auf der anderen Seite, und das macht den Löwenanteil der Kunst-am-Bau­ Maßnahmen aus, kommen die öffentlichen Bauherren ihrer Verpflichtung zur Erfüllung kultureller Aufgaben nach. An die Stelle der früheren Monarchen mit ihrer meist will­ kürlichen Kunstförderung treten heute die Zwei Plastiken von Martin Kirstein aus Winnenden stehen in der Gemeinde Mönchweiler. 241

gen. Das Staatliche Hochbau­ amt in Radolfzell ist für die Baumaßnahmen des Bundes verantwortlich. Für das Kreis­ gebiet sind es das Arbeitsamt und das Zollamt in VS-Villin­ gen. Bildende Künstler sind grundsätzlich bei allen Bau­ maßnahmen, deren Eigenart es rechtfertigt, zu beteiligen. Ein Grundsatz der Staatlichen Hochbauverwaltungen sagt aus, daß ein bis zwei Prozent der Bausumme für die Kunst­ am-Bau bereitgestellt werden sollen. Im Falle des Arbeitsam­ tes würde diese Regelung be­ deuten: bei einer Bausumme von knapp 20 Millionen DM müßten mindestens 200 000 DM für Kunst ausgegeben worden sein. Den Innenhof des Amtes ziert eine Freiplastik aus Corten-Stahl, geschaffen von dem in der Pfalz lebenden Bildhauer Franz Bernhard. • ,,Die Ruhende“ aus dem Jahre 1987 kostete mit etwa 100 000 DM gerade einmal die Hälfte der vorgesehenen Mindest­ pflichterfüllung. Kam hier der Staat als öffentlicher Bauherr seiner Verpflichtung zur Er­ füllung kultureller Aufgaben Hauser-Plastik: ,,Die Säulenwand“ dominiert den Innenhof des nicht in genügendem Maße nach? Macht man einen Rund- Hauptsitzes der Sparkasse in der Vi!!inger Gerberstmße. gang durch das Gebäude, be­ kommt man anschaulich die Antwort. In al­ len Gängen, auch hier ist öffentlicher Raum, befinden sich Bilder und Objekte, deren An­ schaffungspreis zusammen dem des Preises der Innenhofplastik entspricht. Eine der wertvollsten Arbeiten im Land­ kreis steht vor dem Villinger Gesundheits­ amt. Im Jahre 1959 wurde für den Neubau des damaligen Finanzamtes die Plastik ,,Räumliche Wand“ des Stuttgarter Künst- Staatlichen Hochbauverwaltungen. In unse­ rem Kreisgebiet gibt es für die Kunst am Bau bei öffentlichen Gebäuden zwei ver­ schiedene Entscheidungsträger. Das Staat­ liche Hochbauamt in Rottweil ist für alle Baumaßnahmen des Landes zuständig, wie beispielsweise für die Fachhochschule für Polizei in Schwenningen, die eine stattliche Anzahl von Kunstwerken besitzt, oder für das Berufsschulzentrum in Donaueschin- 242

lers Otto Herbert Hajek angeschafft. Damals schlug der Plastik seitens der politisch Ver­ antwortlichen, aber auch aus den Reihen der Bevölkerung, nicht nur Liebe entgegen. Mancher hätte sicher anders geurteilt, hätte Otto Herbert Hajek schon damals seine jet­ zige Popularität gehabt. Mit steigender Be­ kanntheit geht eine stetige Steigerung des Marktwerts einher. Nun steht vor dem Amt ein Werk, dessen Wert das Vielfache seines Kaufpreises ausmacht. Kunst mit lokalem Bezug Die Staatlichen Hochbauverwaltungen sind zwar maßgeblich, aber nicht aus­ schließlich für Kunsterwerbungen für öf­ fentliche Gebäude oder Plätze verantwort­ lich. Gerade für die künstlerische Aufwer­ tung von öffentlichen Plätzen sind die je­ weiligen Städte und Gemeinden zuständig. Ansehnliche Beispiele dieses Engagements stehen in fast allen Städten und Gemeinden im Kreisgebiet: Von der Brunnenanlage des Bildhauers Hans-Joachim Müller vor dem Blumberger Rathaus, über den Münster­ brunnen des Schonachers Klaus Ringwald auf dem Villinger Münsterplatz, bis hin zum Arrangement „Salzpfeiler, Salztor, Salzquell“ des Freiburger Bildhauers Jürgen Grieger im Bad Dürrheimer Kurpark, das im Zuge der Landesgartenschau dauerhaft für die Stadt angeschafft wurde. Die drei genannten Arbeiten verdeutli­ chen auch ein besonderes Merkmal von öf­ fentlichen Kunstwerken. Sie weisen durch Form und Inhalt einen eindeutigen lokalen Bezug auf. So erinnert der Blumberger Brunnen mit den aufeinander zugehenden Figuren an die Situation der Stadt als Schmelztiegel verschiedener zuziehender Volksgruppen. Im Villinger Münsterbrun- Bemalte Gaskugel an der Bundesstraße bei Vi/lingen. 243

nen wurde auf hintergründige, ironische Weise kommunalpolitisches Geschehen ver­ arbeitet. Die Bad Dürrheimer Skulpturen­ gruppe verweist in mehr abstrahierter Form auf die ungemein wichtige Solegewinnung und somit auf das wichtigste Gut der Kur­ stadt. Die Gemeinde Mönchweiler demonstriert mit ihren Kunstanschaffungen, daß auch kleinere Gemeinden mit geringerem Etat durchaus etwas bewegen können. 1990 konnte die Gemeindeverwaltung den Bild­ hauer Martin Kirstein aus Winnenden für eine Präsentation seiner Werke innerhalb der Ortschaft gewinnen. Einige der Kunst­ werke fanden bei der Bevölkerung so großen Anklang, daß die Verwaltung zusammen mit dem Gemeinderat beschloß, zwei Ar­ beiten zu erwerben. Die Plastiken in der 3 000 Einwohner zählenden Gemeinde wur­ den aufgrund des Bevölkerungswillens er­ worben und fast ausschließlich durch Spen- den finanziert. Ein drittes Kunstwerk kam auf Initiative einer Handwerkervereinigung dazu. Glockenspiel von Jo Homolka Auch die Stadt St. Georgen zeigt, daß Kunst auf städtischem Gebiet den Finanz­ etat nicht sonderlich belasten muß. Das Glockenspiel des Königsfelder Künstlers Emil Jo Homolka auf dem St. Georgener Marktplatz wurde durch einen finanziellen Beitrag realisiert, den die Sparkasse der Stadt anläßlich der 900-Jahr-Feier der Gründung von St. Georgen geschenkt hat. Blumberg­ Riedböhringen, eine gerademal 900 Ein­ wohner zählende Ortschaft, glänzt als Uni­ kum unter den kleinen Gemeinden im Kreis auch mit Kunst. Im Ortskern steht der bron­ zene „Bauer mit der Steinkarre“ des in Moos am Bodensee lebenden Künstlers Friedhelm Zilly. Die Vorgeschichte ist bemerkenswert: Naturalistische Pferde auf dem Kreisverkehr von Donaueschingen. 244

Da es in Riedböhringen, was nicht so üblich ist, gelang, das Flurbereinigungsverfahren zur � Zufriedenheit aller zu realisieren und zudem Geld dabei übrig blieb, kam es zur Gestaltung des idyllischen Platzes in der Orts- mitte, auf dem das künstlerische Zeichen gesetzt wurde. Aber auch der Schwarzwald­ Baar-Kreis selbst ist als Bauherr der Kunst-am-Bau-Regelung ver­ pflichtet. Das neue Landratsamt auf dem Villinger Hoptbühl be­ sitzt mit der „Kuckucksuhr“ (Al­ manach 93, S. 22-25) und dem ,,Baarteller“ (Almanach 95, S. 205-210) des Münchener Künst­ lers Albert Hien sowie dem inter­ aktiven Klangtryptichon des Frei­ burger Peter Vogels (Almanach 93, S. 26-27) im Innern des Ge­ bäudes repräsentative Beispiele zeitgenössischer Kunst. Neben dem Engagement der Kommunen, treten die Körper­ schaften des öffentlichen Rechts bei der Kunstförderung in Er­ scheinung. Die Industrie- und Handelskammer im Villinger Romäusring empfängt Mitarbei­ ter und Besucher mit einer ab­ strakten Marmorskulptur des Rottweilers Josef Bücheler im Eingangsbereich. Einige Meter Jochen Schimpfte „Der dynamische Läufer‘: Biedermann­ weiter befindet sich an der Lan- Motech, Schwenningen deszentralbank in der Vöhrenba­ cher-Straße ein Relief mit dem beziehungs­ reichen Titel „Gleichnis von den anvertrau­ ten Pfunden“, geschaffen von der Künstlerin Paula-Maria Walter. Die Hauptanstalt der Sparkasse in der Villinger Gerberstraße ist im Besitz eines der wertvollsten Kunstob­ jekte im Landkreis. Der Innenhof wird von einer stählernen „Säulenwand“ des interna­ tional renommierten Rottweiler Künstlers Erich Hauser dominiert. Aber auch ein be- sonders gelungenes Beispiel für Glaskunst findet sich an dem Geldinstitut: Sämtliche Eingangstüren wurden von dem in Rottweil­ Feckenhausen lebendenJulius Schittenhelm gestaltet. Nicht unerheblich ist der Beitrag der pri­ vaten Kunstliebhaber, die aus den unter­ schiedlichsten Gründen der Öffentlichkeit einen Kunstgenuß bieten. Vor der Apothe­ ke in Brigachtal-Kirchdorf steht eine Skulp- 245

tur des Furtwanger Holzbildhauers Hubert Rieber. „Die Figur zwischen Wänden“ ziert nicht nur die Fassade, sie wertet auch das dörfliche Erscheinungsbild auf, obwohl das Kunstwerk nicht allen behagt. So erregte sich doch mancher Zeitgenosse ob der unverhüllten Blöße der männlichen Figur, die in unmittelbarer Nähe zur Kirche steht. Die Firma Biedermann-Motech in der Schwenninger Berta-Suttner-Straße beher- Hubert Rieber, ,,Figur zwischen den Wänden“, Apotheke Brigachta/-Kirchdo,f 246 bergt gleich eine ganze Menge von Kunst­ werken. Das auffälligste, weil quasi als Fir­ men-Visitenkarte von der Straße sehbar, ist „Der dynamische Läufer“ des Überlinger Künstlers Jochen Schimpfle. Ein Werk mit eindringlichem Symbolcharakter: Die Fir­ ma stellt orthopädische Hilfsmittel her und verhilft somit körperlich Behinderten zu neuer Mobilität. Unübersehbar ist auch ei­ ne weitere Hauser-Plastik im Landkreis auf dem Gelände der Firma Grässlin in St. Georgen. Dieser kleine Streifzug durch den Schwarzwald-Baar-Kreis zeigt, daß es hier viel zu sehen, aber was bei Kunst genauso wichtig ist, noch mehr zu entdecken gibt. Auch I wenn aus finanziellen Gründen nicht die ganz großen welt­ bekannten Namen vertreten sind, so ist die Verbreitung von Kunst- • werken in der „Provinz“, gemessen an der Bevölkerungszahl und an der heterogenen Siedlungsstruk­ tur, dennoch überzeugend. Spür­ , bar ist die Liebe zum Detail bei der Kunst im öffentlichen Raum, die hauptsächlich das regionale Kunstschaffen mit all seinen Schattierungen repräsentiert. Das Spektrum des Gezeigten ist natur­ gemäß sehr weit gefaßt, spiegelt aber auch gleichzeitig die unter­ schiedlichen Kunstinteressen in der Bevölkerung wider und ist so­ mit ein Zeichen für Demokratie­ verständnis. So wurde manches Projekt trotz anfänglicher Kontro­ verse dennoch realisiert: Von der Bemalung der Gaskugel an der Bundesstraße vor Villingen bis hin zu den naturalistischen Rössern auf dem Kreisverkehr vor Donau­ eschingen. Stefan Simon

Logo des Schönen im Unscheinbaren Centric und XCentric – Die Materialkunst von Martin Starkmann Martin Starkmann, 1941 in Schweinfurt geboren, bündelte schon immer gerne Lini­ en und Flächen zu graphischen Strukturen. Seit Jahren lebt und arbeitet der Künstler in VS-Villingen. Hier ist von seinen Material­ bildern die Rede. Ob Ausruf oder Frage, unausgesprochen stehen die Worte: ,,Das soll Kunst sein!?“ in die Gesichter vieler Betrachter geschrieben, die vor Martin Starkmanns Materialbildern stehen und nicht so recht wissen, was sie sa­ gen sollen. Bis jemand seine Ratlosigkeit so formuliert: ,,Schön sind sie ja, aber ich ver­ stehe nichts davon.“ Ratlos wie er bleiben viele in der Luft hängen. Die Rede ist von einer Reihe Materialbil­ dern, die „Centric“ und „X-Centric“ be­ nannt sind. Tatsächlich sind sie bestechend schön, diese kleinen, fast quadratischen ,,Bildchen“. Mit ihrem seidigmatten, unifar- XCentric M2 (Neid), Materialbild, Entstehungsjahr 1993. 247

benen und deshalb so ruhig wirkenden Bild­ hintergrund sprechen sie unser Schönheits­ gefühl auf Anhieb an. Wer genau hinsieht, bemerkt in der matten Hintergrundschicht feine Schmirgelkörner, so minimal, als dürf­ ten sie nicht ins Auge fallen, schon gar nicht auf den ersten Blick. Wie vieles, das un­ scheinbar wirkt, sind es nicht einfach Schmirgelkörner oder Sand, sondern Rost, den Martin Starkmann dafür „züchtet“. Der Bildgegenstand löst jedoch besagtes Gefühl der Ratlosigkeit aus, zumal die Er­ wartungshaltung beim Betrachten von Bil­ dern immer noch am Erkennbaren, am Ab­ gebildeten, hängt. Fast quadratisch sind sie, beinahe quadra­ tisch, also nicht ganz. Weil manche Augen aus einem exakten �adrat ein Rechteck machen, ist die Breite größer als die Länge. Insofern ist das, was als �adrat erscheint, eine winzige Täuschung. Was aber macht so ratlos, was wirkt anziehend und gleichzeitig distanzierend? Zum einen sind es die „all­ täglichen“ Dinge, man könnte sogar sagen die banalen, die im Gegensatz zur raffinier­ ten Fläche stehen: Ein Stein, ein Lederfet­ zen, ein Holzspreißel – nichts Besonderes – abgesehen von der künstlerischen Verede­ lungskur. Starkmann verschönt und bringt in neuen Zusammenhang: was vorher im Centric M7 (Glyphe2), Materialbild, Entstehungsjahr 1995. 248

Schutt lag, wird ins Licht geho­ ben. Wie die „Dinge“ ins Bild ge­ stellt sind, das hat dann seinen eigenen Reiz, von dem jetzt die Rede sein wird. Solitär, so daß nichts anderes die Bildaussage stört, beherrscht jede einzelne Form ihren Raum. Zusammen mit Form und Farbe ist der Abfall nun Mittel des künstlerischen Zusammenspiels aus Farbe, Form und Eigen­ schaft. Wenn der Künstler in seiner Freizeit durch Felder, Wälder entlang der Ufer streift, läßt er seiner Phantasie spielerischen Lauf. Der Bildnerei erster Akt be­ ginnt. Noch dreht es sich ums Finden, das, wenn er Glück hat, eine Idee auslöst. Er hebt auf, was so her­ umliegt: Steine, Scherben, Holz, Plastik, Pappen. Verwestes sam­ melt er, Vertrocknetes, Verrotte­ tes, Zertretenes. Lauter Material, das die Zeit geschliffen hat, über das Regen, Sonne, Wind und Menschen gegangen sind. Mar­ tin Starkmann sammelt, was andere mit Füßen treten. Einmal ist es ausgelaugtes, XCentric M2 (Neid), Materialbild von 1993. 249

ausgewaschenes Holz, gewichtlos und längst ohne „Fleisch“, ein andermal das bloße Ske­ lett einer Pflanze, die auf ihre Struktur re­ duziert ist. Auf höchst rätselhafte Weise wer­ den sie zu ästhetischen Symbolen. Minimal im Aufgebot der Mittel, sparsam im Ver­ brauch erzeugen sie maximale Aussagen. Wenn nicht schon die Bildmittel nach Naturlyrik röchen! Die Titel tun das Ihre: ,,Wing“, ,,Mint“, ,,Butterfly“ oder „Glyphe“. Doch vergebens sucht man nach der damit zusammenhängenden Blümchenromantik – so ist die Welt heute nicht. Belegt wird, was real ist: Industrie und Technik schlagen sich in Starkmanns Naturkunst nieder, das Künstliche steht im Kontrast zum Natürli­ chen. Sowohl die angegriffene Natur als auch deren Widerstand ist Thema. Schnör­ kellos zeigen seine Materialbilder sowohl Harmonien als auch Diskrepanzen. Und nicht zuletzt wirkt in ihnen das Schöne im ,,Armen“. Damit wird der Fund zum Kürzel, zum Zitat – jedes Objekt ist ein Logo der Natur. Ein ernsthaftes, doch positives Bild mit ein wenig Nonsens, einem bißchen DA­ DA und dem Anklang von „arte povera“ – schlichtweg eine Reliquie der Natur. Helga Heinid;en XCentric M2 (Neid), Materialbild von 1993. 250

Fasziniert von der Formbarkeit der Erde Die Kunsthandwerkerin Anita Riemer-Wemick Der helle Ton klatscht auf den Teller, die kräftigen Finger kneten das Material – Ani­ ta Riemer-Wernick ist in ihrem Element. Die Kunsthandwerkerin sitzt am Fenster ihres Ateliers, der Holzofen knistert hinten an der Wand. ,,Schon als Kind“ war die Töpferin faszi­ niert von der Formbarkeit der Erde; jetzt, nach vielen Jahren, hat sie in ihrem Beruf den Meisterbrief erworben. Es soll so richtig losgehen: Hinter dem kleinen Scheunentor entstand in Eigenarbeit ein Laden, hier las­ sen sich auch unter der Woche irdene Krüge und feine Skulpturen bestaunen und auch kaufen. Eine Vase soll er werden, der plumpe Klumpen, der wie ein dicker Frosch auf dem Drehteller sitzt. Doch kaum rotiert die Scheibe, wächst das Material – man könnte meinen wie von selbst – zwischen den Hän­ den zu einer organischen Form heran. ,,Das ist nicht so leicht wie es aussieht“, lächelt die Töpferin, ein paar Jahre Übung braucht es dafür schon. Und Kraft, denn der Ton ist zäh und will nicht in die neue Form. Die Werkstatt von Anita Riemer-Wemick ist in einem Schuppen untergebracht und schon der Weg dorthin ist idyllisch. ,,Ich merke immer mehr, daß sich mein Ge­ schmack verändert.“ Es sind die runden, gleichmäßigen Formen, die sie heute so fas­ zinieren. Formen, die schon vor Jahrhun­ derten in der selben Art aus Ton gefertigt wurden. Diesen Wunsch nach Ruhe und Die Vogelköpfe sind ein Markenzeichen der Kunsthandwerkerin Anita Riemer-Wemick. 251

ins Schwärmen, wenn sie von ihrem Ar­ beitsmaterial erzählt. ,,Damit kann man so gut umsetzen was im Kopf drin ist“, freut sich die junge Töpfermeisterin – und in ihrem Kopf ist einiges drin. Fast schon ein Markenzeichen geworden sind die Vogelköpfe: mit ihren spitzen Schnäbeln und scharfen Augen, fast schon eine Karikatur. Auf einen Stiel gesetzt, ver­ schönern sie Balkon und Garten. Anita Rie­ mer-Wernick sieht in ihren Vogelgesichtern den „Chef-Besserwisser“ oder auch den „Angsthasen“. Sie freut sich diebisch, wenn sie über ihre Vögel erzählt. Dabei bekommt jedes Tier sein ganz individuelles Gesicht. Einen Kopf hat sie sogar einer menschli­ chen Figur aufgesetzt. Und wenn auf dem Töpfermarkt manch einer „Oh Gott, wie grausig!“ ruft, gefallt vielen anderen gerade diese Skulptur besonders. Keinesfalls will sie sich nur nach dem Geschmack der Käufer richten, wenn sie ihre „Ideen irrsinnig laufen läßt.“ So manches Stück ist ihr auch gerade deshalb ans Her.t gewachsen. Lächelnd er­ zählt sie die Geschichte von einer Kundin, die zwei Vasen zur Ansicht mitnahm. Eine davon wollte die Töpferin gar nicht gern hergeben, und als sich die Kundin dann für die andere entschied, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Auch einige der Tonköpfe haben ei­ nen Platz im Atelier gefunden, Charaktere, von denen sie sich eigentlich gar nicht tren­ nen möchte. Der Keramikerin geht Ton nie auf die Ner­ ven. Das Hausschild hat sie ebenso gemacht wie die Vasen neben dem Kachelofen. Nur einfach müssen die Formen sein und für die schwarzen Glasuren schwärmt sie beson­ ders. Bis jetzt verkaufte Anita Riemer-Wernick ihre Arbeiten lediglich auf dem Donau­ eschinger Herbstfest, dem Hüfinger Töpfer­ markt und einigen anderen Märkten der Re­ gion. Dies wird nun anders: Diente bisher das Atelier als provisorischer Verkaufsraum, zog sie nun mit ihren Arbeiten in einen ei­ genen Laden um. Das verbessert die Präsen- Die Arbeit mit Scheibe und Ton braucht Kraji und viel Erfahrung. Gleichförmigkeit kennt Anita Riemer-Wer­ nick: Er ist auch in ihrem Alltag da und spie­ gelt wieder, was ihr Bedürfnis ist. So stehen in großer Anzahl Gefäße, Schalen und Va­ sen in den Regalen im Atelier. Manchmal geht sie auch ins Freiburger Museum für Ur­ und Frühgeschichte. Dort studiert die Töp­ fermeisterin die klassischen Formen und ge­ nießt die einfache Schönheit der antiken Va­ sen. ,,Ich bin da hingegangen und war über­ rascht: Das ist genau das, was ich versuche zu machen!“ Anita Riemer-Wernick bezeichnet sich selbst als „Dreherin“, denn am liebsten arbeitet sie zur Zeit an der Scheibe. Dabei hat sie noch so viele Ideen. ,,Für Gräber“ will sie was machen – ,,nicht so klobig wie die Dinger aus Bronze“ – und Teekannen und Skulpturen und Schmuck. Ton ist vielseitig, und Anita Riemer-Wernick kommt geradezu 252

tation und im Atelier gibt es nun mehr Platz für freies Arbeiten. So ist die Keramikerin nun zu festen Zeiten anzutreffen. Und wer den Blick in die Werkstatt sucht, bekommt ihn immer noch gewährt. Besonderen Spaß macht der Handwer­ kerin ein kleiner Töpferkurs, den sie nach vielen Anfragen in ihrem Atelier anbietet. „Nur mit ganz wenigen Leuten, sonst wird mir das zu unübersichtlich!“ Und mancher staunt dann, wenn er mit eigenen Händen fühlt, wie schwer es ist, auf der Töpferschei­ be eine Vase zu formen. Nach einer Pause über Weihnachten hat Anita Riemer-Wernick wieder richtig Lust zum Töpfern: Kleine Figuren, die vom Schrank herunterschauen, neue Schmuck­ stücke – die Ideen gehen der Keramikmei­ sterin wohl nie aus. Andreas Reinbolz Eine 4lse aus Ton entsteht. Sekundenleben Jeder Tag Abschied von gestern – Heute ist das Gestern von morgen. Mit jeder Sekunde stirbst du sekündlich der künftigen Vergangenheit entgegen – die du als ständigen Abschied nicht wahr-nimmst. Aber du ahnst die Bedeutung des Wortes: Tausend Jahre sind wie ein Tag. Jürgen Henckell 253

Kunst als sichtbares Lehen Zur Malerei von Ludwig Schopp aus Königsfeld Ist die Kunst Berufung, Poesie oder Schick­ sal, oder alles gemeinsam? Dies fragte sich Ludwig Schopp aus Königsfeld, geb. am 20. Mai 1946 in Ravensburg, der früher zeich­ nen lernte als lesen und schreiben. Ludwig Schopp stammt aus einer uralten Ravens­ burger Konditorendynastie. Dort, in dem stadtbekannten Cafe „Warme Wand“, ver­ kehrte der Verleger Otto Maier mit seinen Mitarbeitern und Gästen sowie die gesamte Kulturszene von Ravensburg. Besonders der Schöpfer von „Nick Knatterton“, Manfred Schmidt, faszinierte den Vierjährigen. So kam es, daß Ludwig Schopp sich lieber im Otto Maier-Verlag als zu Hause aufhielt. Manfred Schmidt wurde sein Lehrmeister und Wegbereiter. Damit das kleine Bürsch­ le assistieren konnte, schraubte „Onkel Manfred“ den Arbeitsstuhl auf die richtige Höhe. „Deine bildhaften Wünsche mußt du selbst erfüllen. Das kannst du nur, wenn du lernst, richtig zu beobachten und nur das festhältst, was dich daran ganz besonders in­ teressiert.“ Dies waren stets die Worte, die ihn fortan durch die Kunst begleiteten. Am Anfang waren es Drahtmännchen mit Eier­ köpfen. Nach und nach nahmen diese Ge- ,,Dialog über die Angst‘: Rolnfeder!Aquarell,januflr 1994. 254

,,In sich gehen‘: Mischtedmik!Aquarell, 60×80 cm. stalt an bis zur fertigen Karikatur. Trabende Pferde, reges Marktleben oder kuriose Sze­ nen sollte der kleine Ludwig Schopp mög­ lichst unauffällig skizzieren. Anfangs durfte er nur zwölf Buntstifte verwenden, später nur die Primärfarbstifte. Man­ fred Schmidt liebte die frech hingeworfenen Striche und konnte über unnötiges Drum­ herum richtig zornig werden. So erwarb Ludwig Schopp auch ein ausgeprägtes Farbge­ dächtnis, was ihm später er­ laubte, ein aufgefaßtes Bild mehrfach wiederzugeben. Die Großeltern und Eltern liebten diesen Umgang aller­ dings nicht und waren der An­ sicht, daß Kunst unnütze Spie- Ludwig Schopp lerei und Luxus wäre. Doch seine Berufung als Künstler fand Ludwig Schopp dennoch und zwar in München. Noch im Hotelfach tätig, lernte er Gestaltung und Design, was zwar nicht bei je­ dem höchste Weihen mit sich bringt und doch allemal als ei­ ne in Richtung auf die Kunst hinweisende Ausbildung gel­ ten kann. Darüberhinaus war Ludwig Schopp eine Zeit lang Karikaturist und Illustrator. Er wurde auch in den erlauchten Kunstkreis München aufge­ nommen und scherzhaft als Toulouse Lautrec von Schwa­ bing bezeichnet. 1974 zog er nach Konstanz, wo er ein Dachatelier mit Ra­ dierpresse einrichten konnte. 255

komplexe nicht sofort, denn das Begreifen seiner Bilder ist nur dem gegeben, der sie meditativ nachvollziehen kann. Vielleicht will Ludwig Schopp damit sagen, daß das, was er malt, nach sei­ nem Verständnis nicht mit dem üblichen Künstler- und Kunstbegriff zusammengeht oder zusammengehen soll. Für seine Arbeiten braucht er besondere Elemente. Zu ihnen gehören Motive und Vorsatzstücke aus Sagen, Mystik, Philosophie und Psychologie. Doch auch in den abstrakten Schöpfungen bleibt Ludwig Schopp der Natur oder der Landschaft verbunden. Gesundheitlich, durch sein Augenleiden bedingt, kann Schopp seine Motive nicht von anderen Bildern über­ tragen, er ist von Kindheit an ein Gedächtnismaler. Des­ halb bleiben seine Skizzen auf das Wesentliche be- schränkt. Diese wirft er mit Buntstiften aufs Papier und sagt: ,,Ein bißchen übertreiben kann ich zu Hause.“ Ludwig Schopp ist gleichzeitig Ate­ liermaler, der mit Licht und Schatten spielen will, so wie er auch gerne mit verschiedenen Techniken experimentiert, insbesondere mit der Naßaufnaß- Aquarellmalerei. Wenn Ludwig Schopp Künstler wie Dix, Schlichter, Hubbuch, Klimt oder Schiele als Vorbilder nennen mag, so sind es für ihn nur die biographischen Aspekte. Er will seine ei­ genen Kopfgeburten malen oder entsorgen. Deshalb auch sein Leitsatz: ,,Kunst ist nicht Abbild, sondern Urbild der Gedanken des Künstlers!“ Manfred Beid,L Braque Akt 11, Aqutlrell, 50 x 60 cm. Ein Großbrand vernichtete Atelier, Zubehör und sein gesamtes künstlerisches Lebens­ werk. Ein Unfall machte ihn zum Schwer­ invaliden. 1980 heiratete er seine Frau Hannelore in Königsfeld. Sie und ihre beiden Töchter ga­ ben ihm den Mut, neu zu beginnen. Ludwig Schopp hatte mehrere Ausstellungen im In­ und Ausland. Im Rahmen einer internatio­ nalen Kunstausstellung in Baden-Baden er­ hielt er im März 1995 die Eurokunstplaket­ te in Gold. Ohne sich einer bestimmten Kunstgattung verpflichtet zu fühlen, hat Ludwig Schopp seine eigenen Tiefenstrukturen verinner­ licht. Gewiß erschließen sich seine Motiv- 256

Lebensgefühle in Holz und Ton Der Künstler Josef König fand in Schwenningen eine neue Heimat Schon von weitem kündet das kleine Sieplungshäuschen in der Schwenninger Wil­ helmstraße’von seinem künst­ leris°chen Inhalt. Hinter dem geschnitzten Briefkasten und det getöpferten Hausnummer lebt seit Beginn der l 990er Jahre der tschechische Künst­ ler Josef König mit seiner Fa­ milie. In der wie alle Räume reno· vierten „guten Stube“ stehen in Nischen: Schränken und auf Beistelltischen die Arbei­ ten. Die einzelnen Arbeiten protzen vor Le­ bensfreude (Sonnen, Gottheiten, Clowns) oder haben beschützende Gebärden (Ma­ donnen, Engel, Heilige). Wir finden auch tiefsinnige Holzarbeiten mit teilweise ver­ menschlichten Tieren (Schnecken, Eulen, Frösche, Vögel), wobei jede für sich eine be­ stimmte Eigenschaft ausdrückt, in denen sich der Betrachter wiederfinden kann. Auch das Leiblich-Sinnliche, in seinen Proportio­ nen teilweise barock überzeichnet, fällt ins Auge (Frauen-Torso, Eva). Kunstvolle Ge­ brauchsgegenstände wie Schalen und Vasen runden das Repertoire ab. Allen Arbeiten ist eine positive Grundaussage zu eigen. Ihre Gestik wirkt zufrieden, ausgeglichen, nicht selten humorvoll und in sich ruhend. Sie wirkt dadurch wohltuend auf den Betrach­ ter. Herausragend bei den Plastiken sind die verschiedenen Variationen des HI. Franzis· kus: In Anlehnung an die schlichte Roma­ nik kommt der Künstler hier zu starker Aus­ sagekraft. Der Körper tritt in den Hinter· grund, herausgehoben sind übergroße, sich spendende Helferhände und ein nach oben gerichtetes, in sich schauendes Gesicht, um· geben von Vögeln mit Men· schengesichtern. Es sind kör· perliche Figuren, die nicht nur räumlich vorhanden sind, sondern die darüberhinaus dem Weltlichen – Mensch und Natur – wie dem Trans­ zendenten verbunden sind. Es überrascht dabei, daß die frühen Lebenserfahrun­ gen des Künstlers von Unfrei­ heit, Atheismus, materieller Not und frühem Verlust des Vaters geprägt sind. Josef König wurde 1945, kurz vor Kriegsende, in der Nähe Prags ge· boren. Nach der Schulzeit kam die Lehre als Elektromechaniker. Dann brach das Eltern­ haus auseinander. Noch in der Schule fiel der junge Josef durch seine Begabungen in Sport und Kunst auf. Durch den dominie­ renden Sportlehrer kam die Kunst strecken· weise zu kurz, dafür wurde die vom System gewünschte Hinlenkung zum zweijährigen Militärdienst begünstigt. In dieser Zeit er· hielt König zahlreiche sportliche Auszeich­ nungen. Nach einer Berufsausbildung als Elektro· mechaniker durchlief er eine dreijährige Abendschule, um das Abitur nachzuholen. Hier entfaltete sich sein Talent in den Kunst· fächern und hier bekam er erste Kontakte zur Prager Künstlergruppe „Ars“. Er malte, schnitzte, töpferte und „plastizierte“. Letz· teres überwiegend und aus Mangel an ande­ ren Materialien. Kostenlosen Plastikabfall aus Fabriken verformte er gekonnt zu Bro­ schen, Sonnen und Köpfen. Nach einigen Gemeinschaftsausstellungen 257

,,König‘: Ton, 1995, Höhe 50 cm. ,,Eule‘: Holz, 1993, Höhe30 cm. mit anderen Künstlern kam es 1980 zur er­ sten Einzelausstellung in Prag, die ihn in Konfrontation zum Staat brachte und in sei­ nem Leben bis heute traumatisch nachwirkt. Da die von ihm gewollte Aussage der Wer­ ke politisch nicht gewünscht war, wurden diese umgedeutet und damit verfälscht. So mußte die christliche Pieta als „Tod eines Soldaten“ betitelt werden. Die Gruppe der ,,Heiligen Familie“ wurde auseinandergeris­ sen, die Figuren einzeln gestellt und mit weltlichen Titeln versehen. König spürte, daß die Zensur seiner Kunst ihn am Lebensnerv traf und flüchtete im Sommer 1984 mit der Familie nach West­ deutschland. Nach mehreren Zwischensta­ tionen in Aufnahmelagern in Hochheim, Karlsruhe und Donaueschingen fand König schließlich eine kleine Wohnung in Bad Dürrheim. Dort erhielt er viel Unterstüt­ zung durch die Kirchengemeinde. Der im Ruhestand lebende und mit seiner Ehefrau künstlerisch und kreativ tätige Finanzpräsi­ dent a. D. Dr. Ernst Roskothen (Almanach 82/152-157; 83/234(; 86/166-168) freunde- te sich mit der Familie an und wurde Tauf­ pate der jüngsten Tochter Katharina. Nachdem König die ersten Schritte zur In­ tegration geschafft hatte und Arbeit für ihn und seine Frau bei einer Schwenninger Fir­ ma gefunden war, lebte das Bedürfois nach künstlerischer Betätigung mit aller Macht wieder auf. Nachdem die Mietwohnung kei­ nen Platz mehr zum Schleifen, Schnitzen, Töpfern und Brennen – das Malen wurde nicht mehr aufgegriffen – bot, fand man schließlich ein kleines, über 100 Jahre altes Häuschen in Schwenningen. Nach grundle­ gender Erneuerung, von der heute die getöpferte Gallionsfigur auf dem Dachfirst kündet, findet der Künstler in seinem klei­ nen Atelier im Keller nun wieder bessere Ar­ beitsmöglichkeiten. Seine Kunstwerke schei­ nen nach diesem Fußfassen noch lebensbe­ jahender und positiver geworden zu sein. überhaupt sind die Arbeiten Königs ge­ genständlich, spiegeln wohltuend Lebens­ freude, Harmonie, Schutz und Trost wieder. Sie sind ehrlicher Ausdruck der Grundstim­ mung des Künstlers und wurzeln in tiefem 258

,,Ecce homo „, Lindenholz, polychrom, 1990. ,Johannes der Tdtefer‘: Buche, 1994. Urvertrauen und religiöser Bindung. Es ist so, als ob sie dem Betrachter frei nach Jo­ hannes (I 0,10) zuriefen: ,,Ihr sollt das Leben haben und es in Fülle haben!“ Eine solche Kunst verdient es, hinausge­ tragen zu werden. Die eigenen Haus-Aus- stellungen wie die der Spaichinger Sparkas­ se, der Künstlergilde Donaueschingen, der Schwenninger Kunstscheune oder das Por­ trät in der Neckarquelle-Serie „Zeitgenos­ sen“ (160/1988) trugen dazu bei, Königs Ar­ beiten bekannter zu machen. Die im „Brigachtaler Kulturellen Herbst 1996″ im Heimatmuseum Brigachtal-Überauchen bis Ende November 1996 zu besuchende Groß­ Ausstellung ist sicher nicht die letzte Hom­ mage. Die Aussteller, das Bildungswerk St. Martin und die Gesellschaft für Altertums­ und Brauchtumspflege e. V., sind sich sicher, daß die Arbeiten und der Mensch Josef Kö­ nig den Landkreis bereichern. Winfried �gener ,,Napoleon Bonaparte‘: Buchenholz, 1994, 30 cm hoch, 40 cm breit. 259

Wo Kunst die Uhrenfabrikation ablöst Das „hanh art kunstprojekt“ in Gütenbach Seit Mai 1995 gibt es das hrmh art kunstpro­ jekt von Margot Sude und Claus-Volker Müller im Gebäude einer ehemaligen Uh­ renfabrik in Gütenbach im Schwarzwald. Dieses liegt an der L 173 und besitzt als weit­ hin sichtbares Zeichen eine überlebens­ große sehr eindrucksvolle menschliche Pla­ stik des Bildhauers Wolfgang Eckert. Die Renovation der Gesamtanlage mit über 1 500 qm Nutzfläche begann im No­ vember 1994 und soll im Laufe des Jahres 1996 abgeschlossen werden. Vielleicht wird das gesetzte Ziel, das Gebäude auch von außen seinem ehemaligen Originalzustand wie im Jahre 1887 anzugleichen, schon er­ reicht sein. Im Innern des Gebäudes finden professionelle Künstler aller Sparten Ar­ beits- und Wohnmöglichkeiten. Zur Zeit ar­ beiten hier zwei Bildhauer, zwei Malerin- nen, ein Percussionist und ein Schauspieler in großen, lichtdurchAuteten, abgeschlosse­ nen Ateliers. Zwar ist das Gebäude gegen­ wärtig ausgelastet, doch können sich Inter­ essenten für AtelierAächen gerne vormerken lassen. Zusätzlich zu den Ateliers gibt es weitere Räume. So findet man im Gebäude ein 110 qm großes Zimmertheater, in dem sowohl eigene Produktionen gezeigt werden, als auch auswärtige Theatergruppen agieren können. Die Hausherren selbst betreuen den 140 qm großen Galerieraum, der über alle Infra­ struktur für Ausstellungen, Seminare, Kurse und Feierlichkeiten verfügt (Licht, Stühle, Stellwände, Overhead, Flügel etc.). Erwei­ tert wird der Galerieraum durch das zirka 100 qm bietende Treppenhaus, welches sich Das „hanh arl kunstprojekt“ in Gütenbarh, im Vordergrund eine Plastik von Wo(fgang Eckert. 260

‚ in besonderer Weise für projekt fortlaufend Kurse Kunstausstellungen eig­ in den Bereichen Malerei, net. Ein 50 qm großes „Re­ Grafik und Plastik an, aber fektorium“ ist ebenfalls 4 auch Schauspiel und Tanz. verfügbar. ·• In kleinen Gruppen wird In diesen Räumlichkei­ auf anspruchsvollem Ni­ ten findet zweimal jährlich veau künstlerisch gearbei­ ein Kunstfest besonderer � tet. Aktmaikurse für sehr Art statt, welches eine Fortgeschrittene runden Welt jenseits der Massen- das halbjährlich wechsel- kultur widerspiegelt. Im • nde Kursprogramm ab. Hause arbeitende Künst- Kursleiter sind sowohl die ler, verstärkt durch be­ im Hause arbeitenden freundete Künstlerkolle­ Künstler als auch Gäste gen, stellen hier aus, so von nah und fern. daß sich rund zehn ver­ Durch die Ausstellungen, schiedene Künstler gleich­ die Kunstfeste, die The­ zeitig präsentieren. Erwei­ ater- und Konzertveran­ tert wird die Palette der Auch Tanz gehört zum Angebot des staltungen und das breite klassischen künstlerischen „hanh art kunslprojektes“. Kursangebot hat sich das Bereiche wie Plastik, Male- hanh art kunslprojekt mitt­ rei und Grafik, durch Vorführungen von lerweile auch überregional im Kultur-und Ballett, experimentellem Film, Musik, Thea­ Kunstbetrieb zu einer festen Größe ent­ ter und alle Formen der Kleinkunst. Zu die­ wickelt. sen Festen treffen sich etwa 250 Kunstinter­ Die günstige Lage zwischen Rheintal und essierte aus dem regionalen und überregio­ Baar ermöglicht es auch erfolgreich Fremd­ nalen Bereich. Die anschließenden Kunst­ seminare durchzuführen, wobei die regio­ ausstellungen sind immer gut besucht. nale Gastronomie die Teilnehmer von bür­ Der Erfolg des hanh art Kunstkonzeptes gerlich bis first-class versorgt. C!aus-Volker Müller liegt in der gezeigten Vielfalt. In der länd­ lichen Region fernab der Großstadt wird den Besu­ chern ein breites Spektrum von gegenständlich bis ab­ strakt geboten. Der Besucher findet was er sucht, wird aber auch mit anderem und neu­ em konfrontiert und ange­ regt, sich damit auseinander­ zusetzen. Neben diesen halbjährli­ chen „Events“ finden noch kleinere Dauerausstellungen statt, die nach Absprache ebenfalls besichtigt werden können. Während des Jahres Margot Sude und Claus-Volker Müller (links) bei der Eriiffmmg ih­ bietet man im hanh ar/ kunst- 261 res Kunstprojektes in Giitenbach.

Opus Spuma – Wiebelt-Installation in Schweden Die Ausstellung in der Kunsthalle von Lund hatte 22 000 Besucher Der Vöhrenbacher Bildhauer und Perfor­ mance-Künstler Bruno Wiebelt hat die schwedische Kunstszene auf sich aufmerk­ sam gemacht. Seine Installation „Opus Spu­ ma“ war bis zum 16. Juni in der Kunsthalle in Lund zu finden, der nach Malmö für Kunst bedeutendsten Stadt in Südschwe­ den. 22 000 Menschen besuchten die Aus­ stellung. Der Weg hin zur Installation zeichnet sich bei Wiebelt früh ab, dessen Werk über die Antroposophie deutbar ist. Es geht darum, das Lebendige und Natürliche in Formen sichtbar zu machen. In den Werken des in Schweden lebenden Vöhrenbachers werden vor allem jene etwas für sich entdecken, die über innere Aktivität verfügen, sie er­ schließen sich nicht von selbst. Der Mensch wird aufgefordert, sich seiner Sinne zu erin­ nern, zu empfinden. Dieses Tor zum Emp­ finden aufzustoßen, ist im Zeitalter der Technik und Sachlichkeit kein leichtes Un­ terfangen. Die positiven Stimmen der Kritik hatten ungewöhnlich viele Besucher in die Kunsthalle in Lund gelockt, die Installation ist so­ mit ein Meilenstein in Wie­ belts künstlerischem Schaf­ fen. ,,Opus Spuma“ nimmt die Kunsthalle mit der ver­ änderlichen Dynamik des Schaums in Besitz und ver­ mag selbst ihre starke Archi­ tektur zu brechen. Wiebelt schließt die Verbindungen zwischen den Ausstellungs­ räumen, die sonst den Besu­ cher rasch und ohne Ruhe­ pause durch jede Kunstschau schleusen. Es entsteht ein La­ byrinth, zu dem die Ausstel- Bruno Wiebelt 262 Jung die Karte darstellt. Der erste Raum zeigt paradoxerweise das Finale im Werk des Künstlers: An der Decke hängen große Behälter, gefüllt mit sich bewegendem Schaum, der selbst den leeren Boden dar­ unter, auf dem sich der Betrachter bewegt, einzunehmen droht. Längs der Wände hän­ gen datierte KJeiderbügel und bilden einen Fries, der die Losungsworte der Karte angibt, begleitet von rhythmisch zwischen Decke und Boden verteilten Glühbirnen. In den folgenden Räumen finden sich unterschied­ liche Skulpturen, alle übermalt in rostrot, ein Industriefarbton, aber auch die Farbe ge­ trockneter Rosen. Und um den Betrachter nicht auszuschließen, stellt Wiebelt Stühle in gleicher Weise aus, so daß man sich set­ zen und Teil der Installation werden kann. Man bewegt sich in einer konzeptuellen Landschaft. Bruno Wiebelt knüpft an einen naturwissenschaftlich-philosophischen Dis­ kurs über Bewußtsein und lnformation/Ex­ formation an. Wiebelt führt hier die Dis­ kussion über Maxwells Dämon weiter. Max­ well gilt heute als Vater der Thermodynamik, er stellte ei­ ne einfache Denkfigur darü­ ber auf, wie Moleküle mit un­ Fortbewe­ terschiedlichen gungsgeschwindigkeiten von­ einander zu unterscheiden seien. Maxwells Dämon, das vereinfachte Bild eines kom­ plizierten physikalischen Pro­ zesses, ist immer noch Thema von Spekulationen. Der Kon­ text aber hat sich verändert, denn im wissenschaftlichen KJima der J 990er Jahre be­ müht man sich um die Deu­ tung von Information, Kom- plexität, Ordnung, Chaos und

1 1 1 1 1 1 Zufall. Hier kommt Bruno Wiebelts Schaum zur Geltung. Die molekulare Struk­ tur des Schaums ist auf ein geometrisches, kristallines Muster festgelegt, nach außen hin strebt er aber ständig nach Ausgleich und nimmt daher zufällig Gestalt an. Die Dynamik des Schaums ist eine aktuel­ le Frage in den Kreisen der Physik. Schaum ist auch eine Metapher f’Lir menschliche Wahrnehmung, die jede Information in ei­ nem zufällig entstehenden Rhythmus nach Exinformation, nach Bedeutung, sortiert. Gegensatz zum veränderlichen Prozeß des Schaumes ist Salz. Salz kristallisiert in Wür­ feln, Salz konserviert, bewahrt. ,,Opus Spu­ ma“ kombiniert ständig unorganisches mit organischem Material. ,,Wissenschaft abstrahiert und schafft Mo­ delle, betrachtet die einzelnen Teile des Ganzen. Ich schaffe mir formale Systeme anhand unterschiedlicher Modulgrößen auf den Bildern, anhand des Rhythmus der Lampen, nur um sie auf einer anderen Ebe- 266 11 11 ,, ne wieder zu dekonstruieren. Die Ausstel­ lung zeigt ein Verhältnis zwischen Bewußt­ sein und Chaos, ich will kein vollständiges Chaos, wo keine Ordnung mehr zu finden ist, es ist ein Aspekt der Ordnung. Strenge Systeme umfassen auch große chaotische Gebiete“. Die Ausstellung ist ein Exformationspro­ dukt, ein Produkt des Schaffens von Bedeu­ tung, das bestimmte autobiographische Aspekte in einem anderen Zusammenhang setzt. Die Objekte in „Opus Spuma“ stam­ men aus früheren Installationen und Per­ formances, die man so aussortiert und gefil­ tert als Relikte früherer Erinnerungen wie­ dererkennt, die sich in der Ausstellung in ei­ nem anderen als dem vergessenen Kontext wiederfinden. Indem Wiebelt sein früheres Schaffen zu Relikten erklärt und die Objek­ te gegenseitig ins Verhältnis stellt, bilden sie neue Konzepte und Ausformungen. Beate Schirrmacher

Eine Stele zum Stadtjubiläum Wolfgang Kleisers Werk umfaßt 750 Jahre Vöhrenbacher Geschichte Die am 7. Mai 1995 enthüllte, drei Meter hohe Stele des Hammereisenbacher Bild­ hauers Wolfgang Kleiser ist die bleibende Erinnerung an das ein Jahr zuvor gefeierte 750jährige Jubiläum der Stadt Vöhrenbach. Das zwischen Volksbank und Kirche errich­ tete Bronzedenkmal geht auf eine bereits 1991 angestellte Überlegung des Arbeits­ kreises Stadtgeschichte der Heimatgilde ,,Frohsinn“ zurück, der mit dem im Jubi­ läumsjahr erschienenen Buch „Vöhrenbach im Schwarzwald – Neue Beiträge zur Stadt­ geschichte“, ein weiteres sichtbares Zeichen setzte. Obwohl die heimische Industrie von An­ fang an ihre Bereitschaft zur Mitfinanzie­ rung des Projektes signalisierte, geriet das Vorhaben 1994 kurzfristig ins Stocken. Die nun deutlicher werdenden Kosten überstie­ gen die Finanzkraft des kaum ein Dutzend Mitglieder zählenden Arbeitskreises Stadt­ geschichte, und erst als der Vorstand des Ge­ samtvereines die Verantwortung übernahm, konnte die Skulptur endgültig auf den Weg gebracht werden. Gewählt wurde die Form der Stele, weil diese die sieben Medaillons mit histori­ schem Bezug aufnehmen konnte, deren Themen der Arbeitskreis zusammen mit dem Künstler (über ihn berichtete der Alma­ nach 81, S. 135-138) ausgewählt hatte. Das Ergebnis haben wir vor uns: In großen Zif­ fern und Buchstaben ist der Grund der Er­ richtung dieses Denkmals angegeben: 750. Stadtjubiläum Vöhrenbach 1244-1994. Schauen wir uns nun die sieben geschaffe­ nen Szenen aus der Stadtgeschichte im ein­ zelnen an: Das Medaillon oben auf der Vor­ derseite zeigt die brennende Stadt. Zugrunde­ gelegt ist ein Gemälde aus der Zeit vor 1639. Am rechten unteren Bildrand sieht man Menschen, die ein Kind retten und mit Ent- setzen aus der Stadt fliehen. Oben sind die Jahreszahlen der Stadtbrände vermerkt. Die erste Brandkatastrophe war am 23. August 1544. Mehr als 100 Hofstätten wurden ein Raub der Flammen. Zum zweitenmal brannte die Stadt, als im Dreißigjährigen Krieg der in schwedischen Diensten stehen­ de Obrist Kanofsky mit etwa 1000 Mann am 2. April 1639 die Stadt an verschiedenen Stellen ansteckte. Es wurde „alles, was in der Ringmauer begriffen, in die Aschen gelegt.“ Eine Stele von Bildhauer Wo!fgang Kleise-r erin­ nert an das 750jährige Bestehen der Stadt. 267

Dreimal bmnnte die Stadt Vöhreubach fast voll­ ständig nieder. Der Sublodere-I-/nns ist die tmditionelle Pnsl­ nnchtif,gur der Heimatgilde „Frohsinn „. Am Pfingstmontag 1819 brannte die Stadt erneut; von 122 Gebäuden verbrannten 79, 17 wurden beschädigt. Noch heute erinnert die jährliche Gelübdeprozession am Pfingst­ montag zum Bruderkirchle an dieses ein­ schneidende Ereignis. Das Medaillon darunter trägt drei Gestal­ ten der Vöhrenbacher Straßen-Fastnacht, die Sublodere-Hrms-Gruppe: in Fuhrmanns­ tracht und mit dem Geschell, vor dem Ge­ sicht die von dem aus Vöhrenbach stam­ menden Bildhauer Josef-Albert Rißler 1952 in vier Varianten geschaffene Maske. Die Fi­ gur des Hansele gab es indessen schon im letzten Jahrhundert. Bereits 1845 wird in der Zeitung zum Nar­ rentreffen eingela­ den; 1863 wird die erste offizielle Nar­ rengesellschaft ge­ gründet, wie Wil­ fried Dold durch gründliche Recher­ chen seinem Vöhrenbacher Fast­ nachtsbuch nach- 111 weist. Die am 6. Februar 1949 gegründete „Heimatgilde Frohsinn“ sorgt dafür, daß die aus rheinischen und alemannischen Ele­ menten zusammengewachsene Fasnet bis heute voller Leben steckt. Den unteren Abschluß der Stele bilden zwei Hände, die sich vorsichtig zueinander tasten. Die Lettern M und V stehen als In­ itialen für Vöhrenbach und für die französi­ sche Parlnerstar/1 Morterm. Das Datum 2. 6. 1973 verweist auf den Partnerschafts­ vertrag, abgeschlossen in dem Jurastädt­ chen, von dem am 21. 9. 1974 750 Einwoh­ ner zur Gegenzeichnung nach Vöhrenbach kamen. Im Rahmen der 750-Jahrfeier hat Vöhrenbach mit zahlreichen Mor­ teauer Gästen 20 Jahre Partnerschaft gefeiert. Interessan­ terweise befindet sich die Stele mit dem Medaillon an der Stelle, wo bis zur Kirchenerwei­ terung 1953 das 268 Sich die Hände reichen: Parlnersrhafl mit Morletm.

70er-Denkmal stand, das am 18. Oktober 1889 mit einem Volksfest und mit patrioti­ schen Reden als Zeichen des Sieges über den „Erbfeind“ Frankreich gefeiert wurde. In der Tat ein denkwürdiger Wandel der Bezie­ hungen, der für die Zukunft verpflichtet. Das obere Bild auf der Rückseite zeigt sie­ ben Frauen, die auf einem Scheiterhaufen Die Sage von den sieben Jungfrauen, die beim Bruderkirchle verbrannt worden sein sollen. verbrannt werden; eine wirft den Schlüssel­ bund an den unteren Bildrand. Hinter der Gruppe ein gewalttätiger Mensch. Rechts das Bruderkirchle, das seit Jahrhunderten an der Steig an der alten Villinger Straße außer­ halb vom Städtle steht. Die Darstellung der drei Versionen dieser Sage hat Erna Huber im Almanach 84 (S. 130-133) ausführlich beschrieben. Eine Deutung besagt, beim Einfall der Hunnen hätten die Ratsherren dem Glauben abgeschworen, ihre Frauen dagegen hätten den Märtyrertod vorgezo­ gen, jede aber zuvor eine Unglücksbotschaft über die Stadt ausgesprochen. Und die letz­ te habe einen Schlüsselbund an einen Ort geworfen, wo sofort eine Qielle entsprang. In einer Karfreitagnacht könne ein reines Auge den Fisch mit den Schlüsseln ent- Der Ord;estrionbau machte Vöhrenbach in der ganzen Welt bekannt. trachter ein riesiges Orchestrion. Oben im decken und mit ihnen den Bann der Ver­ wünschungen brechen. Bis heute erfreut sich das sagenumwobene Bruderkirchle bei der Bevölkerung großer Beliebtheit. Im Medaillon darunter bestaunen zwei Be­ Bild ist vermerkt: Weite 1832 und lmhof & Muckle 1929. Ein Jahrhundert lang war Vöhrenbach ein Zentrum der Schwarzwäl­ der Musikindustrie (siehe Almanach 82, S.119-122). Begonnen hatte Michael Weite anno 1832. Vom Spieluhrenmacher wurde er zum Meister im Orchestrionbau. Seine Werke gingen nach Odessa und Kalkutta, nach St. Petersburg und Santiago de Chile; sein „Riesenorchester“ erregte 1862 bei der Londoner Weltausstellung großes Aufsehen. Zeitweise arbeiteten in Vöhrenbach über ein Dutzend Musikinstrumente-Hersteller; es gab Niederlassungen in London, St. Peters­ burg und New York. Besonders erwähnt sei die Fa. Imhof & Muckle, die außer in die europäischen Län­ der nach Kamerun, Ägypten, Indien, China und Australien lieferte. Ein Orchestrion für New York maß 12 m Breite und 5 m Höhe; 269

bei der Weltausstellung 1900 in Paris wurde ein ganzes T mhof-Orchester preisgekrönt. Doch 1929 war alles vor­ bei: Grammophon und Schallplatte hatten dem Orchestrionbau ein Ende gesetzt. Darunter im Rechteck sehen wir ein Bild der Talsperre im nahen Linachtal; 1922-25 gibt die Bauzeit an. Dem Text „Wie geht‘ s weiter?“ korrespondiert ein Mann, der sich mit beiden Händen an den Kopf greift. Geboren aus der Kohle­ knappheit der Nachkriegsjahre, pack- Die Linachtalsperre-undwiegeht’sweiter? te die Stadt Vöhrenbach dieses gewalti­ ge Projekt an, ein technisches Kulturdenk­ mal von internationalem Rang aus Eisen­ beton in aufgelöster Bauweise. Die Inflation behinderte den Fortgang der Arbeiten sehr und brachte die Stadt in große Verschul­ dungen. Die malerischen Notgeldscheine zeigen alle auf der Vorderseite die Talsperre (siehe Almanach 94, S.103/04). 45 Jahre lang lieferte das Werk den Strom für Bevöl­ kerung und Industrie. 1969 wurde es stillge­ legt; l 988 ließ man das Wasser ab und woll­ te mit der Instandsetzung beginnen. Doch seither ist nichts geschehen, weil die Finan­ zierung fehlt. ,,Wie geht es weiter?“ so fragt sich heute die ganze Bevölkerung. Neue In­ itiativen geben der Stadt jedoch Hoffnung. Den unteren Abschluß der Rückseite bil­ det ein trabender Esel. Er war durch viele Jahrhunderte das Vöhrenbacher Wappentier. Unrichtig ist, daß, wie zuweilen behauptet, dies die Strafe war für die Beteiligung am Bauernkrieg, wo am 8. Mai 1525 der fürstenbergische Obervogt von Neu-Für­ stenberg in Vöhrenbach durch die Spieße gejagt wurde. Das Eselwappen ist viel älter. Der Hänselei durch die Nachbarn über­ drüssig, ließ sich der Rat der Stadt im Jahr 1802 von Fürst Karl Joachim zu Fürstenberg (für 50 Gulden) in Gestalt der Forelle ein neues Wappentier geben, dem die Stadt bis heute treu geblieben ist. (Siehe Almanach 95, S. 25/26). Die Stele ist auf beiden Seiten mit einem vertikalen Zierband geschmückt. Auf der Vorderseite weisen Motive der Technik auf die Bedeutung der heutigen Industrie bin. Die Rückseite zeigt ein Zopfband, das an die im 19. Jahrhundert verbreitete Strohflechterei erinnert, durch die sich die Frauen mühsam ein kleines Zubrot verdienten. Am 7. Mai 1995, genau ein Jahr nach dem Festakt der 750-Jahrfeier, wurde die drei Meter hohe Jubiläumsstele feierlich enthüllt. Das sieben Zentner schwere Kunstwerk wurde in der Kunstgießerei Ernst Straßacker in Süßen gegossen und im Beisein von Wolfgang K.leiser pati­ niert. Die Stadt erstellte das Fundament und schuf das ansprechende Rondell aus Granitpflaster. Freiwillige Helfer be- Ein Esel als Wappentier. Im Jahr 1802 ersetzten die Vöhrenbacher dm Esel durch die Forelle. 270

Die Anlage neben der katholischen St. Martinskirche mit der Jubiläumsstele. werkstelligten die Aufstellung. ,,Errichtet durch die Heimatgilde, unterstützt von In­ dustrie, Bürgerschaft, Handel und Gewer­ be.“ So steht es in bronzenen Lettern auf der Stele. Etwa die Hälfte der Kosten übernahm die örtliche Industrie; Geschäfte und ein­ zelne Bürger trugen ihr Scherflein bei. An­ läßlich des Todes des nach den USA ausge­ wanderten und in Vöhrenbach beerdigten Albert Buchholz machten die Angehörigen eine größere Stiftung. Einige Vereine, insbe­ sondere die Heimatgilde selbst und der Ar­ beitskreis Stadtgeschichte, trugen zur Finan­ zierung bei. Zehn Wochen nach der Ent­ hüllung war das Kunstwerk bezahlt. Die Heimatgilde unter Leitung von Wolf­ gang Ruf, der Arbeitskreis Stadtgeschichte unter Vorsitz von Bernd Klausmann, der un­ ermüdliche Spendenwerber Hans Wolfer und das Entgegenkommen von Bildhauer Wolfgang Kleiser und der Kunstgießerei Straßacker haben die Realisierung der Stadt­ Stele ermöglicht. Mit ihren heimatge­ schichtlichen Motiven ist sie eine bleibende Erinnerung an das Fest der 750-Jahrfeier, ein Farbtupfer, der die Geschichte in beein­ druckenden Bildern lebendig erhält. Bernhard Adler Literatur: BADER, KARL SIEGFRIED: Beiträge zur älteren Geschich­ te der Stadt Vöhrenbach; Vöhrenbach 1965 (vergriffen). FURTWÄNGI.ER, FRANZjOSEI‘: Vöhrenbach, eine Schwan· waldgemeinde im Industriezeitalter; Vöhrenbach 1961 (vergriffen). ARBEITSKREIS STADTGESCHICHTE (Herausgeber): Die Li· nachtalsperre – Geschichte eines Baudenkmals der Schwamvaldgemcindc Vöhrenbach; Vöhrenbach 1990 (vergriffen). Dow, W ILFRIED: Vöhrenbach 1890 – 1935 Bildge· schichten aus der Musikwerke-Stadt. Dold-Verlag; Vöh· renbad1 1991. DOI.D, Wn.FRIED: Allen Wohl und niemand Wehe · Die Geschichte der Vöhrenbacher Fastnacht; Dold-Verlag, Vöhrenbach 1993. ARBEITSKREIS STADTGESCHICIITE (Herausgeber): Vöh· renbach im Schwanwald – Neue Beiträge zur Stadtge· schichte; Vöhrenbach 1994. 271

Gesundheit und Soziales Caritasverband feiert SOjähriges Bestehen Notaufnahmelager im zerbombten Bahnhof Donaueschingen stand am Anfang Damals im Mai 1945 – am Ende des Zwei­ ten Weltkrieges – herrschte Chaos, Hunger Obdachlosigkeit, Krankheit und Vertrei­ bung in ganz Deutschland. In diesen ersten Tagen und Wochen organisierten die Wohl­ fahrtsverbände Sofortmaßnahmen und Hil­ fen zur Linderung der Not und übernahmen die Verteilung der vielen Spenden, so auch im Schwarzwald-Baar-Kreis. Bei der Wei­ terverteilung von Kleidern und Lebensmit­ teln wurde Donaueschingen zu einem Umschlagplatz. In den Räumlichkeiten der Fürstlich Fürstenbergischen Brauerei wur­ den die Hilfsgüter sortiert, umgepackt und an die Caritasstellen Sigmaringen, Über­ lingen und Villingen weitergeleitet. Die Spenden wurden über die Pfarreien an die Bevölkerung weitergegeben. Mit Unterstüt­ zung der politischen Gemeinden, der Kir­ chengemeinden und dem tatkräftigen Enga­ gement von ehrenamtlichen Helfern konn­ ten im zerbombten Gebäude des Donau­ eschinger Bahnhofs eine Bahnhofsmission und in der Güterstraße in Baracken ein Not­ aufnahmelager eingerichtet werden. Dies war die Geburtsstunde der Institution Cari­ tas in Donaueschingen als Bezirksstelle des Caritasverbandes für die Erzdiözese Frei­ burg e.V. Die Caritasarbeit der Nachkriegsjahre war von spontanen Hilfsaktionen geprägt. Von 1946 bis 1950 befand sich in der Villa Dol- Das Elisabethenhaus in der Schu/stmße in Donaueschingen, Sitz des Caritas-Verbandes im Landkreis. 272

Ehrenamtlichkeitwird beim Caritasverbandgroßgeschrieben, auch bei „Essen atifRädem“. Den Mahl­ zeitendienst gibt es seit 1981. ly ein Heimkehrerheim fur aus der Gefan­ genschaft entlassene Soldaten, die wegen der Zonengrenze nicht zu ihren Angehöri­ gen zurückkehren konnten. Anfang der SOer Jahre entstand in der Friedhofstr. 25-29 ein Staatliches Über­ gangswohnheim fur Aussiedler und Vertrie­ bene, wodurch die Baracken in der Güter­ straße aufgelöst werden konnten. Bis in die 70er Jahre verhalf die Caritas Kriegsgeschä­ digten und durch den Krieg verschleppten Männern sowie heimatlosen Ausländern zu einer Heimat und einem Arbeitsplatz. Sie gab den Heimatvertriebenen neuen Mut und unterstützte sie in der Durchsetzung ih­ rer Rechte. Die Arbeit mit den Aussiedlern wurde gar ab 1989 zu einem neuen Schwer­ punkt im Aufgabenbereich des Caritasver­ bandes. Schon in den SOer Jahren wurden in den Sommerferien im Missionskonvikt St. Hein- rich Stadtranderholungsmaßnahmen fur Frauen und Mütter abgehalten. Beim Horn­ hof in St. Peter, später in Todtmoos, im Klei­ nen Walsertal und in Südtirol wurden über Jahre Zeltlager und Ferienerholungen fur Kinder organisiert. Zu Kleidersammlungen fur Flüchtlinge im Landkreis Donaueschingen fur das Durch­ gangslager in Friedland, fur Flut- und Kata­ strophengeschädigte und in jüngster Zeit fur Kriegsgeschädigte und Flüchtlinge in Ex-Ju­ goslawien wurde gleichfalls immer wieder aufgerufen. Seit 1988 werden die Räumlich­ keiten des ehemaligen „Konsums“ in der Haldenstr. 1 als Kleiderlager genutzt. Klei­ derspenden hiesiger Bürger kommen nach wie vor Familien in Notlagen, Alleinerzie­ henden und deren Kindern, älteren Men­ schen und ausländischen Mitbürgern zu­ gute. Am 15.0ktober 1947 wurde die Leitung 273

des Caritassekretariates Donaueschingen der Caritasschwester Gertrud Ober über­ tragen. Ihr folgte 1967 Lydia Hardenbicker nach. 24 Jahre organisierte Caritasarbeit gehörten bereits der Vergangenheit an, als Pia Brenner (Almanach 95, S. 9lf) die Ge­ schäftsführung des Caritasverbandes für den Landkreis Donaueschingen übernahm. In der Anfangszeit beschränkte sich ihre Dienstaufsicht auf eine Mitarbeiterin in der Verwaltung und zwei hauptamtliche Famili­ enpflegerinnen. Erst im Jahr 1981 stellte das Erzb. Ordinariat in Freiburg Mittel zur Fi­ nanzierung einer zweiten Sozialarbeiterin bereit, so daß sich Pia Brenner von da an stärker dem Auf- und Ausbau der Verbands­ tätigkeit zuwenden konnte. Im Laufe der Jahre wurden folgende Auf­ gaben weiterentwickelt oder neu aufgebaut: 1977 Anerkennung als Beratungsstelle§ 218 b StGB (Schwangerschaftsabruch) 1981 Übernahme der sozialen Betreuung von Flüchtlingen im Staat!. Ausländerwohn­ heim Donaueschingen, Ausbau des Mahl­ zeitendienstes „Essen auf Rädern“ 1982 Hilfslieferungen nach Polen Hi!fstranspor/ nach Zagreb, auch den Menschen in Kroatien und Bosnien hfll der CflrilflSverbtmd des Schwflrzwa/d-Baar-Kreises vielfad, geho!fen. 274 1984 Einstellung von Zivildienstleistenden 1985 Ausbau der Hilfen zur Entlastung pfle­ gender Angehöriger von Behinderten, Ein­ richtung des Hausnotrufdienstes, Einstel­ lung einer Sozialarbeiterin für Aufgaben der Altenhilfe 1986 Übernahme der Betreuung von Asyl­ bewerbern im Schwarzwald-Saar-Kreis 1987 Einrichtung des Sozialpsychiatrischen Dienstes 1988 Renovation des Elisabethenhauses und Umzug der Geschäftsstelle in die Schul­ straße, Aufbau von Gesprächskreisen für pflegende Angehörige 1989 Übernahme der sozialen Betreuung von Aussiedlern im Staat!. Übergangs­ wohnheim „Maria Tann“ in Unterkirnach, Einrichtung einer Koordinatorenstelle im Bereich „Altenhilfe“, – 1990 jährliche Hilfe­ leistungen nach Polen. 1990 Aufbau von Hilfen für Alleinerzie­ hende, Schulung von Nachbarschaftshelfer­ gruppen und -leiterinnen, Hilfslieferungen nach Rußland 1991 Anmietung des ehemaligen Missions­ hauses St. Heinrich in der Sennhofstr.6 1992 Errichtung einer 1. Wohngemeinschaft für psychisch Erkrankte in Donaueschingen, Aufbau eines ambulanten Hospizdienstes in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk im Schwarzwald-Baar-Kreis, Hilfslie­ ferungen nach Kroatien und Bosnien. 1993 Hilfslieferungen nach Kroatien und Bosnien, Errichtung einer lAV-Stelle für äl­ tere Menschen im Städtebereich Blumberg, Bräunlingen, Donaueschingen und Hüfin- gen. 1994 Einstellung einer Sozialarbeiterin für

Auch das Sammeln von Kleiderspenden für Bediiiftige ist eine Aufgabe der Caritas. Aufgaben des Caritas-Sozialdienstes, Hilfs­ lieferungen nach Karlovac (bosnische Gren­ ze), Gründung des Caritasverbandes für den Schwarzwald-Baar-Kreis e.V. am 18. 5. 94, Errichtung einer 2. Wohngemeinschaft für psychisch Erkrankte in Vöhrenbach. Außerdem wurden bis zu Beginn der 90er Jahre Maßnahmen der Kinder-, Familien­ und Altenerholung sowie bis 1994 Freizeit­ maßnahmen für Kinder, Familien, Alleiner­ ziehende und ältere Menschen durchge­ führt. Als Folge des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 mußte sich der Caritasverband ei­ ner Neuorganisation unterziehen mit dem Ergebnis, daß der Caritasverband für den Landkreis Villingen in den Caritasverband für die Stadt Villingen-Schwenningen e. V. mit Sitz in Villingen und der Caritasverband für den Landkreis Donaueschingen in den Caritasverband für den Schwarzwald-Baar­ Kreis mit Sitz in Donaueschingen umge- wandelt wurde. Einzugsgebiete des Caritas­ verbandes für den Schwarzwald-Baar-Kreis sind nunmehr der gesamte Landkreis – aus­ genommen die Stadt Villingen-Schwennin­ gen – sowie die Gemeinden Tennenbronn im Landkreis Rottweil und Geisingen, Im­ mendingen, Tuttlingen-Möhringen, Tuttlin­ gen-Eßlingen und Emmingen-Liptingen im Landkreis Tuttlingen. Nach zähen Verhand­ lungen wurde der Caritasverband als letzter Verband in der Erzdiözese Freiburg am 18. Mai 1994 in seine Selbständigkeit entlassen und in einen eingetragenen Verein um­ gewandelt. Seit dem 1. Juli 1994 ist die Päd­ agogin Dr. Gabriele Schmid Leiterin der Be­ zirks- und Geschäftsstelle. Während der vergangenen 50 Jahre muß­ te die Caritas-Bezirks- bzw. Geschäftsstelle immer wieder ihre Räumlichkeiten wech­ seln, vom Pfarrhaus „St. Johann“ (1945/47) ging es über drei Stationen bis ins Elisa­ bethenhaus ( Schulstr. 3), das 1988 bezogen wurde. Gabriele Schmid 275

100 Jahre DRK-Ortsverein Villingen e. V. Hauskrankenpflege war in den Gründerjahren ein Schwerpunkt Der Ortsverein Villingen des Deutschen Roten Kreuzes zählt mit 3 215 Mitgliedern zu den mitgliederstärksten Vereinen nicht nur Villingen-Schwenningens, sondern des gesamten Landkreises. Er geht direkt hervor aus der 1896 aufgestellten „Freiwilligen Sa­ nitätskolonne des Kriegervereins Villingen“, die jedoch nicht die erste Rotkreuz-Organi­ sation am Ort war. Bereits am 13. Juli 1859 gründete der Vorstand des Bezirksamtes den „Zweigverein Villingen vom Badischen Frauen-Verein mit Sitz in Karlsruhe“. Er folgte damit einer Anregung von Großher­ zogin Luise vom 4. Juni 1859, die in Hin­ blick auf den „Italienischen Krieg“ vorge­ schlagen hatte, vorsorglich „Vereine von Frauen durch das ganze Land zu bilden, die sich das Helfen jetzt und dann die Vorbe­ reitung zur Hilfe fur spätere Zeit zur Aufga­ be machen …. Für den Fall des Kriegsaus­ bruchs seien Mittel anzusammeln, fur Krankenpflege Vorsorge zu treffen, mit dem Sammeln von Leinen, Verbänden, Charpie u. dgl. zu beginnen.“ Daraufüin haben sich bis Ende Juni 1859 in ganz Baden 37 Zweigvereine gebildet, de­ nen noch weitere gefolgt sind. Die Schlacht von Solferino am 24.Juni 1859 und der Frie­ de von Villafranca haben den Kriegsaus­ bruch fur Baden verhindert, der Badische Frauenverein blieb jedoch weiterbestehen und erweiterte sein Aufgabengebiet „auf Hilfe in besonderen Notständen, Unter­ stützung einzelner, in Not geratener Famili­ en, besonders durch richtige Krankenpflege, gute körperliche und sittliche Erziehung der Kinder, Ordnung und Reinlichkeit in den Haushaltungen“ und anderes. 1866 trat der Badische Frauenverein dem durch Genfer Konvention 1864 geschaffe­ nen Roten Kreuz bei. Der Zweigverein Vil­ lingen setzte sich als Schwerpunkt seiner 276 Tätigkeit die Hauskrankenpflege, gründete 1871 den ersten Kindergarten in Villingen und hatte ab ca. 1879 jahrelang die Mitauf- sicht über die Arbeitsschule für Mädchen. Ab 1894 verfugte der Zweigverein Villingen über ein eigenes, zweistöckiges Haus vor dem Oberen Tor (ehemals Klosterring Nr. 16). 1897 hatte der Verein sieben Barmher- zige Schwestern vom Heiligen Kreuz ange- stellt und zählte mit 1112 Mitgliedern zu den größten Zweigvereinen des Badischen Frauenvereins. Zusätzlich zu der Hauskran­ kenpflege engagierte sich der Zweigverein Villingen aber u. a. auch bei Katastrophen­ fällen, so 1893 beim Brand von Klengen, durch welchen innerhalb von anderthalb Stunden 122 Häuser ab­ brannten und 500 Perso· nen obdachlos wurden. Hier sammelte und ver­ teilte der Zweigverein Vil­ lingen zahlreiche Sach­ und Geldspenden. Als im gleichen Jahr in Villingen drei Häuser abbrannten, darunter ein Gebäude, ,,in dem 16 Familien mit 73 Köpfen Armenwohnun­ gen inne hatten“, sammel­ te wiederum der Frauen­ verein Kleider, Stiefel, Schuhe, Weißzeug, Betten und Möbel. Inhaltlicher Schwerpunkt des Zweig­ vereins Villingens blieb je­ doch weiterhin die Haus­ krankenpflege, auch wenn er während des Ersten Weltkrieges Schwestern­ helferinnen-Kurse veran­ staltete und satzungsge­ mäß weiter Aktivitäten Die Sanitätskolonne de.

zur Linderung der Kriegsnot entwickelte. Wohl gedrängt von kirchlicher Seite trat der Zweigverein Villingen am 8. Dezember 1928 mit seinem Vermögen aus dem Roten Kreuz aus und wurde ein eigener, eingetra­ gener Verein mit dem Namen „Frauenverein e. V Villingen“, heute „Krankenpflegeverein St. Elisabeth Villingen e. V in der kath. So­ zialstation Villingen-Schwenningen“. Nun war die Freiwillige Sanitätskolonne des Kriegervereins Villingen, neben dem in­ aktiven Männerhilfsverein, die einzige Rot­ kreuzorganisation in Villingen. Sie bestand seit dem 10. Oktober 1896 als eine Abtei­ lung des Kriegervereins. Der jeweilige Vor­ stand des Kriegervereins war gleichzeitig Vorstand der Kolonne; von den Mitgliedern gewählt wurde neben dem Kolonnenführer der Sectionsführer, der Schriftführer und der Kassier. Die medizinisch fachliche Aus­ bildung leistete der Kolonnenarzt, der in der Anfangszeit der jeweilige Bezirksarzt war. Bereits früh erfreute sich die Kolonne of­ fensichtlich großer Sympathie, wie dem Vil­ linger Volksblatt 1903 zu entnehmen ist: ,, … Über die Tätigkeit der Sanitätskolonne wurden nur Worte wärmster Anerkennung laut. Wenn ein Unglücksfall vorkam, waren stets die Sanitäter als erste auf dem Platze und sorgten in fachkundiger Weise für Un­ terbringung der Verletzten . … “ Das Selbst­ bewußtsein der Kolonne wird daran deut­ lich, daß sie 1909 in Villingen eine Gau­ übung veranstaltete. Selbstverständlich eilte die Kolonne Villingen 1908 beim Stadt­ brand in Donaueschingen und 1911 beim ,,Brandunglück in Engen“ und beim Stadt­ brand in Grüningen zur Hilfe. Der Aufbau der Kolonne zog sich bis ca. 1911/ 12 hin. Ab da verfügte sie über einen Mindestbe­ stand an notwendiger Ausrüstung, hielt re­ gelmäßig Übungsstunden und Abschluß- ‚Vereins Villingen während einer Gau-Übung im August 1909. 277

übungen ab, unterhielt einen funktionie­ renden Rettungsdienst und hatte eine über­ sichtliche Finanzlage. Ab 1910 bis zu sei­ nem Tod 1931 war Dr. Stöcker Kolonnen­ arzt. In den Jahren seiner Tätigkeit führte er die Kolonne auf ein sehr hohes Ausbil­ dungsniveau, wobei ihm die große Motiva­ tion der Kolonnenmitglieder und ihrer Füh­ rer entgegen kam. Seine Technischen Ver­ besserungen im Rettungswesen machte er überregional und reichsweit bekannt. So zeigte er auf der Bezirksübung 1923, die von der Sanitätskolonne Villingen abgehalten wurde, ein von ihm „ erdachtes System“, bei welchem „die Tragbahren in eine Art quer­ liegender hölzerner Schlittenkufen gestellt (wurden), … und durch Seile und einen be­ gleitenden Sanitätsmann gesichert, konnten dieselben mit ihrer Last ruhig und mühelos auf den Leiterbäumen abgleiten … “ 1925 das erste Sanitätsauto im Einsatz Eine weitere Erfindung war die Villinger Seilbahn, die einen schnelleren und fast schmerzlosen Transport von Verletzten in steil abfallendem, schwierigen Gelände er­ möglichte. Die Kreativität ihres Kolonnen­ arztes regte offensichtlich auch die Kolon­ nenmitglieder an. So konstruierte Kolon­ nenfuhrer Karl Ketterer um 1930 einen zer­ legbaren „Schischlitten zum Transport von Verletzten und Kranken bei Schnee.“ Hohe Maßstäbe setzt sich die Kolonne auch bei der Verbesserung des alltäglichen Rettungs­ dienstes. Ausdruck dafür ist die Anschaffung eines Sanitätsautos im Jahr 1925, was einen enormen finanziellen Kraftakt bedeutete. Im gleichen Jahr richtete sie zusätzlich zur Hauptmeldestelle „Polizeiwache“ drei wei­ tere telefonisch erreichbare Unfallmelde­ stellen ein, und 1927 hatte die Kolonne ein ebenfalls telefonisch erreichbares Wachlokal für den Wochenenddienst. Zwischenzeit­ lich, J 924, ist die Kolonne selbständig ge­ worden, nachdem sie bereits 1911 vom Krie­ gervere111 zum Männerhilfsverein überge- 278 wechselt hatte. Der Aufschwung der Kolon­ ne hielt auch nach 1933 an: die Mitglieder­ zahl vergrößerte sich, wobei seit 1935 zwi­ schen weiblicher und männlicher Bereit­ schaft unterschieden wurde. 1935 wurde ein zweites Sanitätsauto angeschafft und 1936 konnte sie im Erdgeschoß des ehemaligen Waisenhauses (heute: Franziskanermuse­ um) ihre ersten, eigenen Vereinsräume ein­ weihen. Die Leistung der Kolonne war bei der Be­ völkerung weiterhin gut angesehen: ,,Daß die Villinger sich angewöhnt haben, immer und zuerst bei Unfällen oder schwerer Krankheit die Kolonne anzurufen, sei das schönste Zeichen dafür, wie hervorragend sie sich bewährt habe“, erklärte der Kolon­ nenführer bei der Einweihung des Vereins­ heimes. Der „Abschnittsführer Südost“ stell­ te im Anschluß an eine Übung der Kolonne im Jahr 1936 fest: ,,So ausgezeichnete Lei­ stung wie heute bei der Villinger Kolonne habe er noch bei keiner anderen gesehen.“ Wie bereits im Ersten Weltkreig, so waren auch im Zweiten Weltkrieg die Kräfte der Kolonne auf den Kriegsschauplätzen ge­ bunden, wobei der Rettungsdienst vor Ort weiterhin aufrechterhalten wurde. Unver­ mindert ging die Arbeit der beiden Bereit­ schaften nach Kriegsende weiter. Es mußten nicht nur Verwundete, Gefangene und Ge­ flüchtete versorgt, sondern auch Übernach­ tungsheime eröffnet und betreut werden. 1950 wurde in Villingen das Jugendrotkreuz gegründet, das bereits 1954 „unter den Ju­ gend-Rot-Kreuz-Gruppen des Landes, wenn nicht des Bundes, … an der Spitze (steht).“ 1954 übernahm der Ortsverein den Kran­ kentransport und nahm nun auch im Kran­ kentransport im südbadischen Raum eine führende Stellung ein. Der Zeitraum Ende 50er, Anfang 60er Jahre, brachte für den Ortsverein als neue Aufgabenstellung ne­ ben der verstärkten Ausbildung der Bevöl­ kerung in „Erster Hilfe“ die Blutspendeakti­ on und die Reihenröntgenuntersuchungen, wobei die beiden erstgenannten Aufgaben

Die Bereitschaft des DRK-Ortsvereins Villingen im Oktober 1938. auf große Resonanz in der Bevölkerung stießen. 1962 bezog der Ortsverein seine Räume im Eckhaus Josefsgasse/Kronengas­ se, die er aufgrund seiner guten Zusammen­ arbeit mit der Freiwilligen Feuerwehr von dieser dort vermittelt bekam. Im Zuge der Städtepartnerschaft zwischen Villingen und Pontarlier nimmt der Ortsverein 1964 Kon­ takt zur Blutspendervereinigung Pontarlier auf. Bei wechselseitigen Besuchen spendete man Blut, lernte die jeweilige Blutspende­ zentrale kennen und war gesellig beisam­ men. Großen Wert legte der Ortsverein auf eine gute Ausbildung seiner Aktiven. Der hohe Ausbildungs- und Leistungsstand kam bei Übungen und in der Plazierung bei Wett­ kämpfen zum Ausdruck. So 1972 bei der Kreisübung, bei welcher fünfeinhalb Stun­ den lang mehr als 200 Helfer der Kreisbe­ reitschaft und der Feuerwehr im Einsatz standen, ,,bei dem den Akteuren nichts, aber auch gar nichts geschenkt wurde“, wie auch bei den zahlreichen, z. T. sehr aufwendigen Übungen des Ortsvereins. 1970 belegte die Bereitschaft beim Landesentscheid Südba­ den den 2. Platz und 1971 beim gleichen Landesentscheid den 1. Platz. Der Landes­ entscheid 1971 wurde in Villingen im Rah­ men des 7Sjährigen Jubiläums des Orts­ vereins ausgerichtet. Bei der Jubiläumsfeier sprach der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Anton Schlögel, dem Orts­ verein Villingen seine „ besondere Anerken­ nung“ zu dem ausgezeichneten Ablauf der 7Sjährigen Jubiläumsfeier aus und fuhr fort: ,,Das Rote Kreuz in Villingen ist offensicht­ lich sehr rührig und steht in vielen Punkten an der Spitze.“ 1971 veranstaltete der Orts­ verein zum ersten Mal einen Ausflug für die Bewohner des Städtischen Altenheimes ,,Heilig-Geist-Spital“, 1972 führte der Orts- 279

verein den „Mittagstisch auf Rädern“ ein, und 1975 eröffnete er die von der Stadtver­ waltung in eigener Verwaltung übernomme­ ne Seniorenbegegnungsstätte. Diese Stätte der Begegnung wurde von Rosa Bächle (Almanach 88, S. 78-80) betreut, die wegen ihres selbstlosen Einsatzes im Roten Kreuz mit dem Bundesverdienstkreuz und der Me­ daille des Landes Baden Württemberg aus­ gezeichnet wurde. Die beim „Tag der offe­ nen Tür“ 1978 zu besichtigenden Räume des Ortsvereins im Erdgeschoß des in unmittel­ barem Anschluß an das „Rot-Kreuz-Haus“ gebauten Wohnblocks, stellten insofern ei­ nen Meilenstein in der Geschichte des Orts­ vereins dar, als dort diese Räume erstmals ei­ gentümlicher Besitz des Ortsvereins sind. Diese Leistung ist auf den damaligen Ersten Vorsitzenden, Bürgermeister a. D. Max Mül­ ler, zurückzuführen, der nach seinem Aus­ scheiden aus dem Amt zum Ehrenvorsit­ zenden gewählt wurde. 1988 weihte der Ortsverein im Erdgeschoß der benachbarten „Krone“ neue Tagungs­ und Schulungsräume ein. Im gleichen Jahr gab der Ortsverein Villingen seine Abtei­ lung Krankentransport an der Kreisverband ab. In diesem Zusammenhang wurde daran erinnert, daß der Ortsverein Villingen bei der Menschenrettung eine Pionierrolle im Kreisgebiet übernommen hatte: ,,In Villin­ gen gab es zuerst den Notarztdienst und ei­ ne Rettungsleitstelle“ (Almanach 83, S. 73- 75). Auch die folgenden 18 Jahre waren für den Ortsverein angefüllt mit harter Arbeit für den Dienst am Nächsten. Sei es als Wache bei Sportveranstaltungen, Sommerfesten, der Fasnacht und bei Zirkusaufuitten, sei es im ehrenamtlichen Einsatz im Rettungs­ dienst, in der Leitstelle, in der Sozialarbeit oder sei es bei der Ausbildung weiter Bevöl­ kerungskreise in der Ersten Hilfe. Selbstverständlich legt der Ortsverein auf die eigene Ausbildung größten Wert: in wöchentlich 1,5 Stunden werden die Bereit­ schaftsmitglieder mit Arztvorträgen und 280 praktischen Übungen aus- und fortgebildet, mehrstündige Freilandübungen im Frühjahr und im Herbst ergänzen die Ausbildung. Ei­ ne große Rolle spielt die Ausbildung auch bei der Jugendrotkreuzgruppe, die darüber hinaus noch zahlreiche Aktivitäten für ihre Mitglieder entwickelt. Landesweit herausge­ hoben hat den Ortsverein seinen Einsatz für den Blutspendedienst. 1994 konnte er die größte Zahl Erstspender in Baden-Würt­ temberg aufweisen. Täglich fahrt er heute 46 Schüler in die Sonderschule oder in den Vorschulkindergarten, und täglich versorgt er 80 bis 100 Personen mit Essen dutch den ,,fahrbaren Mittagstisch“. Besonders bemüht sich der Ortsverein um die älteren, sozial schwachen Mitbürger un­ serer Stadt. Jährlich veranstaltet er für sie eine Weihnachtsfeier mit abwechslungs­ reichem Programm. Zusätzlich zu der ko­ stenlosen Bewirtung beschenkt er jeden der 150 bis 160 Gäste mit Geld und einem Christstollen. Großer Beliebtheit erfreut sich ebenfalls die täglich geöffnete Altenta­ gesstätte, nicht nur bei den betagten Bür­ gern, sondern auch als Clubraum verschie­ dener Vereine, wie dem Südstadtclub, der ostpreußischen Landsmannschaft, den „Alurentnern“ und dem „Internationalen Frühschoppen“ am Fasnet-Zieschtig. 18 Frauen arbeiten ehrenamtlich in der Alten­ tagesstätte. Unter Leitung von Dr. jur. Peter Bergmann konnte der Ortsverein im Ju­ biläumsjahr 1996 die neuen Räume im DRK- Zentrum am Benediktinerring bezie­ hen. Mit den im Jubiläumsjahr neu bezoge­ nen und eigenfinanzierten Räumen im DRK- Zentrum im Benediktinerring verbes­ serte der Verein weiter seine Einsatzmög­ lichkeiten zum Wohle der Mitmenschen und Bürger der Stadt. Dr. jur. Peter Bergmann (Die Zitate wurden der Festschriji des Ortsver­ eins zum JOOjährigenjubiläum entnommen.)

Natur und Umwelt Neue Elektrizität aus dem Bregtal Ernst Zwick investiert 2,8 Millionen Mark in ein Wasserkraftwerk Gearbeitet haben sie, daß buchstäblich die Wände wackelten: bei den umfangreichen Erdbewegungen, die nötig waren, um zwi­ schen Hammereisenbach und Zindelstein das neue Wasserkraftwerk an der Breg aus dem Boden zu stampfen, haben der Wol­ terdinger Zimmermann Ernst Zwick und seine Helfer des öfteren Dynamit gebraucht, um den Fels zu bezwingen. Im Mai ’95 lie­ ferten die Aggregate erstmals Strom ins Netz, Ende Juli ging die Einweihung des 2,8 Millionen Mark teuren Projekts, das voll­ ständig in Eigen- und Privatinitiative erstellt wurde, im Beisein zahlreicher Prominenz über die Bühne. Bis dahin hatte die gesam­ te Bevölkerung über Jahre hinweg regen An­ teil am Geschehen genommen. Dort, wo früher der „Bregtäler“ gen Furt­ wangen dampfte, hatte sich die Natur das Terrain zurückerobert. Das Tal mußte für den Kraftwerkbau auf einer Länge von meh­ reren hundert Metern umgegraben werden, um über eine komplett aus Holz gefertigte und unterirdisch verlegte Daubenleitung aus Holz genügend Gefalle für die Turbinen zu erzeugen. Der Weg zum frischgebacke- Tausende kamen zu den Eröffnungsfeierlichkeiten, verbunden mit mehreren „Tagen der offenen Tiir‘: um im Juli 1995 das Wasserkraftwerk von Ernst Zwick zu sehen, das an der Gemarkungsgrenze Hammer­ eisenbach/Wolterdingen erbaut wurde. 281

Das Innenleben des Wasserkraftwerkes Zwick, das Maschinenhaus, wurde bei den „Tagen der offenen Tür“ gleirhfalls in Augenschein genommen. nen „Elektrizitätsversorger“ war dabei für Ernst Zwick nicht nur deshalb ein steiniger, weil neben den normalen Baggern und Rau­ pen auch zwei Tonnen Sprengstoff zum Ein­ satz kamen, um rund zehntausend Kubik­ meter Fels von der Stelle zu bewegen. Denn allein mit dem mutigen Plan, an der Fi­ schersäge Strom aus den Fluten der Breg zu gewinnen, war es längst nicht getan. Zahl­ reich sollten die Hindernisse sein, mit denen Zwick sich auseinanderzusetzen hatte, nach­ dem er bereits 1986 ausgekundschaftet hat­ te, ob das Gelände für diese Zwecke geeignet sei. Mit den anliegenden Ortschaften Ham­ mereisenbach (Vöhrenbach) und Wolter­ dingen (Donaueschingen) sowie den betrof­ fenen Forstämtern von Blumberg, dem staatlichen in Donaueschingen sowie dem Fürstlichen Fürstenbergischen in der Do­ naustadt war er sich rasch einig. Nachhaltig gestalteten sich indessen die Schwierigkeiten mit der Naturschutz- und der Wasserwirt- 282 schaftsbehörde, mit den Kanusportlern und dem Fischereiverband. Die Angler befürch­ teten zu niederschlagsärmeren Zeiten ein re­ gelrechtes Trockenfallen der an der Fischer­ säge bisweilen ohnehin nur noch bei relativ niedrigem Wasserstand träge dahinplät­ schernden Breg. Mehrere tausend Liter Was­ ser, die pro Sekunde abgezapft werden, um die Schaufeln von zwei Turbinen anzutrei­ ben, wollen erst einmal verkraftet sein. Zum weiteren Handicap geriet die Tat­ sache, daß die Landesregierung trotz des fortgeschrittenen Planungsstadiums zwi­ schendurch einen bereits zugesagten Zu­ schuß wieder strich. Begründet wurde dies mit ökologischen Erwägungen, ebenfalls in Verbindung mit den am Kraftwerk vorbei­ zuleitenden Restwassermengen, denen vor der umweltfreundlichen Nutzung der Was­ serkraft nun doch erheblich stärkeres Ge­ wicht beigemessen wurde. Genauestens ge­ prüft wurde das Bauvorhaben natürlich im

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Stationen eines Krafiwerkbaues: Damit die zwei Turbinen im Maschinenhaus {links unten) bis zu 8 500 Liter Bregwasser pro Sekunde in Strom umwandeln können, war überall Präzisionsarbeit verlangt. Landratsamt: die Genehmigung zum Be­ treiben des Wasserkraftwerks gilt für 60 Jah­ re – da schaut man schon mal genauer hin. Bis vor das Verwaltungsgericht nach Frei­ burg ging 1993 schließlich der Streit, der da­ mit endete, daß nicht ganz ein halber Ku­ bikmeter, genauer gesagt: 438 Liter Wasser pro Sekunde für ausreichend gehalten wur­ den, um Flora und Fauna nicht verdorren zu lassen. Zeit, Geld und eine Menge Nerven hat den Wolterdinger Zimmermeister das gekostet, was für ihn zwischenzeitlich zum „Lebenswerk“ geriet. Auf nicht weniger als eine Million Mark beziffert er heute die Ko­ sten, die ihm dadurch entstanden, daß der Baubeginn ein ums andere Mal hinaus­ gezögert wurde. Eine Veränderung ergab sich für die Kanuten: Die „Fischtreppe“, die eingerichtet wurde, um den Kiemenatmern einen Durchlaß zwischen den ober- und un­ terhalb des Kraftwerks gelegenen Laichplät­ zen zu schaffen, reicht dem Menschen in seinem schwimmenden Behältnis eben nicht aus. Die Wassersportler müssen ihre Boote über eine Distanz von etlichen hun­ dert Metern tragen. Als im August 1993 endlich der „Rote Punkt“ vorlag, gingen Zwick und seine Mit­ arbeiter mit voller Kraft ans Werk. Allein 1 800 Kubikmeter Beton, 50 Kubikmeter Holz und 90 Tonnen Stahl wurden im Tur­ binenhaus verarbeitet, das sich unweit des ,,Schwarzen Buben“ am Zindelstein auf­ grund seiner Schwarzwald-Bauweise nach außen hin recht unscheinbar in die Land­ schaft einfügt, tatsächlich aber mit einem 284

zweiten „Tiefgeschoß“ und einem sechs Me­ ter unter der Erdoberfläche installierten Ag­ gregat beträchtliche Dimensionen aufweist. Hier rotieren eine Kaplan-Rohrturbine, die maximal 3 300 Liter Wasser pro Sekunde umsetzt, und ein moderneres Francis-Ag­ gregat mit bis zu 5 200 Litern Durchsatzver­ mögen pro Sekunde. Dafur, daß das Ma­ schinenhaus bei höheren Wasserständen und größeren Sturzfluten, wie sie den Breg­ städten in den vergangenen Jahren immer wieder enorme Überschwemmungen be­ scherten, nicht einfach „untergeht“, sorgt das stromaufwärts gelegene ,;wasserschloß“. Ein Durchflußbauwerk aus Beton, in dem sich tosende Fluten von gerade noch ver­ kraftbaren Wassermengen durch eingeengte Rohrdurchmesser teilen. Zwischen hier und dem Einflußbauwerk an der Fischersäge liegen mehrere hundert Meter des unterirdisch verlegten Holzdau­ benrohres, das sich an einer Stelle – freilich unsichtbar, weil unter der Wasseroberfläche gelegen – in einer Art Kreuzungsbauwerk so­ gar mit der Breg überschneidet. Fast 600 Ku­ bikmeter Kiefernholz wurden für diese mehr als mannshohe Röhre verbraucht, die wie die Spanten eines alten Bierfaßes, in mühevoller Kleinarbeit von Metallbändern umklammert, angefertigt und durch den natürlichen Qyellvorgang des nassen Hol­ zes nahezu selbsttätig dicht wird. Im Nor- ·- D‘ Fürspritzi un d‘ Orgle Dr Gmainderot von Dunderschla, der het e schweri Sitzing gha.Vor elf Woche im Gma­ indihus, do sin bal alli Gmaindrät obenus. E Fürspritzi hen si brucht un e Orgle zu gli­ che Zit, aber für beidi Teil langet’s Geld halt it. Drum schlage si Rot, di Manne am Tisch, wells von beide Teil ’s wichtigste isch. malfall funktioniert das hervorragend, im vorliegenden Fall mußten die Wolterdinger Zimmerleute dann doch noch einige Male mit Zement nachhelfen. Hart zu kämpfen hatten Zwick und seine Mannen dann noch einmal im Frühjahr 1995, als starke Regenfälle den Fortgang der Arbeiten am Einlaufbauwerk und dem dort zu montierenden Klappwehr behinderten. Stolz ist der Zimmermann heute aber auch auf die Fischtreppe in Naturbauweise, die auf der dem Einlaufbauwerk gegenüberlie­ genden Uferseite eher an einen ganz nor­ malen Bach, als an eine künstliche Passage für die Flossentiere erinnert. Als Ende Juli Wolterdingens Pfarrer Wer­ ner Arnold seinen Segen über das Wasser­ kraftwerk sprach, kamen tausende von Be­ suchern, um das Bauwerk, das künftig bis zu zwei Millionen Kilowattstunden pro Jahr ins Netz speisen soll, in Augenschein zu nehmen. Was dort an Energie erzeugt wird, könnte für rund 500 Haushalte – halb Wol­ terdingen – reichen. Tatsächlich hat die ,,Zwickmühle“, wie sie im Volksmund be­ reits getauft ist, in breiten Teilen der Bevöl­ kerung ein neues Bewußtsein dafür geschaf­ fen, welcher Aufwand und welche Mühsal mit dem Anspruch verbunden ist, mit Hilfe eines noch relativ bescheidenen Kraftwerks ,,sauberen“ Strom bereitzustellen. Klaus Koch „Ich bin mi Lebtig kei Fründ vom Kird1egau gsi, drum pfif eu au in euri Orgle ni. Un ich mein halt ebe, ’s sott e Fürspritzi her“, sait dr Pächter vom Holzhof, dr Christian Schwer. „Zu was au e Fürspritzi“, sait dr Marti vom Gschwend, ,,bi iis hets jo achtJohr lang scho nimmi brennt.“ Berlin Nitz 285

Baumriesen in und um St. Georgen Die 400 Jahre alte Klosterlinde hat einen Stammumfang von sechs Metern Dieser Beitrag wurde durch den Autor für die Internetrecherche nicht freigegeben. 286

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Baumriesen in und um St. Georgen Die 400 Jahre alte Klosterlinde hat einen Stammumfang von sechs Metern Dieser Beitrag wurde durch den Autor für die Internetrecherche nicht freigegeben. Die Riedbaar Geologische Entwicklungsgeschichte einer Landschaft Wo sich die südlichen Ausläufer des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb einander nähern, liegt zwischen diesen bei­ den Mittelgebirgen eingebettet die Baar. Ihr naturräumliches Zentrum bildet die Ried­ baar, eine flache Senke und zugleich der tief­ ste Punkt der Hochmulde. Die Riedbaar läßt sich nach Westen durch den Anstieg zum Sehellenberg zwischen Bräunlingen und Donaueschingen und nach Osten durch den Stufenrand der Lias-Schichten bei Pfohren geologisch-morphologisch abgrenzen. Im Süden bilden der Fürstenberg und die Behlaer Höhe eine deutlich sichtbare Be­ grenzung, während sie nach Norden in Richtung Bad Dürrheim allmählich aus­ läuft. So bildet der Bereich zwischen Do­ naueschingen, Pfohren, Gutmadingen, Neu- 290 dingen, Sumpfohren und Hüfingen den ei­ gentlichen Kernraum der Riedbaar. Schon die Bezeichnung „Riedbaar“ (Ried = feuchtes, mooriges Gebiet) läßt auf die be­ sonderen hydrologischen Verhältnisse in diesem Bereich der Hochmulde schließen. Der Naturraum ist durch eine große Gewäs­ serdichte gekennzeichnet, die auch heute noch, trotz teilweiser Drainage, gut zu er­ kennen ist (vgl. Abb. !). Brigach, Breg und Donau sowie ihre zahl­ reichen Zuflüsse entwässern die Hochmulde durch die Geisinger Pforte nach Osten. Dar­ über hinaus treten im Bereich der Riedbaar, die früher auch als „Donaueschinger Ried“ oder „Pfohrener Ried“ bezeichnet wurde, et­ liche Karstquellen zutage. Diese charakteri­ stischen hydrologischen Besonderheiten ha-

.. � „“ Oo1uvut�•11 .,,,,.,.. 4 ( V l S St l 1 ( 1 Z O l ll l 1 ( 0 1 4 A t sco 1000• Abbildung/: Das Gewässernetz der Riedbaar, rekonstruiert durch Günther Reiche// nach orthographi­ schen Luftbildern des Landesamtes für Flurneuordnung. Höhenlinien sind im ]-Meter-Abstand als 1m­ terbrochene, im 10-Meter-Abstand als ausgezogene Linien dargestellt. ben auf der Baar immer wieder Über­ schwemmungen zur Folge, die vor allem im Frühjahr und im Herbst zu beobachten sind. Die Entstehung der Riedbaarsenke hängt in starkem Maße mit der des Oberrheingra­ bens zusammen, einem markanten geologi­ schen Grabenbruch von etwa 300 Kilometer Länge und durchschnittlich 40 Kilometer Breite. Eine Hebung des Gebiets der heuti­ gen Riedbaar im Zusammenhang mit der Bildung des Oberrheingrabens führte zu­ nächst zu einer Schrägstellung des gesamten Schichtpakets zum Zentrum der Aufwöl­ bung hin, dem späteren Grabenbruch. Mit Beginn der Einsenkung des Oberrheingra­ bens während des Alttertiärs vor etwa 50 Millionen Jahren, setzte an dessen oberen Flanken eine rückschreitende Erosion ein, die zu einer allmählichen Herausprägung unterschiedlicher Schichtstufen führte. Auf diese Weise bildete sich die Südwestdeut­ sche Schichtstufenlandschaft, in die die Riedbaar eingebettet ist (siehe Abb. 3). Durch die Bonndorfer Grabenzone wer­ den diese geologischen Großstrukturen Süd­ westdeutschlands zusätzlich modifiziert. Die Bruchzone verläuft in Nord-West/Süd­ Ost-Richtung vom Kaiserstuhl über den Schwarzwald und die Baar bis hin zu Hegau und Bodensee. Diese Grabenstruktur bilde­ te eine wichtige Voraussetzung für die Aus­ bildung der Riedbaarsenke. Durch die langsamere Absenkung des Oberrheingra­ bens im Süden und die damit verbundene geringere Ausbildung der Bonndorfer Gra­ benzone, kam es im Gebiet der Riedbaar le­ diglich zu einer leichten Senkung. Die damit 291

Abbildung 2: Blick über die teilweise iibe,jltttele Riedbaar bei Pfohren während eines Frühjahrhoch­ wassers. verbundenen Verwerfungen bildeten wichti­ ge Leitlinien für spätere unterirdische Lö­ sungsprozesse durch zirkulierendes Wasser. Die Wannenform der Riedbaar erklärt sich jedoch auch aus der geringeren Stärke der rückschreitenden Erosion, die zu einer schwächeren Ausprägung der Schichtstufen führte. Aus diesem Grund sind die Schicht­ stufen im Bereich der Baar weit weniger mächtig als in anderen Teilen der Südwest­ deutschen Schichtstufenlandschaft. Neben den genannten tektonischen Ursa­ chen kommt den besonderen Eigenschaften des geologischen Untergrundes der Ried­ baar eine entscheidende Rolle für die Ent­ stehung der typischen Wannenform zu. Der Raum fällt stratigraphisch in den Mittleren Muschelkalk und den Gipskeuper, die vor über 200 Mio. Jahren im Germanischen Becken, einem flachen Sehelfmeer, gebildet wurden. Sie bestehen im Untergrund des Rieds vor allem aus lösungsfähigen Gestei­ nen wie Dolomit, Anhydrit, Mergel, Gips und Bändersalzen, die zirkulierendem Was- ser großräumige Angriffsflächen zum unter­ irdischen Lösen geben. Aufgrund dieser Lö­ sungsvorgänge verringert sich die ursprüng­ liche Mächtigkeit der einzelnen Horizonte, eine zusätzliche Senkung ist die Folge. Zahl­ reiche Karsterscheinungen im Bereich der Riedbaar, so zum Beispiel einige Karstquel­ len zwischen Allmendshofen und Donau­ eschingen sowie etliche Dolinen südlich von Bräunlingen, zeugen noch heute von den unterirdischen Lösungsprozessen. Die Entstehung der Riedbaar geht dem­ nach auf ein komplexes Zusammenspiel mehrerer geologischer und hydrologischer Faktoren zurück. Dabei spielt neben der Bildung der Südwestdeutschen Schichtstu­ fenlandschaft vor allem ihre Lage auf der nördlichen Treppenstufe des Bonndorfer Grabensystems und dessen zahlreiche Ver­ werfungen in einzelne Bruchschollen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus kommt den salinaren Lösungserscheinungen im Bereich des Untergrundes eine wesentliche Bedeu­ tung für die charakteristische Wannenform 292

der Riedbaar zu. Die Riedbaar war auch in ihrer jüngeren geologischen Entwicklungs­ geschichte immer wieder starken geologi­ schen und geomorphologischen Verände­ rungen unterworfen. Dazu trug vor allem der kontinuierliche Wechsel von Warm-und Kaltzeiten bei, der in den vergangenen etwa 2 Mio. Jahren des Qiartärs zu beobachten war. Die Herkunft und die zeitliche Einord- aber eiszeitlichen Prozessen eine große Be­ deutung zu. Diese hatten zusammen mit morphologischen Vorgängen während der Warmzeiten durch die Ablagerung und den Abtransport unterschiedlicher Geröllmas­ sen eine charakteristische Wechsellagerung verschiedener Materialien zur Folge. Das Nord-Süd-Profil durch die Riedbaar zeigt die Mächtigkeitsverhältnisse und das örtliche Auftreten des un­ terschiedlichen, im Qiar­ tär sedimentierten Ma­ terials (vgl. Abb. 4). Im Bereich des oberen Unter­ grundes sind große Men­ gen an Torfen und Leh­ men zu finden. Die Mor­ phologie der tieferen Schichten zeigt eine typi­ sche Talform, wie sie für Ausschürfungen durch Gletscher charakteristisch ist. Die unterschiedlichen Lagerungen von Fein­ und Grobkies deuten auf unterschiedliche Liefer­ bedingungen zur Abla­ gerungszeit hin. Diese Schotterdecken lassen den Schluß zu, daß die ge­ samte Riedbaar im ak­ tiven Einflußbereich ei­ Abbildung 3: Geologische Karte der Riedbaar, weitere Erläuterungen im nes ehemaligen Gletsch­ ers lag, der während der Eiszeiten zum Teil vom Schwarzwald bis auf die Baar reichte. Da die zu findenden Schotter aus zwei verschie­ denen Vereisungsperioden (Mindel-und Riß-Eiszeit) stammen, läßt sich daraus auf mehrere Gletschervorstöße und -rückzüge schließen, die durch den Wechsel von Kalt­ und Warmzeiten hervorgerufen wurden. Während der Eiszeiten verhinderte die Wannenform des Rieds das Abfließen der Gletscherbäche. Dadurch stauten sich zu den Gletschern hin Seen auf, in denen sich die schluffige Fracht und Suspension der ffljl Nalm � � Pletstozln. un9e9ludert CJ [SSJ E::23 � [II] L1 as bd Dogger Ytt“ft:rfung btw. Fluur nung der enormen Schottervorkommen, die heute im Bereich der Riedseen zum Teil aus­ gekiest werden, geben jedoch noch einige Rätsel auf. Höchstwahrscheinlich kommt Holozan, un9e9lledert Text (Legende siehe unten). Oberer Musc:helk•lk Uuper. ungegl ltdtrt 293

… „‚ … … … … … ‚“ … … … (IllJ) lt•• (41tlt1••I f121l1orf �1011 (ms••• (ili!)hl•·IIIHUII.IU (!;!) ,, … ,., (!!) „Sl,i11,·. ,uc111,_, Abbildung 4: Nord-Süd-Profil durch die Riedbaar, Darslellung von Cünlher Reichelt. Literatur: BENZI NG, G. (1966): Gesichtspunkte zur naturräumlichcn Gliederung der Baar. In: Verein für Geschichte und Natur­ geschichte der Baar (Hrsg.): Schriften des Vereins für Ge­ schichte und Naturgeschichte der Baar, 1-1. 26, Donau­ eschingen, S. 123-137. BENZING, G. (1974): Beiträge zur Gewässerkunde der Baar (IV}. In: Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar (Hrsg.): Schriften des Vereins für Geschichte und Naturge­ schichte der Baar, 11. 30, Donaueschingen, S. 238-250. GEYER, 0./GWINNER, M. (1986): Geologie von Baden­ Württembcrg, Stuttgart. PAUL, W. (1972): Geologie. In: Reichelt, G. (Hrsg.): Die Baar, Wanderungen durch Landschaft und Kultur, Villingen­ Schwcnningen, S. 25·67. REICIIELT, G. (1992): Die Geologische Entwicklungsge­ schichte der Ricdbaar. In: Petermanns Geographische Mit­ teilungen, Bd. 4, 1-1. 1, S. 32-52. REICHELT, G. (1994): Untersuchungen zur Entwicklungs· geschichte der Riedbaar. In: Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau (Hrsg.): Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau, 11. 82/83, Freiburg, S. 117-168. Schmelzwässer ablagerte, die heute als Moo­ re bzw. moorige und sumpfige Gebiete zu­ tage treten. Die durch die komplexen geologischen und morphologischen Prozesse gesteuerte Entwicklung der Riedbaar zeigt noch bis heute Auswirkungen auf die Gestalt und die Charakteristika dieses Naturraumes. So sammeln sich im Bereich der Hochmulde insbesondere in ausstrahlungsreichen Näch­ ten Kaltluftmassen, die aus den benachbar­ ten Regionen in die Baar einfließen und sich dort sammeln. Darüber hinaus verstärkt der relativ hohe Feuchtigkeitsgehalt der Ried­ flächen die Abkühlung der Luft zusätzlich. Nächtliche Temperaturinversionen und eine starke Frostgefährdung der Niederungen sind die Folge – ein typisches Kennzeichen der Riedbaar, das nachhaltige Auswirkun­ gen für die Vegetation, die landwirtschaftli­ che Nutzung und die Ökologie dieses Na­ turraumes mit sich bringt. Patrick Adam Simone Naumann Dipl.-Hdl. Alexander Siegmrmd 294

Die Heckenlandschaft der Westhaar Aus der Sicht der Erdkunde am Beispiel Bräunlingens Der Naturraum der Baar hebt sich in viel­ facher Hinsicht von seinen Nachbarregio­ nen ab. So bestimmt im westlichen Teil der Hochmulde oft eine typische Vegetations­ form den Raum, die in unseren Breiten nur selten zu finden ist – eine Heckenlandschaft. Inmitten einer landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft sind zahlreiche Hecken und Feldgehölze zu finden, die sich als schmale langgezogene Gebüschreihen zwi­ schen den Feldern und entlang der Wald­ ränder erstrecken und dabei ganze Landstri­ che überziehen. Besonders häufig treten sie im Südwesten der Baar in der Region um Löffingen und Bonndorf und in der Umge­ bung von Bräunlingen auf. Geologie und menschliche Eingriffe Aus Schilderungen römischer Schriftsteller und aus mittelalterlichen Urkunden geht hervor, daß die natürliche Vegetation Mittel- europas ursprünglich aus einem fast ge­ schlossenen Waldgebiet bestand. Aufgrund dieser naturräumlichen Voraussetzungen gab es nur wenige Übergangszonen zwi­ schen Wald und waldfreien Gebieten. Diese aus Gehölzstreifen bestehenden Zonen, die Waldmäntel, lassen sich jedoch als Anfang der Hecken auffassen. Vor diesen Streifen la­ gen die überwiegend aus Kräutern beste­ henden Waldsäume. Mit Beginn der Ro­ dung der Wälder durch die Römer verän­ derte sich die natürliche Landschaft im Lau­ fe der Zeit, vor allem aber während des Mittelalters, in starkem Maße. Eine Kultur­ landschaft begann zu reifen, in deren Ver­ lauf sich die Waldmäntel durch die nun häu­ figeren Übergänge vom Wald zur freien Flur vermehrten. Büsche und Hecken verbreite­ ten sich nach und nach, vom Wald losgelöst, zuerst in der Feldflur und danach im Grün­ land. Die frühgeschichtliche Beeinflussung der Wälder der Baar fand, wie Reichelt Das Gebiet um Bräunlingen ist reich an Heckenlandschaften und Feldgehölzen. 295

Nußbühl Littreten 0 0 0 oo o o Hecke 0 100 200 m 300 400 Abb. 2: Die Verbreit“ng der Hecken in der Umgeb“ng von Bräunlingen (Kartographie Mitlehner). (1968, S. 73) in einer Studie über die Vege­ tationsentwicklung der Baar darlegt, bereits zwischen 800 v. Chr. und Christi Geburt statt. Die Heckenpflanzen wuchsen somit bereits vor der Landnahme durch den Men­ schen in der näheren Umgebung der heuti­ gen Hecken. Sie siedelten erst später auf die Steinriegel und Böschungen über. Dort ha­ ben sie sich bis heute gehalten (vgl. Abb. 2). Aufbau und Zusammensetzung Die Strauchgesellschaften der Waldränder und Hecken der Baar zählen zu den wärme- 296

liebenden Gebüschformationen, die dem pflanzensoziologischen Verband des Berbe­ ridions zugerechnet werden. Es kommen zwei Assoziationen vor: das Hasel-Rosen­ Gebüsch ( Corylo-Rosetum vosagiacae) und das Schlehen· Liguster-Gebüsch (Pruno-Siguslre­ tum). Während das Schlehen-Liguster-Ge­ büsch eher niederwüchsig bleibt, erreichen einzelne Straucharten des Hasel-Rosen-Ge­ büsches Höhen bis zu 8 Meter und darüber. Dessen Krautschicht ist im allgemeinen re­ lativ gut entwickelt, was durch den unter­ schiedlich dichten Aufbau der Strauch­ schicht bedingt ist. Dadurch erhalten die Kräuter genug Licht um zu gedeihen. Dar­ überhinaus fördert das große Lichtangebot von der Seite, infolge der bis nah an die Ge­ büsche heranreichenden Nutzung, das Wachstum der Krautschicht. Aus pflanzen­ soziologischer Sicht sind für das Schlehen­ Liguster-Gebüsch vor allem Liguster (ligu­ strum vulgare) und Berberitze (Berberis vulga­ ris) kennzeichnend, was sie vom Hasel-Ro­ sen-Gebüsch unterscheidet. Dort treten bevorzugt die Blaugrüne Rose (Ros11 vosa­ giaca) und die Berg-Johannisbeere (Ribes al­ pinum) auf (Bronner 1986, S. 18 ff.). Die beiden Assoziationen unterscheiden sich auch bezüglich ihrer bevorzugten Standorte. Während das Schlehen-Liguster­ Gebüsch insbesondere an Böschungen und steinfreien Waldrändern anzutreffen ist, be­ siedelt das Hasel-Rosen-Gebüsch fast nur die Steinriegel. Wenn es an Waldrändern ge· leiht, so sind diese aus Steinriegeln hervor­ gegangen. Dies ist auf der Baar recht häufig der Fall. Waldrand und Hecke bilden zumeist keine glatte Grenzlinie zur angrenzenden freien Landschaft. Der Übergang zum Umland er­ folgt stufenweise. Er vollzieht sich allmäh­ lich vom dichten Gehölz des Heckeninne­ ren über die aufgelockerten Randbereiche zu den Saumgesellschaften der Kletter­ pflanzen und Kräuter. Sie zeigen je nach Art der Nutzung des angrenzenden Kulturlan­ des und dem daraus resultierenden Nähr- stoffangebot eine unterschiedliche Artenzu· sammensetzung. Auf die Säume folgen schließlich die unkrautbewachsenen Acker­ raine. Die gleiche Abstufung zeigen auch natürliche vom Menschen nicht beeinfluß­ te Waldränder. Das demonstriert einmal mehr ihre enge Verwandtschaft mit den Hecken. Die Hecken haben demnach keinen ein­ heitlichen Bewuchs aufzuweisen. Sie beste­ hen vielmehr aus den vielfältigsten Ge­ wächsen, die verschiedene Bereiche der Hecken bevölkern. Auf diese Weise lassen sich mehrere Zonen abgrenzen. Die Gründe für diese Zonierung gehen vor allem auf das differierende Lichtangebot zwischen Rand­ bereich und zentraler Zone zurück. An den Rändern siedeln sich lichtliebende Pflanzen an und solche, die aufgrund der starken Düngung der angrenzenden Felder und der dadurch bedingten Anreicherung von Stick­ stoff gedeihen. Zu ihnen zählen etwa der weitverbreitete Gold-Kälberkropf (Chaero­ phyllum aureum), der Schwarze Holunder (Sambucus nigra), die Qyecken (Elymus) und Unkräuter wie die Große Brennessel (Urtica dioica). Dagegen sind im Heckeninneren Gewächse anzutreffen, die entweder mit we­ niger Licht auskommen oder aber andere Pflanzen verdrängen, da sie durch ein stär­ keres Höhenwachstum konkurrenzkräftiger sind, wie etwa der Feldahorn (Acer campesl· re). Hierzu trägt auch das fehlende Schlagen der Hecken bei – kleinwüchsige Pflanzen im Innern sterben dadurch ab oder verlagern sich in die Randbereiche. Auf diese Weise bildet sich ein bis zu 2 Meter hoher Rand­ mantel, während in der Mitte ein 6-8 Meter hoher Zentralbereich entsteht. Diese Diffe­ renzierung verleiht der Hecke eine hetero­ gene Struktur. Mikroklimatische Unterschiede auf den unterschiedlich exponierten Seiten einer Hecke spielen eine weitere wichtige Rolle für die Artenzusammensetzung. Während auf den Südseiten eher wärme- und trocken­ heitsliebende Gewächse wie Liguster (ligu- 297

Blick über die Heckenlandschaft der Westbaar bei Bräunlingen. strum vulgare), Schlehe (Pnmus spinosa) und Vogelkirsche (Pmnus avium) anzutreffen sind, werden die Nordseiten von Pflanzen besiedelt, die mit weniger Wärme auskom­ men und feuchtere Standortbedingungen bevorzugen. Daher treten auf der Schatten­ seite einer Hecke Arten wie die Schlehe (Pru­ nus spinosa) kaum auf, es dominieren Sal­ weide (Salix caprea), Haselnuß (Corylus avel­ lana), Holunder (Sambucus), Roter Hartrie­ gel (Cornus sanguinea), Esche (Fraxinus excelsior) und Berg-Johannisbeere (Ribes alpi­ ntan). Darüber hinaus spielen auch mesokli­ matische Unterschiede eine wichtige Rolle. So unterscheidet sich das Artenspektrum der Hecken auf wind- und sonnenexponierten Standorten zum Teil erheblich von kühleren und feuchteren Lagen. Hecken sind nicht nur durch eine große Artenvielfalt an Pflanzen gekennzeichnet. Sie sind zusammen mit den Höhlen und Klüften der Steinriegel, auf denen sie stocken, ein wichtiger Lebensraum für viele Tierarten. Zahlreiche Insekten, etliche Vo­ gelarten und verschiedene Kleinsäuger zeu- gen gleichfalls von der großen Artenvielfalt im Lebensraum „Hecken“. Die Tiere tragen den Steinriegeln Samen zu und sorgen zu­ sätzlich für eine Düngung der bereits vor­ handenen Pflanzen. Doch auch der Wind trägt zum Nährstoff- und Samentransport bei, indem er Staub, Laub und Samen ins Gebüsch treibt, die dort hängen bleiben. Dieses „Treibgut“ bildet zusammen mit den Tieren die Grundlage für eine natürliche Kornpostbildung, die ein gutes Gedeihen der Pflanzen bewirkt. Die Tiere tragen somit maßgeblich zur Entstehung einer artenrei­ chen Pflanzengesellschaft bei. Landschaftsökologie und Bedeutung für die Landwirtschaft Hecken haben in vielerlei Hinsicht eine ökologische Bedeutung für die Landschaft. Das gilt sowohl für die natürlich wach­ senden Wildhecken, als auch für vom Menschen kulturlandschaftlich angelegte Hecken. Sie beeinflussen ihre Umgebung in vielfältiger Weise. Aus diesem Grund sind 298

Hecken auch nicht zuletzt ein wichtiges Mit­ tel für die Landwirtschaft zum Schutz des Kulturlandes. Sie dienen dabei in erster Li­ nie dem Windschutz, indem sie den Wind nach oben, aber auch seitlich an sich vorbei lenken. Dadurch wird die Windgeschwin­ digkeit sowohl im Lee als auch auf der wind­ zugewandten Seite von Hecken deutlich herabgesetzt. So verhindern sie die Auswe­ hung wertvollen Ackerbodens. Die niedri­ geren Windgeschwindigkeiten bewirken aber vor allem einen Rückgang der Verdun­ stung, so daß den Pflanzen mehr Wasser zur Verfügung steht. In der Umgebung von Hecken sind auch höhere und gleichmäßi­ ger verteilte Niederschläge zu beobachten. Darüberhinaus fördern sie die nächtliche Kondensation und dadurch die Taubildung. Alle diese Faktoren tragen zur Verbesserung des Wasserhaushaltes bei. Darüberhinaus puffern sie Regengüsse ab. So verhindern sie das schnelle oberirdische Abfließen des Wassers und schwächen die damit einherge­ hende Bodenerosion als auch das Ver­ schlämmen der Krume ab. Ein weiterer positiver Aspekt der besonde­ ren klimatischen Bedingungen im Einfluß­ bereich von Hecken ist die Temperaturer­ höhung der bodennahen Luftschicht und des Bodens durch die geringeren Wind­ geschwindigkeiten. Dies hat ein früheres und schnelleres Keimen der Saat zur Folge. Durch die gleichmäßigere Verteilung der winterlichen Schneedecke friert der Boden zudem nicht so tief durch, weil die Bo­ dentemperaturen wegen der isolierenden Schneeschicht weniger stark absinken. Da­ durch kann sich der Boden im Frühjahr schneller erwärmen. All die genannten Faktoren können zu ei­ ner günstigen Beeinflussung der Umweltbe­ dingungen für den Pflanzenwuchs führen und haben somit oft eine Ertragssteigerung für die Landwirtschaft zur Folge. Dies gilt je­ doch nicht immer und überall. Torslen Wahl, Alexander Siegmund Literatur: BRONNER, G. (1986): Pflanzensoziologische Untersu­ chungen an Hecken und Waldrändern der Baar. In: Natur­ forschende Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau (Hrsg.): Be­ richte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau, Bd. 76, Freiburg, S. 11-87. OAPPER, J-1. (1992): Heckengehölze, Berlin. GEIGER, R. (1951): Der künstliche Windschutz als me­ teorologisches Problem. In: Erdkunde, Bd. 5, S. 106-114. HARTKE, Y/. (1951). Die Heckenlandschaft – Der geogra­ phische Charakter eines Landeskulturproblems. In: Erdkun­ de, Bd. 5, S. 132-152. KRAUSE, Y/. (1968): Die Heckenlandschaft der Y/estbaar. In: Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Saar (Hrsg.): Schriften des Vereins för Geschichte und Naturge­ schichte der Saar, Heft 27, Donaueschingen, S. 82-100. OBERDORFER, E. (1990). Pflanzensoziologische Exkursi­ onsflora, 6. Aufl., Stuttgart. REICHELT, G: (1968): Über die Vegetationsentwicklung der Baar während der Vor· und Frühgeschichte. In: Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar (Hrsg.): Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar, Heft 27, Donaueschingen,$. 50-81. TROLL, C. (1951): Die Problematik der Heckenlandschaft. In: Erdkunde, Bd. 5, S. 105-106. TROLL, C. (1951): Heckenlandschaften im maritimen Grünlandgürtel und im Grünland Mineleuropas. In: Erd· kunde, Bd. 5, S. 152-157. WENDT, H. (1951): Der Einfluß der Hecken auf den land· wirtschaftlichen Ertrag. In: Erdkunde, Bd. 5, S. 115-125. XlffSCHEL, M. (1980): Die Hecken der Muschelkalk-Saar, In: Verein för Geschichte und Naturgeschichte der Saar (Hrsg.): Schriften des Vereins für Geschichte und Naturge­ schichte der Baar, Heft 33, Donaueschingen, S. 151-156. ·– Orakel liebt mich liebt mich nicht Blatt für Blatt Gänseblümchen -Rupfespiel bekannt – nicht bekannt Heimstatt die ich für dich sein kann verlorenes wiedergefundenes Ich Aus „Handschriften“ Christiana Steger 299

Die Bräunlinger Heckenlandschaft Ein Beitrag aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes Einem naturkundlich Interessierten wird zunächst einmal das Stichwort „Pilze“ ein­ fallen, wenn er an Bräunlingen denkt. Doch das Zähringer-Städtchen hat dem Natur­ freund noch weiteres zu bieten: Am Hang des Sehellenberges, vor allem aber nach Sü­ den in Richtung Döggingen, ist eine wun­ derschöne Heckenlandschaft entwickelt. Das Bräunlinger Heckengebiet gehört zu den Muschelkalk-Gäuplatten, die sich von Pforzheim bis Waldshut östlich an die Schwarzwald-Abdachung anschließen. Sind Heckenlandschaften im Bereich dieser Gäu­ platten durchaus nicht untypisch, so gibt es doch nur wenige, die so gut entwickelt und so unbeschädigt erhalten sind wie die um Bräunlingen. Entstehung Die Bräunlinger Hecken sind sehr alt. Vie­ le dürften bereits im Mittelalter entstanden sein. In Ackerbaugebieten mit Kalkunter­ grund kommen regelmäßig beim Pflügen unverwitterte Kalksteine an die Oberfläche. Sie wurden als „Lesesteine“ aufgesammelt und an den Feldrainen abgelegt. In diesen ungenutzten Steinhaufen und an ihren Rän­ dern konnten durch Samenflug oder durch Tiere eingebrachte Samen keimen. Die dar­ aus entstehenden Gehölze wurden allmäh­ lich zur Hecke. Eine ganz ähnliche Methode wird heute häufig praktiziert: es werden „Benjesheck­ en“ angelegt, benannt nach ihrem „Erfin­ der“. Auf einem zur Bepflanzung vorgese­ henen Stück Land wird Heckenschnitt ab­ gelagert, in den man vereinzelte Gehölze pflanzt. Das Schnittgut bietet den Pflanzen in der ersten Zeit Verbißschutz und hält Kräuter nieder, die man sonst ausmähen müßte. Der Wall aus Heckenschnitt lockt bereits im ersten Jahr Vögel und anderes Getier an, das Samen von benachbarten Südlich von Briiunlingen priigt ein dichtes Netz von Hecken die Landschaji. 300

Hecken einbringt. Der Vorteil gegenüber ei­ ner konventionell gepflanzten Hecke: man spart sich die Einzäunung gegen das Wild und braucht weniger Gehölze zum Pflan­ zen. Südlich des Bräunlinger Heckengebie­ tes, in der kahlen Landschaft Döggingen zu, wurden kürzlich auf diese Weise Hecken an­ gelegt. Geduld braucht man freilich für eine „Ben­ jeshecke“. Es dauert etliche Jahre, bis sich zusätzliche Gehölze ansiedeln. Die Hecken durchlaufen auch eine Phase, in der Disteln und andere Ackerunkräuter besonders stark vertreten sind. Das sehen die Bauern ver­ ständlicherweise nicht so gern, vor allem wenn Äcker angrenzen. Früher wurden Hecken beseitigt Seit Anfang der sechziger Jahre ging der Heckenbestand vielerorts drastisch zurück. Die Hecken störten bei der Bewirtschaftung mit großen Maschinen und wurden deshalb entfernt, oft im Zusammenhang mit Flur­ bereinigungen. In den letzten Jahren kam es zu einem Umdenken. So werden Hecken heute wieder angepflanzt, bei Flurbereini­ gungen werden bestehende Hecken ge­ schont. In Bräunlingen jedoch ist der alte ge­ wachsene Heckenbestand noch weitgehend erhalten geblieben, erfreut sich großer Wert­ schätzung und wird auch von den Landwir­ ten akzeptiert. Die kahle Landschaft südlich des Heckengebietes in Richtung Döggingen ist übrigens nicht das Werk der Flurbereini­ gung. Auch dort gab es früher zahlreiche Le­ sesteinhecken. Sie wurden jedoch beseitigt, als man im letzten Jahrhundert die Eisen­ bahn zwischen Neustadt und Donaueschin­ gen baute. Für den Bahnkörper benötigte man Steine, und die holte man sich aus den Lesesteinhecken. Dadurch wurden die Flächen wieder kultivierbar und die Hecken verschwanden. Die Bräunlinger Hecken haben einen außerordentlich hohen ökologischen Wert. Dies wird unter anderem durch das Vor- kommen einer Reihe von Rote-Liste-Arten belegt. Als typische Heckenvögel seien hier nur Neuntöter (10 Brutpaare) und Rebhuhn genannt. Die außerordentliche Diversität der Baaremer Hecken wird belegt durch ver­ schiedene Untersuchungen (Zinke 1991). Im Rahmen der Diplomarbeit des Verfas­ sers, die sich der Pflanzensoziologie der Baa­ remer Hecken widmete, wurden 500 ver­ schiedene Pflanzenarten in den Hecken und ihren Säumen gefunden. Darunter sind auch geschützte Arten wie Türkenbund oder Orchideen. Insgesamt fand man in Hecken rund 8 000 verschiedene Tierarten. Die mei­ sten sind Insekten, aber auch Amphibien, Reptilien und ein Fünftel der einheimischen Vögel gehören zu den Heckenbewohnern. Hecken werden von Tieren gerne als Ver­ bindungsweg zwischen zwei Biotopen be­ nutzt, beispielsweise zwischen zwei Wald­ stücken. Sie sind daher die klassischen „Ver­ netzungselemente“ einer Landschaft. Heckengehölze und Aufbau Steinriegelhecken sind durch eine typische Pflanzenkombination gekennzeichnet. Der Vegetationskundler bezeichnet sie als Ro­ sen-Hasel-Gebüsch. Typische Gehölze sind die Haselnuß und die Vogesenrose. Durch die unterschiedlichen Wuchsformen sind auf engstem Raume die verschiedensten Klein-Lebensräume entstanden: das aus Baumkronen gebildete Dach, der lichtrei­ che Mantel mit Sträuchern an den Seiten der Hecke, sonnig und trocken im Süden, kühler und feuchter im Norden, der sonni­ ge oder halbschattige bodennahe Saum aus Kräutern und das schattige Zentrum in der Kernzone, das blattarm und feucht ist. Im Innern älterer Hecken können sich auch Waldbäume wie Esche, Ahorn, Ulme oder Hainbuche ansiedeln. Kennzeichnend für die Hecken sind aber lichtliebende Sträu­ cher, die im Innern eines Waldes nicht wach­ sen könnten: Liguster, Berberitze und rund zehn verschiedene Arten der Heckenrose. 301

Der schwarze Holunder (oben) wächse in nährseoffreichen Hecken. Der Roee- oder Trauhen-Holunder (uneen links) locke m ie seinen Frücheen Vögel an, ebenso wie der Wollige Schnee­ ball (M ieee links). Die aufgespießee Hummel ise indes ein un­ erügliches Zeichen fü r die Anwesenheie des Neuneöeers.

Die Raupen der Gespinsemoeeen le­ gen im Pfaffenhüechenserauch Ge­ spinsee an und fressen ihn manch- m al ganz kahl (links oben). Reches oben der Neuneöeer, links M ieee der Gold-Kälberkropf der einen Saum zwischen Acker und Hecke bildee. Uneen das Rebhuhn und eypische Bewohner von Heckenlandscbafeen: die Feldhasen.

Die meisten Heckensträucher haben Beeren, die gerne von Vögeln und Kleintieren ver­ zehrt werden. Die Samen passieren den Darmtrakt der Vögel unverletzt; auf diese Weise werden die Gehölze verbreitet. Viele Heckensträucher sind dornen bewehrt, wie z. B. Schlehe, Weißdorn, Kreuzdorn. Heckengehölze sind durchweg ausschlag­ fähig, d. h. sie beginnen wieder zu treiben, wenn sie „auf den Stock gesetzt“ (nahe dem Boden abgesägt) wurden. Heckensäume Zu jeder Hecke gehört auch ein „Saum“. Darunter versteht man den Randbereich, in dem keine Gehölze wachsen, der aber auch noch nicht zur angrenzenden Wiese oder zum Feld gehört. Im Heckensaum wachsen zahlreiche Wildkräuter mit einem prächti­ gen Blütenangebot. Die Säume unterschei­ det man nach ihrem Nährstoffgehalt in zwei Typen: Die Zickzackkleesäume sind nähr­ stoffarme Trockensäume, die meist an Grün­ land grenzen, und die nährstoffreichen Säu­ me werden von Brennesseln, Geißfuß und hohen Doldenblütlern beherrscht wie bei­ spielsweise dem Gold-Kälberkropf. Da oft Dünger von den angrenzenden Feldern auch in den Heckensaum gelangt, sind die nährstoffreichen Säume vorherrschend. Auch für Insekten sind die Säume ein wichtiger Lebensraum: Bienen, Schwebflie­ gen, Schmetterlinge und Hummeln bezie­ hen Nektar von den Pflanzen, Hecken sind Paarungsreviere für Schmetterlinge, und im Bodenbereich leben Schnecken und Käfer. Hecken sind bevorzugte Aufenthaltsorte des Wildes. Hase, Fuchs, Marder, Wiesel oder Dachs leben hier. Der Hase bervorzugt dichte Brombeerhecken, Wiesel und Marder leben eher in Lesesteinhaufen. Fuchs und Dachs haben ihren Bau meistens im Wald, benutzen die Hecken aber auf ihrer Nah­ rungssuche. Für Hase und Rehe sind sie Sicht- und Witterungsschutz auf ihren Streifzügen. Wo noch ausreichend Hecken 304 stehen, sind Hasen und anderes Kleinwild kaum von Greifvögeln bedroht. Im Winter fungieren Hecken als wichtiger Nahrungslieferant des Wildes. Wenn die freien Flächen mit Schnee bedeckt sind, können die Tiere oft nur noch an Sträuchern und Büschen äsen. Dies sieht man im Win­ ter an den vielen Tierspuren, die man rund um die Bräunlinger Hecken findet. Ein fünftel der heimischen Vögel lebt in Hecken oder hält sich dort für längere Zeit auf In erster Linie ist die Hecke für Vögel Brut- und Nahrungsbiotop. Sie dient auch als Balz- und Singwarte. Für Bussarde, Fal­ ken, Neuntöter ist sie eine vorzügliche Spähwarte, für Zugvögel Rast- und Futter­ platz. Am häufigsten sieht man in den Bräunlinger Hecken die Goldammer. Aber auch Mäusebussard, Baumfalke, Amsel, Heckenbraunelle und Buchfink brüten hier. Rebhuhn und Fasan nutzen die Verstecke am Boden. Zahlreiche Vögel brüten zwar nicht in Hecken, suchen sie jedoch regel­ mäßig zur Nahrungsaufnahme auf: Berg­ fink, Gimpel, Kernbeißer, Eichelhäher, Tan­ nenhäher, ziehende Drossel-, Laubsänger und Grasmückenarten. Seltene, aber sehr ty­ pische Heckenarten sind Domgrasmücke, Raubwürger und Neuntöter. Letzteren kann man mit etwas Glück auch in den Bräunlin­ ger Hecken beobachten. Oder man findet ei­ ne von ihm aufgespießte Hummel. Gelegentlich findet man in Hecken ganze Häufen von leeren Schneckenhäusern. Es handelt sich dabei um eine „Drosselschmie­ de“, einen Ort also, an dem die Wacholder­ drossel die Schneckenhäuser öffnet und den Inhalt verzehrt. Für Insekten stellen Hecken gleichfalls ei­ nen einmaligen Lebensraum dar. Sie bieten Nahrung und Unterkunft für viele Arten, da sie die verschiedensten Pflanzen beherber­ gen. So präsentieren Weißdorn, Hartriegel, Schlehe und Schneeball zur Blütezeit ein reichhaltiges Nahrungsangebot für blüten­ besuchende Wildbienen, Schmetterlinge und Schwebfliegen. Die Insekten wiederum

Im Herbst priisentieren sich die Hecken mit ihren verschiedenen Gehölzen in einer bunten Farben­ pracht (oben und unten). Arif offenen Steinriegeln wadmm Storchschnabel und Fetthennen {links).

bedanken sich mit der Bestäubung von über 70 Prozent der einheimischen Pflanzen. Die vielen Schnecken, die in der Hecke oder ihren Säumen leben, bieten Vögel ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Maikäfer, Schwebfliegen, Florfliegen und Raubwan­ zen findet man nur zur bestimmten Jahres­ zeiten, zu denen sie die besonderen Nah­ rungssituationen ausnutzen. Andere Insekten kommen zur Überwinte­ rung oder zur Fortpflanzung. Schmetterlin­ ge vollziehen ihre Paarungstänze auf den Heckensäumen. Die hier lebenden Schlupf­ wespen und andere parasitierende Arten sind Vertilger von verschiedenen für die Landwirtschaft schädlichen Insekten. Er­ gänzt wird die Liste der Heckenbewohner durch Kreuzspinne, Grillen und Laufkäfer. Imker bevorzugen Hecken für ihre Bie­ nenkörbe, wegen des großen Blütenangebo­ tes und da der Bienenhonig von Hecken­ blüten immer einen Abnehmer findet. Heckennutzung und Pflege Früher wurden die Hecken regelmäßig auf den Stock gesetzt und verjüngt, um Brenn­ holz zu gewinnen. Man stellte aus dem Holz aber auch Rechen, Besen und Heuga­ beln her. Ihre Früchte wie z.B. Hagebutten, Holunder oder Schlehen lieferten schmack­ hafte Getränke oder Marmelade. Auch Heil­ mittel wurden aus Heckenpflanzen gewon­ nen. Die Holznutzung spielte in den letzten Jahrzehnten kaum noch eine Rolle. Deshalb durchliefen viele Hecken eine Sukzession hin zu hohen, waldartigen Hecken, die je­ doch an Vielfalt einbüßten. Die zahlreichen lichtliebenden Sträucher wurden zugunsten von Haselnuß, Feldahorn und Bergahorn verdrängt. Nach etwa zwanzig Jahren be­ steht eine Hecke nur noch aus wenigen Gehölzarten, die schon langsam Baumstär­ ke erreichen. Solche Beispiele gibt es etliche in Bräunlingen. Aus öfologischer Sicht wä­ re ein Auf-den-Stock-setzen in größeren Ab- 306 ständen durchaus erwünscht, um die Vielfalt der Hecken zu erhalten. In den letzten Jahren wurden deshalb mit Mitteln des Naturschutzes und der Stadt ei­ nige Pflegemaßnahmen durch ortsansässige Landwirte durchgeführt. So wurden die Hecken seitlich beschnitten, um die Bewirt­ schaftbarkeit der angrenzenden Flächen zu erhalten. Die Hecken wurden auch ausge­ lichtet, die Gehölze auf den Stock gesetzt. Damit kein Kahlschlag entsteht und die Heckenbewohner immer Lebensraum fin­ den, wird jedes Jahr nur ein Fünftel einer Hecke geschnitten. Jeweils im Abstand von 1-2 Jahren folgen dann die weiteren Ab­ schnitte, so daß immer bereits wieder Jung­ wuchs da ist. Die Pflegeaktionen finden im Spätherbst oder im Winter statt, wenn kei­ ne Vögel beim Brutgeschäft gestört werden. Starkes Holz, das bei den Pflegearbeiten an­ fällt, wird als Brennholz verwendet. Dünne­ res Gestrüpp kann in der Hecke verbleiben und bietet Tieren Unterschlupf. Die Stadt Bräunlingen ist sich des Wertes der Heckenlandschaft und ihrer Verantwor­ tung dafür durchaus bewußt. Gerade für Bräunlingen, in dem der Fremdenverkehr doch eine gewisse Rolle spielt, ist eine an­ sprechende und interessante Landschaft ein wichtiges Kapital. Als vor einiger Zeit ein Baugebiet in Rand­ bereiche des Heckenareals erweitert wurde, erfüllte die Stadt die Auflage des Natur­ schutzes, die betroffenen Hecken nicht zu beseitigen, sondern zu verpflanzen. Auf die­ se Weise gelang es, die in Jahrhunderten ge­ wachsene Pflanzengemeinschaft der Hecke zu erhalten. Eine neu gepflanzte Hecke bräuchte dagegen viele Jahrzehnte, um eine ähnliche Vielfalt zu erreichen. Um den Bürgern wie den Gästen der Stadt die Schönheit der Bräunlinger Heckenland­ schaft noch näher zu bringen, wird derzeit die Einrichtung eines Heckenlehrpfades dis­ kutiert. Dr. Gerhard Bronner

Artenliste für die Bräunlinger Hecken l. Gehölze: Heckenrose – Rosa canina, nitidula, vosagiaca, corym- bifera, R. tomentosa agg., rubiginosa u.a. Schlehe – Prunus spinosa Weißdorn – Crataegus mo- nogyna, C. oxyacantha, C. curonica Pfaffenhütchen – Evonymus europaeus Kreuzdorn – Rharnnus cat- hartica Roter Hartriegel – Comus sanguinea Liguster – Ligustrum vulgare Holunder – Sambucus nigra und S. racemosa Wolliger Schneeball – Vibur- num lantana Gewöhnlicher Schneeball – Viburnum opulus Rotes Geißblatt – Lonicera xylosteum Alpen-Heckenkirsd1e – Lo- nicera alpigena Stachelbeere – Ribes uva- crispa ‚Alpen-Johannisbeere – Ribes alpinum Salweide – SaJix caprea Haselnuß – Corylus avellana Berberitze – Berberis vulgaris Hainbuche – Carpinus betu- lus Stieleiche – Qiercus robur Traubeneiche – Qiercus pe- traea Vogelkirsche – Prunus avium Mehlbeere – Sorbus aria Vogelbeere – Sorbus aucupa- ria Winterlinde – Tilia cordata Feldahorn – Acer campestre Bergrnom – Acer pseudopla- tanus nach Felix Zinke, 199 J Esche – Fraxinus excelsior Rotbuche – Fagus sylvatica Mostbime – Pyrus Mostapfel – Malus domesti- ca Zitterpappel – Populus tre- mula 2. Sonstige besondere Pflanzen: Acker-Wachtelweizen Wollige Kratzdistel Silberdistel Kamm-Wachtelweizen Saatmohn Karthäusemel ke Gewöhnliches Sonnen- röschen Verschiedenblättrige Platt- erbse Purpur-Fetthenne Nesselseide Breitblättriges Laserkraut Purpurklee Heilziest Berg-Leinblatt Großer Ehrenpreis Ebensträußige Wucher- blume Labkraut-Sommerwurz Küchenschelle Flügelginster Männliches Knabenkraut Gewöhnlicher Seidelbast ßlutstorchschnabel Rötliches Fingerkraut Hirsch-Haarstrang Gewöhnliches Kreuz- blümchen Schopfiges Kreuzblümchen Echte Schlüsselblume Kleine Traubenhyazinthe Wolfseisenhut Moschuskraut Türkenbund Blauer Eisenhut Vielblütige Weißwurz Steinbeere Ähriges Christophskraut 3. Liste der Brutvögel: Mäusebussard Roter Milan Schwarzer Milan Sperber Baumfalke Turmfalke Rebhuhn Wachtel Wendehals Feldlerche Baumpieper Neuntöter Heckenbraunelle Gartengrasmücke Domgrasmücke Klappergrasmücke Mönchsgrasmücke Zilpzalp Amsel Wad10lderdrossel Kohlmeise Blaumeise Sumpfmeise Goldammer Buchfink Grünling Hänfling Elster Rabenkrähe 4. Liste sonstiger besonderer Tierarten: Schlingnatter Blindschleiche Zauneidechse Hufeisenklee-Heufalter Himmelblauer Bläuling Prächtiger Bläuling Schwarzbrauner Bläuling Wanstschrecke 307

Der Nordluchs kehrt zurück Bis zu seiner Ausrottung war der gefleckte Jäger in ganz Europa heimisch Der Luchs ist wieder im Gespräch, nach­ dem der letzte seiner Art im Schwarzwald 1770 bei Kaltenbronn und in Württemberg 1846 bei der Burg Reußenstein auf der Schwäbischen Alb erlegt wurde. Auslöser dieser teils kontrovers gefuhrten Diskussion sind Bemühungen, ihn in dem Mittelgebir­ ge zwischen Rhein und Schwäbischer Alb wieder anzusiedeln. Flurnamen wie Lux­ berg, Luchsbrunnen und Luchsfelsen geben noch heute Hinweise, daß der gefleckte Jä­ ger in den vergangenen Jahrhunderten in das Ökosystem dieser Landschaft eingebun­ den war. Bevor der gezielte Ausrottungsprozeß zwi­ schen dem 13. und dem 16. Jahrhundert einsetzte, war er fast in ganz Europa zu Hau­ se. Nur auf der Iberischen Halbinsel stellte sein kleiner Vetter, der Pardelluchs, Kanin­ chen nach. Die Trennung in zwei Arten er­ folgte während der Eiszeiten, in denen die Luchspopulation in verschiedene Gebiete ausweichen mußte. Die Feindschaft des Menschen zog sich der Nordluchs zu, weil hin und wieder Ziegen und Schafe zu sei­ nem Meni.i gehörten. Das Ausweichen auf Haustiere hatte eine besondere Ursache. Es gab damals eine Periode, in der sich die Be­ stände an Reh- und Rotwild ohne das Zutun der drei großen Beutegreifer in vielen Ge­ genden stark gelichtet hatte. Aus einigen Re­ gionen waren sie sogar ganz verschwunden. Als die höfische Jagd aufkam, ging es dem Luchs, Bär und Wolf erst richtig an den Pelz, denn mit ihnen wollte man die lästige Kon­ kurrenz loswerden. In diese Hatz wurden auch die Gemeinden mit eingebunden. Sie mußten sogenannte Wolfsschützen zur Ver­ fügung stellen, wobei man Wolf und Luchs gleichsetzte. Im Jahr 1655 nahm man in Württemberg auch die Forstknechte in die Pflicht. Ihr Ablieferungssoll pro Jahr lag bei 308 zwei Wölfen oder Luchsen. Tiere, die sie bei Gemeinschaftsjagden erlegten, blieben bei dieser Zahl unberücksichtigt. Durch die Weiterentwicklung der Feuerwaffen und die verstärkten Nachstellungen wurden allein von 1648 bis 1663 in Württemberg, den Der 85 bis 110 cm fflnge Nordluchs ist eine hoch­ beinige Katze und erreicht eine Srhulterhöhe von 50bis 75 cm.

Der Ranzschrei des Luchses verrät in klaren Februarnächten seinen Standort. Deshalb wurde er bei uns viel eher ein Opfer der Ausrottung als die anderen beiden Beutegreifer Wolf und Bär. Schwarzwald ausgenommen, 209 Luchse Opfer von Pulver und Blei. Im nahen Vor­ derösterreich sah es nicht viel anders aus. Dort erlaubt die Obrigkeit 1655 ihren „Un­ tertanen“ ausdrücklich „schädliche und wil­ de Thiere“ zu fangen. Dazu zählte selbst­ verständlich auch der Luchs. Für den Balg bekamen die erfolgreichen Jäger als Beloh­ nung 1 Florentiner und 3 Batzen. Einer der Gründe, warum es den Luchs meistens lan­ ge Zeit vor Bär und Wolf erwischte, ist in sei­ nem Ranzverhalten zu suchen. Dann schreit der sonst stille Pirschgänger seine Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht laut in die klaren, den Ruf weittragenden Februarnäch­ ten hinaus. Dadurch ließ sich sein Standort leicht lokalisieren und die Spuren im Schnee verrieten am folgenden Tag sein Ver­ steck. Es waren also nicht Lebensraumver­ änderungen, sondern allein die Verfolgung durch den Menschen, die in den meisten eu­ ropäischen Gebieten mit der Ausrottung der großen Katze endete. So waren zum Beispiel die forstlichen Umstrukturierungen in der Schweiz schon einige hundert Jahre vor dem Verschwinden des Luchses abgeschlossen. Damit ist auch schon eine Aussage über seinen Lebensraum angedeutet. In der Regel sind das große, zusammenhängende Wäl­ der. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Sei­ ne letzten Rückzugsgebiete waren weitge­ hend baumlose aber deckungsreiche Areale in den Alpen. In vegetations- und/oder deckungsreichem Gelände läßt sich die pin­ selohrige Katze nur sehr schwer ausmachen, ihr geflecktes Fell wirkt hier wie eine Tarn­ kappe. Von anderen Katzenarten unter­ scheidet sich der 85 bis 110 cm lange und 14 bis 36,5 kg schwere Nordluchs durch drei be­ sondere Merkmale. Das ist seine Hochbei­ nigkeit (die Schulterhöhe liegt zwischen 50 – 75 cm), die besonders bei jungen Tieren und Weibchen deutlich sichtbar ist, der mit 12 – 17 cm verhältnismäßig kurze Schwanz mit seiner schwarzen Spitze und die Pinsel­ ohren. Die letzteren wirken wie eine Anten­ ne und verstärken seine Fähigkeit, Schall zu orten. Die großen Pfoten haben im Winter 309

Junge Luchse (oben) sind 10 Monate lang auf die Nahrung angewiesen, die die Mutier bringt. Unten: Ein Luchs an seinem Rfßp{(l/Z. in ihrer Mitte und an ihrem Rand dichte Haarpolster, die nicht nur vor Kälte schützen, sondern wie Schnee­ schuhe wirken. Des­ halb kann er sich in dem weißen Nieder­ schlag auch viel besser fortbewegen wie zum Beispiel die schmalhuf­ igen Rehe. Menschen haben vor dem Luchs nichts zu befürchten. Es ist erstaunlich, auf welche kurze Entfer­ nung die Wildbiologin Petra Kaczensky eine telemetrierte Luchsin mit ihren Jungen foto­ grafiert hat. Führende Wildschwein bachen hätten ihr auf eine sol­ che Distanz das Sprin­ ten beigebracht. Auf­ grund der bisherigen Erfahrungen läßt sich mit Sicherheit feststel­ len, daß der hochbeini­ ge Jäger bisher weder ei­ nen Touristen noch ei­ nen Bergwanderer ver­ speist hat. Er bevorzugt in unseren Breiten deutlich Rehfleisch, verachtet Hirschkälber nicht und steigt im Ge­ birge auch Gemsen nach. Doch vor dem Festmahl kommt die Kunst des Erbeutens. Hat der Luchs zum Bei­ spiel ein Reh ausge­ macht, versucht er bis auf 6 Meter heranzu­ pirschen, ehe er mit langen Sätzen losspur-

tet. Mit dem letzten Sprung wird das Tier umgeworfen. Ein Biß in die Kehle unterbin­ det die Luftzufuhr und der Tod tritt schnell ein. Spuren eines Kampfes wurden bisher noch nie beobachtet. Führt der Angriff des Luchses nicht zu einem sofor­ tigen Erfolg, kommt es nach wenigen Metern zum Abbruch. Auch die Windrichtung fin­ det beim Anschleichen keine Beachtung, so daß das Wild immer die Chance des Ent­ kommens hat. In der Schweiz lief am 23. 4. 1971 mit der Aus­ setzung von zwei Luch­ sen im Jagdbanngebiet Huetstock im Melchtal Der Luchs stellt seinen Speisezettel individuell zusammen -je nach Beute­ eine erfolgreiche Wie- angebot. dereinbürgerungsakti- on an. Heute besiedelt Meister Pinselohr im Land der Eidgenossen wieder einen großen Teil seiner früheren Aktionsräume. Ein spä­ ter aufgestelltes wissenschaftliches Begleit­ programm führte zu einer wesentlichen Er­ weiterung unseres bisherigen Wissens. Die ersten Luchsreviere sind verhältnismäßig klein. Bei den Beutetieren ist die im Laufe der Evolution erworbene Luchserfahrung verschüttet, so daß der gefleckte Jäger in ei­ nem geringen Umfeld an Nahrung heran­ kommt. Doch bald haben sich die Rehe wie­ der auf ihren alten Freßfeind eingestellt, und um eine Beute zu reißen, muß der Pir­ schgänger sein Streifgebiet immer mehr er­ weitern. Wenn sich dann die Luchspopula­ tion etabliert hat, umfaßt der Aktionsraum eines Tieres, je nach Waldstruktur, im Durchschnitt 100 – 250 qkm, eine Gebiets­ größe, bei der sich ein Verlust von ungefähr 60 Rehen pro Jahr kaum bemerkbar macht. Seitdem der Luchs in der Schweiz wieder heimisch ist, konnte gerade ein Auerhuhn­ riß belegt werden. Diese Rauhfußhühner baumen in der Nacht auf und sind dann außer Reichweite des pirschenden Beute­ greifers. An der Ausbreitungsfront des Luch­ ses kam es in der Schweiz auch verstärkt zu Verlusten an Schafen, die dann aber inner­ halb kurzer Zeit wieder auf das normale Maß absanken. Insgesamt wurden von 1971 bis 1990 582 Schafe, vereinzelt auch Ziegen, von dem Luchs gerissen. Dafür mußten 167 932 Schweizer Franken als Schadenser­ satz an die betroffenen Personen vergütet werden. Wenn man die jährliche Verlustra­ te von durchschnittlich 30 Schafen auf die Luchspopulation in der Schweiz umlegt, entsprechen die gerissenen Tiere einem Pro­ mille des Gesamtbestandes. Die Verluste in- 311

zeptiert. So ist auch nicht bekannt, ob die Pyrenäen zum Streifge­ biet des Pardel- oder des Nordluchses gehö­ ren oder ob hier beide Arten vorkommen. Das Schweizer Wie­ derei n bü rgeru ngsmo­ dell hat inzwischen ei­ ne internationale Kar­ riere gemacht, und in den Westkarpaten gab es noch nie so viele folge Krankheit und Absturz liegen dagegen bei 2 Prozent. Auch diese verhältnismäßig geringen Ausfälle sind nur aufgrund der spe­ ziellen Schweizer Schafhaltung entstanden. Dort werden diese Tiere im Frühjahr auf ei­ ne der hochliegenden Weiden getrieben und bleiben dort bis zum Herbst praktisch ohne Aufsicht. An Schafherden, die unter der Ob­ hut eines Schäfers oder Hundes stehen, wagt sich der Luchs nicht heran. Der Blutzoll, den der Verkehr unter dem Schweizer Luchsbestand gefordert hat, hält sich ebenfalls in Grenzen. Diesem Ausfall­ konto mußten von 1974 bis 1994 insgesamt 25 Tiere zugerechnet werden. Welche heim­ liche Lebensweise die hochbeinige Katze fuhrt, dokumentiert sich in unserem Nach­ barland in der geschätzten Gesamtzahl, die mit 50 bis 100 angegeben wird. Eine Streu­ ung, die keine Bank bei ihren Geschäften ak- 312 Luchse wie heute. Im paare eine Population Es hat geschmeckt! Ausgelegtes Falhuild läßt die Großkatze liegen. Schiebt der Lynx lynx, so der man jedoch neben der Beute ein totes Tier nad,, wird es angenommen. Böhmerwald zieht er wieder seine Fährte. In Slowenien haben 1973 drei ausgesetzte Luchs­ begründet, die zum Teil schon in die angren­ zenden Länder aus­ strahlt. In Kärnten ist lateinische Name, seit 1976/77 wieder hei­ misch. Dort wird ebenfalls die im Schwarz­ wald praktizierte Mutter-Kuhhaltung be­ trieben und in der ganzen Zeit kam es nur zu einem einzigen Kälberriß. Aufgrund der heimlichen und nächtlichen Jagdweise des Luchses ist davon auszugehen, daß das Mut­ tertier diesen Überfall gar nicht gemerkt hat. Im Nachbargebiet des Schwarzwaldes, den Vogesen, begannen die ersten Wiederein­ bürgerungsversuche 1983. Heimlich, still und leise, ganz wie es ihrer Wesensart entspricht, haben die ersten ge­ fleckten Kundschafter auch im Schwarzwald (und im Pfulzer Wald) wieder die Lebens­ räume erreicht, die einst zu ihren heimatli­ chen Streifgebieten gehörten. Roland Kalb

Landwirtschaft Das Haushuhn – Zur Geschichte und Haltung SeitJahrhunderten ein Begleiter des Menschen Dieser Beitrag soll keine wis­ senschaftliche Abhandlung über die Züchtung und Legeleistung der verschiedenen Rassen sein, sondern es werden hauptsächlich Beobachtungen von Menschen geschildert, die in ihrem Leben nahezu täglich von Haushüh­ nern umgeben sind. Doch begin­ nen wir zunächst mit der Ge­ schichte des Haushuhns: Das Bankivahuhn, das als Stammva­ ter unserer Haushühner gilt und in wildlebender Form noch heu­ te in Indien und Malaysia zu Die „Glucke“ leitet ihren Nachwuchs zur Nahrungssuche auf Hause ist, wurde schon in sehr dem Misthaufen an. früher Zeit zum Haustier. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. führte man diese Hühner von Indien nach China aus. Dort kannte man schon das künstliche Ausbrüten der Eier, was ebenfalls von den alten Ägyp­ tern berichtet wird. Von Ägypten gelangte die Urform unserer heutigen Hühner schon bald in die südeu­ ropäischen Länder. Im Alten Testament wer­ den die Haushühner seltsamerweise noch nicht erwähnt, in Griechenland dagegen schon im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., und bei den alten Römern erfreuten sich die hei­ ligen Hühner besonderer Verehrung. Auch Germanen und Kelten hielten sie Jahrhun­ derte vor unserer Zeitrechnung, und schließ­ lich gelangten sie vor zirka 480 Jahren mit den weißen Eroberern nach Amerika. Zu Beginn der Rassehühnerzucht hat es in Europa schon drei Gruppen von Hühnern gegeben: die im europäischen Raum weit­ verbreiteten, den Bankivas ähnlichen Land­ hühner mit weißen Ohrscheiben und weißschaligen Eiern, die schweren as1at1- schen Cochins mit roten Ohrscheiben und gelblich bis braunen Eiern und die straff be­ fiederten Kampfhühner mit muskulösem Körper, roten Ohrscheiben und bräunlich gelblichen Eiern. Aus diesen drei Typen setzt sich wahrscheinlich die Hauptmasse der heutigen europäischen Hühnerrassen zusammen, deren Anzahl sich inzwischen bei zirka 160 bis 170 bewegt, in den ver­ schiedensten Farbschlägen. Viele dieser Hühnerrassen haben durch ihr Fleisch oder ihre hohe Legeleistung große wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Gerade die gewaltige Steigerung der Legeleistung ge­ genüber früheren Zeiten ist zurückzuführen auf Zuchtauswahl, optimale Zusammenset­ zung der Ernährung sowie eine bessere Un­ terbringung. Hier sind es besonders die ,,Weißen Leghorns“, die heute zu reinen Ab­ legehennen herangezüchtet wurden. Was nun die Legebatterien anbelangt, so wird 313

,,Kräht der Hahn auf dem Mist“, iinderl sich das Weller, besagt eine alte Bauernregel. heute zwar viel von sogenannten glückli­ chen Hühnern geredet, die meisten Men­ schen vergessen aber beim Kauf von Eiern an diese zu denken und erwerben das billi­ ge Ei; jenes, das von den Legebatterie-Hüh­ nern stammt. Die oft zitierte „gute alte Zeit“ war folglich für unsere Hühner sicher eine glücklichere. Zwar gibt es auf den Höfen und landwirt­ schaftlichen Nebenerwerbsbetrieben noch die kleinen Herden von 15 bis 20 Hennen und einem Hahn – bei einer größeren An­ zahl auch mit zwei Hähnen – dieser Anblick wird aber zunehmend seltener. Diese Größenordnung entspricht im übrigen in etwa der Herdengröße der Bankiva-Wild­ hühner. Innerhalb dieser Herden herrscht eine bestimmte Rangordnung, die Tiere kennen und respektieren den Stärkeren, oh­ ne daß es dabei zu länger andauernden 314 Kämpfen kommt. Wer Hühner bei der Füt­ terung beobachtet, erkennt diese Rangord­ nung zum Beispiel daran, wenn eine domi­ nante Henne nach einer Unterlegenen hackt, diese kurz aufschreit und zur Seite springt. Dieser Vorgang wiederholt sich auch bei anderen Anlässen des öfteren, die Hackordnung innerhalb der Hennenschar muß eben stimmen. Der Hahn nimmt hier eine Sonderstellung ein. Er verteidigt seine Hennen und sein Re­ vier gegen mögliche arteigene Gegner, sein lautes Krähen und das klatschende Zusam­ menschlagen der Flügel demonstrieren, wer Herr auf dem Hühnerhof ist. Außerdem warnt er vor Gefahren, lockt seine Hennen mit bezeichnenden Lauten zum Futter und umwirbt sie mit typischen Bewegungen, in­ dem er seine Handschwungfedern spreizt und wetzt.

Kämpfe zwischen Hähnen sind meistens nicht so ernst wie es den Anschein hat, außer bei den extra für diesen Zweck Gezüchteten. Bei einer entsprechend großen Anzahl von Hennen und zwei Häh­ nen kommt es zwischen die­ sen öfters zu Auseinanderset­ zungen, teilweise auch zu ernsteren Rivalitätskämpfen. In der Regel wird dabei zu­ nächst der ältere und somit erfahrenere Hahn der Domi­ nierende sein. Das kann sich jedoch rasch dann ändern, wenn der Jünge­ re zu einem starken Hahn heranwächst und den Älteren eines Tages im Kampf besiegt, um selbst die Vorherrschaft zu übernehmen. Hühner als Wetterpropheten Hühner, die über einen relativ großen Aus­ lauf verfügen, wählen ihren Aufenthaltsort im Laufe des Tages nach dem Sonnenstand. Es wurde von Berta Volk aus Gremmelsbach berichtet, die ihren 80. Geburtstag schon hinter sich hat und Zeit ihres Lebens bis auf den heutigen Tag mit diesen Tieren zu tun hat, daß man nach deren Verhalten durch­ aus eine Wetterprognose abgeben kann. Die Küken folgen der Mutter meistens im Schlepptau nach. Stolz präsentiert sich der rebhuhnfarbene ltalienerhahn. Wenn beispielsweise die Hühnerschar bei Regen das Trockene aufsucht, hört der Re­ gen in kürzester Zeit auf, bleibt sie jedoch im Freien, regnet es in der Regel länger an­ haltend. „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, än­ dert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist!“ Dieser Spruch kennt wohl jeder, er soll als Beispiel dienen, daß die alten Bauernre­ geln angeblich meistenteils unzuverlässig sind. Dem muß ich entgegenhalten, daß wir modernen Menschen dies aus Unkenntnis über die ausgezeichneten Naturbeobach­ tungen unserer Vorfahren dahersagen. Die richtige Version dieser alten Bauernregel lau­ tet nämlich: ,,Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, kräht er auf dem Hühnerhaus, hält das Wetter die Woche aus!“ Die Sache ist so zu erklären: Hahn und Hühner können bei Tiefdruck – also Regen­ wetterlage – bevorzugt auf dem Misthaufen aktiv sein, weil dann in den oberen Schichten ein besseres „Nah­ rungsangebot“ herrscht als bei Hochdrucksituationen, bei denen diese Schichten austrocknen und sich die Kleinlebewesen somit in die feuchten, tieferen Regionen 315

Bunte Vielfalt auf dem Hiihnerhef- hier gestreifter ltalienerhalm mit verschiedenfarbigen Legehennen. des Misthaufens zurückziehen. Für die Hühner wurde aus der Verhaltens­ forschung der Begriff „Kurztagstiere“ ge­ prägt, d. h. sie suchen im allgemeinen ihren Schlafplatz sehr früh auf. Unsere Redensart, ,,Mit den Hühnern zu Bett gehen“, be­ zeichnet diese Eigenart sehr gut. Morgens sind sie dagegen schon sehr zeitig wieder munter. Gegen Federlinge und Milben nehmen sie gern ein Sand- oder Staubbad, ins Wasser dagegen gehen sie nur höchst ungern. Bei überraschendem Schneefall, beispielsweise im Mai, kann man bei ihnen eine Art von Schneeblindheit beobachten. Zur Verständigung unterein­ ander gebrauchen sie zahlrei­ che Laute. Am bekanntesten ist das „Kakeln“, wenn die Henne ein Ei gelegt hat. Auch beim Hahn gibt es außer dem Krähen noch weitere Laut­ äußerungen, die seine Stim­ mungen und Bedürfnisse aus­ drücken. So beispielsweise das ,,Kollern“, welches wie „go­ gogogook“ klingt und der Stimmführung mit den Hen­ nen dient. Das Küken meldet sich schon mit Pieplauten kurz vor dem Schlüpfen aus dem Ei. Werden die Küken später von der Bruthenne geführt, lockt sie mit ihrem „gluck-gluck-gluck“ die Kleinen, daher auch der Name „Glucke“. Leider sieht man heute auf den Bauernhöfen nur noch selten Hennen mit Nachwuchs. Aber es ist erstaunlich und zugleich rührend, wie für­ sorglich sie mit den Kleinen umgehen. Ge­ gen mögliche Feinde verteidigt die Glucke ihre Küken sehr mutig und aggressiv, selbst vor größeren Hunden zeigt sie keinen Re­ spekt und schlägt sie sogar in die Flucht. Wahrscheinlich aus Aberglau­ ben wurden früher den Brut­ hennen stets eine ungerade Zahl von Eiern zum Ausbrü­ ten untergelegt. Wollte man jedoch den Bruttrieb unter­ drücken, wurde die Henne bei den ersten Anzeichen für 3-4 Tage in einen dunklen Raum bzw. unter einen Karton ge­ sperrt. Den Küken wurde in den ersten Wochen Bibiliskäs (Qiark) und Reiskörner gefüt­ tert, später sind Hühner im Nach allem, was irgendwie Jref?bar erscheint, wird schon im wahrsten Sinne Allesfresser. Die zerkleinerten Eierschalen jugendlid,en Alter gepickt. 316

Ein ziemlidJ aufgeblasener „ Gockel“ inmillen seiner Hühnerdamen. Er ist eben der „Hahn im Korb“. wurden ihnen verfüttert, um dem Kalkman­ gel vorzubeugen. In den heutigen moder­ nen Hühnerfarmen wird – wie schon ein­ gangs erwähnt – nur spezielles Futter verab­ reicht, für höchste Legeleistung oder schnel­ le Mast. Das Ei als kostbares Gut In früheren Zeiten waren Hühnereier auf den Bauernhöfen und auch im allgemeinen kostbarer als heute, was sich auch im Preis niederschlägt, der vor 30 bis 40 Jahren eher höher war als heute. Eier waren beim Bauer in erster Linie für den Verkauf bestimmt. Seine Knechte, Mägde oder Hirtenbuben bekamen äußerst selten eines zum Verzehr. Ältere Familienmitglieder erhielten Eier ab und zu zur Stärkung, kranke Kinder zur Wiedererlangung der Gesundheit. Beson­ ders bei Kleinbauern war der Erlös aus dem Eierverkauf oft die einzige Einnahmequelle für die Bäuerin, über die sie alleine verfügen konnte. Man achtete früher auch darauf, daß die Anzahl der Hühner in der Relation zum Gewinn des Eierverkaufes stand, d h., daß nicht – im übertriebenen Sinn – mehr verfüttert wurde, wie an Eiergeld wieder ein­ genommen wurde. Nach meiner Ansicht wird dies auch treffend durch das alte Sprichwort ausgedrückt, das besagt: ,,Hältst du viel Federvieh, kommst du um Haus und Hof und weißt nicht wie!“ Empfindliche Verluste gab und gibt es heu­ te noch bei freilaufenden Hühnern durch Fuchs und den Hühnervogel (Habicht). Fuchs und auch der Steinmarder können ein Blutbad unter den Hühnern anrichten, wenn vergessen wird, abends am Hühner­ stall das Türchen zu schließen. Schon man­ cher hat dadurch in einer Nacht seine ganze Hühnerschar verloren. 317

Die Aufzucht der Kiiken hat begonnen, andauemd ist der Naclnouchs au/Suche nach Nahrung. Des öfteren gab es früher auch Streit unter Nachbarn, deren Anwesen nicht weit aus­ einander standen, wenn die freilaufenden Hühner in fremde Gärten einfielen oder auf einem fremden Acker dem frisch sprießen­ den Getreide zusetzten. Unzählige Anekdo­ ten und Geschichten sind überliefert. Es wurde heftig und oftmals über Jahre hinaus wegen des lieben Federviehs gestritten. Be­ sonders im Umland von St. Georgen/Kö­ nigsfeld wird noch heute der Ausspruch ge· braucht, von dem jedoch die meisten nicht mehr wissen, woher er stammt und der da lautet: ,,Dem, oder Dere, due i, oder, han i awer de Henne ni due“, wenn man jeman­ den heftig die Meinung sagen will, bzw. ge­ sagt hat. Diese Redensart kommt sicher vom erbosten Nachbarn, wenn die fremden Hühner dessen Garten oder Acker heimge­ sucht hatten. Er meinte damit, des Nachbars Hühner werde er schon noch in dessen Stall 318 e111sperren. Bei allem Zwist und Streit, den es durch das Federvieh schon gegeben hat, sollte man aber eines nicht vergessen: keine andere Vo­ gelgruppe übertrifft die Hühnervögel in punkto leichte Zähmbarkeit, Schönheit und vor allem Nützlichkeit für den Menschen. Erwin Kienzler Stolzer Halm mit Henne

Freizeit und Erholung Begegnungsstätte für die gesamte Gemeinde Unterkirnach schafft verkehrsberuhigte Zone mit Kieschtock-Brunnen Wer von Stätten der Begegnung spricht, meint zunächst Räumlichkeiten, in denen man zusammenkommt, sei es zum Mei­ nungsaustausch, zum Besuch von Vorträgen oder ähnliches. Stätten der Begegnung und Erholung können aber auch Freiräume, die Natur oder das „Dorf“ allgemein sein. Daß sich ein Stück Dorfgemeinschaft auch auf Straßen und Plätzen abspielen kann, zeigt in Unterkirnach die verkehrsberuhigte Zone. Es ist kaum noch in Erinnerung, daß bis zum Bau der Umgehungsstraße sich Tag für Tag, Stunde für Stunde, ganze Kolonnen von Kraftfahrzeugen -Autos, Motorräder, Lkws -auf der Landesstraße durch die Orts­ durchfahrt drängten und die Straße das Dorf in zwei Teile zerschnitt. Fußgänger hat­ ten diesen Bereich wegen Lärm, Hektik und Abgase weitgehend gemieden. (Bei einer 1995 durchgeführten Verkehrszählung wur­ de auf der Umgehungsstraße ein Durch­ gangsverkehr von ca. 4 000 Fahrzeugen/Tag ermittelt.) Anders ist es heute. Durch den Rückbau der Straße in einen verkehrsberuhigten Bereich mit Gleichberechtigung zwischen Fahrzeugen und Fußgängern wurde wieder Lebensraum für den Menschen geschaffen. In der neu gestalteten Ortsmitte von Unterkirnach fühlen sid, die Einwohner wohl, möglich wurde der verkehrsberuhigte Bereich durch den Bau der Umgehungsstraße. 319

Buschwindröschen, Schlüs­ sel- und Sumpfdotterblu­ men, und im W inter erfreu­ en Eisgebilde und Rauhreif den Betrachter. Ruhebänke laden zum Verbleiben, zum Zeitung lesen oder ganz ein­ fach zum Nichtstun und zur Erholung ein. Laubbäume, inzwischen schon stattlich herangewachsen, spenden im Sommer den beliebten Schatten. Während der Ad­ vents- und Weihnachtszeit strahlen die beleuchteten Tannenbäume Frieden und Ruhe aus und regen zur Be­ sinnung an. Auf der Kirn­ achbrücke beim Stadthof, früher breit ausgebaut mit Linksabbiegespur, werben heute schmucke, dorfgerech­ te Buswartehäuschen, im Sommer mit farbenpräch­ tigem Blumenschmuck aus­ gestattet, zum Benutzen des Nahverkehrs und erleichtern das Warten. Bei diesen Bus­ wartehäuschen beginnt die verkehrsberuhigte Zone, sie endet kurz nach dem Rößle­ Platz. Mit dem Ausbau des Rößle­ Platzes wurde ein Mittel- punkt für diese Dorf-Begeg­ nungsstätte im Freien geschaffen. Beim Brunnen, einem Kunstwerk, fühlt sich nicht nur der Kunstbeflissene, sondern jedermann wohl, ob Einheimischer, Feriengast, Wan­ derer, Kinder, kurz gesagt jung und alt. Hier lädt das Element Wasser ein, den Durst mit frischem Trinkwasser zu stillen Der Brun­ nen, richtig: Der „Kieschtockbrunnen“, ist ein Werk des bekannten Bildhauers Leon­ hard Eder aus Rheinfelden. Mit fünf le­ bensgroßen, in Granit gehauenen Figuren wird eindrucksvoll die Geschichte Unter- Der Miuelpukt der Unterkirnacher Do,jinille ist der Kieschtock­ bmnnen. Man trifft sich auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkauf, bei der Begleitung der Kinder zum Kindergarten oder zur Schule. Man trifft sich, spricht ein paar Worte oder sei es nur ein freundlicher Gruß, man fühlt sich nicht alleine, man gehört zur Dorfgemeinschaft. Ein Bächlein begrenzt die Fahrbahn, plät­ schert munter vor sich hin, dient den Vögeln zum Bad und als Tränke, dem Menschen zum Hinsehen, zum Sicherfreuen und zur Erholung. Je nach Jahreszeit säumen grüne und blühende Pflanzen den Bachsaum wie 320

kirnachs dargestellt. Wer kann sich das heu­ te noch vorstellen? Lange bevor es Strom gab, dienten Späne aus harzreichem Kie­ fernholz als Beleuchtung. Die Späne wur­ den auf Holzständer, Kie-Schtock (oder Käe-Schtock) genannt, aufgesteckt. Die Un­ terkirnacher Bauern fertigten Kienspäne und Kieschtöcke auf ihren Höfen und ver­ kauften diese in Villingen auf dem Markt, um so ein Zubrot zur kargen, wenig ertrags­ reichen Landwirtschaft auf den abgeschie­ denen Schwarzwaldhöfen zu erwerben. Die harten Lebensumstände in der Höhenland­ wirtschaft, die vorwiegend durch körperli­ chen Kräfteeinsatz zu erbringende Wald­ und Feldarbeit prägten Gesichtsausdruck und Mentalität der Menschen. Die Villinger hatten daher den Unterkirnacher Bauern den Spitznamen „Kie-Schtöck“ gegeben, mit dem später alle Unterkirnacher bezeich­ net wurden. Seit 1967 ist der „Kieschtock“ die Symbol­ figur der Unterkirnacher Fastnacht, zu der eine Scheme aus einem knorrigen Holz mit Wurzelausläufern, ein mit Zweigen und Zapfen bedrucktes Häs und ein astiger Stock gehören. 1976 kam das „Beerewieble“ dazu. Beerewieble, der Name bringt es zum Aus­ druck, damit sind die Frauen gemeint, die in den ausgedehnten Wäldern um Unterkirn­ ach mit den Riffeln Heidelbeeren sammel­ ten. Vor der Gründung der Kieschtock-Zunft wurde nach alemannischer Fastnachtstradi­ tion die Freude über den ausklingenden Winter durch die Katzenmusik ausgedrückt. Musiker zogen während der Fastnachtszeit im Gänsemarsch mit Musik und Gaudi von Hof zu Hof und wurden dort kostenlos be­ wirtet. Mit dem auf dem Brunnenstock vergnügt mit dem Beerewieble tanzenden Kieschtock stellte Bildhauer Eder die heutige Fast­ nachtsfigur dar. Etwas abseits steht der hi­ storische Kieschtock, nämlich der Bauers­ mann mit der Krätze auf dem Rücken in Richtung Villingen gehend, begleitet von dem ärmlich bekleideten Hütebuben und der Geis. Als „Kuh der armen Leute“ soll sie auf das nicht gerade von Reichtum geprägte Leben auf den Unterkirnacher Schwarz­ waldhöfen hinweisen. Am Brunnenrand sind Trommler, Bassist und Flötist als Katzenmusiker dargestellt. Die Würste am Sockel des Trommlers zeu­ gen von der reichlichen Bewirtung auf den Höfen und somit auch von der Beliebtheit dieses Treibens. Insbesondere die Kinder er­ leben den Gockel, den sich der Trommler unter den Arm genommen hat, als eine Gaudi: denn der Gockel speit frisches Trink­ wasser. Heute empfinden die Unterkirnacher den ,,Kieschtock“ längst nicht mehr als Spitzna­ men. Sie sind stolz auf das neu gestaltete Dorf, das Dorf als Stätte der Erholung und Begegnung und auf ihren Vorfahren, den ,,Kieschtock“. E!friede Dufaer – . ._ -..- D‘ Feuerwehr Rätsch, du bischt au no en Kerli, ’s ischt nu guet fer iisri Gmond, daß mer nitt vu diinre Sorte no e baar so Latschi hond. Guck, es duer dir nomool sage: mitmachscht bi de Feuerwehr. ’s handlet sech nit nu ums Spritze, ’s hoaßt debei au: Gott zur Ehr! Guet, ech kumm, du kascht mech melde; aber seil sag ech dir glii: gspritzt word niit, ech fiech weng ’s Wasser, will als Ziisler idoalt sii. Gottfried Schafbuch 321

Von Marionetten fasziniert Das außergewöhnliche Hobby des St. Georgener Bernhard Kammerer Reglos hängen sie im Wohnzimmer, die Arme und Beine baumeln schlaff. Erst als Bernhard Kammerer das Spielkreuz in die Hand nimmt, kommt Leben in die Bur­ schen – Verzeihung, Marionetten. Dann laufen und hüpfen sie, fuchteln mit den Ar­ men und neigen den Kopf schelmisch zur Seite, ganz so, wie ihr Schöpfer es will. Bern­ hard Kammerer aus St. Georgen ist faszi­ niert von Marionetten. Schon als Kind war er begeistert von der Augsburger Puppenkj­ ste, und den lustigen Abenteuern von Ur­ mel, Jim Knopf und Lukas, dem Lokomo­ tivführer. Heute baut der 38jährige selbst witzige Figuren an den unsichtbaren Fäden. Auf die Idee, Marionetten selbst herzu­ stellen, kam Bernhard Kammerer erst vor rund drei Jahren. Auf einer Reise nach Prag entdeckte er zwei kleine bekannte Mario­ netten aus dem tschechischen Fernsehen. Einfachste Bauweise zwar, aber schon beim Anblick stand für ihn fest: Die muß er ha­ ben. Sofort hatte er den Dreh raus, wie man die Schnüre betätigen mußte, damit die Bei­ ne und Arme der Figuren einigermaßen gezielt bewegt wurden. Zu Hause beschäf­ tigte er sich intensiver mit der Materie, und er wagte sich an einen ersten Versuch. Dar­ aus entstand Clown „Ferdinand“, eine 40 Zentimeter hohe Figur mit breitem Grin­ sen, großen Händen und einem knallbun­ ten und großkarierten Sakko. ,,Ferdinand“ hängt heute in illustrer Gesellschaft zwi­ schen einer gräßlich schönen Hexe, einem Flötenspieler, einem lustigen Kasper und weiteren originellen Figuren, von denen sich der St. Georgener nicht trennen kann. Bernhard Kammerer fertigt alles selbst. Kopf, Hände und Füße sind aus Modellier­ masse. ,,Da kann man seiner Fantasie richtig freien Lauf lassen“, beschreibt Bernhard Kammerer die Freude, wenn er aus der ecki- 322 gen Modelliermasse ein freches Grinsen oder ein anderes Charaktergesicht formt. Außer einigen Clowns, die zu Bernhards fröhlicher und unkomplizierter Art passen, sind auch schon Hexen, Kasper, Penner (mit Schnapsbuddel in der Tasche) und Musiker entstanden. Eine besonders gelungene Ge­ stalt ist auch ein Pierrot- Clown mit einem lachenden und einem weinenden Auge und schwarz-weißem Kostüm. Hände und Füße gestaltet der gelernte Werkzeugmacher so, wie es seiner Meinung nach am Besten zur Figur paßt. Den Körper, die Arme und die Beine fertigt er aus Fichtenholz, natürlich aus heimischen Wäldern. Rund drei bis vier Wochen benötigt „Bär“, wie er in seinem Bekanntenkreis genannt wird, für eine Marionette. Denn auch die Kleidung näht der stets gutgelaunte Bern­ hard selbst. Da allerdings bekommt er von seiner Frau Christiane und seiner Mutter Sunhild auch schon mal ein paar Tips und Hilfe. ,,Am Anfang habe ich mir schon ein paar mal in die Finger gepiekst, aber mitt­ lerweiler geht’s ganz gut“, erinnert sich Bernhard an die Anfange seiner Nähkünste zurück. Den Stoff für seine Puppen wählt der Hobbykünstler aber immer selbst aus. Eine riesige Kiste mit Stoffetzen, großen, kleinen, bunten oder einfarbigen, steht in seinem Bastelzimmer und liefert noch genü­ gend Material für unzählige seiner Gestal­ ten. Als „Wahnsinnsgefühl“ beschreibt Bern­ hard den Moment, wenn er eine gerade fer­ tiggestellte und mit allen Haken und schwarzem Zwirn versehene Marionette das erste Mal auf den Boden stellt und „laufen“ läßt. Da kommt Ehefrau Christiane dann in den Genuß eines kleinen privaten Puppen­ spiels, denn natürlich müssen alle Gesten und Bewegungen ausprobiert werden. Das

Ausmitteln der Haken und das Befe­ stigen der Schnüre ist sehr aufwendig. ,,Es muß alles genau parallel sein, sonst haben die Puppen eine hängen­ de Schulter oder ein zu kurzes Bein“, erklärt „Bär“ die diffizile Arbeit. Die Begabung für das Bauen und Hantieren mit den Puppen, die mit teilweise bis zu zwölf Fäden bestückt sind, kommt nicht ganz von ungefähr. Schon sein Großvater bastelte die be­ kannten „Schmiedeberger Handpup­ pen“ und reiste damit durch die Lan­ de. Noch heute sitzt Bernhard begei­ stert vor dem Fernseher, wenn irgend­ wo ein Puppenfilm läuft, und guckt sich technische Raffinessen an Puppen ab, die er bei seinen nächsten Puppen dann ausprobieren will. So unterschiedlich wie seine Mario­ netten sind auch Kammerers andere Hobbys. Sein starkes Engagement bei der DLRG, beim Roten Kreuz als Sa­ nitäter und bei der St. Georgener Nar­ renzunft, wo er in der „Fünften Jah­ reszeit“ als Fohrenbobbele umtreibt, füllt die Freizeit fast vollständig aus, so daß sich die Anzahl der gefertigten Marionetten pro Jahr in Grenzen hält, Bernhard Kammerer und seine Marionetten und der ideelle Wert jeder einzelnen Puppe steigt. Und so darf sich jeder seiner Bekannten und Freunde glücklich schätzen, wenn er zur Hochzeit, zum Geburtstag oder zu ei­ nem anderen wichtigen Ereignis eine Ma­ rionette aus den Händen von Bernhard Kammerer überreicht bekommt. Zu verkau­ fen sind die Stücke, von denen jedes ein Unikat ist, nicht. Auch Bestellungen nimmt Kammerer nicht entgegen. ,,Sonst hat man eine Verpflichtung und einen gewissen Druck, und dann macht’s kein Spaß mehr“, erklärt er seinen Entschluß. Mittlerweile haben sich in seinem kreati­ ven Hinterkopf schon wieder einige Ideen angesammelt: ,,Ein Tier zu basteln oder ei­ ne Puppe, wo sich der Mund bewegt“ spru- delt es aus dem Puppenvater heraus. Und wenn man weiß, daß das bevorzugte Ur­ laubsziel des Ehepaars Kammerers Norwe­ gen ist, dann verwundert’s nicht, wenn die nächste Puppe ein frecher Troll werden soll. Einen großen Wunsch hat der Fan von Jim Hensons Muppet-Puppen und Puppentrick­ filmen wie „Der dunkle Kristall“: ,,Ich möchte einmal hinter die Kulissen der Augs­ burger Puppenkiste schauen“, schwärmt Bernhard Kammerer, und seine Augen fan­ gen an zu leuchten wie die eines Kindes an Weihnachten. Und schon sitzt er wieder in seinem Bastelzimmer und kreiert ein Ma­ rionettengesicht, natürlich typisch „Made by Bernhard“. Roland Sprich 323

Heilquelle und Streichelzoo Die Freizeitanlage in Kappel ein Ausflugsort für die gesamte Familie Ihren Ausgang nahm die Kappler Freizeit­ anlage von einer Heilquelle, um die eine Naherholungszone errichtet wurde. Nach der Ansiedlung von Tiergehegen gab man ihr schließlich die Bezeichnung „Streichei­ zoo“. Letzterer war eine Idee von Bürger­ meister Otto Sieber, der Tiere ansiedeln wollte, die vor einhundert Jahren auf jedem Bauernhof zum lebenden Inventar gehör­ ten. Eingeweiht wurde der „Streichelzoo“ im August 1995 mit einem gut besuchten und von den Kappler Vereinen vorbildlich organisierten Fest im anmutigen Eschachtal zwischen Kappel und Niedereschach. Seit­ dem ist die Anlage ein vielbesuchter Ort. Die Anfange des Streichelzoos entspran- gen einem Zufall. Vor etwa 25 Jahren muß­ ten sich die Kappler Gemeindeväter mit der Verbesserung der Trinkwasserversorgung be­ fassen, nachdem die Einwohnerzahl von 300 nach dem Kriege aufüber 500 Personen angewachsen war. Bei einem Bohrversuch 1970 stieß die Firma August-Göttker im Ge­ wann Breitwiesen in 58 Metern Tiefe auf ei­ ne ergiebige Wasserader. Eine bakteriologi­ sche Untersuchung ergab jedoch, daß die Qielle als Trinkwasser nicht geeignet war, da die Werte weit über der Norm lagen. Neue Versuche wurden angestellt, und im Jahr darauf wurde man im entgegengesetz­ ten Gewann Bannwiesen wiederum fündig. Eine weitere Bohrquelle, diesmal in guter Der „Streiche/zoo „in Kappel beherbergt auch Rinder der Hintenoiildermsse,die iiber die Stutlgarter Wi/­ helma besorgt wurden. Im Hintergrund ist der Esel Ludwig zu sehen. 324

Erholungfür die gesamte Familie und viele heimisd1e Tierarten bietet die Freizeitanlage in Kappel. Qialität, entstand. Ein weiterer Glücksfall war, daß das erste Bohrloch in den Breit­ wiesen nicht zugeschüttet wurde. Eine er­ neute Untersuchung am Institut für Bal­ neologie und Klimaphysiologie der Univer­ sität Freiburg im März 1971 ergab nämlich eine vorzügliche bakteriologische Qialität. War möglicherweise bei der ersten Untersu­ chung noch zuviel Oberflächenwasser in die Proben gekommen? Eine Heilquelle gefunden Die beiden Freiburger Professoren Dom­ browski und Göpfert wurden sogleich bei der Gemeinde vorstellig. Nach ihrer Analyse gab die Qielle berechtigten Anlaß, balneo­ logisch wirksam zu sein. Die kurgemäße An­ wendung der Qielle, deren Wasser als Cal­ cium – Magnesium-Hydrogencarbonat-Sul- fat-Wasser gekennzeichnet sei, könnte the­ rapeutisch indiziert sein bei Erkrankungen des Verdauungskanals, der Leber, bei Gal­ lenleiden, sowie Erkrankungen des Bewe­ gungsapparates und der Atemwege. Als ver­ gleichbare Qielle wurde die Johannisquelle in Bad Dürrheim und die Kreuzquelle von Wildbad Kreuth genannt. Alle Qiellen be­ säßen vergleichbare Temperaturen (8,7 bis 11,3 Grad Celcius), einen PH-Wert um den Neutralpunkt (6,5 – 7,2), einen geringen gas­ förmigen Kohlendioxyd-Gehalt und seien kochsalzarm. Dies entspräche den Richtlini­ en des Verbandes deutscher Heilquellen. Die beiden Wissenschaftler hätten es ger­ ne gesehen, hätten die Kappler alsbald be­ gonnen, ihre „Heilquelle“ den Menschen zugänglich zu machen. Noch im gleichen Jahr besuchten sie mehrmals den Ort und verbanden ihre Vorträge stets mit der 325

lockenden Feststellung, daß Kappel ein sehr gutes Schonklima aufweise und eigentlich keine Gründe gegen den Weg zum Kurort bestünden. Doch den Kappler Gemeinde­ räten war nicht nach Schonklima zumute. Die Flurbereinigung stand vor der Tür, ebenso die Schul- und Gemeindereform. Die Neubaugebiete wuchsen und die damit verbundenen Probleme verlangten nach Lö­ sungen. So begnü�te man sich damit, einen Brunnen für die Offentlichkeit zugänglich zu machen. Heute stehen die „Wasserabho­ ler“ zeitweise Schlange und die Q!ielle spen­ det nach wie vor umsonst ihr „Heilwässer­ chen“ an die mit allen möglichen Behält­ nissen versehenen Besucher. langsam wuchs die Anlage, zumal man mit der Gemeindereform einen Unterstüt­ zung gewährenden Partner in Form der Ge­ meinde Niedereschach gefunden hatte. Ein kleiner See entstand, ein Pavillion, ein Kin­ derspielplatz und ein kleiner Festplatz folg­ ten, dazu eine Wassertretstelle und eine größere Biotopanlage. Tiergehege mit Scha­ fen verschiedener Rassen, Zwergziegen, Rinder der Hinterwälderrasse, aber auch Hühner, Tauben und langbeinige Pfauen wurden angelegt. Im Mittelpunkt steht, zu­ mindest was sein Gebrüll angeht, der Esel Ludwig, der seinen Namen eigentlich Lügen straft, denn er versteht sich inzwischen ge­ nausogut aufs Betteln wie alle anderen Tie­ re, die den Besuchern ungeniert aus der Hand fressen. Inzwischen sind weitere Tiergehege ge­ plant. Dies freilich immer unter dem Ge­ sichtspunkt der kleinen Schritte und mit Be­ dachtsamkeit. Auch ein Geräteschuppen, Toiletteneinrichtungen und vielleicht eine kleine Schankstätte stehen in den Vorstel­ lungen der Verantwortlichen. Mrmin Reich 326 Tiere fii1tern ist in Kappel erlaubt, Spaß haben die Kinder aber auch auf der Rutsche.

Stätten der Gastlichkeit Das Kurhaus Bad Dürrheim Ein gesellschaftlicher Treffpunkt im Herzen des Kurortes Gesellschaftlicher Mittelpunkt Bad Dürr­ heims für Kurgäste und Bürger mit Aus­ strahlung für die ganze Region – das ist das Kurhaus mit dem Kurhaus-Restaurant. Die­ se „gute Stube“ des Soleheilbades und Heil­ klimatischen Kurortes Bad Dürrheim ver­ fügt über eine lange Tradition als Stätte der Gastlichkeit. Das 1937 direkt am Kurpark er­ baute Kurhaus erfuhr 1962 eine erste Mo­ dernisierung und 1994 zur Landesgarten­ schau im Bad Dürrheimer Kurpark einen grundlegenden Umbau. Vom Keller bis zum Dach unterzog sich das Kurhaus einer 17monatigen Schön­ heitskur. Der große Kurhaussaal, das Re­ staurant, die Tagungsräumlichkeiten, die Bühne, die Foyers, die Technik – nahezu al­ le Bereiche zeigen sich nach erfolgtem Um­ bau zeitgemäß und ansprechend. Viel Glas, helles Holz und die Leitfarben Weiß, Grau und Blau betonen die elegante Note des lichtdurchfluteten Kurhauses. Große schallisolierte Glasschiebewände mit Jalousien erlauben eine flexible Nutzung der Räume: der Kurhaussaal und das benach­ barte Restaurant können als Einheit oder se­ parat eingesetzt werden. Die Gästebewir­ tung im gesamten Kurhaus liegt in den Hän­ den des engagierten Kurhaus-Pächters Bodo Müller und seinem Team. Dreh- und Schaltstelle der Kurhausrestau­ ration ist die runde TI1eke. Diese strategisch durchdacht plazierte Servicestation erlaubt die gleichzeitige oder auch separate Bewirt­ schaftung von Restaurant, Kurhaussaal und großem Foyer. Ein (behindertengerechter) Aufzug wirkt verbindend zu den Tagungs­ räumlichkeiten auf der Galerie im Oberge­ schoß. Als Stätte der Gastlichkeit verfügt das Kur- Das Kurhaus Bad Dürrheim hat einen zeitgemäßen und ansprechenden Umbau e,fahren. 327

Der Kurhaussaal bietet bis zu 180 Personen Platz, das Restaurant (Bild unten) bis zu 90 Gästen. Dreh­ und Schaltstelle ist die runde Theke, die die gleichzeitige ßewirtschaft1111gvo11 Kurhaussaal, Restaurant und großem Foyer erla11bt. Gastronomischer Mittelpunkt ist das A-la-carte-Resta11ra11l. 328

Sonnenreich, aud, an kalten Tagen: Der Wintergarten des Kurhauses, schick mit Natursteinen und großen Glaselementen gestaltet. 329

An den Wintergarten des Kurhauses schlief11 sich die Sonnenterrasse an, die an warmen Sommerabenden zum gemiitlichen Verweilen einliidl. system erlaubt die Bedienung von 250 Per­ haus über die Möglichkeit der Betreuung auch großer Gesellschaften. Der Kurhaus­ sonen mit einem Fünf-Gang-Menü binnen zweieinhalb Stunden. saal empfängt bis zu 180 Personen, das Re­ Zum Kurhaus gehört auch ein Wintergar­ staurant 90 Gäste. So können bis zu 270 Per­ ten, schick mit Naturstein und großen Glas­ sonen stilvolle Feste feiern. Der Konferenz­ elementen gestaltet, und die anschließende raum auf der Glasgalerie im ersten Stock Sonnenterrasse, umgeben von prachtvollen kann nicht nur für Tagungen und Seminare, Rosenbeeten und Blumenrabatten mit Blick sondern auch für private Feste oder Firmen­ in den Kurpark und auf das Bade-und The­ jubiläen (für bis zu 100 Teilnehmer) gebucht rapiezentrum Solemar. Wintergarten und werden. Sonnenterrasse verbinden das Kurhaus mit Gastronomischer Mittelpunkt des Kur­ dem Kurpark und holen die Natur quasi ins hauses ist das A-la-carte-Restaurant. In ni­ Haus hinein. Diese Kurhausbereiche erfreu­ veauvollem Ambiente begrüßt dort Bodo en sich großer Beliebtheit bei den Gästen. Müller seine Gäste. Gepflegtes Mittagessen Bad Dürrheims Kurorchester und der Al­ und abendliche Tafelfreuden im Kerzen­ leinunterhalter spielen regelmäßig auf der licht, Festmenüs und gemütliche Kaffee­ Kurhausterrasse, im Kurhaussaal und im be­ stunden mit hausgebackenem Kuchen am nachbarten Musikpavillon Kurkonzerte und Nachmittag – das Kurhausrestaurant be­ herrscht die Kunst des Verwöhnens. Das gepflegte Tanzmusik. Auf dem Veranstal­ tungskalender des Kurhauses stehen regel­ Spektrum der Speisen reicht von gutbürger­ mäßig Heimatabende, Konzerte, Theater­ lich über saisonale und regionale Spezialitä­ vorführungen und Tanzabende. ten. Auch auf größere Gesellschaften ist die Dagmar Schneider-Damm Küche eingerichtet. Ein spezielles Bankett- 330

International und doch bodenständig „Hirschen“ in Blumberg seit vier Generationen im Besitz der Familie Salomon Ein traditionsreiches Haus ist der „Hir­ schen“ an Blumbergs Hauptstraße, fast di­ rekt gegenüber vom Rathaus. Seit vier Ge­ nerationen ist das Gasthaus in Familienbe­ sitz und seit 1963 führt Herbert Salomon das Haus, mittlerweile unterstützt von sei­ nem Sohn Hans-Joachim Salomon, der als Küchenmeister die Regie in der Küche un­ ter sich hat. Ein altes, schönes Bild in der Gaststube zeigt den alten „Hirschen“, ein langge­ strecktes Gebäude mit den notwendigen Ökonomieteilen, angepaßt den benachbar­ ten, bäuerlichen Anwesen. Das hat sich lan­ ge schon geändert. Landwirte, zumeist Schä­ fer, waren es, die den Gasthof umtrieben, und manch alter Blumberger kann sich noch an das Wissen des Großvaters der jetzigen Generation erinnern. Hermann Salomon, Schäfer, hatte für viele Wehwehchen einen wirksamen Trank, besprach Warzen und war hilfreich für Mensch und Tier. 1972 brannte das alte Anwesen ab und wurde 1973 in heutiger Form wieder in Be­ trieb genommen. Das Lokal verfügt über ge­ pflegte Gästezimmer, Nebenräume für Ver­ anstaltungen und private Feiern sowie eine sehr gefragte Kegelbahn. 1992 hat der Sohn des Hauses, Hans-Joachim Salomon, die Re­ gie in der Küche übernommen und führt den „guten Grundstock der Eltern“ weiter. Geprägt wird die Küche im „Hirschen“ durch die eigene Landwirtschaft und Haus­ schlachtung. ,,Diese Möglichkeit und natür­ lich der regionale Touch ergänzen sich opti­ mal“, so Küchenmeister Hans-Joachim Sa­ lomon. Spezialitäten aus überlieferten Rezepten sind auf der Speisekarte zu finden, wie das „Blumberger Graupensüpple“ oder die Eine gepflegte Atmosphäre in freundlicher Umgebung zeichnet den B!umberger „Hirsd,en „aus, der sich seit vier Generationen im Besitz der Familie Salomon btftndel. 331

„Schweinskopfsülze nach Art der Hirschen­ wirtin“ mit hausgemachten Bratkartoffeln, die Bratwürste, die es variantenreich gibt, auch zum opulenten Salatteller und deren Ruf in Wanderkreisen weit verbreitet ist. Neben dieser bodenständigen regionalen Küche, enthält die Speisekarte auch eine in­ ternationale Auswahl, und bei privaten Fe­ sten berät Hans-Joachim Salomon seine Gä­ ste im vorhinein und spricht den gewünsch­ ten Menü-Plan sorgfältig ab. Klar, daß dann ebenso sorgfältig die Weine zu jedem Gang abgestimmt sind. Der Küchenchef kennt sich aus, hat er sich doch seine kochkünstle­ rischen Sporen im „Adler“ in Häusern, im ,,Ritter“ in Durbach und im „Krautkrämer“ im westfälischen Münster verdient. ,,Das ist alles für mich wichtig gewesen, und die Er­ fahrungen in der benachbarten Schweizer Gastronomie möchte ich auch nicht mis­ sen“, so Salomon. Alle diese Erfahrungen sind nun ins Blumberger Lokal eingeflossen. Großen Wert legt Salomon darauf, daß jeder an seinem Tisch essen kann, worauf er gera- de Lust hat, ob nun exquisite Cuisine oder badische Hausmacher-Kost. Wichtig für den Küchenchef sind beste, frischeste Zutaten und so ist nicht verwun­ derlich, daß er im eigenen Kräutergarten die Würzpflanzen selbst zieht. ,,Das ist ein Hobby von mir“, so Salomon, „und somit kann ich lOOprozentige Frische garantie­ ren“. Ausgesuchte badische Tropfen finden sich auf der Weinkarte und für „reingeschmeck­ te“ Gäste wird sorgsam beraten, welcher Wein denn nun zu welchem Menü paßt. Gefällig dekoriert und angerichtet wird jede Mahlzeit serviert, ,,auch der Wurstsalat“, merkt Salomon an, ,,das Auge ißt mit und darf nicht unterschätzt werden“. So versteht es sich dann auch, wie er die Gastlichkeit im Blumberger „Hirschen“ auf den Nenner bringt: ,,Sie bringen den Anlaß, wir stellen den Rahmen und bei uns ist jedermann ein wirklicher Jemand.“ Die Gäste wissen es zu schätzen. Chrisliana Steger Das Herzstiick des gasllichen Hauses isl die Küche, in der mil liebe gekochl wird. Auf unserem Bild Hans-Joachim Salomon mil Ehefrau. 332

II Der Blumberger „Hirschen‘: wie er sich um die Jahrhundertwende präsentierte. Im „Ochsen“ war auch Lloyd George zu Gast Das Furtwanger Hotel seit 1993 im Besitz der Familie Keller Eines der ältesten Wirtshäuser der Stadt Furtwangen ist der Gasthof „Zum Ochsen“. 1751 erstmals in einem Kaufbrief erwähnt, war der „Ochsen“ schon immer das erste Haus am Platz. Hier wurden bedeutende Anläße wie die Einweihung der Bregtalbahn vor mehr als 100 Jahren genauso gefeiert wie der Besuch des britischen Ministerpräsiden­ ten Lloyd George 1923. Vor neun Jahren wurde das Haus grundle­ gend renoviert, 1990 kam noch ein Anbau hinzu. Seit 1993 fuhrt der gebürtige Schwei­ zer Urs Keller als Pächter den Hotel- und Re­ staurantbetrieb. Der Koch und Hotelfach­ mann hat in der Schweiz gelernt, seine Frau Marion stammt aus dem Allgäu und ist ebenfalls vom Fach. Natürlich schlägt sich die Herkunft Kellers auch in der Speisekar­ te nieder – neben der regionalen Küche gibt es Schweizer Spezialitäten wie zum Beispiel Rösti. Aber auch Gerichte aus dem Allgäu findet der Gast auf der Karte. Eine beson- Urs und Marion Keller mit Tod,ter Carina. dere Spezialität des Hauses ist das „Ochsen­ pfannle“: Rinder- und Schweinslendchen in Pilzrahmsauce mit hausgemachten Spätzle, dazu eine Beilage aus vier verschiedenen Gemüsen. ,,Die Lendchen werden im Pfänn­ le serviert und sind mal etwas anderes“, sagt Keller. Immer wieder gern bestellt wird auch die Salatplatte mit Rindfleischstreifen. 333

im Millelpunkl von Furtwangen gelegen, der „ Ochsen“ um 1900, gegenüber das Rathaus. Aus dem hauseigenen Qiellwasserbassin kommen die frischen Forellen, gespeist wird das Becken von einer Qielle am Sommer­ berg. Durch das Qiellwasser bekommen die Fische genügend Luft, es muß kein Sauer­ stoff zugeführt werden. Bis zu 15 Forellen haben in dem Bassin im Keller Platz, wenn die verbraucht sind, muß Urs Keller für Nachschub sorgen. Die Forellen werden in den klassischen Zubereitungsarten angebo­ ten: Forelle blau, Müllerin und Forelle in Mandelbutter gebacken. Die Gäste geben keiner dieser Zubereitungsarten den Vorzug, ,,das ist Geschmackssache.“ Eine ständig al­ ternierende Tageskarte sorgt für Abwechs­ lung, dabei ist immer ein preiswertes Mittag­ essen. ,,Der Trend geht zu kleinen Portio­ nen, wir haben mittlerweile vier Senioren­ teller im Angebot. Häufig wollen die Leute nur eine Kleinigkeit essen.“ Ebenso auf dem Vormarsch sei die vegetarische Küche, leicht und fettarm soll das Essen sein. Hier biete sich Fisch an, der sei eiweißreich, oder Pu- tenfleisch. ,,Es müssen ja nicht immer Sah­ nesaucen sein, auch Salate sind sehr ge­ fragt.“ Eine Neuerung wird es im Sommer im „Ochsen“ geben, einmal in der Woche wird ein Grillabend im Gartenlokal angeboten. Bei gutem Wetter wird draußen gegrillt, da­ zu soll ein Salatbüffet mit 15 verschiedenen Salaten bereit stehen. Außerdem gibt es ne­ ben der Fischwoche im Frühjahr eine Wild­ woche im Herbst und die schon obligatori­ sche Spargelwoche. Eine Schweizer Woche ist geplant. Zu einem guten Essen gehört ein Dessert, das hausgemachte Eisparfait Souffle „Grand Manier“ läßt da keine Wünsche offen. Qualität und frische Ware sind dem Koch wichtig, die Zutaten für seine Küche kom­ men aus der Region. Das Gemüse bezieht Keller vorn Kaiserstuhl, das Fleisch kommt aus der Umgebung. Bei Fisch gibt es auch tiefgekühlte Ware, die sei frischer als der Frischfisch, klärt der Fachmann auf 334

In dem 64-Betten-Hotel steigen sowohl Geschäftsreisende wie auch Urlauber gerne ab. Im Winter sind es mehr Geschäftsrei­ sende, im Sommer kommen dann die Fe­ riengäste. Zu den wohl prominentesten Gä­ sten in jüngster Zeit gehören die „Fallers“, die bei Dreharbeiten in der Nähe gerne in dem komfortablen Landgasthof übernach­ ten. Im „Ochsen“ finden Vereinsversamm­ lungen und Familienfeiern statt. Bis zu 90 Personen können hier auch Hochzeit feiern. Zu den Familienfeiern meint Keller, es sei oft so, daß Familien alle feierlichen Anlässe in einem Gasthof abhielten. Natürlich gibt es im „Ochsen“ einen Stammtisch, so frequentiert wie früher sei dieser jedoch nicht mehr. In alten Zeiten sei­ en die Männer nach der Kirche zum Stamm­ tisch gegangen, ,,das ist heute nicht mehr so.“ Immerhin gibt es noch ein regelmäßiges Stammtischtreffen der Furtwanger Unter­ nehmer am Dienstagabend. Sabine Schnerring Die Gaststube des „ Ochsen“ und Blick auf die Fassade mit prächtigem Wirtshausschild. 335

Der „Maierhof“ war einst das „Bierhüsli“ Die Familie Bärmann bietet gute Küche und ein geschmackvolles Ambiente Um die Jahrhundertwende konnte der mü­ de Wanderer im Gütenbacher Gasthaus ,,Maierhof“ seinen Durst noch mit selbstge­ brautem Bier löschen. Bis 1950 wurden auch Limonade und Selters selbst hergestellt, bei den älteren Gütenbachern ist der „Maier­ hof“ deshalb immer noch als „Bierhüsli“ be­ kannt. Heute kann man dort zwar kein selbstgebrautes Bier mehr bekommen, dafür aber zwischen Vesperteller und Sieben-Gän­ ge-Menü schwelgen. Die vielseitige Speise­ karte bietet für jeden Geschmack etwas, vom einfachen, aber leckeren Wurstsalat, bis zur gehobenen, neuen badischen Küche, und das ist durchaus so gewollt. Das schöne alte Gasthaus ist seit 1873 im Besitz der Familie Bärmann und bietet ein geschmackvolles Ambiente. Die Wirtin Ul­ rike Bärmann, gelernte Hotelfachfrau, legt besonderen Wert darauf, ihre Gäste persön­ lich zu beraten. Ihr Mann Clemens hat als Auf ein geschmackvolles Ambiente wird im ,,Maierhoj“großen Wertgelegt. 336 Koch ebensoviel Spaß an seinem Beruf und überrascht seine Gäste immer wieder mit neuen Einfällen. Gelernt hat Bärmann im „Adler“ im Glottertal, seit 19 Jahren führt er mit seiner Frau den „Maierhof“, den er vom Vater übernahm. Natürlich müssen die Lebensmittel für die Küche Bärmanns besonders frisch sein. So kommt das angebotene Wild aus der Jagd des Vaters, die Forellen stammen aus dem ei­ genen Teich in der Teichbachschlucht. Wei­ tere Zutaten werden aus der näheren Um­ gebung bezogen. Zweimal in der Woche fährt Bärmann nach Freiburg oder Villin­ gen, um dort auf dem Markt einzukaufen. Zurück zum Schlemmen, ein Sieben-Gän­ ge-Menü könnte im „Maierhof“ folgender­ maßen aussehen: hausgebeizter Hirsch­ schinken mit Preiselbeerrahm, legiertes Kräutersüppchen unterm Blätterteighut, Lachs-Zanderroulade oder Perlhuhnbrust mit kleinem Gemüse, Sorbet von Limonen und Blutorangen, Rehfilet mit frischen Pil­ zen und hausgemachten Spätzle, Dessertva­ riationen von Früchten und Halbgefrore­ nem, Gütenbacher Bergkäse. Als Aperitiv empfiehlt sich Champagner aus dem Elsaß, Cremant d’Alsac, zum Wild einen Glotter­ taler Spätburgunder. Nach so einem oppulenten Mal kann der­ jenige, dem der Weg nach Hause zu weit ge­ worden ist, zum Übernachten gleich dablei­ ben: Acht moderne Gästezimmer stehen zur Verfügung. Zum Fitmachen gibt es eine Finnische Blockbohlensauna, einen Fit­ neßraum und auf Wunsch Trekkingräder. Viele Gäste lieben es, sich von einem Über­ raschungsmenü im „Maierhof“ verwöhnen zu lassen. Zu den reichlichen Portionen, die es bei den Bärmanns gibt, sagt der Koch: „Ich möchte nicht, daß ein Gast hungrig aus

Lithographie von Gütenbach und dem „Maierhof‘: entstanden um 1900. Unten die Gaststube in den 1950er Jahren. 337

gesellschaftliche Mittel­ punkt der kleinsten Ge­ meinde im Schwarzwald­ Baar-Kreis zu sein. Von den früheren „Wälder­ hochzeiten“ berichten die Eltern und Großeltern von Clemens Bärmann. Gehei­ ratet wurde damals diens­ tags und donnerstags, häu­ fig wurde ein Tag später noch nachgefeiert, weil nicht alle Gäste Platz hat­ ten. Zuerst ging man zur „Morgensuppe“, die bei den Eltern der Braut einge­ nommen wurde. Nach der Kirche begleitete die Mu­ sikkapelle die Festgesell­ schaft ins Wirtshaus. Dort angekommen, trugen sich alle Gäste in das Hoch­ zeitsgästebuch ein, da sie ihre Zeche selbst bezahlen mußten. So ein Hochzeits­ essen kostete zwischen 3,50 und 5,00 Mark. Vor dem Essen war der Suppentanz. Getafelt wurde mit Mittag­ essen, Kaffee und Kuchen, abends Braten und Spätzle Der „Maierhof“ und Giitenbach, eins/ befand sich in dem Gasthaus und um 22.00 Uhr noch Aufschnitt. An der Hoch- auch eine Bierbrauerei. zeitstafel gab es kein Bier, die Männer gingen deshalb am Nachmittag in ein anderes Gasthaus, man sagte, ,,sie gin­ gen ins Bier“. Erst in den 1960er Jahren wur­ den die eingeladenen Gäste freigehalten und das Hochzeitsgästebuch wurde nicht mehr gebraucht. Aus der Chronik des „Maierhofs“ läßt sich folgendes berichten: Das Haus wurde 1830 erbaut und von Roman Maier (Bierbrauer) 1873 erworben. Roman Maier ist der Großvater des heutigen Besitzers Clemens Bärmann, er war es auch, der das „Bierhüs­ li“ in „Maierhof“ umbenannte. Um die dem Lokal geht. Natürlich sind die Portio­ nen bei einem mehrgängigen Menü kleiner gehalten, aber auf dem Teller suchen muß man sie deswegen nicht.“ Für große Feste können die Wirtsleute bis 250 Personen in dem geräumigen Saal un­ terbringen, der besonders bei Hochzeiten und anderen Festivitäten gerne in Anspruch genommen wird. Neben der Atmosphäre im Wirtshaus, der freundlichen Bedienung und guten Küche, ist auch dieser Saal seit eh und je ein Garant dafür, daß der „Maierhof“ für sich in Anspruch nehmen kann, auch der 338

„Maierhof“ – GOtenbach Sonntag, den 2. Januar 1921 � === Theater-Abend==== veranstaltet vom Reichsbund der Kriegsbeschldi8f.en Ortsgruppe Furtwangen ,,fiubertus“ Scbntpitl la 4 A1lftlto no Robtr1: Onrwq. Spitll1ita1g: O.rl Oortr. Kottl·•: S.uewtb1t-Ml1-… :..:.“=;..,;=•‘–=““=‘ IL Pltlt IIL S.- PNise d“ Pl“‚e· 1. Pl•t• 111t. ,.- ) Sltbpl11J llt. 2.- K … u.01r6faao9 6 Ubr. tluellL St- Anlt19 patt 7 Ullf, Der „Maierhof‘ ist seit jeher ein geseUscheftlicher und kultureller Mittelpunkt Gütenbachs. Die Foto­ grafie links düifte eine der ältesten sein, die es von Gütenbach gibt, sie zeigt das Gasthaus im Jahr 1875 und wurde von F Hummel aufgenommen. Rechts die Ankündigung eines Theaterabends. Jahrhundertwende erweiterte er das Gast­ haus mit einem Saalanbau. Sein Nachfolger Alfred Maier ließ 1925 eine T heaterbühne an den Saal anbauen. Bier wurde nur bis 1914 im „Maierhof“ gebraut, Limonade und Mineralwasser stellte man bis 1950 her. In diesem Jahr übernahm Zita Bärmann ge­ borene Maier (die Tochter von Alfred Mai­ er} den „Maierhof“. Seit 1984 betreibt Sohn Clemens Bärmann mit seiner Frau Ulrike das renommierte Gasthaus. Zu den prominentesten Gästen der heuti­ gen Zeit zählt die Fernsehfamilie, „Die Fal­ lers“. Bei den Dreharbeiten im Februar und März 1996 hat Clemens Bärmann täglich für die Fernsehcrew gekocht. „Das war eine gute Sache für uns“, berichtet er. Sabine Schnerring 339

Ein Schonacher Berggeist: August Kaiser Vor 37 Jahren eröffnete er das „Berghüsli“ An der Aussicht allein kann es nicht liegen, daß Tag für Tag Hungrige, Durstige und Kaf­ fee-Lüsterne den steilen Anstieg, auch eini­ ge Kilometer Wanderung nicht scheuen, um zum „Berghüsli“ in Schonach zu gelangen. Es wird auch die gutbürgerliche Speisekarte allein nicht sein, die dem Cafe-Restaurant den Zulauf beschert, von dem andere Be­ triebe in der Umgebung gern träumen. Liegt es am „Berggeist“, den der Senior-Wirt Au­ gust Kaiser seit den 60er Jahren eigens für sein Haus brennen läßt? Oder ist es eher der (Berg)-Geist, der in diesem Haus herrscht, der Einheimische und Stammgäste unter den Touristen immer wieder nach oben treibt? Den Geist des Hauses verkörpert August Kaiser. Als gebürtiger Schonacher ist ihm Müßiggang zuwider, humorvoll wandelt er auf Optimismuspfaden. Kein Wunder, wenn sich so mancher Gast anstecken läßt und ihm unbesehen glaubt, daß die Felsen hinter seinem Haus eben die „Kaiserfelsen“ sind. Weitblick, den will der Senior-Wirt im doppelten Sinne: Wer im „Berghüsli“ einen der begehrten Fensterplätze erwischt, hat ei­ nen herrlichen Blick über Schonach hinweg hinüber zum Winterberg. ,,Als ich dieses Haus hier baute, konnte ich direkt ins Dorf gucken und auf den Kirchturm“, sagt August Kaiser. Das ist schon einige Zeit her. Damals bewies er inneren Weitblick: August Kaiser suchte nach dem Zweiten Weltkrieg für sich und seine Familie eine Existenz, die Heimat zugleich sein sollte. Nach der Währungsre­ form kaufte er das Grundstück oberhalb Schonachs. ,,Damals war es hier noch nicht so besiedelt“. Kaiser baute in Eigenarbeit ein Einfamilienhaus und richtete einen Holzbetrieb ein. Er fertigte Kuckucks­ pfeifen. Das Geschäft lief zwar, es wurde ei- 340 nc Werkstatt angebaut, doch Kaiser hatte andere Pläne. Schonach hatte in den fünfzi­ ger Jahren als Fremdenverkehrsort schon ei­ nen Namen, ein Cafe hätte Zukunft, also wurde das Haus umgebaut. 40 Plätze hatte das „Berghüsli“. W ährend August Kaiser die äußeren Voraussetzungen für das künftige Cafe sicherte, erwarb Ehefrau Henny das ga­ stronomische Rüstzeug als künftige Wirtin in einem Hotel in Reit im Winkel. Ab dem 1. Mai 1959 hatte Schonach eine Attraktion mehr: das „Berghüsli“ wurde eröffnet und fand sofort Anklang. August Kaiser erinnert sich: ,,60 Pfennige kostete ei­ ne Tasse Kaffee und unsere Karte war klein.“ An Getränken führte man neben Kaffee, Tee und Kakao Starkbier, Lagerbier, Limo, Na­ tursprudel, Cola und Libella. Die Speisen, von der Wirtin gerichtet, waren: Wurstbrot, Schinkenbrot und Wurstsalat. Der Kuchen wurde und wird auch heute noch selbst ge­ backen. Bald war die Gaststube zu klein, man baute um, erv,eiterte. Heute haben 120 Gäste Platz und die Karte ist wesentlich er­ weitert. In der Küche arbeitet nach wie vor die Seniorwirtin. Und da der Sohn Peter in­ zwischen das Haus übernommen hat, ist auch die Schwiegertochter in der Küche tätig. ,,Das ist ein Familienbetrieb“, freut sich August Kaiser. Und der Enkel Timo läßt auf ein Weiterbestehen des Betriebes hof­ fen: er lernt zur Zeit Koch. Zurück zum „Berggeist“. Der in Flaschen gefüllte hat so manchen Gast zum Wieder­ kommen veranlaßt und zu kreativem Tun angeregt. Davon zeugt das Gästebuch. Die Jakob-Sisters waren zu Gast, Erich Bölcke, der lange Zeit das Philharmonische Orche­ ster in Tokio geführt hat, auch Gung Sook Cho und einige andere Koreaner. Einen Gast aber wird August Kaiser nicht so schnell vergessen. Er verhalf nicht nur sei-

Das „Berghiisli“ in Sd,onach, der dort ausgeschenkte „Berggeist“ und August Kaiser fanden sich in den sechziger Jahren unversehens wieder in einem „Wastl“-Comic. Zwei dieser Hefte hütet der Schonacher Wirt wie seine Augäpfel. nem Haus, sondern ganz Schonach zu einer gewissen Berühmtheit. In den sechziger Jahren gab der Bastei­ Verlag aus Bergisch-Gladbach die „Wastl“-Hefte heraus. Und in einem dieser Hefte waren Wastl und seine J Freunde Kuckucksuhrendieben auf der Spur und kamen überTitisee und St. Georgen auch nach Triberg und in die „Kuckucksuhrenstadt“ Schonach. Da muß der „Berggeist“ von August Kaiser kräftig mitgespielt haben, den der Comic-Zeichner bei ihm genoß. Auch das „Berghüsli“ wurde zeichne­ risch verewigt. ,,Im Nu waren alle Wastl-Hef­ te damals ausverkauft“, erinnert sich August Kaiser, ,,die letzten sieben Hefte habe ich am BahnhofVillingen gekauft.“ August Kaiser ist ein zufriedener Mensch. Er hat sein Leben lang geschafft und wird auch weiterhin arbeiten. Darin sieht er die Grundlage für Glück und Zufriedenheit. Dennoch: ,,Ein rechter Wirt darf das, was er tut, nicht als Arbeit ansehen, sondern als Hobby“, sagt er, vergißt aber auch nicht sei­ ne 73jährige Frau, für die das all die Jahre 341

Das Ziel vieler Auiflügler, das Schonacher „Berghüsli“. kein Zuckerschlecken war. ,,Ich habe das al­ les keine Minute bereut.“ Und dabei hatte er kaum Freizeit. Nur einmal im Jahr überläßt er das „Berghüsli“ der Familie: zur Fasnet. Seit 33 Jahren sitzt er im Elferrat der Scho­ nacher Narrenzunft der Geißenmeckerer und Geißenmägd. Auch die Narrenzeitung gehört zu seinem Wirkungskreis. Und so manchem jungen Gast kommt die Stimme sehr bekannt vor. Kaiser war auch jahrelang als Nikolaus sehr erfolgreich. Soviel Heimatliebe hat auch noch andere Auswirkungen: Im April 1980 kam das Tri­ berger Wörterbuch von Oskar Fleig heraus, an dem August Kaiser maßgeblich beteiligt war. Zur Freude des Autorenteams entdeck­ te er, daß die Gremmelsbacher und Scho­ nacher ähnliche Dialekt-Begriffe und ande­ re als die Triberger haben. Das, so schluß­ folgert August Kaiser, komme daher, daß Triberg durch den internationalen Gäste­ strom um die Jahrhundertwende von außen beeinAußt wurde, während die ländlichen Orte davon unberührt blieben. Nein, nur der Aussicht wegen kommen auch die Schonacher nicht ins „Berghüsli“. Neben Küche und Keller ist es wohl vor al­ lem August Kaiser und seine Lebensphilo­ sophie ein Magnet. Einer seiner Grundsätze lautet übrigens: ,,Ärgern ist Energiever­ schwendung.“ Renale Bökenkamp 342

Sport Willi Müller eine lebende Legende Einer der erfolgreichsten deutschen Gewichtheber kommt aus Fischbach Willi Müller – in Gewichtheber- und Kraft­ dreikampfkreisen kennt diesen Namen je­ der. Als „Rekord-Willi“ ist er weithin be­ kannt, und wären das Gewichtheben und der Kraftdreikampf keine „Randsportarten“, Willi Müller würde Weltruhm genießen. Seine Erfolge lesen sich wie ein Märchen­ buch: Bei den Gewichthebern war Willi Müller ein „Spätstarter“, denn er kam erst im Alter von 18 Jahren mit der Hantel in Berührung, das war 1957. Doch bereits in den Jahren 1959 und 1960 wurde er in der Klasse bis 82,5 kg Deutscher Juniorenmeister, und 1968 errang er in der Klasse bis 90 kg bei den Aktiven den Deutschen Meistertitel. Zehn Jahre lang war Willi Müller bei den Deut­ schen Gewichthebermeisterschaften immer unter den ersten drei zu finden. Zirka 20 Deutsche Rekorde und rund 120 Landesre­ korde hat Müller in dieser Zeit in den Klas­ sen bis 82,5 kg, 90 kg und 110 kg aufgestellt. Die Klasse bis 100 kg wurde erst 1972 ein­ geführt. Seine weitaus größten Erfolge errang Mül­ ler aber in seiner zweiten Karriere, als Seni­ or, in seiner neuen Disziplin dem Kraftdrei­ kampf, bestehend aus dem „Bankdrücken“, dem „Kreuzheben“ und der „Kniebeuge“. Vier Weltmeistertitel, sechs Europameister­ titel, sieben Deutsche Meistertitel, ein drit­ ter Platz bei der jüngsten Weltmeisterschaft 1995, und im Alter von 54 Jahren Deutscher Meister im Kreuzheben sowie ein 3. Platz bei den Deutschen Meisterschaften im Kraftdreikampf bei den Aktiven sprechen Bände. Der am 22. Juni 1939 in Fischbach geborene Ausnahmeathlet hat in dieser Zeit als Senior in der Klasse bis 100 kg 15 bis 20 Weltrekorde aufgestellt, in der Klasse bis 100 kg und 110 kg waren es 25 bis 30 Deutsche Rekorde. Hinzu kommen für Müller viele schöne Erfolge als Trainer. 1987 wurde er als Trainer des SV Flözlingen zum besten Trainer in Baden-Württemberg gewählt, in seiner 17jährigen Trainerlaufbahn konnte er mit seinen Schützlingen tolle Erfolge erzielen. Viele Landesmeister im Jugendbereich ka­ men aus seiner Schule, einmal reichte es mit Flözlingen im „Konzert der Großen“ sogar zum dritten Platz bei den Deutschen Ju­ gendmannschaftsmeisterschaften und zum 2. Platz bei den Deutschen Juniorenmann­ schaftsmeisterschaften. Viele schöne Erfolge in den Einzeldisziplinen seiner Schützlin­ gen kamen hinzu. Mehrere Deutsche Vize­ meistertitel und dritte Plätze erreichte Mül­ ler in seiner Trainerlaufbahn, den SV Flöz­ lingen führte er in die Gewichtheber-Ober­ liga, stolz ist er besonders auch auf die Erfolge von Sohn Reiner auf nationaler Ebe­ ne im Jugend- und Juniorenbereich. Und auf eines ist Müller ebenfalls stolz: al­ le seine Erfolge, ob als Aktiver, Senior oder Trainer, wurden ohne Pillen und Hilfsmittel erreicht. Stets war Willi Müller einer derje­ nigen, der sich für strenge Dopingkontrol­ len einsetzte. Sicher ist es kein Zufall, daß Müller immer erfolgreicher wurde, je stren­ ger die Dopingkontrollen wurden. Doch auch im Mißerfolg war Müller immer sport­ lich fair, daher war und ist er auch bei seinen Gegnern, und natürlich seinen vielen Fans, gleichermaßen beliebt. Um die Sportlerlaufbahn von Willi Müller und seine vielen Erfolge richtig bewerten zu können, muß man seinen Lebensweg ken- 343

Willi Miiller nen. Müllers große Vorbilder waren Juri Wlasow, der 1960 Olympiasieger wurde, so­ wie der Amerikaner Tommy Kono, der zwei­ malige Olympiasieger. Als Willi Müller 1957 als 18jähriger seine Liebe zum Kraft­ sport entdeckte, konnte er noch nicht ah­ nen, daß ihn diese Liebe bis fast ins „Ren­ tenalter“ begleiten würde. Unglaublich, daß er bereits 1959 und 1960 Deutscher Juni­ orenmeister wurde, 1962 stellte er seinen er­ sten Deutschen Rekord auf. In den folgen­ den Jahren, außer 1967, wo er am Blind­ darm operiert wurde, fehlte er bei keiner Deutschen Meisterschaft und stand immer auf dem Treppchen, 1968 sogar ganz oben. Im Mittelschwergewicht erreichte er 150 kg im Drücken, 179 kg im Stoßen und 145 kg im Reißen. Mit seiner Klasseleistung lag er damals im Stoßen nur noch II kg unter dem damaligen Weltrekord. 1968 war aber nicht nur ein Jahr der großen Erfolge fur Willi Müller, nein, es war auch das Jahr der wohl bittersten Enttäu- schung fur ihn. Der erhoffte Lohn seiner Mühen blieb aus. Er wurde um die Fahrkar­ te zu den Olympischen Spielen in Mexiko betrogen. Er mußte damals die schmerzliche Erfahrung machen, daß ihm ein anderer, mit besserer Lobby, nicht aber mit besseren Leistungen, vorgezogen wurde. Eine Praxis, die leider auch heute noch allzuoft ihre Gül­ tigkeit hat. Trotzdem gab Willi Müller, sei­ nem Naturell entsprechend, nie auf. Ab 1970 startete er dann in der Kategorie bis 110 kg, stets sein Traumziel, Olympia, vor Augen. Durch beständiges Training konnte er seine Leistungen immer mehr stei­ gern. Willi Müller brachte es im Drücken auf beachtliche 173 kg, seine Bestmarke im Reißen schraubte er auf 156 kg, im Stoßen erreichte er gar 196 kg. An der magischen 200 kg-Schallmauer scheiterte er nur knapp. Mit diesen Leistungen war er fur Olympia 1972 im eigenen Land auf Medaillenkurs. Doch es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein: Ein Jahr vor den Spielen mußte er we- 344

gen einer Arthrose im Schultergelenk aufge­ ben. Nach diesem neuerlichen Schicksals­ schlag verabschiedete sich Willi Müller vom Leistungssport, verließ seinen damaligen Verein Fellbach, die Stätte seiner größten Er­ folge, und kehrte in seine Heimat Fischbach zurück. 1973 heiratete Willi Müller seine Frau Wal­ traud, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hat, den ebenfalls vom Gewichtheben begeisterten Reiner Müller. Im gleichen Jahr gründete Willi Müller als gelernter Maurer ein Baugeschäft und baute ein Eigenheim in Fischbach. Obwohl ihn sein Geschäft und seine Familie sehr in Anspruch nahmen, ließ ihn das Gewichtheben nicht los. Die Er­ innerungen an die zum Teil herben Enttäu­ schungen verblaßten, die positiven Stun­ den, die ihm der Sport gegeben hatte, stan­ den wieder im Vordergrund. Seine ganzen Erfolge hatte Willi Müller noch mit der Aus­ falltechnik errungen. Heute, mit viel mo­ derneren Trainingsmethoden und neuer Technik, sind seine Rekorde zwar überholt, den „Spitznamen“ ,,Rekord-Willi“ hat er je­ doch beibehalten. Von 1976 bis 1993 hat Willi Müller im benachbarten Flözlingen wieder eine Gewichthebermannschaft auf­ gebaut, die vielen Erfolge mit dem SV Flöz­ lingen hat Willi Müller alle mit „Eigenge­ wächsen“ erreicht, worauf er sehr stolz ist. Durch sein ehrenamtliches Engagement als Vereinstrainer hatte er zwar immer ein bißchen mittrainiert, so richtig „gepackt“ hat es ihn aber erst wieder 1983. Seine neue Liebe galt nun dem Kraftdreikampf. Bei den baden-württembergischen Meisterschaften überzeugte er mit guten 217,5 kg bei der Kniebeuge, 125 kg beim Bankdrücken und 260 kg in seiner Paradedisziplin, dem Kreuz­ heben, wo er in den folgenden Jahren einen Rekord nach dem anderen „purzeln“ ließ. Erneut packte Willi Müller der Ehrgeiz, er intensivierte sein Training und errang Erfolg um Erfolg und machte seinem Namen als ,,Rekord-Willi“ alle Ehre. Heute stehen sei­ ne Bestleistungen in den Kraftdreikampf- disziplinen auf 162,5 kg im Bankdrücken, 282,5 kg bei der Kniebeuge und 320,5 kg im Kreuzheben, wo er noch immer amtierender Weltrekordinhaber ist. Willi Müller, der in jungen Jahren bei Schnee stets mit Skiern von Fischbach nach Flözlingen durchs dunkle Teufental fuhr und dort wie besessen in einer Halle trai­ nierte, die mit schlechter Heizung ausge­ stattet war und in der mitunter die Finger an der Hantel angefroren sind, der im Kreuz­ heben noch nie einen Wettkampf verloren hat, selbst nicht gegen die jungen Athleten, hat wie schon gesagt alle seine großen Er­ folge ohne jeglichen „Stoff“ errungen. Und wer Willi kennt, weiß daß er diese Aussage als bare Münze nehmen kann, denn Willi Müller hielt mit seiner Meinung nie hinter dem Berg. Nicht, daß er Sportfreunde, die vom „Stoff“ nicht lassen können, von Grund auf verurteilt, aber billigen kann er diese Einstellung nicht. Er appelliert daher an alle, die Leistung nicht über Medika­ mente, sondern über das Training zu su­ chen. Und daß dies möglich ist, auch im fortge­ schrittenen Alter, dafür ist Willi Müller der lebende Beweis. Sein Doping ist ein gesun­ des Leben und eine intakte Familie, allen voran seine Frau, die ihn unterstützt, wo es nur geht und uneingeschränktes Vertrauen für ihren sportbesessenen Mann aufbringt. Waltraud Müller ist Willi Müllers größter Fan. Sie feiert mit ihm, wenn es schöne Er­ folge zu feiern gibt, sie steht ihm aber auch an weniger erfolgreichen Tagen zur Seite. Seit 22 Jahren trainiert Willi Müller im ei­ genen Trainingsraum in seinem Haus, un­ zählige Wettkämpfe hat er in dieser Zeit be­ stritten, darunter auch viele Länderkämpfe und Turniere. Unvergessen sind bei ihm der Aufstieg mit Flözlingen in die Gewichthe­ ber-Oberliga, seine vielen Bundesligakämp­ fe mit dem SV Fellbach und der mit Fell­ bach errungene 3. Platz bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften. Seine bis heu­ te vorhandene Fairness und Kameradschaft 345

hat ihm in Fellbach einst den Titel des ersten sportlichen Vorbildes eingebracht. 1990 wurde er zum Sportler des Jahres im Kraft­ dreikampf in Baden-Württemberg gewählt und 1994 zum „Sportler des Jahres“ im Schwarzwald-Baar-Kreis. Erfolge, die in ei­ ner Randsportart sehr selten sind. Seine Bestleistung im Kraftdreikampf steht derzeit bei 755 kg, und wenn es die Ge­ sundheit zuläßt, dann wird Willi Müller, der momentan mit einigen Verletzungsproble­ men zu kämpfen hat, auch künftig noch bei Baden-Württembergischen, Deutschen-, Eu­ ropa- und Weltmeisterschaften an den Start gehen. Es ist also durchaus möglich, daß man auch in den kommenden Jahren von Willi Müller im Kraftdreikampf ähnliche große Taten vernimmt, wie er sie in den zurückliegenden Jahren in der ganzen Welt, von Australien über Ungarn, Kanada, Ruß­ land, Tschechien, Spanien und Schweden erreicht hat. Im übrigen hat Willi Müller alle diese Fahrten selbst bezahlt, denn bei einer Sport­ art, die nicht im Rampenlicht steht, da feh­ len auch die Sponsoren. Nichtsdestotrotz kann man Willi Müller mit seiner Einstel­ lung zum Sport, seinem Trainingsfleiß, sei­ ner Kameradschaft und sportlichen Fairness nur als leuchtendes Vorbild für den Sport allgemein und für die Jugend bezeichnen. Man kann nur hoffen, daß er als Kraftdrei­ kämpfer noch lange aktiv sein kann, auch wenn es jedes Jahr schwerer wird, immer neue Höchstleistungen zu bringen. Doch auch wenn sich Willi Müller eines Tages nicht mehr steigern kann und er sich nicht mehr selbst übertreffen kann, eines wird bleiben: sein Name als „Rekord-Willi“. Albert Bantle Martin Roth sprintet in die Bestenliste Der Sportler aus Fischbach ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent Den Namen Martin Roth aus Fischbach wird man sich in der Leichtathletik merken müssen. 1995 nimmt der am 17. Januar 1979 geborene Nachwuchssportler im 100-m­ Sprint in der Bestenliste des Deutschen Leichtathletikverbandes der B-Jugend, das sind die 16 und l 7jährigen, mit 10,86 sec. den 2. Platz ein. Nur Thomas Sonnenkalb aus Leipzig mit 10,65 sec. war 1995 schnel­ ler als das Fischbacher Nachwuchstalent, das sogar schon einmal 10,81 sec. gelaufen ist, allerdings bei zu starkem Rückenwind. Fünf Tage in der Woche, je zwei Stunden am Tag, hat Roth für das intensive Training in Königsfeld, wo er die Zinzendorfschule besucht, in Rottweil und zum Kadertraining in Sindelfingen reserviert. Dieses Pensum schafft Roth nur dank der Unterstützung seiner Eltern Klaus und Rita Roth, die den Fahrdienst übernommen haben. Aufgrund der jüngsten Erfolge und einer Neugliederung im DLV kann Roth ab 1996 jedoch darauf hoffen, künftig wenigstens das Fahrgeld zu erhalten. Seit 1989 betreibt Martin Roth, der von seinem Lehrer und Trainer Stefan Diesel vom TUS Königsfeld entdeckt wurde, Leichtathletik. 1995 liest sich die sportliche Erfolgsleiter des Nachwuchssprinters wie folgt: Sieger bei den badischen Hallenmeisterschaften im 60-m-Sprint mit 7,24 sec. Sieger bei einem Einlagerenncn im Rahmen des Internatio­ nalen Hallenmeetings in Karlsruhe in 7,21 sec. über 60 m. Sieger bei den Badischen A­ Jugendmeisterschaften in Karlsruhe über 200 m in 22,05 sec. und Vizemeister beim 346

100-m-Sprint in 11,08 sec. bei der gleichen Veranstaltung. Die Badischen B-Jugendmei­ sterschaften in Weinheim gewann Roth in 11,03 sec. Herausragend auch sein 4. Platz als Ju­ gendlicher bei den Baden-Württembergi­ schen Meisterschaften in Pliezhausen in 11,14 sec. auf der 100-m-Strecke. Pech hatte Martin Roth bei den Deutschen B-Jugend­ meisterschaften in Rhede, wo er zunächst die zweitbeste Tageszeit überhaupt erreich­ te, im Zwischenlauf jedoch scheiterte, weil der Startblock verrutscht war. Mit der Baden-Württembergischen B-Ju­ gend-Auswahlmannschaft belegte Roth bei einem Länderkampf in Alberville in Frank­ reich einen 2. Platz. Gewonnen wurde von Roth bei drei Starts auch der IBM-Sprint­ cup. Trotz der vielen Erfolge wird der von der „Gruppe 3″ in V illingen gesponsorte und in den D/C-Kader des DLV aufgestiegene Ath­ let auf keinen Fall „abheben“. Er weiß zu gut, wie kurzlebig im Sport vor allem bei Verletzungspech Erfolge sein können. Des­ halb vernachlässigt er trotz seiner ins Auge gefaßten Sportlerkarriere die Schule nicht. Erst wenn das Abitur unter Dach und Fach ist, will er sich weitere Gedanken darüber machen, wie es mit der sportlichen Lauf­ bahn weitergehen soll. Hat man erst einmal einen Leistungsstand wie Martin Roth er­ reicht, dann erfordert es viel Aufwand und Energie, um sich auch nur ein Zehntel zu verbessern. Sollte es jedoch so laufen, wie es sich der ehrgeizige Martin Roth erhofft, könnte er schon bald in der nationalen Spitze dabei sein, von den internationalen Möglichkei­ ten will Roth im Augenblick noch nichts wissen, immerhin liegt der Weltrekord bei den Aktiven über 100 m derzeit bei 9,85 sec. Um in solche Bereiche zu kommen, müßte er sich also noch um eine ganze Sekunde verbessern und das ist sehr viel. Mit dem nötigen Qyentchen Glück, das im Sport einfach dazu gehört, trauen Ex- An einen Platz auf dem Siegerpodest ist Martin Roth längst gewohnt. Unser Bild entstand bei ei­ ne,n „Meeting 1995″ in Karlsruhe. perten dem hoffnungsvollen Talent jedoch auch eines Tages den Sprung in die interna­ tionale Spitzenklasse zu. Albert Bantle 347

Ein Weltmeister aus Vöhrenbach Sascha Schneider erhält Ehrenplakette des Karate-Bundes Bei den Deutschen und Baden Württem­ bergischen Meisterschaften des Jahres 1996 im Karate, deklassierte der Vöhrenbacher Sascha Schneider die Konkurrenz in allen Disziplinen. Bei den Deutschen Meister­ schaften in Rastede/Norddeutschland ge­ wann Schneider drei nationale Titel. Die Baden-Württembergischen-Meisterschaften hätte man getrost auch „Schneider-Kämpfe“ nennen können. Der 20jährige Shintaikan siegte in allen fünf Disziplinen und zwar: Kata Einzel und im Kumite Einzel in der Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm, im Ku­ mite Einzel Allkategorie, in der Kata Mann­ schaft sowie auch in der Kumite Mann­ schaft. Wegen seiner in der Deutschen Karatesze­ ne einmaligen Vielseitigkeit wurde ihm die Goldene Ehrenplakette des Deutschen Ka­ ratebundes überreicht. Bisher schaffte es noch kein Deutscher Karateka in beiden Disziplinen Kata (Kür) und im Kurnite (Frei­ kampf) alle Meisterschaften eines Wettbe­ werbes zu gewinnen. Sein Trainer Nino Fa­ randa vergleicht dies mit einem Leichtathle­ ten, der im Sprint und Langstreckenlauf gleichzeitig Weltklasse wäre. im Gespräch betont der sympatische Vöh­ renbacher, daß dies aber alles nur der Lohn mühsamen und harten Trainings ist. Wie er erzählt, trainiert er vor Wettkämpfen zwei­ mal täglich, was ca. 25 Stunden Wochen­ training entspricht. Morgens steht stets Jog­ gen auf dem Programm und mittags geht es zum Kraft- und Techniktraining in die „Fol­ terkammer“. Im Moment bereitet sich der Soldat der Sportfördergruppe auf die Mi­ litär-Europameisterschaft vor. Es macht sichtlich Spaß, sich mit Schnei­ der über seinen geliebten Sport zu unter­ halten. Auf die Frage, wie denn nun die Techniken heißen, mit denen er gegen seine 348 Gegner die entscheidenden Punkte macht, antwortet er mit japanischen Fachbegriffen wie „Kiai“, dem Kampferöffnungsschrei, oder „Mawashi Geri“, was in der deutschen Übersetzung soviel wie Rundbogenschlag des Fußes zum Kopf bedeutet. Auf die ge­ naue Übersetzung kommt es beim Karate­ sport auch gar nicht an. Die Technik der Ka­ ratekämpfer ist ausschlaggebend für die Punktzahl und somit für die Erfolge. Sau­ bere Beinarbeit, fester Stand, tiefe Atmung aus dem Bauch heraus und natürlich die Fähigkeit, den Gegner so schnell anzugrei­ fen, damit er keine Chance zum Kontern hat. Die hohe Schule ist dabei, den Schlag unmittelbar vor dem Körper abzustoppen, um somit dem Gegner kein Haar zu krüm­ men. Ein neues Körperbewußtsein für Distanz, Genauigkeit, Beweglichkeit, Schnelligkeit, Spannung und Entspannung wird ent­ wickelt. Der verantwortungsvolle Umgang miteinander, Rücksichtsnahme und Diszi­ plin sind traditionelle ethische Inhalte des Karatesports. Motivation der meisten An­ fänger Karate zu erlernen, ist der Aspekt der Selbstverteidigung, wie Schneider betont. Sich waffenlos mit effektiven Karatetechni­ ken verteidigen zu können, begeistert ein­ fach. Wie Schneider sagt, hat das Erlernen von Karate mehrere Vorteile wie z.B. Fit­ neß, Körperbeherrschung und Konzentra­ tion. Die erlernten und geübten Techniken stärken das Selbsrvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die eigene Angst überwinden und selbstbewußt in bedrohlichen Situatio­ nen reagieren zu können, ist oft von ent­ scheidendem psychischem Vorteil. In seiner Entwicklungsgeschichte war Ka­ rate immer mit meditativen Aspekten ver­ knüpft. Die Fähigkeiten, sich auf sein Inne­ res zu konzentrieren, ist auch heute noch im

r Sascha Sdmeider, zweiter von links, bei einem Weukampf sportlichen Karate ein wichtiger Lerninhalt. Die durch verschiedene Meditationstechni­ ken erreichte Stärkung von Körper und Geist wirkt sich im Sport und Alltagsleben aus. Schneider, der übrigens im Alter von 11 Jahren durch seine Cousine Simone Fink zum Karatesport kam, bedauert es mit Blick auf die Olympiade in Atlanta sehr, daß ge­ rade seine Sportart nicht olympisch ist. Wie er betont, hegt er aber die Hoffnung, daß sie es vielleicht bis zu Olympia 2000 in Sydney ist, obwohl er nicht recht daran glauben mag. Einmal Edelmetall bei Olympia, wäre sicherlich noch das einzige, was in seiner großen Sammlung an Medaillen und Poka­ len noch fehlen würde. Beim Aufzählen seiner größten Erfolge muß er des öfteren in seinen Kampfbüchern nachschauen, wieviele Titel er eigentlich schon gewonnen hat. Er wurde 1995 in Sun- derland (England) Weltmeister, wurde sechs­ mal World Cup-Sieger, neunmal Deutscher Meister, zweimal internationaler finnischer Meister, war Sieger der Pan Amerikanischen Meisterschaften in Curacao sowie zweifa­ cher Silber und dreifacher Bronze Medail­ lengewinner bei der Europameisterschaft. Nach kurzem Überlegen, schiebt der ,,Schwarzwälder Sportler des Jahres 1993″ ganz bescheiden nach: ,,Ach ich bin ja auch noch 24facher Baden-Württembergischer­ Meister.“ Im Moment ist sein großes Ziel mit seinem Club Shintaikan Villingen den Aufstieg in die Karate-Bundesliga zu schaf­ fen. Wie von ihm zu hören, wären aber all die­ se Erfolge nie möglich gewesen, wenn er nicht sehr große Unterstützung erfahren hätte. An erster Stelle steht hier sein Vater Rainer Schneider, der über Jahre hinweg stets da war, wenn es darum ging, Sascha zu 349

irgendwelchen Wettkämpfen und Trainings­ lagern zu fahren. Extra zu diesem Zweck schaffte sich Rainer Schneider einen Kom­ biwagen an, damit Sascha schlafen kann, während ihn sein Vater ans Ziel fährt. Eben­ falls großen Anteil haben seine Großeltern, die ihm immer hilfreich zur Seite stehen. Sie waren es auch, die ihm Wohnhaus in der Hagenreute einen optimal ausgestatteten Trainingsraum eingerichtet haben. Deswei­ teren natürlich seine sportlichen Förderer wie die Trainer Faranda, Birdüzer, Dietl und Bundestrainer Mohr, um nur einige zu nen­ nen. Mohr war es auch, der Schneider 1992 erst­ mals in die Nationalmannschaft berief. Da­ bei verfehlte er bei seinem ersten interna­ tionalen Wettkampf in Wales 1992 als zwei­ ter nur knapp den Sieg. Um all diese Erfolge zu haben, muß der junge Sportler auf viele Dinge, die für Ju­ gendliche in ihrer Freizeit selbstverständlich sind, verzichten. Heißt es doch die tägli­ chenTrainingseinheiten nicht zu versäumen. Dafür muß man Schneider bewundern, denn nicht immer ist die Motivation gleich gut, um konstante Leistungen hervorzu­ bringen. Sascha Schneider ist trotz aller Er­ folge menschlich bescheiden geblieben. Dies zeigt sich auch daran, daß, wenn es sei­ ne Zeit zuläßt, er die Jugendlichen seines Vereines trainiert, was bei diesen natürlich einen unheimlichen Motivationsschub aus­ löst. Ist es doch nicht alltäglich, mit einem Weltmeister trainieren zu können. Auf die Frage, ob bei all diesen sportlichen Höhe­ punkten nicht die Gefahr besteht, daß ei­ nem die Erfolge zu Kopf steigen, antwortet er, das passiert bei Karate wohl kaum. Hin­ ter diesem Kampfsport steckt bekanntlich eine Lebensphilosophie, die zur Beschei­ denheit anhält. Die Vöhrenbacher und sei­ ne Vereinskameraden von Shintaikan Vil­ lingen hoffen, daß Sascha Schneider so bleibt wie er ist. Bernhard Fritschi • • • Straßen Wege, Straßen, Autobahnen führen nach ÜBERALL hin, nur nicht die MENSCHEN zu-einander … 350 leeres Papier Leeres Papier viele unbeantwortete Briefe, Fragen Die Antworten versteckt irgendwo 111 mir … Bernhard Brommer

Lyrik der Heimat Schulwege Wer erinnert sich noch an die Gedanken, die ihm, als er das erste Mal allein zur Schu­ le mußte, durch den Kopf gingen? Ehrlich! Ich weiß sie noch. Und irgendwie scheinen sie schon damals, vor über 50 Jahren, zu meinem Wesen gepaßt zu haben, was auch der Grund sein mag, daß sie in veränderter Form immer bei Anfängen, und nicht ein­ mal nur da, wiederkehrten. Also, mich quäl­ te die Angst auf dem Weg, der nur knappe zehn Minuten dauerte, die Ahnung wurde ich nicht los, daß alle die, die von heute an meine Mitschüler sein würden, alles schon wußten, was ich erst noch würde lernen müssen. Sie konnten schon lesen, sie konn­ ten schon schreiben, sie konnten schon rechnen. Sie konnten zeichnen und malen. Und ich würde der Letzte, der Dümmste von allen sein. Und ich wußte nicht, wie sich das je würde ändern können, wann ich ihren Vorsprung würde aufholen können. Woher mir diese eingebildete Unfähigkeit zuwuchs, wußte ich damals genauso wenig, wie sie mir in der Zwischenzeit klar wurde oder heute klar wäre. Daran, daß mir von den Eltern die Dummheit eingeredet wor­ den wäre, entsinne ich mich nicht, sie wer­ den genauso wie alle anderen die Versu­ chung verspürt haben, ihre Kinder eher zu überschätzen. Was ich dann wirklich als er­ stes hätte wissen müssen, war nichts von al­ ledem, sondern wie man den Schulranzen unter der schrägen Fläche der Schulbank verstaut, doch da wurde das Rösle aus der zweiten Klasse aufgerufen, mir das zu zei­ gen. Danach ließ sich die ganze Sache nicht ungeschickt, ja mit „Rudirudirallalla“ und „Alle meine Entchen“ sogar recht freundlich an. Was machte man sich doch für Gedanken über den Unterricht, was schrieben sie schon über die Motivierung der Schüler, Erarbei­ tung und Sicherung des Stoffes, eine Gene­ ration von Pädagogen entwickelte Curricu­ la, dabei war für manche Lebensbereiche der Schulweg so entscheidend wie die Schule selbst. Über den Schulweg forscht und phi­ losophiert man eigentlich viel zu wenig, der wurde von der Wissenschaft vergessen, das Thema verkümmert zum Verkehrsunter­ richt, zum Kennenlernen von Regeln, Am­ peln und Schildern. Weite Schulwege gelten als nicht mehr zumutbar und werden oh­ nehin im Bus zurückgelegt. Und gemeinsa­ me Erlebnisse bleiben auf der Strecke, ge­ naugenommen nicht einmal mehr da. Denn, wo erfuhr man so viele Neuigkeiten wie auf dem Schulweg, wann politisierten wir je heftiger als im ersten Schuljahr, wann schlugen wir uns gegenseitig tiefere Wunden in die Seele? (Von der Streitkultur kannten wir nicht einmal das Wort.) Die Wunden aber – o Wunder – heilten wie eine leichte Schürfung an einem Kinderärmchen. Hof­ fentlich bei allen! Eine Kinderseele kann trotz aller Zartheit vieles ertragen. Man stelle sich einmal vor, man hätte Be­ rufskollegen, von denen man sich das bieten lassen müßte! Wir aber waren gleich wieder Freunde, vielmehr: blieben es, fanden je­ denfalls schnell wieder zueinander, ohne förmliche Abbitte, ohne „Verzeihung“ und „Entschuldigung!“ oder die Zurücknahme der Behauptungen. Wir gehörten zueinan­ der, mochten einander, halfen einander, lernten voneinander, verprügelten einander und wünschten uns im Ernst doch nichts Böses. Und mit welcher Herzlichkeit umar­ men wir uns heute beim Klassentreffen, das leider schon nie mehr vollzählig stattfinden kann! Aber wir stritten nicht nur. Wie war das Schlittenfahren in die Schule oder aus 351

der Schule schön, das „Schludern“ (Schlei­ fen) auf dem schneeglatten Weg, der noch nicht sofort gestreut wurde wie heute, oder auf einer schnell angelegten Rutschbahn! Wilde Wettrennen veranstalteten wir, Forel­ len fingen wir mit der Hand aus dem Bach, warfen mitleidlos Steine nach ihnen, Baum­ schwämme rissen wir ab für das Osterfeuer, jede Veränderung registrierten wir und sei es nur ein Stück eingebrochener Bachmauer oder die Anlage eines Brunnentrögleins – das war der Weg von und zur guten alten Volksschule. Es war der erste Schulweg! Der zweite führte zum Gymnasium. Bevor auch dort so etwas wie Routine aus dem Un­ terricht wurde, war er täglich ein sorgenvol­ ler Gang, und obwohl er doppelt so lang war wie der frühere, wünschte ich ihn mir länger, viel länger, drei Stunden weit oder mehr, über eine große Ebene hinweg oder durch finstere Schluchten, daß man den ganzen Vormittag brauchte, um die Schule mit ihren stumpfsinnigen Klassenzimmern (ich nehme es nicht zurück) zu erreichen, in de­ nen man sich nicht anders als ein armer Schlucker fühlen konnte, der Fragen aus­ weichen mußte, die er objektiv nicht beant­ worten konnte, oder fürchten mußte, eine Meinung zu äußern, die von den versam­ melten Mitschülern als derart hinterwälde­ risch empfunden wurde, daß sie einem höh­ nisch ins Wort fielen oder in wieherndes Gelächter ausbrachen. Da war auf dem Nachhauseweg am Mittag noch einiger Trost. Und noch einmal Schulweg!Jetzt zur Uni­ versität. Wieder weiß ich noch die Gedan­ ken des ersten Tages, und sie waren denen des Sechsjährigen nicht unähnlich. Die Sor­ ge war nicht kleinzukriegen, daß alle die Kommilitoninnen und Kommilitonen phi­ losophische Probleme brillant würden lösen können, nur ich nicht, sie würden sich in kühnen Theorien unbefangener bewegen können als ich; sie würden mit Sicherheit die klassischen Texte leichter übersetzen und genauer interpretieren können, mit mehr 352 Einfühlungsvermögen in vergangene Epo­ chen sich hineindenken und die geschichtli­ chen Fakten großen Zusammenhängen zu­ ordnen können, sie hätten überhaupt eine größere Auffassungsgabe, ein besseres Ge­ dächnis, weniger Examensangst, mit einem Wort; sie wären für das Studium befähigter und am Ende die größeren Wissenschaftler. Begegne ich heute wieder einmal dem göt­ ternahen Homer und dem genialen Aristo­ teles, der mir seine Erkenntnis zu lesen gibt, wonach alle Menschen von Natur aus nach dem Wissen streben (darüber habe ich bis heute meine Zweifel, er muß es in einem sehr philosophischen Sinn gemeint haben), dann erinnere ich mich an das Herzklopfen, das mich befiel, als ich das erstemal zwi­ schen ihnen hindurchging. Ein letztesmal Schulweg. Heute muß er mit dem Auto zurückgelegt werden, ein (Be­ rufs-) Leben lang, er führt nicht anders als bei allen zur täglichen Fron, er schenkt, wie er es eben kann, Abstand, der unschätzbar ist, und Nähe, die noch als solche empfun­ den wird. Und wenn nicht Eis und Schnee dräuen und die äußerste Aufmerksamkeit erfordert, so bleibt noch Zeit, die Gedanken zu ordnen, Einfalle zu registrieren, sich auf zu erwartende Schwierigkeiten einzustellen, Lösungen zu suchen, Ziele abzustecken, an Termine zu denken, ein System in den Tag zu bringen, sich allerlei vorzunehmen, zum Beispiel Fehler zu korrigieren, Mißverständ­ nisse zurechtzurücken, Vergessenes nachzu­ holen, Neues in Angriff zu nehmen, ein Momcntchen Freizeit für das Hobby unter­ zubringen, alles zusammengenommen ein Teil von „des Lebens ernstem Führen?“ Nachrichten und Pressestimmen lenken den Blick auf das Geschehen in der weiten Welt, meist sind sie geeignet, das Fürchten zu leh­ ren, Erfreuliches ist selten, danach die ge­ liebte klassische Musik aus dem Radio oder von der Kassette. Aber über alledem darf es nicht dazu kommen, daß ich das Empfin­ den für die schöne Heimat verliere, för die Mühe, die sich andere um sie machen, för

die Eingriffe der Menschen in die Land­ schaft heute und früher, für die Höfe, die Blumenwiesen, die gepflügten Äcker, die Dobel, die Viehherden, die Krähen, die Spinnweben am Straßenrand voll Tau, die Nebel, den Winterwald und alles, alles übri­ ge. Anders ist das Befinden auf dem Nach­ hauseweg. Ausgelaugt der Kopf, in Span- nung noch das Herz und die Nerven, schwächer die Stimme, Thomas Mann ge­ stand, und ich darfs auch, nach stunden­ langer geistiger Arbeit müde zu sein, und in vorgerückten Jahren schleicht sich häufiger die Frage ein, wann es für mich zum end­ gültig letztenmal der Schulweg sein wird. Karl Volk Aus der Mengenlehrezeit oder Elternfreuden „Ich habe es mir überlegt, ich gehe heute nicht in die Schule“, so sprach er mit der ganzen Autorität seiner sechs Jahre, wie er nach dem Aufstehen aus dem Kinderzim­ mer trat. ,,Weißt du, der Schnupfen kann schlimmer werden.“ Doch da kam er bei Mama schön an: ,,Ein Schnupfen kann sie­ ben Krankheiten abhalten, außerdem ist deiner schon lang wieder weg!“ Was blieb ihm da anderes übrig als zu tun, was er muß­ te: nach dem Frühstück seine Bücher und Hefte einzupacken und davonzutrotten? Und als er aus der Schule kam, hatte ich Ge­ legenheit, ihn das letzte Stück vor dem Haus zu beobachten. Entgegen seiner Gewohn­ heit kam er allein die Straße herunter, ohne seinen neuen Freund, mit dem er sonst in intensivem Gespräch seine Probleme erör­ terte, geradeaus auf den Boden schauend, selbst der Schaufellader, unter normalen Umständen etwas vom Interessantesten auf der Welt, konnte ihn heute nicht anziehen, auch an die Bachforellen, nach denen er sonst Ausschau zu halten pflegte, dachte er nicht. Ohne Gruß durchschritt er Hausflur und Wohnzimmertüre, seine Augen strahl­ ten nicht, von seinen neuen Erkenntnissen aus der Sachkunde und aus der Mengenleh­ re sollten wir heute -schien es -nichts er­ fahren. Wortlos warf er seinen Schulranzen auf das Sofa und setzte sich an den Tisch. „Was ist? Habt ihr euch gestritten? Hast du dich in der Schule blamiert? Hat dir einer et­ was zuleid getan? Sag’s schon!“ Nach Se­ kunden des Schweigens fand er die Sprache wieder, und es brach aus ihm heraus. ,,Gar nichts! Ihr helft mir ja in der Mathematik, aber es war alles falsch. Nur was ich allein ge­ macht habe, war richtig.“ Wir schauten uns groß, aber unsicher an und versprachen ihm, es heute besser machen zu wollen. Das kann ja heiter werden, wenn es so wei­ tergeht. Wie bequem, ja genüßlich und aro­ matisch und gesund war das Rechnen noch vor Jahrzehnten, als wir Äpfel, Birnen, Nüs­ se und Pflaumen als Anschauungsmittel ver­ wendeten und in diesem Alter nur bis 20 zu zählen brauchten, statt uns in Teilmengen und Schnittmengen zu verirren. Er hatte für irgendetwas noch eine Auto­ fahrt gutstehen, und ich brachte das Thema ins Gespräch, weil mir der Augenblick gün­ stig erschien, seinen Schmerz vergessen zu machen und meine Autorität wiederherzu­ stellen. ,,Eine Fahrt ins Blaue?“ ,,Auja!“ Wir schwangen uns ins Auto, winkten dem Rest der Familie adieu und fuhren davon. In der Schule mußte er das Lied von den „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“gelernt ha­ ben, und das sang er nun -mir zur Freude, wie er meinte. Jetzt schon die sechste Stro-353

phe, in der alle Vokale und Diphthonge durch „ä“ ersetzt werden. Mit dem Gedan­ ken an „Singe, wem Gesang gegeben!“ und „Laß doch der Jugend ihren Lauf!“ suchte ich Haltung zu bewahren. Aber als mein Sänger nach dem Ende vom Lied auch noch in der gleichen Weise zu reden fortfährt: „Öch wöß ötwös, wös dö nöcht wößt“, sage ich denn doch: ,,Hör mal endlich auf, du dummer Kerl!“ – ,,Selber einer,“ tönt es zurück. Blitzschnell fährt da pädagogischer­ weise meine Hand ihm über den Schopf, er aber höhnt in der Sprache seiner kleinen Schwester: ,,Hatta dar nicht wehdetan.“ – Dann Stille von beiden Seiten, und ich er­ fahre nicht, was er Neues weiß. Eigentlich wollte ich, da mein Ziel eine Burgruine war, um ihn einzustimmen und sein Interesse zu wecken, etwas von den Rit­ tern erzählen, von Don �ichote und Götz von Berlichingen, von der Fehde und der Urfehde, von Tjost und Buhurt, von Burg­ graben, Pechnasen und Schießscharten, von Höhen- und Wasserburgen, von edlen Rit­ tern und Raubrittern. Er dagegen nutzte die Gelegenheit, mir voller Begeisterung eine elektrische Eisenbahn, die er in einem Schaufenster gesehen hatte, zu beschreiben, eine tolle Sache, Züge, die vorwärts und rückwärts und über verstellbare Weichen und durch Tunnels und Gebirgslandschaf­ ten und über Brücken fahren und automa­ tisch im Bahnhof halten. Ich wußte ja von Anfang an, wo das hinauswollte, aber so Hals über Kopf konnte ich mir seine Vor­ stellungen von der Anschaffung einer sol­ chen Anlage doch nicht zu eigen machen. Wir hatten uns dem Ziel genähert. Als er die Ruine sah, war seine Reaktion: ,,Ich ha­ be es ja gewußt, daß es wieder etwas Altes ist, wo du mit mir hinfährst.“ Gleichwohl woll­ te er vom Parkplatz aus den Burghügel hin­ aufrennen und mich im Sturmschritt nach­ ziehen. Wäre der Bergfried zu besteigen ge­ wesen, er hätte, ohne zu verschnaufen, die höchste Zinne erklommen, schwindelfrei, wie er noch ist. 354 Im Burghof stellte er, von der Burgenro­ mantik jäh ergriffen und noch außer Atem seine Fragen, die ich mit Mühe und unter Aufbietung einiger Phantasie zu beantwor­ ten versuchte. Von den „alten Rittersleut“ interessierte ihn am brennendsten das Le­ ben der Ritterbuben, ob sie auch schon ihre eigenen Rüstungen bekommen hätten, ob es wahr sei, daß sie vom Blitz erschlagen worden seien. Sehr schnell wurde mir be­ wußt, welcher Gefahr ich mich jetzt ausge­ setzt habe, obwohl ich nicht das Ansehen ei­ nes Bismarck zu verlieren hatte. Du lieber Himmel, über die historische Fernwirkung des Rittertums hätte ich ihm vieles sagen können, was aber hätte ich ihm erzählen sollen, wenn er mich gefragt hätte, ob seine Altersgenossen vor 700 Jahren im tiefen Schnee den Abhang hinuntergerutscht sei­ en, wobei ja ihre schmiedeeisernen Hosen als Schlitten hätten dienen können, und wie ein Loch in diesen Hosen wieder geflickt worden sein könnte; ganz zu schweigen von ernsthafteren Fragen wie der, ob jeder Ritter seine Standesgenossen habe niederstechen können, ohne nachher vom Gewissen ver­ folgt worden zu sein. Welcher Historiker hätte dies alles so gründlich untersucht, daß es auch möglichen Fragen eines Sechsjähri­ gen standhalten kann? Alle sind sie mit ihren Studien zufrieden, sagen, das sei nicht ihre Fragestellung gewesen, und lächeln da­ zu, und unsereiner steht dann da … Wir schlendern durch die Anlage, ge­ nießen die Aussicht, versuchen, uns ein Bild von der drangvollen Enge zu machen, wo einst viele Menschen hausten und es jetzt so einsam und in den Höhlungen so unheim­ lich ist. Ich muß es meinem Sprößling streng verweisen, auf die Mauerreste zu klet­ tern oder sich zu weit darüberzulehnen. Die Versuchung ist stark. Plötzlich zog die Burgschränke seine Auf­ merksamkeit auf sich, der Entschluß einzu­ kehren fiel uns beiden nicht schwer. Bevor ich etwas bestellen konnte (,,Einen Kaffee, ein Eis“) hatte er die Jagdtrophäen an den

wegende Dinge nicht mehr. Seine Schnitt­ mengen wollte er allein berechnen, damit sie auch stimmten. Ich hatte, froh, der Ver­ antwortung ledig zu sein, nichts dagegen einzuwenden. Über alledem war er müde geworden. Ich kam zu spät, als ich mich mit ihm an seinem Bett noch einmal über die­ sen schönen Tag unterhalten wollte. Karl Volk Wänden in Augenschein genommen. ,,Was, so viele Rehe und Hirsche haben die Ritter geschossen?“ Grenzenlos ist seine Enttäu­ schung, als er zur Kenntnis nehmen muß, daß diese ein Jäger ausgestellt haben kann, der heute kaum älter als ich zu sein braucht. Wie auf der Heimfahrt seine Hausaufga­ ben ihre Schatten auf mich werfen, kommt er wieder auf die Eisenbahn zurück, indem er mir von einem Vater erzählt, der damit stundenlang mit seinem Sohn spielt. Ein zu­ fällig uns überholender Zug bringt ihn zu der Frage, warum wir eigentlich so lange schon nicht mehr mit der Bahn gefahren sind. Zu Hause ereignen sich an diesem Tag be- J II 1-8 ·–. ,.–· r–, i.,:::::._,. ß�-, II II .,- � Vil/ingen: Markl auf dem Münsterpl.atz, Hans Georg Müller-Hanssen 355

Der Winter gehl: Blick ins Schönenbacher Untertal, nahe der Gemark11ng.sgrenze zu Vöhrenbach. 356

Verschiedenes Personen und Fakten Besuch aus der Schweiz: Im Zuge der langjährigen Verbindung des Schwarzwald­ Baar-Kreises zum Nachbarkanton Schaff­ hausen empfingen Landrat Dr. Rainer Gut­ knecht und sein Nachfolger Karl Heim am 15. Mai 1996 eine Delegation des Nachbar­ kantons Schaffhausen unter der Führung von Regierungsrat Dr. Peter Lenherr. Siegfried Baumann wurde am 5. November 1995 unter zwei Bewerbern zum zweitenmal im Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Unterkirnach bestätigt. Bei einer Wahlbe­ teiligung von 62% stimmten 91,4% der Wähler für den bisherigen Amtsinhaber. Die neue Wahlperiode begann am 1. Febru­ ar 1996. Gerhard Dietz wurde am 28. Januar 1996 bei drei Bewerbern mit 53,6% der abgege­ benen Stimmen zum Bürgermeister von Mönchweiler wiedergewählt. Die Wahlbe­ teiligung betrug 81 %. Die neue Wahlpe­ riode hat am 25. April 1996 begonnen. Roland Wehrle, Geschäftsführer der Nach­ sorgeklinik Tannheim, wurde am 16. März 1996 in Bad Dürrheim zum Präsidenten der Vereinigung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte gewählt. Karl Heim, Erster Landesbeamter beim Landratsamt des Zollern-Alb-Kreises, wurde am 15. April 1996 im dritten Wahlgang und bei zwei Mitbewerbern mit 36 von 65 gülti­ gen Stimmen zum Landrat des Schwarz­ wald-Baar-Kreises gewählt. Er trat sein Amt am 1. Juni 1996 an. Georg Bucher, Leiter des Staatlichen Schul­ amtes in VS-Villingen, wurde am 29. April 1996 in den Ruhestand verabschiedet. Gleichzeitig wurde sein Nachfolger Rudolf Stern vorgestellt, bisher Schulamtsdirektor am Staatlichen Schulamt Rottweil. Horst Ziegler, Bürgermeister von Königs­ feld, beging am 3. Mai 1996 sein 25jähriges Dienstjubiläum. Alexander Herr aus Schonach, Mitglied des SV Rohrhardsberg, gewann am 2. Februar 1996 in Asiago (Italien) in der Skispringer­ Mannschaft die Goldmedaille in der Nordi­ schen Junioren-Weltmeisterschaft. Angela Berlis aus Blumberg wurde am 27. Mai 1996 in der ehemaligen Jesuitenkirche in Konstanz zur altkatholischen Priesterin geweiht. Sie ist damit weltweit eine von zwei weiblichen altkatholischen Geistlichen. Helmut Willmann, der aus Bräunlingen stammende Befehlshaber des Eurokorps in Straßburg, wurde im Februar 1996 zum Ge­ neralinspekteur der Bundeswehr ernannt. (Biographie in Almanach 95, S. 82-83) in Prof. Rudolf Mann, Direktor der Berufs­ akademie (Villingen)-Schwenningen, wurde am 21. Februar 1996 aus dem Amt verabschiedet. Als Nachfolger wurde Prof. Gernot Riegraf ernannt. Dr. Rainer Gutknecbt, Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, wurde am 31. Mai 1996 in einem Festakt in den Ruhe­ stand verabschiedet. Gleichzeitig wurde der gewählte Nachfolger Karl Heim in sein Amt eingeführt. Ministerpräsident Erwin Teufel, CDU­ Landtagsabgeordneter im Wahlkreis 54, wurde im Juni 1996 mit 81 von 155 Stim­ men im 2. Wahlgang als Ministerpräsident 357

von Baden-Württemberg wiedergewählt. Dr. Volker Hink, Leiter des Forstamtes Furtwangen, wurde am 24. Juni 1996 in den Ruhestand verabschiedet. Die Führung der Amtsgeschäfte übernahm Forstrat Stephan Gutzweiler. Dr. Jakob Messerli übernahm am 1. Sep- tember 1996 die Leitung des Deutschen Uh­ renmuseums in Furtwangen. Prof. Dr. Richard Mühe wurde als Professor an der Fachhochschule Furtwangen am 13. Oktober 199 5 in den Ruhestand verab­ schiedet. Bis zum 31. August 1996 hatte er die Leitung des Deutschen Uhrenmuseums mne. Orden, Medaillen Nachstehende Personen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurden im Zeitraum vom 1.6.1995 bis 30.8.1996 öffentlich ausgezeichnet: a) mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (Abkürz.: BVK l.Kl. = Bun­ desverdienstkreuz 1.Klasse, BVK a.B. = Bundesverdienstkreuz am Bande, BVM = Bundes­ verdienstmedaille): Haaga, Paul Vogt, Albin Henckell, Jürgen Reiske, Bernhard Kornhaas, Franz-Josef Würth, Wolfram Link, Erich Lintig, Eva von Dr. Gutknecht, Rainer 10.10.1995 20.07.1995 18.10.1995 19. 05. 1996 18.01.1996 15.12.1995 08.05.1996 11. 07.1996 09.08.1996 BVKa.B. BVKa.B. ßVKa.B. BVM BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVK I.Kl. Villingen-Schwenningen Donaueschingen-Hubertshofen Blumberg Blumberg-Riedöschingen Villingen-Schwenningen Bräunlingen Königsfeld-Neuhausen Hüfingen Bad Dürrheim a) mit der Silbernen Ehrennadel des Landkreistages Baden-Württemberg för 30jährige Mitgliedschaft im Kreistag: Kreisrat Lukas Duffner (SPD) 6. 5. 1996 Schönwald b) mit der Staufer-Plakette des Landes Baden-Württemberg: Landrat Dr. Rainer Gutknecht 31. 5.1996 Villingen-Schwenningen c) mit der Sportplakette: Turngemeinde 1896 Tuningen, 21.06.1996 Tuningen d) mit der Palestrina-Medaille: Katholischer Kirchenchor St.Vitus, 15. 06. 1996 Donaueschingen-Aufen 358

Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Veränderungen in Zahlen + 44 + 12 + 45 + 9 + 33 +239 + 34 – 20 + 98 – 40 + 78 + 73 -172 + 5 – 57 – 60 + 61 + 13 -173 – 40 +182 in% + 0,380/o + 0,110/o + 0,760/o + 0,17 0/o + 0,99 0/o + 1,170/o + 0,34 0/o – 1,35 0/o + 1,38 0/o -0,67 0/o + 2,49 0/o + 1,36 0/o – 1,20 0/o + 0,19 0/o -1,300/o -1,02 0/o + 2,28 0/o + 0,400/o – 0,21 0/o -0,93 O/o + 0,090/o Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler N iedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen U n terkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Kreisbevölkerung insgesamt — Stand der Wohnbevölkerung 31.12.1995 31.12.1994 11 549 11 SOS 10 695 10 683 5 957 S 912 5 194 5185 3 377 3 344 20 716 20 477 10055 10 021 1 465 1 485 7 221 7 123 5 956 5 996 3 210 3 132 5 421 5 348 14 179 14 351 2706 2701 4340 4 397 5 831 S 891 2735 2 674 3 246 3 233 80734 80 907 4 241 4 281 208828 208646 Ausländische Mitbürger in Zahlen Gemeinde Ausländer insges. Stichtag 3l.12.1995 davon Türken ehemaliges Jugoslawien Italiener Sonstige Ausländeranteil in Prozent Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Gesamt 682 1 872 663 261 146 1944 1 159 73 755 294 281 293 1 801 92 337 652 201 261 12088 646 24561 52 798 407 75 6 475 241 7 290 28 39 28 270 3 48 224 62 59 2 474 234 5 820 253 427 66 29 52 235 346 14 140 95 135 90 610 37 156 147 29 45 2 064 200 5170 111 40 23 36 25 328 314 39 165 14 36 18 595 14 86 96 122 53 2117 133 4365 266 607 167 121 63 906 258 13 160 157 71 157 326 38 47 185 48 104 5 433 79 9 206 6,1 16,2 11,2 5,1 4,3 9,4 11,6 5,0 10,6 5,0 8,9 5,3 12,9 3,3 7,3 11,1 9,7 8,1 14,9 14,8 11,7 359

Ergebnisse der Wahl zum Landtag von Baden-Württemberg am 24. März 1996 Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen 115 854 Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen 121583 Wahlberechtigte: Wähler insgesamt: ungültige Stimmen: gültige Stimmen: 77 976 1 012 76 964 67,310/o 1,300/o 98,700/o Wahlvorschläge CDU SPD REP Grüne FDP/DVP Graue ÖDP PBC 50,87% 39 155 17 442 22,660/o 4 769 6,200/o 8,940/o 6 877 6 577 8,550/o 739 0,960/o 1,070/o 821 0,760/o 584 Gewählt wurden: Erwin Teufel (CDU) Julius Redling (SPD) 82680 68,000/o 1 381 1,670/o 81 299 98,33 0/o 39 542 48,640/o 17 115 21,050/o 6 108 7,51 O/o 8,660/o 7 043 8 799 10,82 0/o 1 177 571 1,450/o 0,700/o Eduard Hauser (REP) Herbert Moser (SPD) Franz Schumacher (CDU) Ernst Pfister (FDP/DVP) Arbeitslose in Prozentzahlen Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Land Bundesgebiet West Bundesgebiet Ost 30.6.1994 30.6.1995 30.6.1996 8,70/o 7,70/o 7,90/o 7,3 O/o 7,0 0/o 7,6 0/o 8,00/o 8,90/o 9,70/o 16,00/o Arbeitslosigkeit im gesamten Bundesgebiet zum 30.6.1996: 11 OJo 360

Farbaufnahmen und Fotonachweis Die Farbaufnahmen auf der Titel- und Rück­ seite stammen von German Hasenfratz, Hü­ fingen. Motiv Titelseite: Die Triberger Wasserfalle Motiv Rückseite: Kirche in Buchenberg Fotonachweis: Soweit bei den einzelnen Beiträgen die Bildautoren nicht namentlich hier angeführt werden, stammen die Fotos jeweils vom Verfasser des betreffenden Bei­ trages. 215, 216, 222; Sammlung Jürgen Schlenker 227; Narrenzunft Schwenningen 228, 229; Photo Sauer 239; W. Hirt 240; Navigo pho­ tography 257, 258, 259; Pierre Fauvelle 262, 263, 264, 265, 266; Hans Kaltenbach 267, 268, 269, 270, 271; DRK Ortsverein Villin­ gen 276, 279; Franz Krick! 281, 282, 283, 284; Foto-Gehring 303 links unten und oben; Helmut Glatz 319, 320; Bernhard Widmann 327, 328, 329, 330; Waltraud Müller 344; Raimund Fleischer 361. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertre­ ten (die Zahlen nach der Autorenangabe be­ ziehen sich auf die jeweilige Textseite): Alexandra Primuth 7, 9, 10, 18, 19, 20; Land­ ratsamt 13, 37; Wilfried Dold 15, 32, 33, 40, 41, 50 oben links, 52/53, 64, 181, 182, 184, 185, 186, 356; Privat 17, 128, 147, 336, 337, 338, 339, 349; Dold-Verlag Infografik auf Seite 22, 25, 27, 334; Wasserverband Obere Jagst 30; Willi Hönle 44/45; Jörg Michaelis 46; Foto-Maier 65, 66, 72, 115; Werbefoto Robold 75; Wolfgang Kleiser 80; Atelier Hu­ gel 84, 85, 86; Atelier Wolfgang Brotz 101, 109, 169, 170, 171, 172, 173, 174; Roland Sprich 113; Foto Carle 121, 122, 124, 183; Jochen Hahne 125; German Hasenfratz 133, 134, 135, 136, 137; Clark Urbans Skiz­ ze 139; Landesdenkmalamt Baden-Würt­ temberg (Otto Braasch) 140; Landesdenk­ malamt Baden-Württemberg (Petra Eckerle, Dr. Jutta Klug-Treppe, Clark Urbans) 141, 142, 143, 144; Gemeindeverwaltung Dau­ chingen (Michael Merz) 150, 151; Thomas Herzog-Singer/Foto Singer 153, 154, 155; Erwin Kienzler 157, 159, 161; Antonia Reichmann 162, 163, 164, 165; Foto Wutt­ ke 179, 180; Deutsches Uhrenmuseum Furt­ wangen 193, 194, 195, 196; Gemeinde Wei­ lersbach (Ortschronik) 198; Katholische Pfarrgemeinde St. Georgen 199; Münster­ pfarramt Villingen 200; Fritz Straub 202; Artur Büttner 210, 211; Dr. Joachim Sturm Impression aus Beckhof en im Brigachtal 361

Die Autoren unserer Beiträge Adam, Patrick, Blücherstraße 9, 68259 Mannheim Adler, Bernhard, Pfr., Kälbergässle 9, 78147 Vöhrenbach Aßbeck, Prof. Dr. Franz, Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Bantle, Albert, Sinkinger Straße 40a, 78078 Niedereschach Bausch, Ernst, Rohrbacherstraße 10, 78098 Triberg Beichl, Manfred, Mannheimerstraße 16, 78048 Villingen-Schwenningen Bergmann, Dr. Peter, Bildackerstraße 92, 78054 Villingen-Schwenningen Bischoff, Prof. Dr. Rainer, Mathias-Faller-Weg 13, 78120 Furtwangen Bökenkamp, Renate, Schwarzwaldstraße 4, 78112 St. Georgen Brommer, Bernhard, Volkartstraße 31, 80634 München Brenner, Gerhard, Karlstraße 58, 78166 Donaueschingen Bruder, Anton, Deißlinger Straße 1, 78083 Dauchingen Bücheler, Egon, Buchenweg 2, 78120 Furtwangen Buchmann, Prof. Dr., Knud-Eike, Sturmbühlstraße 250, 78054 Villingen-Schwenningen Disch, Peter, Dreisamstraße 25, 79098 Freiburg Dold, Wilfried, Waldstraße 13, 78147 Vöhrenbach Dufoer, Elfriede, Rathaus, 78089 Unterkirnach Fichtner, Manfred, Ruhe-Christi-Straße 29, 78618 Rottweil Flick, Dr. Karin, Schwenningerstraße 2, 78048 Villingen-Schwenningen Forster, Ingrid, Schleicherstraße 4, 78050 Villingen-Schwenningen Fritschi, Bernhard, Herzogenweilerstraße 10, 78147 Vöhrenbach Gfrörer, Ulrike, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Groß, Helmut, Am Schwalbenhaag 1, 78048 Villingen-Schwenningen Gwinner, Joachim, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Heim, Werner, Erzbergerstraße 28, 78054 Villingen-Schwenningen Heinichen, Helga, Schwarzwaldstr. 28, 78073 Bad Dürrheim-Hochemmingen Henckell, Jürgen, Buchbergstraße 3, 78176 Blumberg Hermanutz, Prof. Dr., Max, Sturmbühlstraße 250, 78054 Villingen-Schwenningen Hessemann, Bernhard, Ulmenweg 11, 78166 Wolterdingen Hoss, Birgit, Jacob Kienzlestraße 17, 78054 Villingen-Schwenningen Hütt, Dr. Michael, Rietgasse 2, 78050 Villingen-Schwenningen Kaiser,Johannes, Weiherstraße 13, 78050 Villingen-Schwenningen Kalb, Roland, Albstraße 7, 78085 Dauchingen Kienzler, Erwin, Grubweg 15, 78136 Schonach Kimmig, Manfred, Am Reischenberg 13, 78120 Furtwangen-Rohrbach Klug-Treppe, Dr. Jutta, Marienstraße 1 Oa, 79098 Freiburg Koch, Klaus, Danzingerstraße 12a, 78151 Donaueschingen Köngeter, Ulrich, Am Krebsgraben 15, 78048 Villingen-Schwenningen Kottmann, Ingeborg, Landwattenstraßc 4, 78090 Villingen-Schwenningen Krinn, Prof. Dr. Helmut, Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Kubach, Dr. Rudolf, Romäusring 4, 78050 Villingen-Schwenningen Kühnberger, Iris, Gerwigstraße 2, 78120 Furtwangen Langer, Dr. Michael, lrmastraße 11, 78166 Donaueschingen Lauffer, Günter, Sommerauerstraße 52, 78112 St. Georgen Laule, Klemens, Tannheimerstraße 9d, 78166 Wolterdingen Letule, Hans, Rathausstraße 14, 78086 Brigachtal-Überauchen Link, lrene, Alte Krauchenwies 5, 72488 Sigmaringen 362

Ludwig, Werner, Kinzigstraße 30, 78112 St. Georgen Mager, Gertrud, Auf dem Bühl 20, 78120 Furtwangen Mayer, Ingeborg, Mistelbrunnerstraße 33, 78166 Donaueschingen 16 Meinholz, Prof. Dr. Heinrich, Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Mescheder, Prof. Dr. Ulrich, Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Mößner, Bruno, lrmastraße II, 78166 Donaueschingen Munk, Dr. Peter, Berlinerstraße 1, 78048 Königsfeld Müller, Claus-Volker, Martin-Blessing-Straße 13, 78120 Furtwangen Naumann, Simone, Gartenfeldstraße 4, 68169 Mannheim Nitz, Bertin, Gütenbach Opp, Margot, Weierweg 10, 79111 Freiburg Pfeffinger, Manfred, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Prillwitz, Bernhard, Schwimmbadstraße 1, 78176 Blumberg Przewolka, Sabine, Königsfelderstraße la, 78087 Mönchweiler Reich, Martin, Eschachstraße 19, 78078 Niedereschach-Kappel Reinbolz, Andreas, Eichendorffstraße 47, 78166 Donaueschingen Renn, Wendelin, Friedrich-Ebertstraße 35, 78054 Villingen-Schwenningen Rieple, Max, Donaueschingen Rockrohr, Ingrid, Am Rappenschneller 16, 78183 Hüfingen Schafbuch, Gottfried, Hüfingen Scherzer, Beatrice,Jacobstraße 18a, 78183 Hüfingen Scherzinger, Oswald, Hintertal 1, 78148 Gütenbach Schirrmacher, Beate, Heidenfeldstraße 18 D-10249 Berlin Schleicher, Hans, Kirnacherstraße 9, 78050 Villingen-Schwenningen Schmid, Gabriele, Schulstraße 13, 78166 Donaueschingen Schneider-Damm, Dagmar, Luisenstraße 4, 78073 Bad Dürrheim Schnerring, Dietrich, Baumannstraße 15, 78120 Furtwangen Schnerring, Sabine, Baumannstraße 15, 78120 Furtwangen Schnibbe, Prof. Klaus, Ilbenstraße 50, 78120 Furtwangen Schultheiß,Jochen, Blauenweg 25, 78112 St. Georgen Schulze, Ute, Landwattenstraße 4, 78090 Villingen-Schwenningen Seefried, Gabriele, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Siegel, Hans-Joachim, Beim Hochgericht 22, 78050 Villingen-Schwenningen Siegmund, Alexander, Zähringer Straße 31, 78183 Hüfingen-Fürstenberg Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 Marbach Sirringhaus, Dieter, Stadtverwaltung, 78050 Villingen-Schwenningen Sprich, Roland, Bühlstraße 57, 78112 St. Georgen Steger, Christiana, Birkenweg 8, 78176 Blumberg Techen, Beatrice, Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Ulmer, A. Günther, Hauptstraße 16, 78609 Tuningen Volk, Karl, Untertalstraße 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Wahl, T horsten, Grünewaldstraße 42, 76149 Karlsruhe Wegener, Winfried, Eichendorffstraße 3, 78086 Brigachtal Zahlten, Richard, Schloß-Säge, 79853 Lenzkirch Zimmermann, Michael, Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen 363

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat und Landkreis / Landrat Karl Heim Aus dem Kreisgeschehen Wechsel an der Spitze des Landratsamtes -Dr Rainer Gutknecht verabschiedet -Karl Heim als neuer Landrat vereidigt/ Peter Disch/Wilfried Dold Im Dienst am Schwarzwald-Saar-Kreis -Dr. Rainer Gutknecht ein Landrat aus Berufung/ Günter Lauffer Die Zukunft aktiv mitgestalten -Landrat Karl Heim erhofft sich weitere Intensivierung des Kreisbewußtseins / Wilfried Dold Der Landkreis und seine Aufgaben Fahrtenangebot verdichtet und vertaktet -Der öffentliche Personennahverkehr leistet wichtigen Beitrag zum Umweltschutz/ Gabriele Seefried Erstmals sinken Sozialhilfekosten leicht/ Joachim Gwinner Neue Wege in der Jugendhilfe I Ulrike Gfrörer Hochwasserschutz im Bregtal / Manfred Fichtner Hochwasseralarmplan zum Schutz der Bürger I Manfred Pfeffinger Eingliederung staatlicher Einrichtungen / Dr. Karin Flick/ Bruno Mößner / Dr. Mi- chael Langer Partnerschaft mit Bacs-Kiskum -Schwarzwald-Saar-Kreis knüpft Kontakte mit Ungarn Städte und Gemeinden Von der Landwirtschaft geprägt -Pfarrkirche Allerheiligen das weithin sichtbare Wahrzeichen von Urach/ K.lemens Laute Das Wappen von Urach/ Prof. Klaus Schnibbe Wolterdingen 772 erstmals erwähnt/ Bernhard Hessemann Das Wolterdinger Wappen I Prof. Klaus Schnibbe Ein schönes und liebenswertes Dorf -Rohrbach hat sich auch nach der Eingemeindung die Selbständigkeit bewahrt/ Manfred Kimmig Das Rohrbacher Wappen / Prof. Klaus Schnibbe Behörden, Organisationen und Institutionen Das Märchen vom Park für alle Generationen -Freizeitpark in Villingen-Schwenningen ein Paradies für alle Kinder/ Dieter Sirringhaus Neues Informations-und Service-Center -Industrie-und Handelskammer noch kundennäher / Dr. Rudolf Kubach Das Fenster zur Stadtgeschichte -1 m Stadtarchiv lagern über 5 000 Urkunden und 10000 Siegel/ Ingeborg Kottmann/Ute Schulze Bildungseinrichtungen Neuer Studiengang zielt auf Fernost -Fachhochschule Furtwangen lehrt auch »Internationale Betriebswirtschaft“ / Birgit Hoss Wärmebehandlung gegen Krebstumoren / Prof. Dr. Franz Aßbeck Entwicklungen und Forschungen an der FHF -Labor für Lasertechnik und Optoelektronik erweitert / Prof. Dr. Ulrich Mescheder Das Umweltzentrum/ Prof. Dr. Helmut Krinn/Prof. Dr. Heinrich Meinholz 364 2 3 5 6 11 14 18 21 24 28 31 34 37 39 42 43 47 49 54 56 60 62 65 67 69 70

Fachbereichstag Information an Fachhochschulen (FBT-I) / Prof. Dr. Rainer Bischoff Ein Vierteljahrhundert Bildung – Volkshochschule Oberes Bregtal feierte 25jähriges Bestehen / Egon Bücheler Lücke in der Lehrlingsausbildung geschlossen – 30 Jahre DVS-Kursstätte des Deutschen Verbandes für Schweißtechnik I Werner Heim Hilfe für Unfall- und Katastrophenhelfer – Fachhochschule der Polizei untersucht den „posttraumatischen Streß“ / Dr. Hermanutz/Dr. Buchmann Industrie, Handwerk und Gewerbe Meilensteine der Orthopädietechnik – Die Biedermann Orthopädie-Technik GmbH und Biedermann Motech Medizin- und Orthopädie-Technik GmbH Spezial-Werkzeuge für Kfz-Reparaturen – Die KLANN-Spezial-Werkzeugbau-GmbH in Donaueschingen Mit Licht formen, schneiden und gestalten – Wagner-Lasertechnik in Dauchingen – Mit dem Laserfeinschneiden eine eigene Existenz gegründet Technologie-Park Villingen-Schwenningen – Wertvolle Stütze für Jungunternehmer bei der Existenzgründung I Ulrich Köngeter Für Anforderungen der Zukunft gerüstet – Die Pumpenfabrik Scherzinger besteht seit 60 Jahren Wirtschaftsgeschichte Grundstein zu Weltunternehmen gelegt – Christian Steidinger gründete die Firma Dual / Jochen Schultheiß Persönlichkeiten der Heimat Günter Lauffer – ein stets verläßlicher Partner/ Ein Bürgermeister aus kommunalpolitischem Urgestein/ Werner Ludwig Michael Jerg – schon immer musikbegeistert / Christiana Steger 100. Geburtstag von Hermann Schleicher/ Hans Schleicher Albin Vogt – Ein Leben für die Allgemeinheit – Transportunternehmer, Bürgermeister und Ortsvorsteher/ Ingeborg Mayer Bürgermeister und Politiker aus Passion – Elmar Österreicher seit 1993 Ehrenbürger von Dauchingen / Anton Bruder Sprache als Schrei in der Stille – Zum Tode von Thomas Strittmatter / Sabine Przewolka Museum mit internationalem Rang geschaffen -Prof. Dr. Richard Mühe wechselt in den Ruhestand/ Beatrice Techen Ein Leben im Einklang mit der Natur – Martin Schwer – Landwirt und Fabrikant von Rosenkränzen/ Karl Volk Größte Kuckucksuhr der Welt gebaut – Ewald Eble – erfolgreicher Uhrenhersteller mit großen Plänen/ Karl Volk Carpe diem oder: Uwe Conradt ist tot/ Wendelin Renn Echte Freunde in der Not – Wie aus dem Wallfuhrerkreis Triberg der „Helferkreis Slunj“ wurde / Renate Bökenkamp Ein Vöhrenbacher von altem Schlag – Zum Tode von Ernst Zugschwerdt / Wilfried Dold Archäologie Als Hüfingen noch Brigobannis hieß – Aus dem Leben der römischen Zivilsiedlung I Beatrice Scherzer Einst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – Römische Gutshofanlage in Überauchen ist ausgezeichnet erhalten I Dr. Jutta Klug-Treppe 70 71 74 79 81 84 87 90 92 96 101 l 04 105 107 109 113 115 118 121 125 127 130 133 139 365

Geschichte und Denkmalpflege Versuchsstation Schule – Religionsunterricht im Landkapitel Donaueschingen zur Zeit des Dritten Reiches/ Richard Zahlten Eine Wurfweite von 37 Metern – Dauchinger Feuerwehrspritze stammt aus dem 18. Jahrhundert I Anton Bruder Der Kaiserturm in Villingen / Ingrid Forster Der Brand auf dem Rohrhardsberg – Ein Beitrag zur Soziologie auf den Schwarzwaldhöfen/ Karl Volk Fünf Jahre „IG Baaremer Baukultur“/ Ingrid Rockrohr Ein berühmter Orgelbauer aus Gütenbach – Philipp Furtwängler und seine Orgelfabrik in Elze/Hannover I Oswald Scherzinger Museen im Schwarzwald-Baar-Kreis Wo Stadtgeschichte lebendig wird – Das Franziskanermuseum in Villingen-Schwenningen/ Dr. Michael Hütt Des Peregrinus Beck Groteskgemälde – Ein Zeugnis der Villinger Spottlust im Franziskaner-Museum I Michael]. H. Zimmermann Eine Sozialstation als Heimatstube – In Tannheim wird an die einst schlechte soziale Lage der Bürger erinnert/ Dr. Michael Hütt Das Schwarzwaldmuseum in Triberg -Jährlich kommen über 100 000 Besucher in eines der schönsten Heimatmuseen/ Ernst Bausch Alte Uhren künden von besseren Zeiten – Der Uhrenfabrik Mauthe vergangene Größe – In Werner Pfanders Privatmuseum/ Michael]. H. Zimmermann Der Schwarzwald-Baar-Kreis in Farbbildern Uhren und Uhrengeschichte Es war die Lackschilduhr – nicht der Kuckuck – Im 19. Jahrhundert lieferten die Sd1warwälder Uhrmad1er bis nach Übersee/ Iris Kühnberger M. A. Kirchen, Kapellen und Glocken Meisterwerke in Form und Klang – Schilling-Glocken im Schwarzwald-ßaar- Kreis / Jochen Schultheiß Von der Diasporagemeinde zur Stadtpfarrei – Die katholische St.-Georgs-Pfarrei in St. Georgen wird 90 Jahre alt/ Jochen Schultheiß Die Hubertus-Kapelle in Neuhausen – Das Schmuckstück des Dorfes wurde gründlich renoviert/ Irene Link Tuningen als Wallfahrtsort – Auf den Spuren der Kirche des Heiligen Gallus / Günther A. Ulmer Heiteres aus dem Klosterleben Maria Canisia und ihr Damenorchester/ Helmut Groß Wegkreuze und Kleindenkmäler Gedenkstein erinnert an die Gründung – 1806 zum Bau von Königsfeld den ersten Baum gefallt/ Dr. Peter Munk Sagen der Heimat Wunderbare Rettung der Kirche zu Hondingen / Bernhard Prillwitz Der Lunzistein / Max Rieple 366 145 150 152 156 162 166 169 175 178 181 188 192 193 197 203 209 212 217 220 222 223

Brauchtum 111 Jahre organisierte Schwenninger Fasnet I Michael J. H. Zimmermann Musik Ein Mann für jede Tonart – Portrait des St. Georgener Schulmusiker Peter Dönneweg / Joachim Siegel Dem Volk nach dem Mund gesungen – Spittelsänger – der musikalische Inbegriff der Villinger Fasnet I Joachim Siegel Kunst und Künstler Von Rössern und Gaskugeln – Kunst im öffentlichen Raum des Landkreises bietet ein breites Spektrum / Stefan Simon Logo des Schönen im Unscheinbaren – Centric und XCentric – Die Materialkunst von Martin Starkmann I Helga Heinichen Fasziniert von der Formbarkeit der Erde – Die Kunsthandwerkerin Anita Riemer-Wernick I Andreas Reinbolz Kunst als sichtbares Leben – Zur Malerei von Ludwig Schopp aus Königsfeld I Manfred Beicht Lebensgefühle in Holz und Ton – Der Künstler Josef König fand in Schwenningen eine neue Heimat I Winfried Wegener Wo Kunst die Uhrenfabrikation ablöst – Das „hanh art kunstprojekt“ in Gütenbach I Claus-Volker Müller Opus Spuma – Wiebelt-Installation in Schweden I Beate Schirrmacher Eine Stele zum Stadtjubiläum – Wolfgang Kleisers Werk umfaßt 750 Jahre Vöhrenbacher Geschichte / Bernhard Adler Gesundheit und Soziales Caritasverband feiert 50jähriges Bestehen I Gabriele Schmid 100 Jahre DRK-Ortsverein Villingen e.V. I Dr. Peter Bergmann Natur und Umwelt Neue Elektrizität aus dem Bregtal – Ernst Zwick investiert 2,8 Millionen Mark in ein Wasserkraftwerk I Klaus Koch Baumriesen in und um St. Georgen / Hans Letule Die Riedbaar – Geologische Entwicklungsgeschichte einer Landschaft / Patrick Adam/Simone Naumann/Dipl.-Hdl. Alexander Siegmund Die Heckenlandschaft der Westbaar – Aus der Sicht der Erdkunde am Beispiel Bräunlingens I Torsten Wahl/Alexander Siegmund Die Bräunlinger Heckenlandschaft – Aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes I Dr. Gerhard Bronner Der Nordluchs kehrt zurück I Roland Kalb Landwirtschaft Das Haushuhn – Zur Geschichte und Haltung / Erwin Kienzler Freizeit und Erholung Begegnungsstätte für die gesamte Gemeinde – Unterkirnach schafft verkehrsberuhigte Zone mit Kieschtock Brunnen I Elfriede Dufner Von Marionetten fasziniert – Das außergewöhnliche Hobby des St. Georgener Bernhard Kammerer I Roland Sprich 225 237 239 241 247 251 254 257 260 262 267 272 276 281 286 290 295 300 308 313 319 322 367

Heilquelle und Streichelzoo – Die Freizeitanlage in Kappel ein Ausflugsort für die gesamte Familie I Martin Reich Stätten der Gastlichkeit Das Kurhaus Bad Dürrheim – Gesellschaftlicher Treffpunkt im Herzen des Kurortes I Dagmar Schneider-Damm International und doch bodenständig – »Hirschen“ in Blumberg seit vier Generationen im Besitz der Familie Salomon I Christiana Steger Im „Ochsen“ war auch Lloyd George zu Gast – Das Furtwanger Hotel seit 1993 im Besitz der Familie Urs Keller I Sabine Schnerring Der „Maierhof“ war einst das „Bierhüsli“ I Sabine Schnerring Ein Schonacher Berggeist: August Kaiser – Vor 37 Jahren eröffnete das „Berghüsli“ I Renate Bökenkamp Sport Willi Müller – eine lebende Legende I Albert Bande Martin Roth sprintet in die Bestenliste I Albert Bande Ein Weltmeister aus Vöhrenbach – Sascha Schneider erhält Ehrenplakette des Karate-Bundes I Bernhard Fritschi Lyrik der Heimat Schulwege I Karl Volk Aus der Mengenlehrezeit oder Elternfreuden I Karl Volk Gedichte April I Christiana Steger Freiheit I Christiana Steger Zurück zum Steinbeil I Dietrich Schnerring Zorn Geburtsdag I Bertin Nitz Die Stille I Margot Opp Vorsicht mit dem Alter schätze I Gertrud Mager Schuld / Johannes Kaiser Zeitgenössische Vision / Jürgen Henckell Mondfinsternis I Jürgen Henckell Sekundenleben I Jürgen Henckell D’Fürspritzi un d’Orgle I Bertin Nitz D‘ Feuerwehr I Gottfried Schafbuch Straßen – Leeres Papier I Bernhard Brommer Verschiedenes Personen und Fakten Orden, Medaillen Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Ausländische Mitbürger in Zahlen Ergebnisse der Landtagswahl 1996 Arbeitslose in Prozentzahlen Bildnachweis Die Autoren unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 368 324 327 331 333 336 340 343 346 348 351 353 36 48 103 112 120 129 187 192 236 253 285 321 350 357 358 359 359 360 360 361 362 364